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Das brennende Dorf

Das Dorf brannte. Staunend fuhr ich durch dieses seltsame Inferno. Doch das Dorf verbrannte nicht. Es brannte einfach nur und das schon seit vielen Jahren, wie ich später erfuhr. Die Bewohner schienen sich damit arrangiert zu haben. Gleichgültig gingen sie ihren Arbeiten nach. Ich sah einen Schmied, der seelenruhig ein glühendes Stück Eisen mit dem Hammer klopfte, während neben ihm sein Haus in Flammen stand. Teilnahmslos blickte er kurz zu mir herüber und hämmerte dann weiter. Ich rief ihm etwas zu, doch er nickte nur mit dem Kopf. Mein Zug hielt mitten in dieser seltsamen Landschaft. Wir waren schon geraume Zeit sehr langsam gefahren, sodaß ich ganz in Ruhe am offenen Fenster die überall brennenden Häuser bestaunen konnte. Zunächst dachte ich, daß dies die Hölle sein mußte. Doch alles schien so normal. Jetzt rief mir der Schmied etwas zu, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Ich rief zurück. Er reagierte nicht. Der Schaffner tauchte auf und ich fragte ihn nach dieser Gegend. Er sagte nur, daß dies das brennende Dorf sei und ging gleichgültig weiter. Der Zug hielt immer noch, und ich spielte mit dem Gedanken, durch das Fenster zu steigen. Eine alte Frau, die in meinem Abteil saß, schaute mich verwundert an. Sie sagte, ich sollte das lieber lassen. Wer hier ausstiege, würde für lange Zeit bleiben. Ich wußte nicht genau wie sie das meinte, hielt mich aber tatsächlich zurück. Zwei Kinder kamen vorbei und schauten belustigt zu mir hoch, obgleich, wie ich aus der Erinnerung sagen muß, ihre Gesichter keinerlei Minenspiel aufwiesen. Sie unterhielten sich. Als ich sie ansprach gingen sie weiter, ohne mir zu antworten. Die alte Frau neben mir strickte. Als ich sie nach diesem Dorf fragte, schüttelte sie lediglich den Kopf. Ich solle mich wieder setzen und darauf warten, daß es weitergehe, sagte sie, ohne den Blick von ihrem Strickzeug zu lösen. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Der Schmied tauchte gerade das glühende Stück Eisen in ein Wasserfaß. Es dampfte kurz auf. Ich winkte ihm zu und glaube, daß er gelächelt hat.

© Ulrich P. Hinz

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Tag der Veröffentlichung: 22.10.2010

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