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SIE läuft

“Diesen Einsatz verstehe, wer will. Ich tue es jedenfalls nicht! Hast du einen blassen Schimmer, warum man Scharfschützen braucht in einem alliierten Land in einer Stadt im Frieden, ohne jegliche Terrorgefahr?!”

„Halt die Schnauze! Wir haben Befehle. Und ein Soldat befolgt Befehle, ohne nach dem Warum zu fragen! Du bringst uns nur in Schwierigkeiten mit deinem Geschwätz!“

Der Wagen hält, die Türe öffnet sich mit einem Rumms und das Team steigt aus, um sich vor dem frühmorgendlichen Parkplatz zu sammeln. Die Karte, die der Einsatzleiter zückt, zeigt jedes Detail der zugehörigen, gepflegten, öffentlichen Grünanlage.

„Eure Posten sind hier, hier, dort und da auf dem Hügel hinter den Containern! Eure Deckung muss so gut sein, dass ihr von den Wegen aus, unter keinen Umständen gesehen werden könnt! Verstanden?! Die Zielperson ist eine Läuferin. Bei Identifikation erhaltet ihr weitere Befehle. Absolute Funkstille bis dahin!“

„Ja, Sir!“

Die kleine Schar zerstreut sich über das Areal und bezieht versteckte Stellung, was der Leiter bei einem unauffällig schlenderischen Spaziergang gewissenhaft kontrolliert.

„Colonel, Stellungen sind bezogen. Wir erwarten weitere Befehle“ spricht er abschließend in das Mobiltelefon an seinem Ohr.

„Die werden Sie erhalten, und zwar von mir persönlich!“

Ein muskelbepackter, grimmig dreinblickender Mann mit akkuratem Militärhaarschnitt steht plötzlich neben ihm im Nest und nimmt ihm das Handy aus der Hand. Er ist bekannt dafür, dass er seine körperliche Kraft auch zu verwenden versteht um seinen Willen oder Befehlen Nachdruck zu verleihen. Das ist in den Truppen hinlänglich bekannt.

„Achtung, Zielperson hat ihre Wohnung in Richtung Park verlassen.“ Tönt es zeitgleich aus dem Funk im Ohr.

„Verstanden!“

Der Einsatzleiter nickt dem Colonel zu, der inzwischen sein Fernglas gezückt hat und damit aufmerksam den Eingangsbereich beobachtet.

„Sie hat den Park erreicht und geht in die erste Runde.“

Der Colonel bestätigt ihre Ankunft mit einem Daumen hoch, ohne den Teamleiter dabei anzusehen.

„Waffen entsichern, aber erst auf meinen ausdrücklichen Schießbefehl warten!“, die Augen des Colonels wirken noch unnachgiebiger und härter als sonst, als er diese Worte spricht.

Eine junge Frau mit brünettem Pferdeschwanz joggt langsam den Weg entlang, gegen den Uhrzeigersinn vorbei an Rosen- und Biergärten, unter großen Bäumen hindurch und weiter auf kleinen Terrassenpflanzungen mit Skulpturen zu. Nach dem ersten Hügel läuft sie beinahe vom Kiesweg hypnotisiert hinunter und blickt dann unerwartet plötzlich auf die Stellung des ersten Schützen inmitten eines wunderschön angelegten Beetes mit vielen hohen Ziergräsern und Büschen.

„Ich wurde entdeckt. Wie lauten die Befehle?!“ fragt der Soldat flüsternd seinen Befehlshaber.

„Sie sind raus. Waffe sichern und in Deckung bleiben.“

Das ist das erste Lächeln, dass der Teamleiter an diesem brutalen Militärhaudegen sieht und es erschrickt ihn beinahe zu Tode. - Was genau hat dieser Mann vor und wer ist diese Frau?! - Schießt es ihm spontan durch den sonst so kontrollierten Kopf. Zum Glück ist es aber ein Durchschuss und er sofort setzt sein militärischer, unbedingter Gehorsam wieder ein und sorgt für Ruhe in seinem Inneren.

Schritt um Schritt nähert sie sich, entlang an der großen Liegewiese, dem zweiten versteckten Zuschauer. Die nächste Kurve und ein weiterer abrupter, gezielter Augenrichtungswechsel der Sportlerin.

Und erneut, der Kommentar:“ Sie sind raus! Waffe sichern und in Deckung bleiben.“

Der Colonel spürt Zufriedenheit in sich hochsteigen als er seine gedanklichen Rückschlüsse zu ziehen beginnt.

Sie wird immer besser, je älter sie wird! Sie kann mittlerweile tatsächlich orten. Und Sie zeigt nicht den Hauch von Angst. Das ist wirklich beeindruckend. Es war lange her, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals war sie ein zorniges Mädchen in der Funktion einer externen Beraterin gewesen. Schon damals hatte ihm ihre Zielstrebigkeit und Stärke ein klein wenig Bewunderung abgerungen. Er wusste nur noch nicht, was hinter all dem steckte. Nun wurde ihm langsam klar, was für ein Wesen vor ihm gestanden hatte. Der kleine schillernde Kampfguppy, der sich in einem Haifischbecken zurechtfinden konnte und dabei alle Ziele erreichte, die kein anderer Fisch vor ihm je erreicht hatte.

Sie läuft um die Kurve und sieht unverwandt zum nächsten Schützen hin.

„Sie sind raus! Waffe sichern und in Deckung bleiben.“

Jetzt fehlt nur noch einer, wenn sie den auch noch fühlt, ist sie beinahe unschlagbar. Und wieder keine Spur von Furcht.

Sie passiert die asiatischen Gärten und Gebäude und erreicht die vierte Stellung und wieder geht der Kopf deutlich in die Richtung des Mannes mit dem Todesbringer im Anschlag und verharrt lange auf dem Rasenhügel und seiner bewaldeten Kuppe neben dem asphaltierten Teil des Weges.

Und der letzte Befehl verlässt die schmunzelnden Lippen des Colonels.

Respekt Miss, du hast bewiesen, was du kannst und wie stark du wirklich bist!

 

Nach ein paar weiteren Runden beendet Sie ihr Training für diesen Tag und betritt schließlich ihre Wohnung. Die Türe fällt ins Schloss und Sie wechselt vom Flur ins Badezimmer. Als ihr kurz darauf das Duschwasser übers Gesicht läuft, reflektiert sie über das eben erlebte.

„Jemand dessen Wahrnehmung noch nie hinter der eigenen Stirn aufgehört hat, verliert irgendwann die Angst vor dem Verlust des eigenen Körpers! Ich weiß, dass ich heute nicht sterben werde! Solange ich noch in die Zukunft träume, kann ich mir absolut sicher sein, dass ich den nächsten Sonnenaufgang sehen werde. Daran kann Nichts und niemand etwas ändern! Auch nicht die Kugeln deiner Schützen. Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast Colonel! Und da scheine ich auch nicht die Einzige zu sein.“

Sie greift zum Duschgel und wäscht sich abschließend die fremden Blicke von ihrer Haut.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Alle, die immer an mich geglaubt haben.

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