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1. Kapitel

(ER)

Er sah SIE! Verborgen zwischen IHREN Freundinnen, konnte er SIE durch die Glasscheibe des Einkaufszentrums betrachten. Wie abwechselnd Entsetzen und Verzückung über IHR Gesicht huschten. Wie SIE sich das lange blonde Haar über die Schulten warf und in Gelächter ausbrach. Er hätte SIE ewig betrachten können. So wunderschön war SIE! Er duckte sich als IHR Blick über das Schaufenster glitt vor dem er stand und SIE betrachtete. SIE durfte ihn nicht sehen! Nicht jetzt schon. Langsam richtete er sich wieder auf und erkannte erleichtert, dass SIE sich wieder einer ihrer Freundin zugewandt hatte. Coralie war ihr Name und er konnte das Mädchen nicht ausstehen. Sie war lesbisch und gehörte damit praktisch zur Konkurrenz. Er konnte nicht begreifen wie SIE nicht bemerken konnte wie verliebt Coralie in SIE war! Allein wie sie SIE ansah so verklärt und dümmlich! Ja er hasste Coralie wirklich, fast so sehr wie IHREN Freund Bryan. Der immer an IHR klebte wie ein klebriger Lolli. Aber dieses Problem würde er beseitigen! Bryan war dumm und leichtgläubig! Coralie war es nicht. Das machte es schwieriger sie von IHR fernzuhalten.In seinen Gedanken war das bezaubernde Mädchen in dem Kaufhaus immer nur SIE. IHREN Namen hob er sich auf, wie das letzte Stückchen eines besonders leckeren Kuchens. Und gebrauchte ihn nur wenn er alleine war. Manchmal wenn er nicht einschlafen konnte murmelte er IHREN Namen vor sich hin wie ein Mantra: „Annabella…Annabella…Annabella…“, und irgendwann wenn er IHR Bild so genau im Kopf hatte, als hätte man es ihm auf der Netzhaut eingebrannt, schlief er ein, mit IHREM Lachen im Hinterkopf.

 

(Sie)

Annabella schauderte. Sie hätte schwören können, dass jemand sie, Coralie und Emma beobachtete. Aber da war niemand vor dem Schaufenster. Zumindest niemand, der ihnen zusah. „ Anna, Cora ich will noch zum Violence & Furby-Shop“, meckerte Emma und tippte ungeduldig mit dem Fuß. Sie war Annabellas längste Freundin und war somit mehr wie ein Schwester für sie als eine beste Freundin. Das änderte aber nichts daran, dass Emma nur zu oft ziemlich anstrengend war. Coralie war da anders. Sie war eher still und lachte selten. Aber wenn sie es tat zeigten sich ihre niedlichen Grübchen und ihre Augen begannen zu strahlen. Das machte sie zu etwas Besonderem und wenn Annabella ehrlich war, beneidete sie Coralie manchmal um ihr gewinnendes Lachen und um ihre unkomplizierte Art. Es gab genug Jungs die Interesse an ihr zeigten. Nicht, dass Annabella nicht auch Verehrer hatte, aber sie war oft zu verkrampft wenn es um das andere Geschlecht ging. Emma wurde inzwischen so ungeduldig, dass sie begann an Coralies Jacke zu ziehen. „Meine Güte Em jetzt hör doch auf zu nerven, wir gehen ja schon zu Violence & Furby“. Auf Emmas Gesicht breitete sich Zufriedenheit aus. Es war einfach unglaublich wie sehr sie die Leute nach ihrem Willen tanzen lassen konnte.

 

(ER)

Er stampfte in seine Wohnung. Immer noch wütend, weil die Nachbarin, das dumme alte Weib, mal wieder wegen der Mülltrennung herumgezetert hatte. Er hatte tatsächlich schon mal in Erwägung gezogen einfach nachts durch das offene Badezimmerfenster in ihre Wohnung einzusteigen und sie mit einem ihrer ekelhaften rosa Kissen zu ersticken. Aber der Verdacht würde sich zu schnell auf ihn lenken. Er war müde aber er hatte noch genug zu erledigen. Er hatte einen Mord zu planen…

 

(SIE)

Zufrieden zog Annabella ihren Lippenstift nach. Sie sah gut aus mit der hochgesteckten blonden Lockenpracht und den blutroten Lippen. Dazu trug sie ein umwerfendes silbernes Cocktailkleid mit passenden High Heels. Ihr Vater hatte zwar erst rumgemault sie würde sich viel zu sehr aufbrezeln für einen einfachen Geburtstag, aber schließlich hatte er nachgegeben. Und was ihr Vater nicht wusste war, dass es nicht irgendein Geburtstag war, sondern der 18er ihres so-gut-wie festen Freundes Bryan. Bryan war der coolste und gutaussehenste Kerl der ganzen Oberstufe und er zeigte ausgerechnet an ihr, Annabella, großes Interesse. Auf der letzten Gartenparty hatten die Beiden wild hinter dem Holunderbusch von Emmas Eltern rumgeknutscht und nun wollte sie ihn endgültig an sich binden. Sie hoffte nur Kai, ihr Exfreund würde nicht auch auf der Party sein. Er benahm sich immer noch so, als wären sie zusammen und war schrecklich besitzergreifend. Wäre er anwesend würde er Annabella die ganze Zeit durchdringende Blicke zuwerfen. Emma meinte er wäre ein Psycho und Annabella solle sich ja von ihm fernhalten, aber sie war sich sicher, dass er einfach nur noch an ihr hing und dass er sie früher oder später aufgeben würde. Auch wenn sie sich in letzter Zeit tatsächlich oft beobachtet vorkam hielt sie das alles eher für Einbildung. Wer sollte sie denn schon verfolgen?

 

(ER)

Er hatte nicht mit ihrem Besuch gerechnet und so war ihm zur Begrüßung nur ein überraschten „Samantha?“ über die Lippen gewichen. „Hallo mein Lieber, ich dachte mir, ich schaue mal vorbei und bringe dir ein paar Kekse von Mama. Sie sorgt sich um dich und meint du wärst viel zu oft alleine!“. Ehe er etwas tun konnte hatte seine Schwester sich schon in die Wohnung geschoben. Mit gerunzelter Stirn musterte sie das Durcheinander aus Bildern und Texten die überall herumlagen. „Sag mal was ist das alles? Und erkläre mir nicht es wären Schularbeiten“. Samantha wollte gerade einen Schritt Richtung Papiermeer machen und nach einem Foto greifen als er sie panisch am Handgelenk packte: „ Sam es ist wirklich reizend von dir, dass du mich besuchen kommst und du weißt wie sehr ich Mamas Kekse liebe… aber ich habe gerade einfach keine Zeit. Ich muss das für den Gemeinschaftskundeunterricht vorbereiten und es duldet keinen Aufschub“. Er hatte immer noch, fast panisch Samanthas Handgelenk umklammert und sie befreite sich grob. „Du bist so ein Egoist. Du stößt mich weg, du stößt Mama weg, dabei weißt du doch wie sehr sie dich vermisst seit du weggezogen bist. Und Susie hätte sich übrigens auch mal wieder über einen Anruf gefreut! Aber nein, dem feinen Herr ist sie ja nicht gut genug! Aber erstmal große Hoffnungen machen. Ich sag dir Eines: Du hängst mir so zum Hals raus! Es wundert mich nicht, dass du keine Freunde mehr hast seitdem du Kevin aus der Wohnung geschmissen hast. Ich würde es auch keinen Tag mit dir aushalten!“, brüllte Samantha und schlug mit einem lauten Krachen die Wohnungstür hinter sich zu. Nun war er allein in einem Wirbel von Papier.

 

(SIE)

Annabella war schrecklich aufgeregt. Die Party von Bryan würde der absolute Hammer werden und sie wäre endlich seine offizielle Freundin. Fahrig zupfte sie am Saum ihres Cocktailkleides. Vielleicht hatte ihr Vater Recht gehabt und es war wirklich etwas zu kurz ausgefallen, aber das konnte man ja schließlich auch als Vorteil sehen. „ Bella du siehst aus wie ne Edelnutte“, kicherte Kathy während sie das Lenkrad nach rechts riss und scharf um eine Kurve fuhr. Annabella gab sich große Mühe Kathy mit ihrem Blick in Flammen aufgehen zu lassen. Leider funktionierte es nicht.Wenn sie eine Person aus ihrer Clique nicht leiden konnte war es Kathy. Denn dieses Mädchen schaffte es doch tatsächlich immer die Wahrheit zu sagen, selbst in den unangebrachtesten Situationen. „Boar Kathy halt doch einfach mal deine Klappe, Anna sieht wunderschön aus“, zickte Emma neben Annabella und fing sich dafür einen dankbaren Blick von ihr. Kathy kicherte nur wieder und bremste haarscharf vor Jennifers Haus. Jennifer, fast so aufgestylt wie Annabella stöckelte auf schwarzen Glitzerhigh-heels zur Beifahrertür. „Hallo ihr Süßen“, flötete sie zu Emma und Annabella auf die Rückbank und gab Kathy ein schallendes Küsschen auf die Wange. „Wow Anna du siehst absolut scharf aus! Bryan wird sich zurück halten müssen nicht noch vor dem Essen über dich herzufallen“, lachte Jennifer. Annabella wurde rot. Was wenn sie doch zu aufgebrezelt war und vielleicht Signale sendete die sie gar nicht senden wollte?

 

(ER)

Er hatte alles ganz genau geplant. Bryan würde irgendwann in den Keller müssen um Getränke Nachschub zu holen. Dort gab es einen Whirlpool, und in diesem wurden die Getränke kalt gestellt. Wenn Bryan sich also vorbeugte um nach einem Kasten Bier zu angeln, würde er ihn von hinten packen, und ihn mit sich ins Wasser ziehen. Er würde die perfekte Position einnehmen um Bryan unter Wasser zu halten, bis er das Bewusstsein verlor und schließlich, nachdem sein Puls immer langsamer werden würde, selber wieder auftauchen. Das Luftanhalten war kein Problem er hatte Jahre lang getaucht und war einiges gewöhnt. Bryan, der Raucher war, würde dagegen schon nach wenigen Sekunden wegdriften, dem war er sich sicher. Nur noch wenige Stunden, dachte er und lenkte das Auto nach rechts in das kleine Wäldchen neben Bryans Haus.

 

(SIE)

Die Party war bereits in vollem Gange. Jenny tanzte eng umschlungen mit Ben aus der Para Klasse und strahlte dabei wie ein Honigkuchenpferd. Emma und Coralie machten sich über die Snackbar her und Kathy flirtete gleich mit zwei Kerlen. Annabella ließ sich auf der Gartenbank nieder. Ihr taten bereits die Füße weh vom Tanzen in den High Heels aber Bryan machte das alles wieder wett. Er würde ein wundervoller Freund sein, dem war sie sich nun sicher. Den ganzen Abend kümmerte er sich liebevoll um sie oder heiterte sie auf, wenn sie um ihre Englischnote bangte. Gerade schlenderte er, nach einer brüderlichen Umarmung mit seinem besten Kumpel Marc, wieder zu Annabella, ließ sich neben ihr nieder und neigte seinen Kopf zu ihrem Ohr: „Du siehst einfach bezaubernd aus Bella“, wisperte er in ihr Haar. Seine Lippen wanderten über ihre Schläfe zu ihrem Ohr und langsam über ihre Wangenknochen bis zu ihren Grübchen. Annabella neigte den Kopf in seine Richtung und seidig weich legten sich seine Lippen auf die ihren. Der Kuss war atemberaubend! Besser als alle Küsse die er ihr zuvor gegeben hatte und sie wünschte sich, er würde sich nie wieder von ihr lösen.Doch schließlich tat er es und strahlte Annabella überglücklich an. Sie lächelte zurück. „Ich muss kurz in den Keller die Getränke werden langsam knapp“, flüsterte er mit rauer Stimme. Sofort überkam Annabella die Sehnsucht: „ Musst du wirklich gehen? Ich vermisse dich jetzt schon“. Er lachte leise und ehe sie sich versah hatte er ihr einen kleinen Gegenstand in die Hand gedrückt, hatte sich umgewandt und marschierte Richtung Haus.

 

(ER)

Fast wäre er aus dem Busch gesprungen und hätte Bryan von IHR weggerissen. Wie er sich an sie geklammert hatte. Einfach widerlich! Er konnte seine Erleichterung über Bryans Verschwinden gar nicht in Worte fassen und fast hätte er vergessen ihm zu folgen. Er trug einen Kapuzenpulli und hatte die Kapuze weit in sein Gesicht gezogen. Möglichst unbemerkt ging er nun Richtung Haus und über einen kleinen steinernen Pfad konnte er vom Vorgarten aus hinunter in den Keller gelangen. Der Keller war, wie auch das restliche Haus groß und luxuriös. Leise schlich er sich an der Sauna und dem zweiten Fernseherzimmer vorbei Richtung Pool. Vorsichtig lugte er um die Ecke und was er dort sah verschlug ihm den Atem. Bryan lehnte an der gekachelten Wand und an ihm geklammert hing Kathy, IHRE Freundin. Die beiden knutschten wild und leidenschaftlich und wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er niemals geglaubt, dass Bryan vor wenigen Minuten noch IHR die Zunge in den Hals gesteckt hatte. In ihm kochte die Wut. Wie heiße Lava verschleierte sie seinen Blick und beinahe wäre er unbedacht auf die beiden losgerannt und hätte ihn an Ort und Stelle erwürgt. Aber er musste sich zügeln. Sein ganzer Plan drohte schief zu gehen…

 

(SIE)

„Was ist das?“, fragte Coralie neugierig und ließ sich neben Annabella auf die Bank gleiten. Annabella hielt die Kette in der Hand die Bryan ihr gegeben hatte und strich verzückt über die Schnörkel auf dem silbernen Herz. „Ist sie nicht wunderschön Cora? Bryan hat sie mir geschenkt“, flüsterte Annabella fast andächtig. Coralie räusperte sich und ein „ganz nett“ stolperte über ihre Lippen. Neugierig drehte Annabella die Kette in ihrer Hand und entdeckte dabei den Klappverschluss. „Sieh nur Cora! Man kann die Kette aufklappen“, hauchte sie freudig und als sie das kleine Herz öffnete fiel ihr ein zusammengefalteter Zettel in die Hände. Neugierig faltete sie ihn auseinander und las:

Bella, ich weiß es ist feige dir das nicht persönlich zu sagen, aber würde ich es einfach nur aussprechen käme es mir zu banal vor. Also schreibe ich es auf. Ich liebe dich Annabella Clarkson. Mehr als ich es mir eingestehen will. Am liebsten würde ich weglaufen und ein neues Leben mit dir beginnen! Weit weg von unseren Familien, den Cliquen und allem Anderen. Wenn ich mit dir zusammen bin ist alles perfekt und du sollst wissen dass du die Eine für mich bist! Ich verspreche dir, dass alles gut werden wird. in Liebe dein Bryan

 

(ER)

Er konnte sein Glück kaum fassen. Bryan war doch wirklich das Dümmste was ihm jemals begegnet war. Während er wild unter Kathys Kleid rumfummelte hatte er ihr doch tatsächlich „Bella“ ins Ohr gestöhnt. Wie zu erwarten war Kathy ausgerastet und schrie ihn an, dass er sie belogen hätte und er Annabella viel mehr lieben würde als sie. Bryan versuchte sie noch halbherzig zu beruhigen allerdings brachte das nicht viel und die dumme Schlampe rauschte endlich ab. Der Zurückgebliebene stand noch ein Weilchen unschlüssig da und schien zu überlegen ob Kathy Annabella die Hölle heiß machen würde, aber schließlich schien er sich an seine ursprüngliche Aufgabe erinnert zu haben und machte sich daran die Getränke aus dem Pool zu fischen.

Endlich war es soweit, seine Zeit war gekommen…

 

(SIE)

Immer wieder drehte Annabella die Kette in ihrer Hand und las das süße Liebesgeständnis wieder und wieder. Bryan war wirklich bezaubernd. Während sie so gedankenversunken da saß kam Marc auf sie zu: „ Anna hast du Bryan gesehen? Er ist schon seit einer halben Ewigkeit verschwunden?“. Sie blickte auf: „ Nein… ist er denn nicht im Keller Getränke holen?“. Marc zuckte mit den Schultern und meinte: „Ich werde mal nach im sehen. Nicht, dass er im Whirlpool ertrunken ist“. Annabella lachte nur halbherzig, irgendwie hatte sie so ein ungutes Gefühl im Bauch. Naja… wahrscheinlich hatte sie einfach zu viel getrunken. In diesem Moment kam Jenny angetorkelt. „Anna warum sitzt du hier so alleine rum? Komm tanz mit mir und trink dieses Glas Champagner“, kicherte sie und zog aufdringlich an Annabellas Arm. Jenny war alles andere als nüchtern und nichts war anstrengender als sie betrunken im Schlepptau zu haben. „Jen du weißt ich hab dich lieb, aber ich möchte jetzt nicht tanzen“, seufzte Annabella und stützte Jenny die leicht nach vorne schwankte und dabei den halben Champagner verschüttete. „Uups…der Champagner war bestimmt nicht ganz billig. Du verrätst mich doch nicht oder?“, flüsterte sie in verschwörerischem Tonfall in Annabellas Ohr. Diese hielt verzweifelt Ausschau nach Ben der sich wieder um seine Freundin kümmern sollte. Schließlich erspähte sie ihn mit Cora, Emma und zwei weiteren Kumpels. Ohne noch lange zu überlegen zog Annabella Jenny durch das Gewühl direkt auf Ben und die Anderen zu. „Ben sag mal kannst du nicht auf deine Freundin aufpassen? Jenny ist total dicht?“, brüllte sie ihm ins Ohr. Ben, der sie trotz der lauten Musik verstanden zu haben schien, winkte nur ab: „ Hey ich bin nicht Jennys Babysitter sie kann so viel trinken wie sich will“. Und mit diesen Worten zog er Jenny in seine Arme und begann wild mit ihr herumzuknutschen . Annabella schüttelte den Kopf und wandte sich ihren Freundinnen und den beiden fremden Kerlen zu: „Hat einer von euch Bryan oder Marc gesehen?“. „Nee nicht seit Marc Bryan gesucht hat“, schrie Emma zurück und beugte sich zu Annabella um ihrem Ohr näher zu sein: „Soll ich ihn mit dir suchen? Hier gibt’s grade ohnehin nichts zu sehen?“. Gerade als Annabella ihr antworten wollte ging auf einmal die Musik aus. „Scheiße was ist mit dem los?“, brüllte irgendwer in der Nähe der Terasse. Auf einmal war es totenstill. Annabellas Herz stockte, von einer dunklen Ahnung getrieben drängte sie sich ihren Weg durch die Menge. Was sie sah ließ sie erstarren. In der Terassentür stand Marc, bleich wie ein Geist und nass bis auf die Knochen. Halb über seiner Schulter hing ein ebenso nasses Etwas mit dunkelblondem Haar. Noch bevor irgendwer sie aufhalten konnte stürzte Annabella nach vorne, packte Marc und riss den leblosen Körper von ihm herunter. Vor Schreck erstarrte sie, Bryans Gesicht war blass, starr und beängstigend ausdruckslos. Noch ehe der Gedanke wirklich in ihrem Hirn angekommen war entfuhr ihren Lippen ein markerschütternder Schrei.

  

(ER)
Er hatte sich auf den Moment vorgebereitet, hatte triumphieren wollen, doch tief in seinem Hinterkopf hatte er sich IHRE Reaktion vorgestellt und das hatte ihm eine solch entsetzliche Angst eingejagt, dass er den Gedanken sofort wieder von sich geschoben hatte. Aber es war unvermeidbar gewesen, dass SIE Bryans toten Körper sehen würde. IHR Schrei saß ihm jetzt noch in den Gliedern wo er nervös in seinem Auto saß und in Richtung Stadt fuhr.
Dennoch, es war vollbracht und keiner würde ihn verdächtigen. Er war nie zu dieser Party eingeladen gewesen mal ganz abgesehen davon, dass Bryans Tod wie ein Unfall aussah. Alles lief perfekt! Endlich konnte er mit seinem Plan beginnen.

 

(Sie)
Annabella saß auf der unbequemen Holzbank im Polizeirevier. Die Decke die ihr der junge, sympathische Polizist umgelegt hatte half ihr nicht gegen die Kälte die ihren gesamten Körper erfüllte. „Anna ich hab was zu trinken geholt“, murmelt Emma mit zwei Bechern Wasser in der Hand. Annabella hob den Blick nicht. Sie war zu sehr vertieft in das Bild, das sich vor ihrem inneren Auge abzeichnete. Bryans blasses, totes Gesicht, seine blauen Lippen, seine von Stromschlägen erschütterte Brust welche sein stummes Herz wieder zum Schlagen bringen sollten. Es hatte nichts geholfen. Bryan war tot und keiner wusste wie das geschehen war. Die Polizisten hatten Marc mit auf Revier nehmen wollen und Annabella sollte hier auf ihre Eltern warten nachdem sie sich geweigert hatte ins Krankenhaus zu gehen. Emma hatte sie begleitet und auch wenn Annabella kaum etwas fühlte außer dem Schmerz verspürte sie trotzdem Dankbarkeit ihrer Freundin gegenüber. In diesem Moment kam Marc aus dem Vernehmungszimmer. Sein Gesicht war immer noch totenblass und seine Augen Blutunterlaufen als hätte er wochenlang nicht geschlafen. Emma ging auf Marc zu und ehe sie ganz bei ihm war, presste er sein Gesicht schon in ihre hellbraunen Locken. Es war ein offenes Geheimnis, dass die beiden einander mehr bedeuteten als sie zugaben. Auch wenn beide immer wieder in Beziehungen waren, ihre Kindergartenliebe hatten sie doch nie ganz aufgegeben. Annabella durchfuhr ein beißender Schmerz. Warum hat es Bryan getroffen und nicht Marc oder Ben oder sonst einen Freund der Anderen? Was hatte sie schlechter gemacht als die Anderen? Warum musste es den Jungen treffen den sie liebte? Annabella bemerkte kaum wie sehr sich ihr Atem beschleunigte und dass sie nach Luft schnappte. Erst als der junge Polizist sich vor sie kniete und ihr beide Hände auf die Schultern legte registrierte sich ihren ungleichmäßigen Atem. „Bleiben sie ganz ruhig Miss Evans, es ist gut Ihnen wird nichts passieren“. Annabella musste sich auf die Lippen beißen um ihn nicht an zu schreien, dass verdammt nochmal nichts gut sei. „Anna Liebes!“, ertönte ein dramatischer Ausruf aus dem Türrahmen des Aufenthaltsraumes. Annabellas Eltern kamen in den Raum gestürmt und ihre Mutter riss sie sofort in eine innige Umarmung: „Ach mein Spatz, wie konnte das nur passieren? Mein Liebling auf einer Gartenparty wie grauenhaft“. Mrs. Evans hatte einen Hang zur Dramatik und Annabella war sich sicher, dass ihre Mutter diesen Auftritt auch eine perverse Art und Weise genoss. Ihr Vater dagegen, stand nur neben seiner Frau und schien nicht wirklich zu wissen, was er seiner Tochter sagen sollte um sie aufzuheitern.
Nachdem Mr. und Mrs. Evans mit dem Polizeikommissar gesprochen hatten, und der ihnen versicherte, dass es ihrer Tochter gut ging packten diese die drei verstörten Teenager und lieferten Emma und Marc Zuhause ab. Obwohl Mrs. Evans Annabella auf ihr Zimmer begleitete, sichtlich hoffend, dass ihr Kind doch endlich wieder sprechen würde, machte Annabella keinen Laut mehr und verschwand stumm und alleine in ihrem Zimmer wo sich noch angezogen unter die Decke kroch und zitternd darauf wartete, dass die Kälte aus ihrem Körper verschwand.

 

(Er)
Er lag starr auf seiner unbequemen Schlafcouch und versuchte seinen Zustand zu analysieren. Er hatte sich immer gefragt ob man sich anders fühlte wenn man einen Menschen ermordet hatte. Aber er fühlte sich nicht anders. Nicht stärker nicht schwächer, auch nicht schuldig oder bedrückt. Ein bisschen freier vielleicht. Ja? Freier als vorher, weil seinen Plan jetzt eine Wand weniger im Weg stand. Das nächste Puzzlestück welches entfernt werden musste war Coralie. Aber es war zu früh um IHR diesen Verlust anzutun. Sie hatte erst vor wenigen Stunden ihren Freund verloren. Natürlich war er ein fürchterlicher Idiot gewesen und es war besser so, aber SIE konnte das noch nicht begreifen. Aber sie würde. Spätestens wenn er selbst Bryans Platz einnehmen würde. Er liebte sie so sehr, dass es ihn schmerzte und er würde alles tun um ihr ein perfektes Leben zu ermöglichen und dieses Leben war eindeutig ohne all die nutzlosen Altlasten ihres Lebens.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.10.2014

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