Cover

Grünes Gold

Malcom Brady

 

 

GRÜNES GOLD

 

 

Ein spannender Roman von der Suche nach Smaragden

in Kolumbien

 

 

 

 

 

I M P R E S S U M

 

 

Malcom Brady, Grünes Gold © 2017

 

Autor: Malcom Brady, malcolm.brady@yahoo.com

Buchcover, Illustration: Malcom Brady

ISBN:

 

 

 

Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.

 

 

Wenn sich der Berg öffnet und eine Flut aus Schlamm und Geröll die Baracken niederwalzt, ist Feiertag bei den Smaragdsuchern. Männer, Frauen und Kinder rangeln um einen Platz im Dreck, den die Mine ausspeit. Einige Menschen kommen im Schlackestrom um. Sie bleiben dort liegen, wo sie erstickt sind, denn um Tote kümmert sich hier niemand. Zumeist sind die Steine wertlos. Aber manchmal funkelt es grün zwischen dem Quarz, dann hat sich die Mühe gelohnt. Zwei, drei kleine Smaragde können einer Familie das Auskommen für Monate sichern. Etwa 30 000 Smaragdsucher schürfen in Muzo Tag und Nacht nach dem grünen Gold. Glücksritter und Abenteurer aus ganz Kolumbien strömen zur Bretterstadt in der Provinz Boyaca, rund 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogota. Auch der Reiseschriftsteller Claudio Guerrero sucht nach Smaragden, nachdem er während einer Kreuzfahrt eine geheimnisvolle Nachricht bekommen hat. Er findet sie, allerdings weit ab von den großen Minen und gerät damit in die Fänge der mächtigen Smaragdbarone, die versuchen, ihm seinen Fund streitig zu machen.

Prolog

 

„Haben Sie nicht gesagt, dass sei Ihr erster Flug nach Südamerika?“, fragte der Flugbegleiter neugierig.

„Mein erster nach Kolumbien“, entgegnete der Mann trocken.

„Und da haben Sie gleich bei Coexminas de Muzo für zwei Jahre unterschrieben?“

„Sicher, warum denn nicht?“

„Na, dann viel Vergnügen, ich hoffe Sie lieben den Urwald!“

„Ach, ich habe eigentlich nichts gegen üppige Vegetation, besonders wenn sie voller Smaragde ist.“

„Und im Grunde genommen geht es ja auch ganz leicht, nicht wahr, stimmte ihm der Flugbegleiter zu. „Wenn sich der Schlund am Berg geöffnet hat, muss man nur die Flut aus Schlamm und Geröll absuchen, und dann liegen sie vor einem - Felsstücke voller grüner Edelsteine. Leider hat nur die Minengesellschaft etwas dagegen, wenn man sie auf eigene Rechnung einsammeln will. Und kommen Sie bloß nicht auf die schlaue Idee sich etwas zurückzulegen, für den Tag, an dem Ihr Vertrag ausläuft. Da war mal einer, der hatte zwanzig Steine geschluckt, damit musste er durch die Röntgenkontrolle. Sie gaben ihm eine Tasse Rizinusöl zu trinken und bekamen prompt ihre Smaragde wieder. Sehen Sie mal nach unten! Dort liegt der Río Minero und das Bergwerk von Quípama, die größte Smaragdgrube des Landes. Es gehört alles der Minengesellschaft und hoch über ihr haben Glücksritter und Abenteurer aus ganz Kolumbien die Bretterstadt Muzo errichtet. Mehrere tausend Smaragdsucher schürfen hier Tag und Nacht, rund zweihundert Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogotá, nach dem grünen Gold.“

Der Mann, der gleichzeitig der einzige Fluggast war, erhob sich, blickte aus dem ovalen Kabinenfenster und meinte: „Sieht wirklich nicht sehr einladend aus, die Gegend da unter uns.“

„So? Und ich dachte, Sie lieben den Urwald, denn davon gibt es hier nun wirklich genug. Tausend Meilen im Norden und Tausend Meilen im Süden! Übrigens, wir überfliegen gerade ein Sperrgebiet der Minengesellschaft. Coexminas de Muzo überwacht den gesamten Flugverkehr über ihren Minen mit Radar-anlagen. Wir sind bereits angefunkt worden, haben aber Landeerlaubnis bekommen. Sie schnallen sich am besten an. Wir machen noch eine kurze Zwischenlandung.“

Die alte DC 3 einer kolumbianischen Chartergesellschaft senkte sich langsam tiefer. Ihre Räder berührten den Boden und verursachten zunächst eine leichte Erschütterung. Dann landete sie auf einer versteckten, dreckigen Piste, inmitten wild wuchernder Vegetation. Grell orange leuchtende Fässer voller Kraft- und Schmierstoffe, sowie technisches Gerät wurden eilig ausgeladen und von einem Vorarbeiter kontrolliert.

„Diego, bring das bitte in den Schuppen“, sagte David zu einem seiner Arbeiter, während die DC 3 bereits wieder auf das staubige Flugfeld rollte. Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, öffnete er eines der auffälligen Fässer und langte in die schwarz-braune Brühe hinein. Dann fischte er darin, bis er gefunden hatte, was er suchte. Eine in Plastikfolie verschweißte Metallkapsel mit einem Minisender kam zum Vorschein. Vorsichtig blickte sich David nach allen Seiten um und trocknete sich die Hände an einem dreckigen Stofflappen ab. Nun öffnete er vorsichtig die Metallkapsel und schüttete

deren Inhalt über einer sauberen Serviette aus. Stein für Stein nahm er die Smaragde prüfend in seine Hände und hielt sie gegen das Licht. Auf den ersten Blick waren keine Einschlüsse zu erkennen. Die Steine waren von bester Qualität und fast lupenrein. Vorsichtig packte er sie wieder in den kleinen Behälter und legte diesen zusammen mit dem Peilsender, einem Ballon und einer Propangasflasche in seinen Geländewagen. Er wartete die Dunkelheit ab, ehe er sein Fahrzeug über unbefestigte Sandwege in Richtung Quibdó, der Hauptstadt des Chocó Departments, steuerte. Dort ging es weiter. Eine kurvenreiche Strecke, die schmal war und so selten befahren wurde, dass sie an manchen Stellen fast zugewachsen war, führte ihn durch dichteste Vegetation, bis endlich der Küstenstreifen in Sichtweite kam. Immer, wenn die Palmen weniger dicht standen und der Himmel sichtbar wurde, verlangsamte er die Fahrt, um nach eventuellen Verfolgern Ausschau zu halten, obwohl das eigentlich vollkommen unnötig war.

Aber sicher ist sicher, fand David und zögerte noch einen kleinen Moment, bevor er endgültig zu dem feinen Sandstrand, der wie meistens völlig menschenleer war, hinunter fuhr.

Chocó galt als eine der gefährlichsten und am wenigsten besiedelten Gegenden ganz Kolumbiens, doch bisher war alles prima gelaufen. Ihm blieb jetzt sogar noch die kurze Zeitspanne, die er als Puffer eingeplant hatte. Genüsslich entnahm er seiner Kühltasche zwei Flaschen Bier und zündete sich dazu einen Zigarillo an. Dann starrte er in den vollen Sternenhimmel und wartete. Als der Zeiger seiner Armbanduhr auf Ein Uhr nachts sprang, füllte er den mitgebrachten Ballon mit Propangas, brachte den Peilsender an und hakte den kleinen Behälter mit der wertvollen Fracht in die dafür extra angefertigte Vorrichtung. Danach wartete er noch fünf Minuten, trank sein Bier aus und ließ den Ballon in die Luft steigen. Noch beim Einsteigen in seinen Geländewagen vernahm er das piepende Signal des Senders, das sich jedoch rasch von ihm entfernte. Er hatte seine Arbeit getan und konnte nun getrost seine Rückfahrt antreten. Diesmal würden seine Auftraggeber mit ihm besonders zufrieden sein.

 

 

 

Kapitel 1

 

Sie hatten sich die Zeit mit Hochseefischen vertrieben. Luz Dary und Victor waren mit einer gemieteten Motorjacht bereits frühzeitig aufs Meer hinaus gefahren. Bloß nicht auffallen, lautete ihre Devise.

Mehrere Stunden hatte die junge Dame bereits mit der großen Angelrute an der Reling gestanden und ab und zu sogar einen Fisch aus dem Meer gezogen. Jetzt hatte sie einen größeren Köder verwendet und die Angelrute fest in der dafür vorgesehenen Halterung justiert. Victor, der sie beobachtete, wunderte sich über ihren Elan. Als er ihr einen Zuckerrohrschnaps hinaus bringen wollte, bemerkte er, wie sich die Angelrute krümmte und etwas heftig an der Schnur zappelte.

„Da hast du aber einen Riesen an der Angel! Komm, ich helfe dir, aber schnall dich besser

hier am Sitz fest. Man kann nie wissen. Solch ein Bursche kann eine unglaubliche Kraft entwickeln.“

Im Hintergrund sahen sie, wie sich der kräftige Leib eines Schwertfisches aus dem Wasser erhob und dann wieder untertauchte. Der Fisch war wütend.

Gemeinsam zogen sie die Angelrute zurück, dann gaben sie wieder nach und wiederholten kurz darauf die gleiche Prozedur.

„Wir beide gegen einen einzelnen Fisch ist doch nicht ganz fair, oder?“, meinte Luz Dary scherzend und zog abermals die Angelrute nach hinten.

„Der ist aber zu groß für dich alleine“, meinte ihr Begleiter angriffslustig.

„Das wollen wir doch erst einmal sehen!“

Der riesige Fisch drehte und wendete sich in den aufschäumenden Wellen, kam aber langsam näher.

„Ich glaube, jetzt hat er sich losgerissen“, sagte Victor und justierte die Rute aufs Neue. Er konnte keinen Widerstand mehr spüren.

„Das ist jammerschade“, fügte er hinzu. „War wirklich ein prächtiger Kerl.“

„Irgendwie bin ich direkt froh darüber“, antwortete sie nachdenklich.

Kurz vor der verabredeten Uhrzeit stellte sie an Bord der Motorjacht das Empfangsgerät ein und versuchte den Sender des Ballons zu orten.

„Ich höre weiter nichts als dieses grauenhafte Pfeifen“, flüsterte Luz Dary leise zu ihrem Begleiter, während sie so gut sie konnte das offene Meer beobachtete. Plötzlich ertönte ein leises Piepen aus ihrem Empfänger, das zunehmend stärker wurde.

„Augenblick, ich glaube, ich habe jetzt dieRichtung“, sagte sie und drehte mittlerweile an den diversen Knöpfen des Empfangsgerätes. „143 Grad“, denke ich.

„Hast du ihn schon angepeilt?“, fragte Victor während er versuchte das Boot entsprechend

beizudrehen.

„Jip! Geh auf zehn Grad Nord, Nordost“, kam es unverzüglich aus ihrer Richtung.

Dem folgte: „Zwei-zwei–zwei-drei, Entfernung noch etwa vier Meilen.“

Der Piepton wurde immer lauter und schneller.

„So, jetzt sind es noch zweitausend Fuß. Du kannstlangsam das Ventil öffnen!“

Der Ballon entleerte sich langsam und schwammvon der Backbordseite auf das zu. In Windeseile nahm Victor die Sendung in Empfang,griff nach der Metallkapsel und überließ den Rest des Ballons dem Wind und seinen Launen. DerMotor stand bereits auf Autopilot, als die beiden kurz danach am Instrumententisch ihres Bootes saßen und hastig das Metallröhrchen öffneten.

„Wow, diesmal hat es sich aber gelohnt!“, sagte er aufgeregt.

„Was denkst du, wie viel werden sie uns bringen?“, fragte sie und ihre Stimme klang nicht weniger emotionsgeladen.

„Zweihunderttausend Dollar sollten eigentlich drin sein, oder sogar noch mehr“, lautete seine Antwort.

„Und die Unkosten?“

„Du meinst sicher die Auslagen. Unser Mann in Muzo, die technische Ausrüstung und die Vorbereitung, all das war nicht billig.“

„Aber das können wir doch alles wieder verwenden“, entgegnete sie schnippisch.

„Schon, bloß die Jacht, die Besatzung und dann das Schleifen in Bogotá. Das sind einmalige Fixkosten. Und dann weiß ich noch nicht genau, was Don Jaime aus den Steinen herausholen kann und wie viel er dafür verlangen wird?“

„Nun sag schon, wenigstens ungefähr?“

„Sagen wir die Einnahmen belaufen sich auf etwa einhunderttausend Dollar. Das macht dann rund fünfzigtausend für jeden von uns, nicht schlecht,

oder?“

Er sah sie an und bemerkte wie sie zögerte. „Aber hallo! Was ist eigentlich mit dir los?“ fragte er

genervt. Luz Dary zuckte mit den Achseln. „Ach, ich weiß es auch nicht so genau? Hochseefischen macht einfach mehr Spaß, als Smaragde zu schmuggeln. Ich denke, ich werde wieder fischen gehen, aber dann nicht nur als Ablenkungsmanöver und schon gar nicht in diesen verdammten Gewässern.“

 

 

 

Kapitel 2

 

Claudio Guerrero stand mit dem Rücken zu den Fenstern des großzügigen Salons seiner Penthouse- Wohnung und meditierte vor sich hin. Die direkt in der Altstadt von Bonn gelegene Immobilie hatte er von seinen Eltern übernommen, die diese wiederum von seinen Großeltern geerbt hatten. Die Fenster, eine riesige Boden-Dach-Konstruktion aus Holz und geschmiedetem Eisen, waren mehr als zweihundert Jahre alt. Sie stammten aus der Zeit alsBeethoven noch gelebt und seine ersten Kompositionen zu Papier gebracht hatte. Immer wieder hatte Claudio aufwändige Restaurationsarbeiten an dem Gebäude durchführen lassen und es so in ein exklusives Heim verwandelt.

Die durch die Fenster strömenden frühen Sonnenstrahlen warfen einen rasterartigen Schattenauf den Fußboden. Die Möbel, alle antik und ausgefallen, waren so arrangiert, dass sie jetzt in vollem Glanz erstrahlten, doch sein ganzer Stolz galt der feinen, aber liebevoll zusammengestellten Bibliothek, welche dem Ambiente eine persönliche

Note verlieh.

Diese frühen Morgenstunden waren ein sehr wichtiger Moment für ihn. Gerade dann vermochte er am besten nachzudenken und jene Gedanken aufs Papier zu bringen, die ihm noch im Schlaf gekommen waren. Dabei erfreute er sich an dem spektakulären Ausblick auf das ehrwürdige barocke Rathaus.

Die wärmenden Sonnenstrahlenlockten die ersten Besucher in die Straßencafés der Stadt. Später gab es rund um die Universität Musik und Tanz bis in die Nacht hinein.

Jedoch war an diesem Morgen sein Verstand irgendwie durcheinander und er vermochte sich nicht richtig auf die neue Geschichte zu konzentrieren, die er bereits angefangen hatte. Zuerst versuchte er sich zu entspannen, verspürte jedoch bald eine aufkommende Verkrampfung. Seine Faust ballte sich vor überschüssiger Energie,er brummte etwas vor sich hin und setzte sich in einen der exklusiven Ledersessel. Die Freude und Anspannung des letzten Abenteuers begannen zunehmend zu verblassen. Es kostete ihn Mühe in

ein normales Leben zurückzukehren, er fühlte eine innere Leere, die ihn einfach nicht mehr verlassen wollte. Auf einmal verspürte er einen großen Kaffeedurst. Wie selbstverständlich stand er auf und ging in die Küche. Sein vorher gemixtes Gebräu stand noch unberührt in der Küche und war inzwischen kalt geworden. Er setzte abermals die Kaffeemaschine in Gang und schwang sich anschließend an seinen Schreibtisch, um sich in seinen Computer einzuloggen. Die Arbeit rief!

Wenn er bloß damals schon geahnt hätte, was in nächster Zeit so alles auf ihn hereinbrechen würde.

 

 

 

Kapitel 3

 

Von diesem Zeitpunkt an, konnte man ihn immer häufiger mit angefangenen Kapiteln seines neusten Werkes im Salon des Art-Déco-Cafés in seiner Heimatstadt antreffen. Bis, ja bis eines Tages sein Tisch in der Nähe der Garderobe besetzt war und eine elegant wirkende Dame seinen angestammten Platz in Beschlag genommen hatte. Sie hielt sich ein Buch vors Gesicht. Immer wieder schien sie zur gleichen Stelle zurückzukehren. Claudio fragte sich, was sie wohl lesen würde und ob der Inhalt sie ganz in Anspruch nahm, oder ob sie vielleicht, so wie er selbst, etwas Gesellschaft suchte. Es gab eigentlich keinen Grund, warum er seine Tasse Kaffee nicht am gleichen Tisch hätte einnehmen sollen. Aber die Dame hatte etwas Entmutigendes an sich, was ihn letztendlich von einer Annäherung abhielt und so setzte er sich an den noch freien Tisch zu ihrer Linken. Sie trug ein goldenes Armband, mit auffällig grünen Steinen. Smaragde dachte Claudio sofort und bemerkte, wie sie ihr Buch auf die Seite neben ihre Wildledertasche legte. Er hielt seinen Kopf etwas schräg, bis er den Titel des Buches lesen konnte -

GRÜNES GOLD - stand da in roten Lettern geschrieben.

Plötzlich erschien ein Mann in der Tür, der ähnlich vornehm gekleidet war, wie jene Dame, die Claudio seit geraumer Zeit beobachtete. Der Mann war vielleicht Anfang fünfzig und einer von den Glücklichen, die immer sportlich fit aussahen und gebräunt vom Aufenthalt in südlichen Gefilden.

Der Fremde setzte sich zu ihr an den Tisch. Die feinen Züge, der Schnitt seiner Kleidung, sowie die Anmut seiner Bewegungen, bargen Merkmale eines wohl-habenden Latinos. Immer noch stand die Dame wie bestellt und nicht abgeholt an ihrem Platz, während er schon saß. Dann sagte er etwas zu ihr und sie ließ sich mit einem traurigen

Gesichtsausdruck wieder in den wuchtigen Ledersessel fallen.

Claudio war zu weit entfernt, um die Worte zu verstehen, die zwischen ihnen fielen. Der Mann sprach leise aber schnell und das, was er sagte, schien ihr eindeutig nicht zu gefallen. Sie schenkte ihm einen stahlharten Blick. Er lehnte sich zurück und mehrere Sekunden ohne Worte verstrichen. Letztendlich gab sie nach, aber sehr, sehr langsam. Der Mann sagte etwas und erhob sich, immer noch in dieser unbekümmerten Art und Weise, jedoch jetzt eindeutig streitlustig. Langsam entnahm sie ihrer Handtasche etwas, dass wie ein Umschlag oder Brief aussah. Als nächstes stand sie auf, das Stück Papier in den Händen haltend und sagte etwas, dass er beim besten Willen nicht verstehen

konnte. Der Mann griff danach und zerriss den Brief in kleine Stücke.

Einen Moment lang betrachteten sie sich selbstvergessen ohne die anderen Gäste in dem

Salon wahrzunehmen. Der Mann drehte sich um, in der Absicht auf die Ausgangstür zuzugehen, während sie einfach nur da stand.

„Victor“, sagte sie und das war zugleich das erste Wort, welches Claudio klar und deutlich verstehen konnte. Als der Mann mit einer Drehbewegung

inne hielt, griff sie in ihre Handtasche, zog eine Pistole hervor und gab einen Warnschuss in die Decke ab. Während der Putz leise auf die exklusiven Sitzmöbel rieselte, stand er zunächst wie betäubt da, so als ob er nicht ganz verstehen würde.

Die paar Sekunden des Zögerns genügten Claudio, um seinen Tisch umzudrehen und vorsichtshalber dahinter in Deckung zu gehen. Dann hörte er das klappern von Absätzen, sie ging allem Anschein nach auf den fremden Mann zu und es ertönte ein weiterer Schuss. Gleichzeitig fingen Menschen an zu schreien und in dem Chaos wild umher zu rufen.

Als Claudio wenig später einen ersten Blick aus seinem Versteck in den Raum hinein wagte, sah er, dass die beiden unbekannten Personen verschwunden waren, eine blutige Spur in Richtung Ausgang führte und die süße Kellnerin leichenblass vor dem kleinen Tischchen stand. Diejenigen, die von der anderen Seite der Bar hereindrängten, waren sichtlich froh darüber, der Schießerei entgangen zu sein. Still, entsetzt aber auch neugierig warteten sie auf das Eintreffen der Polizei, die man umgehend gerufen hatte. Es lag an Claudio, die Herren dann in allen Einzelheiten über die Ereignisse zu unterrichten. Sie schrieben das Eine und das Andere in ein Notizbuch und nickten zustimmend, so als wäre eine heimliche Befürchtung Wirklichkeit geworden. Außer den Blutstropfen auf dem Fußboden waren keine weiteren Spuren vorhanden und etliche Fragen blieben zunächst unbeantwortet. Wer war die unbekannte Dame, die in einem öffentlichen Kaffeehaus mit einer scharfen Waffe herumhantierte?

Handelte es sich dabei um eine Eifersuchtsszene, so wie es die Presse am folgenden Tag vermutete.

Auch die nächsten Tage brachten keine neuen Erkenntnisse und bald schon verschwand das Ereignis von der ersten Seite der Tageszeitungen. Claudio ging seinen gewohnten Tätigkeiten nach. Da er ein Gewohnheitsmensch war, kehrte schon recht bald wieder in sein Lieblingslokal zurück. Anfangs plagten ihn dabei recht zwiespältige Gefühle, aber schließlich legte sich seine innere Unruhe dann doch. Die Polizei hatte ihn noch einmal zu den Geschehnissen befragt, aber trotz einer ziemlich guten Beschreibung, fehlte von den beiden Unbekannten jegliche Spur.

 

Der Herbst zog ins Land und bescherte Claudio die wichtige Buchmesse in Frankfurt. Mit seinen Büchern lief es von Tag zu Tag besser. Längst schon waren sie kein Geheimtipp mehr sondern erfreuten sich einer festen Stammleserschaft, die ständig auf neue Abenteuergeschichten wartete. Durch die aktuellen Konflikte in Nordafrika und Fernost waren Reisen nach Lateinamerika sehr beliebt geworden und man interessierte sich zunehmend für seine Erzählungen. Besonders zu Kolumbien pflegte er nach wie vor gute, persönliche Kontakte. Luis, sein ständiger Wegbegleiter, meldete sich wenigstens einmal die Woche bei ihm und maulte bereits über sein langes Fortbleiben. In Kolumbien passierte immer irgendetwas und bald spürte er wieder dieses Prickeln, das er nicht erklären konnte, und das ihn nachts nicht schlafen ließ. Es war wie eine Sucht, die ihn befiel und drängte, wieder loszuziehen und etwas Neues zu erleben, irgendwo auf diesem weiten südamerikanischen Kontinent.

 

 

 

 

Kapitel 4

 

Ab dem Monat November, wenn es in den hiesigen Breitengraden langsam scheußlich und ungemütlich wird, verlassen viele Kreuzfahrtschiffe Europa mit dem Ziel Brasilien, der Karibik oder dem Süden der USA.

Na, das wäre doch etwas, kam es Claudio in den Sinn, während er sich die Nase an dem Schaufenster eines Reisebüros platt drückte. Die Auslagen versprachen eine bequeme Kreuzfahrt auf einem luxuriösen Schiff, mit nicht enden wollender Unterhaltung und zunehmend wärmeren Temperaturen mit jedem angefangenen Kilometer, den man sich von Europa entfernte.

Ein frostiger Wind peitschte über den gepflasterten Bürgersteig und er drückte sich die Kapuze tief in sein Gesicht. Brrr… was für ein Sauwetter! Es hatte angefangen zu regnen und die dichten grauen Wolken standen wie schwere Vorhänge am spätherbstlichen Himmel Bonns. Also vergrub er seine Hände in den Hosentaschen und betrat kurzerhand das Reisebüro. Er hatte Glück. Eine Schiffspassage auf der Costa Azul, deren Route von Italien aus über die Karibik bis nach Fort Lauderdale führte, war noch zu haben. Ohne zu zögern griff er zu und dann war es bald schon wieder soweit. An einem trüben Novembermorgen stand Claudio zwischen mehreren hundert Passagieren in einer Reihe von jeweils fünf Personen auf dem Mitteldeck und lauschte den Sicherheitshinweisen. Kurz darauf erfolgte das laute Signal zur Abfahrt und das große Kreuzfahrtschiff setzte sich in Bewegung.

Claudios Kabine war sehr geräumig. Die genaue Position und Fahrtroute des Schiffes konnte er über ein Fernsehgerät mitverfolgen. Ein tägliches Merkblatt, der Cruise Kompass, gewährte dem Reisenden Informationen über sämtliche Veranstaltungen an Bord, Essenszeiten und eventuelle Landausflüge.

Beim Einchecken wurde ihm die Bordkarte ausgehändigt. Der sogenannte Seepass bedeutete auf einem Kreuzfahrtschiff einfach alles. Bist du auf einem Kreuzfahrtschiff ohne den See-Pass, so gibt es dich praktisch gar nicht! In der Tat war das Leben an Bord eines Kreuzfahrtschiffes eine Welt für sich und stellte einen einzigartigen Luxus dar. Das hätte Christoph Kolumbus vor fünfhundert Jahren sehen sollen!

Langsam verabschiedete sich der riesige Koloss aus den Gewässern Europas und bewegte sich auf tropische Breitengrade zu. Claudio beobachtete nachdenklich den Roomservice bei der Arbeit und sah, wie die Bediensteten mit ihren kleinen Wagen voller Reinigungsutensilien von einer Kabine zur nächsten zogen. Er fragte sich, ob die Reinigungs-kräfte auf der Costa Azul jemals Freizeit hatten, oder rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche im Einsatz waren?

Die Hauptbeschäftigung der Touristen bestand darin, sich beim Essensbuffet anzustellen. Manche Leute schreckten hierbei vor nichts zurück und stapelten sich bis zu sieben Hamburger auf den Teller. Wieder musste Claudio an Christoph Kolumbus denken, der diese Reise zwar gut 500 Jahre vor ihm, allerdings auch wesentlich unbequemer gemeistert hatte. Jedoch ergaben sich auch viele nette Bekanntschaften auf einer solch langen Schiffsreise, mit denen man dann gemeinsam die diversen Veranstaltungen besuchen konnte. Landausflüge erinnerten ihn jedes Mal ein wenig an moderne Flüchtlingsströme oder Völkerwanderungen. Vor der Schiffsanlegestelle wartete dann eine beträchtliche Anzahl an Bussen und Taxen auf die Kreuzfahrtteilnehmer. Man stelle

sich nur einmal die Menschenmenge vor, wenn fast zweitausend Menschen das Schiff verlassen, bzw. dann auch später wieder zusteigen.

Während der Nacht hatte das große Kreuzfahrtschiff das offene, karibische Meer erreicht und die Reise neigte sich dem Ende zu. Der vorletzte Reisetag begann recht trübe, regenverhangen und mit Windböen bis Stärke acht. Das weiße Schiff wiegte sich über Backbord und Steuerbord und tauchte zusätzlich mit Heck und Bug in die hohen Wellen ein. Dieses bei den meisten Passagieren gar nicht beliebte Schlingern dauerte bereits einige Stunden an. Für viele Reisende bedeutete dieser Moment ein akrobatisches Turnen über die Decks, während andere leidend in ihren Kojen lagen.Dann besserte sich das Wetter schlagartig und die lauwarme Luft der karibischen Nacht wurde für die Reisenden an Bord so etwas wie eine besondere Festtagsspeise. Es wurde musiziert, getrunken, gegessen und gesungen und die geräumigen Außendecks wurden in die Feier mit einbezogen. So sehr ihnen das Wetter tagsüber noch zugesetzt hatte, so gut tat ihnen jetzt die wohlige Tropennacht. Einzeln oder in Gruppen standen die Passagiere an der Reling und atmeten die weiche Luft ein, die ihnen die karibische Brise zu fächerte.

Die Tage waren nur so dahin geflogen und es blieb ihnen letztlich nur noch St. Maarten sowie die eintägige Weiterfahrt zur Isla Catalina übrig, die bereits zur Dominikanischen Republik gehörte. Nach dem Ablegen von den kleinen Antillen wurde Claudio dann bewusst, dass der Zeitpunkt seiner Ausschiffung nicht mehr weit entfernt sein konnte und das bedeutete ein baldiges Abschiednehmen von diesem wunderschönen Kreuzfahrtschiff mit seinen Bequemlichkeiten.

Ein großes Abschiedsfest für alle gab es dann ab dreiundzwanzig Uhr unter freiem Sternenhimmel auf dem Oberdeck. Ab zehn Uhr morgens würden dann Zöllner und Immigrationsbeamte ihre Dienste tun. Bereits in der Nacht stellten sie ihr Gepäck vor die jeweilige Kabinentür. An jenem letzten Morgen befand sich Claudio auf dem obersten Deck in der Nähe der Pools und schaute sich, über die Reling blickend, die Ausschiffungsprozedur an. Sein Gepäck war bereits abgeholt worden und er wartete auf das Aufrufen seiner Kabinennummer, um nach dem Besuch beim Immigration Officer das Schiff verlassen zu können. Das letzte Frühstück an Bord hatte er bereits eingenommen und die Rechnung des Seepasses an der Rezeption beglichen. Er riskierte noch einen letzten, wehmütigen Blick auf die Costa Azul und trat unmittelbar darauf in eine andere Realität ein. Er fuhr mit dem Überlandbus in die Hauptstadt Santo Domingo und dort direkt zum Flughafen. Einige Stunden später saß er dann in einer Avianca Linienmaschine mit

Flugziel Cali in Kolumbien. Alles hatte wie am Schnürchen geklappt und deutete auf eine

angenehme Weitereise hin, wenn es da nicht doch etwas gäbe, was ihn innerlich sehr beschäftigte.

Etwas Eigenartiges war noch in der letzten Nacht geschehen. Als er in seine Kabine kam, bemerkte er einen Umschlag auf dem Fußboden. Er war sichtlich überrascht. Jemand hatte ihm eine Nachricht unter der Kabinentür hindurch geschoben. Er drehte den Umschlag um und las die Worte: Für Claudio Guerrero Vertraulich….

Hastig riss er den Umschlag auf. In seinem Inneren befand sich ein Schnappschussfoto. Die Kamera musste die entsprechende Person genau in dem Moment getroffen haben, als diese etwas beobachtete, was offensichtlich in größerer Entfernung lag. Die Dame war zweifelsohne attraktiv, wirkte jedoch auf dem Foto eher blass. Schlagartig fiel es ihm auf. Bei der Person auf dem Foto,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 03.12.2017
ISBN: 978-3-7438-4451-3

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