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Straßenbau

Ich sitze in meiner Stube und lese ein Buch. Die Wanduhr tickt, und von draußen dröhnt eine Maschine. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn sie bauen an unserer Straße.
Diese Straßenbauer sind schon ein seltsames Völkchen. Mit der Leichtigkeit von Kindern, die in den Sandkästen ihre Burgen bauen, hantieren sie mit den schweren Walzen und Baggern.
Wenn ich - mit großer Bewunderung - an ihnen vorbei spaziere, sehen sie mich mit einem großzügigen Lächeln an, etwa so, wie wir die Kinder in den Sandkästen belächeln.
Von den Büchern, die ich hier lese, wissen sie nichts. Und dennoch ist ihre Überlegenheit mir gegenüber enorm.
Natürlich möchte ich auf keins meiner Bücher verzichten, auch wenn mich dieses Lächeln gelegentlich schmerzt. Zum Trost sage ich mir dann manchmal, daß wir die Straße ja brauchen, und ich sie mit meinen Büchern nicht bauen kann.
Einer ist unter ihnen, der lächelt nie. Er sieht mich immer an mit dem Blick des Todfeindes. Seine Augen funkeln wie die eines hungrigen Löwen. Doch gerade in ihn setze ich all meine Hoffnung.

© Ulrich P. Hinz

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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2010

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