Die Hoffnung hat wohl sieben Leben
Die leere Kaffeetasse im Dämmerlicht. Der Aschenbecher noch nicht voll. Das Dröhnen der Bässe, obwohl die Musik nicht so laut war. Da kannte sie viel lauteres, Konzerte ohne Oropax zum Beispiel. Trotzdem störte es sie. Musik, die ihr nicht in den Kram passte.
Wieder einmal diese Leere. Ein Gefühl das sich eingenistet hat, sie hatte es sich selbst erschaffen. Die Leute erschienen alle so fremd, so nichts sagend, so leer. Ja, nicht nur sie selbst schien leer zu sein, auch die andern. Sie alle, wie sie vorbeigingen, irgendeinem sinnlosen Ziel entgegen, sie hatten so etwas fades an sich, wie sie selbst. Sie sehnte sich nach etwas tiefgründigerem, etwas sympathischerem, wenn es denn solches überhaupt noch gab auf dieser Welt. Sie war sogar ihrer selbst überdrüssig geworden, wie sollte sie da noch irgendetwas an ihren Mitmenschen finden? Alle schienen sie nur Spiegelbilder ihrer eigenen inneren Leere zu sein. Nichts das sie auffüllen könnte, nur die penetranten Bässe, die leidende Stimme, genau so leer wie alles um sie herum, genauso leer wie die Kaffeetasse vor ihr.
Bereits zum x-ten mal griff sie nach dem Zigarettenpäckchen, sie hatte sich eigentlich vorgenommen heute nicht so viel zu rauchen, aber an einem solchen Abend war dies unmöglich.
Der blaue Dunst, ebenfalls leer. Stille. Tief drinnen war jetzt alles ruhig, viel zu leer, als dass noch irgendein Geräusch hätte entstehen können. Am Rande des Wahnsinns, diese Leere, selbst kreiert, als Antwort auf die Oberflächlichkeit dieser Welt.
Irgendwann in den letzten paar Jahren war die Zuversicht liegen geblieben, nicht ganz ohne ihre Beihilfe. Von der Vernunft besiegt, desillusioniert. Jetzt wurde sie kaum mehr von dem falschen Gefühl der Hoffnung heimgesucht. Sie hörte sie nur noch selten hämisch lachen, dann, wenn sie sich mit einer Zukunftsperspektive versuchte. Hoffnung, sie war sowieso nur da wieder zerstört zu werden.
Das Gespräch war wieder in Gang gekommen, doch wie immer in dieser Stimmung, grausam, makaber, morbid. Sie mochte über diese kranken Witze nicht mehr lachen.
Noch immer diese Leere. Wird jemals wieder ein Gefühl diese Leere füllen können? Wird sie jemals wieder mehr gefallen finden an ihren Mitmenschen? Sie alle, mit Ausnahme ihrer Tischgenossen, schienen einer anderen Welt anzugehören, einer Traumwelt. Für diese Menschen lebte die Hoffnung noch, sie glaubten noch an das Gute, an eine Wendung zum Besseren, sie schienen in einem Film zu leben, bei dem sie selbst nur Zuschauerin war. Eine andere Welt, eine Welt, die für sie gestorben war, die sie eigens umgebracht hatte…
Auch der Hoffnung hatte sie sich entledigt, eigentlich würde sie als Massenmörderin durchgehen, Massenmörderin der Gefühle, natürlich nur ihrer eigenen. Sie konnte sich nicht mehr genau daran erinnern wann, es war noch nicht allzu lange her. Die Hoffnung war als Letzte an der Reihe. War auch am schwierigsten gewesen, denn sie lauerte hinter jeder Hausecke, in jeder Telefonzelle, überall. Sie schien mehrere Leben zu haben, so oft hatte sie gedacht sie hätte sie besiegt, doch immer war sie wieder zurückgekommen. Bei der Hoffnung hatte nicht ein starker Schlag in die Schläfe gereicht, wie es bei der Zuversicht der Fall war. Sich dieser zu entledigen war nicht sehr schwer gewesen. Ebenso die Freude, welche sie eines Nachts erdrosselt hatte. Noch leichteres Spiel hatte sie mit der Trauer. Unbemerkt war sie ihr in den Rücken gefallen, hatte sie besinnungslos geprügelt und schliesslich genüsslich in der Badewanne ersäuft.
Aber die Hoffnung, sie war echt hartnäckig, schien sich immer wieder von hinten an sie ran zu schleichen, nur um dann bösartig auf zu lachen, sobald sie bemerkt wurde. Die Hoffnung war ein Scheusal, aber irgendwann war es ihr gelungen auch diese Klette los zu werden. Vor nicht allzu langer Zeit, nachts in einer unbeleuchteten Gasse hatte sie sie niedergestochen, erdolcht. Der Mord war unbemerkt geblieben, sie hatte alles schön vertuscht, durch eine perfekte Schauspielleistung. Die Leute waren ja zum Glück so einfach zu betrügen! Viel einfacher als die Gefühle. Letztere konnte man ermorden, und doch kamen sie oft mehrere Male zurück, man konnte sie nicht lenken, sie waren nur sehr schwer zu täuschen. Aber man konnte sich schliesslich ihrer entledigen, das wusste sie jetzt.
Noch immer sass sie da und die Leere, die in ihr zurückgeblieben war schien sich auf ihr gesamtes Umfeld ausgebreitet zu haben. Alles erschien ihr leer, aber am schlimmsten waren die Leute anzuschauen, die noch an das Gute glaubten, sie erschienen ihr von allen am ekligsten, ja, sie erschauderte regelrecht vor ihnen. So unerträglich naiv, wie sie sich an ihre Gefühle klammerten, sich von ihnen dominieren liessen, ja sogar ihr gesamtes Leben nach ihnen richteten.
Die Kaffeetasse war abgeräumt worden, der Aschenbecher gelehrt, in ihren Fingern brannte eine weitere Zigarette. Sie hatte ihre Gefühle umgebracht, jetzt wurde sie selbst hingerichtet, ging zu Grunde an dieser inneren Leere. Sie hatte es so gewollt, hatte nicht gewusst, dass es so enden würde, aber jetzt, da es soweit war, war ihr auch das egal.
4.7.05
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2009
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