Cover

Prolog

Glaube ist wichtig. Glaube ist es, der vieles bewirken kann.

Glaube kann auch versklaven.

Ich habe nichts gegen den Glauben, solange er das freie, unabhängige Denken nicht beschneidet.

Aber nicht alles wird so gesehen, wie es wirklich ist.

Schwarz und weiß wechseln sich ab, Grautöne scheint die Moral nicht zu kennen.

Und doch kann keiner behaupten, bestimmen zu dürfen, was Moral wahrlich bedeutet.

War nicht jede Revolution wider die Moral?

Doch es ist Unsinn zu glauben, man könne die Welt ändern.

Man kann nur sich selbst ändern.

1

 1. Teil:

 

The Devil Inside

Hell Not Hallelujah

 Ein warmer Sommertag. Nichts konnte die anhaltende gute Stimmung trüben. 

Langsam rollte der schwere Mercedes  über die Straße. Summend trommelte der junge, blonde Fahrer den Takt eines Liedes aus dem Radio auf dem Lenkrad mit, nicht ahnend, dass das Grauen ihn auf den Fersen war.

Er hieß Gilchrist Darton, kurz Gillis, ging in Fresno, Kalifornien aufs College und war gerade auf dem Rückweg nach Hause. 

Plötzlich knisterte es hörbar im Radio. Verwirrt wandte Gillis den Blick von der Straße ab und streckte den Arm aus, um das Gerät abzuschalten.

Dieser eine Moment reichte aus. 

Das Auto fuhr ein Stück zur Seite, auf die andere Fahrbahn zu, während zur gleichen Zeit ein dunkelblauer Jeep aus dem Gegenverkehr ausscherte.

Ein Moment, und das Leben endet. 

Dasmarkerschütternde Krachen schien den Boden zum Erzittern zu bringen. Gillis wurde nach vorne geschleudert, wobei der Sicherheitsgurt ihn beinahe zeitgleich wieder zurück riss. Dumpf schlug sein Kopf gegen das Amaturenbrett, die Haut riss auf und die finstere Schwärze der Ohnmacht sich seiner annahm.

Er bekam nicht mehr mit, wie sein Wagen herumgerissen wurde, die Leitplanke durchbrach und mit der Fahrerseite gegen einen Baum prallte.

Nein, da war er schon tot. Und das Verhängnis begann.

 

 

Ganz still war es auch hier nicht. In der Nähe floss ein Bach dahin. Fröhlich plätscherte das silbrige Wasser über die glatten Steine.

Auch war ein leises Knarchzen zu hören. Das war es, was Gillis aufweckte.

Flatternd hoben sich die Augenlider über den haselnussbraunen Augen, die Brust hob sich, als er zischend einatmete.

Verwirrt setzte er sich auf. Eine Platzwunde zierte seine Stirn, dass getrocknete Blut verunstaltete das hübsche Gesicht.

Ein pochender Schmerz machte sich unter seiner Schläfe bemerkbar und verschlimmerte sich bei jeder Bewegung.

Plötzlich verstummte das Knarchzen.

„Auch schon aufgewacht?"

Die leise, heisere Stimme erschreckte Gillis beinahe zu Tode. Er wirbelte herum, kam dabei schwankend auf die Beine und starrte wortlos den Mann an, der gesprochen hatte.

Dieser saß seelenruhig auf einer altmodischen Holzschaukel, die langgliedrigen Finger mit den spitzen, schwarzen Fingernägeln ruhten auf dem abgewetztem Umschlag eines kleinen Buches. Der Titel war nicht mehr lesbar, die Seiten vergilbt.

Das leichte Lächeln, zu dem die schmalen Lippen sich in dem bleichen Gesicht verzogen hatten, wirkte düster und bedrohlich.

Hinter den Spitzen des tiefschwarzen Haares glitzerten die seltsamsten Augen hervor, die Gillis je gesehen hatte. 

Ein leichter Schauer rann seinen Rücken hinab und die Worte entschlüpften wie von selbst seinen Lippen.

„Wer bist du? Wo bin ich hier? Was ist passiert?”

„So viele Fragen auf einmal.”

Der Mann begleitete seine Worte mit einem leisen Lachen und erhob sich elegant.

Die blattlosen, schwarzen Äste des Baumes erzitterten leicht.

Langsam, Schritt für Schritt, näherte er sich Gillis und blieb dicht vor ihm stehen.

Ein leichter Hauch von Vanille, Sandelholz und Muskat drang an seine Nase und auch ein Hauch von... Schwefel.

Zum ersten Mal konnte Gillis die Augen seines Gegenübers aus der Nähe sehen. Blassgrün waren sie, abgesehen von einem dunkelblauen Ring, der sich um die Iris zog, und die braunen, goldenen und grauen Punkte.

Zitternd trat Gillis einen Schritt zurück und umklammerte unwillkürlich die Kreuzkette um seinen Hals.

Er war Christ, schon seit er denken konnte, betete jeden Tag morgens und abends.

„Du bist bei mir, Gillis. Dies war einst das Paradies, bevor Gott es für nötig hielt, seine Macht zu demonstrieren. Erinnere dich, was passiert ist. Du warst auf der Autobahn. Das Radio, der andere Wagen...”

Wieder lächelte der Fremde.

Gillis' Gedanken rasten. Natürlich erinnerte er sich. Das Radio, er hatte es ausschalten wollen. Dann der Aufprall.

Dies war einst das Paradies...

Eisiger Schreck durchströmte ihn, als er begriff.

„Nein!”

Sein Schrei gellte durch die Luft und er taumelte zurück. Schreck weitete seine Augen, der Atem stockte ihm in der Kehle.

„Doch!”, fauchte der Fremde und bleckte die nadelspitzen Zähne.

„Ich war der strahlendste aller Engel, bevor Gott mich verstieß. Weil ich stolz war, auf das was ich war, auf meine Position. Und er..  er hat mich verstoßen, hat mir die Flügel stutzen lassen. ”

Knurrend wandte er sich ab, die Augen schienen zu glühen und das Gesicht ähnelte einer grotesken Teufelsmaske.

„Ich bin der Lichtbringer, ich bin Luzifer. Aber du darfst mich Mephistopheles nennen, Gilchrist. ”

Stöhnend sackte Gillis zusammen und schlug sich die Hände vor das Gesicht. Das strohblonde Haar stand wirr von seinem Kopf ab.

„Nein, dass kann nicht sein! Ich habe doch nie etwas getan!”

Verzweiflung  und Unglaube überrollten ihn. Seine Schultern zuckten haltlos, als er anfing zu weinen.

Seufzend wandte Mephistopheles sich ab und spazierte zurück zu seiner Schaukel.

Mit langen Fingern nahm er das Buch auf und hockte sich vor den weinenden Christen.

„Komm Gillis, sieh mich an. ”

 Wimmernd schüttelte dieser den Kopf. Er wollte es einfach nicht glauben, fühlte sich betrogen.

Sein ganzes Leben, immerhin 24 Jahre, hatte er an die Gnade und Gerechtigkeit Gottes geglaubt. Nie hatte er gegen eines der Gebote verstoßen, immer hatte er gebeichtet, dachte er etwas falsches.

Und am Ende war er doch in der Hölle gelandet.

So verraten fühlte er sich, belogen und betrogen. Alles, was sie ihm versprochen hatten, was sie gepredigt hatten, war eine Lüge gewesen. Warum nur hatte er so viel Zeit verschwendet?

„Gillis, sieh mich an.”

Die Stimme des Teufels war sanfter, und er schloss die Finger um eines seiner Handgelenke. 

Mit sanfter Gewalt zog er die Hand zur Seite.

Tränen flossen in Strömen über Gillis' Gesicht und wuschen das getrocknete Blut ab.

„Hier. Es war vorherbestimmt, dass du hier landest. ”

Obwohl Tränen seine Sicht verschleierten, schaute er auf das hinab, was der Teufel ihm hinhielt.  Es war das zerlesene Buch.

In fein säuberlicher Schrift stand dort eine Liste von Namen und Daten.

Viele waren durchgestrichen, andere noch frei. Wie von selbst senkte sich Gillis' Blick auf die vergilbten Seiten. Er fand seinen Namen beinahe auf Anhieb.

Etwa in der Mitte der Seite stand er, sowie das Datum des heutigen Tages.

 Das zu sehen war nun doch ein Schock für ihn. Und er hätte soviel dafür getan, um in den Himmel zu kommen.

Er fröstelte leicht und blickte in Mephistopheles' Augen.

Auch der Blick des Teufels sprach von leichter Sanftheit und Mitleid.

 „Warum ich?”, flüsterte Gillis mit belegter Stimme.

„Ich kann es dir nicht sagen. Ich fange nur die Seelen auf. Wenn du wissen willst warum, musst du schon Gott fragen. Nicht mich. ”

Schniefend wischte Gillis sich mit dem Handrücken über die feuchten Tränenspuren auf seinen geröteten Wangen. 

Alles, woran er gestern noch geglaubt hatte, war gestorben. Aber er war tot, was nützte diese Einsicht jetzt noch?

Was nutzte der Hass, die Revolution?

Bebend schlang Gillis die Arme um seine Beine und wippte leicht vor und zurück. Langsam erhob Mephistopheles sich und strich mit einer Hand den Stoff seines bodenlangen Baumwollmantels glatt.

Wie von selbst schritt er auf den verwitterten Baum zu und berührte mit den Fingerspitzen leicht die raue Rinde.

Tief im Inneren schien der Baum zu erzittern und von einem Moment auf den anderen stand er in voller Blüte. 

Hellgrüne Blätter zierten die Zweige, weiße Blüten schimmerten leicht, die Äste bogen sich unter dem Gewicht der dunkelroten Äpfel.

Erschrocken zuckte Gillis zusammen. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Ein leises Lachen entschlüpfte Mephistopheles Lippen, als er den verdutzten Blick seines Gastes sah.

Er musste sich nur ein wenig recken, um einen der Äpfel pflücken zu können. Diesmal lächelte er wirklich, seine Finger umschlossen die dunkelrote Frucht.

Für einen Moment glaubte Gillis, einen Blick auf den Luzifer zu erhaschen, der er früher gewesen war.

Eine strahlende Gestalt, die Haare noch immer tiefschwarz, die Augen erfüllt von einem unbändigen Feuer erfüllt. Und er glaubte den Schatten zweier großer, weißer Flügel hinter ihm erkennen zu können.

"Komm her, Gillis. Ich will dir noch eine Chance geben."

Ruckartig flog Gillis' Kopf nach oben, dass blonde Haar wirbelte durch die Luft.

Hoffnung, wilde, ungezähmte Hoffung, durchströmte ihn. Konnte es sein?

Konnte es wirklich sein?

Schwankend erhob er sich und taumelte auf Mephisto zu.

Vergessen war Gott. Er half ihm hier nicht. Krampfhaft versuchte er zu schlucken und zitterte unwillkürlich.

Der leichte, goldene Glanz, den der Apfel verströmte, zeichnete kleine Lichtflecken auf die blasse Haut des Teufels.

"Eine Chance?", fragte Gillis heiser. Etwas schien ihm die Kehle zu zuschnüren.

Gedankenverloren nickte Mephisto und drückte dem Christen die Frucht in die Hand, umschloss seine Hände mit den langgliedrigen Fingern.

Wider erwarten war seine Haut kälter als Eis, hinterließen ein brennendes Gefühl.

Fröstelnd wollte Gillis zurückweichen, doch plötzlich hielt Mephisto ihn fest, zwang ihn an Ort und Stelle zu bleiben.

Die Pupillen des gefallenen Engels schrumpften auf die Größe von Stecknadelknöpfen zusammen und als er sprach, hallte seine raue Stimme leicht wieder.

"Ich gebe dir die Chance, alles anders zu machen. Ich gebe dir die Chance, alles zu ändern. Aber nur diese eine. Der Baum der Erkenntnis macht gottgleich. Doch was das bedeutet, musst du selbst herausfinden. Nutze die Gelegenheit."

Eis schien durch Gillis' Adern zu fließen, breitete sich wellenartig in seinem Körper aus und ließ sein Innerstes gefrieren.

Scharfer, beißender Schwefelgeruch drang an seine Nase, füllte seine Lungen, brannte und ließ ihn husten.

Das letzte, was er sah, waren Mephistos Augen, die in anstarrten und von innen heraus zu glühen schienen.

Howling With The Dogs

 

Die nasse, schwarze Nase zuckte. Schnaubender Atem erfüllte die Luft, bis eine rosa Zunge aus der langen, schmalen Schnauze schnellte und über die Nase leckte.

Winselnd legte der übergroße Dobermann den schweren Kopf auf die Vorderpfoten.

Kluge, dunkle Augen richteten sich auf den reglosen Mann, der seit Stunden auf der dreckigen Matratze lag.

Der Gestank von Tod lag in der Luft, drückend, modrig.

Plötzlich tat sich etwas.

Auf dem gräulichen, von Einstichstellen übersäten Unterarm erschienen schwarze Linien.

Langsam breiteten sie sich auf der Haut aus, zerliefen und verästelten sich, bis sie abrupt in der Handfläche endeten.

Zischend sog der Mann die Luft ein und schlug die Augen auf.

Verwirrung spiegelte sich in seinen Augen, als er sich ruckartig aufsetzte und sich hektisch umsah.

Gillis wusste nicht, wie ihm geschah. Die dreckige, kleine Absteige, in der er erwacht war, gehörte ihm nicht, er kannte sie nicht einmal.

Sein Blick irrte durch das Zimmer.

Es gab kein Bett, nur eine Matratze auf dem Boden, Klamotten und Hundespielzeug verdeckten den Rest des Teppichs, große Schimmelflecken zierten die Wände wie Gemälde.

Eine nackte Glühbirne hing unter der Decke, alles wirkte trostlos und heruntergekommen.

Jammernd setzte der Hund sich auf. Er spürte instinktiv, dass dies nicht sein Besitzer war, auch wenn er genauso aussah.

Erschrocken zuckte Gillis zusammen, als er den Hund sah. Mit Hunden hatte er nie viel zu tun gehabt.

„Braver Hund. Bleib gefälligst ruhig liegen“

Selbst seine Stimme war eine andere. Tiefer und rau, mit einem leicht rauen Unterton, als hätte er nichts besseres zu tun, als ständig zu rauchen.

Ganz langsam erhob Gillis sich und raffte die dünne Decke um sich, damit er nicht ganz nackt dastand.

„Ich weiß, ich sollte dich nicht ständig belästigen, aber ich konnte einfach nicht anders.“

Ein spitzer Schrei entrang sich seiner Kehle und er wirbelte herum. Das Herz schlug Gillis bis zum Hals und drückte sich beinahe schmerzhaft gegen seine Rippen. Mit zitternden Händen hielt er die Decke an sich gepresst und die Farbe wich aus seinem Gesicht.

Niemand geringeres als der Teufel selbst kauerte auf der Fensterbank, dass kleine Buch aufgeschlagen auf seinen Knien, eine altmodische Feder in der Hand.

„Schau doch nicht so erschrocken. Immerhin sehen wir uns nicht zum ersten Mal, oder?“

Unschuldig klimperte er mit den Wimpern, bevor er den Blick wieder auf die Seiten seines Buches senkte. Sorgfältig strich er etwas auf dieser Seite durch.

Stöhnend ließ Gillis sich auf seine Matratze fallen und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das kann doch nicht wahr sein!“

„Ja, sicher, ich bin nur eines deiner Hirngespinste. Dann sei doch einfach so freundlich und rede einfach weiter mit mir. Ich habe nicht so viele Leute zum Reden. Abgesehen von diesen drogensüchtigen Jugendlichen, die irgendwelche Platten rückwärts spielen, um mich zu rufen oder Botschaften von mir zu empfangen. Glaub mir, das Niveau dieser Unterredungen sind wahrlich schlecht.“

Missbilligend schnalzte Mephisto mit der Zunge und kritzelte auf seiner Buchseite herum.

Gillis brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Das Erlebte steckte ihm noch in den Knochen.

Schnaubend fuhr er sich mit einer Hand durch das kinnlange, schwarze Haar.

Verwirrt starrte er auf die dünnen Strähnen zwischen seinen Fingern. Aber er war doch blond?

Und das waren auch nicht seine Hände, nicht seine Arme, nicht sein Köper.

„Was zum Teufel?“, rief er und sprang auf die Füße.

Vergessen war die Decke, zu groß der Schock.

Blitzschnell hob Mephisto das Buch vor die Augen, ein dreckiges Grinsen auf den Lippen.

„Aber, aber, also bitte. Bedecke doch deine Blöße. Was wäre wohl passiert, hätte ich deinen alten Körper genutzt?

Leute, die plötzlich von den Toten auferstehen, lösen für gewöhnlich eine Massenpanik aus. Wie gerne hätte ich Elvis zurückgeschickt? Aber er wollte ja auch nicht zurück. Hatte die Schnauze voll von sich selbst. Tja, schade drum.“

Blinzelnd schaute Gillis zu Mephisto, beziehungsweise dem, was er von seinem Gesicht sehen konnte und zog eine Augenbraue nach oben.

„Elvis?“

Mephistos blitzende Augen erschienen über dem Rand des Buches.

„Als würde je irgendein guter Musiker in den Himmel kommen. Abgesehen von Schlagerstars. Die will ich aber auch nicht.“

Unwillkürlich griff Gillis sich an die Schläfen. Mephistos Gerede bereitete ihm langsam Kopfschmerzen. Elvis? Schlagerstars?

Verzweifelt versuchte Gillis seine Gedanken zu ordnen.

„Also hast du mich in einen anderen Körper gesteckt. Und was ist mit...ihm passiert?“

Das Buch verschwand aus Mephistos Händen und er sah ihn nun offen an.

„Er wäre sowieso gestorben. Überdosis. Es hat sich einfach angeboten. Und Gott interessiert es nicht wirklich, ob die wirklich sterben, die es auch tun sollen.“

Grinsend trommelte der Teufel mit den Fingern einen wilden Takt auf dem Fensterbrett.

Jetzt hatte Gillis wirklich Kopfschmerzen. Ohne groß darüber nachzudenken sah er an sich herunter und bemerkte erst jetzt seine Nacktheit.

Glühende Röte färbte seine Wangen ein und er bückte sich schnell, um in eine der am Boden liegenden Hosen zu schlüpfen.

„Ich wollte dich nicht noch einmal darauf hinweisen. Sonst denkt man noch, ich würde wohin sehen, wo ich nicht hinzusehen habe.“

Kopfschüttelnd drehte Gillis sich um und sah sich wieder im Raum um. Rechts führte eine schmale Tür nach draußen. Der Hund saß immer noch auf seinem Platz, die Augen huschten zwischen Gillis und dem Teufel hin und her.

Leichtfüßig erhob Mephistopheles sich und ging auf den Hund zu. Er streckte die Hand aus.

„Armes Mädchen. Ist dein Besitzer tot? Gilchrist wird sich sicher um dich kümmern.“

Vertrauensvoll leckte der Dobermann die hingehaltene Finger ab und schmiegte dann den Kopf an die Hand des Teufels.

Erstaunt musterte Gillis die Szene. Wie gelassen der Hund reagierte. Schließlich nieste die Hündin und Mephisto lachte leise.

„Tut mir leid. Der Schwefelgeruch geht einfach nicht weg. Nicht mal das beste Deo kann den überdecken.“

Jetzt drehte der Teufel sich wieder um und lächelte leicht.

„Ich dachte eigentlich, du wolltest dein neues Aussehen bewundern.“

Gillis zuckte zusammen und nickte kurz. Er musste sich eingestehen, dass er zum Teil wirklich neugierig war.

Vorsichtig öffnete er die Tür, während Mephisto sich wieder dem Hund widmete.

Vor ihm tat sich ein Flur auf, der genauso heruntergekommen aussah wie das Schlafzimmer. Tapete blätterte von der Wand ab und hier gab es keine Glühbirne.

Probehalber kippte Gillis den Schalter noch ein paar Mal. Er wurde nicht mal mit einem müden Flackern belohnt.

Seufzend tappte er den Gang hinunter. Es gab nur noch drei weitere Türen.

Er zögerte nicht lange und öffnete die Tür auf der linken Seite; ein schmutziges Treppenhaus, Schuhe stapelten sich auf der anderen Seite.

Umsichtig schloss er die Tür wieder und ging zur nächsten, diesmal auf der rechten Seite.

Gillis hatte Glück, es war wirklich das Badezimmer. Sanitätsanlage auf kleinstem Raum.

Dusche, Waschbecken und Toilette drängten sich aneinander, man konnte sich kaum bewegen, ohne irgendwo anzustoßen. Jetzt verließ ihn doch beinahe der Mut. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Sicher würde es mehr als nur ein Schock sein, einem Fremden im Spiegel zu sehen.

Aber es brachte alles nichts. Ansehen musste er sich irgendwann.

Tief atmete Gillis ein und hob ruckartig den Kopf, um in den Spiegel schauen.

Der Anblick erschreckte ihn wie erwartet.

Ein scharf geschnittenes Gesicht sah ihm entgegen, mit eingefallenen Wangen und blasser Haut.

Das Haar war tiefschwarz, aber glanzlos und struppig, ungefähr kinnlang. Aber das Interessanteste waren die Augen.

Leicht schräg stehend, dass sein Gesicht einen katzenhaften Ausdruck annahm und sie waren zudem auch noch verschiedenfarbig.

Das rechte Auge war dunkelgrün, wusste sich nicht so recht zwischen braun und grün zu entscheiden.

Und das linke war hell, eisig blau mit einer Pupille in der Größe einer Stecknadel.

„Das war unvermeidbar. Den Dreh habe ich da noch nicht so raus.“

Zum zweiten Mal an diesem Tag schien Gillis’ Herz vor Schreck stehen zu bleiben.

Keuchend wirbelte er herum und stieß mit den Beinen gegen die Toilette.

Beinahe direkt hinter ihm stand Mephisto, den Blick prüfend auf den Spiegel gerichtet.

Doch Gillis hatte im Spiegel nur sich selbst gesehen.

„Wie? Warum?“

„Ich bin nie im Spiegel zu sehen. Nur im klaren Wasser kann ich mich spiegeln. Ist recht lästig, aber nicht änderbar.“

Mephisto drehte sich um und fuhr sich grinsend mit einer Hand durch die Haare.

„Deine Augen. Das ist normal. Ich habe bisher alle mit zweifarbigen Augen beschenkt, die ich zurückgeschickt habe. Bis auf Nero. Aber schau dir nur an, welche Psyche er hatte. Sei also froh drum.“

Langsam ließ Gillis sich auf den geschlossenen Klodeckel sinken.

„Das ist doch alles verrückt.“

„Nichts auf dieser Welt ist normal. Hinter allem steckt eine groteske, verdrehte Wahrheit. Lebe damit.“

Herausfordernd blickte Mephistopheles ihn an, die hellen Augen beseelt von einem kalten Feuer.

Plötzlich ging eine unbändige Energie von dem Teufel aus und er begann, in dem kleinen Badezimmer Kreise zu ziehen.

„Rockmusik ist die reinste Form der Revolution. Du könntest eine ganze Generation Jugendlicher ändern. Du könntest vieles verändern. Du hast nun die Macht dazu!“

Blitzschnell packte er zu, umklammerte Gillis’ Handgelenk und zerrte den Arm hervor.

Mit dem Zeigefinger tippte Mephisto auf das Tattoo eines knorrigen Baumes auf dem linken Unterarm.

„Der Baum der Erkenntnis, von dem Adam und Eva aßen. Er gibt Chancen, Macht zu erhalten. Nutze sie! Wir gaben dir das Leben. Jetzt mach etwas draus. Ändere die Dinge!“

Und mit einem Mal war der Teufel verschwunden. Zurück blieb nur ein leichtes Brennen auf Gillis’ Arm und eine bedrückende Stille.

Gedankenverloren starrte Gillis auf die Tür. Mehr und mehr hatte er das Gefühl, einfach nur verrückt zu werden.

 

Fröstelnd schlug Gillis den Kragen seiner roten Lederjacke hoch. Es war ungewöhnlich kühl, vor allem für Kalifornien im Sommer.

Der Kleidungsgeschmack des Junkies Louis, in dessen Körper er steckte, war etwas ganz Neues für Gillis.

Nach langem Suchen hatte er sich für eine leicht zerrissene schwarze Jeans, dunkelrote Sneakers, ein weißes T-Shirt und die rote Lederjacke entschieden.

An das viele Schwarz in seinem Kleiderschrank musste er sich erst noch gewöhnen.

Er wusste selbst nicht so genau, wo er eigentlich hinwollte.

Er wollte nur nicht Mephisto begegnen.

Obwohl der Teufel gut und gern ein Hirngespinst sein konnte, machte er ihm Angst.

Auf offener Straße würde er vielleicht nicht erscheinen.

Der Abend senkte sich über die Stadt und am Straßenrand flammten die Laternen auf.

Ein erneuter kühler Windhauch ließ Gillis frösteln. Zitternd wandte er den Kopf ab und glaubte plötzlich Mephisto sehen zu können, der ihm grinsend zuwinkte.

„Das kann doch nicht wahr sein! Hat er denn sonst nichts zu tun?“

Aber Gillis war auch neugierig. Kurz hob sich sein Blick und fiel auf die Leuchtreklame.

Warum verschlug es den Teufel in einen Club namens Bourbon Room?

Gillis’ Beine schienen ein Eigenleben zu haben, als er die Straße überquerte und den Club betrat.

Einen Türsteher gab es nicht.

Der Vorraum war gefliest. Rechts lagen die Toilettenräume und eine Treppe führte nach oben.

Links ging eine Treppe nach unten. Zuckende Blitzlichter färbten die weißen Fliesen bunt ein, laute Musik ließ den Boden beben.

Schritt für Schritt ging Gillis den lauten Stimmen entgegen.

Dem Club hatte man den ganzen Keller geopfert. Buntes Licht flackerte umher, auf der Tanzfläche zuckten die Tänzer wie wild herum und die Musik vibrierte irgendwo in seiner Magengrube und drückte auf seine Trommelfelle.

In seinem früheren Leben wäre er nie in einen solchen Laden gegangen.

Unsicher schob Gillis sich an der Wand entlang und blickte von einem Gast zum anderen.

Ganz hinten im Raum hatte man zwei Sofas und drei Sessel gequetscht.

Nur eine Couch war noch halbwegs frei, auf ihr saß nur ein junger, blonder Mann. Er wippte vor und zurück, dass Haar kippte bei jeder Bewegung hin und her.

Gillis war es mehr als unangenehm, sich zu setzen, doch er war wie fremdbestimmt.

Ruckartig hob sein Sitznachbar den Kopf. Graue Augen lugten unter den Spitzen der Haare hervor, bis er anfing zu kichern.

„Du musst unbedingt David Bowie hören. Der ist echt gut. Warum ist er nur gestorben? Egal. Ich finde, eine Überdosis ist die beste Art zu sterben. Du verreckst glücklich auf einem Trip. Außer es ist ein Horrortrip. Ich bin Scott, nenn mich bloß nicht Scottie, dass kann ich gar nicht ausstehen. Wie heißt du? Ich mag deine Augen. Sind das Kontaktlinsen?“

Scott erinnerte Gillis an ein flackerndes Kerzenlicht; sprunghaft und unkonzentriert.

Aber er wirkte nett und ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Das Erste, seit er Mephisto kannte.

„Ich bin Gil.. erm, Louis. Nein, die Augen sind echt, nichts Künstliches. Freut mich echt, dich zu treffen, Scott. Wie war das mit Bowie?“

Immer noch grinste Scott, als wären Weihnachten und Thanksgiving auf seinen Geburtstag gefallen.

Seine Augen glänzten und er ergriff plötzlich Gillis’ Hand. Dieser hatte sich daran erinnert, dass er nicht mehr Gilchrist hieß, nicht mehr offiziell, sondern Louis.

„David Bowie war super, richtig gut. Nicht nur seine Musik, sondern auch, was er getan und kreiert hat. Er war ein musikalisches Chamäleon, immer im Wandel, immer anders aber immer Bowie. Er hat so viele Leute inspiriert, so viele haben ihn bewundert.“

Seufzend sank er zurück in die roten Kissen, der Blick plötzlich leicht verschwommen.

Noch immer hielt er Gillis’ Hand und strich mit den Fingern über die glatte Haut auf seinem Handrücken.

Währenddessen merkte Gillis auf. Scott schien etwas von Musik zu verstehen und die leichte Hornhaut auf seinen Fingerkuppen und die langen Finger zeugten davor, dass er ein Instrument spielte.

Ihm dämmerte, dass Mephisto ihn hier runter gelockt hatte, um seinen Plan zu verwirklichen. Ihn zu einem Musiker zu machen. Jemand mit Einfluss auf die heutige Jugend unter Leitung des Teufels. Was gab es Besseres?

„Sag mal, Scott, spielst du eigentlich ein Instrument?“

Wie ein Kastenteufel schnellte Scott wieder nach vorne und nickte eifrig. Die wasserstoffblonden Haare flogen wild durch die Luft und wurde von den bunten Lichtern im Club eingefärbt.

„Ich spiele Gitarre. Schon seit Jahren. Ja, ja. Gitarre.“

Kichernd beugte er sich nach vorne und Gillis zweifelte langsam an dessen Verstand. Der Junge schien nicht ganz richtig im Kopf zu sein.

„Da steckst du also, Scott. Hau doch nicht immer ab! Glaubst du, ich habe nichts Besseres zu tun?“

Zeitgleich haben Scott und Gillis den Kopf. Neben ihnen stand ein blutjunges Mädchen, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt.

In gewisser Weise sah sie Scott ähnlich, wenn auch nur in der Farbe ihrer Augen. Auch ihr Haar war blond, aber hüftlang und wies einen leichten Rotstich auf.

„Gina! Nerv mich nicht! Hau ab!“

Scott schien aufrichtig wütend zu sein, was bei seinem Geisteszustand verwunderlich war.

Sauer funkelte er sie an, während Gillis die Kleine interessiert musterte.

„Halt doch einfach die Klappe, Scott“, erwiderte sie brüsk und warf mit einer Hand die lange Haarmähne zurück.

Gillis spürte ein sanftes Kribbeln, dass über seine Haut lief und in seltsam nervös werden ließ.

Ganz kurz blickte sie zu ihm und lächelte leicht. Dabei glitzerten ihre Augen und sein Herz machte einen seltsamen kleinen Sprung.

„Hat mein Bruder dich genervt? Sorry, ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen. Er hatte als Kind ADHS und unsere Eltern haben ihn mit Medikamenten vollgestopft. Seit er keine mehr nimmt, ist er so komisch.“

Dabei warf sie ihrem Bruder, der wieder vollkommen ruhig war, einen kurzen Blick zu.

„Kein Problem“, versicherte Gillis und lächelte ebenfalls.

Ohne weitere, erklärende Worte zog der blonde Irre Gillis’ Arm auf seinen Schoß, zauberte einen Edding aus den Tiefen seiner Hosentasche hervor, beugte sich nach vorne und kritzelte drauflos.

Überrascht blickte Gillis den vor und zurück wippenden Scott an, während Gina eine leichte Handbewegung machte, als wolle sie ihn aufhalten.

„Was machst du da?“, fragte sie überrascht.

Plötzlich sprang er ruckartig auf., stieß Gillis’ Arm von sich und hakte sich bei seiner Schwester unter.

„Ruf mich an. Dann reden wir weiter über Bowie. Nettes Tattoo. Vor allem die Blüten.“

Grinsend winkte er Gillis noch einmal zu, bevor er seine Schwester mit sich zog.

Ein letztes Mal noch drehte Gina sich um und lächelte ihm wehmütig zu und folgte dann ihrem Bruder. Das lange Haar wippte bei jedem Schritt mit.

„Blüten?“

Verwirrt sah er auf seinen Unterarm hinab. Neben dem knorrigen Stamm des Baumes stand eine verschmierte Handynummer, und an einem der Zweige waren weiß-goldene Blüten erschienen.

 

Mephisto

 

„Das heißt, ich bin auf dem richtigen Weg?“

Gedankenverloren starrte Gillis zur Decke hinauf. Er lehnte an der Anrichte in seiner kleinen Küche, der Ventilator arbeitete auf Hochtouren.

Eine Hitzewelle hatte Kalifornien überrollt und die Temperaturen krochen beharrlich auf die vierzig Grad zu.

„Kann man so sagen“, brummte Mephistopheles und fing den Tennisball auf, den er seit einer halben Stunde auf und nieder warf.

Ihm schien die Hitze nichts auszumachen, während Gillis das Shirt am Körper klebte.

Ganz sicher, ob er Scott wirklich anrufen sollte, war Gillis sich nicht.

Mephistos Meinung nach bedeuteten die Blüten, dass er auf dem Pfad wandelte, der für ihn vorgesehen war.

Erreichte er sein Ziel, würde der Baum in voller Blüte stehen.

Doch nur der Teufel selbst schien wirklich zu wissen, was ganz am Ende des eingeschlagenen Pfades lauerte.

Dumpf krachte der Tennisball Millimeter neben Gillis’ Kopf gegen die Wand, er konnte den Lufthauch auf seiner Wange spüren.

Erschrocken zuckte er zur Seite und funkelte Mephisto wütend an.

„Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun? Ich meine, immerhin bist du der Teufel! Da solltest du doch anderes zu tun haben, als mich zu nerven.“

Es verwunderte Gillis immer wieder. Mephisto schien nichts Anderes zu tun zu haben als den lieben, langen Tag um ihn herumzuhüpfen und ihn zu triezen.

„Das geht schon! Die Menschen schaffen sich ihre eigenen Höllen. Mach dir keine Gedanken, das übersteigt sowieso nur deine Vorstellungskraft!“

Lachend lehnte Mephisto sich an das halb geöffnete Fenster und blickte zu Jamaica.

Die Hündin hatte sich auf den am Boden liegenden Tennisball gestürzt und kaute nun unter lautem Schmatzen darauf herum.

Gillis hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, den Hund ins Tierheim zu bringen, auch wenn er diesen Viechern nichts abgewinnen konnte.

Mit dem Mut der Verzweiflung hielt er also an der knapp fünfundvierzig Kilo schweren Sabbermaschine fest.

„Aber wo du es gerade sagst, Gillis.“

Von einem Moment auf den anderen war der Teufel verschwunden, ein warmer Windhauch trug den Geruch von Schwefel heran.

Schaudernd schüttelte Gillis den Kopf. Daran hatte er sich noch nicht gewöhnt.

Gewissensbisse plagten den ehemaligen Christen. Hatte er nicht Gott, seinen Glauben, alles was er war verraten, indem er ein Werkzeug des Teufels wurde und als solches auch agierte?

Aber hatte Gott ihn nicht auch verraten, indem er ihn zur Hölle geschickt hatte?

Seine wirren Gedanken fanden ein jähes Ende, als es an der Tür klingelte.

Außer Mephisto und Scott kannte er keinen in Los Angeles. Der Erste würde bestimmt nicht klingeln und der andere wusste nicht, wo er wohnte.

Folglich musste es jemand sein, der zu Louis, dem Junkie, wollte. Oder es war der Postbote.

Seufzend stieß Gillis sich von der Anrichte ab und trat in den deutlich kühleren Flur.

Trotz aller Putz- und Renovierungsbemühungen sah es noch immer trist aus.

Ein Teil von ihm schien ihn eindringlich zu warnen, ihm sagen er solle die Tür bloß nicht öffnen. Doch sein rational denkender Teil des Gehirns sagte ihm, dass dies Unsinn war.

Daher verzichtete er auch darauf, durch den Türspion zu schauen. Hätte er das mal lieber getan.

Die Tür war nicht einmal ganz auf, als ein harter Schlag ihn zurücktaumeln ließ.

Der Schmerz schien unter seiner Haut zu explodieren, es knackte laut, ein ekelerregend feuchtes Geräusch.

Blut schoss aus seiner Nase, als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht, rann ihm über Mund und Kinn und lief ihm sogar in den Rachen.

Dumpf prallte er mit dem Rücken gegen die Wand und sackte zu Boden.

Hustend spuckte er Blut, fluchte leise und hielt sich die schmerzende Nase.

„Was soll der Scheiß, verdammt?“

Blinzelnd sah er auf, hin zu seinem Angreifer und unterdrückte mühsam die aufsteigenden Tränen.

Der Schmerz war höllisch, pochte und ziepte unangenehm.

Ein hagerer, schmaler Mann stand in der Tür, flankiert von zwei bulligen Kerlen, die man unter stark, aber dumm einordnen konnte.

„Ich will endlich mein Geld, Louis!“

Mühsam rappelte Gillis sich auf und gab es auf, das Blut aufhalten zu wollen und ballte die blutverschmierten Hände zu Fäusten.

Der Mann war kleiner als er, nicht besonders kräftig, mit rötlichem Haar und braun gebrannter Haut.

„Welches Geld?“, fragte Gillis unschuldig und rutschte etwas die Wand entlang.

Er hoffte, dass Jamaica reagieren würde, doch von dem Hund war nichts zu sehen.

„Das Geld, dass du mir schuldest! Ich will es haben, verdammt!“

Fluchend drängte der Mann vor, seine Leibwächter folgten. Im Flur wurde es plötzlich eng, die Chancen zu einer erfolgreichen Flucht tendierten gegen Null.

Gillis Gedanken rasten. Gegen die beiden Leibwächter hatte er alleine keine Chance.

„Ich schulde dir kein Geld. Ich habe doch nicht mal was! Warum sonst hänge ich wohl hier rum?“

Eine nicht gerade hübsche Röte schoss dem Drogendealer in die gebräunten Wangen und biss sich fürchterlich mit dem roten Haar.

Ganz plötzlich ähnelte er sogar einer Karotte.

„Was heißt hier kein Geld? Du musst bezahlen, freiwillig, oder wir zwingen dich dazu!“

Gillis’ Herz schlug schmerzhaft gegen das Gefängnis seines Brustkorbs.

Für ihn blieb nur eine Möglichkeit und ein Grundsatz: Angriff ist die beste Verteidigung.

Leicht duckte er sich und sprang beflügelt vom Todesmut mit gesenktem Kopf voran.

Und die Leibwächter reagierten vor Überraschung zu spät.

Gillis und der Dealer taumelten in einer seltsamen Umklammerung zur Tür und ins Treppenhaus zurück, bevor sie zu Boden gingen.

Die Hölle schien einen schlechten Einfluss auf Gillis zu haben. Hätte er sich vor seinem Tod niemals geprügelt, so stemmte er sich jetzt auf Hände und Knie hoch und holte mit der Faust aus, um den Mann direkt ins Gesicht zu schlagen.

Die Augen seines Opfers weiteten sich vor Schreck und Angst. Geprügelt hatte der sich anscheinend noch nie.

Doch bevor Gillis wirklich zuschlagen konnte, griffen Hände seine Oberarme, gruben sich in seine Haare und rissen ihn zurück.

Schreiend vor Schmerz landete er auf dem Rücken und schlitterte über die schmutzigen Fliesen.

Jemand drehte ihm den Arm um, während die Hände aus seinem Haar verschwanden.

Wimmernd wand Gillis sich unter dem Druck, glaubte, dass sein Knochen jeden Moment brechen musste. Doch plötzlich hörte er ein lautes Splittern und die Hand um seinen Oberarm lockerte sich, bevor sie ganz erschlaffte und ihn losließ.

„Legt euch doch mit jemanden in eurer Größe an ihr Deppen!“

Er kannte die Stimme, ganz sicher, konnte aber nicht sagen, wem sie denn jetzt eigentlich gehörte.

Würgend, verschmiert mit Blut, rappelte er sich halb auf und lehnte sich keuchend gegen die Wand.

Einer der Leibwächter kniete am Boden und hielt sich den blutenden Hinterkopf.

Am Boden lag die zerbrochene Hälfte eines Skateboards, geschmückt mit Blutstropfen.

Es war niemand anderes als Scott, der die zweite Hälfte umklammert hielt und damit dem zweiten im Bunde zu Leibe rückte.

Das blonde Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, er hatte Ähnlichkeit mit Einstein und er blickte mit einem leicht irren Ausdruck im Gesicht umher.

Ganz geheuer schien es weder dem Dealer noch seinem Bodyguard zu sein.

Man sollte vielleicht auch erwähnen, dass Scott absolut verrückt aussah.

Wütend funkelte der Dealer Gillis ein letztes Mal an.

„Dich kriegen wir noch!“

Mit erhobenem Kopf stolzierte er die Treppe hinunter, dicht gefolgt von seinem unverletzten Kumpanen.

Selbst der verletzte Schimpanse erhob sich und taumelte seinem Boss nach.

Scott stieß einen Laut aus, der entfernt an das Fauchen einer wütenden Katze erinnerte.

Er trug abgewetzte Kampfstiefel, kniehohe weiße Strümpfe und pinke, kurze Shorts.

Das weiße Hemd war ja noch normal, , nur die orange Krawatte mit Pistolenmuster ruinierte das ganze wieder.

Grinsend wandte er sich um und sah Gillis an, bevor er das Skateboard fallen ließ und auf ihn zusprang.

„Mann, siehst du scheiße aus! Ich glaube, du hast dir die Nase gebrochen.“

Kichernd schlang Scott die Arme um Gillis Mitte und drückte ihn kurz an sich.

Verwirrt hob dieser die Hände und sah auf das blonde Haar unter ihm hinab.

Warum freute Scott sich nur so?

Ruckartig trat Scott zurück und blickte ihn offen an.

„Komm, wir fahren ins Krankenhaus. Du siehst echt gruselig aus.“

Fröhlich hüpfte er die Treppe hinunter. Mit dröhnenden Kopfschmerzen und noch immer blutender Nase folgte Gillis ihm ergeben.

 

„Woher wusstest du eigentlich, wo ich wohne?“, fragte Gillis und legte die Füße auf den Tisch.

Sie waren zu Scott gefahren, nachdem Gillis in einem der örtlichen Krankenhäuser verarztet worden war.

Die Nase hatte Gillis sich wirklich gebrochen. Man hatte ihm jedoch lediglich ein Pflaster auf die Nase geklebt und behauptet, alles würde auch so zusammenwachsen.

Alles super.

Im Laufe der ganzen zwei Stunden, die der Nasenbruch nun her war, waren dunkelblaue Ringe unter seinen Augen erschienen, er sah aus, als hätte er zwei blaue Augen geschlagen bekommen und mehrere Tage hintereinander nicht mehr geschlafen.

Die Wohnung, in der Scott und seine Schwester Gina wohnten, war ebenso heruntergekommen wie Gillis seine.

Sie alle schienen zur untersten Schicht der Gesellschaft zu gehören, nur erhaben über Süchtige und Obdachlose.

„Du hast mir doch eine SMS geschickt.“

Aus der Tasche seiner Shorts zog Scott ein ramponiertes Handy und zeigte Gillis eine SMS, wirklich abgeschickt von seinem, beziehungsweise Louis’ Handy.

„Ach ja, stimmt. Habe ich schon ganz vergessen“, nuschelte Gillis und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Schweigend saßen die beiden so da, bis Scott sich plötzlich kerzengerade aufrichtete.

„Wir sollten eine Band gründen. Du hast eine gute Stimme, ich spiele Gitarre. Ein paar andere Deppen finden wir schon. Come on!“

Scott sprühte förmlich vor Begeisterung, man konnte es beinahe auf der Haut spüren.

Einerseits fühlte Gillis die gleiche Begeisterung, doch andererseits ahnte er, wer hinter dem Einfall steckte.

„Mephisto!“, fluchte er leise. Scott merkte auf und grinste süffisant.

„Das wäre schon mal ein Name. Komm schon, Louis! Das wird was, wir schaffen das!“

Er lag halb auf dem Tisch, seine Augen funkelten vor Enthusiasmus.

Unsicher biss Gillis sich auf die Unterlippe.

Schließlich gab er sich doch einen Ruck.

„Na gut. Dann sind wir ab sofort eine Band. Aber bitte nenn mich Gillis. Ist mein Spitzname.“

Ganz kurz spiegelte sich Verwirrung in Scotts Augen, bevor er anfing zu lachen, aufsprang und um den Küchentisch hüpfte.

Wie zwei Schraubstöcke schlossen seine Arme sich um Gillis’ Hals und drückten ihm kurz die Luft ab, während Scott ihm fröhlich ins Ohr kicherte.

„Was macht ihr denn da?“

Überrascht sahen beide auf. Gina stand in der Tür, eine schwere Tasche über einer Schulter.

Für Gillis sah sie einfach nur bezaubernd aus.

„Wir sind ab sofort eine Band!“, rief Scott und ließ von ihm ab, hüpfte quer durch die Küche und umarmte stattdessen seine Schwester.

Ein wenig überrumpelt tätschelte sie seinen Rücken und blickte Gillis über seinen Kopf hinweg fragend an.

Er zuckte nur kurz mit den Schultern und sagte: „Warum auch nicht?“

Gegen Mephistos Willen kam er sowieso nicht an. Und er wollte Leben, dass Leben endlich genießen, wie er es nie getan hat, als er noch ein Christ war, gefangen in einer hemmenden Doktrin.

Seufzend rieb Gillis sich über den kribbelnden Unterarm. Ein kurzer Blick auf den Baum auf seiner Haut verriet ihm, dass neue Blüten erschienen waren.

Oh ja, er war sich ganz sicher, dass Grausames auf sie zukam.

 

Es dauerte genau drei Tage, bis Scott es geschafft hatte, neue Mitglieder der Band in einen Raum zu locken, indem man feierlich die Band offiziell gründen wollte.

Gillis wusste weder, wo er die Leute aufgegriffen hatte, noch, wie er sie zum Treffen gelockt hatte.

Wahrscheinlich hatte er Flyer verteilt, auf denen ‚Freibier für alle und Koks ohne Ende` stand und hatte dann die erstbesten Kerle mitgenommen, die sich gemeldet hatten.

Wieder sprühten Scotts Augen vor Begeisterung und er trat von einem Fuß auf den anderen, als stünde er auf glühenden Kohlen.

Mehr denn je erinnerte er an eine Kerzenflamme im Zugwind.

Gillis hielt sich mit der Begeisterung wohlweislich zurück. Die Kerle waren ein Sammelsurium an Kuriosität.

Der Größte hatte sich unter dem undankbaren Namen Dick vorgestellt und war der ungepflegteste Kerl, den er je gesehen hatte.

Das schulterlange, mausbraune Haar war fettig und schien in drei dicken Strähnen von seinem ovalen Eierkopf zu hängen, ihm fehlten mindestens drei Zähne und seine Gesichtshaut glänzte seltsam.

Gillis zweifelte irgendwie daran, dass dieser Kerl sich wirklich eignete.

Direkt neben Dick, gequetscht an die Lehnen der schmalen Couch, saßen die anderen beiden.

Marius hieß der Rechte; ein dürrer, gebeugter Hänfling mit ein par Büscheln dunklen Haares auf dem ansonsten kahlen Kopf.

Er ähnelte auf groteske Weise Onkel Fester von der Adams Family. Spontan fragte Gillis sich was wohl passierte, steckte man ihm eine Glühbirne in den Mund und setzte man ihn unter Strom.

Der Linke sah noch ganz in Ordnung aus, die Haare waren hellbraun und an einer Seite rasiert.

Nur seine Kleidung stellte sogar Scotts Aufzug in den Schatten, der heute im bodenlangen, grauen Kleid auftauchte.

Jason, so hieß er, hatte sich in ein fürchterlich buntes Hawaiihemd gehüllt, dessen Farben in den Augen brannten.

Die karierte Hose war knielang, die Schuhe giftgrün.

Und um das Gesamtbild der Geschmacksverirrung noch zu verstärken, lag um seine dünnen Schultern eine pinke Federboa.

Gillis erschauerte wirklich.

Nachdenklich winkte er Scott zu sich, der sein Kleid raffte und sich elegant auf die Lehne des Sessels sinken ließ.

Überrascht bemerkte Gillis einen leichten Duft nach Orange. Er erinnerte ihn an seine Kindheit, als im Garten seines Elternhauses noch ein Orangenbaum stand.

Scotts graue Augen funkelten und er strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

„Ich bin mir nicht sicher, Scott. Denkst du wirklich, dass die da passen?“

Langsam neigte Scott den Kopf und hauchte Gillis leise ins Ohr: „Ich habe sie alle spielen gehört. Sie sind gut. Natürlich müssen wir sie neu einkleiden.“

Deutlich roch Gilchrist den Whiskey in seinem Atem und spürte, wie er schwankte.

Anscheinend war der Kleine jetzt schon betrunken.

Vorsorglich schlang Gillis einen Arm um seine schmale Hüfte und zog ihn an sich auf den Sitz, damit er nicht einfach umkippte.

Anscheinend entfaltete der Alkohol gerade seine Wirkung.

Seufzend lehnte Scott den Kopf an Gillis’ Schulter, dass wasserstoffblonde Haar kitzelte ihn an der Nase.

Über den Blondschopf hinweg blickte Gillis die kleine Freakshow auf der Couch an und grinste süffisant.

„Willkommen im ersten Kreis der Hölle, Gentleman!“

 

Mit dem Ellbogen stieß Gillis seine Wohnungstür auf und hievte Scott fluchend ein Stück höher.

Sie waren noch etwas trinken gefahren, um die Gründung der Band zu feiern.

Der sowieso schon angeschlagene Scott hatte gut über die Stränge geschlagen und war auf dem Weg nach Hause eingeschlafen.

Nicht nur das, auch war Gina nicht zu Hause und bei Scott hatte Gillis keinen Schlüssel finden können.

Also schleppte er seinen Gitarristen notdürftig zu sich in die Wohnung.

Dumpf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und er lehnte sich keuchend an die Wand.

Obwohl Scott vielleicht gerade mal 1,78 m groß war, wog er verdammt viel.

Gillis’ Arme schmerzten bereits protestierend und mehr als einmal hatten seine Beine gedroht, unter ihm nachzugeben.

Trappelnde Pfoten kündigten Jamaica an; neugierig trabte sie aus dem Schlafzimmer und schenkte Gillis ein schwaches Wedeln.

„Oh fuck, ich habe ganz vergessen, dass ich dich noch füttern muss. Sorry!“

Stöhnend wankte er auf sein Schlafzimmer zu.

Er wollte Scott auf seine Matratze fallen lassen, doch da saß schon jemand.

Gillis stieß einen Laut irgendwo zwischen Quietschen und einem Schrei aus und ließ Scott beinahe fallen.

Gerade noch fing er den leblosen Körper ab und zog ihn wieder hoch.

„Mephisto!“

Er stieß den Namen wie einen Fluch aus und funkelte den Teufel wütend an. Alkohol machte nicht nur unfähig, sondern auch noch dumm.

Lässig lümmelte Mephisto sich auf dem Bett, den Kopf leicht schief gelegt.

Die hellgrünen Augen glänzten und ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Gillis. Immer wieder eine Freude, dich zu sehen.“

Noch während sein Herz sich schmerzhaft gegen seine Rippen drückte, ging er um das Bett herum und legte seine Last darauf ab.

Murrend drehte Scott sich zur Seite und rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen.

„Er ist der Einzige, der bei dir bleiben wird.“

„Was?“

Ruckartig hob Gillis den Kopf und starrte den Teufel verdutzt an. Mephisto hatte sich erhoben und stand halb im Schatten an der Wand.

„Du wirst viele Freunde finden, Gillis, aber nur er wird bis zum Schluss bleiben.“

Langsam ging Gillis um seine Schlafstätte herum, um den Teufel besser sehen u können.

Einerseits wollte er mehr über die Zukunft erfahren, doch andererseits hatte er auch Angst davor.

„Ich werde dir nur eines sagen, Gilchrist: dein Leben wirst du nicht auf Wolken verbringen.“

 

 

Slaves Only Dreams To Be King

 

„Wir sollten unsere eigenen Songs schreiben und spielen.“

Leise murmelte Scott vor sich hin und räkelte sich leicht. Seit fünf Wochen lebte Gillis nun als Louis in Los Angeles. Und schon ebenso lange war er mit Scott befreundet. Fast.

Mittlerweile war der blonde Irre Gillis wirklich ans Herz gewachsen, trotz all seiner Verrücktheiten.

Gerade jetzt hatte er den Kopf auf Gillis’ Oberschenkel gelegt und blickte mäßig interessiert auf den Bildschirm eines kleinen Röhrenfernsehers.

Eindrucksvoll wurden gerade ein paar behinderte Menschen abgeschlachtet.

Gillis wurde bei dem Anblick ein wenig schlecht, doch Scott schien das ganze kalt zu lassen.

„Unsere eigenen Songs? Ich weiß nicht, wie wir welche schreiben sollen. Über was und so.“

Scott lachte leise und stemmte sich leicht auf. Er schien ein besonderes Bedürfnis an Körperkontakt zu haben, denn es verging kaum ein Moment, in dem er nicht gerade jemanden anfasste.

Meistens war Gillis das Opfer, auch jetzt. Sein Gitarrist setzte sich auf und lehnte den Kopf an seine Brust.

„Mit Provokation erreicht man schnell viel, stellt man es richtig an. Aber man sollte nicht sinnlos schockieren, sonst wird es schnell langweilig. Und stumpfsinnig.“

„Provokation mit Sinn? Ekel mit Niveau?“, fragte Gillis und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Sein Blick war auf die Decke gerichtet, an der sich deutlich Wasser- und Schimmelflecken abzeichneten.

Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. Mit jedem weiteren Tag hasste er diese Wohnung mehr.

Der Schimmel, der Verfall, dass alles schien immer schlimmer zu werden.

„Hast du den Fall von diesem Mädchen mitbekommen? Die angeblich vergewaltigt wurde und dann doch nicht?“

Natürlich, jeder hatte es mitbekommen.

Anna Sanchez, blutjunge achtzehn Jahre alt, hatte den Bruder ihrer besten Freundin bezichtigt, sie vergewaltigt zu haben.

Es gab einen riesigen Aufstand, der Junge wurde geächtet, beschimpft, verprügelt.

Und ganz am Ende hat sich herausgestellt, dass Anna es nur behauptet hatte, um sich vor ihrem Freund rechtfertigen zu können.

Das Ganze war entsetzlich gewesen. Und lehrte viele Männer, die Hände und diverse andere Körperteile von so jungen Dingern zu lassen.

Auch wenn sie hübsch waren.

Und natürlich war es eine gute Inspiration, beinahe so gut wie ein Amoklauf an einer Schule.

„“What’s between your hand and the ass of a lady?“ ,sinnierte Scott und drehte den Kopf, um Gillis ansehen zu können.

Lachend sah dieser zu ihm runter.

„Wirklich? So soll der Song beginnen? Hm.. yeah, it’s her hand, her voice. She says no, I just hear now!“

Es schien einfacher als gedacht. Gillis spürte ein dumpfes Prickeln, dass über seine Haut lief, ähnlich dem, dass er empfunden hatte, als Mephisto ihm ein neues Leben schenkte.

Aufgeregt richtete Scott sich auf und strich sich mit einer Hand immer wieder fahrig durch die Haare, die blonden Spitzen fielen immer wieder zurück in die fanatisch leuchtenden Augen.

Gillis fühlte sich mit ihm verbunden, die Kreativität schien zwischen ihnen zu knistern.

Ungestüm krabbelte Scott über seinen Schoß und riss die Schublade des Nachttisches auf. „Was zum ...?“ ,fragte Gillis, doch die Antwort erhielt er prompt.

Scott zog einen zerknitterten Zettel und einen angenagten Bleistift hervor und grinste leicht.

„Alles notieren, bevor wir es alle vergessen.“

Sanft schlug er das angenagte Ende des Stifts gegen Gillis’ Stirn und beugte sich dann über das Papier, um emsig drauflos zu kritzeln.

„Ich weiß nicht so recht, Scott. Sollen wir das mit der Band wirklich machen?“

Weiter kam Gillis nicht. Sein linker Unterarm, der Arm mit dem Teufelsmal, brannte, als würde jemand einen glühenden Draht auf seine Haut drücken.

Gillis’ Hand schnellte nach unten und umklammerte seinen Arm, er krümmte sich zusammen und stieß einen erstickten Schrei aus.

Der Schmerz raubte ihm den Atem, fraß sich wie Gift durch seine Adern, löschte seine Gedanken aus und nahm besitzt von seinem Körper, seiner Seele.

Er schien von innen zerrissen zu werden, es musste doch aufhören können.

Er spürte nicht mehr, wie Scott ihn an den Schultern packte.

Nein, er sank dankbar in die tiefe Schwärze der Ohnmacht, die seine Sinne betäubte.

 

„Gillis! Hey, Gillis! Mann, mach doch nicht so einen Scheiß, du Arsch!“

Ganz langsam kehrte Gillis’ Bewusstein zurück.

Sein Arm pochte unangenehm, seine Kehle war wie ausgetrocknet und etwas Schweres lag auf seiner Brust.

Heißer, nach Hundekuchen stinkender Atem streifte seinen Hals. Eine raue, nasse Zunge leckte ihm quer durch das Gesicht.

„Jamaica, lass das!“ ,stöhnte Gillis auf und öffnete flatternd die Augen.

Er starrte an die Zimmerdecke, spürte die Matratze an seinem Rücken und hörte den täglichen Straßenlärm Los Angeles’ vor dem Fenster.

Der schwere Dobermann lag halb über seiner Brust, der warme Körper war dicht an seinen Körper gepresst.

Vorsichtig hob er eine Hand und strich über das weiche, kurze Fell.

„Guter Hund“ ,murmelte er leise und spürte, wie der Hund leicht wedelte, die lange Rute schlug gegen seine Beine.

Scott half, Jamaica von ihm zu schieben und zog ihm auf die Beine.

Schwankend blieb er stehen und rieb sich blinzelnd über das Tattoo. Unter seiner Haut pochte es noch immer unangenehm.

Natürlich wusste er, was geschehen war. Er hatte nur daran gedacht, Ungehorsam zu begehen und war bestraft worden.

„Scott, ich glaube, ich muss mich hinlegen. Wir machen morgen weiter, yeah?“

Obwohl er nickte, lag Besorgnis in seinem Blick.

Sanft tätschelte er Gillis’ Oberarm und schlurfte aus dem Raum.

Angespannt wartete Gilchrist, bis die Haustür ins Schloss fiel, bevor er Jamaica ins Badezimmer bugsierte und die Tür abschloss.

Dann stellte er sich wieder ins Schlafzimmer und rief: „Mephisto! Ich will dich sprechen!“

„Willst du eine Beschwerde einreichen?“

Die raue Stimme klang hinter Gillis auf und er wirbelte erschrocken herum. Immer noch packte der Teufel es, ihn fast zu Tode zu erschrecken.

Eine gewisse Spannung lag in der Luft. Mephistos Augen funkelten unterdrückt und er trug ei grimmiges Lächeln zur Schau.

Zitternd sog Gillis die Luft ein und strafte die Schultern.

Trotzdem fühlte er sich unsicher, immerhin stand vor ihm der leibhaftige Teufel.

„Was sollte das gerade?“, fauchte er, doch ganz konnte er das Zittern in seiner Stimme nicht verbergen.

Lässig lehnte Mephisto an der Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die feinen Härchen auf Gillis’ Armen stellten sich auf.

„Das sollte dich nur daran erinnern, auf deinem Weg zu bleiben. Wie Rotkäppchen.“

„Meinem Weg? Meinem Weg? Das ist doch nicht mehr mein Weg! Ich habe nur zu gehorchen! Du bestimmst doch, was ich zu tun habe oder nicht!“

Die Wut schlug jede Vorsicht in den Wind und Gillis ballte die Hände zu Fäusten.

Aber Mephisto war nun einmal nicht umsonst der Teufel.

Plötzlich spürte er einen harten Schlag an der Brust und er verlor den Boden unter den Füßen.

Einen Moment der Schwerelosigkeit später prallte er mit dem Rücken gegen die Wand.

Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn, folgte der Linie seiner Wirbelsäule und ließ ihn aufkeuchen. Mephisto drehte die Hände, mit denen er ihn vorne am Shirt gepackt hatte und schnitt ihm damit die Luft ab.

Japsend trat Gillis um sich und riss die Hände hoch. Seine Finger schlossen sich um Mephistos Handgelenke und zerrten verzweifelt an ihnen, doch der Griff des Teufels hatte etwas von einem Schraubstock.

Genauso gut hätte er an Eisenstäben ziehen können.

Mephisto hatte die Zähne wie ein Wolf gefletscht, sein Gesicht war nur Millimeter von dem Gillis’ entfernt.

Es stank im Zimmer nach verbrannten Streichhölzern, Schwefel, die Temperatur fiel schlagartig ab.

Die Glasscheibe des Fenster wurde plötzlich von Eisblumen verziert, es knackte sogar leise, als sie sich ausbreiteten.

Aus dem Badezimmer ertönte ein langgezogenes Heulen und es krachte dumpf, als Jamaica gegen die Tür sprang.

Zum ersten Mal war Gillis froh, sie eingesperrt zu haben. Wer weiß, was Mephisto mit ihr angestellt hätte.

„Du tust, was ich dir sage! Ich habe dir die Möglichkeit gegeben, erneut zu leben. Mir gehört deine Seele! Ich mache dich reich und berühmt und du tust einfach, was ich dir verdammt noch mal auch befehle!“

Ruckartig wirbelte der Teufel ihn herum und ließ ihn einfach los.

Dumpf schlug Gillis auf dem Boden auf. Gelbliches Gras wurde unter seinem Gewicht zerdrückt und stach in seine Haut.

Er war nicht mehr in seiner Wohnung, er hörte weder Jamaica jaulen, noch den Verkehr unten auf der Straße, der einem den Schlaf rauben konnte.

Zitternd stemmte Gillis sich auf und hustete, seine Lunge pochte unangenehm und sein Hals brannte fürchterlich.

Endlich bekam er wieder mehr Luft, konnte frei atmen.

Die Sonne brannte ihn auf den Rücken und er hörte irgendwo über sich Vögel zwitschern.

Mephistos hohe Lederstiefel traten in sein Sichtfeld, leichter Rauch stieg von den Stellen auf, die er betrat.

Eine Hand grub sich in sein Haar, ganz dicht über der Kopfhaut, und zerrte ihn nach vorne, unbarmherzig und brutal.

Mühsam stolperte Gillis auf Händen und Füßen mit, der Zug an seinen Haaren trieb ihm die Tränen in die Augen. So viele Schmerzen hatte er noch nie an einem Tag ertragen müssen. Er fühlte sich, als würde man seine Kopfhaut mit einem Skalpell entfernen.

Erst als sein Kopf gegen etwas Hartes, Festes stieß, lockerte der Teufel seinen Griff ein wenig und ließ Gillis aufblicken.

Durch einen Tränenschleier sah er einen weißen Grabstein, er schien in der Sonne zu leuchten und war noch neu. Es war seiner.

Sein Name, Gilchrist Jonathan Darton leuchtete ihm entgegen, direkt über seinem Geburts- und Todesdatum.

Gillis’ Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und Gänsehaut breitete sich über seinen Körper aus.

Es war verstörend sein eigenes Grab zu sehen, darauf zu knien, während unter einem der vertraute Körper lag, reglos, dass Herz verstummt. Dabei saß man doch hier oben, spürte die Sonne auf der Haut, hörte sein Herz schlagen, dass Blut in den Ohren rauschen und spürte das Gras unter seinen Fingern.

Aber es war real. Sein Körper lag da unten, begraben unter schwarzer Erde.

Leise schluchzte er auf, Tränen rannen über seine eingefallenen Wangen und tropften auf seine Hände, den Boden.

„Du bist weder Louis Amand, der Junkie, noch Gilchrist John Darton. Du bist ein Nichts. Du lebst nur, weil ich das so will. Also tue auch, was ich dir sage.“

Wüstend stieß Mephistopheles den Kopf seines Opfers nach unten und Gillis landete auf seiner Matratze.

Der Teufel hatte ihn wieder nach Hause gelassen.

Draußen lärmte der tägliche Verkehr, im Badezimmer tobte der Hund. Zitternd und noch immer leise schluchzend rappelte Gillis sich auf und befreite den Hund.

Schwanzwedelnd drängte Jamaica sich an seine Beine und sah zu ihm auf.

Verzweifelt sank Gillis zusammen und schlang die Arme um den Hund, verbarg das Gesicht in dem kurzen, warmen Fell. Er hatte nie eine Wahl gehabt.

Es war immer auf genau das hier hinausgelaufen.

Und diesen Weg musste er bis zum bitteren Ende gehen. Er war eine Marionette des Teufels, ein Trugbild, eine Phantasmagorie.

 

„Du siehst gar nicht gut aus!“

Besorgt legte Gina die Fingerspitzen auf Gillis’ Arm. Kleine Stromstöße schienen durch seinen Arm zu zucken   und er spürte, wie ihm das Blut den Hals in die Wangen hinaufschoss.

Sie hatte das rotgoldene Haar zu einem lockeren Knoten zusammengenommen und trug noch die Arbeitskleidung einer Kellnerin.

Eigentlich hatte er nur Scott besuchen wollen. Vor etwas mehr als einer Stunde hatte Gillis sich wieder beruhig, die Tränenspuren abgewaschen und damit begonnen, sein Schicksal zu akzeptieren.

„Habe nur Stress. Verdammt viel Stress. Egal. Ist Scott da?“

Ginas Blick sprach Bände. Sie glaubte der ‚Alles nur Stress’- Lüge kein bisschen.

„Nein. Er ist kurz weggegangen und kommt gleich wieder. Möchtest du reinkommen und auf ihn warten?“

Einladend trat sie zurück und wies in die kleine Wohnung. Wenn er ehrlich war, machte sie ihn wirklich nervös.

Er wusste weder, was er sagen, noch was er tun sollte, wenn sie sich im gleichen Raum befand.

Sie raubte ihm den Atem und das machte seine Einbüßung an Selbstbewusstsein auch nicht besser.

„Die Unordnung tut mir leid. Ich hatte bisher nicht die Zeit zum Aufräumen.“

Fahrig strich Gina sich das Haar hinters Ohr und lief Richtung Küche, wuselte hierhin und dorthin.

Ebenso hektisch räumte sie die dreckigen Teller in die Spüle.

„Schon gut. Bei mir sieht es auch so aus.“

Er lachte ein wenig nervös und setzte sich auf einen der Küchenstühle.

Sie schenkte ihm nur ein kleines Lächeln, bevor sie ihm den Rücken zuwandte und den Wasserhahn aufdrehte.

Ihre Schultern zuckten leicht und ehe er wirklich reagieren konnte, schluchzte sie auf und schlug die Hände vor das Gesicht.

Verdattert saß Gillis auf seinem Stuhl, die Hände halb erhoben. Was sollte er nur tun?

Rückwärts aus der Wohnung schleichen wäre recht unfreundlich.

Natürlich könnte er auch zu ihr gehen und sie trösten, sie in die Arme schließen und sagen, alles würde wieder gut werden.

Dieser Gedanke war doch recht verlockend.

Gillis raffte sich jedoch nur dazu auf sich zu erheben und eine Armeslänge von ihr entfernt stehen zu bleiben.

„Gina!“, rief er leise, seine Stimme erfüllt von Sorge.

„Was ist denn los?“

Sie drehte sich um, das Haargummi löste sich und die Haare fielen ihr wirr ins Gesicht und über die Schultern.

Ihre Augen waren hell vor Kummer geworden und glitzernde Tränenspuren zogen sich über ihre geröteten Wangen.

„Nichts“, flüsterte sie mit erstickter Stimme und senkte beschämt den Kopf.

„Das glaube ich dir nicht“, erwiderte Gillis ebenso leise.

Unwillkürlich streckte er die Hand nach ihr aus, legte einen Arm um ihre schlanke Taille und zog sie leicht an sich, als könnte er sie dadurch trösten.

So nahe war sie ihm noch nie gewesen und ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er sie wirklich mochte, sie wollte.

Eine kleine, gemeine Stimme die nur sein Gewissen sein konnte, flüsterte ihm zu, dass sie doch Scotts Schwester war.

Er konnte nicht hingehen und sie ausführen, eine Beziehung mit ihr beginnen und mit ihr ins Bett gehen, immerhin war ihr Bruder sein bester Freund und wäre sicher nicht erfreut darüber.

Gillis’ Gewissen und seine Gefühle lieferten sich einen harten Kampf, der nur mit dem Tod einer der beiden Parteien enden konnte.

Auf der einen Seite sein mehr als lasterhaftes Verlangen und auf der anderen Seite musste er an seine Freundschaft mit Scott denken.

Und ein anderer Gedanke schlich sich ein. Seinen alten Körper kannte er, aber was war mit seinem neuen Körper? Was, wenn Louis impotent war?

Viel zu peinlich, um intensiver darüber nachzudenken.

Zitternd entspannte Gina sich ein wenig und legte den Kopf an seine Brust.

Sanft strich Gillis ihr über den Kopf, ließ die Finger durch das seidige Haar gleiten und hakte mit der Sturheit eines Esels noch einmal nach: „Was ist los, Gina?“

„Es ist nur... die Arbeit, der Haushalt, dass College, Scott... das alles ist so anstrengend und stressig. Ich weiß nicht mehr wo mir der Kopf steht, es ist mir alles zu viel.“

Ihre Stimme klang brüchig, salzige Tränen durchnässten sein Shirt.

„Ich hoffe, ich störe euch nicht.“

Die frostige Stimme gehörte weder Gina noch Gillis. Wie vom Blitz getroffen zuckte Gilchrist zurück und drehte sich um.

Beinahe lautlos hatte Scott die Küche betreten, die Arme vor der Brust verschränkt und sein Gesichtsausdruck war mehr als düster.

Sein Blick wanderte anklagend von Gillis zu seiner Schwester.

„Scott!“

Gillis kam sich vor, als hätte Scott ihn und Gina im Bett erwischt.

Er ist der Einzige, der bei dir bleiben wird...

Mephistos Worte hallten in seinem Kopf wieder und er blickte betreten zu Boden.

„Wenn du zu mir wolltest, Gillis, kannst du gerne mit in mein Zimmer kommen.“

Er nickte nur und folgte seinem besten Freund eine schmale Treppe hinauf. Die Stufen knarrten bei jedem Schritt , eisiges Schweigen lag zwischen ihnen.

„Es tut mir leid!“

Die Worte platzten einfach aus Gillis heraus, kaum das die Zimmertüren hinter ihnen zufiel.

Scott drehte halb den Kopf, den Blick stur auf die Wand gerichtet.

„Ich bin dir nicht böse, Gillis. Meine Schwester ist immer so. Nimm dich in Acht, sie ist eine Schlampe. Lass lieber gut sein, eine Beziehung mit ihr würde dir nicht gut tun.“

Gillis sah aus, als wäre er gerade gegen eine Wand gelaufen.

Hatte Scott seine Schwester wirklich gerade als Schlampe bezeichnet?

Der blonde Irre fing Gillis’ verwirrten und geschockten Gesichtsausdruck auf und lachte lauthals los.

Die Spannung platzte wie eine Seifenblase und Scott ließ sich lachend auf das Bett fallen.

Ein fürchterliches Quietschen, sehr wahrscheinlich das Todesächzen der Matratze, hallte durch den Raum.

„Immer, wenn sie nicht genug beachtet wird, passiert so etwas. Sie wirft sich irgendwem an den Hals. Warum glaubst du eigentlich, lebe ich immer noch hier? Ich bin zwar verrückt, aber ich kann auf mich selbst aufpassen!“

Da musste Gillis ihm Recht geben. Er hatte nicht das Gefühl, dass Scott auf Gefahr lief, sich und den halben Wohnblock in die Luft zu sprengen. Verrückt war er sicher, aber schlau genug, um dabei als intelligent zu gelten.

„Du könntest auch zu mir ziehen. Wenn dich Hundehaare nicht stören.“

Scott stemmte sich auf die Ellbogen hoch und schaute zu seinem Freund.

„Du würdest mich bei dir einziehen lassen?“

Alleine schon die Freude in seinen Augen war es Gillis wert gewesen, den Vorschlag gemacht zu haben.

„Ja. Sonst hätte ich es nicht gesagt. Aber die Wohnung ist klein. Aber andererseits hätten wir auch mehr Zeit für die Band!“

„Die Band!“, rief Scott und sprang wieder auf die Füße. Mit einer Hand fuhr er sich durch das Haar und ähnelte von der Frisur her mehr denn je an Albert Einstein.

„Warte kurz hier, ich bin gleich wieder da!“

Wie ein Minitornado fegte Scott durch das Zimmer und in den Flur hinaus. Verdutzt sah Gillis ihm nach. Er war noch nie alleine in Scotts Zimmer gewesen.

Neugierig sah er sich um. Anstatt den Kleiderschrank, der weiter hinten stand zu nutzen, hatte er die Wände mit seiner Kleidung beschmückt. Eine beeindruckend bunte Vielfalt, die wie der Versuch wirkte, die triste Umgebung ein wenig heller zu gestalten.

Langsam schritt Gillis durch das Zimmer, musterte prüfend das leere Aquarium, den niedrigen Schreibtisch mit dem einfachen Hocker. Auf der Tischplatte lagen Zeichnungen verstreut, ebenso wie Massen an angenagten Bleistiften.

Fasziniert blätterte Gillis den Blätterstapel durch. Alle Zeichnungen waren in schwarz-weiß gehalten, aber dadurch nicht weniger ausdrucksstark.

Eine kleine Frage juckte Gillis jedoch in den Fingern: warum hing die Kleidung an der Wand?

Mit zwei schnellen Schritten durchquerte er den Raum und zog die Schranktüren auf. Ihm blickte die Größte CD- und DVD- Sammlung entgegen, die er je gesehen hatte.

Das Meiste stammte von Marilyn Manson. Natürlich hatte auch er schon von ihm gehört.

Der Teufel, verantwortlich für Selbstmorde und Amokläufe, et cetera.

Daran geglaubt hatte Gillis nie. Warum sollte ein Musiker daran Schuld sein?

Wenn er das ein oder andere Booklet der CDs so betrachtete, glaubte er das noch weniger. Der Mann tat, was er liebte, mehr nicht.

„Seine Musik ist gut. Ich habe angefangen sie in der High School zu hören.“

„Scheiße! Schleich dich doch nicht immer so an, Scott! Ich piss mir irgendwann noch in die Hosen wegen dir!“

„Uh, dass wäre lustig! Wenigstens hängst du diesmal nicht mit meiner Schwester zusammen.“

Kichernd wandte Scott sich um und legte den mitgebrachten Gitarrenkoffer auf sein Bett.

Leise schnappten die Schlösser auf und er hob den Deckel nach oben.

Sanft zog Scott eine E- Gitarre hervor, er behandelte sie wie ein zerbrechliches Stück Porzellan. Der Resonanzkörper war kirschrot, der Hals dunkler.

„Komm, hol dir Stift und Papier, wir schreiben jetzt Songs.“

Und das taten sie auch. Sorgfältig schloss Scott den Verstärker unter seinem Bett an.

Vor dem schmutzigen Fenster ging die Sonne unter ohne das einer der Beiden es bemerkt hätte.

Mit der Begeisterung spielender Kinder arbeiteten sie, ein Stück ging nahtlos in das Nächste über.

Als der Vollmond am Himmel stand, war Gillis seelisch ausgelaugt und vollkommen erschöpft.

Scott dagegen war körperlich geschafft.

Er rieb sich die schmerzende linke Hand und hatte die Stirn an Gillis’ Arm gelehnt.

„Wie viele Songs haben wir?“, fragte er, die Stimme gedämpft von Gillis’ Shirt.

„Sechs Stück. Ist das gut?“

„Sehr gut. Wenn wir die anderen drei noch involvieren können wir bald auftreten. Insofern das jemand zulässt.“

Gedankenverloren blickte Gillis auf seinen linken Unterarm hinab.

Der schwarze Baum war gut zu erkennen, ebenso die weiß- goldenen Blüten. Bei jedem Blick darauf wurde er daran erinnert, ein Sklave zu sein.

Freiheit war nur eine Illusion.

Impressum

Texte: Theresian Wraith Saint Clair
Bildmaterialien: Cover created by © T.K.A-CoverDesign / t.k.alice@web.de
Übersetzung: Saint Clair/ Gacy the Doll
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Asyra. Ich liebte dich mehr als mein Leben

Nächste Seite
Seite 1 /