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Titel und mehr

PURPURTRÄGER

 

Erdgebunden

 

 

Vivi Ane – Vivi ANE

 

Diese Geschichte liegt schon eine ganze Weile zurück. Als ich aber vor Kurzem wieder an den Ort zurückkehrte, um einige Bilder zu machen, habe ich das damalige Geschehen rekapituliert und mich dazu entschlossen diese Begebenheit zu veröffentlichen.

Wer bei meiner sonstigen literarischen Arbeit gerne mitlesen möchte, kann mich auf meinem Autorenblog: viviane-ebooks.blogspot.de besuchen. Dort schreibe ich über laufende Projekte und so manche Idee, die eventuell zu einem weiteren E-Book führen wird.

PURPURTRÄGER

Knarzend öffnet sich die alte, hölzerne Türe und gibt den Weg in den Vorraum zum Kirchenschiff frei. Der kleine, schwarze, abgewetzte Knauf der nun folgenden Schwingtüre wirkt schon ein wenig zu Bescheiden für den Innenraum dahinter. Es ist schneidend kalt, wie immer, wenn ich hier war. Meine Schritte hallen auf dem sandfarben glänzenden Steinplatten, auf denen die schnitzereiverzierten Sitzbänke der Gläubigen ruhen. Den freien Mittelgang entlang gehe ich langsam nach vorne. Ich war nicht wirklich freiwillig hier, denn die letzte Begegnung mit ihm war sehr negativ für mich gewesen. Ein wenig verärgert, doch auch neugierig hatte ich mich auf den Weg gemacht, denn, es schien sich etwas verändert zu haben. Er hatte sich verändert. Er hatte lange und vehement gerufen und irgendwann musste ich nachgeben, denn ich konnte kaum noch schlafen. – Jetzt stehe ich also in der Vierung vor dem prunkvoll geschmückten Schneewittchen im Glassarg und erklimme die Podeststufen, um direkt vor ihm zum Stehen zu kommen. Ein junger Mönch huscht aufgeschreckt durch eine kleine Seitentüre hinaus und dann sind wir alleine.

„So, ich bin hier. Hast du es dir doch noch anders überlegt, mein Freund?!“

„Ich bin so alleine!“, jammert er mich an.

„Ich weiß, denn die Anderen sind schon lange weg. Du wolltest damals nicht, oder erinnerst du dich nicht mehr?!“

Beinahe schüchtern hinterfragt er, „Wo sind sie denn hin?“

„Dort wo sie eigentlich immer hingehört haben, raus aus diesem eiskalten Gemäuer!“

„Kommen sie wieder?!“ Er zögert, stottert beinahe, als ob er Angst vor der Antwort hat.

„Nein! Aber ich kann dich mitnehmen, wenn du willst. Aber nur wenn du wirklich bereit bist, loszulassen und endlich in deine Heimat zu gehen! Es liegt nur an dir!“

Zugegeben, ich bin ein wenig irritiert, denn einen so langen, seelischen Gedankenaustausch hatte ich bis dato selten. Die meisten wissen, was sie von mir wollen und müssen nicht überredet werden. Und weil mir die Kälte bereits die Beine hinaufzukriechen versucht, vertrete ich mir die Beine im Querhaus und warte auf seine Antwort.

Schon eigenartig, als ich das letzte Mal hier war, quoll das ganze Gebäude förmlich über. Damals hatte ich mich entschlossen bei einem Konzert mitzusingen, was ich seltener tue. Ich betrat die Basilika mit den anderen Chor- und Orchestermitgliedern durch ein Nebengebäude. Bereits beim Einsingen in einer kleinen Kapelle hatte ich das Gefühl mich durch eine riesige Masse quälen zu müssen, die mich beinahe erstickte.

„Was bist du denn so langsam? Komm schon, wir müssen uns an unserer Markierung aufstellen!“ ermahnten mich Andere.

„Eigenartig, ich hab das Gefühl, die ganze Zeit irgendwie beobachtet zu werden. Das ist gruslig!“

„Ach, du spinnst doch!“, lachte die junge Frau ihre Nachbarin aus, während ich mich, stimmlich aufgewärmt, Richtung meiner Bodentapes kämpfte.

Wir wurden vom Dirigenten zurechtgerückt und plötzlich, wie aus dem Nichts merkte ich abgrundtiefen Hass auf mich zurasen. Mir blieb beinahe die Luft weg. Wie kalter spitzer Stahl eines schnell geworfenen Speeres stach es in meine Brust ein und mir wurde kurz schwarz vor Augen. „Stop!“ war der einzig klare Gedanke, den ich noch fassen konnte und augenblicklich wechselte der Zorn in Verwunderung.

„Wie?! Ausgerechnet eine wie du merkt mich?!“

Kurz bevor die Wut in noch stärkerem Maße zurückkommen konnte, hatte ich den Ursprung lokalisiert. Einer der dekorierten Glaskästen musste es sein.

An meinem linken Ohr flüsterte es, „Schau mal, in der Kuppel ist ein Fenster und da schaut Jemand runter“, verstummte aber schlagartig, als die Antwort vom Vordermann kam „Da ist doch gar kein Fenster! Was siehst du denn da?!“

Einerseits beruhigte es mich, dass ich dieses eine Mal nicht die Einzige war, die sehen konnte, aber ich hegte ein wenig Groll dagegen, dass ich wohl wieder den Härtefall zugedacht bekommen hatte, der mich während des ganzen Vortragens mit glühenden Argusaugen beobachtete.

Das Konzert war für alle Anwesenden wundervoll, bis auf Einen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er uns alle verabscheute und uns nicht dahaben wollte. Wozu auch, denn ich schien die Einzige zu sein, die davon etwas mitbekam. Er ließ noch nicht einmal nach, als ich nach Konzertende noch zu ihm ging. Er hätte mich am liebsten gewürgt und angespuckt, aber das konnte er nicht mehr. Da lag er, wie eine makabre Modepuppe zurechtdrapiert in rotem Samt. Es war schon seltsam, aber ich konnte beinahe die Erwartungshaltung in seinem Gesicht sehen. Er war gewohnt angebetet und bewundert zu werden und das forderte er jetzt auch von mir. Doch ich empfand nur eine verirrte Seele, keine Ikone.

„Wenn dir der Haufen schön verzierte Steine so wichtig ist, dann bleib doch hier! Euch andere lade ich herzlich ein, endlich für die Ewigkeit fort von hier zu gehen!“

Damit verabschiedete ich mich von diesem Platz und dachte nach der Wegweisung eine lange Zeit nicht mehr daran. Bis ein wiederkehrendes „Ich bin so alleine! Komm bitte!“ mich Nacht für Nacht aus dem Schlaf riss.

Und jetzt stehe ich wieder hier, um dem Letzten den Weg heraus zu zeigen und harre seiner Entscheidung. Nach einer weiteren Aufwärmrunde an Gipsputten und Fakemarmorsäulen vorbei, blicke zu ihm hin, denke mein Adieu und beende die lautlose Konversation.

„Warte! Nimm mich mit!“

Ich muss beinahe Lachen, denn ich mag Happy Ends dieser Art, lächle aber nur und spreche gedanklich: „Gut, dann komm!“ ohne mich noch einmal umzudrehen

Und was soll ich sagen, seine nächtlichen Heimsuchungen sind seitdem Geschichte, meine Geschichte. Nie wieder wurde eine Genehmigung für ein solches Konzert mehr gegeben, obwohl es ein Riesenerfolg war.- Aus meiner Sicht sogar ein Erfolg in unschätzbarer Dimension.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Alle geschrieben, die extrem nach Anerkennung ihrer irdischen Werke durch Andere streben und sich damit ein seelisches Gefängnis bauen.

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