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1 - Wetten abschließen für Dummies!

Die grünen Augen meines Gegenübers starrten in meine blauen, während der Lärm um uns herum ausgeblendet wurde. „Jeder macht es, Elena“, versuchte Trent, mein bester Freund, mich zu überreden.

Es war ein Tag wie jeder andere im kalten Chicago. Zumindest wie fast jeder andere.

Heute Abend stand ein heißer Kampf an, den ich auf keinen Fall missen wollte. Alle, die von den illegalen Underground Fights wussten, kannten den Herausgeforderten, Danny Capristo. Er war Student und Starquarterback der Chicago State University, an der auch mein bester Freund und ich studierten.

Aber niemand von uns, nicht einmal Danny, kannte den Herausforderer. Blake, der Typ, der sich um die Wetten, Kampfansagen und Verbreitung von Nachrichte kümmerte, hatte die Sache um Einiges interessanter gemacht, indem er beschlossen hatte, niemandem zu verraten gegen wen Danny überhaupt antreten würde.

Vielleicht lag es am Nervenkitzel, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich nicht auf Danny Capristo setzen sollte. Möglicherweise war ich heute einfach nur besonders risikofreudig.

„Elena, versteh‘ doch, es ist eine dumme Idee.“

„Trent, mach‘ dir keine Sorgen, ich weiß, was ich tue. Ob du es glaubst oder nicht. Vertraue mir.“

Er fuhr sich mit einer Hand durch seine hellbraunen Haare und sah mich missmutig an, bevor er laut seufzend meinte, „Wenn du das sagst, aber wenn du falsch liegst, dann werde ich dir in deinen Arsch treten, verstanden? Außerdem wirst du dir Wochenlang anhören müssen, dass ich recht hatte und du falsch lagst.“

„Damit kann ich leben.“ Obwohl ich die Zustimmung meines besten Freundes nicht brauchte, um diese Wette abzuschließen, weil er nicht mein Vater und es mein Geld war, um das es sich handelte, verspürte ich das starke Bedürfnis ihm klar zu machen, wieso ich es tat. Er sah meine Entscheidung nicht ein, aber zumindest meckerte er mich nicht mehr voll, weil ich nicht so handelte, wie er es sich erwartet hatte.

PJ verwaltete die Wetten, die von unserer Schule aus gingen und gab sie vor dem Kampf weiter an Blake. Nicht viele wussten wer genau Blake war, ob dies sein echter Name und ob er überhaupt Student an irgendeiner Universität war, aber er war derjenige, der die Kämpfe zustande brachte. Danny und noch ein paar mir unbekannte Jungs saßen an PJs Tisch, als ich diesen ansteuerte.

Ich konnte PJs Grinsen schon Meter entfernt entdecken und wollte schon wieder umdrehen, als mir in den Sinn kam, wieso ich mich überhaupt auf den Weg zu ihm gemacht hatte. „Womit kann ich dienen, meine Schöne?“, fragte er und lehnte sich im roten Plastikstuhl zurück.

„Spar‘ dir dein Süßholz, PJ, ich bin nur für das Übliche hier.“ Mit großer Kraft versuchte ich nicht genervt von ihm und seiner „coolen“ Art zu klingen. Meinen Kontakt zu dem Rotschopf musste ich hegen und pflegen.

„Schade“, begann er gespielt bestürzt. „Dabei dachte ich, dass du hier her gekommen bist, um mich zu einer Pyjamaparty einzuladen.“

Meine Stimme war zuckersüß, als ich sagte, „Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, PJ“

„Macht nichts.“ Ein dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und er fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkelrotes Haar. „Vergeben und vergessen, wenn du kurz auf die Knie gehst und deine tollen Lippen um PJ Junior legst und ihn wie ein Lolli lutscht.“ Er lachte dröhnend und seine Freunde stimmten mit ein. Am Ende klang es wie eine Horde Gorillas, die sie sich über eine ihnen zugeworfene Banane freuten. PJ, der eigentlich Peter-James Stetson hieß, wurde von Außenstehenden meist als schmächtiger Nerd bezeichnet und nicht als draufgängerischer Typ, der Wetten für illegale Underground Fights regelte. Der erste Eindruck täuscht.

Ich war mehr als nur angeekelt und brachte all meine Kraft auf, um mich nicht vor Ekel zu schütteln. „Zu dumm, dass ich immer in meine Lollis reinbeiße, weil ich so schnell wie möglich an den Kaugummi kommen will.“ Sein Grinsen verging ihm und meine Laune hob sie um Einiges. „Sei so nett und behalt‘ deine dummen Sprüche für dich, okay? Nimm einfach das verdammte Geld und setz auf Dannys Herausforderer.“

„Bleib ruhig, Brauner“, kicherte er. „Du kannst dich auf mich verlassen, das war doch nur Spaß. Weißt doch, dass ich dich gut leiden kann. Bist immerhin einer meiner besten Kunden.“

„Schieb’s dir sonst wo hin.“

Am Tisch mit meinem besten Freund angekommen, ließ ich mich seufzend in den harten Stuhl fallen. Ich konnte den Tag meines Abschlusses gar nicht abwarten. Dann müsste ich mich endlich nicht mehr mit so Typen wie PJ und anderen dubiosen Gestalten abgeben. Ich könnte endlich einem normalen Job annehmen und mein Leben in Ruhe weiterführen.

„Hat er wieder einen dummen Spruch fallen lassen?“, fragte Trent.

„Ja“, brummte ich. „Schade, dass ich ihn noch brauche und nicht einfach meine Faust in sein Gesicht rammen kann.“

„Dito.“

„Ich verstehe nicht, wie ausgerechnet PJ, an Blake kommen konnte. Blake sieht wie jemand aus, der PJ das Essensgeld wegnimmt, bevor er ihm die Fresse poliert“, meinte Mac, Trents Cousin. Die beiden sahen sich sehr ähnlich und waren vom Charakter her auch nicht sehr unterschiedlich, die meisten hielten sie für Zwillinge. Sie hatten ihr hellbraunes Haar ihrer Großmutter Tracy zu verdanken, die ihnen zudem auch ihre vollen Lippen und die dichten Augenbrauen vererbt hatte. Die grünen Augen jedoch kamen von ihrem Großvater George, der gerne Geschichten über den Vietnamkrieg erzählte.

„Angeblich ist sein großer Bruder ein guter Freund von Blake und deshalb kennen sich die beiden so gut“, antwortete Trent.

„Anders könnte ich mir auch gar nicht vorstellen, dass PJ überhaupt eine Chance zwischen all diesen Typen hätte“, mischte ich mich ein.

 

Zwei Stunden später saß ich Zuhause vor dem Fernseher, vom Programm bekam ich nicht wirklich viel mit, denn ich zermarterte mir das Gehirn, ob ich meine zweitausend Dollar heute Nachmittag richtig investiert oder sich ein großes Loch in meiner Geldbörse bilden würde.

Vielleicht hatte Trent recht und es war eine der dümmsten Ideen, die ich je hatte. Es bestand aber immer noch die Möglichkeit, dass ich heute Abend mit der zehnfachen Summe nach Hause kommen könnte.

In der Hoffnung, dass das Glück heute auf meiner Seite war, zwang ich mich dazu ein wenig von meinen Nudeln zu essen, um heute Nacht wenigstens nicht zu verhungern.

 

2 - Wo Blut und Schweiß fließt

„Bist du endlich fertig?“, rief mein bester Freund aus meinem Wohnzimmer. Er wurde immer sehr schnell ungeduldig.

Ich betrachtete mein Spiegelbild. Die tiefen Augenringe, die zu großen Lippen und die zu helle Haut. Meine blonden Haare hatte ich zu einem unordentlichen Knoten gebunden und einen von Trents Kapuzenpullis über meine üppige Brust geworfen. Eine von Mac alten dunkelblauen Baggy Jeans bedeckte meine Beine und war so weit, dass man meinen Körper darunter nicht mehr erkennen konnte.

Da fast alle Kämpfe in großen, abgelegenen Industriehallen oder stillgelegten Fabriken stattfanden, kam ich nicht umhin mir eine dicke Winterjacke überzuziehen.

„Ich komme schon, Trent“, schrie ich, als er erneut fragte, ob ich fertig war.

 

Es war stickig, verraucht und heiß. Weit und breit war nur ein Haufen Testosteron gesteuerter Männer zu sehen. Hin und wieder bekam man eine halbnackte Frau, die sich auf dem Schoß besagter Männer rekelte, unter die Augen.

Ich war über den Zustand des Unwohlseins hinweg, immerhin war ich unter ähnlichen Umständen aufgewachsen. Ich wollte nie zu dieser Welt gehören, großer Gott, niemand wollte in so eine Welt gehören. Doch ich tat es. Schon von Anfang an.

Immerzu, wenn ich kurz davor war, einfach wegzulaufen, erinnerte ich mich daran, dass ich dieses Geld dringend benötigte. Gegebenenfalls ich wollte nächsten Monat immer noch ein Dach über dem Kopf haben, dann musste ich das hier ertragen.

Nolens volens gab ich zu, dass ich manchmal meine Augen nicht vom Kampf abbringen konnte, aber es waren ja auch nicht die Kämpfe, gegen die ich eine Abneigung hatte. Es waren die Personen, die sich hier befanden, für die ich nichts übrig hatte.

Die Masse jubelte und johlte. Es flogen Beschimpfungen in verschiedenen Sprachen und Ausführungen durch den großen Saal. Obwohl es hier um viel Geld ging, herrschte ein Durcheinander wie auf einem Konzert der heutigen Teenie Stars. Wetteinsätze wurden umher geschmissen und leicht bekleidete Frauen weiter gereicht wie ein Joint.

"Willkommen zum heutigen Gemetzel von Chicago, ihr blutdurstigen Hunde! Wenn du auf der Suche nach Unterhaltung, schönen Frauen und Spaß bist, dann bist du hier verdammt falsch, Kumpel! Hier gibt es nur viel Geld, Blut und Nutten, die Hand anlegen, wenn du ihnen einen Fünfer zusteckst. Ich bin Blake, aber das wisst ihr ja schon. Ich mache hier die Regeln, kontrolliere die Wetten und rufe den Beginn des Kampfes aus. Das Wetten hat ein Ende, sobald der erste Gong ertönt. Hier kommen die ersten Regeln! Kein Berühren oder Helfen der Kämpfer und die Wetten dürfen nicht mehr geändert werden. Sollte eine dieser Regeln gebrochen werden, dann wird er von meinen zwei Freunden nach draußen befördert! Natürlich nicht ohne einen besonderen Arschtritt!" Ich konnte mir schon sehr gut vorstellen, wie dieser Arschtritt aussah. Jeder, der eine dieser Regeln brechen würde, konnte froh sein, wenn er nur mit ein paar gebrochenen Knochen und einem blauen Auge davon kam.

Ich klammerte mich an Trents muskulösen Arm, um in der Masse nicht verloren zu gehen. Es tummelten sich mindestens hundert betrunkene Typen, die auf Blutvergießen und Wettgewinne aus waren, rund um den Boxring. Der Gong ertönte - die Wetten waren besiegelt und die Regeln traten in Kraft.

"Heute Nacht begrüßen wir Danny Capristo! Den Star der Footballmannschaft von der Washington State University! Hübscher Junge, nicht wahr? Wenn wir hier fertig sind, dann wird er nicht mehr so gut aussehen“, lachte Blake. Jubel brandete auf und die Menge teile sich als Danny eintrat. Es wurde gepfiffen und gejohlt während Danny auf und ab sprang, den Kopf kreisen ließ und ein ernstes Gesicht machte.

Die Menge beruhigte sich wieder ein wenig, als Blake seine Ansage weiterführte. Plötzlich ertönte der Gong – alle Wetten waren besiegelt und die von Blake aufgezählten Regeln traten in Kraft.

"Hier und heute, nur für euch! Der einmalige Aleksandr >der Große< Koslow!" Der Raum schien zu explodieren. Es wurde geflucht, weil Wetten falsch abgeschlossen wurden, gejohlt und ein paar Frauen fingen an zu kreischen. Die Masse teilte sich erneut und das Jubeln schien kein Ende zu finden. Ich beruhigte mich ein wenig, als ich sah, dass dieser Aleksandr um einiges größer war, als Danny. Das hieß zwar noch nichts, weil die Größe alleine ihn nicht zu einem guten Kämpfer machte, aber meine Hoffnung auf Geld stieg. Zusammen mit dem Geräuschpegel.

Ich konnte das Gesicht des mir unbekannten Kämpfers nicht erkennen, da alle mit ihren Händen herumwedelten und mir die Sicht versperrten.

Meine Hand krallte sich fester um Trents starken Oberarm, um nicht verloren oder zertrampelt zu werden.

„Das wird heute ein einzigartiger Kampf werden, Leute! Nicht nur, dass wahrscheinlich mehr als die Hälfte von euch Wichsern auf den falschen gesetzt haben, sondern, weil es heute Aleksandrs letzter Kampf ist. Der Große hörte auf mit dem Kämpfen und hat vor seinen letzten Kampf besonders zu machen. Sorry, Danny, aber du hast heute Abend leider keine Chance.“

Dannys Kampfgeist schien wohl größer als sein Verstand zu sein, denn dieser machte nur eine abfällige Handbewegung und ließ seinen Kopf kreisen, während er auf und ab sprang.

Aleksandr >der Große< behielt einen neutralen Gesichtsausdruck und schien sich nicht im Geringsten darum zu scheren, was Blake von sich gab. Trotz dessen strahlte dieser große Mann mit dem breitesten Kreuz, das ich je gesehen habe, ein gewisses Selbstbewusstsein aus.

Der bereits große Bizeps des schwarzhaarigen Aleksandr schien noch größer zu werden, als er seine Knöchel gegen Dannys schlug.

Im Boxring traten beide jeweils ein paar Schritte auseinander, umkreisten sich, sprangen auf und ab und nahmen danach eine defensive Haltung ein. Capristo wagte als erster einen offensiven Schlag, der ihm nicht gelang, da Aleksandr zu schnell abblockte und ihm kurz darauf einen Ellbogen ins Gesicht rammte. Dieser Schlag schien Dannys Sehkraft für kurze Zeit einzuschränken, denn dieser taumelte nach hinten und hielt sich eine bandagierte Hand vor sein Gesicht. Ein paar Sekunden später nahm er die Hand wieder runter und man konnte das Blut, das seiner Nase entrann, erkennen. Jedes Mal, wenn ein Ellbogen von Aleksander, Dannys Rippen traf, wurde die Meute noch lauter.

Ich selbst merkte kaum etwas von den Menschen, die mich herum schubsten, sondern konzentrierte mich nur auf den Kampf.  Auf Zehenspitzen versuchte ich einen besseren Blick auf den Kampf zu erhaschen, weil hin und wieder eine Hand in mein Sichtfeld schoss.

 

Als ich volle Sicht hatte, stieß Aleksandr sein Knie in Dannys Visage, sodass dieser zu Boden fiel. Aleksandr setzte sich auf ihn drauf und hielt ihn unten, bis Blake einen blutverschmierten Stofffetzen auf Dannys Gesicht schmiss und somit das Ende des Kampfes ankündigte. 

Der Raum schien zu explodieren und ein Arm zog mich von der Masse weg, die sich vor dem Boxring sammelte.

"Komm, Elena, lass uns schnell von hier verschwinden! Hier ist gleich die Hölle los!" Weil ich wusste, dass er recht hatte, folgte ich ihm durch die Halle. Es tummelten sich mindestens hundert betrunkene Typen, die auf Blutvergießen und Wettgewinne aus waren, rund um den Boxring. Am Eingang eingekommen spürte ich wie sehr meine rechte Schulter schmerzte, weil die Leute hier nicht wirklich darauf achteten, ob oder wer ihnen im Weg stand.

Ich war froh, als ich draußen am Parkplatz frische Luft einatmen konnte und nicht von Menschenmassen erdrückt wurde.

Gerade als Trent seinen Wagen aufgesperrt und ich einsteigen wollte, hörte ich eine Stimme meinen Namen rufen. Um einhundertachtzig Grad drehend konnte ich sehen, wie PJ auf uns zugelaufen kam. „Elena, warte!“, rief er erneut.

„Gut, du hast gewartet“, meinte er erleichtert, als er vor mir zum Stehen kam. „Blake wollte dich sehen, weil dein Gewinn höher ausgefallen ist, als gedacht.“

„Ähm, danke, aber nein danke“, benachrichtigte ich ihn. „Ich hole mir mein Geld einfach am Montag von dir. So wie immer.“

„Elena, Süße, das war keine Bitte“, entgegnete er ruhig. „Vertrau‘ mir, du willst so jemanden wie Blake nicht wütend machen, wenn es um so etwas geht. Er wird dann immer zu einem Riesenbaby, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann.“

„PJ, du hast sie gehört, sie hat Nein gesagt. Und jetzt verzieh dich“, rückte mein bester Freund zu meiner Rettung an.

„Halt‘ dich da raus, Trent.“ Nun klang PJ um einiges wütender und gebieterischer. „Komm jetzt, Elena, du sollst einfach nur schnell Hallo sagen und deine Kohle holen. Danach kannst du schon wieder gehen, okay?“

„Hast du nicht gehört, was sie eben gesagt hat? Bist du schwerhörig?“ Trent wurde langsam wütend und weil ich wusste, dass er schnell handgreiflich werden konnte, wenn er an seine Grenze kam, entschied ich mich einzuschreiten. Immerhin waren wir hier auf PJs Terrain.

„Ist schon gut, Trent, ich bin gleich wieder da“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Missmutig nickte er und behielt PJ im Auge.

„Wieso kannst du nicht so kooperativ wie Elena sein, Trent?“

„Hör auf zu reden, PJ. Ich kann dir garantieren, dass du dir eine fängst, wenn du so weiter machst“, meinte ich. „Lass und das schnell hinter uns bringen.“

 

Ich folgte dem Rotschopf durch verschiedene abgelegene Gänge, die mal mehr und mal weniger von Licht durchflutet waren. Als wir in einem Gang waren, der fast so dunkel war, das ich meine Hand vor meinem Gesicht nicht mehr erkennen konnte, war ich kurz davor mich an PJ festzuhalten, zwang mich aber dazu vorsichtig einen Schritt nach dem anderen zu machen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit blieben wir vor einer großen Stahltür stehen an der PJ drei Mal klopfte, bevor er sie öffnete. Zuvor wandte er sich mir zu und sagte, „Bitte, fahr‘ einmal nicht deine Krallen aus, okay? Ist ein gut gemeinter Rat, aber die sind hier nicht so lustig drauf wie ich.“

„Wieso zur Hölle bringst du mich dann her?“, zischte ich.

„Weil Blake dich sehen wollte. Freundschaft hin oder her, aber der Bastard wird richtig aggressiv, wenn er seinen Willen nicht bekommt.“

„Ich könnte dir gerade den Hals umdrehen, PJ“

Seine schräg gelegenen grünen Augen sprangen zwischen Amüsement und Ernsthaftigkeit hin und her, während sich meine zu kleinen Schlitzen verzogen.

Mit einem breiten Grinsen zog er die schwere Tür auf und rief, „Ich bin wieder da und ich habe euch etwas Schönes mitgebrach, Jungs!“ Er streckte eine Hand nach mir aus, die ich aus Wut wegschlug. „Das war doch nur Spaß, Elena, die Jungs sind alle cool drauf.“

„Ich werde dir den Hals umdrehen“, verbesserte ich meine Aussage von vorhin.

Gedämpftes Lachen war von innen zu hören. „Ich mag sie jetzt schon mehr als dich, PJ!“

„Komm schon rein, Elena. Zier‘ dich nicht so, Kleines.“ Diese Worte brachten Erinnerungen in mir hervor, die ich in der tiefsten Ecke meines Gedächtnisses vergraben hatte, in der Hoffnung, dass ich sie eines Tages vergessen würde. Dem war leider nicht so. Flashbacks aus meiner Zeit in Detroit zogen vor meinen Augen vorbei. Schnell schüttelte ich meinen Kopf, um den Überbleibseln meiner Kindheit zu entkommen, und trat vorsichtig ein.

Ich war froh, dass ich noch meine gefütterte Winterjacke trug, denn das Innere der stillgelegten Fabrik war um einige Grad kälter, wenn sich keine hundert Menschen um einen herum tummelten.

Im völligen Kontrast zum Rest des schäbigen Gebäudes, war der Raum, den ich betrat modern und maskulin eingerichtet. Der Boden war mit dunklem Parkett verlegt, die Wände tapeziert und massive Ledermöbel waren im Raum verteilt worden.

Überraschenderweise befand sich keine Frau, sondern nur zwei weiter Männer im Raum. Einer sah PJ sehr ähnlich und ich nahm an, dass es sich um seinen älteren Bruder handelte und somit konnte der andere nur Blake sein.

„Das sind Talon“, PJ zeigte auf den zweiten Rothaarigen, der ihm ähnlich sah, „mein Bruder und Blake, der Typ, der dich unbedingt sehen wollte.“

„Hi.“ Ich winkte den beiden leicht zu und steckte meine Hände danach wieder in meine Jackentaschen. Mir war immer noch nicht klar, was ich hier zu suchen hatte.

„Du möchtest sicher wissen, wieso du hier bist“, fing Blake an. „Ich wollte nur der Person, mit dem meisten Verstand in diesem ganzen Gebäude, persönlich ihr Geld übergeben.“

„Das wäre nicht nötig gewesen“, sagte ich und meinte es auch so. Diese Sache hier kostete mich schon zwanzig Minuten, in denen ich schon Zuhause sein könnte.

„In meinen Augen schon. Es passiert nicht oft, dass so wenige Leute bei mir wetten und, dass nur eine Person den Gewinn absahnt. Sag‘ mir doch mal eins, hast du gewusst, dass er heute kämpft?“ Blake war von seinem Platz auf der Ledercouch aufgestanden und kam mit langsamen Schritten auf mich zu.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen machte ich vorsichtig ein paar Schritte nach hinten, auf die Tür zu. „Wovon redest du?“, fragte ich und war froh, dass meine Stimme fest klang.

„Genau fünf Leute haben heute bei mir gewettet, der Rest hat Wetten untereinander ausgemacht, aber nur eine einzige Person hat auf Aleksandr gewettet und das warst du. Also, Kleine, sag‘ mir, ob du gewusst hast, dass er heute kämpfen würde.“

„Nein, das habe ich nicht“, antwortete ich.

„Wieso hast du auf ihn gesetzt?“

„War nur so ’n‘ Gefühl.“ Inzwischen stand er so nah vor mir, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte und ich musste das Gefühl unterdrücken schwer zu schlucken oder wegzurennen.

„Und ich hab so das Gefühl, dass du mich bescheißen willst, Kleine“, meinte er bedrohlich. Er umfasste meinen Arm so grob, dass ich seine Finger trotz der dicken Winterjacke spürte, wie sie sich in meine Haut bohrten. Ich war mir sicher, dass ich blaue Flecken davon tragen würde.

„Blake, was tust du da? Lass sie los, Alter!“, hörte ich PJ rufen, doch sein Freund ließ sich nicht davon abbringen mir weiterhin meinen Arm zu zerquetschen. Ein Wimmern entrang meiner Kehle. „Du hast gesagt, dass du ihr nur ihr Geld geben willst!“ PJ war mit seinem schmächtigen Körper zu schwach, um den schweren Blake von mir zu entfernen. Sein Bruder saß weiterhin auf dem Sofa und beobachtete die Szene mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mit welcher Art von Leuten gab PJ sich ab?

„Hey, Bl- was zur Hölle tust du da?“

Plötzlich wurde Blake von mir weggerissen und der schmerzhafte Druck auf meinem Arm ließ nach. Tränen bahnten sich den Weg nach oben und ich tat mir schwer sie zu unterdrücken, als ich meinen malträtierten Arm massierte. „Was soll die Scheiße?“, schrie der Mann, der mich aus Blakes Klauen befreit hatte.

Bei genauerem Betrachten konnte ich erkennen, dass es sich bei meinem Retter um keinen anderen, als den heutigen Sieger, Aleksandr, handelte.

„Lass mich los, Aleksandr!“, brüllte Blake, als Aleksandr mit einer Hand seine Arme hinter seinem Rücken festhielt, auf dem er saß, während er mit der anderen seinen Kopf gegen den Boden drückte.

„Nein, du beruhigst dich jetzt und sagst mir, was hier los ist“, verkündete der Schwarzhaarige ruhig.

„Die Blonde da hinten hat heute als einzige von fünf auf dich gewettet und ich hab‘ so das Gefühl, dass sie gewusst hat, dass du heute kämpfst. Hast du der Kleinen etwa erzählt, dass du heute hier bist? Willst du dir den Gewinn teilen mit ihr?“

„Was für Müll redest du da, Blake? Die Frau hatte einfach Glück oder hat einmal aufs Risiko gesetzt. Gib ihr einfach ihr Geld und lass sie verschwinden. Du weiß genau, was ich für Gewalt gegen Frauen übrig habe.“

„PJ, gib ihr ihre Kohle und mach‘ das sie von hier verschwindet!“, wies Blake den nun ganz blassen Rothaarigen an.

Dieser schnappte sich das auf dem Tisch liegende Kuvert und führte mich aus dem Raum, nicht ohne noch einen Blick auf graue Augen zu erhaschen. Ich flüsterte ein leises Danke, das er mit einem Nicken erwiderte.

3 - die Neue und das Alte

Seit einer Woche hatte niemand etwas von PJ gehört, noch hatte ihn jemand gesehen. In diesen vergangenen sieben Tagen habe ich genau achtundzwanzig Stunden geschlafen.

Meinem besten Freund hatte ich nicht ein Sterbenswörtchen über die Sache gesagt und in das gelbe Kuvert, das mir PJ in dieser Nacht überreichte, hatte ich auch noch nicht hineingesehen. Schlicht und einfach, weil ich mich nicht traute.

Trent wusste, dass etwas im Busch war, aber er fragte nicht nach, wofür ich ihm mehr als dankbar war. Das einzige, das mich störte, waren die grauen Augen, die mich in meinen Träumen verfolgten. Egal wie sehr ich versuchte sie zu ignorieren, es klappte einfach nicht. Es lag wahrscheinlich daran, dass ich das Gefühl hatte ich würde in Aleksandrs Schuld stehen, weil er mich in dieser Nacht vor Blake gerettet hatte.

„Hey, Elena“, hörte ich Trent plötzlich sagen und ich schreckte auf. „Das ist Katinka, sie sitzt ab heute mit uns am Tisch.“ Er zeigte auf ein junges Mädchen, das wahrscheinlich ein Freshman war. Ihre braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre dunkelgrauen Augen wanderten über mein Gesicht, bevor sich ein kleines Lächeln auf ihren Lippen bildete. Zu dumm, dass meine begrenzte Anzahl an Freunden schon erreicht war - Eins.

„Hi.“ Mit einem knappen Nicken wandte ich mich meinem Buch für Computertechnik zu.

„Das ist Elena“, stellte Trent mich vor. „Sie redet nicht gerne mit fremden Menschen, also nimm es nicht persönlich. Wir haben es noch nicht geschafft an ihren sozialen Kompetenzen zu feilen, aber das kriegen wir auch noch hin.“

Ich verdrehte meine Augen und behielt meine Augen bei meinem Buch. „Meine sozialen Kompetenzen sind vollkommen ausgereift, immerhin rede ich mit dir, oder etwa nicht?“

„Lustig wie eh und je. Sie tut so als ob sie tough und unerreichbar wäre, aber in Wirklichkeit ist sie sehr nett und zahm, wenn man sie mal richtig kennt.“ Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Trent dem Mädchen ein Hundert-Watt-Lächeln schenkte, das schon das eine oder andere Höschen zum Fallen gebracht hatte. Das Kratzende Geräusch, als der Stuhl neben mir nach hinten geschoben wurde, war zu hören, als sich Trent wie üblich neben mich nieder ließ. „Welche Kurse belegst du?“

Ein zweiter Stuhl wurde nach hinten geschoben, der gegenüber von mir. Ich nahm an, dass die Neue Platz genommen hatte. „Literatur und Englisch. Ihr?“

„Also meine Wenigkeit besucht den Mathematik- und Biologiekurs. Meine beste Freundin im Gegensatz hat sich für Computertechnik und so ein Zeug entschieden, weil sie mit Maschinen besser klar kommt, als mit Menschen.“

„Das liegt nur daran, dass Maschinen nicht widersprechen und mir nicht ihre Lebensgeschichte vorgaukeln, die mich nicht wirklich interessiert“, fühlte ich mich verpflichtet zu sagen. „Außerdem erwarten Maschinen nichts von dir im Gegenzug. Oder hat Excel schon einmal nach einem Blowjob gefragt nachdem es etwas für dich ausgerechnet oder gefiltert hat?“

„Da kommt die Komikerin in ihr heraus“, lachte Trent und schlug mir leicht auf die Schulter. „Wie auch immer! Hast du dir schon etwas zu essen geholt?“#

„Nein, noch nicht.“

„Dann komm mit. Ich lade dich ein.“ Bis heute verstand ich nicht, wie mein bester Freund oder der Rest der Studenten die eklige, undefinierbare Masse, die als Essen verkauft wurde, herunter brachten.

 

"Du willst das wirklich essen?", fragte ich und sah auf Katinkas Tablett. Sie hatte einen Wrap, der mit einer nicht identifizierbaren Masse gefüllt war, auf ihrem Teller und ein Glas Orangensaft daneben stehen.

"Klar. Wieso nicht?", fragte sie und sah unsicher auf ihren Teller hinab.

"Vertrau mir, du willst das nicht essen", meinte ich kopfschüttelnd.

"Aber die zwei essen es doch auch", meinte sie und sah zu Mac und Trent, die ihr Essen runter schlangen.

"Die Zwei essen nicht. Sie stopfen nur und schlucken es runter. Du wirst sehen, in höchstens drei Stunden werden sie Bauchschmerzen haben und wie kleine Kinder nörgeln", erklärte ich ruhig und sah dabei zu, wie sie das zweite zu einer Rolle gewickelte Fladenbrot runter schlangen. Ich verstand noch nie wieso Männer so viel essen konnten und das in so einer Geschwindigkeit. Es war mir ein Mysterium, so wie es die Handtasche der Frau es für den Mann ist. Ihre Mägen sind wie schwarze Löcher - sie verschlingen alles.

"Ah, okay", sagte sie und nickte, "ich werde mir morgen wohl was mitnehmen", sie schob das Tablett von sich. 

"Solltest du tun, bis dahin kannst du meines haben." Ich hielt ihr mein Sandwich entgegen. Hunger hatte ich sowieso keinen mehr nachdem ich meinem besten Freund und dessen Kollegen beim Schlingen beobachtete hatte.

"Nein, das geht doch nicht, du musst doch..."

Ich unterbrach sie, "ist schon gut. Mir ist der Appetit vergangen", ich sah zu meinem besten Freund und seinem Kumpel.

"Bist du dir sicher?", fragte sie unsicher.

Ich nickte und sah ihr unentwegt in die Augen, um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meinte. Nach ein paar Sekunden, in denen wir uns anschwiegen, nahm sie das Sandwich an.

"Danke.“ Sie schenkte mir ein kleines Lächeln.

"Kein Problem", Schulter zuckend wandte meine Aufmerksamkeit wieder den Stäbchenbakterien zu.

 

 

 

Ich sah seufzend in den Kühlschrank. Es war wieder an der Zeit einkaufen zu gehen und ich war gerade knapp bei Kasse – abgesehen von dem Umschlag, der noch immer in der Schublade meines Nachkästchens lag. Vierzig Dollar hatte ich noch, die für diese Woche reichen sollten, bis dorthin sollte ich meinen Mut zusammen kriegen und in den Umschlag suchen, um zu sehen wie lange ich von diesem leben konnte. Wenigstens meine Miete konnte ich am Ende des Monats zahlen und ich war mir fast sicher, dass dafür genug Geld im Umschlag war.

Die Frage, die mich mehr beschäftigte war, dass ich nicht wusste, was ich danach tun sollte, um an Geld zu kommen. Bei Kämpfen wollte ich in nächster Zeit nicht mehr mitwetten, denn Blake hatte mich, obwohl ich es nicht zugeben wollte, abgeschreckt. Mir war klar, dass Blake seine Kontakte hatte und sobald mich dort jemand entdeckte, der mich dort nicht haben wollte, dann würde ich mit einem „Arschtritt“ nach draußen befördert werden. Das mich dieser Arschtritt vielleicht in die Intensivstation des Krankenhauses, das mir danach eine fette Rechnung zusendet, befördern würde, war mir bewusst.

Ich rieb mir müde über die Augen und fuhr mir anschließend durch mein Haar, das ich aus meinem Zopf löste, da ich spürte, wie sich Kopfschmerzen anbahnten. Die dicken Wellen reichten mir mittlerweile bis zur Taille und benötigten dringend einen Haarschnitt, aber ich wollte mich nicht von dem trennen, das mich von meinem vergangenen Ich unterschied.

Mit einer mentalen Einkaufsliste in meinem Kopf schnappte ich mir meine braune Umhängetasche und machte mich auf den Weg in den Supermarkt, der sich in der Nähe befand.

Dunkle, graue Wolken zierten den Himmel und deuteten Regen an, der genau zu meiner tristen Stimmung passte. Wenn ich Glück hatte, dann würde auch der Donner, wie meine Wut über mich selbst, durch die Stadt grollen. Ich zog meine Jeansjacke enger um meinen Körper und ärgerte mich innerlich über mich selbst, dass ich keine wärmere Jacke angezogen hatte. Der Wind nahm, wie auch meine Schritte, an Geschwindigkeit zu.

In weniger als zwei Minuten befand ich mich im Supermarkt und schnappte mir einen Korb, in den ich meine Lebensmittel packen konnte. Vorbei an der Gemüse- und Obstabteilung, in der ich mir ein paar Äpfel, Bananen, Karotten, Tomaten, Gurken und Zwiebeln besorgt hatte, lief ich an ein paar Magazinen und Zeitungen vorbei. Was mich schockierte war nicht die Schlagzeile, in der es hieß, dass ein Politiker wegen Steuerhinterziehung hinter Gitter kam, oder das Bild darunter von einer halbnackten Frau. Es war das Datum. Ein wichtiger, Leben verändernder Tag, den ich in all den Jahren nicht vergessen habe. Da ich so sehr auf graue Augen, Blakes Worte und PJs Verschwinden fokussiert war, habe ich es einfach vergessen.

Was schlimmer, als die Tatsache war den Todestag meiner Mutter zu vergessen, war, als ich einfach die Zeitung zurück legte und weiter einkaufte.

Faschiertes Fleisch, Nudeln, eine große Wasserflasche, ein paar Kekse und eine billige Flasche hochprozentigen Alkohols landeten noch in meinem Korb, bevor ich dreiunddreißig Dollar zahlte und mich auf den Nachhauseweg machte.

 

Lustlos stocherte ich in meiner Lasagne herum, die himmlisch roch und dennoch meinen Gaumen nicht erreichen wollte. Das Essen ging wieder zurück in die Auflaufform, in der sich der Rest des ausgewälzten Teiges befand, welche ich in den Kühlschrank schob. Mit einem kleinen Glas in der einen Hand und die Flasche Hochprozentigen in der anderen setzte ich mich wieder auf meinen alten Küchenstuhl.

Der Alkohol brannte beruhigend meine Kehle hinunter. Noch nie zuvor hatte ich mich über nachlässige Verkäufer gefreut, die nie einen Ausweis verlangten, wie in diesem Moment. Wiedergutmachen würde ich meine „Tat“ nicht, aber wenigstens würde ich mich für einen kurzen Moment wieder besser fühlen.

 

 

Am nächsten Morgen plagten mich dröhnende Kopfschmerzen, die ich verdient hatte. Die halbe Flasche hatte ich gestern geleert und mir erging es dementsprechend schlecht.

Wie nicht anders zu erwarten fühlte ich mich nach gestern nicht nur physisch sondern auch psychisch schlecht. Für einen kurzen Augenblick konnte ich alles vergessen, allerdings wurde ich jetzt mit der vollen Wucht der Erinnerungen getroffen, die mir die Galle in den Hals trieb. Schnell aus meinen Decken schälend rannte ich in mein Badezimmer und übergab mich in der Toilette.

Ich wollte mein Spiegelbild nicht sehen. Das Elend, das ich dort vorfinden würde, wäre ein weiterer Tiefpunkt, den ich zurzeit nicht ertragen konnte. Mit gesenktem Kopf putzte ich mir schnell die Zähne und betete, dass ich auf den Weg in mein Schlafzimmer nicht zusammenbrach, so schwach fühlte ich mich.

Nicht wirklich im Stande auch nur einen meiner Kurse heute durchzustehen legte ich mich mit einer Wasserflasche auf meinem Nachtschrank in mein Bett und hoffte, dass der heutige Tag schnell vorbei gehen würde. 

4 - Glück im Unglück

„Wo warst du gestern?“, wollte Trent wissen.

„Zuhause“, antwortete ich.

„Wieso?“

„Ich habe mich nicht wohlgefühlt.“

„Was hast du gehabt? Warst du krank? Fühlst du dich jetzt besser?“

„Ja, Trent!“ Seine ganzen Fragen irritierten mich. „Du bist nicht meine Mutter, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“ Noch nie zuvor war ich so laut zu ihm gewesen. Dabei hatte ich gar nicht das Recht ihn so anzuschreien, immerhin hatte er sich Sorgen gemacht. Er wollte nur wissen, wie es mir ging, weil er mein Freund war und Fragen stellte, die in so einer Situation angebracht waren.

„Du hast recht“, meinte er leise. „Tut mir leid, ich werde dich in Zukunft nicht mehr fragen, wieso du was tust. Schönen Tag noch, Elena.“

„Trent…“ Mit einem leisen Fluch sah ich dabei zu, wie mein bester Freund von der Masse von Studenten verschluckt wurde.

„Du solltest ihm nachlaufen und dich entschuldigen“, vernahm ich eine weibliche Stimme, die mir auf irgendeine Weise bekannt vorkam.

Links von mir stand Katinka, die in die Richtung sah, in die Trent verschwunden war. „Er hat es nur gut gemeint.“

„Was weißt du denn schon? Du kennst weder Trent noch nicht!“

„Es kann sein, dass ich euch beide nicht richtig kenne, aber so wie ich Trent kennen gelernt habe, würde er wollen, dass du zeigst, dass auch dir eure Freundschaft wichtig ist.“

Sie hatte Recht. „Es tut mir leid, dass ich- es tut mir leid.“

„Das solltest du deinem besten Freund sagen.“

„Ja, danke.“ Nicht gerade sicher über was soeben passiert war, versuchte ich meinem Freund zu folgen, um mich zu entschuldigen.

 

 

 

Die bittere braune Brühe, die sie hier als Kaffee verkauften, musste vorerst als Friedensangebot reichen. Als ich ihm nach meinem kurzen Gespräch mit Katinka gefolgt war, konnte ich ihn nicht mehr finden, weil er sich wahrscheinlich schon in den nächsten Hörsaal verzogen hatte.

Aber ich war mir sicher, dass ich ihn wieder an unserem Tisch vorfinden würde. Und wenn nicht, dann würde ich ihn anrufen und falls er nicht ran gehen würde, dann war seine Mailbox und Textnachrichten, mit denen ich ihn bombardieren würde, dran.

Wie ich es mir gedacht hatte, saß er bereits an unserem Tisch und spielte mit seinem Telefon herum.

Mit dem gesüßtem Heißgetränk in der Hand machte ich mich auf den Weg zu unserem Tisch. „Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe“, gab ich leise von mir, als ich vor ihm zum Stehen kam. „Du hast es nur gut gemeint und du weiß doch, dass ich ein emotionaler Krüppel bin, der nichts auf die Reihe bekommt.“

„Das weiß ich doch“, grinste er. „Emotional instabil – hin oder her, du bleibst meine beste Freundin, Elena. Aber wenn du mich nochmal so grundlos anschreist, dann schreie ich zurück.“

„Geht klar“, lachte ich und war froh, dass mir mein bester Freund vergeben hatte.

„Wo ist Katinka?“

„Wow, werdet ihr jetzt Freunde?“ Ich sah ihn fragend an. „Na, du nennst sie nicht einfach die Neue. Die einzigen, die du beim Namen nennst sind Mac, weil er meistens mit uns sitzt, PJ, weil du dort dein Geld ablieferst und bekommst und ich. Sonst heißt es immer, das Mädchen dort hinten, der Footballspieler, der Biologe, ecetra, ecetra.“

„Sie hat mir heute geholfen, mehr ist nicht dabei.“

„Wenn du meinst“, grinste er.

 

 

 

Es war schon eine Woche vergangen seit dem ich mit Katinka „geredet“ hatte. Wir aßen jeden Tag gemeinsam zu Mittag. Ich fühlte mich in ihrer Gegenwart schon viel wohler, auch wenn ich es äußerlich nicht zur Schau stellte. Vielleicht hatte Trent Recht und Katinka und ich würden Freunde werden, auch wenn das nicht so schnell passieren würde.

Die begrenzte Anzahl meiner Freunde müsste wohl auf zwei erhöht werden.

Zu meinem Glück hatten auch die Träume über die grauen Augen aufgehört. Die schlaflosen Nächte wurden weniger, wie auch mein schlechtes Gewissen darüber, dass ich den Todestag meiner Mutter vergessen und mich stattdessen mit Alkohol betäubt hatte.

„Wenn du zu McFallon gehst, dann vergiss nicht ihm für seine Buchveröffentlichung zu gratulieren“, riet ich Katinka.

„Er hat ein Buch veröffentlicht?“, fragte sie verwirrt.

„Ja, ich weiß selber nicht wie es heißt, aber tu es einfach. Es verbessert deine Chancen in seinen Kurs zu kommen.“

„Danke, für den Tipp.“

„Kein Problem.“

 

 

Ich wollte gerade das Gebäude verlassen, als ich ein Wimmern vernahm. Es war sehr leise, doch laut genug um meine Aufmerksamkeit zu erlangen und nach dem Ursprung zu suchen.

"Hör mir gut zu, Süße", hörte ich eine tiefe Stimme zischen. Ich runzelte die Stirn und schlich näher in Richtung der Stimme. "Es ist erst zu Ende, wenn ich es sage, verstanden?" Es war wieder ein Wimmern zu vernehmen. Es war mehr als deutlich, dass die Frau nicht bei diesem Mann sein wollte. "Ob du das verstanden hast, habe ich gefragt!"

"J-ja." Mein Blut gefror zu Eis. Ich kannte diese Stimme. Das war unmissverständlich Katinka. Ich schielte um die Ecke und sah wie ein großer, muskulöser Typ Katinka gegen die Wand drückte und ihren Kiefer festhielt. Ich musste einschreiten.

"Hat dir deine Mutter keine Manieren beigebracht oder hast du einfach so viel Feingefühl wie ein Elefant im Porzellanladen?", fragte ich so laut, dass die Aufmerksamkeit des Typen nun auf mir lag. Katinka drehte ihr Gesicht so gut es ging in meine Richtung und sah mich mit rot unterlaufenen Augen an.

"Verschwinde, Blondi! Das hier geht dich nichts an", sagte er.

"Ich glaube schon, dass es mich was angeht, wenn du eine unschuldige Frau bedrängst", sagte ich und ging langsam näher auf die Beiden zu.

"Ah, bist du jetzt die Retterin in Not?", fragte er und schnaubte abfällig.

"Was dagegen?", fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. Ich schaufelte mir gerade mein eigenes Grab.

"Nein", sagte er und grinste breit, "du könntest doch mitmachen. Ich wollte schon immer mal einen Dreier haben und mit zwei so wunderschönen Frauen..." In meinem Inneren zog sich alles zusammen, und mein Mittagessen drohte wieder hoch zu kommen.

Ich grinste ihn lüstern an und ging langsam auf ihn zu. Er ließ Katinka los und diese starrte mich mit großen Augen an. Ihr Freund jedoch, dessen Namen ich nicht kannte, sah mit geweiteten Pupillen zu mir. Ekelhaft. Langsam ging ich immer weiter auf den großen Mann zu, der mich fast um einen ganzen Kopf überragte. Meine Hand legte ich vorsichtig auf seine harte Brust und er platzierte seine riesigen Pranken auf meine Hüften. Sein Gesicht kam immer näher, sein Grinsen wurde immer breiter, Katinkas Augen immer größer und mein Atem immer schneller - bis ich mein Knie anhob und es ihm so fest in seine Lendengegend drückte, bis er keuchend am Boden lag.

Unverzüglich schnappte ich Katinkas Hand und lief mit ihr so schnell wie nur möglich. Keuchend kamen wir am Parkplatz an, wo Katinka mich zu ihrem Wagen führte. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie nicht einmal die Schlüssel halten konnte, also nahm ich ihr diese ab und bugsierte sie in den Beifahrersitz, damit ich fahren konnte. 

"Wo wohnst du, Katinka?“

"Bei meinem Bruder", beantwortete sie leise meine Frage.

"Gut und wo ist das?"

"Manson Street 5." Ich nickte und manövrierte den Wagen aus der Parklücke.

"Du musst dich beruhigen, okay?" Wir standen nun schon vor dem Appartementkomplex, doch Katinka hatte immer noch nicht aufgehört zu zittern. "Komm schon, lass uns erst einmal rein gehen", versuchte ich es dieses Mal sanft.

Sie nickte nur und öffnete die Wagentür. Oben angekommen öffnete ich die Tür mit dem Schlüssel und eine, immer noch vom Vorfall schockierte, Katinka ließ sich auf das Sofa im geräumigen Wohnzimmer fallen. Ich wusste nicht, ob sie mit mir darüber reden wollte, was gerade passiert war, aber ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich hatte meine eigene Vergangenheit und meine eigenen Probleme, und doch wollte ich sie nicht alleine lassen, weil ich wusste, wie es war alleine gelassen zu werden.

 Ich würde wenigstens warten, bis ihr Bruder nach Hause kam, dann könnte ich gehen und wir beide könnten das, was heute passiert war, einfach vergessen.

"Er war mein Ex-Freund", fing sie unerwartet an zu erzählen. 

Ich sah sie nicht an und sie mich auch nicht, wir sahen einfach beide aus dem Fenster und sahen zu wie sich graue Wolken am Himmel bildeten. "Wir waren vor fast einem Jahr noch zusammen. Ich war siebzehn und er war schon zwanzig. Für mich war er unerreichbar, er war der Frauenschwarm schlechthin und der schlimmste Feind meines Bruders. Am Anfang war es etwas Neues, etwas Ungewohntes, etwas...Verbotenes. Er war älter, sah gut aus und war verwickelt in illegale Sachen. Hätte ich damals lieber auf meinen Kopf als auf mein Herz gehört", sagte sie und schüttelte ihren Kopf, als Tränen den Weg zu ihrem Kinn fanden.

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht.

Sie wusste, dass es das Einzige war, das ich ihr geben konnte, in diesem Moment nur geben wollte. Ich verstand was sie meinte und sie wusste es. "Am Anfang unserer Beziehung hat er mich wie eine Prinzessin behandelt. Wir haben uns immer heimlich getroffen, weil keiner wissen durfte, dass wir zusammen waren. Er hat mir immer kleine Geschenke gemacht, mir gesagt wie sehr er mich lieben würde und immer versucht das krumme Zeug, das er gedreht hat, von mir fernzuhalten. Aber nach einigen Monaten wurde er so...gebieterisch. Er hat mich nicht mehr wie seine Freundin behandelt, sondern wie ein Ding, etwas das er besessen hat, etwas das ihm gehörte. Aber ich wollte das nicht. Ich war keine Sache, kein Ding. Ich war seine Freundin. Ein menschliches Wesen mit Gefühlen", sagte sie mit Nachdruck.  "Er hat mir sogar verboten auszugehen, mit meinen Freundinnen. Er hat mir alles verboten", rückblickend klang sie entsetzt und wütend.  

"Jedes Mal, wenn die Freunde meines Bruders bei uns zu Hause gewesen waren, schrie er mich an. Er ließ seine Wut an irgendwelchen Gegenständen aus, die er zertrümmerte, am Anfang jedenfalls. Als der beste Freund meines Bruders bei uns übernachtete ist er total ausgerastet. Er hat mich geschlagen, mir unterstellt, dass ich mit ihm geschlafen habe, dass ich ihn nicht wirklich lieben würde, aber er hat sich entschuldigt. Er hat beteuert, geschworen und versprochen, dass es das erste und das letzte Mal gewesen ist, dass er so Hand an mich gelegt hat. Und ich habe ihm geglaubt. Egal was er zu der Zeit getan hätte, ich wäre immer zu ihm gestanden, wäre immer an seiner Seite geblieben." Sie schluchzte einmal laut auf und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Ich merkte, dass es ihr unangenehm war vor mir zu weinen und ich verstand auch wieso. Sie dachte, dass sie Schwäche zeigen würde, aber sie war nicht schwach.

Darüber sprechen zu können und es nicht einfach in die hintersten Ecken des Gehirnes zu schieben und den Frust einfach in sich hinein zu fressen ist keine Schwäche.

Ich war schwach. Sie nicht. 

"Zu meinem achtzehnten Geburtstag sind wir weggefahren. Aleks dachte, dass ich bei meiner besten Freundin übernachten würde. Jacob, so heißt er, und ich fuhren in ein Hotel in eine andere Stadt. Ich war bereit mit ihm zu schlafen, ihm meine Jungfräulichkeit zu schenken. Es war die schönste Nacht meines Lebens gewesen, er war so zart und liebevoll mit mir umgegangen, als ob ich aus Glas wäre. Der morgen darauf war die Hölle."

Ich wusste nicht, was als nächstes kommen würde. Würde sie mir erzählen, dass er sie nur benutzt hatte um ihrem Bruder eines auszuwischen? Würde sie mir erzählen, dass es nur eine Wette war? Dass er ihr das Herz gebrochen hat?

"Er wollte von mir, dass ich mich entscheide. Entweder er, oder mein Bruder. Er hat von mir verlangt meinem Bruder den Rücken zuzukehren und mich für ihn zu entscheiden. Nein, er hat es nicht verlangt, er hat es befohlen. Da habe ich einen Schlussstrich gezogen. Egal wie sehr ich ihn geliebt habe, mein Bruder war meine Familie. Er stand für mich an erster Stelle und ich wusste immer, dass mein Bruder eine solche Entscheidung nie von mir verlangt hätte."

5 - Beichten und Brüder

Eine Stunde später lag Katinka zusammen gerollt auf dem Sofa und schlief. 

Nachdem sie eingeschlafen ist hatte ich in der Wohnung nach einer Decke gesucht, um sie über das zierliche Mädchen auszubreiten. Ich hatte beschlossen hier zu bleiben bis ihr Bruder nach Hause kam. Ich wollte mich gerade zurücklehnen als ich hörte wie jemand die Tür aufschloss. Aufrecht hinsetzend  sah ich zur Tür. Hinein kam eine große, breitschultrige Gestalt, die mir bekannt vorkam. Sehr bekannt sogar, als ich seine grauen Augen sah, die mich tagelang in meinem Schlaf verfolgten.

Aleksandr, dieser Typ vom Kampf. Er hatte mich gerettet und ich konnte ihm danken, womit ich mein Gewissen ein wenig bereinigen konnte.

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen und in meinem Unterleib fing es so komisch zu kribbeln an. Seine Nase war ein wenig schief und sein Dreitagebart entwickelte sich zu einem Vollbart. Die graue Mütze verdeckte einen Großteil seins dunklen Haares.

"Stalkst du mich etwa?", fragte er belustigt.

„Wie bitte?“, fragte ich verwirrt.

"Also ist es Zufall, dass du dich alleine in meiner Wohnung befindest? Wie bist du hier überhaupt rein gekommen?", fragte er und verschränkte die Arme vor der beeindruckenden Brust.

"Es ist kein Zufall. Ich hab deine Schwester nach Hause gebracht. Ihr geht's nicht so gut und ich wollte sie nicht alleine lassen", erklärte ich.

Die Verspieltheit verschwand aus seinen Augen und seine Miene wurde ernst. "Wo ist sie?"

"Sie liegt hier", sagte ich und zeigte neben mich. "Da du ja jetzt hier bist, kann ich nach Hause gehen."

 "Warte, wie bist du her gekommen?", fragte er nachdem er seiner Schwester über die Haare gestrichen hatte. Ich fühlte ein Stich in meinem Herzen, weil ich wusste, dass ich niemanden hatte, der mich so behandelte.

"Ich bin mit Katinkas Auto her gefahren", sagte ich als ich an der Tür stand.

"Ich fahre dich nach Hause", sagte er nachdem er aus dem Fenster geblickt hatte. Es regnete mittlerweile in Strömen, aber ich hatte keine Angst vor dem Regen. Ich liebte ihn. Ich fühlte mich frei und ich wusste, dass niemand meine Tränen sehen konnte.

"Nicht nötig", sagte ich knapp.

"Es regnet in Strömen, willst du etwa zu Fuß nach Hause gehen?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Wieso nicht? Ich bin nicht aus Zucker, ich werde auf dem Weg nach Hause schon nicht schmelzen. Außerdem gibt es hier sicher einen Bus, der mich nach Hause bringen kann."

Er schenkte mir ein leichtes Lächeln. "Dann werde ich mit dir gehen und dafür sorgen, dass du nicht schmilzt."

"Ich glaube, das wäre keine so gute Idee", meinte ich mit einem Blick in Katinkas Richtung. "Es wäre besser, wenn sie nicht alleine wäre, wenn sie wieder auf wacht."

"Dann lass mich dich nach Hause fahren", bot er an und kam langsam auf mich zu.

"Wie schon gesagt, das ist nicht nötig."

"Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du lässt dich von mir nach Haus fahren und ich bin wieder zu Hause, bevor meine kleine Schwester aufsteht oder ich geh mit dir zu Fuß mit und bin nicht rechtzeitig da", verkündete er und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust.

Ich seufzte und sah auf Katinkas schlafende Gestalt hinunter, die immer noch zusammengerollt auf dem Sofa lag und gleichmäßig atmete. Ich wollte nicht, dass sie alleine war, wenn sie wieder aufwachte. Sie würde Angst haben und würde sich alleine fühlen, sie würde ihren Bruder brauchen, der ihr Geborgenheit und Sicherheit versprach. "Na gut."

Er grinste mich breit an und hielt mir die Wohnungstür auf.

"Was ist passiert?", fragte er als wir im Wagen saßen. Ich sah ihn fragend an. "Mit meiner Schwester. Was ist passiert, dass meine Schwester sich schlecht fühlt."

"Das soll sie dir selbst sagen. Es ist nicht meine Aufgabe aus dem Nähkästchen zu plaudern", sagte ich und zuckte mit den Schultern. Er nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis.

"Woher kennt ihr euch?"

"Wir gehen auf das gleiche College.“

„Wieso hat Blake dich letzte Woche angegriffen?“ Das war ja mal ein plötzlicher Themenwechsel.

„Weil es ihm nicht gefallen hat, dass ich gewonnen habe. Danke übrigens.“

„Kein Problem, würde ich immer wieder machen. Wie-„

 Hör mal, wir müssen keinen Smalltalk führen. Es ist ja nicht so, als ob wir uns bald wieder sehen werden. Das heute war eine Ausnahme und wird nicht wieder vorkommen", unterbrach ich ihn barsch.

"Was spricht dagegen, wenn ich dich kennen lernen will?"

"Du musst und wirst mich nicht kennen lernen", sagte ich harsch.

"Wieso nicht?"

"Weil es so besser ist", sagte ich und der Rest der Fahrt verlief schweigend. Ich brauchte Nichts und Niemanden, der mich an mein altes Leben erinnerte und dieser Typ war genau das. Eine Erinnerung an mein altes Leben.

"Danke", sagte ich knapp nachdem wir angekommen waren und stieg aus. „Ich nehme an, dass wir hiermit quitt sind.“

Er wartete draußen bis ich im Gebäude verschwunden war und es kostete mich übermenschliche Kraft mich nicht einfach umzudrehen und noch einen letzten Blick auf sein dunkles, attraktives Gesicht zu werfen.

 

 

 

 

Mit zittrigen Fingern griff ich in der Schublade nach dem gelben Kuvert. Ich wollte wissen, wie viel Geld sich in dem Umschlag befand.

Tief durchatmend riss ich den oberen Teil weg und drehte den Umschlag um, sodass der Inhalt auf mein Bett fiel.

Unglaublich. Auf meinem Bett befanden sich fünf dicke Rollen Geld, die mit einem Gummiband zusammengehalten wurden.

Zehn Minuten hatte ich für das Zählen benötigt und ich war mir fast sicher, dass ich mich verzählt hatte. Obwohl ich drei Mal gezählt hatte, war ich mir sicher, dass ich falsch lag.

Bei einem Stück Lasagne und einem Glas Wasser dachte ich nach und versuchte rauszufinden, ob ich mir das alles eingebildet hatte.

Nie im Leben befanden sich in dem Umschlag vierzigtausend Dollar. Niemals.

Lachend ließ ich die Gabel auf meinen Teller fallen und betrachtete ungläubig die grünen Scheine. Meine Kosten für das College konnte ich abbezahlen, meine Miete und Essen. Ich musste mir für einen gewissen Zeitraum keine Sorgen darum machen, wie ich an Geld kommen konnte.

Mein Lachen wurde schnell zum Schluchzen, als ich realisierte, dass ich glücklich war. Heute Nach würde ich gut schlafen.

 

 

6 - Übergriffe und Anzeigen

Ich konzentrierte mich gerade auf den Text, der in meinem Collegeblock stand, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Ich sah nicht hoch, sondern konzentrierte mich voll und ganz auf den Text, der genaue Details über das Betriebssystem eines PCs beinhaltete.

"Hey", grüßte Katinka mich leise.

"Hey", grüßte ich sie knapp und blickte kurz zu ihr hoch um zu merken, dass sie Augenringe hatte. "Du hast wohl nicht so gut geschlafen", stellte ich fest.

Sie nickte. "Ja, ich bin mitten in der Nacht aufgestanden und konnte nicht mehr einschlafen", erklärte sie und ich nahm es mit einem Kopfnicken zur Kenntnis. "Ich weiß, dass es viel ist und ich dich das nicht fragen sollte, weil wir uns noch nicht so lange kennen und das du mir gestern geholfen hast war schon mehr als genug, aber...ich wollte dich fragen ob...naja, ob du vielleicht..."

Ich sah sie fragend an. „Frag‘ einfach, Katinka.“

„Kannst du bitte mitkommen heute, also, zu mir Nachhause. Mein Bruder muss heute länger arbeiten und ich möchte nicht alleine sein.“

"Ich werde mitkommen." Sie strahlte mich an, obwohl die Überraschung über mein Wissen in ihren Augen glänzte. Ich stand in der Schuld ihres Bruders, die ich indirekt über sie ausglich.

"Danke. Ich werde dann auf dich warten."

"Ist gut, aber warte hier in der Kantine oder in der Bibliothek, dann bist du nicht alleine", sagte ich bevor ich aufstand und mich auf den Weg zu meiner nächsten Vorlesung machte. Ich hörte sie noch ein Danke rufen.

Ich kam mir wie ein Beschützer vor, obwohl ich doch nur selbst einen wollte. 

 

 

 

Unbekannt:                                                                                                          

Ich warte in der Bibliothek auf dich.

 

Ich war mir fast sicher, dass es Katinka war, die sich meine Nummer von Trent besorgt hatte. Nachdem ich ihre Nummer eingespeichert hatte, schrieb ich ihr, dass ich in zehn Minuten da sein würde.

Katinka:

Ich habe deine Nummer von Trent. – Katinka

 

Ich verdrehte meine Augen. Der Junge sollte aufhören meine Nummer ohne meine Erlaubnis weiter zu geben, auch wenn er es nur gut meinte.

 

 

 

Katinka und ich saßen seit zehn Minuten in der Wohnung und starrten aus dem Fenster. Es regnete und der Himmel war bedeckte mit grauen Wolken. Der Herbst dieses Jahres war sehr kalt und es war keine Besserung in Sicht. "Darf ich dich was fragen?"

Ich sah zu Katinka, die mich gespannt ansah. "Was denn?"

"Wieso lässt du niemanden an dich ran?"

Ich sah ihr in die Augen uns wusste nicht wie ich diese Frage beantworten könnte ohne sie zu verwirren oder zu viel von mir preis zu geben. "Das tue ich doch.“

„Ich meine außer Trent.“

„Dich lasse ich doch auch näher an mich ran, oder?“

„Ah, wirklich?“

„Ja, ich bin ja hier, oder etwa nicht?“

„Weil ich dich gefragt habe und du nett bist, obwohl du es nicht einmal merkst, aber du lässt mich nicht an dich ran. Ich kenne ja nicht einmal deinen Nachnamen.“

„Mortinson.“

Sie sah mich überrascht an. „Ähm, ich heiße Koslow.“

„Ich weiß“, rutschte mir heraus, bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich gesagt hatte.

„Woher?“

Aleksandr, der die Wohnung betrat, ersparte mir eine Antwort. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er mich entdeckte. "Ist wohl nichts aus deinem Plan geworden mich nie wieder zu sehen", meinte er belustigt und kam auf mich zu.

"Ihr kennt euch?", fragte Katinka verblüffte.

"Ich habe ihr ihren hübschen Arsch gerettet und sie hat dank mir eine Menge Geld gewonnen", grinste er mich breit an.

"Soll ich dir dafür jetzt danken?"

"Klar, wie wäre es mit einem Abendessen? Du kochst."

Ich schnaubte nur abfällig. "Nein, danke. Ich werde jetzt gehen, du bist ja nicht mehr alleine", sagte ich mit Blick auf Katinka.

"Danke. Soll ich dich noch nach Hause fahren?", fragte sie unsicher.

"Nein, danke. Ich laufe lieber."

"Ich werde sie fahren“, warf Aleksandr unerwartet ein.

"Du solltest lieber bei deiner Schwester bleiben."

"Sie kann die zwanzig Minuten zu unserer Nachbarin Mrs Carter gehen, die wird sicher nichts dagegen haben", sagte er und blickte mir unentwegt in die Augen.

"Ja, das kann ich machen, dann musst du nicht zu Fuß gehen. Außerdem regnet es, also kommst du nicht daran vorbei." Aleksandr grinste seine Schwester dankbar an.

 

 Nachdem Katinka bei der siebzigjährigen Nachbarin, Mrs Carter, abgesetzt wurde, saßen Aleksandr und ich im Wagen und schwiegen. Was mir sehr gelegen kam, denn ich wollte mich nicht unterhalten.

"Also wie wäre es mit dem vorgeschlagenem Abendessen?", fragte er als wir vor meinem Haus angekommen waren.

"Du solltest dafür sorgen, dass du zu Hause bist, wenn deine Schwester von ihren Vorlesungen nach Hause kommt. Zumindest fürs Erste", umging ich seine Frage und stieg ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen. 

Sobald ich die Tür öffnete wurde ich gegen eine Wand gedrückt und ein überraschter Schrei entwich meiner Kehle. Dunkelbraune fast schon schwarze Augen durchbohrten meine und ließ mein Blut in den Adern gefrieren.

"So sieht man sich wieder, schöne Frau", flüsterte er mit samtweicher Stimme, die mir unangenehme Schauer über den Rücken laufen ließ. Er fuhr mit seiner Hand meine Kehle nach, runter zu meinem Schlüsselbein. 

Ich versuchte mich zu wehren, mit aller Kraft seinen Körper von meinem zu kriegen, doch er war zu stark. Zu schwer. Der große Typ wurde von mir weggerissen und das nächste was ich sah war ein wütender Aleksandr, der dabei war den Ex-Freund seiner Schwester bewusstlos zu schlagen. 

Er musste aufhören, sonst würde er ihn noch zu Tode prügeln.

Ich ging auf ihn zu und legte ihm sachte eine Hand auf die Schultern. Er hörte fast augenblicklich auf und sah mir in die Augen, er schien sich zu beruhigen. Danach sah er noch einmal wütend runter zu Petr bevor er aufstand und mich umarmte. 

Seine starken Arme und sein Duft hüllten mich ein und ausnahmsweise war ich nicht abweisend und stieß ihn nicht von mir weg, sondern legte meine Hände vorsichtig auf seinem breiten Rücken ab. So zart, dass er sie unter den ganzen Muskeln gar nicht merken durfte und genoss das kurze Gefühl von Sicherheit. Doch er schien sie zu spüren, denn sein Griff wurde stärker und mein Körper wurde noch enger an seinen gepresst. Ich spürte wie er seine Nase in meinen Haaren vergrub und tief einatmete, bevor er leise murmelte, "Geht es dir gut?"

"Ja, aber dem Ex deiner Schwester schein es nicht so gut zu gehen", merkte ich mit einem Blick auf den Körper, der blutend auf dem Boden lag, an.

"Er hat es nicht anders verdient", zischte er und drückte mich noch enger an sich. "Er hat zuerst meiner kleinen Schwester Angst gemacht und jetzt verfolgt  und bedroht dich schon", presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

"Trotzdem war es zu viel. Er wäre es nicht wert in den Knast zu kommen."

"Wir sollten, denke ich mal die Polizei rufen."

"Du hast recht", murmelte er bevor er seine Nase diesmal in meinem Nacken vergrub und sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete.

Das hier wurde viel zu intensiv für jemanden, den ich nicht einmal richtig kannte. Aber es fühlte sich so gut an. 

 

 

 

Zwei Stunden später verließen wir das Polizeirevier. "Ich fasse es nicht, dass sie den Typen einfach gehen lassen!“, rief Aleksandr wütend und trat gegen seinen Autoreifen.

„Ich kann es nicht fassen, dass du jetzt eine Anzeige am Hals hast. Hab‘ dir doch gesagt, dass du übertrieben hast.“

„Du wirst heute nicht alleine Zuhause schlafen", hörte ich Aleksandr sagen, als wir einstiegen.

„Ich denke, dass du Jacob abgeschreckt hast.“ Und schon wieder hatte ich gesprochen, bevor ich gedacht hatte.

„Woher kennst du seinen Namen?“

„Ähm, er hat…gestern als ich Katinka Nachhause gebracht habe…“

„Ja?“

„Er ist davor auf dem College aufdringlich geworden und als wir dann in der Wohnung waren, da hat sie mir von ihm erzählt.“

„Danke.“

„Wofür?“

„Dass du meiner Schwester geholfen hast.“

„Kein Problem, ich würde es immer wieder machen.“

„Aber du wirst heute Nacht trotzdem nicht alleine schlafen.“

„Aleksandr, hör mal-„

„Keine Widerrede“, unterbrach er mich.

„Hör mal, du bist nicht mein Vater! Du hast mir gar nichts zu sagen, wenn du mich nicht Nachhause fahren willst, dann fahr rechts ran und ich gehe zu Fuß.“

„Gut, dann übernachte ich eben bei dir.“

„Und was ist mit Katinka? Außerdem bist du nicht eingeladen.“

„Bin ich ein Vampir? Ich brauche keine Einladung, um ein Haus betreten zu können.“

„Nein, aber es wäre Hausfriedensbruch und ich denke mal, dass du dir keine zweite Anzeige einholen möchtest, oder?“

„Katinka kann bei Mrs. Carter übernachten.“

„Wenn Jacob weiß wo ich wohne, dann weiß er ganz sicher auch, wo ihr wohnt.“

„Das kann schon sein, aber Katinka würde nicht in unserer Wohnung übernachten sondern einen Stock über uns und der Typ ist zu dumm, um so etwas rauszubekommen.“

Nach zweiminütiger Stille meinte er, „Nichts mehr einzuwenden?“

„Ich dachte, dass ich bereits Hausfriedensbruch und Anzeige angemerkt habe?“

„Hoffe, dass dein Bett groß genug ist für uns beide und wenn nicht, dann ist das auch kein Problem. Du kannst auch gerne auf mir schlafen.“

„Du bist unmöglich“, entgegnete ich. Er war so verdammt unverschämt, aber wir wussten beide, dass er heute in meinem Bett schlafen würde. Aber mit ihm schlafen würde ich nicht.

 

 

 

"Ich hab ihr eine Nachricht geschrieben und sie hat gesagt, dass es überhaupt kein Problem ist", informierte mich Aleksandr als wir aus dem Auto stiegen und auf das Wohnhaus, in dem ich lebte, zugingen. 

Wir gingen zu Fuß in den dritten Stock, weil der Aufzug schon seit mehr als einem Jahr kaputt war. "Gibt es hier keinen Aufzug?"

"Kaputt."

"Seit wann?"

"Seit eineinhalb Jahren."

"Heißt das, dass du jedes Mal, wenn du einkaufen warst oder etwas Schweres schleppen musst, die Treppen nehmen musst?"

Ich zuckte mit den Schultern während ich die Tür aufschloss. "Hab mich dran gewöhnt. Außerdem kaufe ich nie so viel ein, dass ich irgendetwas schleppen muss." 

In meiner Wohnung gab es keinen Flur, man kam sofort in das Wohnzimmer in dem auch die offene Küche mit einer kleinen Kochinsel stand. Ich hatte noch ein Badezimmer, ein Schlafzimmer und drei Wandschränke. Einen im Wohnzimmer und zwei im Schlafzimmer. Die Wohnung war mit ihren 30m² sehr groß für zwei Zimmer und mit einer Miete von 400 Dollar ein richtiges Schnäppchen.

"Nette Wohnung", kommentierte Aleksandr mein persönliches Reich. Ich wusste nicht, ob es ein Kompliment oder Sarkasmus war. Die Wohnung war klein und die Wände ein wenig ausgeblichen, aber sie war sauber und sie gehörte vorerst mir.

Bedankend machte mich auf den Weg ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. "Ich werde schnell duschen gehen, du kannst es dir in der Zwischenzeit gemütlich machen. Im Kühlschrank sind Bier und Lasagne von Vorgestern, wenn du was essen willst." Mit diesen Worten begab ich mich in mein Badezimmer und unter die heiße Dusche, die meine Muskeln entspannen ließ.

 

 

Es fühlte sich ungewohnt an nicht alleine in der Wohnung zu sein. Ich hatte noch nie jemanden hier, nicht einmal Trent. Nach der Dusche zog ich mir eine graue Jogginghose, kurze, weiße Sportsocken und ein weißes Tank Top an während ich meine nassen Haare offen über die Schulter hängen ließ.

Aleksandr saß auf meinem Sofa, es war nicht sonderlich groß - genug für drei Personen, aber drei Personen mit normaler Größe und nicht 1,90 m große, muskulöse Riesen. Mit ihm auf dem Sofa sah es noch kleiner aus. "Woher kannst du so gut kochen?", fragte er mich als ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank nahm.

"Ich koche ganz normal. Hab's mir selbst, mit Hilfe von Kochbüchern, beigebracht", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. Ich setzte mich auf einen Barhocker, der unter dem Tresen, der zur Kochinsel gehörte, stand.

"Also Katinka kann nicht so kochen", sagte er und schüttelte den Kopf, als ob er eine grauenhafte Erinnerung abschütteln wollte. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn fragend an. "Sie hat letztes Jahr fast unser ganzes Haus in Brand gesteckt, als sie eine Fertigpizza in den Ofen geschoben hat."

"Wie das?"

"Meine kleine Schwester, hat vergessen, die Pizza aus der Plastikfolie zu nehmen." Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln, das hätte ich Katinka nicht zugetraut. Ich wollte gerade einen Schluck aus der Flasche nehmen, als ich Aleksandrs Blick bemerkte. Er sah mich mit einem Blick an den ich nicht identifizieren konnte und ich konnte bei aller Liebe nicht sagen, ob das gut für mich war.

"Was?", fragte ich und wich seinem Blick aus.

"Du solltest öfter lächeln."

Ich schnaubte. "Das sagt Trent auch immer. Was habt ihr immer nur mit diesem ganzen Lächeln-Scheiß? Was habe ich davon, wenn ich jeden, der mir über den Weg läuft, anlächle."

"Wer ist Trent?", grollte er schon fast und ich konnte seine Reaktion auf meinen besten Freund nicht nachvollziehen. 

"Mein bester Freund, er hat mit Katinka vorgestellt."

Er nickte, sichtlich zufrieden. "Du hast Recht." Ich sah ihn fragend an. "Mit der Lächeln-Theorie. Du hast vielleicht nichts davon, aber es kann irgendjemandem den Tag verschönern", sagte er und kam auf mich zu. "Mir zum Beispiel."

"Wieso sollte ich dir den Tag verschönern? Immerhin willst du mir meine Nacht ruinieren", entgegnete ich.

"Weil", fing er an und blieb ein paar Zentimeter vor mir stehen. "Niemand anderer das hier machen darf", sagte er und umarmte mich wieder. Er hatte recht. Seit dem Tod meiner Eltern, besser gesagt meiner Mutter, hatte mich niemand mehr so umarmt. Nicht einmal Trent. "Habe ich recht?", nuschelte er an meinem Nacken. Wieder bildete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper und meine Härchen stellten sich auf.

Wieso zur Hölle ließ ich es zu, dass er mir so nahe kam? Vielleicht lag es daran, dass ich einfach nur ein naives, kleines Mädchen war, das sich nach Zuneigung und Nähe sehnte.

Aus diesem Grund nickte ich leicht und legte meine freie Hand auf seine Brust, um ihn ein wenig weg zu schieben, weil ich Angst hatte vor dem was ich fühlte, wenn er mir so nahe war. Ich konnte nicht begreifen, wieso ich so fühlte, obwohl ich ihn gar nicht kannte.

 Er dachte nicht einmal daran mich los zu lassen, seine Hände wanderten zu meinen Hüften und seine Nase von meinem Nacken zu meinem Hals, weiter zu meinem Kiefer. Seine Hände wanderten weiter zu meinen Oberschenkeln, die er teilte um sich dazwischen zu stellen.

"Niemand, hörst du? Niemand darf dich so anfassen, nur ich", hauchte er mir ins Ohr und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz eine Sekunde ausgesetzt hat, nur um danach doppelt so schnell zu schlagen. Ich musste wieder die Kontrolle erlangen. Über mich und meine Gefühle und erst Recht über die Lage in der wir steckten.

"Wie kommst du darauf, dass nur du mich so anfassen darfst?", schnauzte ich, nachdem ich ein wenig zur Besinnung gekommen war und mir klar wurde, dass ich mich einfach nur wie eine Idiotin benahm.  Er nahm mir das Bier aus der Hand und nahm einen Schluck davon.

"Ganz einfach, moy angel, weil du mir gehörst. Seit der ersten Sekunde in der ich in diese wunderschönen Augen geblickt habe, gehörst du mir", gehörter mit seiner unglaublich tiefen, aber auch sanften Stimme und ich hatte keine Zweifel. Er hatte Recht, egal wie viel Angst ich hatte, er hatte verdammt noch mal Recht. Als ich damals auf ihn gewettet habe, habe ich mit dem Schicksal gespielt und das war mein Preis.

7 - Sport-BHs und Schlingpflanzen

Ich wachte mitten in der Nacht auf, weil mir zu heiß war. Es lag an Aleksandr, der seine Arme und Beine wie eine Schlingpflanze um meinen Körper geschlungen hatte.

Er konnte nicht auf dem Sofa schlafen, weil er zu groß dafür war und er hatte es gar nicht erst in Frage kommen lassen, dass ich auf dem Sofa schlief. So landeten wir, anfangs noch mit genügend Abstand, gemeinsam in meinem Bett. Aber wie es aussah hatte er sich mitten in der Nacht an mich geschmiegt, denn ich lag noch auf meiner Seite.

Ich versuchte seine Arme von mir runter zu bekommen um ein wenig Luft zu bekommen, aber er bewegte sich nicht einen Millimeter, weder wachte er auf - er schlief einfach weiter. Weil ich nicht anders konnte und vor Hitze fast kollabiert wäre, entschloss ich mich einfach mein Tank Top und die Jogginghose auszuziehen. Mit den komischsten Verrenkungen - so gut es eben ging - schaffte ich es nach zehn Minuten meine Sachen auszuziehen und nur noch in Unterwäsche da zu liegen.

Ein weißer Sport-BH und ein pinkes Höschen kamen zum Vorschein. Wenigstens trug ich keine Spitzenunterwäsche, denn obwohl ich nicht so viel Wert auf Kleidung legte, so war meine Schublade doch mit hübscher Unterwäsche gefüllt. Es waren die einzigen Teile in meinem Kleiderschrank, die auffällig waren. Ich wusste nämlich, dass sie niemand zu Gesicht bekommen würde und ich wollte mich wenigstens da wie eine richtige Frau fühlen und ein paar Kleidern, die ich nie trug. Nach einigen Minuten und dem angenehmen Gefühl von Aleksandrs Haut an meiner schlief ich schlussendlich ein.

 

 

Ich runzelte die Stirn als ich ein helles Licht vernahm und drehte mich auf den Bauch um mein Gesicht in mein Kissen zu drücken.

"Hey", hörte ich eine sanfte Stimme an meinem Ohr und spürte wie eine raue Hand meine Haare zur Seite schob und sich eine Nase in meinem Nacken vergrub und tief einatmete. "Komm schon, Sleeping Beauty, du musst aufstehen", hörte ich ein nuscheln an meinem Nacken.

"Ich will nicht", murmelte ich und hob eine Hand um sie in weichem, kurzem Haar zu vergraben um den Kopf von meinem Nacken zu ziehen, um mich auf meine andere Seite legen zu können.

Ich hörte ein raues Kichern und im nächsten Moment schlangen sich zwei große Hände um meine Taille und zogen mich an einen harten Körper. Ich wollte nur weiter schlafen und nicht gestört werden. "Wieso hast du nur Unterwäsche an? Nicht, dass ich was dagegen hätte!"

"Mir war heiß", murmelte ich und versuchte weiter zu schlafen. Ich war so müde.

"Wirklich?"

"Ja. Es ist ja nicht so, als ob du das nicht schon mal gesehen hättest."

"Was meinst du?"

"Eine Frau in Unterwäsche."

"Und was ist, wenn ich sagen würde, dass ich es nicht getan habe?"

"Dann würde ich sagen, dass du lügst", murmelte ich und betete um Frieden.

"Es wäre auch gelogen. Aber ich habe noch nie eine Frau gesehen, die mich so anmacht wie du."

"Was du nicht sagst. Könntest du bitte die Klappe halten? Ich versuche hier zu schlafen", murrte ich.

"Es ist schon zehn. Musst du nicht ans College?", nuschelte Aleksandr an meiner Wange.

"Ich bin krank."

"Was hast du denn?", hörte ich ihn belustigt fragen.

"Sehnsucht."

"Ach so? Nach wem denn?"

"Nach meinem Bett und unserer Beziehung, die sich Schlaf nennt", ich drehte mich in seinen Armen, sodass    sein Gesicht nun gegenüber von meinem lag.

Ich spürte wie er mit seinen Fingern meine Nase, meine Wangen und dann meine Lippen nach zog. "So wunderschön", hauchte er.

Ich öffnete meine Augen und setzte mich auf. "Entweder du hältst jetzt die Klappe und lässt mich schlafen oder du verschwindest, damit ich kann in Ruhe weiter schlafen", zischte ich und sah auf ihn runter.

Er lehnte sich grinsend gegen das Kopfende meines Bettes und verschränkte die muskulösen Arme vor seiner beeindruckenden Brust. Er breitete einladend die Arme aus und ich wollte nichts sehnlicher als einfach weiter zu schlafen. "Hältst du dann die Klappe?"

"Wenn du dich an mich schmiegst, auf jeden", versprach er grinsend. Das ich nichts anderes als Frieden wollte ließ ich mich auf ihn fallen und schlief nach zwei Minuten wieder ein.

 

 

Ich wurde von dem angenehmen Duft von köstlichem Kaffee geweckt. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, weil Aleksandr nicht mehr in meinem Bett war und ich alleine in Unterwäsche da lag. Ich beschloss, dass es Zeit genug war um aufzustehen und zog mich an. Dieses Mal eine graue Leggings und ein schwarzes Shirt, welches mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel reichte.

Mit seinem muskulösen Rücken zugewandt stand Aleksandr nur in Boxershorts bekleidet in meiner Küche und kochte. Was er genau machte konnte ich nicht sehen, da sein Körper mir die Sicht versperrte, aber es roch auf jeden Fall köstlich. "Die nicht vorhandenen Kochkünste liegen wohl nicht in der Familie", kommentierte ich sein Tun.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht wandte er sich mir zu. "Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, moy Angel." Ich entdeckte erst jetzt, dass er ein Sixpack hatte. Es schien so, als ob er aus reiner Muskelmasse bestand. Er sah so aus als ob ihm nicht einmal eine Kugel etwas antun könnte.

"Morgen", grüßte ich und machte mich auf die Suche nach Kaffee.

"Ich hab dir Kaffee und Frühstück gemacht. Ich hoffe du magst Omelett?"

"Da wäre nicht nötig gewesen, aber danke", sagte ich und nahm die Tasse, die er mir entgegen hielt.

"Ich hab's gerne gemacht. Sieh es als ein Dankeschön."

"Für was?"

"Dafür, dass du meiner Schwester geholfen hast."

"Das war selbstverständlich. Jeder hätte das in der Situation gemacht", meinte ich Schulterzuckend.

Er schüttelte den Kopf. "Nein. Nicht jeder", entgegnete er mich und kam näher. "Weißt du eigentlich wie mutig und wie dumm das war? Du hättest verletzt werden können", sagte er und strich mir eine Strähne hinters Ohr.

"Deine Schwester wäre verletzt worden", informierte ich und sah ihm in die Augen.

"Du hast recht", sagte er und beugte sich zu mir runter. "Ist sie aber nicht, dank dir", hauchte er und fuhr mit seiner Nase von meiner Schläfe runter zu meiner Wange, zu meinem Kiefer und über meinen Hals zu meinem Nacken. Es fühlte sich unglaublich an was er mit mir machte, aber ich musste das stoppen. Durfte ihn nicht zu nahe an mich heran lassen.

"Musst du nicht nach Hause zu deiner Schwester?"

Ich spürte sein Grinsen an meinem Nacken bevor er sich aufrichtete. "Ich weiß, was du versuchst, aber nein, sie hilft Mrs Carter beim Haushalt und lässt sich das Kochen beibringen - obwohl es hoffnungslos ist. Ich weiß es, ich hab's auch schon versucht."

"So schlecht kann sie gar nicht sein."

"Oh, doch! Und ich werde es dir beweisen. Du kommst heute mit zu mir, zum Abendessen – Katinka kocht. Dann kannst du dich ja selbst überzeugen."

"Penetrant."

"Was?"

"Eine deiner Eigenschaften. Du bist verdammt penetrant", sagte ich schulterzuckend.

"Dabei dachte ich Frauen würden Aufmerksamkeit lieben", seufzte er. "Du verwirrst mich."

 

 

 

"Hey, Elena", begrüßte Katinka mich. "Es tut mir so unglaublich leid!"

"Was?", fragte ich verwirrt.

"Wenn du mir an dem Tag nicht geholfen hättest, dann wäre das gestern mit Jacob nie passiert."

"Dann wärst du aber verletzt worden.“

"Lass sie doch erst einmal rein kommen, Schwesterherz", sagte Aleksandr und legte eine Hand auf meinen unteren Rücken um mich in die Wohnung zu schieben. Katinka entdeckte die Hand ihres Bruders und ihre Augen fingen an zu strahlen, während ich nur die Stirn runzelte.

"Ist das Essen schon fertig?", fragte Aleksandr.

"Fast", teilte sie uns freudenstrahlend mit und schwebte schon fast in die Küche.

 

"Sieht doch ganz gut aus", murmelte ich als ich den Broccoli Auflauf im Backofen entdeckte. Aleksandr schüttelte nur grinsend den Kopf.

"Das Essen ist in fünf Minuten fertig. Könntet ihr bitte den Tisch decken?"

"Wein, Bier, Cola, Orangenlimonade?", fragte Katinka

"Bier", antworteten Aleksandr und ich unison. Ich sah hoch und merkte, dass mich die beiden ansahen. Aleksandr mit einem Lächeln und Katinka mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. "Was?"

"Nichts. Magst du keinen Wein?"

"Ich bin nicht wirklich der Wein-Typ", antwortete ich.

"Ist ja auch egal. Hier dein Bier", sagte sie und reichte mir eines. "Und jetzt esst."

Ich sah runter auf meinen Teller. Das Essen sah ganz gut aus und es roch auch gut, also konnte ich mir irgendwie nicht vorstellen, dass Katinka so eine schlechte Köchin sein soll. Ich nahm meine Gabel in die Hand und zerteilte damit ein kleines Stück um es zu probieren. Als ich ein Stück Broccoli mit Käse im Mund hatte wusste ich was Aleksandr mit Katinka Kochkünsten meinte. "Katinka?"

"Ja?"

"Hast du den Broccoli vorher gekocht?", fragte ich mit vollem Mund.

"Nein? Hätte ich das denn tun müssen?"

"Gott, ja!", rief Aleksandr und spuckte das Essen wieder aus. "Siehst du was ich meine?", fragte er mich.

"Ich glaube du solltest dir als Vorbild nicht Hell's Kitchen nehmen", riet ich und spuckte das Essen in eine Serviette.

 

 

 

"Mehl", forderte ich eine halbe Stunde später und nahm die Klarsichtfolie von der Schüssel, in der der Teig für die Pizza lag.

Nachdem man Katinkas Auflauf leider nicht essen konnte, hatte ich mich dazu bereit erklärt eine Pizza zu machen. Katinka war gerade im Supermarkt und kaufte ein paar Zutaten für einen Schokoladenkuchen, den ich im Nachhinein machen sollte, während Aleksandr mein Küchengehilfe war.

"Hat dir schon mal jemand gesagt wie heiß das ist, wenn du so herrisch bist?", raunte er mir ins Ohr.

"Du hilfst nicht, du störst", war meine Antwort.

"Noch nicht, aber jetzt", und mit diesen Worten nahm er die Mehlpackung und schüttete sie über meinen Kopf. Ich drehte mich um und sah ihn aus verengten Augen an. "Süß", feixte er und stupste meine Nase an.

"Ich gehe jetzt duschen und du wirst diese Pizza jetzt fertig machen."

 

Ich stand unter der heißen Dusche und genoss das Wasser, das über meinen Körper floss und mich von außen wärmte. Meine blasse Haut färbte sich rot, wegen der Hitze. Ich hasste meine Haut. Sie war so empfindlich und Hell, meine Adern sahen aus wie Flüsse auf einer Landkarte. Porzellanhaut - nannte sie meine Hautärztin.

Nach einer entspannenden Dusche trat ich aus dem glasigen Viereck und hüllte mich in ein Handtuch. Ich hatte keine Kleidung zum Wechseln hatte musste ich mit dem kleinen Handtuch um meinen Körper vor Aleksandr treten. Eigentlich war es egal, denn er hatte mich ja schon halbnackt gesehen.

Ich seufzte und schloss die Tür auf und trat aus dem Badezimmer, eine Gänsehaut überzog meinen Körper, weil es in dem Badezimmer schon richtig heiß und dampfig geworden war.

"Aleksandr", rief ich.

"Scheiße", hörte ich ein Zischen hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte Aleks, der mich anstarrte. "Sag das noch Mal", raunte er.

"Was?", fragte ich verwirrt.

"Meinen Namen."

"Aleksandr?“, fragte ich unsicher.

"Ah, scheiße, du bringst mich um, Frau. Weißt du wie viel Kraft es mich kostet dir nicht einfach dieses winzige Handtuch vom Körper zu reisen", raunte er und war mit drei Schritten bei mir. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte meinen Körper mit seinem gegen die Wand. Das Atmen fiel mir auf einmal schwer. "Und dich einfach durchzuvögeln", beendete er seinen Satz und in meiner Körpermitte breitete sich ein unbekanntes Kribbeln aus.

Ich wusste nicht was ich tun sollte, was ich fühlen sollte. Das einzige, das ich wusste war, dass ich ihm so nahe wie nur möglich sein wollte.

"Du hast ja keine Ahnung", raunte er und kam meinem Gesicht immer näher. Ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren als ein Geräusch zu vernehmen war, das von der Tür kam. Es hörte sich an als ob jemand die Tür aufschließen würde. "Verdammt", hörte ich Aleks murmeln. "Wir holen das nach", flüsterte er.

"Kannst du mir etwas zum Anziehen geben?", fragte ich.

"Am liebsten würde ich dich den ganzen Tag nackt vor mir haben, aber meine kleine Schwester ist leider auch noch da."

"Was zum Anziehen, Aleksandr", versuchte ich ihn und gleichermaßen mich abzulenken.

"Ich weiß was du versuchst, aber ich kann in deinen Augen lesen, dass du mich genauso sehr willst wie ich dich."

Noch nie zuvor konnte jemand in meinen Augen lesen wie ich mich wirklich fühlte, was ich wirklich wollte, was ich wirklich sagte. Aleksandr war der erste und ich war mir verdammt noch mal sicher, dass mir das noch einmal zum Verhängnis wird. "Katinka?!"

"Ja?", rief sie aus dem Wohnzimmer. "Wo seid ihr?"

"Hier", sagte ich als ich im Wohnzimmer ankam.

"Wieso hast du geduscht?" Sie zog fragend eine Augenbraue hoch. "Ihr habt doch nicht?"

"Nein, haben wir nicht“, warf ich schnell ein, bevor sie etwas Falsches denken konnte.

"Leider", hörte ich Aleksandr seufzen.

"Was läuft hier?", fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Dein, in der Pubertät stecken gebliebener, Bruder fand es ganz lustig mir eine Mehldusche zu verpassen. Deshalb musste ich duschen und habe jetzt nichts zum anziehen", erklärte ich.

"Oh. Ja, er ist leider ein wenig zurück geblieben", meinte sie mitleidig und ich schenkte ihr ein kleines Lächeln, das sie strahlen ließ. Ich fand es toll, dass sich Katinka über so kleine Sachen freuen konnte. "Ich borg' dir ein paar Sachen von mir."

 

 

Zehn Minuten später ging ich ins Wohnzimmer und zog den BH zurecht. Er war zu klein und meine Brüste drohten rauszuspringen. "Wie ich es mir schon gedacht habe. Er ist zu klein", hörte ich Katinka sagen.

"Sieht so aus, aber er sollte reichen bis ich nach Hause komme."

"Aleks, hör auf ihr so auf die Brüste zu glotzen", zischte sie leise, aber ich konnte es immer noch hören. "Aleksandr!"

"Hat dir niemand Manieren beigebracht?"

"Nein, aber du kannst das gerne ändern, angel", grinste er.

"Angel?", fragte Katinka mit hochgezogenen Brauen. "Was läuft da zwischen euch?"

"Nichts."

"Noch nicht."

"Du bist dir ja sehr sicher, Bruderherz“, grinste Katinka.

"Du weißt doch, dass ich keinen Kampf verliere", meinte er und sah mir dabei in die Augen.

"Eingebildet. Eine weitere Eigenschaft", bemerkte ich. Aleksandr wusste was ich meinte, während Katinka uns nur verwirrt ansah.

8 - Bettgeflüster und Kampfansagen

"Hey, Aleksandr! Geh doch du schon mal das Auto vom Parkplatz holst und Elena und ich unterhalten uns ein bisschen. Wir hatten heute ja noch keine Zeit dafür."

"Okay", Aleksandr zog das Wort ungewöhnlich in die Länge.

Sobald Aleks aus der Wohnung war sah Katinka mich durchdringend an. "Hör mir jetzt gut zu, Elena. Ich weiß nicht, was dazwischen meinem Bruder und dir läuft, aber ich will nicht, dass du verletzt wirst. Du musst wissen, dass Aleks keine festen Beziehungen eingeht - sein Motto: hit it and quit it."

"Wieso denkst du, dass er mich verletzten könnte?"

"Das denke ich nicht. Ich wollte dich nur vorwarnen."

"Danke", sagte ich und schenkte ihr ein kleines Lächeln bevor ich nach draußen ging.

"Danke fürs Fahren", bedankte ich mich als wir vor dem Appartementkomplex ankamen.

"Immer wieder gerne, Baby!" Ich nickte nur und stieg aus. Obwohl ich heute so lange geschlafen hatte war ich müde. Ich wollte nur noch in mein Bett fallen und nicht mehr aufstehen. 

Ich wollte gerade die Tür hinter mir zufallen lassen, als ich gegen eine Wand gedrückt wurde. Zuerst stieg Panik in mir auf, weil mich diese Situation an die von gestern erinnerte, aber als ich eine ganz bestimmte Stimme war nahm beruhigte ich mich und mein Puls stieg. "Ich habe doch gesagt, dass wir das wiederholen werden, was wir heute angefangen haben", flüsterte er und lehnte seine Stirn an meine. Ich erinnerte mich an Katinkas Worte: Du musst wissen, dass Aleks keine festen Beziehungen eingeht - sein Motto: hit it and quit it.

 Wenn ich heute mit ihm schlief, dann würde er mich in Ruhe lassen und ich könnte mein Leben wieder leben, so wie es zuvor war.

Ich hob eine Hand und legte sie auf seine Wange. Er schmiegte sich in meine Hand und lächelte mich an. Ich lehnte mich vor und streifte leicht mit meinen Lippen über seine. Ich spürte wie er erschauerte und ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Er legte eine Hand auf meine Wange und die andere auf meine Hüfte, sah mir in die Augen und küsste mich. Es war mein erster richtiger Kuss und es fühlte sich wahnsinnig an, wahnsinnig gut. Unsere Lippen bewegten sich synchron und meine Hände wanderten zu seiner Brust. Er drückte meinen Körper gegen die Wand und fuhr mit seiner Zunge über meine Unterlippe. Ich gewehrte ihm Einlass und in der Sekunde in der seine Zunge meine berührte war es wie ein Feuerwerk, das durch meinen Körper schoss. In dem Moment wurde mir klar, dass ich das heute Abend machen wollte und musste. Musste, weil ich wusste, dass wenn ich ihn verlieren würde, ich den Verlust nicht verkraften würde. Ich hasste das Gefühl, dass er trotz dessen, dass wir uns kaum kannten, so viel Macht über mich verfügte. Ich spürte seine Hände, die meinen Körper entlang wanderten und schlussendlich unter meinem Po zum Stehen kamen, nur um mich dann hochzuheben, damit ich meine Beine um seine Taille schlingen konnte. Er fing an meinen Po zu kneten und entlockte mir ein Stöhnen.

"Scheiße", nuschelte er an meinen Lippen, gab sie frei und sah mir in die Augen. "Darum geht es mir heute Nacht nicht, Elena."

Mir aber, schoss es mir durch den Kopf, als er mich wieder los lassen wollte. Ich packte seinen Kopf und presste meine Lippen auf seine. Er erwiderte den Kuss sofort, nur hungriger. Ich spürte etwas Großes und hartes an meinem Bauch. Ich stöhnte und drückte mich gegen ihn und entlockte ihm damit ein Stöhnen.

"Verdammt", keuchte er. "Wenn du nicht damit aufhörst, dann werde ich mich nicht mehr zurück halten können." Ich sah in seine glühenden Augen und konnte nicht anders als vor Lust und Sehnsucht zu vergehen.

"Wer sagt, dass du aufhören sollst?", fragte ich und erkannte meine eigene Stimme nicht mehr.

Er sah mich einen Augenblick sprachlos an, bevor er sich auf mich stürzte. Wie in Trance nahm ich war, wie er mich ins Schlafzimmer brachte und mich ins Bett legte. Unsere Lippen trennten sich nur, wenn wir uns gegenseitig die Kleidung auszogen. Ich berührte alles, das ich nicht sehen konnte. Strich über seine steinharten Muskeln, während er jeden Zentimeter meines Körpers liebkoste. Er sah mir so oft in die Augen wir er konnte und jedes Mal fühlte es sich an, als ob er in meine Seele blicken würde.

"Bist du sicher?", fragte er, als er sein erigiertes Glied an meinem Eingang positionierte.

"Ja", hauchte ich während ich in seine grauen Diamanten sah. Er drückte mir einen hauchzarten Kuss auf die Stirn während er langsam in mich eindrang.

"Ich werde es ganz schnell machen, okay?" Ich war nur zu einem Nicken fähig. Es fühlte sich ungewohnt an, aber auch überwältigend. Dank seines intensiven Vorspiels verspürte ich nur einen leichten Druck als er mit einem Stoß in mir war. "Verdammt", hörte ich ihn keuchen. Sofort spannte ich mich an und meine untere Region zog sich um seine Männlichkeit zusammen.

"Scheiße, Angel", stöhnte er. Ich merkte dass es ihm gefiel also spannte ich meine Beckenbodenmuskeln an.

"Elena", warnte er. Zum ersten Mal seit Jahren musste ich kichern, richtig lachen, denn es gefiel ihm und ich hatte so das Gefühl, dass er sehr viel Kraft aufbringen musste um sich nicht zu blamieren. Ich liebte das Gefühl der Kontrolle, die ich in diesem Moment über ihn hatte. Er starrte mich mit einem undefinierbaren Blick an und küsste mich danach heiß und innig.

Ich stöhnte und schlang meine Beine um seine Hüften um ihn noch weiter in mich zu ziehen, so nahe wie nur möglich wollte ich ihm sein. Er glitt langsam aus mir heraus und wieder rein, keine Sekunde ließ er mich aus den Augen. Immer wieder die gleichen Bewegungen, rein, raus, rein und wieder raus. Die Reibung zwischen unseren Körpern trieb mich fast in den Wahnsinn.

"Aleksandr", stöhnte ich. Er sollte sich schneller und härter in mir bewegen.

"Fuck", keuchte er. "Du hast ja keine Ahnung was ich jetzt gerne mit dir machen würde", keuchte er und stieß schneller zu.

Ich stöhnte und mein Oberkörper hob vom Bett ab während mein Kopf sich in das Kissen grub. Ich krallte meine Fingernägel in Aleksandrs Schultern während er noch härter zu stieß, so hart, dass meine Hüften, die ihm entgegen gestreckt waren, wieder auf dem Bett landeten. Es fühlte sich so unglaublich gut an. So unglaublich richtig. Mit jedem anderen würde es sich falsch anfühlten und genau diese Gefühle bestätigten mir meine Entscheidung. Die Entscheidung von ihm fern zu bleiben.

"Wie weit bist du?", keuchte er.

Ich wollte ihm antworten als ein unglaubliches Gefühl durch meinen Körper schoss, durch mein Blut und meinen ganzen Körper zum Zittern und zucken brachte. So etwas hatte ich noch nie gespürt. Noch nie. Ich schrie Aleksandrs Namen während ich einen Höhenflug der Extraklasse erlebte. Er brach auf mir zusammen, rollte sich auf den Rücken und nahm mich mit, sodass ich auf seiner Brust lag. Obwohl ich zuvor müde war und mich erschlagen fühlte, war ich jetzt hell wach. Du hast nur heute Nacht, erinnerte ich mich selbst und er war nach wie vor in mir und füllte mich komplett aus.

Ich bewegte mich und fing an seinen Hals zu küssen, runter zu seiner steinharten, schweißbedeckten Brust. Er roch so gut nach Sex, Cologne und Aleksandr. Eine himmlische Mischung.

"Was machst du da?", hörte ich ihn fragen während er mich nicht daran hinderte weiter zu machen. Nein, er packte mich an den Hüften und presste mich noch enger an ihn und er drang noch tiefer in mich ein, sodass ich aufstöhnte.

Ich setzte mich auf und spürte wie seine Männlichkeit wieder in mir anschwoll. Er sah mich mit einem hungrigen Blick an und ich stützte mich auf seiner Brust ab. Ich hob meine Hüften an und glitt langsam aus ihm heraus nur um mich dann in der nächsten Sekunde wieder auf ihn fallen zu lassen und mich selbst aufzuspießen. Aleksandr setzte sich auf und küsste mich.

"Meins", knurrte er an meinem Mund. "Alles MEINS." Mit diesen Worten strich er über meinen Körper, meine Brüste, meine Schultern, meine Arme, meinen Po und meine Beine, die er um seine Hüfte schlang. "Wir gehen jetzt duschen", verkündete er mit dunkler Stimme. Ich wollte schon protestieren als ich seinen Plan durchschaute. Er wollte das hier nicht beenden, nein, er wollt ihn der Dusche weiter machen. Er legte sogar noch einen Zwischenstopp an der Wand ein.

Aleksandr und ich lagen befriedigt und frisch geduscht in meinem Bett, wobei ich auf seiner Brust lag und er eine Hand auf meinem Po und eine in meinem Haar hatte und meinen Hinterkopf kraulte. Ich fühlte mich so wohl, dass ich am liebsten wie ein Kätzchen geschnurrt hätte. "Ty fsskushyla mnje golwau", murmelte er.

"Was heißt das?", flüsterte ich mit geschlossenen Augen.

"Ich werde es dir irgendwann erklären, okay? Ich hab nämlich so das Gefühl, dass du es jetzt nicht mehr..." Ich hörte nur den Anfang, weil ich schon im Land der Träume war.

 

 

 

So gut hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen, stellte ich fest, nachdem ich um halb acht von meinem Wecker geweckt wurde. Ich wollte weiter schlafen, als mir jemand ins Ohr brummte, „Angel, dein Wecker.“ Auf einen Schlag war ich hell wach. Was machte Aleksandr noch hier? Hier in meinem Zimmer. Müsste er nicht schon längst weg sein und sein Leben weiterleben? So als ob nichts passiert wäre? Ich war sowieso nur eine Herausforderung, die er bezwingen musste und das hatte er schlussendlich auch getan. Er hatte mich ins Bett bekommen. Früher als ich geahnt hatte.

„Was machst du noch hier?“, fragte ich so ruhig wie möglich obwohl in meinem Inneren die Hölle los war. Es verlief nicht nach Plan. Er sollte doch am Morgen nicht mehr hier sein! Ein One-Night-Stand wacht am nächsten Morgen nicht mit dir zusammen auf. Meine Gefühle waren gespalten. Einerseits freute es mich, dass er noch hier war und bei mir sein wollte. Andererseits konnte ich das jetzt nicht gebrauchen und am liebsten hätte ich mich in eine panische Furie verwandelt.

„Wo soll ich denn sonst sein?“, fragte er und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, nachdem er seinen Oberkörper an mein Bettgestell gelehnt hatte.

„Ich weiß nicht? Bei dir zu Hause vielleicht?“

„Wieso?“

„Weil man das doch normaler weiße so macht!“

„Was denn?“

„Man verschwindet!“

„Wieso sollte ich verschwinden?“

„Weil das nur ein One-Night-Stand war, deshalb!“

Er setzte sich auf und sah mir tief in die Augen. „Oh nein, meine Schöne“, sagte er und schüttelte den Kopf. "Wir wissen beide, dass das mehr als nur ein One-Night-Stand war. Hast du gestern nicht gehört was ich gesagt habe? Gut, dann sage ich es gerne noch einmal. DU gehörst MIR. Nur mir alleine. Keiner wird dich mehr so anfassen wie ich es getan habe und tun werde.“

„Geht’s um die Entjungferungssache?“

„Hölle, nein! Ich habe dir gestern bevor du eingeschlafen bist etwas gesagt.“

„Das war Russisch und ich kann kein Russisch“, erinnerte ich ihn.

„Und aus diesem Grund werde ich es dir jetzt übersetzten. Ich habe gesagt, dass du mir den Kopf verdreht hast und das habe ich so gemeint. Du bist mir unter die Haut gegangen. Vom ersten Moment an als ich in diese wunderschönen Saphirblauen Augen gesehen habe“, er legte mir eine Hand auf die Wange und sah mich mit einem zärtlichen Blick an.

„Es geht nicht.“

„Wieso?“, fragte er ruhig, obwohl ich in seinen Augen sah, dass er mich am liebsten gepackt und geschüttelt hätte, bis es in meinen Kopf ging.

„Weil es nicht geht.“

„Verdammt, Elena! Ich werde dich nicht eher gehen lassen, bis du mir sagst, wieso du nicht mit mir zusammen sein kannst.“

„Es geht einfach nicht! Wieso verstehst du das denn nicht?“

„Weil ich es nicht verstehen will. Ich will einen vernünftigen Grund hören, wieso ich nicht mit der Frau zusammen sein kann in die ich mich verliebt habe.“ Ich schnappte nach Luft und hielt mich an  meinen Haaren fest.

„Verdammt, nein, nein, nein, nein, nein! Das war nicht der Plan“, sagte ich und schüttelte den Kopf.

„Schatz, was war nicht der Plan?“

„Das. Das alles hier. Du und ich. Du hättest heute Morgen gar nicht mehr hier sein sollen, verstehst du?! Es. Geht. Nicht.“

„Willst du oder kannst du nicht mit mir zusammen sein?“

Ich senkte meinen Blick, denn ich wusste, wenn er mir in die Augen gesehen hätte, dann hätte er seine Antwort ohne Worte erhalten. „Geht jetzt, bitte“, flüsterte ich.

„Ich werde gehen, aber nicht, weil das hier vorbei ist, sondern, weil ich dir Zeit geben will. Aber du wirst sehen, dass wir zwei zusammen gehören und was auch immer es ist, von dem du denkst, dass es nicht geht, wir werden es überstehen. Aber zusammen. Ich werde dich nicht aufgeben, Elena“, sagte er und küsste mich auf den Kopf, bevor er seine Sachen in die Hand nahm und aus meinem Zimmer verschwand. Es tat jetzt schon so weh, obwohl wir noch nicht zusammen waren. Wir waren ja nicht einmal Freunde. Er sagte, dass er nicht aufgeben würde um mich zu kämpfen und ich war mir nicht sicher, ob ich dagegen ankämpfen wollte.

9 - College Partys und ihre Folgen

Von wegen er würde nicht aufhören, um mich zu kämpfen. Seit einer Woche hatte er sich nicht mehr gemeldet.

Eigentlich sollte ich froh sein, oder etwa nicht?

Es war alles so, wie ich es mir erhofft hatte. Aleksandr hatte mich in Ruhe gelassen. Wieso war ich dann so unglücklich?

Umgekehrte Psychologie, das musste es sein, denn alles andere konnte ich mir nicht erklären.

Wieso zur Hölle vermisste ich diesen lügenden, gutaussehenden, liebenswerten Mistkerl?

Weil ich schwach war. Er versprach all das, nachdem ich mich sehnte, obwohl ich es mir nicht richtig eingestehen wollte. Zusätzlich zu dem war ich so dumm gewesen und hatte ihm das wertvollste geschenkt, das ich hatte.

„Was ist denn mit dir los?“ Trents Frage riss mich aus meinen Gedanken.

„Nichts“, log ich.

„Wirklich? Okay. Hast du Lust heute Abend mit auf die Party von Alpha Zeta Tau mitzukommen?“

Vielleicht würde mich die Party dieser Studentenverbindung ablenken. Ja, heute Nach würde ich Spaß haben und nicht an Aleksandr denken.

„Ja, ich werde mitkommen.“

Mein bester Freund sah mich überrascht an. „Du kommst wirklich mit? Wow, eigentlich habe ich mit einem Nein oder einer Ausrede gerechnet. Ablenkung würde dir wohl wirklich gut tun, was?“

Er wusste ja gar nicht wie gut es mir tun würde. „Ich habe mir gedacht, dass ich vielleicht anfangen sollte das Collegeleben zu genießen, findest du nicht?“

„Ich denke, dass es nur eine Einmalige Sache sein wird. Das Collegeleben, so wie ich es kenne, ist nichts für dich. Diese Betrunkenen würde dir nach fünf Minuten auf die Nerven gehen.“

Höchstwahrscheinlich.

„Aber ich schlage dir etwas vor. Wenn du es schaffst bis zwölf dort zu bleiben, dann zahle ich dir die ganze nächste Woche das Mittagessen.“

„Hier? Danke, aber ich verzichte.“

„Okay, ich bringe dir die ganze Woche Frühstück mit. Frische Brötchen vom Bäcker.“

„Abgemacht.“

„Aber wenn du es nicht schaffst, dann muss du mir Frühstück mitbringen, deal?“

„Deal.“ Wie schwer konnte es sein bis Zwölf auf einer Party zu bleiben. Heutzutage kamen doch die meisten sowieso erst um zwölf, weil da der Spaß erst losging. Oder etwa nicht?

„Ich kann die Brötchen förmlich riechen“, grinste Trent. „Und vergiss nicht, ich steh‘ auf diese Croissants mit Schokofüllung.“

 

 

Seufzend saß ich auf dem Bettrand und betrachtete die Schuhspitzen meiner schwarzen Stiefel. Ich hatte mich für eine einfache Jeans, ein rotes, langärmliges Shirt und meine schwarze Winterjacke entschieden. Meine Haare trug ich ausnahmsweise offen und meine Wimpern hatte ich mit schwarzem Mascara eingefärbt.

Trent hatte vorgeschlagen mich mitzunehmen und danach wieder gemeinsam nachhause zu fahren. Und ich hatte zugestimmt.

Jetzt wartete ich auf ihn und versuchte in meinem Kopf abzuwägen, ob ich heute wirklich mit zu dieser Party sollte.

Nein. Ich würde das heute machen. Immerhin hatte ich noch eine Wette zu gewinnen und wenn ich nicht mitgehen würde, dann würde ich nur Zuhause sitzen und Trübsal blasen, weil Aleksandr sich nicht meldete.

Mein Handy klingelte und Trents Name erschien auf meinem Display. „Bist du schon da?“

„Ja, kommst du runter oder hast du es dir anders überlegt?“

„Ich bin in einer Minute da.“

Tief einatmend schnappte ich mir meine Wohnungsschlüssel und mein Handy. Eine Handtasche würde ich nicht mitnehmen, da ich wusste, dass ich diese ohne Grund mitnehmen würde uns sie danach überallhin schleppen müsste.

 

„Wenn du wieder nachhause gehen willst, dann sag‘ es mir einfach. Vergiss die Wette, ich weiß, dass du dich nicht wohl fühlst in großen Menschenmassen. Und ich will nicht lügen, die werden alle betrunken sein.“

„Die Wette steht noch und du solltest mich nicht so unterschätzen“, offenbarte ich.

„Ich werde es mir merken“, grinste er.

 

Rote Plastikbecher zierten den Rasen vor dem Haus, in dem die Musik so laut spielte, dass der Boden vibrierte. Ich durchschnitt den Garten, in dem schon ein betrunkener Student lag, so schnell ich konnte.

Es war erst zehn Uhr, wieso waren denn schon so viele betrunken?

Ich wusste eindeutig zu wenig über das echte Collegeleben.

„Und? Bist du dir immer noch sicher, dass die Wette steht?“, wollte Trent wissen, als wir durch die Tür traten. Es war laut, das stand schon einmal fest.

„Wir besorgen uns zuerst einmal etwas zum Trinken, okay?“ Nickend folgte ich ihm in die Küche, in der sich nur ein paar Studenten tummelten und die Musik, dank der geschlossenen Tür, nicht so laut war, wie im Rest des Hauses.

„Mit oder ohne Alkohol?“ Trent sah mich abwartend an.

„Ohne, ich will mein erstes, richtiges Collegeerlebnis nüchtern miterleben und mich am nächsten Morgen erinnern können, um abzuwägen, ob ich es noch mal wagen werde oder nicht.“

„Verstehe. Eine Zitronensoda?“

„Wie wäre es mit Kirschsaft?“, entgegnete ich.

„Davon müssten die Jungs eigentlich etwas hier haben.“

„Kennst du die Jungs, die hier wohnen?“

„Nicht wirklich.“ Trent kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Einer von ihnen ist im selben Mathematikkurs und ein anderer geht in den gleichen Fitnessklub wie ich.“

So war das wohl auf College Partys, niemand kannte den Gastgeber persönlich, bis auf eine Handvoll Leute. Ob Aleksandr wohl schon auf vielen solcher Partys war?

„Trent, ich hab’s mir anders überlegt. Gib noch einen richtig kräftigen Schuss Wodka zum Kirschsaft.“ Dann würde ich mein erstes Collegeerlebnis eben nicht nüchtern mitbekommen. Solange meine Gedanken nicht mehr um ihn kreisten war alles in Ordnung.

„Kommt sofort.“

 

 

Es war kurz vor zwölf, so viel war mir bewusst. Was mir jedoch weniger bewusst war weshalb ich in diesem menschenleeren Gang stand.

Wollte ich auf die Toilette? Vielleicht hatte ich einen Balkon gesucht? Aber wofür?

Ich wusste es nicht mehr. Inzwischen hatte ich schon mehr alkoholische Getränke intus, als ich im Moment zählen konnte.

In zehn Minuten könnte ich Trent beten mich nachhause zu fahren ohne die Wette zu verlieren. An einen bestimmten Jemand hatte ich in den letzten zwei Stunden auch nicht gedacht.

Ganz im Gegenteil, ich hatte mit ein paar Jungs getanzt, die mir manchmal zu sehr auf die Pelle rückten, sodass ich schlagartig die Flucht ergreifen musste.

Aber alles in allem war die Nacht ganz interessant gewesen. Ob ich es wiederholen würde war fragwürdig.

Eine gutgelaunte Stimme schreckte mich aus meinen Gedanken. „Wen haben wir denn da?“

„PJ?“, fragte ich überrascht. Ich konnte ihn nicht wirklich erkennen, denn wenn ich ehrlich war, dann hatte ich gerade zwei verschwommene Rotschöpfe vor mir stehen und ich konnte nicht sagen welcher echt war und welcher nicht. Fast zwei Wochen lang hatte niemand ihn niemand gesehen, noch etwas von ihm gehört. So viele Fragen auf einmal schwirrten durch meinen Kopf, doch ich war gerade nicht in der Lage auch nur eine richtig zu stellen.

„Ja, der einzig wahre“, grinste er. „Was tust du hier so ganz alleine?“

Ich schüttelte meinen Kopf so fest, dass mir meine Haare ins Gesicht peitschten. „Weiß ich nicht mehr, aber jetzt gehe ich mit Trent nachhause“, lallte ich.

„Ich helfe dir beim Suchen.“

„Nein, nein! Ich schaffe das allein.“ Zwar war ich auf wackligen Beinen unterwegs, doch lieber würde ich nach unten kriechen, bevor ich jemals wieder PJ folgen würde.

„So siehst du mir aber nicht aus. Komm schon.“ Erst als er näher kam entdeckte ich den ausbleichenden blauen Fleck, der sein linkes Auge umrandete.

„Nein, PJ, ich will deine Hilfe nicht.“

„Du kommst jetzt mit, verdammt noch mal!“ Seine Stimme klang nicht mehr so sanft wie gerade eben. Er klang jetzt wütend. „Du bist schuld daran, dass Blake mich verprügelt hat. Jetzt kommst du mit, um dich bei ihm zu entschuldigen und ihm zu sagen, dass ich nicht schuld daran bin, dass du so viel Geld gewonnen hast.“

Seine Hand lag plötzlich über meinem Mund und er zog mich mit sich mit. Er hatte entweder viel mehr Kraft, als man ihm zumutete, oder ich war schon so berauscht, dass ich mich nicht mehr wehren konnte. Wahrscheinlich ein kleines Bisschen von beidem.

„Halt die Klappe, Elena“, zischte er in mein Ohr. Meine gedämpften Schreie wurde immer lauter und meine Panik immer größer.

Wäre ich doch einfach Zuhause geblieben.

FORTSETZUNG FOLGT...

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Tag der Veröffentlichung: 04.05.2014

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