Cover

Schmetterlingseffekt

Artem Zolotarov

Schmetterlingseffekt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich danke allen, die mir bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben.

Danke Claire, Sebastian, Martina.Das Coverbild wurde mir freundlicherweise von Martin Bühler zur Benutzung freigegeben.

Hier ist seine Seite: http://autor-martin-buehler.de/

 

Titelschrift und Coverbearbeitung: Caro Sodar

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist im Rahmen meines Projektes "Schmetterlingseffekt" entstanden und soll dabei helfen, Spenden für Kriegsopfer in Palästina zu sammeln.

Nähere Informationen und Spendemöglichkeiten:

 

https://www.betterplace.org/de/fundraising-events/schmetterlingseffekt

 

Zu Beginn der letzten Eskalation im Gazakonflikts habe ich mich entschlossen, etwas zu unternehmen. Die Bilder, die ich im Internet und im TV sah, ließen mich nicht mehr los. Hinzu kamen die antisemitischen Ausschreitungen in Europa und Deutschland. Der Krieg in der Ukraine schloss den Kreis.Darüber habe ich geschrieben. Über all das, was ich sah und fühlte, was mein Verstand mir sagte und mein Herz beschäftigte. Die Absicht war einfach: ich wollte all das Schlechte, was ich sah und wahrnahm in etwas Gutes verwandeln. Aber da Gedichte und Texte, praktisch gesehen, wenig Gutes bewirken können, überlegte ich mir, Spenden zu sammeln. Der gesamte Erlös aus dem Buchverkauf soll an die Kriegsopfer in Gaza gehen. Das Buch hat keinen festen Preis; es ist kostenlos für jeden, der es lesen will. So kann sich jeder ohne Kaufzwang eine Meinung darüber bilden, ob es ihm wert ist, dafür Geld auszugeben. Und es ist auch egal, ob es Spenden wegen des Buches oder wegen der Kriegsopfer gibt – das Ergebnis zählt.Der gesamte Erlös kommt dieser Organisation zugute: https://www.betterplace.org/de/projects/20993-nothilfe-gaza-nahostLest euch bitte genau durch, was sie machen. Für mich scheint es eine sehr gute und unterstützungswerte Sache zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wehrlos

 

Kein Blut fließt meine Wangen herunter,

kein Schlag trifft meinen Schädel.

Keine Rakete zerstört mein Heim,

keine Sirenen heulen um mein Leben.

In meinem Land ist kein Krieg.

Er ist in mir.

 

Er ist in mir, wenn ich die Kinder sehe,

die Mütter und die Männer,

die Opfer und die Schuldigen,

die zwecklosen Proteste.

Das alles geschieht um mich und in mir

ist Krieg.

Es ist Krieg, weil Frieden keinen Gewinn mehr bringt.

Es ist Krieg, weil Reden und Bitten ohne Gehör blieben.

Es ist Krieg, weil Krieg wirkt.

Weil er primitiv und wirksam argumentiert.

Weil er die Wehrlosen nicht fragt.

 

Wehrlose, die sterben und Wehrlose, die töten.

Wehrlose, die zusehen und hoffen,

ihre Wehrlosigkeit möge nicht auffallen.

 

 

Schmetterlingseffekt

 

Ein paar Gedichte für hundert Euro.

Ein paar Seiten für tausend Leben.

Ein paar Worte für Millionen Stumme.

Ein paar Gedanken für unendliche Inspiration

 

zu Taten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eines Morgens

 

Eines Morgens wach ich auf

und dieser Krieg ist dann vorbei.

Ich hör ein erstes Vogelzwitschern

und keinen letzten Kinderschrei.

 

Ich werde meine Augen schließen

und wissen, dass die Sonne scheint.

Dass Frieden ist für viele Jahre

und keine Mutter wieder weint.

 

Ich weiß, sie werden weiter streiten,

doch keine Meinung fordert Blut.

Diplomatie ersetzt Raketen,

Vernunft regiert statt Neid und Wut.

 

Mit meinen Brüdern werd ich leben

in einer Welt, die friedvoll bleibt.

In der die Liebe unsern Kindern

mehr wiegt als Fremdenhass dem Feind.

 

 

 

 

 

Weil Gnade Schwäche wäre

 

Sie verstecken sich

hinter Kinderrücken,

spucken große Töne

von Weltherrschaft und Tod dem Feind.

In Schulen und Krankenhäusern

bunkern sie feige Ideologien –

der Tod ist ihnen näher als das Leben.

Wissen sie, dass sie missbraucht werden,

wie sie Frauen und Kinder missbrauchen?

Ihre Taten werden auf der anderen Seite

benutzt.

Sie sind die Begründung,

sich im Schutz des Schutzes zu rächen,

aufgestaute Wut zu entladen

in unendlich scheinenden Raketenfolgen.

Ja, auch die anderen wollen Blut.

Sie hassen, weil sie gehasst werden,

sie töten, weil sie getötet werden,

sie schießen weiter, weil sie beschossen werden,

sie zeigen keine Gnade, weil Gnade Schwäche wäre.

Sie wissen, dass sie missbraucht werden,

wie sie Frauen und Kinder missbrauchen!

Sie wissen, dass die Welt auf sie schaut

und ihr Tun verurteilt.

Sie wissen, was sie tun und tun es weiter.

Weil Gnade Schwäche wäre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wo liegt sie begraben?

 

Komm sag mir, wo liegt sie begraben?

In welchem Tunnel, welchem Schützengraben?

Sie, die so viele sich auf Fahnen schrieben,

sie, die die Teufel lieben.

 

An welchem Grabe kann ich für die beten?

Und welchen Glauben würde sie vertreten?

Was war ihr Sterben wert? Wie viele Scheine?

Waren es meine oder deine?

 

Und was wird nun, wer weist uns ihre Werte?

Wer steht noch ein für das, was sie uns lehrte?

Sie, die so viele sich zum Ziele fassten.

Sie, die die Teufel hassten.

 

Sie lässt uns stumm zurück mit vielen Fragen.

Bei ihr liegt die Gerechtigkeit begraben.

Doch ihre Stelle bleibt nicht lange leer, –

der Meinungskrieg mobilisiert sein Heer.

 

 

 

 

 

2+2

 

In Schwarz und Weiß die Fronten zeichnen,

solang die beiden Farben reichen.

Kontraste helfen zu verstehen,

wonach die großen Uhren gehen.

 

Der Klick ist Macht, bei Tag und Nacht,

nach seiner Herkunft überwacht.

Informativ und leicht zu schlucken

presst Wahrheit sich in fünf Minuten.

 

Wer hat noch Zeit und Geld zum Denken?

Wer wird noch weiße Fahnen schwenken?

In einer kalkulierten Welt

ist nur wer zahlt, auch der, der zählt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mehr Meinung

 

Schnell, sag etwas,

fühle etwas,

meine, meine,

du musst meinen.

Sag mir deine große Wahrheit,

die du sicher meinst zu kennen.

Für die deine Fackeln brennen.

 

So viel Zeit für so viel Leere,

diese Flut wird niemals enden,

Input, Input, Input … Input,

deine Meinung

braucht nur einen …

Daumen hoch.

 

Sintflut, Reinigung und Ende,

und aus flachen, glatten Schirmen

werden Berge aus Metallschrott,

und aus flachen, glatten Hirnen

werden Berge aus Organschrott,

und aus flachen, glatten Leben,

die sich meinen zu erheben,

werden keine Berge mehr.

 

Mit Wissen

 

Mit Mitwissen leben.

Was dein Auge einmal gesehen,

vergisst dein Herz nie.

Du kannst verdrängen

und betäuben,

relativieren

und kleinreden,

aber du weißt genau,

was du gesehen hast

und was es bedeutet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er kommt näher

 

Hass marschiert durch unsre Straßen,

Demokraten mit Plakaten

schwenken schmutzige Parolen

und die Massen klatschen mit.

 

Wut skandiert auf weißen Blättern:

„Wenn der Frieden Lösung wäre!“

Fehlt uns Zeit oder Verständnis,

oder einfach der Verstand?

 

Sei nicht leise, weil du Angst hast.

Mach Geschichte nicht zur Zukunft.

Es ist Krieg und er kommt näher,

näher, als er jemals war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es fällt mir schwer, noch den Verstand zu wahren

 

Es fällt mir schwer, noch den Verstand zu wahren,

wenn sie die schlimmsten Bilder offenbaren.

Sind sie nun echt oder gefälscht?

Wer ist es, der nun Recht behält?

 

Es fehlt mir schwer, noch den Verstand zu wahren,

wenn sie auf blutverschmierten Bahren

die Überreste von Gesichtern tragen.

Wer kann da noch bedächtig fragen?

 

Es quält mich schwer, noch den Verstand zu wahren,

mein Urteil objektiv im Klaren

darüber, dass es keine Wahrheit gibt,

weil sie zuerst im Krieg verstirbt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grenzerfahrung

 

Sein Land ist schön,

die Sonne scheint,

das Meer ist warm,

die Menschen freundlich.

Sein Herz ist weit und es verläuft sich

zwischen den hohen Palmenbäumen.

 

Er geht nach draußen,

sieht den Himmel

und Wolken fließen sorglos weiß.

Er atmet ein und atmet aus,

schließt seine Augen

und vergisst.

 

Vergisst,

dass hinter ihm die Grenze

aus Stacheldraht und Elend liegt.

Vergisst die Trümmer und Raketen,

und all die Mütter, die noch beten

in Worten, die er nicht mehr fühlt.

 

Er weiß nicht mehr,

was gestern war,

denn Krieg ist Krieg,

Befehl Befehl.

Dieser Moment ist ohne Fehl

und Tadel kann er sich nicht leisten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie wird das Wetter morgen sein?

 

Wie wird das Wetter morgen sein,

was machen die Gewitterwolken?

Ziehen sie ab und gibt es Sonnenschein

oder ergießen sich die Schauer, die sie grollten?

 

Wird Hagel unsre Straßen bombardieren?

Wird Blitz und Donner durch die Gassen hallen?

Und welcher Dreck wird plötzlich aufgestoben?

Welche Fassaden werden fallen?

 

Wo kommt die nächste Böe her

und welcher Fahne wird sie dienen?

Stellst du dich tapfer in den Wind?

Wie schwer wird deine Angst vorm Fliegen wiegen?

 

Wie wird das Wetter morgen sein?

Es wird dir keine App verraten.

Öffne dein Fenster, hör den Wind,

bei frischer Luft lässt es sich besser warten.

 

 

 

 

 

In Freiheit verbündet

 

Geh auf die Straße, schwenke weiße Fahnen,

halte die Hände offen, bis sie einer greift.

Zusammen kämpfen, friedlich gegen Mauern,

an deren Grundstein eine Blume reift.

 

Schütze die Blüte, pflege ihre Blätter.

Sie ist wie du – sie traute sich ans Licht.

Nur fehlt ihr leider eine feste Stimme.

Du hast sie! Doch sie hat sie nicht.

 

Sie ist wie du, noch etwas unentschlossen

und weiß nicht, was die Zukunft bringt.

Doch hinter kalten Ziegeln wollte sie nicht leben

und folgte dem, was ihr die Freiheit singt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schalt um!

 

Er ist weit weg und könnte dich nie treffen.

Vor deinem Haus ist alles besenrein.

Und all der Tod im Dreck nach den Raketen

geht dich nichts an – er ist nicht dein.

 

Er ist weit weg, du hörst keine Gewehre.

Dein Auto glänzt poliert vor deinem Haus.

Kein Panzer rollt darüber, keine Splitter

schlagen bei dir die Scheiben aus.

 

Er ist weit weg und du hast andre Sorgen.

Dein Bier wird warm, nippst du zu lang daran.

Schon wieder Kriege? Gibt es denn nichts Neues?

Du schaltest um und änderst das Programm.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Führe mich heim

 

FÜHRE MICH HEIM, dorthin, WO DIE KANONEN SCHWEIGEN.

ZEIG MIR DEN WEG, ich folge dir DORTHIN.

NIMM MEINE HAND, ICH GLAUBE EINE WEILE

UND FOLGE DIR, BEDINGUNGSLOS UND BLIND.

 

DU KENNST DEN WEG, DU BIST IHN SCHON GEGANGEN.

AUCH DU HAST EINMAL ANGST VERSPÜRT.

SAG MIR, WIE KANN MAN DIESEN MUT ERLANGEN?

WAS STÄRKT DIE FLAMME, DIE IN DEINEN AUGEN GLÜHT?

 

FÜHRE MICH HEIM, dorthin, WO DIE KANONEN SCHWEIGEN.

ZUSAMMEN RICHTEN WIR DIE HÄUSER AUF,

AN DEREN GRUNDSTEIN NOCH DIE MÜTTER WEINEN.

DORT SCHAUEN BÄUME BALD ZUR SONNE AUF.

 

WIE VIELE GRENZEN NEHMEN UNS DEN ATEM?

WIE VIELE TAGE DAUERT UNSER MARSCH?

WANN WERDEN ENDLICH BRÜDER AUS SOLDATEN?

WANN KLINGEN RUFE NICHT MEHR HERB UND HARSCH?

 

ES IST EIN LANGER WEG, BIS HIN ZUM FRIEDEN,

ich folge dir, ICH WEIß, DU FÜHRST MICH HIN.

FÜHRE MICH HEIM, ES IST NICHT VIEL GEBLIEBEN,

NACH DEM ES MEINEM HERZEN EHRLICH SINNT.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Denn Frieden kann

 

Denn Frieden

könnte …

sollte ...

muss die Lösung sein.

Allein das Wie ist noch die Frage.

Hätten wir nicht genug Verstand und Macht?

Und ist es nicht längst Zeit in dieser Lage?

 

Denn Frieden

könnte …

sollte ...

muss die Lösung sein.

Allein das Wie ist noch die Frage.

In Büchern steht es, wie es werden kann,

dort sind sie lang gelistet, all die Tage,

die Daten und Gesichter – sieh sie an!

Sie badeten im Blutbad ihrer Kinder.

Und herzlos trieb man sie voran,

Soldaten, ohne Gnade und nicht minder

berechnend zahlten sie dem Mann

im Umhang mit der Sense seinen Lohn aus.

 

Er blies mit Senfgas übers kahle Land

und lachte lauter als Kanonen knallten.

Er wartete nur 20 Jahre lang

und wieder kam die schwarze Kluft zum Tragen.

Doch diesmal tarnte er sich braun

und war erstaunt: sie stellten keine Fragen.

Du weißt es! Ja, genau, wie jeder hier.

Und keiner sollt es je vergessen,

zu welchem Preis der Frieden hier regiert

und wir aus vollen Tellern essen.

 

Denn Frieden

könnte …

sollte ...

muss die Lösung sein.

Allein das Wie ist noch die Frage.

 

Denn heute zittern wir allein

und morgen ist noch das, woran ich nicht zu denken wage.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Wahrheit hinter den Bildern

 

I

 

Glasige Augen,

Rechtfertigungen von oberster Stelle,

Erklärungen, Schuldzuweisungen,

Souveränität für ein ganzes Land.

Für ein ganzes Volk.

Politisch korrekt

Opferzahlen abrunden.

Mut zur moralischen Klarheit,

braucht man,

sagt er.

 

II

 

Müde Augen.

Wer weiß, wie lang schon wach,

wer weiß, was sie schon sehen

und übersehen mussten.

Dieselben Fragen,

dieselben Antworten

für die ganze Welt,

für die ganzen Wehrlosen,

wen's interessiert.

 

III

 

Geschlossene Augen.

Krawatte richten,

Handreichen.

Die Berater warten

mit der Wahrheit hinter den Bildern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn der Krieg kommt

 

Jede Rakete, die im Gazastreifen einschlägt,

kann ein Vorbote für Europa sein.

Der Krieg dort sieht doppelt so schlimm aus,

weil wir ihn mit dem Gedanken sehen,

dass genau dasselbe vor unserer Haustür,

in der Ukraine, passiert.

 

Wollen wir, dass er zu uns kommt?

Wenn man der Presse glaubt, unbedingt:

Stoppt Putin! titelt der Spiegel.

Jeden Tag erscheint ein grässlicheres Bild von Putin

bei diversen Internetnachrichtenportalen

und mit jedem Tag brennt sich das Abbild

des bösen, dämonischen, russischen Präsidenten

in den Kopf des Durchschnittbürgers ein.

 

Es ist alles Geschäft, der Krieg an vorderster Front.

Jede Rakete, die gebaut und gekauft wird,

will irgendwo einschlagen und Leben nehmen.

Jede Drohne, die ferngesteuert ihr Geschäft verrichtet,

entmenschlicht den Tod, lässt ihn einfacher wirken.

Wie ein Spiel.

Aber nur für den am Steuerknüppel.

Der Getroffene stirbt nicht minder qualvoll.

 

Wir sehen mehr,

als Bilder zeigen.

Wir wissen mehr,

als Nachrichten berichten.

Wir können mehr,

als wir gerade tun.

Allein die Frage bleibt:

Was nun?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Krim 2014

 

Oben winken rote Fahnen,

Diplomaten rüsten sich.

Friedensboten nennen Namen,

rücken die ins rechte Licht,

 

die bezahlen, die befehlen,

die im Schatten operier'n –

ohne Handschuh, ohne Kittel

Dreck in off'ne Wunden schmiern.

 

Danach gier'n, das Blut zu häufen –

schwarzes, heißes Erdenblut.

Es in leere Tanks zu tropfen

mit profitperfider Wut.

 

Friede all den freien Hütten,

informiert per Fressgutschein.

Zwei für einen und dazu noch

gratis ungetrübten Wein.

 

Saufen, fressen und dazwischen

Atempausen schimpfend fülln.

Blinde, die im lichten Wissen,

was vom Hörensagen brülln.

 

Heißes Blut fließt über Konten,

Bomben schlafen griffbereit.

Funken sprühen – einer reicht schon,

und die Hölle ist nicht weit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schussbereit

 

Kein Beten hilft gegen Raketen.

Kein Hoffnungsschild schützt sie im Kampf.

Es ist ein Krieg – es ist nicht ihr Krieg.

Sie leben nur im falschen Land.

 

Auf beiden Seiten starke Männer,

die „wahre Werte“ propagiern.

Die einen töten demokratisch,

bis jede Gegenstimme stirbt.

 

Die andren sind so unterlegen,

dass sie im feigen Tun fungiern.

Sich hinter Kinderleiber stellen.

Von dort Geschosse navigiern.

 

Und was wir sehn, sind Schreckensbilder,

die immer wilder Augen fülln.

Vereinzelt bilden sich noch Tränen

und oft nur Wut – ein hohles Brülln.

 

Dann gehn Parolen durch die Straßen,

sie hassen, lassen Sterne brenn'n.

Und das Gespenst vergangner Tage

liegt schwarzrotgolden voll im Trend.

 

Ich sehe das, doch bin mir sicher,

dass die Vernunft noch siegen kann.

Die Mehrheit sieht hinter die Bilder

und handelt wissend mit Verstand.

 

Dass man den Umstand jedes Krieges

als freier Mensch bemängeln darf,

ist gutes Recht von jedem Bürger –

und dazu gibt es viel Bedarf.

 

Doch wenn Kritik nicht mehr im Blick hat,

was sie denn kritisch hinterfragt.

Dann ist Kritik an ihr berechtigt,

was mein Gedicht auch letztlich sagt.

 

Wir sind im Krieg der Meinungsmachern.

Information ist ihr Gewehr.

Und jeder schießt mit seiner Wahrheit. –

Sie gibt’s nie ganz, nur ungefähr.

 

 

 

 

 

 

 Zu viele Apps

 

Wen dieser Krieg nichts angeht, hat entweder kein Herz oder zu viele Apps.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie oft?

 

Wie oft trifft man ein taubes Ohr

und einen Mund, der überfüllt,

allein den Drang nach reden fühlt?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und du, du hast es uns gesagt,

gewarnt im Auge der Gefahr,

dass diese Stille gläsern war.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Doch jeder tat es lächelnd ab,

der letzte Tropfen fiel ins Glas,

die weiße Taube biss ins Gras.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und du zogst schweigend an die Front,

nahmst deine Waffe in die Hand,

vereint für ein verkauftes Land.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft hast du zum Himmel rauf

im Schützengraben hin geschaut?

Hast du da noch auf Gott vertraut?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und hat er dein Gebet erhört,

oder wie wir nicht hingehört?

Wir haben ihn so oft gestört.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft fiel neben dir ein Freund,

noch nicht mal zwanzig Sommer alt?

Nun ist sein Leib für immer kalt.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und sag mir, hast du je geliebt?

War deinem Herz ein andres treu?

Wie oft berührte dich ganz scheu

ihr Kuss? Wie oft, wie oft?

 

Hast du geplant für Haus und Kind

oder warst du ein Vagabund,

mit Vers und Lied am losen Mund?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft trifft man ein taubes Ohr

und einen Mund, der überfüllt,

allein den Drang nach reden fühlt?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und du, du hast es uns gesagt,

gewarnt im Auge der Gefahr,

dass diese Stille gläsern war.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Doch jeder tat es lächelnd ab,

der letzte Tropfen fiel ins Glas,

die weiße Taube biss ins Gras.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft hast du allein geweint

oder den Tod herbeigesehnt?7

Wie oft hat dich die Angst gelenkt?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und war dein Ende ohne Schmerz?

Traf dich die Kugel kalt ins Herz

oder hat sie dich halb zerfetzt?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Hast du gelitten und geschrien

nach deiner Mutter bis zum Schluss?

Und hat sie je davon gewusst?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Verzeih, wir konnten nichts mehr tun.

Dein Opfer soll uns Beispiel sein.

Nichts wäscht die Schande wieder rein.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft sind wir noch blind und taub?

Der Rücken schaut zum Tellerrand

in einem angsterfüllten Land.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und wie oft singen wir dein Lied –

von einem, den es nicht mehr gibt?

Von dem nur noch ein Grabstein blieb?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Wie oft trifft man ein tauben Ohr

und einen Mund, der überfüllt,

allein den Drang nach reden fühlt?

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Und du, du hast es uns gesagt,

gewarnt im Auge der Gefahr,

dass diese Stille gläsern war.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

Doch jeder tat es lächelnd ab,

der letzte Tropfen fiel ins Glas,

die weiße Taube biss ins Gras.

Wie oft, wie oft, wie oft?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meinung bildet

 

Heute las ich bei Facebook, dass unser Land im Unrecht sei. Dort stand, dass wir Verbrecher seien und Unschuldige töten. Dort waren Videos, in denen Menschen weinten und schrien, Männer hielten Kinderleichen hoch und wutentbrannte Reden schallten zwischen zerstörten Häusern. Leichenberge häuften sich zwischen Trümmern und ständig schlugen neue Raketen ein. Schwarzer Rauch stieg in den blauen Himmel auf und am Bildschirmrand standen Namen. Dann wurde Barak Obama eingeblendet, dann Netanjahu. Beide lachten und schienen sich über den Tod und die Zerstörung zu freuen. Ich ging zu meinem Vater und fragte ihn, ob es stimmen würde, was dieses Video zeigte. Er legte seine Zeitung zur Seite und sagte: „Alles Propaganda, mein Sohn. Sie nehmen alte Kriegsbilder und montieren alles so, dass es echt aussieht. Unser Land verteidigt sich nur und das ist unser gutes Recht. Unsere Soldaten kämpfen für deine Zukunft, damit du in einem friedlichen Land leben kannst. Wir müssen uns verteidigen, damit die Terroristen nicht mehr jeden Tag Tausende von Raketen auf uns feuern. Wir haben lang genug zugesehen und eine Eskalation gescheut. Es ist nur natürlich, dass wir uns jetzt wehren.“

Da mein Vater mich noch nie angelogen hatte und ich seinen Worten vertraute, fragte ich nicht weiter nach. Der Fall war für mich erledigt.

Am nächsten Tag in der Schule schlug unser Lehrer das Thema an. Er sagte: „Ihr bekommt bestimmt mit, was gerade in Gaza passiert. Sicher wisst ihr auch, dass der größte Teil unseres Volkes diesen Krieg befürwortet. Ich will nicht, dass ihr hirnlos dem glaubt, was unsere Regierung sagt. Wir leben in einer Demokratie und hier darf jeder seine Meinung äußern. Ich habe keine Angst zu sagen, dass dieser Krieg falsch ist. Ihr könnt es ruhig euren Eltern und Freunden sagen. Ich bin gegen diesen Krieg. Als normaler Mensch, der das Fühlen und Denken noch nicht verlernt hat, urteile ich nach dem, was ich sehe und was tatsächlich geschieht. Ich will euch sagen, dass wir Zeugen eines schlimmen Verbrechens sind und die Welt wird es uns nicht vergeben. Dies hier ist kein Verteidigungskrieg sondern ein offenes Abschlachten von Frauen und Kindern, die wehrlos sind, die keine Fluchtmöglichkeit haben und jeden Tag darauf warten, dass eine Rakete ihr Heim und Leben nimmt. Ich will, dass ihr versteht, dass es falsch ist, Menschen zu töten und dass kein Grund dafür als Entschuldigung gelten kann.“

Mein Lehrer war ein kluger Mann. Von ihm hatte ich viele wichtige Dinge gelernt und ich sah keinen Grund darin, ihm nicht zu glauben.

Aber wie konnte es sein, dass er etwas ganz anderes als mein Vater sagte?

Diese Frage beschäftigte mich den ganzen Tag. Als ich nach Hause kam ,legte ich mich ins Bett und dachte darüber nach. Doch mir fiel keine Lösung für diesen Konflikt ein. Am Abend ging ich in den Garten und fragte meinen Großvater, der unter einem Baum saß und ein dickes Buch las.

„Mein Junge, dein Vater und dein Lehrer haben auf ihre Weise beide Recht und Unrecht. Es sind ihre Meinungen, von denen sie überzeugt sind. Dein Vater ist politisch interessiert, er liest täglich die Zeitung und bildet sich so seine Meinung. Dein Lehrer ist ein kluger Mann, er weiß viele Dinge und hat eine offenere Sicht auf die Dinge. Aber keiner von beiden kann die einzig wahre Wahrheit sagen, weil es so etwas nicht gibt. Es gibt kein Schwarz oder Weiß, das Leben ist nicht so einfach wie ein Schachspiel, mein Junge. Was du machen kannst, ist möglichst viele Seiten anzuhören, um abzuwägen, welche der Wahrheiten dir richtiger erscheint. Dazu brauchst du Zeit und einen klaren, unvoreingenommenen Kopf. Dann kannst du dir eine Meinung bilden. Dies ist dann deine Wahrheit. Aber pass auf, deine Wahrheit muss nicht für andere richtig sein. Bitte mache nicht den Fehler und versuche sie jemandem aufzuzwingen.“ Wie seine Meinung über die aktuellen Ereignisse ist, wollte ich wissen.

„Mein Junge, ich könnte dir eine sehr lange und unschöne Geschichte voller Unrecht, Leid und falschen Schuldzuweisungen erzählen, aber das will ich nicht, weil es nichts bringen würde. Ich bin ein alter Mann, der sein Land genauso liebt, wie jedes Menschenleben. Wir beide sind in einem Alter, in dem wir es uns leisten können, keine Meinung haben zu müssen. Nutzen wir diese goldenen Jahre.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Artem Zolotarov
Bildmaterialien: Martin Bühler
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2014

Alle Rechte vorbehalten

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