Cover

1.

 

Meine Füße bewegten sich schnell. So schnell wie jetzt bin ich in meinem Leben wahrscheinlich noch nie gerannt.

In meinen Armen trug ich Anthony. Es war nicht einfach, beide seiner Hälften zu halten, und dass bei dieser Geschwindigkeit.

Das Bein, dass – der mittlerweile tote – George mir in die andere Richtung verbogen hatte, hatte ich mir bereits wieder eingerenkt – unter Schreien und Schmerzen natürlich. Es tat immer noch weh, aber jetzt konnte ich wenigstens mit beiden Beinen laufen und nicht ständig zusammenbrechen.

Mein Hals kribbelte unangenehm bei dem Versuch meines Gifts, die Verletzungen zu heilen. Mehrmals hatte George versucht, mir den Kopf abzureißen. Einmal, als Anthony gerade noch rechtzeitig helfen konnte, jedoch trotzdem mein Hals fast auseinandergerissen worden war. Dann, als er mir auf den Hinterkopf geschlagen hatte. Der Schlag war so heftig gewesen, dass ich mich bis jetzt fragte, wie mein Kopf das überstanden hatte. Stattdessen war er so stark nach vorne geschlagen worden, dass mein Nacken hinten Risse bekommen hatte.

Wenigstens war ich nicht tot. Dafür aber vier andere Vampire, die ich getötet hatte. Bevor ich gegangen war, hatte ich ihre Leichen hinter ein paar Müllsäcken versteckt, aber gleichzeitig versucht, so viel Abstand wie möglich zwischen den verschiedenen Teilen zu bringen, die ich vorsichtshalber nochmal etwas mehr zerstückelt hatte. Es würde zu viel Aufsehen erregen, wenn man so offen auf der Straße einer Gasse kaputte Skulpturen finden würden, die sich auch noch bewegten und sich zusammensetzen konnten, wenn man ihnen genug Zeit gab. Später musste ich trotzdem noch hin und die Teile verbrennen, bevor Stuart und George wieder von den Toten auferstehen konnten.

Überhaupt wunderte es mich aber, wieso keiner reagiert hatte bei diesen lauten Kampfgeräuschen. Ich hatte gespürt, dass in diesem Gebiet, in diesen Wohnhäusern Menschen lebten, jedoch hatten sie sich verhalten, als ob nichts gewesen wäre.

Ich sprang in unser Hotelzimmer durch das offene Fenster, das wir vorsichtshalber offen gelassen hatten. Es war immerhin einfacher durch ein Fenster zu springen, als den ganzen Weg über die Treppen durch das Hotel zurückzulegen – in dem Fall sogar mit zwei Hälften einer Person.

Meine Tränen hatten nicht aufgehört zu versiegen, als ich Anthony vorsichtig aufs Bett ablegte. Er hatte immer noch nicht das Bewusstsein erlangen, was ich ihm natürlich auch total gönnte. Doch das Gefühl, nicht zu wissen, was ich tun sollte, brachte mich um den Verstand. Viel lieber hätte ich jetzt Anthony, der mir genau sagen konnte, was ich tun sollte – aber er konnte es nicht.

Ich legte seine beiden Körperhälften so eng wie möglich aneinander, damit sie umso schneller zusammenwachsen konnten. Dann betete ich darum, dass die Zeit so schnell wie möglich vergehen möge.

Sekunden fühlten sich an wie Minuten und bereits nach wenig Zeit verlor ich beinahe die Verfassung.

„Verdammt, Anthony!“, rief ich, ehe ich mich dazu besinnen konnte, in einem Hotel lieber nicht zu schreien. „Wieso musstest du unbedingt statt mir in diesen Tod springen? Wieso? Du hättest jetzt gewusst, was zu tun wäre, ich weiß es aber nicht!“

Verzweifelt blieb ich knapp vor dem Bett stehen und sank auf meine Knie. Dann atmete ich tief durch.

Es brachte nichts, ihn zu beschuldigen, und zwar nicht nur, weil er mich sowieso nicht hören konnte. Er hatte mir das Leben gerettet. Ich sollte ihm dankbar sein.

„Was soll ich tun?“, fragte ich ihn und schaute zu dem bewusstlosen Anthony auf. „Sag mir, was ich tun soll!“

Es blieb still.

Was würdest du mir sagen, wenn du reden könntest?

Ich dachte scharf nach, doch zitterten meine Gedanken durch meinen Kopf genauso sinnlos umher, wie meine Hände direkt vor meiner Nase. Ich konnte dieses Zittern nicht abstellen.

Du würdest mir sagen, ich soll Hilfe holen.

Ich stand auf und wollte losgehen. Doch wohin?

Ich griff in Anthonys Tasche und holte sein Handy heraus. Es war gesperrt.

„Verdammt!“

Konnte ich den Notruf wählen? Eher nicht.

Ich tippte 0000 ein.

Das Passwort war falsch.

1111.

Falsch.

1234.

Falsch.

9876.

Auch falsch.

Vielleicht ist es Anthonys Geburtstag?

1302.

Der Bildschirm wurde schwarz. Ich hatte fünf Mal das falsche Passwort eingegeben und ich konnte kein erneutes mehr eingeben.

„Verdammt, Anthony!“

Bevor ich das Handy in meiner Hand zerquetschten konnte, legte ich es weg.

Dann heulte ich los. Ich lies es zu. Nun kamen keine unkontrollierten Tränen mehr aus meinen Augen, sondern welche, die ich mit Absicht fließen lies. Laut schluchzend robbte ich zu Anthony aufs Bett rüber und brach neben ihm zusammen.

Es war alles sinnlos. Ich konnte nichts machen. Weder hatte ich die Möglichkeit, jemanden anzurufen, noch die Hilfe irgendwie anders zu erreichen. Selber war ich ratlos, was ich tun sollte.

Hieß es nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt? Hatte ich also nur noch die Aussicht auf das Warten?

 

2.

 

Ich wusste nicht mehr, wann ich aufgehört hatte, zu heulen. Irgendwann jedoch kam ich mir nur noch so hilflos vor, dass ich einfach damit aufhören musste. Ich würde einen klaren Kopf bekommen, wenn ich mich beruhigen konnte.
Ich stand auf und beobachtete Anthony. Er sah nicht anders aus wie davor. Seine Augenbrauen waren gequält zusammengezogen, doch wirkte sein Ausdruck trotzdem irgendwie leer. Sein Mund war leicht geöffnet und schien nach Hilfe zu rufen – genauso wie ich.

Ich fing an, ratlos durch das Zimmer zu tigern.

Vor kaum vierundzwanzig Stunden noch war ich hier auf diesem Bett gelegen und hatte mit Anthony geschlafen. Naja, nicht nur auf dem Bett, sondern auch in jeder Ecke dieses Raumes...

Ich schüttelte den Kopf, nicht nur um meine Gedanken zu sortieren, sondern auch, da es einfach nur schwer zu glauben war, wie sich unsere Situation in nur einem Tag verändert hatte.

Plötzlich erfasste mich ein Schmerz in meinem Bein. Ein Knacken ertönte und schon lag ich auf dem Boden. Verwirrt schaute ich auf mein Bein runter. Wahrscheinlich tat es mir immer noch wegen George weh. Allerdings hätte es dann gar nicht erst knacksen sollen. Brennen, ja. Aber keine Geräusche von sich geben.

Ehe ich aufstehen konnte, knackte etwas in meinem Arm und ich stöhnte erschrocken wie auch schmerzhaft auf. So langsam erfasste mich eine böse Vorahnung davon, was gleich passieren würde. Ein erneutes Knacksen und ein scharfer Schmerz schoss durch meine Brust.

War dasselbe nicht schon passiert kurz vor meiner Abfahrt nach New York? Ich war für einige Minuten wie gelähmt gewesen, weil mein Körper angefangen hatte zu knacksen und sich auf seltsame Weise zu verbiegen - auf eine sehr schmerzhafte Art.

Nun fing dasselbe von vorne an. Wie wenige Tage zuvor knackste es an mehreren Stellen gleichzeitig und Schmerz schoss durch meinen Körper. Fast fing ich an zu schreien, ehe ich den Schrei hinunter drückte.

Es dauerte nicht lange, kürzer wie letztes Mal, aber wirklich gut fühlte ich mich trotzdem nicht. Noch immer spürte ich den Nachhall der Schmerzen.

Was war das? Und wieso hatte ich das?

Ich brauchte noch eine Weile bis sich meine Atmung normalisiert hatte. Der Schmerz schien langsam komplett zu vergehen.

Milana.“

Ich zuckte zusammen. Das war nicht Anthonys Stimme gewesen. Trotzdem sah ich noch schnell zu ihm rüber, bevor ich mich mehrmals um meine Achse drehte. Nicht nur, dass ich spürte, dass keiner im Zimmer war, ich sah auch keinen.

Verwirrt und etwas erschrocken runzelte ich die Stirn und schlich langsam an Anthony heran, um nochmal zu überprüfen, ob er es auch wirklich nicht gewesen war. Doch er war immer noch bewusstlos.

Milana!“

Ich zuckte zusammen und hätte fast losgeschrien. Die Stimme war ganz in der Nähe gewesen und doch war hier immer noch keiner. Beinahe war es, als wäre diese Stimme …

... in meinem Kopf.

Ja, Milana, in deinem Kopf!“

Ich zuckte erneut zusammen. „Clas?“ Schnell drehte ich meinen Kopf in jede Richtung. „Du bist hier?“

Beinahe hörte ich ihn seufzen, aber es war mehr ein Gefühl, als dass ich ihn wirklich gehört hatte.

Nein, ich bin immer noch in Österreich.“

„Aber wie...“

Es reicht auch, wenn du das denkst, was du mir sagen willst. Ich werde es hören.“

Erst da fiel mir Clas Gabe ein. Er konnte mit seinen Gedanken mit anderen kommunizieren und nun versuchte er es mit mir.

Wie ich sehe, hast du es endlich verstanden“, hörte ich Clas tiefe Stimme in meinem Kopf dröhnen.

Ich nickte, ehe ich realisierte, dass er mein Nicken nicht sehen konnte. „Ja.“

Clas sprach nicht länger drumherum. „Was ist mit Anthony? Wieso kann ich ihn nicht erreichen?“

Bilder der letzten Stunde fluteten mir vor die Augen, wie ich mit dem Bulldozer gekämpft und wie ich ihn getötet hatte, wie George beinahe meinen Kopf zerschmettert hatte und wie Anthony mich gerettet hatte – und wie er dann in zwei Teile gerissen wurde. Tränen flossen aus meinen Augen und ich schloss sie schnell, damit dieses sich immer wiederholende Videolaufband endlich stehen blieb, doch dann wurden die Bilder nur noch lebendiger.

Ich verstehe“, sagte Clas. „Was ist nun mit den anderen Vampiren passiert? Wie seid ihr ihnen entkommen?“

Ich wollte nicht, dass Clas mein Erlebtes sehen konnte, doch ich konnte es nicht aufhalten, als eine erneute Flut von Bilder mich überkam. Als sie mit meinem letzten Ermordeten endeten, merkte ich, wie ich auf dem Boden saß.

Erstaunlich.“

Kurz war es still. Es schien, als hätte Clas die Verbindung gekappt, doch dann meldete sich seine Stimme wieder.

Ich habe jetzt alles geregelt. Es kommen in wenigen Stunden zu euch ein paar, die euch helfen werden.“

Ich atmete auf. Jetzt konnte ich mir sicher sein, dass wir doch nicht verloren waren.

Was hast du mit den Leichen gemacht?“

Bilder der zerstückelten Leichen kamen über mich. Ich erklärte Clas schnell, was ich gemacht hatte.

Lass Anthony für eine kurze Zeit alleine und verbrenne sie.“

Aber es regnet doch noch!

Ich schaute aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört, stattdessen hatte die Dämmerung begonnen.

Hilfe ist unterwegs.“

Es war als hörte ich das Tuten in meinem Kopf, das mir sagte, Clas hatte aufgelegt. Ich schüttelte den Kopf und schaute zurück zu Anthony. Sollte ich ihn wirklich alleine lassen? Ich hatte wohl keine andere Möglichkeit.

Ich ging zum Fenster hin.

„Ich bin bald wieder da“, sagte ich, ehe ich aus dem Fenster sprang und mich auf den Weg zu den Leichen machte.

Auf dem halben Weg fiel mir ein, dass ich ein Feuerzeug brauchte. Es war ein leichtes, es mir zu besorgen, indem ich es einfach aus einer Wohnung stahl.

Es wurde noch dunkler, obwohl die Wolkendecke sich endlich zu verziehen schien. Als ich in die Gasse reinkam, schüttelte es mich.

In der Hoffnung, dass mich keiner sehen und es wie davor keinen interessieren würde, zündete ich das kleine Feuerzeug an, was mir aber auch erst nach mehreren Versuchen gelang.

Es war viel zu heiß, allein die Nähe des Feuers brannte. Ich wollte es so schnell wie möglich von meiner Nähe haben, doch musste ich dafür erst die Leichenstücke alle angezündet haben. Als ich alle Stücke in einen Haufen gesammelt hatte, löste ich den Mechanismus zum Feuermachen erneut aus und zündete die ersten Kleidungsstücke an. Sie brannten gut und schnell, dank ihnen verteilte sich das Feuer und bald brannte der ganze Berg. Der Geruch war beißend und unangenehm, der aufsteigende Rauch dunkel.

Eine einzige Träne tropfte auf den Boden, während ich das Feuer beobachtete, das viel zu hell in dieser Dunkelheit schien, zu schwer war es zu übersehen. Das waren meine ersten Toten gewesen, nun fackelte ich sie ab. Ob es einfach gewesen war? Nein, garantiert nicht, und es würde sicher nicht leichter werden. Doch ich hoffte es. Selbst wenn das böse Kreaturen waren, so hatte ich sie doch getötet.

Das Feuer knisterte.

Die Stimmen von der Straße kamen immer näher und wurden immer lauter. Doch bevor die Menschen mich sehen konnten, verschwand ich und lies das Feuer hinter mir, das immer kleiner auf der stinkenden, schwarzen Asche wurde.

Ich würde eher in die Hölle gehen, statt nochmal an diesen Ort zurückzukehren.

 

3.

 

Ich strich Anthony durchs Haar, um sie ihm von der Stirn zu streichen.

„Bald kommt Hilfe. Bald ist der Alptraum vorbei“, flüsterte ich ihm zu.

Allerdings war diese Hilfe jedoch in Österreich und es würde mindestens neun Stunden dauern, bis sie es hierher geschafft hatten.

Wieder verzweifelt, da ich immer noch Stunden auf Hilfe warten musste, legte ich meine Stirn auf Anthonys Brust.

Direkt neben mir hörte ich leises Zischen und Knacken bei dem Versuch seines Körper, sich wieder zusammenzusetzen. Ich schaute auf und strich sein Shirt noch etwas höher, um mir es anzusehen. Vorsichtig strich ich über seine Haut und zuckte zusammen, als meine Finger über den Riss fuhren.

Ich spürte es, wie sein Körper sich zusammensetzen wollte. Ich spürte es nicht an meinen Fingern, sondern einfach in mir, so wie ich es spürte, wenn ich mit meiner Gabe Steine zerriss. Erneut strich ich mit meinen Fingern über seine Haut und versuchte mich diesmal auf eben das zu konzentrieren. Dabei fühlte ich es wirklich genau, wie sein Gift durch seinen Körper floss und wie seine Zellen versuchten sich, miteinander zu verbinden.

Dann schickte ich meine Kraft in ihn, genau an der Stelle, an der Stuart ihn auseinandergerissen hatte. Die Zellen nahmen bei ihrer Zusammensetzung an Geschwindigkeit an, sein Fleisch verband sich immer schneller miteinander.

Ich verlor die Konzentration, als mir Schmerzen durch den Kopf schossen.

„Nein“, sagte ich entschlossen. „Ich werde das jetzt durchziehen.“

Trotzdem brannte es in meinem Kopf, als würden bei mir irgendwelche Sicherungen durchbrennen, während ich meine Gabe dazu zwang, Anthony zu heilen. Seine Haut schien sich aber immer langsamer zusammenzusetzen.

Anthony bäumte sich auf und ich brach auf ihm zusammen. Plötzlich fing er wieder an zu atmen, seine Brust hob sich unregelmäßig. Er stöhnte.

„Mila“, hörte ich ihn krächzen. Eine Hand strich über meinen Kopf, jedoch nicht sanft, sondern eher ziellos, ehe sie von mir abglitt und er wieder stöhnte.

Mein Kopf drehte sich, dennoch richtete ich mich von seiner Brust auf.

„Wie geht's dir?“ Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ihm waren wieder Haare ins Gesicht gefallen und ich wollte sie ihm aus dem Gesicht streichen, doch sein Kopf erschien auf einmal zwei Mal vor mir und ich griff mir meiner Hand ins Leere. Ich musste ein paar Mal blinzeln, ehe sich meine Sicht wieder klärte und ich ihm die Haare aus dem Gesicht streichen konnte.

„Gott, Milana, was ist los mit dir?“ Seine Stimme war klarer geworden, doch man merkte, dass er immer noch erschöpft war.

Ich lachte verzweifelt auf. „Was los mit mir ist? Genau dasselbe müsste ich dich fragen!“

Er stöhnte daraufhin nur.

„Wie geht’s dir?“, fragte ich ihn erneut.

Anthony blinzelte ein paar Mal. Dann grinste er, wobei sein Gesicht leicht gequält aussah. „Jetzt wieder gut!“

„Pff! Genauso siehst du auch aus!“ Ein Lächeln schlich sich mir ins Gesicht und Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkel. Meine Hand strich wieder durch seine Haare.

„Hey, wieso weinst du?“, fragte Anthony. Er versuchte sich auf seine Ellenbogen aufzurichten, doch dann verzog sich sein Gesicht und er fiel wieder zurück.

Erst half ich ihm auf, dann schüttelte ich zur Antwort nur meinen Kopf, da ich befürchtete, ich würde komplett in Tränen ausbrechen, wenn ich dazu etwas sagen würde.

Als Anthony halb lag, halb saß, schob er sich das T-Shirt hoch und beobachtete seinen Bauch. Immer noch war außen noch ein Riss zu sehen und der musste wohl immer noch schmerzhaft weh tun.

„Oh nein“, murmelte ich. „Es ist immer noch da!“

Ich legte meine Hand darauf und schloss bereits die Augen, um ihn zu heilen. Doch Anthony schlug mir die Hand weg.

„Warte, was machst du da?“, fragte er. „Lass das, es kann auch von alleine heilen!“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss das noch zu Ende machen!“ Dann legte ich meine Hand wieder auf den Riss und schloss die Augen. Wieder fühlte ich in mir seine Haut sich zusammensetzen und ich half ihr dabei. Anthony verkrampfte sich und stöhnte kurz auf.

Langsam drehten sich die Rädchen in seinem Kopf. „Was heißt hier 'noch zu Ende machen'?“ Er zuckte zusammen, als ich einen Impuls durch seinen Körper schickte, der die Heilung beschleunigen sollte. Doch als er mich nach der Schulter fasste, war es mit meiner Konzentration vorbei. Anschuldigend sah ich ihn deswegen an, doch er kümmerte sich nicht darum. „Du hast das gerade schon mal gemacht? Du hast mich zusammengesetzt?“

Ich nickte und legte gleich darauf wieder meine Hände auf ihn.

Anthony schlug sie weg. „Lass es sein, ich halte das schon so aus!“

„Aber das muss doch höllisch weh tun!“

„Nicht so schlimm wie davor.“

Ich stöhnte. „Wieso lässt du mich es nicht einfach machen?“

Er sah mich an, verzog sein Gesicht und in seinen Augen sah ich Kränkung seines Stolzes.

„Ich hab dir geholfen, verdammt!“, fluchte ich. „Außerdem hätte ich es alleine nicht länger aushalten können!“

Sein Gesicht senkte sich, damit er sich die Wunde wieder anschauen konnte. Sie war immer noch nicht verheilt.

Um mir das nicht länger mehr anzusehen, drehte ich mich aufgeschnappt um. „Du hättest dich wenigstens bedanken können.“ Ich stampfte ins Zimmer hinein. Dann blieb ich vor dem Fenster stehen und atmete tief durch.

„Danke“, hörte ich ihn leise sagen. Jedoch nicht so, wie ich es von ihm erwartet hätte. Nicht wirklich dankbar und erleichtert, dass es ihm nun gut ging.

Wieso erinnerte er mich jetzt so sehr an den Anthony, der mich hinterging? Der hinter meinem Rücken irgendetwas plante, das meine ganze Beziehung mit ihm auf die Frage stellte? Nun glich er dem Anthony, der mich wütend angeschrien und geohrfeigt hatte – genauso in seinem Stolz verletzt wie total abweisend.

Ich wollte ihm weh tun, genauso wie er mir mit seinem Verhalten immer weh tat. Es war einfach nicht zum Aushalten. Außerdem: Was sollte ich glauben? Wer war er wirklich? Mochte er mich überhaupt?

„Ich kann deine Tränen riechen. Wieso weinst du?“ Plötzlich klang er wieder nach dem Anthony, den ich liebte. Wieso musste er nur so eine verdammte, in zwei gespaltene Persönlichkeit haben? Wütend strich ich mir die Tränen weg.

Er seufzte, als ich nichts sagte. „Mila? Süße?“

Verdammt, wieso musste er nur so ein hinterhältiger, genialer Idiot sein? Bei dem Wort „Süße“ musste ich mich einfach nur umdrehen. Innerlich schmolz ich davon, äußerlich starrte ich ihn einfach nur wütend an.

„Mir geht es gut, siehst du?“ Er richtete sich schwungvoll auf, doch ich hätte es ihm selbst dann nicht geglaubt, wenn er danach nicht fast hingefallen wäre. „Ich bin geheilt und es tut mir wirklich leid, dass ich dich angefahren habe.“

Ich schnaubte.

„Es ist doch wieder alles gut!“ Er kam auf mich zu. „Wieso weinst du also?“

„Ich weine nicht!“

„Natürlich nicht“, bestätigte er, kam mir dabei immer näher.

So gerne wollte ich ihm alles Mögliche an den Kopf werfen. Dass er hinterhältig war und ich wusste, dass er mit Clas etwas abgesprochen hatte, das nicht nur uns beide betraf, sondern auf irgendeine Art auch gezielt mich und mein Bleiben bei dieser verkorksten Vampirherrscherfamilie. Doch vor allem wollte ich ihm einfach sagen, dass er ein Idiot war.

Doch als er immer näher kam und seine Arme nach mir streckte, da war es einfach nur zu schwer, seinen starken, beschützenden Armen zu widerstehen. Ich fiel ihm in die Arme und umklammerte ihn, damit ich bloß nicht wieder in Tränen ausbrechen konnte. Aber als vor Schmerz zusammenzuckte, wich ich wieder von ihm und schob sein Shirt hoch.

„Kaum bin ich wieder wach, da gehst du mir schon an die Wäsche“, scherzte Anthony.

Ich schlug ihn auf den Arm, peinlich berührt von dieser Situation. „Du weißt genau, dass ich nur nachsehen will.“

„Ob meine Bauchmuskeln noch genauso gut aussehen wie zuvor? Ja, das sind sie, glaube ich.“

Ich lachte los. „Halt's Maul!“, sagte ich dann und strich über den Riss, der wohl einfach nicht verheilen wollte. Ich schickte meine Kraft durch ihn und Anthony hielt den Atem an, verspannte sich sogar etwas. Dann war er weg, der Riss war einfach weg und Anthonys Bauch sah wieder so aus wie davor. Dass es so schwer war, Vampire zu heilen, im Vergleich dazu zu Steine spalten und wieder zusammensetzen, wusste ich nicht.

Ich strich zur Sicherheit nochmal über seinen Bauch und nochmal über seinen Rücken, um ganz sicher zu gehen, dass der Riss endlich weg war. Als Anthonys Finger über meine Arme strichen, erschauderte ich und hielt in meinen Bewegungen inne. Ich schaute hoch und begegnete seinen Augen, die mich mit ihren Blicken verschlungen. Dann beugte er sich runter und küsste mich hart. Mit seinen starken Armen umfasste er mein Gesicht und drängte mich gegen die Wand. Ich schlang meine Arme um ihn.

Ich wusste nicht, was mich nun dazu trieb, ihn zu küssen, und das, obwohl ich bis vor kurzem noch so wütend auf ihn war. Wieso ich ihn überhaupt noch geküsst hatte, selbst nachdem ich erfahren hatte, dass dies alles vielleicht nur geschauspielert war. Es war ziemlich unerklärlich, wieso ich es die ganze Zeit ignoriert, nein, sogar verdrängt hatte.

Aber in diesen Momenten wollte ich nichts anderes, als einfach in seinen Armen zu sein, die Welt um mich herum einfach zu vergessen, die so viel von mir erwartete, dass ich unter all dieser Last zu zerbrechen schien. Jetzt wollte ich nichts anderes als Anthony, der Einzige, bei dem ich mich geliebt fühlte, der mir Sicherheit und Geborgenheit gab – ich wollte nicht daran denken, was passieren würde, würde er mir das nehmen.

Seine Hand schob mein Shirt hoch, das nach dem Kampf wie Stück Dreck an mir hing, zerriss meinen BH vorne und umfasste meine Brüste. Ich stöhnte und fühlte mich wieder unbesorgt, wie vierundzwanzig Stunden bevor. Sobald ich daran denken musste, wurde mir heiß, und hielt seinen Körper nur noch mehr fest, damit uns nichts mehr trennen konnte.

Zu viel Stoff war zwischen uns. Kurzerhand zerriss Anthony einfach mein Shirt und warf die Fetzen von ihm und meines BH so weit wie möglich von uns weg. Auch ich tat nichts anderes mit seinem Shirt. Dabei strichen meine Finger wieder und wieder über die Stelle, an der der Riss verschwunden war.

Seine Hände packten meinen Hintern, hoben mich hoch, während ich meine Beine um seine Hüfte schwang, drückten mich an die Wand. Seine Küsse wanderten weiter nach unten, über mein Kinn, meinen Hals, meine Brüste. Ich stöhnte, als ich ihn hart zwischen meinen Beinen spürte.

Noch immer waren zu viele Schichten von Stoff zwischen uns, störten uns beide gleichermaßen. Im Stehen riss Anthony nun auch meine Hose auseinander, gleich darauf folgte meine Unterhose. Ich zerrte an seinen Sachen, doch hielt ich mich gleichermaßen an seinen Schultern fest, um nicht runterzufallen. Schlussendlich gab ich auf damit. Stattdessen stieß ich mich stark von der Wand ab und Anthony fiel mit mir auf seinen Rücken. Unsere Mündern verzerrten sich zu einem Grinsen und diesmal gelang es mir auch, ihm seine Hose herunterzuzerren. Seine Finger strichen über meine Seiten, doch bevor ich mich auf ihn setzen konnte, drehte er uns um. Als er in mich eindrang, schrie ich beinahe vor Lust auf. Wieder trafen unsere Münder aufeinander und unsere Zungen verschlungen sich bei ihrem Spiel.

Als ich zum Orgasmus kam, schrie ich wirklich laut auf. Auch Anthony brach gleich darauf auf mir zusammen.

Meine Hände strichen über seinen Rücken, seine Muskeln spielten unter meinen Fingern, als er sich bewegte und uns wieder umdrehte. Ich lächelte und legte meinen Kopf auf seine Brust, doch nicht bevor ich ihn vorher noch ein Mal küsste. Sein Oberkörper vibrierte, als er lachte.

Seine Finger wanderten über meinen Rücken und über meinen Hintern, massierten mich dabei. Ich seufzte wohlig.

„Ich bin so froh, dass es dir wieder gut geht“, sprach ich meine Gedanken aus.

Er lachte wieder. Doch dann hielt er inne.

„Was ist passiert, nachdem ich weg war?“, fragte er.

„Ich hab sie getötet“, antwortete ich sachlich. In meinem Inneren brodelte es.

„Du? Alle drei? Alleine? Das ist aber nicht möglich“, sagte er.

„Wem sagst du das.“ Ich wollte mich daran nicht mehr erinnern, doch Anthony richtete sich auf, was mich dazu zwang, dasselbe zu tun. Mein Blick fiel auf seinen perfekten Körper, doch als er wieder sprach, holte er mich zurück in die Gegenwart.

„Das ist aber nicht dein Ernst, oder?“ Seinem Blick zu urteilen, glaubte er mir wirklich nicht. „Es ist dir doch sicher jemand zur Hilfe gekommen.“

Ich schüttelte den Kopf.

Sein Gesicht verzog sich gekränkt.

Ich lächelte leicht, um die Stimmung etwas aufzubessern. „Bist du nun in deinem Stolz verletzt, da ich etwas geschafft habe, was der große Anthony nicht hinkriegen konnte?“

Sein Blick verfinsterte sich.

Halt einfach deine Klappe, Milana, und sag nichts.

Also war mein Versuch, die Stimmung aufzubessern, kläglich gescheitert.

Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte, und holte mir aus meinem Koffer Kleidung, die ich anzog.

Anthony setzte sich eingeschnappt auf das Bett.

„Ich habe vergessen, mich bei dir zu bedanken“, sagte ich schließlich. „Du hast mich auch gerettet. Ohne dich hätte mich George kalt gemacht. Dank dir bin ich noch am Leben. Also … danke.“

So gesehen war es meine Schuld, dass Stuart Anthony so angreifen konnte und er beinahe gestorben war. Hätte ich besser auf mich aufgepasst, so hätte mich Anthony gar nicht erst retten müssen.

Anthony sah mir meine Gedanken wohl an, denn er antwortete fast genau darauf. „Ich hätte dich nicht George ausliefern können. Das ging nicht. Es war meine Pflicht, auf dich aufzupassen.“ Er schaute mich an. „Außerdem könnte ich es nicht ertragen, wenn dir etwas passieren würde.“

Er hatte es erneut gesagt. Im Flugzeug nach New York und jetzt schon wieder. Dass er es nicht ertragen könnte, wenn mir etwas passieren würde.

Wie konnte ich jetzt noch glauben, dass er nur wegen Clas mit mir zusammen Zeit verbrachte?

Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Ja“, sagte er.

Ich war verwirrt. Was hatte das zu bedeuten?

Er drehte sich von mir um und sagte dann: „Ja, ich bin wieder wach.“

Ich brauchte einen Moment, ehe ich verstand, dass Clas zu Anthony eine Verbindung aufgebaut hatte. Nun sprach Anthony wohl mit ihm mit seinen Gedanken, denn er sagte nichts mehr, sah nur etwas angespannt aus in den Momenten, als es aussah, er wollte etwas sagen.

Ich setzte mich neben ihm hin und versuchte, etwas von dem Gespräch mitzubekommen, bevor ich realisierte, dass dies kein normales Telefonat war und ich nichts hören konnte. Somit schloss ich einfach nur die Augen und lies mich nach hinten auf das Bett fallen.

 

~~~

 

Als ich das komische Gefühl bekam, als würde sich etwas in meinen Geist schleichen, war ich erst etwas verwirrt. Dann verstand ich, was das war – eher gesagt, wer. Doch dieser jemand sagte nichts, sondern blieb ruhig.

„Ja?“, fragte ich. Clas?, fragte ich nochmal in meinen Gedanken.

Du bist endlich wieder wach, Anthony, stellte er fest und in meinem Kopf dröhnte seine Stimme.

„Ja, ich bin wieder wach“, antwortete ich.

Es scheint, als ginge es dir wieder gut, sagte Clas.

Ja, sagte ich, Milana hat mich wortwörtlich wieder zusammenflicken können. Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie sie ihre Hände auf den Riss auf meinem Bauch legte, konnte beinahe wieder spüren, wie es brannte, und der Riss nach und nach verschwand.

Erstaunlich.

Das war es. Und es ängstigte mich sogar etwas.

Konnte sie dir sagen, was passiert ist?, fragte er.

Ja.

Wie viel hat sie dir erzählt?

Ich sagte es ihm. Währenddessen setzte sich Mila zu mir und legte sich dann aufs Bett.

Sie hat also nur die halbe Wahrheit erzählt, meinte Clas und ehe ich fragen konnte, was damit gemeint war, sah ich Bilder direkt vor meinen Augen. Das erste, wie ich auseinander gerissen wurde – jedoch nicht aus meiner Perspektive.

Sie sind aus Milanas Sicht, stellte ich fest.

Weitere Bilder kamen, teilweise wie Videoabläufe mit Ton. Ich sah Stuarts Kopf von seinem Körper reißen, obwohl ihn niemand berührte, wie George explodierte und der andere Vampir ebenfalls starb. Es war, als ob ich gerade mitten im Geschehen stehen würde.

Du hast mit Milana geredet, als ich ohnmächtig war?, fragte ich.

Ja, mit dir konnte ich nicht reden.

Schon als ich herausgefunden hatte, dass Mila mich geheilt hatte, war das bereits gruselig gewesen, aber jetzt erschauderte ich beinahe nach diesen Bildern.

Ja, ich war genauso überrascht von Milana. Sie ist stärker, als ich es erwartet hätte. Und das macht es umso schwieriger für ihre Gegner. Wir können nur hoffen, dass wir nicht ihren Zorn auf uns ziehen. Manchmal kann sie vom schwierigen Charakter werden.

Da gab ich ihm recht. Ich drehte mich zu ihr um und sie öffnete ihre Augen, als ich sie ansah. Etwas unentschlossen lächelte sie und ich lächelte zurück, obwohl ich mich eigentlich wieder umdrehen wollte. Aber wie bereits gesagt, sie war manchmal vom schwierigen Charakter. Ich sollte aufpassen, was ich anstellte.

Mein Blick glitt über ihren Körper und als ich an den Sex mit ihr denken musste, grinste ich sogar wahrhaft. Ich drehte mich um.

Wie ich merke, habt ihr eure Beziehung weiter verfestigt. Das freut mich.

Gerne würde ich mich darüber beschweren, dass Clas in solchen Momenten alles hören und sehen konnte, was ich dachte. Aber das konnte ich ja nicht.

Sie liebt dich. So weit hast du es schon mal gut hingekriegt. Pass aber auf, dass du keinen deiner Ausrutscher bekommst, sie schlägst und sie deswegen verschwindet. Milana ist eine Bereicherung für uns, auch wenn sie launisch ist. Vermassle es nicht. Wenn sie uns den Rücken zukehrt, können wir uns glücklich schätzen, wenn sie dich nicht umbringt und danach alles kurz und klein schlägt.

Natürlich. Ich gebe mein Bestes.

Das hoffe ich doch. Außerdem habe ich euch noch ein paar Leute geschickt, wechselte er das Thema. Die werden sich um die restlichen Vampire kümmern, die zu den Amateur-Filmemachern gehören. Ihr könnt wieder zurückkommen.

Okay.

Sorge außerdem dafür, dass Milana nicht überall herumerzählt, dass sie mit dir geschlafen hat. Wenn das nicht offensichtlich genug ist, dann soll es auch weiterhin geheim bleiben.

Dann war er weg.

Eigentlich war es unsinnig, es geheim zu halten. Aber da Clas meinte, dass Amalia mich nicht nur auf platonische Weise mochte und sie das deswegen nicht erfahren sollte, musste es geheim bleiben. Sie hasste Mila schon genug dafür, dass Clas sie von Anfang an gleich gestuft mit ihr sah; wenn dass wirklich wahr wäre, dass Amalia mich auf diese Weise mochte, dann würde sie nicht nur in Wut ausbrechen, weil ich etwas mit Mila angefangen hatte – würde sie davon erfahren, dass ich mich praktisch dazu verpflichtet hatte, mit Mila eine Beziehung zu beginnen, würde sie auch alles Mila erzählen, selbst wenn man ihr mit alles drohen würde. Auf diese Weise ähnelten sich Mila und Amalia wirklich sehr: Beide hatten einen Sturkopf.

Aber es war wirklich unsinnig, es geheim zu halten. Selbst wenn Amalia etwas von mir wollte, so wollte ich nichts von ihr. Sie war noch launischer als Mila und dazu noch oft übellaunig.

„Und?“, hörte ich Mila fragen. Sie merkte wohl, dass unsere Unterhaltung mit Clas beendet war. „Seid ihr fertig mit reden?“

Ich drehte mich um, lächelte und nickte. Dann kroch ich zu ihr rüber, grinste sie spitzbübisch an und beugte mich über sie.

„Worüber habt ihr denn geredet?“, fragte sie, doch auch sie konnte sich ihr Grinsen nicht verkneifen.

„Nur, dass Clas Leute schickt, die sich um andere Vampire kümmern werden, die ebenfalls dazu gehören. Er meint, wie haben genug gehabt, und können wieder zurück gehen.“

Milas Blick wurde grüblerisch. „Stimmt, ich habe gar nicht an andere Vampire gedacht. Ich hatte gedacht, wir sind hier fertig.“

Ich grinste. „Das sind wir auch.“ Darauf beugte ich mich zu ihr runter und küsste sie.

Ihre Hand glitt in meinen Nacken und sie verzog beim Küssen ihren Mund zu einem Lächeln. Doch dann fragte sie: „Das heißt, wir gehen?“

Ich nickte und sah sie bemitleidend an. „Ja, leider.“ Mein Grinsen stahl sich wieder an die Oberfläche. „Aber wir haben ja noch genug Zeit, um das Zimmer aus allen möglichen Winkeln zu sehen, oder?“

Ihr Grinsen wurde nur noch breiter.

4.

 

Anthony hatte den Flug bestellt und nun waren wir wieder auf dem Weg zurück nach Österreich am Flughafen und gingen durch die Kontrolle.

„Wir können wieder hier her kommen, wenn du willst“, hatte Anthony gesagt. „Wir haben alle Zeit der Welt.“ Und dabei hatte er mich wieder angegrinst.

Es war trotzdem schade, jetzt schon zu gehen. Ich hatte das Gefühl, noch irgendetwas hier tun oder ansehen zu müssen. Trotz des Auftrags und dessen Ende war es hier dennoch schön.

Mein Kopf war klarer, sobald ich gerade nicht an Anthony denken musste oder wenn er nicht in meinem Blickwinkel war. Doch wenn ich ihn sah, dann war es aus mit mir. Ich sah nur noch ihn.

Wenn ich mir meinem Zustand bewusst wurde, wollte ich, dass es aufhörte. Nicht, weil ich ihn nicht liebte – denn das tat ich die ganze Zeit. Aber ich hasste die Art, wie er mich kontrollieren konnte, wenn ich ihm in die Augen sah und er ebenfalls in meine.

Später im Flugzeug redeten wir nicht mehr viel. Und wenn, dann grinste Anthony mich immer wieder so breit an, dass ich nur so dahinschmolz. Doch sonst war es ruhig. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Vor allem Anthony. Er machte so ein Gesicht, als ob ihn irgendetwas ziemlich beschäftigen würde. Aber sobald er bemerkte, dass ich ihn ansah, grinste er mich wieder an.

Nachmittags waren wir dann mit dem Flugzeug in Wien. Daniel war uns mit Anthonys Wagen abholen gekommen. Und während ich ihm in die Arme fiel, rannte Anthony auf seinen schwarzen Porsche zu.

„Oh, da bist du ja, mein Baby!“, rief er.

Ich löste mich aus Daniels Umarmung und lachte los. Auch Daniel konnte sich nicht zurückhalten.

„Also, nach allem, was ich für dich getan habe“, äußerte er sich über Anthonys Scherz, „vor allem nach all dem, was ich im Vergleich dazu getan habe, was dein Auto nicht getan hat“, er räusperte sich, „werde ich hier ziemlich benchteiligt.“

Lachend schaute Anthony uns an, dann zuckte er mit den Schultern, und rannte die kurze Strecke auf Daniel zu.

„Oh, mein Freund!“, rief er.

Am liebsten hätte ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Die Leute guckten bereits jetzt so komisch.

„Oh, wie habe ich dich vermisst!“ Nun sprang Anthony wahrhaftig ab und landete in Daniels offenen Armen.

Ich warf meinen Kopf nach hinten und lachte laut los. „Gott, Leute, das könnt ihr doch nicht wirklich tun!“

Nicht nur das wir – beziehungsweise die zwei sich umarmenden Jungs – ein schräges Bild von uns gaben, wir störten dabei auch noch den Menschen, die sich an uns vorbei schlängeln mussten.

„Jetzt hört auf!“, rief ich, immer noch schockiert wie belustigt über die beiden. „Oder ich setzte mich ans Steuer!“

Sofort löste sich Anthony von Daniel und rannte an mir vorbei, um sich auf den Vordersitz zu setzen. Bevor er die Tür hinter sich zuschlug, sagte er: „Niemals lasse ich dich mein Baby fahren.“ Dann schlug er die Tür zu.

Daniel lief mit mir auf die anderen Autotüren zu. „Der hat heute eine viel zu gute Laune. Ich frage mich, woran das liegen mag“, raunte er mir zu.

Ich biss mir lächelnd in die Lippe.

Verdammt, er kann doch meine Gedanken lesen! Denk an etwas anderes! Mach schon, mach schon!

Beinahe träumte ich schon fast von der Zeit, in der meine Gedanken ganz für mich allein waren.

„Freut mich, dass du mich so sehr vermisst hast“, sagte er und lachte.

Ich schlug ihn auf die Schulter und schaffte mir so durch seine Empörung den Vorsprung, in den Vordersitz zu springen.

„Ach nein!“, jammerte Daniel. „Lass du mich vor, da hinten ist es so eng!“

„Tja, Pech gehabt! Das letzte mal saß ich hinten!“

Mit gespielt beleidigtem Blick starrte er mich zu Boden und ich lachte, ehe ich die Autotür hinter mir zuschlug.

Als Daniel sich mit bockig vorgeschobener Lippe auch endlich nach hinten ins Auto gesetzt hatte, sagte ich: „Das war so peinlich! Alle haben uns angestarrt! Hattet ihr nichts Besseres zu tun, als euch so zum Affen zu machen?“

„Nein!“, antworteten beide wie aus einem Mund.

Ich schüttelte nur den Kopf.

„Nicht nur, dass wir so blass aussehen wie Leichen, dann ist da auch noch der Porsche. Noch mehr Aufmerksamkeit hätten wir wohl nicht haben können!“ Ich stöhnte und warf meinen Kopf nach hinten, während Anthony den Wagen schon gestartet hatte und sich durch die Autos aus der Stadt schlängelte. „Ihr seid ja solche Idioten!“

„Erstens: Nur du siehst so leichenblass aus wie eine Leiche! Ich habe einen wunderbaren Teint!“, wand Anthony ein und schnippste mit den Fingern.

„Na vielen Dank auch!“, erwiderte ich.

„Und zweitens: Mein Auto wird immer angestarrt, weil es so scharf aussieht!“

Ich musste zusammen mit Daniel wieder loslachen.

„Wenn das so ist, kannst du den Wagen auch gleich heiraten“, entgegnete Daniel. „Und da du Mila dann offensichtlich nicht mehr brauchst, kannst du sie gleich an mich abgeben!“

„Daniel!“, rief ich. „Was soll der Mist?“ Ich musste trotzdem lachen.

„Niemand wird hier abgegeben“, konterte Anthony ernst. „Mila gehört mir. Nur mir.“

„Pff! Ich gehöre niemandem!“ Ich sah ihn kopfschüttelnd an und sah Daniel ihm Augenwinkel grinsen.

„Doch. Und zwar mir!“

Ich wollte irgendetwas erwidern, doch mir blieben die Worte im Hals stecken. Somit lehnte ich mich einfach auf meinem Sitz zurück und beobachtete, wie Anthony über die Autobahn raste. Nur noch das Radio überspielte die Stille im Auto.

Ich gehörte ihm nicht. Und auch sonst niemandem. Ich war Herr über mich selbst.

Die ganze Fahrt beschäftigte mich dieses eigentlich unwichtige Thema. Anthony hatte sowieso nur Spaß gemacht. Allerdings hatte er es ziemlich ernst gesagt.

Auch wenn mich freute, dass Anthony mich so sehr mochte, dass er meinte, ich gehöre ihm, gefiel mir der Gedanke trotzdem nicht so sehr, wie es sollte. Und ich wusste nicht, woran das lag.

5.

 

Die Fahrt zum Sitz der Reys war ereignislos, genauso wie die Ankunft. Niemand erwartete uns, niemand begrüßte uns. Erst fand ich daran nicht seltsam, doch als mir einfiel, wie viele Vampire aus dieser Burg an Anthonys Geburtstag waren, die eigentlich wie seine Freunde gewirkt hatten, wunderte ich mich, wo sie jetzt waren. Immerhin war Anthony bei diesem Auftrag beinahe gestorben.

Vielleicht aber waren solche beinahe tödlichen Aufträge so oft geschehen, dass sie nichts besonderes mehr darstellten.

Ich könnte mich an so etwas nie gewöhnen. Aber an den Tod konnte man sich auch nicht gewöhnen.

Ich fragte mich, wie die anderen damit umgingen. Immerhin wurden auch sie so oft mit dem Tod konfrontiert, sogar viel öfter als ich.

Allerdings kann ich nie behaupten, ich könne mich nie daran gewöhnen, weil ich noch nicht so lange lebe. Das Töten von den Touristen wurde mir ja auch langsam zur Gewohnheit, also würde mir der Tod eines Tages vielleicht gar nicht mehr stören – wobei ich wirklich hoffte, das würde niemals geschehen.

Von Daniel und Anthony wurde ich noch in mein Zimmer begleitet, weil ich plötzlich übermüdet war und einfach allein sein wollte, während die beiden wieder nach draußen gingen.

Als sie weg waren, warf ich mich in mein Bett und schloss die Augen. Wieder wünschte ich mir den Schlaf herbei, der die Realität einfach verschlucken könnte und mich in eine süße Traumwelt schicken würde. Doch egal, wie lange ich lag und lag, die Wirklichkeit verschwand nicht so einfach, stattdessen stürzten die Ereignisse des Auftrags auf mich ein und trieben mir die Tränen in die Augen. Ich wand mich im Bett hin und her, versuchte, das Vergangene zu vergessen. Doch es brachte nichts und die Bilder drangen vor mein Auge und ließen die Erinnerungen wie ein Videoband laufen.

Schlussendlich richtete ich mich auf und rieb mir die Augen trocken. Aber es änderte nichts. Trotzdem sah ich noch immer, wie Stuart sich an Anthony heranschlich und ihn in der Mitte zerriss. Im selben Moment spürte ich den Schmerz, den er wohl gefühlt haben muss, als wäre es mein eigener. Und als ich realisierte, dass ich den Schmerz wirklich gespürt hatte, schmerzhaft aufschrie und auf den Boden fiel, stürzte bereits jemand in mein Zimmer.

Ein erneutes Knacksen fuhr durch meinen Körper und ich biss die Zähne zusammen, um diesmal nicht zu schreien. Wieder knackste es, dieses Mal in meinem rechten Bein. Ich erwartete bereits mehr, denn wenn ich dies nach den letzten Malen messen konnte, so dürfte dies noch mindestens eine Minute weitergehen.

Die Person kam zu mir her geeilt, hockte sich dann aber neben mich und erstarrte. Ich erkannte sie. Anna.

„W-was …?“, stotterte sie. „Was … Was geschieht gerade mit dir?“

Ich konnte nicht antworten, erwartete eine weitere Welle an Schmerzen, doch durch mich fuhr nur noch ein letztes Knacken, dann hörte es auf.

Ich hatte Anna schon so lange nicht mehr gesehen und das, obwohl sie meines Wissens wie ich in dieser Burg lebte. Sie hatte sich nicht verändert und war genauso klein und schwarzhaarig wie vor mehreren Monaten. Ich hatte sie völlig vergessen.

„Was war das gerade?“, fragte sie. Als ich hochschaute, blickte sie mir erschrocken ins Gesicht.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht“, brachte ich keuchend heraus.

Dann war es erst still. Ich setzte mich auf das Bett und Anna tat es mir gleich.

„Habe ich sehr laut geschrien?“, fragte ich, um die Stille zu vertreiben.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich war nur in der Nähe und habe dich dann plötzlich gehört.“

Bevor sie zu einem neuen Satz ansetzen konnte, sprach ich bereits.

„Ich habe keine Ahnung, was das ist“, flüsterte ich. „Aber da das gerade schon wieder passiert ist, glaube ich ...“

Anna unterbrach mich. „Das ist schon ein Mal passiert?“ Ihre Augen wurden größer.

„Ja“, war meine knappe Antwort.

„Wieso bist du dann nicht zu Clas oder zu Ambrosius gegangen? Ich habe das bisher noch nie in meinem Leben gesehen und das kann nicht normal sein!“ Annas Stimme wurde höher je lauter und aufgeregter sie sprach.

Ich zuckte mit den Schultern. „Da war ich ja noch in New York und davor...“ Ich wusste selbst nicht, wieso ich nichts unternommen hatte. Aber eins hatte ich: Angst.

Anna seufzte. „Dann würde ich sagen, wir gehen zu Ambrosius.“ Dann schaute sie mich vorwurfsvoll an. „Du hättest früher zu ihm gehen sollen.“

Ich blieb stumm, denn vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen. Aber ich hatte einfach nicht gewusst, was das war und was ich tun sollte, also hatte ich einfach nichts gemacht.

„Ich begleite dich zu ihm“, meinte sie. Dann stand sie auf. „Komm!“

Mir blieb nichts Anderes übrig, als ihr zu folgen. Immerhin wollte ich selbst wissen, was mal wieder mit mir nicht stimmte, und vielleicht wusste Doktor Ambrosius ja etwas.

6.

 

Wir mussten zwar nicht viel laufen, aber die Gänge waren wie immer so unübersichtlich, dass ich mich wunderte, wie ich mich hier jemals zurechtfinden würde, trotz meiner Vampirfähigkeiten.

Während ich in New York gewesen war, hatte ich jedoch nicht gemerkt, wie ich diese Gänge jedoch vermisst hatte. Nicht nur die Gänge, sondern auch die Wände und sogar den Geruch hier, der einfach zu der Burg gehörte.

Kann ich diese Mauern mein Zuhause nennen?

Das konnte ich mir nicht vorstellen und doch fühlte ich mich hier so heimisch wohl.

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, während ich neben Anna rannte. Ihr hinterherzurennen war jedoch schwerer als erwartet, da sie mir aufgrund ihrer Nervosität nur davonraste.

Nur sehr wenige Sekunden später standen wir auch schon an Ambrosius' Tür. Bevor sie klopfen konnte, fragte ich sie noch: „Wohnst du eigentlich hier?“

Sie runzelte die Stirn über diese Frage, grinste aber. „Ja.“

„Oh. Ich habe dich nur sehr lange hier nicht mehr gesehen, deswegen frage ich“, meinte ich etwas verlegen und lächelte.

„Ich liebe es nur, draußen zu sein und zu verreisen. Die letzten Wochen war ich an der Südküste Spaniens“, erwiderte Anna.

Erstaunt machte ich meinen Mund auf, um meine Begeisterung auszudrücken, aber da klopfte sie schon an die Tür. Von innen hörte ich Ambrosius „Herein!“ sagen.

„Wie reden später darüber, okay? Jetzt soll erst dein Problem gelöst werden.“

Sie lächelte und ich nickte.

„Ich lasse dich mit ihm allein. Später komme ich vorbei und frage dich, was passiert ist.“ Ihre Augenbrauen hoben sich fragend, um meine Zustimmung zu bekommen, und ich nickte erneut.

Als sie verschwand, drückte ich die Klinke zur Ambrosius Zimmer runter.

Ach nein! Jetzt muss ich ihm wieder meine Probleme berichten. Er wird sich sicher denken, bei mir läuft etwas nicht richtig, so oft, wie ich ärztliche Hilfe als Vampir benötige. Ich verdrehte meine Augen. Dann zuckte ich mit den Schultern. Mit mir stimmte in Wirklichkeit etwas nicht, also machte es nun keinen Unterschied mehr.

Fast erwartete ich Doktor Ambrosius vor einem Buch steif auf einem Stuhl sitzen – er würde somit ein perfektes Bild eines Arztes und Gelehrten bilden. Doch als ich die Tür öffnete, hörte ich andere Stimmen und als ich eintrat, sah ich, dass die Stimmen von einem Fernseher stammten. Ambrosius saß ein paar Meter davor und schaute sich einen Film an.

„Ah, Milana“, sagte er, als ich die Tür hinter mir schloss.

Doch sobald er sein Gesicht zu mir drehte, erstarrte er.

„Ähm … Ambrosius?“ Fast hätte ich ihn mal wieder mit Doktor Ambrosius angesprochen.

Er blinzelte ein paar Mal und richtete sich vom Sofa auf. „Eigentlich wollte ich gerade sagen, dass es mich freut, dass du lebendig von deinem Auftrag zurückgekehrt bist...“ Sein Mund blieb geöffnet, als ob er noch etwas sagen wollte, dann schloss er ihn wieder.

Ja, lebendig war ich wirklich zurückgekehrt, aber psychisch vielleicht nicht ganz unversehrt… Sah er mir das etwa an? Oder wieso reagierte er gerade so seltsam?

Er fasste sich wieder. „Wieso bist du hergekommen? Verspürst du wieder Schwindel?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber...“ Erst wollte ich wieder etwas sagen, aber dann war ich wieder ganz verwirrt, wieso er mich denn so seltsam angestarrt hatte. Also brach ich kein Wort heraus.

„Setz dich“, sagte Ambrosius und deutete auf das Sofa. Etwas widerwillig setzte ich mich.

Gerade wollte ich ansetzen, als auch Ambrosius mit dem Reden begann. Wir stoppten beide und Ambrosius schaute mich an.

„Du hast dich verändert“, sagte er schließlich.

Ich warf meine Stirn in Falten. „Inwiefern?“

Er lehnte sich mir gegenüber an einen Tisch. „Optisch“, antwortete er.

Irritiert schüttelte ich den Kopf. „Und was bedeutet das wiederum?“

„Ich weiß es nicht. Nur, dass dein Körper sich verändert hat.“

Viel schlauer wurde ich daraus nicht. Wie konnte sich mein Körper verändern, wenn ich doch ein Vampir war – ein toter Stein mit Gefühlen?

„Du hast dich verändert. Du siehst erwachsener aus.“ Ambrosius schien ebenfalls nicht ganz zu begreifen, was er da gerade feststellte.

„Na ja, ich habe Vampire getötet. Vielleicht wirke ich jetzt reifer“, meinte ich. Wie hätte sich denn mein Körper verändern können?

„Nein, nein, daran liegt es nicht. Jetzt, da du weg gewesen warst, sehe ich es ganz genau. Du hast dich körperlich verändert“, sagte er überzeugt, aber gleichzeitig verwirrt.

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

Er sprach weiter, während er es anscheinend selbst gar nicht fassen konnte. „Sieht man dich jeden Tag, fällt deine Veränderung kaum auf, aber da du jetzt einige Tage fort gewesen bist, sehe ich den Unterschied eindeutig.“ Er stockte. „Ein eindeutiger Unterschied war zwar auch bemerkbar, nachdem wir dich fünf Monate verhungern haben lassen – aber da hatten wir es dem Bluthunger und der Erfahrung zugeschrieben, dass du plötzlich erwachsener wirken würdest.“

Wir?“, fragte ich. „Was meinst du mir 'wir'? Hast etwa nicht nur du diese Veränderung bemerkt?“

Ambrosius nickte. „Natürlich. Ich habe sogar gleich mit Clas, Marx und Somala darüber gesprochen und Clas wollte auch mit mir darüber reden, da er meinte, mein medizinisches Wissen würde eine gute Erklärung für deine Veränderung geben. Aber ich wusste nicht, was das wäre, also schoben wir es wirklich auf die letzten fünf Monate.“

„Und jetzt?“, fragte ich. „Hast du jetzt eine Erklärung dafür?“

Er schüttelte den Kopf.

Ich fasste mir verwirrt an den Kopf und schaute mich nach einem Spiegel in Ambrosius' Zimmer um. Als ich ihn fand, stand ich auf und schritt darauf zu, um mich darin anzusehen. Beinahe überlegte ich, Ambrosius für verrückt zu erklären, da mein Gesicht genauso aussah wie immer. Doch wenn sogar Clas meinte, ich hatte mich verändert, musste doch wirklich was dran sein.

„Du wirst keine Veränderung bemerken, wenn du dich jeden Tag im Spiegel ansiehst.“

Ich schnaufte. „Aber es kann doch nicht wahr sein, dass ich erwachsener aussehe! Ich bin ein Vampir und ich altere nicht!“

„Ich kann es mir auch nicht erklären“, erwiderte der Doktor, der doch eigentlich so viel intelligenter sein müsste als ich und es mir erklären können sollte.

Schließlich meinte er: „Sag lieber einfach, wieso du zu mir gekommen ist. Was ist passiert?“ Seine plötzlich neutrale Stimme regte mich auf. Er musste sich doch damit beschäftigen!

„Ich glaube, mit mir stimmt etwas nicht“, seufzte ich. „Nicht nur, weil ich doch altere – entgegen der vampirischen Natur. Nein, es ist seltsam, aber komischerweise habe ich körperliche Schmerzen, die wie aus dem Nichts kommen.“

Nun wurde Ambrosius wieder komplett aus der Bahn geworfen und seine Stimme klang genauso verwirrt wie zuvor. „Was meinst du damit?“

„Ich weiß ja selbst nicht, was ich damit meine. Aber...“

„Ja?“

Ich schaute ihn an und wusste nicht, wie ich ihm mein Problem erzählen könnte.

„Gerade eben, zum Beispiel“, begann ich. „Ich lag nur in meinem Zimmer und dann plötzlich … dann knackste mein Körper und ich musste mich unter Schmerzen winden!“

Irritiert sah er mich an. „Was? Ich glaube, das war eher Amalia in der Nähe und hat dich mit ihren Kräften gefoltert, ohne dass du es bemerkt hast.“

„Nein! Sie war es nicht. Es war ein anderer Schmerz. Mein Körper verbog sich dabei nur irgendwie auf unnatürliche Weise und es knackste.“ Ich gestikulierte mit meinen Händen. „Das ist mir ja auch schon in New York passiert! Und da war Amalia ja nicht.“

Ambrosius starrte nur mich und meine zuckenden Hände an.

„Hat Anthony das gesehen?“, brach er die Stille.

„Nein, er war ohnmächtig.“

Abgesehen von meinem schnellen Atem und dem Geräusch von seinem Finger, als Ambrosius sich am Kinn kratzte, war es still.

„Jetzt sag doch etwas!“, forderte ich ihn auf. Ich war nervös und erschrocken zugleich. Erst jetzt merkte ich das wirklich Schlimme an meiner Situation und ich wunderte mich, wieso ich nicht zuvor wegen dieser Schmerzen mich an jemanden gewandt habe.

„Ich überlege“, reagierte Ambrosius auf meinen Ausbruch nach einer Weile.

Theatralisch warf ich meinen Kopf in den Nacken, schlug mir die Hände ins Gesicht und stöhnte.

„Um ehrlich zu sein“, sagte er dann, „habe ich nicht die geringste Ahnung, was das sein könnte, denn ich habe noch nie davon gehört und das nach so vielen Jahren.“

Erneut stöhnte ich frustriert.

„Allerdings...“ Ambrosius kratzte sich ein letztes Mal am Kinn, ehe er zu mir an den Spiegel trat. „Allerdings habe ich eine Vermutung.“

Ich schaute wieder in den Spiegel. Doch mein Gesicht sowie mein Körper hatten sich nicht plötzlich verändert, sondern sahen genauso aus wie vor wenigen Augenblicken.

„Und wie hieße denn diese Vermutung?“

„Ich würde sagen, dieses Problem hat etwas mit deinem erwachsenen Aussehen zu tun. Dein Körper muss sich irgendwie verändert haben, aber das geht nicht auf die normale, menschliche Weise. Vielleicht ist dieses sogenannte Knacksen deine Art zu wachsen und dich weiter zu entwickeln, wie in der Pubertät. Und dein Vampirsein ändert wohl nichts daran, dass das geschieht.“

„Na super“, murmelte ich.

Ambrosius atmete ein Mal tief ein und dann aus. „Ich sehe eine körperliche Veränderung wie deine bei einem Vampir zum ersten Mal. Aber wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dann ergibt es vielleicht sogar Sinn, dass dein Körper so knackst und dir wehtut.“

Wenn ich recht darüber überlegte, so waren diese Schmerzen sogar kein so schlechter Preis dafür, dass ich erwachsen werden würde. Was ich daran gehasst hatte, ein Vampir zu sein, war zum einen der Blutdurst, andererseits aber auch die Tatsache, dass ich für immer ein kleines Mädchen sein würde, im jungen Alter von fünfzehn Jahren. Nie würde ich erwachsen aussehen – nicht mal in Clubs würde man mich lassen, selbst wenn ich mehrere hundert Jahre alt sein würde. Doch nun hatte ich vielleicht sogar die Chance, erwachsen zu werden, selbst wenn ich mein süßes Gesicht dabei nicht loswerden würde.

„Das Problem liegt nur darin, dass du nicht die erste bist, die so jung verwandelt wurde“, brachte mich Ambrosius wieder in die Realität zurück. „Und meines Wissens hatte noch nie ein so junger Vampir Probleme wie du.“

Ich nickte. Es war ja nichts Neues, dass ich auch in diesem Fall ein Sonderfall war. Trotzdem regte es mich gleichermaßen auf, wie es mich auch freute. Es freute mich wirklich, dass ich nun älter wurde; aber wenn Ambrosius Theorie nicht stimmte darüber, dass dieses Knacksen mit meiner Körperveränderung zu tun hatte, so ängstigte mich es.

7.

 

Ich fuhr meine Fangzähne ein und leckte über mein blutigen Lippen. Dann lies ich den blutleeren Touristen aus meinen Armen fallen.

Ein Seufzen entfuhr mir, als ich mit ihm fertig war. Es hatte so gut getan, mal wieder einen lebendigen Menschen auszusaugen – anstatt ständig diese Blutbeutel. Zwar waren sie eine nicht schlechte Alternative, aber nie würden sie an frisches herankommen. Egal, wie sehr ich es verabscheute, Menschen umzubringen, an den Geschmack und das berauschende Gefühl, wenn ich frisches, pulsierendes Blut aussaugen und dabei ein lebendiges, schlagendes Herz hören konnte, kam so gut wie nichts heran.

Gerne hätte ich mir einen weiteren Touristen geschnappt, um mehr trinken zu können, aber ich hatte so lange versucht, den ersten bis auf den letzten Blutstropfen auszutrinken, dass ich mir eine weitere Person nicht mehr schnappen konnte.

Ich saß auf einer ganz strengen Diät. Das letzte Mal hatte ich einen Menschen ausgesaugt, bevor ich meinen ersten Auftrag in New York angenommen hatte. Seitdem hatte ich mich ständig nur von Blutbeuteln ernährt und aus ihnen zu trinken, versuchte ich nun so selten wie möglich, damit ich mich an geringe und seltene Blutrationen gewöhnen konnte; wirklich viel Blut aus Beuteln konnte ich sowieso nicht trinken, der Geschmack war einfach nicht derselbe.

Seit ich aus New York zurück war – also seit ganzen zwei Tagen - versuchte ich, diese Diät strickt durchzuziehen. Dass die Touristen heute kamen, war eine willkommene Abwechslung. Klar, ich hatte meine Diät nicht lange durchhalten können, aber ich würde ab jetzt wieder damit weitermachen. Vielleicht würde ich mich eines Tages an sehr geringe Blutmengen gewöhnen können.

Während die Leichen weggeräumt wurden, kam Anthony auf mich zu. Gleich nachdem er in die Burg gekommen war, musste er zahlreiche Untersuchungen durchgehen. Erst kam er zu Clas, der sich den dank mir verschwundenen Riss erst mal ansehen musste, um es auch wirklich glauben zu können. Dann musste er sich auch noch von Ambrosius untersuchen lassen – er kam gleich nach mir zum Doktor.

Natürlich hatte Anthony gefragt, was ich bei Ambrosius gesucht hatte und ob es mir gut ginge. Immerhin war ich die vielen Stunden zuvor mit ihm total unversehrt gewesen. Ich musste es ihm also erzählen. Zuerst war er total schockiert, dann überrascht gewesen über die Theorie des Doktors, dass ich noch wachsen würde, trotz meines theoretisch nicht alternden Körpers.

„Du wirst immer seltsamer“, hatte er gesagt. „Und immer grusliger.“

„Na vielen Dank auch!“, hatte ich erwidert und gelacht.

Wenig später hatte es auch Clas erfahren, hatte mir Anthony gesagt. Ambrosius wäre zu Clas hingegangen und hatte es ihm erzählt. Ich fühlte mich dabei einfach nur unwohl dabei. Ich bereitete Clas mehr als nur ein paar Probleme und nun gab es ein weiteres, das wieder mit mir zusammenhing.

Kurz vorm Verlassen des Saals wurde ich mal wieder von Clas Stimme aufgehalten. Erst als alle den Raum verlassen hatten, ausschließlich Marx, Somala und auch Anthony. Und mal wieder wusste Anthony etwas, was ich erst erfahren sollte.

„Wie geht es dir?“, fragte mich Clas.

Ich runzelte die Stirn. Hatte er mich deshalb gerufen? Um zu fragen, wie es ginge?

„Gut“, antwortete ich, wobei ich das Ende wie eine Frage klingen lies.

„Wirklich?“, hakte Somala nach.

Ich nickte. Natürlich gingen sie dabei auf mein gesundheitliches Problem ein, was sollte es sonst sein? Aber ich hatte, um ehrlich zu sein, selbst keine Ahnung, ob es mir diesbezüglich wirklich gut ging. Im Moment schon, aber wer wusste, wann diese Schmerzen wieder auftreten sollten.

„Na wenn das so ist“, sprach Clas sofort weiter, „dann habe ich die Ehre, dir mitteilen zu können, dass du bald wieder einen Auftrag angehen kannst.“

Irritiert schüttelte ich den Kopf. „Waren wir nicht vor zwei Tagen noch auf einem gewesen?“

„Natürlich“, übernahm Marx nun das Wort. „Aber dumme Vampire, die sich beim Essen erwischen lassen, machen ja auch keine Pause. Außerdem könntest du dies auch als deinen neuen Beruf ansehen – und du arbeitest so lange bis du dir von uns genehmigten Urlaub nimmst.“

Aufgrund seines gehässigen Untertons bekam Marx einen wütenden Blick von mir zu spüren. Doch ehe ich antworten konnte, sprach Clas schon wieder das Thema an.

„Ich hätte dir ja gerne früher Bescheid geben können und würde dir mehr Zeit lassen, allerdings begeben wir uns zu einem Auftrag, sobald wir von ihm erfahren.“

Und doch hatte ich das Gefühl, Anthony hatte schon vorher Bescheid gewusst. Aber ich konnte mich auch irren. Ich drehte meinen Kopf zu ihm, um ihn zu beobachten. Auch er wandte sich zu mir und lächelte mich aufbauend an.

„Es wurde euch ein Zug organisiert. Am besten wäre es, wenn ihr in dreißig Minuten losgeht, damit ihr ihn nicht verpasst. Aber falls dies doch geschieht“, sagte Clas und schaute in dem Moment ganz bewusst mich an, als ob ich grundsätzlich zu spät kam, „so ist es ja nicht so weit nach Paris.“

Meine Augen weiteten sich, als ich vom Ort erfuhr. „Paris?“

„Ja“, antwortete er kurz angebunden und ging dann an mir vorbei, um den Saal zu verlassen. Das musste man ihm wirklich lassen: Er war ein Mann der knappen Worte.

„Und verpasst nicht den Zug!“, säuselte Marx, als auch er mich streifte, um an mir vorbeizukommen, während ich etwas verdattert stehen blieb.

Ich drehte mich zu Anthony um. „Du kommst doch auch mit, oder?“

„Natürlich.“

Sein Lächeln erwärmte mich und ich musste auch grinsen. Er und ich, in Paris. Vielleicht sollte es doch perfekt werden?

Plötzlich drehte sich Clas um. „Da ist aber eine Sache, die wir besprechen müssen.“ Gleichzeitig blieben auch Marx stehen, er fing an zu grinsen, während Somala aus dem Raum ging. Mich überkam sofort kein gutes Gefühl.

„Ich weiß, Milana, dass zwischen Anthony und dir etwas läuft.“

Sofort versteifte ich mich. Clas wusste das über Anthony und mich. Aber natürlich wusste er das. Sofort erinnerte ich mich an die Szene zurück, als ich zufälligerweise von dem Plan erfuhr, der irgendetwas mit mir zu tun hatte – ich hörte ihre Worte wieder, die sich in mein Gehirn gebrannt hatten.

War das also nicht Clas' Plan gewesen? Ich zuckte zusammen, als ich wieder daran denken musste, dass all die Gefühle von Anthony vielleicht nur gespielt waren. Aber schließlich konnte das nicht sein. Ich spürte schon lange, dass Anthony meine Gefühle auch erwiderte, auch wenn wir uns das nie gesagt hatten. Ich spürte diese tiefe Verbindung zwischen uns.

„Du hängst zu sehr an ihm“, stellte Clas fest. Sein Blick schien durch meine Augen hindurchzusehen und tief in meine Seele zu blicken. Ich fing an zu frösteln, gleichzeitig zog ich beschämt die Schultern ein.

„Ich sehe doch, dass du förmlich an ihm klebst und ihm überall hin folgen würdest.“

Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag. Er hatte recht. Ich tat es und, verdammt nochmal, ich liebte Anthony. Aber hing ich wirklich wie eine Klette an ihm?

Hinter mir spürte ich, wie Anthony sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte.

„Ich möchte dies sofort unterbinden!“, sprach Clas mit fester Stimme. „Diese nicht rein platonische Beziehung sollte sofort beendet werden!“

Ich riss meine Augen auf. „Was?“, brachte ich mit gebrochener Stimme hervor. „W-Warum?“

Clas deutete ein Grinsen an. „Du verstehst das schon. Das hier ist nun dein Job, genauso wie es der von Anthony ist. Beziehungen am Arbeitsplatz – und so weiter.“

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Was?“, wiederholte ich mich. „Nein, das verstehe ich gar nicht!“

„Natürlich tust du das.“

„Aber … Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!“ Meine Stimme war lauter geworden, als ich es beabsichtigt hatte, aber nun kam langsam wieder dieselbe Wut auf alles und jeden zum Vorschein wie zu kurz nach meiner Verwandlung.

Clas sagte nichts mehr, sondern schaute mich nur noch grinsend an. Es war, als ob er sich zu diesem bösen Grinsen sogar zwang, nur um mich wütend zu machen.

„Aber … aber …“

Ich drehte mich um. Anthony hinter mir tat einfach nichts, er sagte nichts, er widersprach nicht. Wie eine Skulptur stand er da, ohne jegliche Gefühlsregung. Er schaute mich nicht einmal an, sondern blickte einfach an mir vorbei. Ich zwang mich ebenfalls, die Fassung zu bewahren und atmete mehrmals tief durch, sog den typischen Geruch dieses Saals ein, der in jeder Ecke nach längst getrocknetem Blut roch, das so tief in den Stein gesickert war, das man es nicht mehr heraus bekam.

Doch all die Ruhe, die ich zu erlangen versucht hatte, verrauchte, sobald ich wieder Clas ansah, der mich wieder breiter angrinste, als ich mich umdrehte. Marx stand etwas weiter hinter ihm und obwohl er seine Stimmungslage nicht zeigte, so wusste ich, dass er sich heimlich ins Fäustchen lachte, weil er mich leiden sah. Wie konnten nur solche Idioten die Vampire anführen?

„Das ist doch alles vollkommen idiotisch!“, rief ich. Meine Wut ballte sich in mir zusammen, um mit einem Mal aus mir herauszukommen. „Das hier ist nicht mal ein Job! Und selbst bei einer normalen Arbeit gibt es keine solche dummen Regeln, wie ihr sie aufstellt! Ihr seid einfach ein Haufen Deppen, die meinen, alles besser zu wissen, und jeden einfach nach Lust und Laune quälen zu können, wie es euch gefällt.“ Ich brüllte Clas an, wurde immer lauter und fragte mich beinahe euphorisch, wie laut ich wohl noch schreien konnte. „Ihr seid einfach nur elende, nichts könnende Bastarde, die nichts in dieser Postion als König verloren haben!“

Ich hätte gerne weiter brüllen und beleidigen wollen, aber mit einem Mal erstarrte mein Körper und ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper versuchte krampfhaft, dieser Starre zu entkommen, aber ich war fest in dieser Postion.

Somala war erschienen. Und während sie mich konzentriert anstarrte, realisierte ich, dass sie mich mit ihrer Gabe festhielt. Ich zerrte an den unsichtbaren Fesseln, aber sie hielten mich fest.

„Vorsicht, Milana“, sagte Clas gefährlich leise. „Vorsicht.“

Wieder versuchte ich mich zu bewegen. Doch mit meiner Willenskraft schwand auch die Wut und wurde ersetzt durch schleichende Angst.

„Hast du es etwa schon vergessen? Dein Leben hängt am seidenen Faden. Ob du lebst oder nicht, das entscheide allein ich. Also provoziere mich nicht.“ Mit langsamen Schritten kam er meinem unbeweglichen Körper immer näher, um nur noch bedrohlicher zu wirken.

Ich wollte den Atem anhalten, um ihn nicht noch mehr zu provozieren, aber das hatte ich bereits, da aufgrund Somala mein ganzer Körper unbewegt war. Nicht mal mehr meine Augen konnte ich bewegen und da diese sich nicht mehr auf den zu nahe kommenden Clas fokussieren konnte, sah ich ihn nur noch verschwommen.

„Ich mache dir ein Angebot. Du wirst deine Romanze nicht weiterführen, auch nicht in bei deinem Auftrag mit Anthony in Paris. Tust du es doch, stirbst du.“

Ich spürte langsam wieder, wie das Gefühl über mein Gesicht zurückkam. Meine wütenden Züge fielen in sich zusammen und ich schaute nur noch wie ein verängstigter Hund.

„Habe ich mich klar ausgedrückt?“, fragte Clas. Mittlerweile konnte ich ihn wieder scharf sehen. Das Schwarz seiner Augen ängstigte mich noch mehr, wenn er direkt vor mir stand.

Mein Kopf hob sich langsam hoch und runter.

„Sag es!“, forderte er.

„Ja“, flüsterte ich zittrig.

Offensichtlich zufrieden grinste er wieder und wand sich von mir ab.

„Und jetzt geh raus und fang dir einen Menschen, wenn du willst. Aber wage es nicht, davonzulaufen, denn wir werden dich garantiert finden.“

Mit einem Mal fiel die Starre von mir ab. Ich wartete keine Sekunde länger und raste aus dem Raum, um so schnell wie möglich viel Abstand zwischen Clas und mir zu bringen.

 

~~~

 

Mila rannte hinaus und hinter ihr schlugen die silbernen Tore des Saales gegen die Wand. Ihre Angst war beinahe greifbar gewesen.

Clas lächelte mich unverfälscht an. „Perfekt, Anthony! Es ist genauso gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte.“

„Ja.“

„Das ist das Gute an Jugendlichen. Sie sind berechenbar. Provoziert man sie, werden sie garantiert wütend und hassen einen.“

Ich nickte. Als noch jünger gewesen war, war ich genauso aufbrausend wie Milana gewesen, aber zum Glück hatte sich das mittlerweile gelegt. Ich konnte mich kontrollieren und meine Handlungen waren immer gut überlegt.

Fast immer.

Es war lange her, dass ich einen solchen Ausrutscher gehabt hatte, aber meine Gefühle waren einfach stärker als die Vernunft gewesen, als ich Milana geschlagen hatte. Wenn sie jemals wieder das Vertrauen in mich verlieren würde, dann läge das garantiert daran, dass sie sich an diesen Moment zurückerinnerte.

„Schlussendlich“, sprach Clas, „ist Milana doch ganz einfach gestrickt. Wenn sie etwas nicht bekommt, so will sie es umso mehr.“

„Ja.“

„Also, nochmal zum Wiederholen, denn es ist wirklich wichtig: Du besuchst mit Milana den Eiffelturm und alle Orte der Verliebten in der Stadt der Liebe, gedeckt unter eurem angeblichen Auftrag. Du wirst Sex mit ihr haben und sie davon überzeugen, dass dieses Risiko eure Liebe wert ist, nachdem du ihr deine unglaubliche und unvergängliche Liebe gestehst und dieses ganze Gesülz.“

Ich nickte erneut. Der Auftrag war klar und einfach.

„Sie wird wegen diesem Drama noch mehr ihr Herz verlieren als wegen dir und das Liebesglück ist perfekt. Solange dieser Plan funktioniert, ist mir auch egal, dass sie mich aus tieften Herzen hasst. Sie wird mich wieder mögen, sobald ich euch diese verbotene Liebe doch noch erlaube.“

Es war ja nicht so, dass Milana die erste war, die so eingelullt wurde. Bereits mehrere Talente wurden genau durch solche Pläne dazu gebracht, hier zu bleiben, weil sie sich an das Leben hier so sehr gewöhnt hatten, dass sie nicht mehr weggehen wollten – auch wenn sie erfuhren, dass sie deswegen angelogen wurden, denn sie verstanden das Ziel dieser Sache und das Ziel heiligte bekanntlich alle Mittel. Es war ja auch nicht so, dass Milana so ein großes Naturtalent war, dass wir sie unbedingt brauchten, aber wenn wir auf diese Weise mehrere überredeten, hier zu blieben, so hatten wir ein ganzes Kollektiv voller Talente, das wir wirklich brauchten, wenn diese Regierung nicht gestürzt werden sollte.

Aber irgendwie hatte ich trotzdem das Gefühl, dass Mila anders war. Denn ich bezweifelte, dass sie sich so etwas gefallen lassen würde – selbst wenn ihr das Ziel auch noch so einleuchtete.

8.

 

Sobald ich in meinem Zimmer war, packte ich einfach die erstbesten Sachen, die mir unter die Finger kamen, in eine Handtasche – was zur Folge hatte, dass ich die Sachen nochmal aussortieren musste, da sie einfach unpassend waren. Schnell stopfte ich ein paar der Klamotten hinein, die ich in New York getragen hatte. Kurz überlegte ich, ob ich irgendwelche meiner schwarzen Kleider mitnehmen sollte, entschied mich aber schließlich dagegen, als ich wieder an Clas' Drohung zurückdachte.

Ich hatte Angst, solche Angst. Ich wollte nicht sterben – wobei dies der angenehmere Weg war als monatelang an Hunger zu leiden. Die Drohung hallte noch immer in meinen Ohren wieder und immer, wenn ich versuchte, es zu verdrängen, tönte Clas' Stimme nur noch lauter und deutlicher in meinem Kopf.

Aber wage es nicht, davonzulaufen, denn wir werden dich garantiert finden.

Wie gerne wäre ich davongerannt. Ich hatte es sogar getan, bin angsterfüllt aus der Burg gestürmt und immer weiter weggelaufen. Aber er würde mich finden und dann töten. Also musste ich mich dem Problem stellen und entgegen meiner Gewohnheiten durfte ich ihn nicht anbrüllen, um meinen Willen zu bekommen. So bin ich wieder zurückgekommen und sobald ich mich daran erinnerte, dass ich mich beeilen musste, um den Zug nach Paris zu kriegen, eilte ich mich, meine Sachen zu packen.

Aber das Schlimmste war aber wohl, dass ich Anthony nicht mehr näher kommen durfte. Ich liebte ihn. Wie konnte ich mich von ihm fernhalten und das, obwohl wir sogar zusammen nach Paris fahren mussten? Wie konnte Clas nur auf die dumme Idee kommen, mich dann mit ihm dahin zu schicken? Machte es ihm wirklich so viel Spaß, mich zu quälen?

In meinem Kopf drehte sich einfach alles um die Frage „Warum?“.

Ich rannte hinaus und traf dort auf Anthony, der auf mich gewartet hatte. Sein Gesicht war ernst, doch er zwang sich dazu, seine Mundwinkel etwas zu heben und lächelte mich an. Ich schaute ihm nicht mal richtig ins Gesicht. Es wäre zu mühsam gewesen, seinen Anblick ertragen zu können mit dem Wissen, dass ich immer auf Abstand bleiben musste, wenn mir mein Leben lieb war.

„Tut mir leid, ich wollte nicht zu spät kommen“, murmelte ich, mein Kopf war gesenkt.

„Das passt schon.“ Er klang seltsam ruhig im Hinblick dieser Situation. Zwar hatte Clas nicht ihm den Tod gedroht, aber ich vermutete mal, dass dies auf uns beide zutraf. „Gehen wir.“

Er rannte los und ich ihm hinterher. Kurz fragte er, ob ich meinen gefälschten Pass mit mir hatte und ich antwortete knapp.

Wir waren rechtzeitig am Bahnhof und als wir schließlich auf unseren Plätzen saßen – ich rechts direkt am Fenster und er mir gegenüber –, waren wir genauso schweigsam wie zuvor. Ich wollte auch nicht reden, denn wenn, dann würde das mich vielleicht sogar zu mehr verleiten...

Der Zug fuhr los und ich beobachtete wie die ersten Gebäude an uns vorbeirauschten.

Nach ein paar Minuten schaffte ich es, ein paar Worte zu fassen. „Wie … wie lange dauert die Fahrt?“ Noch immer schaute ich Anthony nicht an, aber ich sah sein Gesicht im Blickwinkel.

„Ungefähr zehn Stunden“, antwortete er. Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, als ich aus Versehen aufstöhnte. „So lange ist es ja nicht.“

„Mm. Na ja, wir sind mehrere tausend Kilometer nach New York geflogen und das hat genauso lange gedauert.“

Ich hatte nun doch mit ihm geredet. Und so schwer war es doch nicht gewesen. Wahrscheinlich lag es einfach an unserer Vertrautheit – die aber nicht mehr existieren durfte.

Ich atmete tief ein, in der Hoffnung, dass ich dadurch etwas Mut aus der Luft aufsaugen konnte. Leider konnte man aus der Luft kein Mut beziehen, sondern höchstens Sauerstoff, der mir in diesem Fall leider wenig brachte. Trotzdem riss ich mich zusammen, um die nächsten Worte auszusprechen.

„Du hast doch schon davor gewusst, dass Beziehungen am Arbeitsplatz“, äffte ich Clas nach, „verboten sind.“ Damit uns keiner belauschen konnte, rückte ich etwas näher nach vorne, obwohl mein Gehirn mir das Gegenteil sagte. Würde ich Anthony zu nahe kommen, würden meine Gefühle das Handeln übernehmen. „Wieso … wieso hast du das dann angefangen, wenn du wusstest, zu was das führt?“ Wieso hast du mir das angetan?

Ich wollte ihn noch so viel mehr fragen, doch diese Frage war die zentrale Frage. Ich wollte ihm noch so viel mehr vorwerfen – aber ich sollte vor all den Menschen hier im Zug keinen Wutausbruch bekommen, wenn ich mich da weiter hineinsteigern sollte.

Anthonys Miene wurde undurchdringlich. Beinahe ängstlich lehnte ich mich wieder zurück auf meinen Sitz. Doch anstatt zu schweigen, wie er es manchmal tat, kam er tatsächlich zu mir rüber und setzte sich neben mir auf den freien Platz. Als er erst nichts sagte, dachte ich, ich hatte mich doch geirrt, doch dann holte er Luft – um danach wieder geräuschvoll auszuatmen. Aber er als er einen erneuten Versuch wagte, traute er sich endlich, mir zu antworten.

„Ich konnte nicht anders.“ Er lehnte sich näher zu mir ran. Als ich seine Schulter an meiner spürte, zuckte ich zusammen. „Ich wollte mich ja zurückhalten, aber du …“ Ich fühlte seinen süßen Atem an meinem Ohr, hörte sein Flüstern. „Wenn ich wissen würde, was du mit mir anstellst, würde ich es dir gerne erklären. Aber ich kann nicht mal mir selbst erklären, wieso ich alles vergesse, wenn ich nur in deiner Nähe bin.“

Unwillkürlich hielt ich den Atem. Als ich meinen Kopf in seine Richtung drehte, schaute er mir direkt in die Augen und ich spürte, wie er mich tief in der Seele berührte. Seinen smaragdgrünen Augen zogen mich wieder in den Bann und ich begann, das Knistern zwischen uns wieder zu hören.

Erst als meine Hand sein Gesicht berührte, merkte ich, dass ich den Arm überhaupt bewegt hatte. Vorsichtig strich ich Anthony mit meinem Daumen über die Wangenknochen runter bis zu seinen geschwungenen blassen Lippen. Es trennten uns nur noch so wenige Zentimeter und ich wollte alles tun, um die Lücke zu schließen.

Und mit einem Mal hatte ich wieder Clas' Drohung vor Augen.

Dein Leben hängt am seidenen Faden. Ob du lebst oder nicht, das entscheide allein ich. Du wirst deine Romanze nicht weiterführen. Tust du es doch, stirbst du.

Erschrocken zuckte ich zurück. Mit großen Augen starrte ich Anthony nur noch an und versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Entschuldigung“, murmelte ich.

Dann drehte ich mein Gesicht schnell weg, damit ich ihn nicht mehr ansehen musste. Doch als er sich mir wieder gegenübersetzte, konnte ich ihn nur noch resigniert ansehen.

„Nein, es tut mir leid.“ Sein schönes Gesicht wurde verzerrt durch seinen traurigen Ausdruck. „Mal wieder bin ich zu weit gegangen. Ich bin schon wieder schuld daran.“

All die Vorwürfe, die ich ihm an den Kopf werfen wollte, waren spätestens jetzt aus dem Kopf geschlagen. Sein schuldbewusster Anblick brach etwas in mir. Ja, er war schuldig und ja, er hätte das nicht tun sollen … vielleicht. Aber wenn er wirklich dasselbe für mich fühlte wie ich für ihn, wenn er tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte darüber, dass ich ihn alles um ihn herum vergessen lies – dann war er auch an nichts schuld.

Knallhart traf mich die Realität, dass all dies sowieso keine Rolle spielte. Wir durften nicht mehr zusammen sein. Nicht solange Clas drohte, uns deswegen umzubringen. Auch wenn ich vielleicht mit Anthony davonlaufen konnte, wir könnten niemals ewig auf der Flucht sein ohne dass wir erwischt werden würden. Somit war es das Vernünftigste, einfach über die Sache darüberzustehen und Anthony zu vergessen. Wenn es aber wirklich so einfach wäre. Mir würde dies niemals so einfach gelingen, wenn ich die ganze Zeit mit ihm verbrachte. Aber wie konnte ich ihm aus dem Weg gehen, wenn wir schon wieder einen Auftrag zusammen erledigen mussten?

Ich unterdrückte die Tränen, die sich anbahnten. Ich hatte für das letzte Jahr genug geheult, ich sollte wegen einem weiteren Schlag des Schicksals in die Magengrube nicht wieder zusammenbrechen. So starrte ich stur aus dem Fenster bis ich die Trauer weit genug zurückgedrängt hatte.

Die nächsten Stunden zogen sich lang wie Kaugummi. Quälend langsam blätterte ich durch die Zeitschriften, die geboten waren. Abwechslung bot lediglich das Umsteigen in die nächsten Züge und die neuen Zeitschriften da. Nur traf mich meist das Pech und in einem anderen Zug gab es genau dieselben Magazine wie in dem zuvor.

Mit Anthony sprach ich gar nicht mehr, denn wenn das wieder dazu führen würde, dass ich ihn küssen wollte, dann waren wir bald beide geliefert. Nur beim Umsteigen sagte er ab und zu ein paar relevante Informationen.

Doch schließlich waren wir da.

9.

 

Eine weibliche Stimme durchbrach durch die Lautsprecher das leise Gemurmel im Zug. Mit monotoner Stimme sagte sie: „L'arrêt suivant: Terminus, Gare de l'Est.“

Auch wenn ich Französisch einige Jahre im Unterricht gehabt hatte, brachte mir das nicht viel, aber Anthony murmelte kurz, dass wir hier aussteigen sollten. Ich nahm meine Handtasche in die Hand und folgte ihm.

Es war Vormittag und die Sonne schien nur schwach durch die großen Dachfenster über uns. Doch ich war dennoch überwältigt von dieser Architektur. Die Größe versprach eine weite Offenheit des Raumes und durch die vielen Fenster, die momentan nur schwaches Licht in das Gebäude leiteten, wurde dieser Eindruck nur noch verstärkt. Die Torbögen verleiten dem Ganzen etwas Majestätisches. Allein dieser Bahnhof versprach von Paris so viel. Wie toll würde es wohl noch werden?

Wie toll wäre es wohl gewesen, wenn Clas unsere Liebe nicht verboten hätte?

Dieser Gedanke vermieste mir gleich alles. Das Gebäude war nicht mal mehr halb so schön, von außen sah es noch altmodischer aus. Ein paar Touristen standen davor und machten Fotos von sich – am liebsten hätte ich sie deswegen wütend angesprungen.

Anthony bemerkte, dass mit mir etwas noch mehr nicht stimmte als sonst schon. „Was ist los?“ Er drehte sich um. „Hast du Hunger?“

„Nein“, knurrte ich leise.

Er stöhnte und biss dann angespannt seine Zähne zusammen. „Pass auf … deine Augen …“

Sofort senkte ich meinen Kopf. Meine Iris war blutrot und meine Augen am Rand schwarz angelaufen, ohne dass ich es wirklich gewollt hatte. Es war noch lange nicht Halloween, also wäre es wohl besser, niemand würde diese Veränderung erkennen.

Als ich zwei Mal durchatmete, hatte ich mich bereits wieder unter Kontrolle.

„Gehen wir“, sagte ich knapp und ging schnell an ihm vorbei, um weiterzulaufen. Dass ich ihn dabei gestreift hatte, versuchte ich schleunigst zu vergessen.

Er folgte mir schnellen Schrittes.

„Verdammt, Milana, nicht so schnell.“ Er packte mich am Arm und zog mich zurück. Ich zuckte zusammen. „Du weißt noch nicht mal, wohin wir gehen müssen!“

„Doch, ich gehe einfach in dieselbe Richtung, in die du gegangen bist!“, fauchte ich, während ich versuchte, mich seinem Griff zu entwinden.

„Aber woher willst du wissen, was ich jetzt überhaupt vorhabe zu machen? Woher kennst du das Ziel?“

Wütend starrte ich ihm auf die Brust. „Lass mich los!“ Ich schaffte es, mich von seinem Griff loszureißen und lief einfach weiter los. Glücklicherweise hielt er mich nicht auf, er blieb sogar einfach stehen.

„Du läufst in die falsche Richtung“, sagte er schließlich und trotz der Entfernung hörte ich ihn deutlich. „Wir müssen jetzt abbiegen.“

Wütend bog ich nach links ab. Er würde mir schon noch folgen.

„Verdammt, Milana, wie schaffst du es, bei einer fünfzig Prozent Chance immer die falsche Entscheidung zu treffen?“

Angespannt blieb ich stehen.

Schließlich lief ich denselben Weg wieder zurück, an Anthony vorbei und in die richtige Richtung. Er folgte mir wieder.

„Nicht so schnell! Du bist wie ein Bulldozer, der alles in seinem Weg überrennt.“

All meine Anstrengung war nur darauf gerichtet, Anthony hier nicht den Kopf abzureißen. Selbst die tausend gut duftenden Menschen bereiteten mir nicht solche Probleme, mich zu kontrollieren.

Wieder fasste mich Anthony am Arm und hielt mich zurück.

„Lass mich los!“, antwortete ich daraufhin mit angespannter Stimme. Als ich mich trotz Bemühungen nicht losreißen konnte, wiederholte ich lauter und angespannter: „Lass mich los!“

Bevor Anthony etwas erwidern konnte, kam schon eine Männergruppe auf uns zu.

„Ey!“, rief einer davon. „Arrête!“

Zwei andere zogen Anthony von mir weg, doch er hielt sich weiterhin stark an meinem Arm fest.

„Ey! Je vais appeler la police!“

Das brachte ihn schließlich dazu, mich loszulasen.

Ich stampfte einfach weiter ohne mich zu bedanken. Zwar hatten diese Männer mir für den Moment geholfen und Zivilcourage bewiesen, aber früher oder später musste ich sogar mit Anthony zusammenarbeiten, um den mordenden Vampiren auf die Schliche zu kommen. Also hatte das sowieso keinen Sinn gehabt.

Ich lief einfach so lange bis ich verzweifelt vor einem Café stehen blieb und mich dann an den einzigen freien Tisch setzte. Als wenig später eine Kellnerin kam und mich auf französisch nach meiner Bestellung fragte, wusste ich erst nicht, wie ich antworten, da ich weder Geld, noch genug Französischkenntnisse besaß. Demnach antwortete ich schnell auf Englisch mit: „Later.“ Etwas angesäuert ging sie wieder rein, da sie wohl merkte, dass ich erst mal gar nichts bestellen würde.

Genervt wischte ich mir die Haare aus dem Gesicht, die der Wind mir immer wieder dahin zurück peitschte.

Und es dauerte auch gar nicht mehr lange, bis auch Anthony aus der Menschenmenge auftauchte und sich neben mich hinsetzte. Wütend starrte ich ihn an, einfach aus dem Grund, weil ich es konnte – doch er bemerkte es nicht.

„Puh! Die Männer haben mich erst gar nicht mehr loslassen wollen, weil sie mit mir noch irgendetwas klären wollten.“ Mehrmals fuhr er sich mit den Händen durch die Haare, um sie etwas in Ordnung zu bringen. „Dann musste ich ihnen auch noch mehrmals versichern, dass ich in die andere Richtung laufen würde. Durch den Umweg hat es nochmal länger gedauert, dich zu finden. Du hättest den Jungs wenigstens sagen könne, dass wir zusammengehören.“ Mein Blick verfinsterte sich, aber er ignorierte ihn gekonnt. „Aber wenigstens hast du auf mich gewartet.“

Ja, genau das hatte ich auch getan! Gewartet!

Die Kellnerin erschien wieder, aber anstatt immer noch sauer zu sein, setzte sie ein breites Lächeln auf und lächelte damit gleich Anthony an. Ich versuchte, es zu ignorieren, denn noch wütender durfte ich nicht werden. Sonst würde ich noch durchdrehen und dieses Café in ein Schlachthaus verwandeln. Damit wäre ich der nächste Vampir auf Clas' Abschlachtliste – und irgendjemand Anderes würde genauso wie ich gerade kommen und nach mir suchen, um mich zu erledigen.

Anthony bestellte für uns beide zwei Mal schwarzen Kaffee. Früher hatte ich den Geschmack puren Kaffees nicht ausstehen können, jedoch schmeckte er jetzt nach gar nichts. Meine Zunge erkannte, dass es gemahlene Kaffeebohnen waren, aber der Geschmack war einfach nur fade, wie auch der Rest des menschliches Essens. Nur in ihrem Blut schmeckte es köstlich … Zum Glück hatte ich gelernt, diesen vampirischen Trieb zu verdrängen, sobald ich unter Menschen war, allerdings schweiften meine Gedanken immer wieder ab, so wie jetzt gerade, wobei ich doch eigentlich wütend auf Anthony sein wollte.

„Ich habe alle wichtigen Informationen. Laut einer Aussage ist der Vampir dumm genug, sich noch in Paris aufzuhalten, obwohl er wissen müsste, dass wir kommen. Das heißt, es wird ziemlich schnell mit diesem Auftrag zu Ende sein.“

Ich nickte. Beinahe musste ich mich daran erinnern, dass ich sauer auf Anthony sein musste. Es war besser, sauer auf ihn zu sein, als ihm nachzutrauern.

Er trank den Rest seines Kaffees in einem Zug und bezahlte dann.

„Warte“, meinte ich plötzlich und drehte mich darauf zu der Kellnerin. „Coffee-to-go.“

„Wozu?“ Fragend blickte mich Anthony an.

Mit den Schultern zuckend schaute ich mich bereits nach der Kellnerin um, obwohl sie gerade erst gegangen war. Ich brauchte etwas in meinen Händen, worauf ich mich konzentrieren konnte. Die Handtasche reichte dafür nicht aus.

Wenig später liefen wir auch schon los, Anthony vor mir und ich mit meinem Kaffee in der Hand. Die Stimmung war immer noch angespannt, obwohl Anthony sich jetzt viel lässiger benahm, ich wusste nicht, wieso.

Es ging immer weiter nach Süden, zum Zentrum der Stadt, und es wurde immer schwieriger, Anthony in den immer enger werdenden Menschenmassen zu folgen, ohne dabei den Kaffee zu verschütten oder fallen zu lassen.

Aber endlich bogen wir in eine Seitenstraße ein und daraufhin in eine andere Seitengasse. Zwischen Geschäften und Cafés wurde bei einer Straße mit gelbem Absperrband den Zugang verboten. Ein paar Journalisten standen direkt davor und versuchten, das beste Foto zu schießen. Polizeibeamte baten sie währenddessen, damit aufzuhören.

Ich roch bereits das Blut und dachte mir, dass dort ein Massaker herrschen würde. Und sobald ich durch die Wand aus Presse und Polizei durchsehen konnte, sah ich eine verstümmelte Frau. Beinahe hätte ich mich vor Schreck und Anwidern umgedreht und wäre so schnell wie möglich wieder gegangen, aber Anthony hatte mein Handeln schon geahnt, bevor ich sie hatte ausführen können. Seine starke Hand packte meinen Arm und er zog mich in dieses Getümmel hinein. Vor dem Absperrband zeigte er einem Polizisten irgendeinen Ausweis, dann wurde er reingelassen. Mich zog er einfach weiter mit sich.

Plötzlich packte mich jemand anderes an der Schulter und ich zuckte zusammen.

„Qui est la fille?“ Ein bereits älterer Mann begutachtete mich aufmerksam.

Anthony packte seinen Ausweis wieder aus, zeigte ihn vor und antwortete: „La fille, c'est l'assistante.“

Na toll, jetzt bin ich auch noch seine Assistentin.

Auf Anthonys Ausweis stand über seinem Namen dick und fett drauf „Dienstausweis – Detektiv“.

Kritisch schaute der Mann mit schütterem Haar erst mich, dann Anthony an, ehe er den Ausweis nahm und ihn sich genau anschaute. Als er anfing, Anthony misstrauisch nach irgendwelchen Dingen zu fragen, verstand ich noch weniger von der Sprache wie zuvor. Schließlich gab der Polizeibeamte aber auf.

„Was hat er dich gefragt?“, fragte ich, als wir uns etwas von ihm entfernt hatten

Während Anthony langsam auf die tote Frau zulief, packte er den Ausweis wieder ein.

„Er hat sich gefragt, wie zur Hölle ein ausländischer Detektiv ausgerechnet diese Frau sehen will.“

Sein Blick fiel über die Leiche. Sie war kalkweiß und blutverschmiert. Ihr linkes Bein war unnatürlich verdreht, das rechte war nicht mehr dran, aber dafür bereits in einer Plastiktüte verstaut und in dem Moment weggebracht. Ihr Hals war aufgeschnitten, jedoch klebten genau da keine Blutspuren.

„Ich habe ihm geantwortet, dass ich angeblich schon lange nach dieser Frau suchen würde, weil mich ihre Familie deswegen beauftragt hatte. Ich habe ihre Spuren bis hierhin verfolgt.“

„Wäre sicher ein toller Krimi geworden“, murmelte ich. Anthony lachte leicht auf, ehe er wieder ernst wurde.

Während Anthony wieder näher an die Frau trat, folgte ich ihm widerwillig.

Damit mich keiner hören konnte, kam ich ihm noch ein Stückchen näher.

„Und … was machen wir jetzt?“

„Wie meinst du das?“ In dieser seltsamen gebeugten Haltung, in die er nur verfiel, um die Frau besser zu beobachten, machte er es mir auch nicht leichter, ihm näher zu kommen und gleichzeitig genug Abstand zu halten.

Ich räusperte mich. „Na ja, sollen wir jetzt einfach nur rumstehen und eine verstümmelte Leiche beim Verwesen beobachten?“

Der nächste Laut, den er von sich gab, war etwas zwischen einem genervten Stöhnen und einem Auflachen. Dann drehte er sich endlich zu mir um, aber da wir auf einmal zu nah beieinander standen, ging ich ein paar Schritte zurück.

„Sauge den Geruch auf, Milana“, flüsterte er. „Du bist nicht dumm. Merke dir diesen Geruch und wir werden ihm folgen.“

„Oh.“ Jetzt fühlte ich mich sehr wohl dumm.

Der Geruch eines Vampirs lag ganz deutlich hier. Schwach, aber wurde stärker, sobald ich dem Leichnam näher kam.

Anthony lief gleich ganz vor zu ihr und setzte sich neben der toten Frau in die Hocke. Ich sah, wie seine Nasenflügel sich leicht bewegten, ehe er wieder aufstand und zu mir herüberlief.

Ich zuckte vor Schreck zusammen, als mir wieder jemand an die Schulter fasste. Ich hatte zwar gewusst, dass jemand in meine Richtung kam, hatte aber nicht vermutet, dass sie zu mir wollte.

„Oh, je suis désolé!“

Ich drehte mich um und ein junger Kriminalpolizist lächelte mich entschuldigend an.

Plötzlich begann er auf Französisch auf mich einzureden und ich verstand kein einziges Wort, weil er so schnell redete.

„Äh … was?“ Verwirrt und sogar etwas verängstigt starrte ich ihn an. Vielleicht zwang er mich dazu, den Tatort zu verlassen? Aber wer wusste schon, was er gesagt hatte?

Zum Glück war Anthony schon an meiner Seite – und dann fing er tatsächlich Smalltalk mit dem Mann an. Noch verwirrter stand ich direkt daneben, während der Kriminalpolizist immer wieder zu mir rüber schaute. Einige Wortfetzen verstand, aber mich regte am meisten auf, dass Anthony Französisch so fließend sprechen konnte.

„Hallo“, sagte dann der Mann mit starkem französischen Akzent und grinste mich an.

„Hallo“, antwortete ich und zwang mit zu einem Lächeln.

„Wie geht dir?“

Ich nickte. „Guut.“ Etwas überfordert mit der Situation schaute ich mich Hilfe suchend nach Anthony um, aber er war wieder bei der Leiche und tat Sachen, die ich sonst immer nur im Fernsehen gesehen hatte.

„Isch haben bissen Deutsch lernen im Schule“, meinte er mit gebrochenem Deutsch. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er stolz endlich seinen Satz beenden konnte.

Ich grinste einfach gezwungen weiter und nickte dumm, ohne damit aufzuhören.

„Gut. Gut.“ Mein Kopf hörte endlich auf mit dieser dummen Bewegung und ich wiederholte mich: „Guut.“

Ich wusste nicht, was mich am meisten so aus dem Konzept brachte, der grinsende Mann vor mir oder die Leiche hinter mir. Aber die Kombination passte ganz und gar nicht zusammen.

Anthony gesellte sich glücklicherweise wieder zu uns.

„Isch bin Eugène.“

Der Mann streckte seine Hand aus und machte einen Ausdruck, als ob er auf eine Antwort meinerseits wartete.

„Ja, wieso nicht“, murmelte ich. „Worüber sonst unterhält man sich an einem so schrecklichen Tatort?“

Fragend blickte er mich an, weil er mich nicht verstanden hatte. Schließlich seufzte Anthony und übersetzte ihm, was ich gesagt hatte. Als er fertig mit der Übersetzung war, lachte Eugène auf.

„Jaja“, sagte er nur.

Ich blieb weiterhin verwirrt stehen über diese irgendwie peinliche Situation.

Er und Anthony begannen schon wieder, miteinander zu reden, lachten dabei sogar, obwohl hier vor nicht mal 24 Stunden etwas Schreckliches passiert war.

Auf einmal sah mich Eugène kurz fragend an, ehe er meinen Kaffeebecher stahl. Ich wollte protestieren, aber Anthony legte in einer beruhigenden Geste seine Hand auf meinen Arm.

„Keine Sorge, ich habe ihm meinen Kaffee geschenkt. Ich werde sowieso nicht mehr daraus trinken.“

Spitzbübisch grinste Anthony mich an, was ich nur mit einem wütenden Blick quittierte. Dann schaute ich wieder auf den Kriminalpolizisten, der genüsslich meinen Kaffee schlürfte.

„Merci“, sagte Eugène und zwinkerte mir zu.

Wieder musste ich mir ein Lächeln erzwingen, um nicht wie eine Geistesgestörter nur auf den Kaffee zu starren.

„Gehen wir?“, fragte ich Anthony scheinbar beiläufig, allerdings mit einem flehenden Unterton. Glücklicherweise nickte er. Daraufhin war ich es, die Anthony von diesem Tatort wegschob.

„Hat misch gefreut“, rief Eugène uns hinterher und als ich mich umdrehte, um ihm zu winken, zwinkerte er schon wieder und grinste verschmitzt. Ein seltsamer Typ.

 

~~~

 

Milana hatte es wirklich eilig gehabt, da wegzukommen. Ich war mir nicht sicher, ob es an dem vielen Blut dort lag oder an der Tatsache, dass direkt vor uns eine übel zugerichtete Leiche gelegen hatte. Oder vielleicht lag es auch an Eugène.

Klar, Eugène war ein echt witziger Kerl, aber irgendwie hatte ich angefangen, ihn zu verabscheuen, als ich gesehen hatte, wie er sich an Milana rangemacht hatte. Ich war nicht eifersüchtig, aber einfach seine Art, wie er sich bei ihr einzuschleimen versuchte … war doch abscheulich!

Ich realisierte, dass ich eigentlich dieselbe Masche wie Eugène benutzte, wenn ich Frauen klarmachen wollte. Ich grinste sie genauso schelmisch an, zwinkerte oft und manchmal lies ich genauso wie Eugène meinen Akzent spielen; nur ist der französische Akzent angeblich viel besser als mein italienischer.

„Was ich mich eigentlich frage“, sagte Mila und brachte mich dazu, mit meinen lauten Beschimpfungen im Kopf aufzuhören, „wieso da so viele Polizisten und Journalisten stehen, obwohl dies vor über zehn Stunden passiert sein müsste. Ich meine, Clas wusste es bereits vor zehn Stunden, deswegen sind wir erst hergefahren.“

„Die Leiche wurde eben erst entdeckt“, meinte ich kurz angebunden. Ich hatte nicht erwartet, dass sie mich so etwas fragen würde.

„Aber woher wusste Clas dann, dass dies hier passiert ist, wenn die Leiche gerade erst entdeckt wurde?“ Sie runzelte ihre Stirn und ich sah, wie die Rädchen sich in ihrem Hirn drehten.

Da sah nicht gut aus. Sie durfte nicht so viel überlegen. „Eine anonyme Person hat ihn darüber informiert.“

„Aber wieso dann nicht gleich die Polizei?“

„Weil wir das hätten erledigen müssen, bevor das die Öffentlichkeit sieht! Aber der Zug hat leider zu lange gebraucht.“

„Wieso hat Clas dann nicht andere geschickt, die schneller da sein konnten? Es war doch klar, dass der Zug zu lange brauchen würde.“

Der Plan bröckelte. Und wenn Milana so weitermachen würde, dann würde sie dahinter kommen. Ich sah es bereits voraus.

„Und wieso hat Clas gesagt, dass dieser Vampir sich bereits von Menschen hat erwischen lassen, wenn das doch nicht der Fall war? Und wieso sieht der Mensch so verstümmelt aus wie nach Messerangriff und nicht wie nach einem Vampirangriff? Würde der Tatort nicht nach Vampir riechen, so wäre keiner auf die Idee gekommen, dass es sich nicht um ein Messerangriff handelt.“

„Der Vampir hat wohl Messer benutzt, aber ihn dann trotzdem ausgesaugt ohne Bissspuren zu hinterlassen … – du stellst zu viele Fragen. Das weiß ich doch alles nicht.“ Natürlich wusste ich das.

Mila schien in sich zusammen zu sacken. „Die Welt ist doch verrückt.“

Als sie nichts mehr sagte, beruhigte ich mich. Sie schien mir wohl zu glauben. Ich hatte nicht gedacht, dass sie es mir so schnell abnimmt.

Also hatte ich sie wieder um den Finger gewickelt. Sie vertraute mir wieder. Unwillkürlich musste ich grinsen.

„Stopp.“ Mit meinen Fingern umgriff ich ihren schlanken Arm und zog sie mit mir nach rechts. „Es geht hier entlang. Riechst du denn nicht, wohin uns sein Geruch führt?“

Milana lies mich sie anfassen und eine Sekunde lang dachte ich, sie genoss diese Berührung sogar, aber dann riss sie sich aus meinem Griff, als ob ich sie verbrannt hätte. Ihre Arme um sich schlingend ging sie einige Schritte schneller, um Abstand von mir zu erlangen.

Clas hatte ihr mächtig Angst eingejagt. Hier konnte uns keiner sehen, aber trotzdem fürchtete sie sich zutiefst um ihr Leben. Zu sehr, meiner Meinung nach. Aber was wusste ich noch vom Teenager-Alter. Zu lange war es schon her. Vielleicht übertrieb sie nur.

Hoffentlich würde der Plan funktionieren. Es würde nichts bringen, wenn ich ihr meine Liebe gestehe und sie erschrocken davonrennt, weil sie um ihr Leben fürchtet. Ich wüsste nicht mal, was ich dann tun sollte. Aber am Ende würde sowieso alles ganz spontan entstehen. Genauso wie jetzt. Clas hatte mir kein Skript gegeben, dem ich genau folgen musste. Dieses Skript zu entwerfen wäre bei der unberechenbaren Milana unmöglich gewesen – erst eben hatte ich gedacht, sie würde mir so lange Löcher in den Bauch fragen, bis sie hinter unseren Plan kommt, aber dann hat sie plötzlich aufgegeben. Also musste ich einfach improvisieren. Vielleicht würde ich einem anderen, späteren Leben Schauspieler werden. Bis jetzt schlug ich mich ganz gut durch.

Damit Milana und ich überhaupt einen Grund hatten, nach Paris, der Stadt der Liebe, zu gehen, hatte Clas einen Vampiren von hier beauftragt, einen Menschen mitten in Paris zu erledigen. Die Messerschnitte waren dafür gedacht, dass die Polizei und Presse sich nicht über Bissspuren wunderten.

Wir würden den Spuren des Fake-Mörders bis außerhalb Paris verfolgen, dann würde ich sagen, dass außerhalb Paris uns das alles nicht mehr angeht. Und während dieser Zeit würde ich mit ihr alle möglichen, romantische Orte in Paris besuchen – um ihr dann meine angebliche Liebe zu gestehen.

10.

 

Ich war verwirrt.

Und ich wusste nicht mal, worüber genau, denn es war einfach so vieles, das mich verwirrte.

Zum einen war es dieser unglaublich dumme Vampir, der diese verstümmelte Leiche auf offener Straße liegen gelassen hatte – wenn es überhaupt ein Vampir gewesen war, denn ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass der Vampir die Frau erst mit Messern aufschlitzen musste, um an ihr Blut zu kommen. Würde nicht der Geruch dafür sprechen … Wahrscheinlich gehörte er zu den schlimmsten Wesen auf der Erde: Ein Vampir-Sadist.

Und dann war da mal wieder Anthony.

Anthony, Anthony, Anthony.

Wieso musste sein Name auch immer in meinem Kopf herumschwirren?

Er hatte vielleicht doch mehr mit diesem sadistischen Vampiren gemeinsam als beim ersten Überlegen auffallen würde. Clas hatte mich ausdrücklich gewarnt, dass ich mich von Anthony fernhalten sollte, sonst würde mich das meinen Kopf kosten. Und was tat der Idiot namens Anthony? Er machte es mir noch schwerer, indem er ständig meine Nähe suchte, obwohl auch sein Leben auf dem Spiel stand. Konnte er sich nicht einfach von mir fernhalten, mich weder ansprechen noch erneut am Arm fassen, damit mir keine tausend Schmetterlinge durch den Bauch jagten?

„Willst du an irgendeinen bestimmten Ort?“, fragte Anthony auf einmal.

Ich zuckte zusammen, weil ich nicht erwartet hatte, dass er so bald schon wieder sprechen würde. Es schien, als würde er immer mehr auftauen, nachdem er nach Clas' Drohung eine Schweigepause eingelegt hatte. Und ich schien immer mehr mit ihm zu schmelzen … Ich musste mich zusammenreißen und mich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren.

„Was?“

„Ob du irgendwohin willst“, wiederholte er und kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

„Wieso sollte ich?“

„Wir sind nicht mehr weit entfernt vom Sacré-Coeur, einer Basilika, einer römisch-katholischen Kirche.“

Ich unterbrach ihn. „Ja, ich weiß, was das Sacré-Coeur ist.“

„Sie wurde übrigens im neunzehnten Jahrhundert erbaut und 1914 eröffnet.“

Wieder unterbrach ich ihn pampig. „Und sag mir nicht, du warst bei der Eröffnung dabei.“

„Nein, darauf möchte ich gar nicht hinaus.“

„Und worauf dann?“ Ich traute mich nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, denn genauso wie ich es verabscheute, dass er mit mir redete, genoss ich es auch – und das war einfach furchtbar, furchtbar beschämend.

„Ich habe gedacht, wir könnten vielleicht dahin, wenn es dir gefällt. Diese Basilika ist wirklich prächtig, du würdest es genießen. Ich habe gesehen, wie sehr du von dem Bahnhof beeindruckt warst. Und wenn dir diese Architektur schon gefallen hat, wird dich Sacré-Coeur überwältigen.“

Ich holte tief Luft und Anthony stoppte seinen Redefluss, da er erwartete, dass ich etwas sagte. Aber ich starrte ihn nur verdattert an.

„Wo müssten wir denn hin, um zum Sacré-Coeur zu gelangen?“, fragte ich ihn, noch in einem ruhigen, kontrollierten Ton.

Er lächelte, als ich ihm das erste Mal seit wir losgegangen waren, ins Gesicht blickte – und es tat weh, ihn so zu sehen.

„Gleich hier nach links.“ Er blieb genau in dem Moment stehen und zeigte in eine Straße. Und tatsächlich sah ich von da schon die Turmspitze der Kirche.

Perplex blieb ich etwas weiter von ihm entfernt stehen und sah ihn verdutzt an.

„Aber der Geruch des Vampirs führt weiter gerade aus.“ Ich schnupperte noch ein Mal in der Luft, um selbst nochmal sicherzugehen. „Wieso sollten wir zur Basilika?“

„Warum denn nicht? Wir sollten nicht in Paris gewesen sein, ohne die wichtigsten Sehenswürdigkeiten besucht zu haben.“

Erst schaute ich ihn weiter stumm an, um in seinem Gesicht irgendeine Emotion zu entdecken, die mir sagt, dass er nur scherzte. Doch ich fand in seinem freundlich lächelndem Gesicht keinerlei Anzeichen davon.

„Ist das dein Ernst?“

„Natürlich. Wir können uns doch nicht andauernd um unseren Job kümmern, ohne an uns selbst zu denken.“

Mit großen Augen blickte ich in sein Gesicht, doch mir wurden nicht wie sonst immer die Knie weich. Ich schüttelte nicht glaubend, was ich gerade gehört hatte, den Kopf. „Ist das wirklich dein Ernst?“

Sein Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht und es schien mir, als würde er meine offensichtlich negative Reaktion ignorieren.

„Ja und jetzt komm mit!“

Er ergriff mich wieder am Arm und versuchte, mich in die Straße nach links zu ziehen. Ich riss mich von ihm los und stieß dabei aus Versehen in einen anderen Touristen, der mich böse anblickte, als er an mir vorbei weiterlief. Ich entfernte mich etwas weiter von der Menschenmenge und lehnte mich angespannt an eine Gebäudewand. Anthony kam schnell zu mir rüber, sein Lächeln war etwas verrutscht.

Er kam wieder viel zu nah auf mich zu und öffnete schon seinen Mund, um etwas zu sagen, aber ich rief einfach dazwischen: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ Wütend schob ich ihn auf Armlänge zurück.

„Was ist denn los?“ Sein Lächeln war nun vollends verschwunden und er starrte mich verwirrt an.

„Was los sein soll?“ So wütend, wie ich es auf Clas vor kaum vierundzwanzig Stunden gewesen war, fauchte ich Anthony an, meine Stimme so weit es ging unter Kontrolle. „Da draußen, auf diesen Straßen, rennt irgendein blutrünstiger Sadist mit tödlich scharfen Fangzähnen und einem tödlich scharfen Messer herum, und du fragst, was los sein soll? Hast du vollkommen den Verstand verloren und willst deswegen dich wie ein verängstigter Hund hinter den Mauern einer Kirche verstecken?“

Schweigend sah er mich an. Sein Gesicht schien keine Emotionen zu zeigen, aber sein Körper hatte eine sehr angespannte Haltung. „Hund? Hast du mich gerade wirklich einen Hund genannt?“

Ja, weil du verdammt nochmal einer bist, der seinen Schwanz einzieht, anstatt seinen Job zu machen, der Menschenleben retten könnte, wenn er ihn nur ausführen würde, statt sich zu verstecken in einer Basilika! Oder bedeuten dir Menschenleben etwa gar nichts? Sind sie für dich auch nur zum Spaß da, damit du sie nach Belieben benutzen und töten kannst, wie für den Sadisten, der diese unschuldige Frau aufgeschlitzt hat?“

Mit wütendem Blick starrte er mich, die Hände zu Fäusten geballt und mit angespannten Kiefer.

„Vergleiche mich nicht mit so einem Bastard“, presste Anthony zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er hatte einige bedrohliche Schritte auf mich zugemacht, sodass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte, ein Schnauben wie das eines wütenden Stieres. Seine Präsenz wurde mir überdeutlich, als sein Gesicht von oben auf mich herabblickte, und unwillkürlich hatte ich einige Schritte zurück getan. Aber ich starrte ihm dennoch trotzig in die kalt gewordenen Augen, erwiderte seinen zornigen Blick.

„Ich habe es aber getan“, erwiderte ich leise, aber mit fester Stimme und verstand selbst nicht, was mich dazu geritten hatte, ihn so zu provozieren. Und ich trieb es sogar weiter bis zur Spitze. „Ich habe dich mit diesem Bastard verglichen und dich als einen feigen Hund bezeichnet. Und nicht ohne Grund, sondern weil du dich genauso verhalten hast. Welcher Idiot kommt auf den Gedanken, sich eine Sehenswürdigkeit anzusehen bei einem so ernsten Mordfall, während der Mörder immer noch frei herumläuft?“

Sein Kiefer verspannte sich noch mehr, wenn das überhaupt noch ging, und sein Schnauben wurde immer schneller und stärker, als er einen weiteren Schritt auf mich zu trat, sodass meine Brust seine berührte. Als er mich leise, aber lange anknurrte, verrutschte mein selbstsicherer Blick.

Über Anthonys Schultern beobachtete ich für einen kurzen Moment die Passanten, die an uns vorbeiliefen, die aber sofort so taten, als hätten sie nichts gesehen oder als ging es sie nicht an.

Ich hob wieder meinen Kopf und sah ihm in die erkalteten Augen. Seine Nasenspitze berührte beinahe meine und ich presste mich so stark ich konnte gegen die Wand, ohne sie einzudrücken, um Anthony nicht noch näher zu kommen. Jedoch wich ich nicht seinem Blick aus. Meine Handtasche rutschte mir beinahe von den Armen.

Ich hatte Angst davor, was ich in diesen grünen Augen sah. Erst dachte ich, es erinnerte mich wieder an den wütenden Anthony, der mich kurz nach meinem dreimonatigen Aufenthalt in der Hölle geschlagen hatte. Aber das war es nicht ganz. Damals war er nicht ganz klar bei Gedanken gewesen und seine Augen hatten einen wilderen, verzweifelteren Ausdruck gehabt. Nun war er aber durch und durch gefasst, in seinen Augen sah ich nichts Wildes oder Wirres, sondern nur durch diese Kälte, einen Killerblick, den ich so nie zuvor gesehen hatte. Trotz der Wut, die ihn sichtlich rasend machte, wusste er genau, was er tat, um mich zu verängstigen und um zu zeigen, wer hier dominant war.

„Schlag mich“, flüsterte ich. „Tu es. Du hast es schon ein Mal getan und du kannst es wieder tun. Nur sind wir hier nicht mehr alleine und jeder wird dir zusehen können.“

Überraschend holte er kurz Luft, doch dann tat er wieder so, als hätte ich nichts gesagt. Seine grünen Augen starrten weiterhin hasserfüllt in meine und ich fragte mich, wie ich nur eine Sekunde lang denken konnte, er empfand dieselben Gefühle für mich wie ich für ihn.

„Schlag mich. Oder töte mich, wenn du willst. Und töte alle Menschen, die dir dabei zusehen werden, wie du mir meinen leblosen, steinernen Kopf von den Schultern reißt. Du kannst die gesamte Straße hier in ein Blutbad verwandeln, wenn du es nur willst. Du hast die Macht.“

Seine Augen bewegten sich ruckartig, von meinem linken Auge zu meinem rechten und wieder zurück.

„Du kannst deine Stärke und deine Machtposition dafür nutzen, alles zu machen, was du willst. Aber du bist es auch, der mit dieser Verantwortung und mit der Schuld leben soll.“

Anthonys Haltung veränderte sich und auch seine Selbstsicherheit.

„Tu, was immer du willst. Ich kann dir ja nichts vorschreiben. Geh ruhig in diese Kirche und versteck dich und geh dem Fall aus dem Weg, bis er sich selbst erledigt.“ Anthony verkrampfte sich. „Ich kann das auch alleine erledigen. Wir werden ja sehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit steht, dass ich den Kampf gegen diesen Sadisten überleben werde.“

Anthony bewegte sich gar nicht mehr, weder atmete er, noch bewegte er seine Augen. Es war, als wäre er zu Stein erstarrt, als hätte er sich in eine vollkommene Statue verwandelt, die mit ausdruckslosem Blick auf einen Fleck in meinem Auge starrt.

Als ich aus meiner kurzzeitigen Starre erwachte und mich an Anthony vorbei schleichen wollte, packte er mich aber am Arm.

„Du wirst nicht alleine gehen“, zischte er.

„Muss ich aber, wenn du dich lieber mit etwas anderen vergnügst als deiner Arbeit.“

Damit riss ich mich von ihm los und ging weiter dem Geruch des Vampir-Sadisten nach.

Erst dachte ich, Anthony würde mir gar nicht folgen, weil er sich die ersten Sekunden nicht von der Stelle bewegte. Ich befürchtete, er würde tatsächlich in die Basilika gehen – oder zu irgendeiner Kneipe. Seine Präsenz spürte ich immer weniger, je weiter ich mich von ihm entfernte – und ich ging in einem zügigen Tempo –, bis ich ihn gar nicht mehr spürte.

Doch dann erkannte ich unter all den verschiedenen Schritten auf der Straße seinen festen und doch beinahe lautlosen Schritt.

Erleichtert atmete ich aus. Auch wenn er mir Kopfschmerzen bereitete, würde ich es unmöglich alleine mit einem solchen Vampir-Sadisten aufnehmen können – dass ich es ein Mal geschafft hatte, in New York mehrere Vampire alleine zu erledigen, hieß noch lange nicht, dass ich es wieder schaffen könnte.

11.

 

Ich war diesem Geruch gefolgt. Überall hin. Gefühlt in jede mögliche Straße und in jede Ecke musste dieser Vampir-Sadist hingerannt sein. Überall hing sein Geruch. Dieses hinterhältige Genie muss sich wohl gedacht haben, dass man seiner Spur folgen würde.

Wahrscheinlich kannte ich jetzt ganz Paris – naja, wenigstens den Norden von Paris mit all seinen schönen und hässlichen Seiten. Und da es relativ hell war, konnte ich leider nicht so schnell rennen, ohne dass das den Menschen auffallen würde, was dazu führte, dass ich erst die Hälfte der Stadt nach dem Vampir-Sadisten durchsucht hatte, als es schon langsam dunkel wurde.

Anthony war wahrscheinlich immer noch wütend auf mich. Auch wenn er mir nicht mehr auf zehn Meter Abstand folgte und es sich getraut hatte, sich mir auf einen Meter zu nähern, ohne dass er wieder so großen Hass auf mich verspürte, dass er mich umbringen wollte, so redete er nicht mit mir.

Es war mir egal. Tatsächlich sogar war es besser. Jetzt hatten wir den Abstand zueinander, den Clas verlangt hatte. Die Flugzeuge im Bauch waren nur Schmetterlinge, wenn er weit genug entfernt war.

Wieder führte der Geruch in eine Sackgasse. Der Vampir war hier wohl in die Straße reingerannt und dann wieder zurück, um uns bewusst zu verwirren.

„Verdammt!“

Wütend stieß ich einen Fluch aus und haute mit der Faust gegen eine Hauswand. Der Putz bröckelte und hinterließ einen kleinen, aber unübersehbaren Abdruck.

Anthony stand am anderen Ende der Straße und lehnte sich lässig an ein Gebäude.

„Es war doch klar, dass das hier eine Sackgasse ist“, sagte er.

Zwischen uns waren es einige hundert Meter und für einen Zuschauer hätte es so ausgesehen, als ob Anthony mit sich selbst sprechen würde. Aber ich hörte ihn, denn er hatte bewusst laut genug gesprochen, damit ich es hörte.

„Ach, hat da jemand seine Schweigepause beendet?“, fragte ich, als ich auf ihn zu stampfte. „Natürlich ist es eine Sackgasse! Aber vielleicht hätten wir dort auch einen Hinweis gefunden.“

Anthony gab nur einen sich lustig machenden Laut von sich.

„Du tust ja auch total viel, um den Vampir-Sadisten zu finden“, zischte ich als ich bei ihm ankam und bohrte ihm meinen Finger in die Brust. Da ich zu stark zudrückte, brachte es ihn leicht aus dem Gleichgewicht und er gab seine lässige Pose auf.

Sauer stampfte ich weiter.

Es wurde immer schwerer, sich durch die Menschenmasse zu bewegen. Bald erkannte ich auch, wieso. Wir waren am Louvre. Auch wenn es langsam dämmerte, standen dutzende und aberdutzende an.

Interessiert beobachtete ich die Glaspyramide, als mein Blick auf das prächtige, U-förmige Gebäude fiel, während ich wie ein Fisch der Strömung aus Touristen folgte. Ich wäre sofort zur Seite gegangen, wenn der Geruch des Vampirs mich nicht in dieselbe Richtung ziehen würde. Wenige Sekunden später bemerkte ich mich schon in der Reihe anstellend. Der Vampir-Sadist war hier gewesen, vielleicht nicht vor kurzem, aber sicher innerhalb der letzten zehn Stunden. Am helllichten Tag.

Nach Anthony suchend blickte ich mich um. Er drängelte sich etwas zu mir vor, was einige empörte Worte von Touristen entlockte. Doch er scherte sich nicht drum.

„Glaubst du, er ist da drin?“ Mit ehrfürchtigem Blick schaute ich auf den gewaltigen Louvre-Palast.

„Wenn er reingegangen ist, aber nicht raus, dann muss er drinnen sein.“

Verwirrt schaute ich ihn an, aber er löste sich aus der Menschenmenge und ging.

„Was machst du?“

Ich folgte ihm, aber in einem langsameren Tempo.

Anthony antwortete nicht direkt auf meine Frage, sondern gab mir einen Befehl auf: „Ich gehe rechts um den Palast und du links. Wenn du riechst, dass er dort irgendwo das Gebäude verlassen hat, dann wissen wir, dass er nicht mehr da drinnen ist. Wir treffen uns dort.“ Er zeigt auf einen Eingang des Gebäudes. Dann ging er bereits.

Das klang logisch und einfach. Ich umrundete die Leute und ging links um das Gebäude herum. Irgendwann traf ich auch auf Anthony, doch er würdigte mich dabei keines Blickes, sondern ging an mir vorbei, als würde er mich nicht kennen. Hätte ich gewusst, dass ich ihn durch Beleidigen so leicht von mir hätte abbringen können, so hätte ich es vielleicht früher getan. Doch es tat mir trotzdem in der Brust weh, als er ignorant an mir vorbeigerauscht war.

Ich traf ihn schließlich nach dem Rundgang am gewünschten Treffpunkt.

„Nichts?“

„Nichts“, bestätigte ich. Ich war besonders gründlich gewesen, um auch wirklich ausschließen zu können, dass der Vampir-Sadist das Gebäude verlassen hatte. Er musste drinnen sein. Vielleicht konnten wir ihn jetzt schnappen.

Anthony zog irgendeine Karte aus seinem dicken Geldbeutel heraus und zeigte sie dem Mann, der an der Tür stand. Der nickte nur kurz angebunden, als Anthony mit mir im Schlepptau hineinhuschte. Überrascht erkannte ich, worüber es sich bei der Karte handelte.

„Du gehörst zum Personal?“, fragte ich. „Wie kommt es, dass du ausgerechnet eine Karte vom Personal des Louvre in deinem Geldbeutel trägst?“

Er schnaubte. „Es war doch klar, dass wir nach Paris gehen. Ich habe davor alle nötigen Karten für den Notfall mitgenommen.“

Seine schlechte Laune ignorierend trat ich die letzten Schritte ins Louvre hinein und erwartete dieselbe Begeisterung von mir, als ich den Louvre-Palast von außen gesehen hatte. Doch die trat nicht ein. Von innen ähnelte das Gebäude anderen Museen: Hohe Decken mit kahlen Wänden an denen Gemälde hingen, hier und da einige Skulpturen. Und alles war natürlich kaum zu sehen, weil so viele Menschen davorstanden.

Anthony schnaubte schon wieder und ich dachte, er tat es wegen mir, da ich grundlos angehalten war, aber auch er war neben mir stehengeblieben und schaute sich angespannt um.

„Der Geruch hat sich hier verloren“, sagte er im selben Moment, als auch ich es realisierte.

„Na toll“, murmelte ich. „Was machen wir dann?“

„Na, was wohl?“

„Weiter rumlaufen, bis wir ihn finden?“

Anthony seufzte. „Ja, leider.“

Sobald er in irgendeine Richtung loslief, folgte ich ihm. Nicht immer war ich direkt hinter ihm, denn immer drängelten sich andere Leute vor. Schließlich blieb er vor einem Gemälde stehen, an dem weniger Menschen stehengeblieben waren als an anderen. Überraschenderweise gab es nicht nur Bilder und Skulpturen, wie anfangs gedacht, sondern auch kunstvoll dekorierte Räume aus der Napoleon-Zeit.

„Sollten wir uns besser aufteilen?“ Ich ging auf ihn zu.

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn wir ihn finden, dann ist es besser, wir sind zu zweit da.“

Während er das Gemälde betrachtete, an dem mehrere Personen an einem Tisch saßen, beobachtete ich ihn. Seine Hände hatte er in seine Jacke gesteckt und er lehnte sich auf seinem rechten Bein nach hinten, die haselnussbraunen Haare schienen heute ordentlicher als sonst, als hätte er sie absichtlich nach hinten gestrichen. Ein gefüllter, dunkelgrauer Rucksack hing locker auf seinen breiten Schultern.

Anthony drehte sich zu mir um und ertappte mich dabei, wie ich ihn angestarrt hatte. Beschämt drehte ich meinen Kopf weg und tat so, als würde ich den Raum betrachten. Als er langsam auf mich zulief, spannte ich mich an.

„Wir laufen jetzt durch jeden Raum und schauen, ob wir den Geruch irgendwo aufschnappen. Wenn nicht, haben wir ja noch die Möglichkeit, in den Personalabteilungen zu suchen. Okay?“

Seine Hand an meinem Rücken überraschte mich und ich schaute zu ihm hoch. Er lächelte. Er lächelte mich tatsächlich an.

Anthony lachte, als er mein verwirrtes Gesicht sah. „Keine Sorge, ich bin nicht mehr wütend auf dich.“ Sanft strich er mir durchs Haar. „Dir kann man einfach nicht lange böse sein.“ Lächelnd blickte er mir tief in die Augen. Seine Hand umfasste meine Gesicht und er lies seinen Daumen über meine Wange streichen. „Egal, was du anstellen magst, ich muss nur in deine großen, blauen Augen sehen, dann verzeihe ich dir alles mögliche.“

Erstarrt schaute ich ihn weiterhin an.

„Ja, genau dann, wenn du mir so in die Augen schaust.“

Ich hielt den Atem. Dann rückte ich langsam von ihm weg.

„Du darfst mir das nicht antun.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

„Was antun?“

Ich blendete den gesamten Raum aus, als Anthony die wenigen Schritte auf mich zutrat, die ich mich von ihm entfernt hatte. Angespannt biss ich mir in die Lippe.

„Bitte nicht“, flüsterte ich. „Clas … –“

Anthony erstarrte in dem Moment ebenfalls. Lange schaute er mich an, ehe er die Hand hob und mir erneut zärtlich durch die Haare strich.

„Wir werden jetzt nicht an Clas denken, okay?“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wir werden uns zusammen den Louvre-Palast anschauen und an nichts anderes denken, als an dieses Gebäude und seine Schönheiten darin.“

„Und was ist mit dem Vampir-Sadisten?“, fragte ich.

„An den auch. Aber wir werden durch das gesamte Gebäude laufen, nicht nur, um ihn zu finden, sondern auch, um unseren Aufenthalt hier zu genießen. Wir müssen sowieso alles durchsuchen – wieso sollten wir die Zeit hier nicht auskosten?“

Ich war zu nichts anderem fähig, als zu nicken. Anthony lächelte.

„Gut. Vergiss all deine Sorgen. Wir konzentrieren uns jetzt auf uns selbst und den Fall.“

„Ja.“ Ich brachte nicht mehr als ein Krächzen heraus. Dann lächelte auch ich. „Du hast recht.“

Ein letztes Mal strich er mir durchs Haar, dann nahm er etwas Abstand von mir, sodass nun auch mehr als ein Blatt zwischen uns passte und wir uns frei bewegen konnten. Doch seine Berührungen konnte ich noch immer fühlen.

„Schau, da!“ Seine Hand fand seinen Weg auf meinen Rücken und er dirigierte mich aus dem Raum in die nächsten. „Hier sind beziehungsweise waren die Gemächer von Napoleon, dem Dritten.“

Ich lies mich von ihm führen und betrachtete staunend die prächtigen Räume.

„Und da wir ja eine Tarnung brauchen, damit uns dieser Vampir-Sadist nicht sofort als seine Mörder erkennt, wäre es am besten, wir tarnen uns als Pärchen“, flüsterte Anthony mir grinsend ins Ohr und ich kicherte, als es kitzelte. „Es ist doch nur eine Tarnung. Clas würde uns doch niemals bestrafen, wenn wir als Tarnung Händchen halten, oder?“

Fragend hielt er mir seine Hand hin. Ich zögerte kurz, doch dann ergriff ich lächelnd seine offene Hand. Er grinste und zog mich schließlich in den nächsten Raum.

 

~~~

 

Ich war ein Idiot. Ich war so ein Idiot.

Wieso musste ich immer überreagieren?

Eigentlich hatte Mila ja nichts falsch gemacht. Streng genommen hatte sie sich ja an den Auftrag gehalten und den Vampiren gesucht, den sie so lieb „Vampir-Sadist“ nannte.

Und ich hatte mich krampfhaft an meine Anordnung gehalten und wollte ihr Sehenswürdigkeiten wie das Sacré-Coeur zeigen. Klar, dass sie dann wütend war, wenn sie dachte, ich würde mich nicht an den offiziellen Auftrag halten.

Mir waren Menschen wichtig. Ich würde doch nie mit Clas zusammenarbeiten, der die Menschen schützte mit seinen Gesetzen, die die Vampire in Schach hielten, wenn ich Menschen nur als Vergnügung ansehen würde. Wie konnte mich Mila nur als einen Sadisten bezeichnen?

Als sie mich mit dem Vampir-Sadisten verglichen hatte, musste ich mich sofort an meine Taten vor über zweihundertfünfzig Jahren erinnern. Über drei Jahrzehnte lang nach dem gewaltsamen Tod meiner Familie hatte ich meine Wut und meine Rache auf alles und jeden ausgeübt. Ich war vielleicht ein Sadist gewesen. Möglicherweise. Aber das war so lange her. Mila hatte nicht das Recht mir so etwas noch zu unterstellen.

Und ich war dumm genug gewesen, danach noch wütend auf sie zu sein.

Super gemacht, Anthony, so gewinnst du ganz sicher ihr Herz. Ist ja nicht so, dass du ihr mit deinen drohenden Gesten Angst gemacht hast.

Ich hatte es zum Glück wieder ausgebügelt. Mila strahlte gerade, als ich sie in den Raum führte, in dem die Mona Lisa hing.

„Na toll“, sagte sie und schmollte. „Ich sehe gar nichts.“

Es standen auch wirklich viele Menschen vor Da Vincis Gemälde. Vor allem viele Touristen, die mit ihren Selfie-Sticks möglichst viele Fotos von sich und Mona Lisa machten. Mit diesen Dummkopfantennen verbargen sie noch mehr die Sicht auf das Kunstwerk.

„Sei froh, dass es bereits Abend ist“, flüsterte ich ihr ins Ohr und wieder kicherte sie. „Mittags würden wir gar nicht erst hier durch kommen.“

„Siehst du denn was?“ Sie schaute zu mir auf.

„Ja, etwas.“

Mila schnaufte. „Wieso muss ich denn nur so klein sein?“, beschwerte sie sich und hüpfte etwas hoch, um einen besseren Blick auf die Mona Lisa zu erhaschen.

Ich lachte.

„Lach mich nicht aus!“, rief sie und schlug mich zum Spaß auf die Schulter.

Ich lachte nur noch mehr. „Tut mir leid, es geht nicht anders!“

Dir kann man einfach nicht lange böse sein, hatte ich gesagt. Abgesehen davon, dass ich ihr nicht böse sein durfte, konnte ich es sogar wirklich kaum. Mila war noch noch Kind, nicht mal ein Jahr lang ein Vampir, und sie schlug sich die letzten Monate besser als ich in meinen ersten fünfzig Jahren. Alle hielten sie für ein wildes Kind, dabei war sie eigentlich nur ein ganz normales Mädchen, das zwar eine rebellische Seele hatte; aber schlussendlich war sie auch nur klein und unschuldig – wobei sie vor allem seit New York viel erwachsener wirkte und auch viel erwachsener aussah, was weder ich noch Ambrosius erklären konnten. Und auch wenn sie heute noch ihre Launen hatte, so musste ich feststellen, dass sie mir doch sehr ähnelte. Und ich mochte sie.

Beleidigt verschränkte Mila die Arme.

„Soll ich dich etwa hochheben? Auf meine Schultern setzen?“, fragte ich.

Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete sie mich, ehe sie feststellte, dass ich das ernst meinte. „Wehe“, murmelte sie nur.

Das stachelte mich dazu an, es doch zu tun. Grinsend kam ich ihr einen Schritt näher und erschrocken wich sie einen Schritt zurück, wobei sie dabei fast gegen einen Asiaten stieß.

„Ich habe gesagt: Nein!“, wiederholte sie sich.

Ich grinste noch breiter. Ein weiterer Schritt in ihre Richtung.

„Anthony!“ Sie blieb auf der Stelle stehen, da sie nur gegen andere Touristen laufen würde, wenn sie weiter zurücklaufen würde. „Wir sind in einem Museum!“

Ich packte sie und sie unterdrückte einen erschrockenen Schrei, der ihr beinahe aus der Kehle gewichen war.

„Anthony!“, fauchte sie und wehrte sich gegen meinen Griff, versuchte aber auch, nicht zu viel Aufmerksamkeit durch zu viel Gestrampel zu erregen. Sehr zu meinem Vorteil.

Ich spürte ihren kleinen, warmen Körper direkt an mir und sog ihren süßlichen Geruch ein. Oh, das war gar nicht gut. Ich durfte jetzt nur nicht an uns denken, an unsere in sich verschlungenen Leiber, ich in ihr und sie auf mir. Nicht hier. Nicht jetzt. Später vielleicht.

Lachend lies ich sie runter, bedacht, dabei an alles Mögliche zu denken, nur nicht an ihren nackten Körper. Was nicht sehr leicht war mit ihr in meinem Arm und mir dutzenden nackten Skulpturen im Louvre.

„Keine Sorge, ich wollte dich dabei nur ärgern.“

Trotzig schob sie mich von sich weg. „Na, vielen Dank auch!“

Dann stand sie ratlos weiter vor der Menge, die das Gemälde vor ihr verbarg, bis sie sich dazu entschloss, sich durchzuquetschen. Was auch bei der ersten Person gelang, dann allerdings lies sie keiner mehr vor. Mit zusammengesackten Schultern lief sie wieder zurück zu mir.

„Dann halt nicht“, murmelte sie. „Gehen wir weiter.“

Ich hielt sie zurück. „Warte“, raunte ich. „Ich habe da so eine Idee.“

Meine Hand umfasste ihre und ich zog sie in die Menge.

„Attention, une femme enceinte! Zhùyì yùnfù! Attention, pregnant woman! Attenzione, donna incinta!“

Die Leute machten überrascht Platz, als ich durch die Menge rief und Mila hinter mir herzog. Es dauerte nicht lange, da standen wir bereits vor der Mona Lisa.

„Merci beaucoup!“, rief ich nur noch grinsend, als die Menge sich hinter uns wieder schloss und uns verwirrte Blicke zuwarf.

Entgeistert starrte Mila mich an, was mich zum schmunzeln brachte.

„Was hast du gerade gerufen?“, fragte sie mich mit gerunzelter Stirn.

„Hast du etwa keine der vier Sprachen verstanden?“

„Ich bin mir darüber gar nicht sicher, was ich gehört habe.“ Mit großen, schockierten Augen schaute sich mich an. „Bitte sag mir nicht, es ist nicht das, was ich denke.“

„Ich habe gerufen: 'Achtung, schwangere Frau'.“ Grinsend beobachtete ich wie ihr die Gesichtszüge entgleisten.

„Was? Verdammt, Anthony! Wie kommst du da drauf?“ Ich sah wie sie vor Scham im Boden versinken wollte. „Das ist ja so peinlich! Ich bin doch so jung!“

Ich lachte. „Aber schau doch, es hat funktioniert.“

Es war, als realisierte Mila erst in dem Moment, dass wir wirklich vor dem Gemälde standen. Erstaunt und vollkommen beruhigt blickte sie auf Leonardo Da Vincis Werk.

Lange war sie still und betrachtete das Gemälde. Dann, völlig überraschend, sagte sie: „Und das soll die berühmte Mona Lisa sein?“

Ich lachte auf. „Wieso?“

„Es ist so klein.“

„Ja, genau genommen nur siebenundsiebzig mal dreiundfünfzig Zentimeter groß. Ursprünglich hieß es übrigens 'La Gioconda' und wurde aufgrund eines Rechtschreibfehlers 'Mona Lisa' genannt. Mona stammt von dem Wort ... –“

„Ja ja, Opa“, unterbrach mich Mila und grinste. „Und du warst sicher auch bei der Namensgebung dabei und hast Da Vinci und Mona Lisa persönlich gekannt.“

Kurz schwieg ich und biss mir auf die Zunge. „So alt bin ich nicht, dass ich sie gekannt haben konnte.“

Mila lachte. „Sicher? Du weißt so viel von allem, als hättest du tatsächlich alles miterlebt.“ Grinsend kniff sie mich in die Seite. „Schau mal, ich wusste gar nicht, dass sie in echt anders wirkt als im Fernsehen. Als hätte sie vor dem Malen ihres Porträts zwei Drinks gehabt und würde ihr dummes Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht kriegen.“

Sie brach in Gelächter aus und ich konnte mich nach meiner Ernsthaftigkeit auch nicht mehr zurückhalten. Lachend schlug ich einen Arm um ihren winzigen Körper.

„Komm“, flüsterte ich ihr zu und zog sie weiter. „Wir haben genug eines von Leonardo Da Vinci größten Werken ausgelacht.“

Ihr Lachen verebbte langsam und sie schmiegte sich an mich. Sie genoss mich und meine Berührungen. Ihrem Glauben nach ein letztes Mal, bevor sie sich wieder Clas und dem Boden der Tatsachen stellen musste. Ich zog sie in den letzten Abteil dieser Etage, zu den italienischen Gemälden aus dem siebzehnten und achtzehntem Jahrhundert und zu den spanischen Werken.

Ein bekannter Geruch stieg wieder in meine Nase und wenig später roch auch Milana den Vampir-Sadisten. In meinen Armen verspannte sie sich und löste sich aus meiner Umarmung.

„Jetzt müssen wir uns wieder der Realität stellen“, murmelte sie.

12.

 

Wieso hatte ich mich dazu hinreißen lassen? Wieso musste ich mich Anthony hingeben? Jetzt spürte ich seine fehlende Berührung nur noch mehr und es tat stärker weh denn je.

Es würde mir doch niemals gelingen, mich von Anthony loszureißen, so wie es Clas wollte, wenn ich ständig der Versuchung nachgab!

Als ich den Vampir-Sadisten gerochen hatte, riss mich sein Geruch aus meinem Nebel aus Liebe und Glücksseligkeit. Ich stieß mich leicht von Anthony ab, um ihn nicht wieder zu verärgern, und brachte Abstand zwischen uns, den mein Körper zu beseitigen vermochte. Aber mein Verstand wehrte sich gegen den Trieb.

„Wir haben den Vampiren noch nicht gefunden. Wir müssen unsere Tarnung noch beibehalten“, bemerkte Anthony.

Ich schüttelte den Kopf. Dann erkannte ich, dass er recht hatte. Selbst wenn es mir widerstrebte, da es mir den Kopf kosten würde, wenn ich meine Gefühle nicht zügeln konnte.

„Ja, ich weiß.“ Tief atmete ich durch. „Ich muss nur … Ich muss nur kurz aufs Klo.“

„Du musst aufs Klo?“ Amüsiert hob Anthony eine Augenbraue. Vampire mussten schließlich nicht aufs Klo.

Ich nickte. „Ja … Ich muss etwas trinken, ich kann nicht mehr ...“ Ich kann nicht mehr in deiner Nähe sein, ohne zusammenzubrechen, weil ich dich nicht mehr anfassen darf.

Anthony schaute mich besorgt an. „Alles gut? Soll ich mitkommen?“

Erneut nickte ich, dann schüttelte ich den Kopf und fasste mir an die Stirn. „Hast du in deinem Rucksack etwas zu trinken?“

„Ja.“ Er reichte mir die Tasche rüber. „Aber nur zwei Blutbeutel“, flüsterte er. „Bewahre den zweiten lieber für später auf.“ Anthony kam mir dabei wieder zu nah und ich packte so schnell wie möglich den Rucksack und lief in Richtung Damentoiletten.

Vor dem Damenklo erwartete mich eine riesige Schlange. Genervt stöhnte ich auf. Auch wenn ich nicht wirklich aufs Klo wollte, sondern nur den Abstand zu Anthony, so hatte ich mich doch ein bisschen aufs Trinken gefreut. Vielleicht würde mir das die Stimmung heben und möglicherweise wäre ich dann stark genug, um diesem unwiderstehlichen Vampiren namens Anthony zu widerstehen.

Doch er war plötzlich schon wieder hinter mir, gerade nachdem ich mich angestellt hatte. Seine großen Hände umfassten meinen dünnen Arm und er zog mich mit sich.

„Komm, wir gehen zu den Privattoiletten.“ Sanft, aber beharrend zog er mich weiter und ich wusste nicht, ob ich diese Berührung genießen sollte oder nicht.

Bei einer Tür mit der Aufschrift „PRIVÉ – PRIVATE“ zog er mich in den Gang dahinter hinein. Nach nur wenigen Schritten waren wir auch schon bei der Toilette des Personals, doch im Moment war sie besetzt.

Als einer der vorbeilaufenden Arbeitenden nach unseren Ausweisen fragte, holte Anthony seinen und zeigte ihn ihm. Nickend schritt er weiter.

„Das muss wohl schwer gewesen sein für dich“, meinte Anthony plötzlich, als der Mann weg war.

„Was?“

„Ich habe völlig vergessen, wie jung du noch bist. Abgesehen davon, dass dir das Leben neben Menschen schwerer fällt als mir, bist du, so wie es aussieht, auch noch hungrig. Und dann musstest du eben noch vor dieser langen Schlange von Menschen anstehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie viel Kraft dich das gekostet haben musste.“

„Ah ... Ja, genau.“

Mir hatten die Menschen noch nie so wenig Probleme bereitet wie hier in Paris. Sie waren überall und doch hatte ich kaum Interesse für ihr Blut. Wie auch? Ständig musste ich nur an Anthony denken und mich darauf konzentrieren, eben mit diesem Schwärmen aufzuhören.

Im nächsten Moment öffnete sich die Tür des Toilettenraums und eine junge Frau mit dunklen, hochgesteckten Haare und einem Schildchen an der Brust, auf dem "Julie Hébert" stand, trat heraus.

„Oh, excusez moi.“ Sie trat an mir vorbei und erblickte dann Anthony, der neben mir stand. Sofort erhellt sich ihr Gesicht. „Bonjour, Monsieur! Vous êtes nouveau ici?“

Ich wollte mir ihren Flirt gar nicht mehr länger ansehen und verschwand so schnell wie möglich hinter der Tür in den Toilettenraum.

Als ich die Tür hinter mir abschloss, atmete ich als erstes tief durch. Im Raum befand sich rechts eine alte, aber saubere Toilette, links ein großes Waschbecken mit einem hohen, ziemlich alt aussehendem Spiegel.

Es ist gut, wenn sich Anthony nach anderen Frauen umsieht, nicht mehr nach solchen Mädchen wie mir. Er sollte aufhören, in meiner Nähe zu sein, es ist zu gefährlich. Clas und seine Spione können uns so leicht erwischen, wenn wir mal unseren Gefühlen nachgeben.

Diese Gedanken stießen mir einen Dolch ins Herz. Mit Mühe unterdrückte ich ein Schluchzen, doch die nächsten Tränen konnte ich nicht aufhalten. Aus Wut und Trauer ballte ich meine Hände zu Fäusten und meine Fingernägel drückten mir so stark in die steinerne Handfläche, bis tiefe Abdrücke davon blieben.

Erschöpft lehnte ich mich vor an das Waschbecken und sah mich im Spiegel an. Ein Gesicht, an das ich mich die letzten Monate hatte gewöhnen müssen, blickte mir entgegen. Wütend strich ich mir die Tränen weg, die meinen traurigen Ausdruck nur verschlimmerten.

Die großen, eisblauen Augen gaben mit der dunkleren Umrandung einen zu starken Kontrast ab in meinem blassen Gesicht. Auch wenn meine Wimpern relativ hell waren, wenn auch noch lange nicht so hell wie meine Haare, so betrug meine Haut am Wimpernkranz einen schwärzeren Ton. Als wäre die Haut dort verfault, als ich gestorben war und mich in einen Vampiren verwandelt hatte.

Mit einer Hand griff ich in die Tasche und holte einen Blutbeutel heraus, noch immer mich im Spiegel beobachtend. Als ich meine Fangzähne hervorfuhr, verwandelte sich die Haut rund um meine Augen in schwarze Flecken, die das blau meiner Iris aufleuchten ließen.

Leicht öffnete ich den Mund und zwischen meinen Lippen blitzten scharf und lang zwei Eckzähne hervor. Genussvoll stieß ich diese in den Blutbeutel, ohne dabei den Blick vom Spiegel zu wenden. Rote Farbe benetzte meine blassen Lippen und rann meinen Mundwinkel herab über mein Kinn auf das Waschbecken.

Sobald ich den Beutel mit der köstlichen und belebenden Flüssigkeit leer getrunken hatte, legte ich ihn vorsichtig zur Seite, um weiterhin mein Spiegel zu beobachten.

Ein Monster sah mich an. Ein bedrohliches Blau leuchtete aus zwei tiefschwarzen Klecksen, in dem Abschnitt des weißen Gesichts, an dem sich die Augen hätten befinden sollen. Sattes Blutrot klebte auf seinen weißen Zähnen und zwischen seinen fahlen Lippen.

Doch dieses Monster sah nicht nur gefährlich aus, sondern auch unsagbar schön. Als wäre es aus einem Buch entsprungen. Eine wunderschöne Nymphe mit dem tödlichen Verlangen nach Blut.

Ich leckte das Blut von meinen Lippen und wischte die wenigen Tropfen vom Waschbecken, als meine Haut um die Augen wieder nach und nach ihre dunkle Farbe verlor. Meine Eckzähne verkürzten sich auf die übliche Größe, blieben jedoch auch weiterhin rasiermesserscharf.

Das Mädchen, das ich ihm Spiegel sah, war immer noch zu schön, um wahr zu sein. Es hatte zu ebenmäßige Haut und dafür, dass es ungeschminkt war, waren ihre Augen zu dunkel umrandet, als hätte sie es sich so tätowieren lassen. Ihre blonden Haare wirkten dem entgegen wie gefärbt, ihre alabasterfarbene Haut wie gebleicht. Und es wirkte kaum ihrem Alter entsprechend. Im Grunde war es kein Mädchen mehr, sondern bereits eine junge Frau. Es war nicht mehr das Kind, das es nach seiner Verwandlung zum Vampiren noch gewesen war. Ebenso ihr Blick lies sie noch erwachsener wirken, als sie es ohnehin schon tat.

Wie lange war es her, dass ich mich so genau im Spiegel beobachtet hatte? Wieso fielen mir so viele Sachen an mir erst jetzt auf? Und die zentrale Frage war: Wann war ich so erwachsen geworden?

Ich hörte Anthony hinter der Tür mit dieser Julie lachen.

Er sollte sich mit ihr anfreunden. Sich so endlich von mir entfernen. Julie sah wirklich hübsch aus und konnte dazu noch die verführerische Sprache Französisch sprechen. Wie konnte sich Anthony nicht in sie verlieben?

Ich schaute mich erneut im Spiegel an. Mein Gesicht war ebenfalls hübsch. Zu hübsch. Kein Wunder, dass Anthony gerne Zeit mit mir verbrachte. Vielleicht wäre es nie so gewesen, wenn ich einfach hässlicher ausgesehen hätte?

Ratlos blickte ich mein Spiegelbild an. Wünschte sich nicht jeder, wunderschön und attraktiv auszusehen? Wieso wollte ich in dem Moment das Gegenteil, damit mich Anthony niemals mehr freiwillig anblickte, sodass er sich von mir fernhielt und dass er mir nicht verzieh, wenn er mir nur in diese verflucht blauen Augen sah. Es wäre doch um so vieles einfacher, ihn zu vergessen, wenn er nicht ständig um mich herum schwirrte.

Ich wünschte mir eine krumme Nase. Ich wünschte mir schiefe Augen und einen plumpen, hässlichen Mund, den er niemals küssen würde.

Sollte ich mir vielleicht das Gesicht hässlich hauen?

Wütend strich ich mit meinen Finger grob über meine gerade Nase. Wieso war sie nicht groß, wieso war sie nicht buckelig wie die einer Hexe?

Ich wünschte es mir so sehr, dass ich den scharfen Schmerz ignorierte, der auf einmal durch mein Gesicht schoss und mitten durch meine Nase fuhr. Ich hoffte weiterhin so stark darauf, dass es geschehen würde, dass ich erst gar nicht bemerkte, wie sich unter diesen Schmerz meine Nase verschob und langsam immer größer und buckeliger wurde.

Erstaunt und erschrocken wich ich vom Spiegel, als ich das große Ungetüm mitten in meinem Gesicht sah, meiner Nase statt. Vorsichtig glitten meine Finger über die Buckel, um sicherzugehen, dass dies hier keine Einbildung war. Doch dem schien nicht so.

Langsam fuhr ich mit meinen Fingern zu meinen Lippen und stellte mir vor, sie würden anschwellen und zu großen, fetten Schlauchbootlippen werden. Es kribbelte erst, dann brannte es, doch meine Lippen blähten sich tatsächlich auf. Erst als ich wollte, dass es aufhörte, veränderte sich an meinem Mund gar nichts mehr.

Erstaunt beobachtete ich die hässliche Frau mit Hexennase und scheinbar aufgespritzten Lippen. War das tatsächlich ich?

Es klopfte an der Tür.

„Geht es dir gut?“, fragte Anthony durch die Türe. „Du bist schon zwanzig Minuten drinnen.“

Es hatte sich für mich gar nicht so lange angefühlt.

Julie spürte ich nirgendwo in der Nähe, scheinbar war sie schon vor einiger Zeit gegangen, ohne dass ich es mitgekriegt hatte.

„Alles okay?“, fragte Anthony nochmal.

Ich schaute abermals in den Spiegel. Ich sah noch immer wie eine Hexe aus.

„Ja“, antwortete ich kurz. „Ich komme gleich raus.“

Sollte ich vielleicht mein Gesicht so hässlich lassen? Und mich so Anthony zeigen?

Ich entschied mich schnell dagegen. Ich würde anfangs lieber niemandem zeigen, dass so etwas konnte. Nicht mal Anthony. Erst recht nicht Anthony. Er war sowieso niemand für mich, wir waren in keiner Beziehung, waren es nie gewesen. Es gab keinen Grund, ihm davon zu erzählen.

Ich starrte die Spiegelung meiner selbst wieder an und wünschte mir mein altes Gesicht zurück. Ich formte meine Nase wieder genauso gleich nach, so, wie sie gewesen war, als wäre ich der Bildhauer meiner eigenen Skulptur, und auch meine Lippen wurden immer schmäler bis sie wieder ihre Form angenommen hatten.

Dann packte ich den leeren Blutbeutel, packte ihn in die Tasche, öffnete ich die Tür und trat hinaus.

„Fertig. Es geht mir wieder gut.“

13.

 

„Gut. Dann gehen wir.“

Ich folgte Anthony in den öffentlichen Teil des Museums. Sobald wir wieder dort waren, vermengten sich die verschiedensten Gerüche miteinander, der Geruch von menschlichem Blut, Schweiß und alten Bildern. Beinahe roch ich den des Vampir-Sadisten nicht heraus, doch Anthony führte uns entschlossen durch die Menschengruppen von einem in den nächsten Raum. Und auch wenn der Geruch so gut wie verblasst war unter all den anderen, so war es immer gerade noch genug, um seiner Spur zu folgen.

Ich knirschte mit den Zähnen, als wir beinahe in der gesamten zweiten Etage gewesen waren und dann der Geruch uns wieder nach unten führte.

Anthony bemerkte meinen Unmut. „Keine Sorge, Sherlock Holmes. Dieser Hund ist zwar schlau, aber das Gesetz wird ihn trotzdem kriegen“, lachte er. Obwohl dieser Fall genauso ihn betraf wie auch mich, nahm Anthony es komischerweise mit Humor. Aber vielleicht hatten ihn auch jahrelange Übung abgehärtet, sodass er dir Aufträge nicht so ernst nehmen konnte.

Hund“, wiederholte ich leise Anthonys Worte und lachte kurz auf. Obwohl ich so angespannt war – und teilweise immer noch erstarrt aufgrund der Erkenntnis, dass ich eine weitere Gabe besaß –, konnte ich dieses kleine Auflachen nicht zurückhalten. Wahrscheinlich war es auch ein hysterisches Lachen.

Es war deutlich weniger voll im Vergleich vor kaum einer Stunde, als ich mit Anthony wieder genau dort stand, wo wir im Louvre-Palast angefangen hatten zu suchen.

Frustriert schnaubte ich. „Ernsthaft?“, rief ich aus. „Wir sind im Kreis gelaufen?“

„Man muss manchmal auch Fehlschläge erfahren, Sherlock.“

Als ich mich wütend zu Anthony drehte, grinste er mich unschuldig an. Zwar hatte ich irgendetwas erwidern wollen, wie, dass er sich den Arsch lecken konnte, doch dann lies ich es einfach müde sein und verdrehte die Augen.

„Toll, dass du dies so witzig findest“, meinte ich schließlich, als wir nach einer weiteren Spur suchten, doch die schien sich auf der Treppe verloren zu haben. „Ist ja nicht so, dass wir eine Stunde gebraucht haben, um einem Geruch zu folgen, und um dabei einen großen, sinnlosen Umweg durch das gesamte Louvre zu machen, obwohl die Spur die ganze Zeit auf dieser verdammten Treppe war. Die dummerweise aber auch hier endet, wie einer Sackgasse. Und währenddessen läuft ein Mörder mit Fangzähnen weiterhin frei herum.“ Schlecht gelaunt verschränkte ich die Arme vor der Brust.

„Ach, Mila.“ Anthony kam näher auf mich zu und legte seinen Arm um mich.

Erschrocken wand ich mich aus seinem eigentlich lieb gemeinten Griff und stellte mich von ihm mit einem gewissen Abstand. Was war nun mit Julie? Hatte er sie vergessen? Wieso bloß kam er mir wieder zu nah?

„Mila.“ Er schaute mich mit einem belehrenden Blick an. „Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass diese Stunde umsonst gewesen ist. Du hast dir das Louvre angesehen, eines der berühmtesten Museen der Welt, und du hast die Mona Lisa sehen können und dich über sie lustig machen können. Du hast sich amüsiert!“

Als er mit seinen Fingern mein Kinn umgriff, sodass ich ihn ansehen musste, bohrte sich sein Blick in meinen. „Wir haben keinen leichten Job. Er ist anstrengend und spannt uns an, weil er von uns so viel körperliche und psychische Arbeit abverlangt, wie kaum ein anderer. Da sollten wir Momente wie diese genießen lernen. Momente, in denen wir unsere Anspannung lösen können und in denen wir die Vorteile unseres Jobs nutzen können. Welcher Job bietet dir Möglichkeiten, diverseste Orte dieser Welt zu besuchen?“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch dann wurde er wieder ernst. „Wir können uns nicht nur die ganze Zeit anstrengen, denn wir werden früher oder später daran zerbrechen. Außerdem sieht die Welt aus der Vogelperspektive viel einfacher und logischer aus – wenn wir uns etwas von ihr entfernen, so werden uns vielleicht Wege bewusst, die wir sonst übersehen würden.“

Er lies mein Kinn los, doch ein warmer Abdruck seiner Finger blieb. Dann trat er einige Schritte zurück – ich hatte nicht bemerkt, wann er so nah an mich rangetreten war.

„Merk dir das für's Leben.“

Leicht außer Atem blieb ich noch reglos stehen. Schließlich räusperte ich mich.

„Und was machen wir jetzt?“

Anthony schaute mich mit einem undurchdringlichen Blick an.

„Ich meine, wir können doch nicht einfach hier rumstehen und weiter im Museum rumlungern.“ Ich versuchte ihn nicht anzustarren, während ich nervös von einem Fuß auf den anderen wippte – aber zur Hölle, Anthony sah wirklich sexy aus, wenn er mich so ansah. Verdammt!

„Ja, ich weiß.“ Etwas Gedankenverloren kratze er sich am Kinn. Und erst jetzt realisierte ich, dass er wohl fieberhaft nachdachte, was unsere nächsten Schritte sein sollten. Wieso muss ein nachdenkender Anthony nur so gut aussehen?

Um ihn nicht mehr anblicken zu müssen und um nicht noch seltsamer auf die anderen Louvre-Besitzer zu wirken, als dass schon ein totenblasses Mädchen tat, schaute ich mir scheinbar interessiert die Kunstwerke an der Wand an, die ich eigentlich bereits vor einer Stunde gesehen hatte.

Anthony trat so leise an mich heran, sodass ich ihn nicht gehört hätte, falls ich keine Superlauscher gehabt hätte.

„Was wir jetzt tun können“, meinte er, „ist, nach weiteren Spuren zu suchen. Wenn wir hier keine mehr finden, dann suchen wir wieder von vorne los. Aber wenn die Spuren nicht mehr aufzufinden sind, oder wenn sie aus Paris rausführen, müssen wir den Auftrag weitergeben.“

Irritiert blinzelte ich ein paar Mal, bevor ich mich zu ihm drehte. „Was soll das jetzt heißen?“

„Na, wie ich bereits gesagt habe: Wenn uns die Spuren zu nichts führen, müssen wir den Auftrag ...“

„Ja, ich hab gehört, was du gesagt hast!“, unterbrach ich ihn barsch, dann öffnete ich den Mund, um etwas zu erwidern, doch erst blieben mir die Worte im Mund stecken. „Aber … Aber ich dachte, das wäre unser Auftrag gewesen. Den wir erledigen sollten.“

„Nicht, wenn wir über unsere Grenzen kommen.“

„Grenzen?“

„Ja, Grenzen. Habe ich ja gerade gesagt.“ Anthony nahm eine angespannte Haltung ein.

Aus Angst, dass er danach wieder für mehrere Stunden auf mich beleidigt sein würde, schluckte ich erst mal alle Worte hinunter, die ich vorschnell sagen wollte. Vorsichtig wägte ich jeden Satz auf meiner Zunge ab, bevor ich ihn sagte.

„Hat es denn einen bestimmten Grund, wieso wir in Paris sind, obwohl es … andere gibt, die diesen Job auch erledigen könnten?“

Anthony verkrampfte sich noch mehr – wenn dies überhaupt möglich war. Doch mit dem nächsten Atemzug antwortete er mir endlich.

„Wir sind die Rey's. Wir sind da, um ein Exempel zu statuieren. Als Warnung. Damit so etwas nicht mehr passiert.“

Immer noch verwirrt schaute ich ihn an. Das war es?

Leicht genervt schnaubte er. „Wir sind das Gesetz. Töten wir ihn, so ist das auch gesetzlich vertretbar. Tötet ihn ein anderer, so ist es Mord.“

Irritiert und etwas verärgert über Anthony Verärgerung schlüpften mir die nächsten Worte einfach aus dem Mund, ohne das ich darüber überlegen konnte, ob das ihn nicht noch wütender machen würde. „Könnte man den Vampir-Sadisten dann nicht für vogelfrei erklären? Das wäre doch viel einfacher!“

Seine Faust zuckte kurz. „Du verstehst doch das Prinzip, oder?“

Ich nickte.

„Gut.“ Anthony wandte sich ab und stampfte zum Ausgang des Louvre. „Dann gehen wir und suchen nach weiteren Spuren.“

Mir blieb nicht anderes übrig, als ihm zu folgen.

Ja, ich verstand das Prinzip. Allerdings fühlte ich mich trotzdem entweder unsagbar dumm oder schlicht und einfach belogen, weil ich Clas' Handlungsweise, uns nach Paris zu schicken, nicht verstand.

„Außerdem“, murmelte Anthony, gerade in dem Moment, als uns die kühle Nachtluft ins Gesicht wehte, die einen krassen Kontrast zu drinnen herstellte, „weiß keiner wirklich, wer der Mörder war. Deswegen könnte jeder jeden zu seinem Zwecke umbringen und behaupten, das wäre der rechte Mörder gewesen. Somit könnte jeder mit Mord für irgendwen davonkommen.“

Toll, das erklärt aber noch lange nicht, wieso wir aber in diesem Fall den Auftrag nicht zu Ende ausführen können …

14.

 

Wer hätte es vermutet? Wir fanden die Spur des Vampir-Sadisten in ganz Paris nicht wieder.

Da es dunkler geworden war, konnten Anthony und ich unentdeckter durch die Straßen der Stadt der Liebe rennen. Zwar war es teilweise sogar noch voller geworden und immer mehr Menschen drängten sich über die nächtlichen Straßen von Paris, allerdings war es bereits weit nach Mitternacht und selbst wenn die zahlreichen Leute einen schnell vorbei huschenden Schatten im Laternenlicht sahen, so waren sie zu betrunken, um sich darüber zu viele Gedanken zu machen.

Somit hatten wir auch bald alle Distrikte der Stadt durch - wobei Anthony meiner Meinung nach relativ schlampig seine Aufgabe erledigt hat. Ich hatte den markanten Geruch des Mörders nicht wieder aufgeschnappt, Anthony meinte dasselbe. Aber vielleicht war dieser Vampir auch wirklich zu schlau für uns oder sein Geruch ist bereits vom Wind davongetragen worden. Paris gehört zu den am meist besuchten Orten der Welt, Symbolstadt für Liebe, Mode und mehr, natürlich ging da ein Geruch verloren, den selbst Vampirnasen nicht mehr finden konnten.

Um drei Uhr am Morgen war schon deutlich weniger los als am Abend. Tatsächlich war es sogar überraschend ruhig.

„Komm“, sagte Anthony nach unserer erfolglosen Suche und nahm mich an der Hand, um mit mir wieder ins Zentrum von Paris zu rennen. Der Wind riss noch mehr Strähnen meiner langen, hellen Haare aus seinem Pferdeschwanz, als der lächelnde Vampir, der meine Hand fest ergriffen hatte, mich kreuz und quer durch die Gassen von Paris schleifte, da er Abkürzungen kannte, von denen nicht mal jeder Einheimische wusste.

Seine Berührung schickte mir von dieser Stelle aus Blitze durch den gesamten Körper. Ich versuchte, nicht daran zu denken, wie gut sich seine kalte, steinerne Hand anfühlte, warm und weich um meine geschlossen – doch gleichzeitig konnte ich mich selbst nicht dazu überwinden, mich ihm zu entreißen, hatte Angst vor seiner wahrscheinlich traurigen Reaktion und dem daraus entstehenden kalten Abdruck auf meiner Haut. Es war nicht richtig, was Anthony tat, diese Nähe, die er zu mir suchte… Es würde nicht nur mir wortwörtlich den Kopf kosten…

Als er langsamer wurde und schließlich stehen blieb, knallte ich beinahe in ihn. Mein Blick wanderte von seinen breiten Schultern auf die Umgebung. Nur noch wenige Menschen tummelten sich über die weite Straße, manche von ihnen tänzelten zu der Musik, die im Hintergrund zu hören war. Gebäude, Bäume und zahlreiche Straßenlaternen säumten den Straßenrand, sodass die Lichter den ganzen, scheinbar unendlich langen Weg in einem warmen Licht beleuchteten. Während sich meine Mundwinkel immer weiter nach oben hoben, drehte ich mich ein Mal im Kreis, um mehr davon zu sehen. Doch dann erblickte ich, hinter zahlreichen Gebäuden verborgen, den Eiffelturm, dunkel und unbeleuchtet so spät in der Nacht, jedoch auch groß und mächtig in seiner Präsenz. Trotz meiner guten Augen erkannte ich aufgrund der Dunkelheit nur mit Mühen die Antennen an der Spitze des Wahrzeichens.

„Erkennst du diese Straße vielleicht von Bildern wieder?“, fragte Anthony, während er mir wieder näher kam. Seine Hand berührte vorsichtig meinen Arm. „Das sind die berühmten Champs-Elysées.“ Er strich mir sanft vom Arm über meinen Rücken und umfasste schließlich in einer besitzergreifenden Geste meine Taille, als eine kleine Sauftruppe, bestehend aus halbausgewachsenen Männern, unsere Wege kreuzte. Nachdem die betrunkenen Menschen lautstark über Politik diskutierend an uns vorbeigelaufen waren, konnte Anthony seine zusammengekniffenen Augen von ihnen abwenden und sah zu mir runter. Er schnaubte belustigt, als er sah, wie ich nicht die Champs-Elysées, sondern die große Eisenpyramide weit vor uns ehrfürchtig anblickte.

„Ich wollte dir zwar erst die Straße zeigen, bevor wir zum Eiffelturm gehen, aber scheinbar sollte ich dich sofort dahin mitnehmen.“

Ich nickte nur, in mir brodelte die Vorfreude.

Anthony lachte auf. „Na dann.“ Die Wärme an meinem Rücken verschwand, wurde aber sofort wieder ersetzt durch seine Hand um meine. Mit einer Geschwindigkeit, mit der ich in meinem jungen Alter kaum mitkommen konnte, zog er mich vorwärts, sodass wir einen Wimpernschlag, genau eine Viertel Sekunde später, direkt davor standen.

„Ladys first“, meinte er und lächelte mich breit an.

Ich ließ seine Hand los und trat einen Schritt nach vorne. Von Nahem sah das EIsenkonstrukt noch viel größer aus als ich es erwartet hatte. Seine mächtige Präsenz zog mich an wie ein Magnet und ich tat zwei weitere Schritte vor.

Doch dann zögerte ich. „Können wir das überhaupt machen?“ Unsicher drehte ich mich zu ihm um. „Ich meine, dürfen wir das? Den Eiffelturm besuchen?“

„Naja, nicht ganz.“ Anthony grinste. „Offiziell hat der Eiffelturm eine Stunde nach Mitternacht geschlossen. Aber du weißt doch, dass wir da problemlos hochkommen, wenn wir nur wollen.“ Sein Grinsen würde immer spitzbübischer. „Dass die Kameras dort oben in einer Schleife hängen, habe ich bereits mit nur einem Telefonat erledigt. Wir müssen jetzt nur noch über Tausend Stufen erklimmen, weil die Aufzüge momentan außer Betrieb sind.“ In einer selbstbewussten Haltung schlenderte er zu mir rüber und schlang wieder seinen Arm um mich. „Also wie du siehst, habe ich bereits alles erledigt.“

Seine Berührung jagte mir einen angenehmen Schauder über den Körper. Dennoch stieß ich ihn von mir, bevor ich meine Gedanken und selbst meinen Verstand durch seine Nähe und seinen betörend männlichen Geruch in einem rosa Nebel voller Herzchen verlor.

„Das meinte ich nicht.“ Ich atmete mehrmals tief durch, um meinen Kopf zu klären, der gerade nichts Besseres im Sinn hatte, als sich an Anthonys nackten Oberkörper zu erinnern; harte Muskeln, welche sich momentan unter seinem schwarzen T-Shirt spannten, sich bewegten, als er eine angespanntere Pose einnahm. Verdammt, die Aufmerksamkeit, die er mir den ganzen Tag über geschenkt hatte, tat mir nicht gut. Gar nicht gut. „Ich meine, wir hatten doch eigentlich die Aufgabe, diesen Mörder zu finden. Und nachdem wir ihn nach einem Tag nicht gefunden haben, legen wir die Hände zusammen und tun, was auch immer uns in den Sinn kommt?“ Ich schnaubte frustriert. „Ich weiß, wir können jetzt eigentlich nicht mehr viel tun, aber das hier würde sich falsch anfühlen.“ Ich drehte mich nach hinten und deutete mit dem Blick auf den Eiffelturm. Als ich mich wieder zu ihm wandte, schien er seine angespannte Haltung im selben Augenblick abzuwerfen und angestrengt eine lockere Pose anzunehmen.

Anthony bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, doch ich bemerkte, wie er die Zähne zusammenbiss. „Habe ich dir nicht heute gesagt, dass es wichtig ist, jeden Moment zu genießen?“

Der Ton, in dem er das gesagt hatte, ließ mich beinahe zusammenzucken. Hätte man ihn genau jetzt angeschaut, so könnte man meinen, er wäre die Ruhe in Person, doch in seiner Stimme schwang unterschwellige Wut mit. Meine Gedanken kehrten zu den Momenten zurück, in denen ich seine Wut zu spüren bekommen hatte. Verängstigt trat ich einige Schritte rückwärts.

Anthonys Augen folgten meinen Bewegungen und er biss wieder die Zähne aufeinander, bis er sah, dass ich es bemerkte.

„Mila“, schnurrte er plötzlich und kam mit offenen Armen auf mich zu. „Süße.“

Mein Körper war angespannt und ich starrte ihn verkrampft an, während er mir immer näher kam. War er jetzt gut gelaunt oder nicht?

Nachdem er die wenigen Schritte zwischen uns überwunden hatte, nahm er mich jedoch nicht in den Arm, wie ich befürchtet hatte – er tat mir auch nicht weh – sondern hob langsam seine Hand und umfasste sanft mein Kinn. Dann lächelte er.

„Mila“, flüsterte er und grinste mich an. „Wann bist du nur so verklempt geworden?“

Erstarrt bestaunte ich seine Augen, die in diesem Licht schwarz wie die Nacht wirkten. Nur ein kleines grünes Funkeln war in ihnen zu sehen, aber auch nur, wenn man wirklich genau hinsah.

Ich zuckte nur mit den Schultern, sobald ich mich wieder an seine Frage erinnerte. Ich bin gar nicht verklempt.

„Hast du unsere Zeit in New York etwa schon vergessen?“ Anthonys Mundwinkel hoben sich langsam.

Mein Körper verspannte sich erregt bei der Erinnerung daran, was er und ich in unserem Hotelzimmer in New York alles getan hatten. Ich schluckte.

„Dort hat es dir nichts ausgemacht, wenn wir unsere Zeit anders verbracht haben“, raunte er und seine Finger strichen von meinem Kinn über meine Wange und schoben ein loses Haar hinter mein Ohr. „Wir waren sogar auf dem Empire State Building. Du hast es genossen. Du hast es geliebt.“

Er stand nun so nah bei mir, dass meine Brust beim Luftholen seine berührte. Ich öffnete meinen Mund und fing an, schwer zu atmen.

Anthonys Blick glitt auf meine Lippen. Langsam ließ er seinen Daumen über sie gleiten und hinterließ dabei warme Funken, die mich erzittern ließen.

Er grinste wieder. Die Anspannung hatte er abgeworfen. Ich wollte mich bewegen, zwischen ihn und mir Abstand bringen – oder ihm noch näher kommen und die Zentimeter zwischen unseren Lippen überwinden – doch mit seiner Hand um mein Gesicht war ich in meiner Position bewegungslos. Ich konnte nichts weiter tun als ihn anzustarren.

Rund um seine Augen bildeten sich Lachfalten, als Anthony auflachte. „Wollen wir jetzt hinauf oder nicht?“

Mein Kopf bewegte sich von oben nach unten und wieder zurück wie von ganz alleine, als ob allein Anthonys Willenskraft mich dazu bringen würde.

„Na dann los! Ladys first.“

Langsam trat er von mir zurück und deutete lächelnd mit der Hand auf die Treppen des Eiffelturms. Je mehr Schritte er sich von mir entfernte, desto klarer würde ich im Kopf und mein Blick glitt von seinem muskulösen Arm über seine langen Finger zu der Stelle, an die er zeigte. Die Vorfreude kehrte wieder zurück. Mit ein paar flinken Sprüngen hüpfte ich über die hohe Absperrung. Kurz sah ich zurück bis ich Anthonys Grinsen erkennen konnte, dann raste ich die Stufen hinauf.

Die ersten vierzehn Treppenabschnitte waren schnell überwunden und dann befand ich mich auf der ersten Etage.

Innerhalb Millisekunden stand ich bereits am Rande der Plattform und blickte Freude strahlend über Paris. Innerhalb der nächsten Sekunden war ich schon am anderen Ende der Plattform und schaute mir die andere Seite der Stadt an.

Hinter mir räusperte sich Antony. Vor lauter Aufregung hatte ich ihn nicht einmal kommen hören. Vor dieser Aufregung konnte sich nicht mal mein Körper retten, denn meine Finger bebten vor Freude.

„Ähm, ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, dass es noch weiter hoch geht und wir hier noch nicht an der Spitze angekommen sind“, meinte er schmunzelnd. Obwohl ich ihn nicht sehen konnte, sah ich sein Lächeln vor meinem inneren Auge.

„Lass mir meine Vorfreude“, schnauzte in ihn an, meinen Blick aber weiter auf die Ferne gerichtet.

Anthony lachte und ich spürte, wie er mir näher kam. Angespannt, ich wusste nicht, ob vor Freude oder Angst, bewegte ich mich nicht, als seine linke Hand um meine Hüfte fuhr und ich plötzlich seinen Atem an meinen Hals fühlte und seine Stimme an meinem Ohr.

„Wir haben den Höhepunkt noch nicht erreicht, Mila“, raunte er. „Lass uns doch gemeinsam höher gehen.“

Blitze fuhren durch meinen Körper und sammelten sich dann alle gemeinsam in meinem Unterbauch, um ihn lustvoll zusammenziehen zu lassen. Mir entführt knapp ein Stöhnen und total unwillkürlich lehnte auch mein Kopf nach hinter bis er Anthonys Brust berührte. Ein sanfter Kuss direkt unter meinen Ohr erweckte mich aus der Trance, in der ich kurz gefangen gewesen war. An meinem Nacken fühlte ich Anthonys Lächeln.

„Komm mit“, flüsterte er und seine Lippen strichen kurz ein letztes Mal über meinen Nacken – ein Versprechen für mehr – , bevor er sich aufrichtete.

Seine warme Hand verließ meine Hüfte, ergriff aber sofort wieder meine verkrampften Finger und zog mich langsam wieder zur Treppe zurück. An den Stufen forderte er mich mit einer Bewegung wieder auf, vorzugehen.

„Alter vor Schönheit“, sagte er und zwinkerte mir keck zu.

Lächelnd biss ich mir auf die Unterlippe und sprang dann bereits los. Der Treppengang war nicht besonders breit, sodass ich aus Unaufmerksamkeit – als ich mit den Gedanken kurz wo ganz anders war – leicht mit dem Eisenkonstrukt kollidierte. Weder ich noch der Eiffelturm hatten großen Schaden angenommen, doch ich hörte weit hinter mir Anthony lachen. Mit brennendem Kopf erreichte ich die zweite Plattform und sprang bereits zu den nächsten Treppen, um noch schneller noch höher zu kommen. In meinem Kopf malte ich mir bereits die Titelseite der Zeitung morgen aus: „Randalierende Unbekannte werfen den Eiffelturm um.“ Denn wäre ich wirklich unvorteilhaft gegen die Eisenpyramide gelaufen, so wäre er tatsächlich im schlimmsten Fall aufgrund einer Kettenreaktion zusammengebrochen. Das wäre es gewesen mit meinem Trip nach Paris.

Endlich erreichte ich die letzte Etage. Strahlend drehte ich mich Richtung Treppe um und grinste Anthony an, der kurz nach mir die dritte Plattform erreichte.

„Wir sind oben“, flüsterte ich, zu mehr war mehr Stimme momentan nicht im Stande.

Anthony unterdrückte ein letztes Auflachen, dann lächelte er mich charmant an. „Noch nicht ganz.“

Irritiert wollte ich ihn fragen, was genau er damit meinte, während er gezielt auf eine weitere Treppe zuging, die ich völlig übersehen hatte.

„Dafür, dass du so viel Begeisterung dem Eiffelturm gegenüber hast, weißt du sehr wenig über ihn.“ Er grinste mich an. „Da oben gibt es noch eine Freiluftplattform.“

Mein Kopf wurde wieder sehr heiß und ich presste beschämt die Lippen aufeinander.

„Gut zu wissen“, meinte ich belustigt und folgte Anthony, der bereits hochgegangen war.

15.

 

Die Freiluftplattform war direkt über der dritten und der nächtliche, kalte Wind peitschte mir die Haare aus dem Pferdeschwanz ins Gesicht ehe ich mich gegen den Wind stellte und er mir wieder alle Haare nach hinten blies.

Anthony nahm meine Hand und zog mich vorwärts bis zu einer Bar. Mit einer lässigen Bewegung sprang er über den Tresen.

Ich lachte. „Witzig, dass in dieser Höhe Alkohol verkauft wird. Dürfen wir uns einfach etwas nehmen?“, fragte ich, als er einen sündhaft teuren Champagner unter dem Tresen hervorholte und ihn mit einem Plopp einfach öffnete und anfing, den Inhalt in zwei Gläser zu füllen.

Er schaute mich schelmisch an. „Madame“, setzte der Vampir mit einem französischen Akzent an. „‘eute dürfen wir alles machen, was uns in den Sinn kömmt.“

Ich lachte und steckte mir ein paar Haarsträhnen hinters Ohr.

„Und 'ier ist eure Champagner.“ Mir zuzwinkernd stellte er das Glas auf den Tresen. „Sie können übrigens zu mir rüber kömmen. Da drüben ist es windig und kalt – und 'ier bei mir ist es heiß.“ Mit hochgezogenem Mundwinkel ging er ein paar Schritte zurück und lehnte sich gezielt langsam nach hinten an die Wand. Er machte mir Platz; ein stille Aufforderung.

Nervös fing ich an, auf meiner Lippe zu kauen. Anthony bemerkte es und starrte dorthin bis ich mich dazu zwang, damit aufzuhören.

Verdammt, ich durfte die Kälte nicht verlassen, denn dieser Abstand zu Anthony brachte mich wenigstens dazu, nachzudenken über das, was ich tat, bevor ich es tat. Und ich wusste, wozu es führen würde, wenn ich zu ihm rüberkam. Es war ganz einfach, ich musste nur über den Tresen in seine Arme springen. Aber genauso einfach würde Clas dahinter kommen und mir den Kopf abreißen – dieser Arsch.

Wieso machte es uns Anthony absichtlich so schwer?

Ich nahm erst einen Schluck von dem Champagner. „Bist du sicher, dass ich dieses Zeug hier trinken kann?“ Ich schwenkte die prickelnde Flüssigkeit im Glas etwas hin und her. „Das letzte Mal, als ich Alkohol getrunken habe, war an deinem Geburtstag und du kannst dich sicherlich noch gut erinnern, wie das zu Ende gegangen ist.“ Ich lachte verkrampft, als ich feststellte, dass ich anfing über Dinge zu labern, die ich vielleicht lieber nicht ansprechen sollte.

Anthony grinste mich nur an. Gott sei Dank. „Keine Sorge, ein bisschen Champagner wirkt bei uns nicht so schnell und nicht so stark. Du hast damals wahrscheinlich einfach zu viel getrunken und dann haben deine Hormone den Rest getan.“

Ich schüttelte verwirrt den Kopf. „Was? Wieso Hormone?“

Er schmunzelte nur. „Du warst eigentlich noch relativ stabil gewesen, bis Lissy dich eifersüchtig gemacht hat. Dann hast du versucht, sie umzulegen.“ Anthony versteckte sein Grinsen, indem er einen Schluck vom Champagner nahm.

„Ach, ich hab gedacht, du wärst sauer wegen dem … Vorfall. Und jetzt amüsierst du dich darüber?“ Ich nahm ebenfalls einen Schluck. Es prickelte zwar in meiner Nase, doch als ich herausfinden wollte, ob es mir schmeckte oder nicht, wusste ich die Antwort nicht. Es war beinahe so wie mit der Schokolade. Vom Geschmack her schmeckte es für mich nach nichts Köstlichem, auch wenn ich den Alkohol und die anderen Substanzen darin rausschmecken konnte.

„Zurückblickend war es ja doch irgendwie süß von dir gewesen.“ Anthony grinste mich kurz an, dann schaute er auf den Boden.

Ich sog die kalte Luft ein. Süß. Ich hatte mich wie ein pubertierender Halbstarker benommen, der sich unbedingt hatte prügeln wollen. Entrüstet schnaubte ich. „So süß, dass man mich unbedingt mehrere Monate hungern lassen wollte?“

„Das waren die Konsequenzen, die Dummheit, ausgelöst von zu hohem Alkoholkonsum, mit sich ziehen.“ Tadelnd zeigte er mit dem Finger auf mich und zwinkerte mir erneut zu.

Ich presste lächelnd meine Lippen zusammen. „Wo wir bereits bei Dummheiten sind...“ Seinen Blick suchend schaute ich ihn ernst an. Er erwiderte ihn und der Radius seiner Pupillen wurde minimal größer. „Ich habe etwas vielleicht Dummes vor.“

Anthony zog kaum hörbar die Luft zwischen seinen Zähnen ein und seine Augen würden dunkler. Fast meinte ich zu glauben, ich hätte kurz seine Fangzähne ausfahren sehen.

Verdammt, er hat mich falsch verstanden.

„Also streng genommen will ich das seit meiner Kindheit und ähm… ja.“ Gleichzeitig, so wie ich es klarstellen wollte, so konnte ich mich nicht trauen, damit rauszurücken.

Seine Augen wurden wieder grün und er zog irritiert seine Stirn in Falten. „Was?“

„Ich will auf dem Eiffelturm klettern“, brach es aus mit heraus.

Perplex starrte er mich an. „Der Alkohol wirkt bei dir also doch schnell.“

„Das ist nicht witzig, ich meine es ernst.“ Das wäre wenigstens weniger halsbrecherisch als mit dir… Denk nicht daran, Mila!

„Darüber bin ich mir vollkommen im Klaren. Deswegen musst du wohl betrunken sein.“ Anthony hatte sich wieder gefangen und schmunzelte.

„Bin ich nicht!“, widersprach ich, dann schaute ich auf die helle Flüssigkeit in dem Glas und schwenkte das wenig übrig gebliebene erneut hin und her. Das Glas war voll gewesen und ich hatte es, ohne zu bemerken, sehr schnell leergetrunken – obwohl ich doch eigentlich immer nur kleine Schlucke zu mir genommen hatte. „Bin ich nicht“, wiederholte ich. Dann holte ich kurz Luft und formulierte jedes nächste Wort so präzise wie möglich. „Ich fand die Vorstellung nur schon immer witzig, auf dem Eiffelturm herumzuklettern.“

„Aha.“ Amüsiert schaute er mich an. „Na dann los. Wie stellst du es dir eigentlich vor?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich probiere es mal aus.“

In Lichtgeschwindigkeit rannte ich ein Mal um die Plattform, bis ich eine Öffnung oben im Eisengitter sehen konnte, durch das ich gerade noch hindurch passen würde – vorausgesetzt, ich könnte hoch genug springen. Und das konnte ich. Mit etwas Schwung war ich hoch gehüpft und bereits durch das Gitter geklettert.

Anthony erschien nur einen Augenblick zu spät unter mir. Erschrocken schaute er zu mir hoch.

„Ich habe gedacht, du verstehst, dass ich das als Scherz formuliert habe.“

Ich grinste und schaute weit über Paris. Es war so wunderschön bei Nacht.

„Bitte komm da wieder runter! Du könntest sterben!“ Verzweifelt suchte auch Anthony nach einer Masche, die groß genug war, durch die er kommen könnte, ohne sie zu zerstören. Doch seine Schultern waren einfach zu breit und das sah auch er ein.

„Wie kann ein Unsterblicher sterben?“, fragte ich ihn lachend.

Anthony schnaubte wütend. „Ganz einfach und zwar, wenn du unten in Millionen Stücke zerbrichst, sodass dein Körper sich gar nicht mehr zusammensetzen kann.“

Das war ein Argument, doch ich entschied mich trotzdem dagegen, runterzukommen.

„Wenigstens kann ich danach behaupten, dass ich auf dem Eiffelturm geklettert bin und zwar in …“ Ich schaute kurz in die Stadt hinunter und schätzte die Entfernung ab. „Und zwar in fast dreihundert Metern Höhe.“

Verzweifelt holte Anthony einen rasselnden Atemzug. „Bitte, Milana. Mila, Süße. Komm runter!“

Mir stockte kurz der Atem, als ich die Sorge in seiner Stimme hörte.

„Bitte! Mila, ich flehe dich an!“

Ich fühlte mich wie an zwei Wägen gespannt, von denen jedes in die entgegengesetzte Richtung zog. Doch ich konnte einfach nicht widerstehen.

„Okay“, flüsterte ich. Anthonys Schultern entspannten sich. Und ehe er es sich versah, sprang ich bereits ein Meter weiter nach oben. „Aber erst in einer Minute.“

Anthony zischte einen Fluch und griff sich aggressiv in die Haare. „Mila“, knurrte er.

„Oder auch in zwei Minuten“, murmelte ich leise, aber war mir sicher, dass er mich trotzdem gehört hatte.

Ich griff mir der rechten Hand nach dem kalten Eisen weit über mir. Doch sobald ich es ergriff, rutschte ich wieder ab, da meine Handfläche zu glatt war.

„Shit!“

Unter mir hörte ich Anthony wieder fluchen.

„Mila, komm verdammt nochmal runter!“

Mittlerweile hörte ich ihn schon nicht mehr, da mein Gehirn es geschafft hatte, ihn fürs erste auszublenden.

Super, vielen Dank auch, Hirn. Anthony zu vergessen wäre mir in vielen anderen Situation auch nützlich gewesen. Aber nett, dass du dich auch mal wieder meldest.

Und wie es sich meldete. Ich schaute nach unten, wo Anthony war und verzweifelt nach einem Weg suchte, wie er zu mir rauskommen könnte, ohne dabei das Gitter zu zerstören. Mein Blick glitt weiter zu der Stelle, wo das Eisengitter endete und mein Vernunftzentrum meldete Gefahr. Oh je, war mir das Glas Champagner wirklich schon so zu Kopf gestiegen?

Die Energie und Lebenskraft, die heiß durch meine Adern pulsierte, hielt mich davon ab, umzukehren. Stattdessen fing ich an, dumm zu grinsen.

„Keine Sorge, Anthony“, rief ich, da auf einmal der Wind hier oben so laut heulte, dass ich mir darüber Sorgen machte, ob er mich hören würde. „Wenn ich zufällig doch ausrutsche und falle, dann fängt mich das Netz auf.“

Ich tastete das Eisen nochmal mit meiner Hand ab, doch ich glitt einfach daran ab – als hätte ich Wollhandschuhe an.

„Wenn du fällst und auf das Netz landest, dann bleibst du nicht darin liegen, sondern rollst einfach weiter, verdammt, und dann knallst du gegen tausende von Stahlkörper, bis du tot auf dem Boden zu weiteren tausend Teilen zersplitterst!“, brüllte er hoch. „Also komm, bitte, sofort da runter!“

Ich tat nichts dergleichen, auch wenn mich ein Schauder erfasst hatte, da Anthony nicht ganz im Unrecht war. Stattdessen probierte ich den Haft meiner Schuhe am Metall aus, der Dank der Sohle nicht zu beklagen war.

Wenn ich vielleicht meine Finger in den Balken vergraben würde…

Nein, das würde mich einerseits zu viel Kraft Kosten und andererseits wollte ich so nicht den Eiffelturm zerstören.

Ich spürte, wie Anthony mühelos den Abstand zwischen dem Boden und dem Eisengitter überwand und sich langsam hochzog.

„Wag es nicht, mich zu verfolgen und davon abzuhalten, hier herumzuklettern!“, drohte ich ihm von oben. „Du weißt, ich werde nur unachtsam, wenn ich versuchen werde, von dir wegzulaufen. Dann bist im Umkehrschluss du daran Schuld, dass ich sterben werde.“

Wütend ließ er sich laut wieder auf die Plattform fallen. „Himmel, Mila, das weiß ich doch. Wenn ich das nicht wüsste, wäre ich bereits vor einer Minute oben gewesen!“ Schnaubend fasste er sich noch ein Mal an den Kopf und fing an, hin und her zu laufen.

Zwischen meiner Hand und dem Eisen fehlte einfach die Reibung, ich glitt fiel zu leicht davon ab.

„BIT-TE. Milana. Tu mir das nicht an!“

Eine Idee entwickelte sich in meinem Kopf und ich spuckte meine Hand an, um den Speichel etwas zwischen meinen Fingern zu verteilen. Dann rieb ich über den Eiffelturm. Et voilà, auf einmal entstand genug Reibung, dass ich mich gut genug am Eisen festhalten konnte.

„Da sieht man mal, wozu Schwitzen beim Menschen gut ist“, murmelte ich lächelnd und spuckte mir in beide Hände, ehe ich es verrieb und mich daran machte, endlich da hochzuklettern.

„Guck, ich habe eine Möglichkeit gefunden, da hochzuklettern und mich am Wahrzeichen von Paris zu verewigen“, rief ich lachend.

Unten glaubte ich ihn knurren zu hören. „Du bewirkst mit dem Gift in deinem Speichel eher eine schnellere Erosion“, zischte er, dann atmete er tief durch. „Gott, Mila, bitte komm herunter. Wenn du dich schon nicht um dein eigenes Leben sorgst, dann denk wenigstens daran, dass ich zwar dafür gesorgt habe, dass alle Kameras dich nicht aufnehmen können, aber dass man eine Person auf der Spitze des Eiffelturms trotzdem gut von unten sehen kann! Außerdem sind da oben Antennen, die du stören könntest und das würde auf dich aufmerksam machen!“

Ich schnaubte. „Dir fällt auch nichts anderes mehr ein, um mich runterzulocken.“

„Milana, bitte! Ich mache mir Sorgen um dich!“

Die offensichtliche Verzweiflung in seiner Stimme ließ mich in meinen Kletterbewegungen innehalten. Augenblicklich fühlte ich mich schlecht deswegen. Ich schaute nach unten und erhaschte einen Blick auf Anthony, der mit Angst verzogenem Gesicht zu mir hoch starrte. In seinen Augen herrschte wirklich Angst. Angst um mich.

„Ich werde nicht ganz nach oben klettern. Nur noch ein Stück. Und lange bleibe ich auch nicht oben“, meinte ich ernst und suchte dabei seinen Blick, doch bevor er mir ganz in die Augen sehen konnte, wandte er sich ab. „Versprochen.“

16.

 

Ich hörte nur, wie er geräuschvoll ausatmete und sah, wie er sich wieder durch die Haare fuhr, ehe erneut eine starke Böe mich dazu zwang, das Eisen fester zu ergreifen. Sobald sie größtenteils abgeklungen war, zog ich mich wieder hoch.

Stück für Stück kam ich voran bis ich die horizontale Linie erreichte, die ich mir als Ziel gesetzt hatte. Zitternd vor Aufregung setzte ich mich auf den Balken und bewundere die Aussicht. In mir pulsierte das Adrenalin, doch auch Erschöpfung machte sich zunehmend breit. Glücklich erkannte ich die Gebäude wieder, an denen ich heute vorbeigerauscht war, auf der Suche nach einem Mörder, der sich gar nicht mehr in Paris aufhielt. Doch ich fühlte mich nicht mehr schlecht deswegen, dass wir ihn nicht gefunden hatten. Im Gegenteil hatte ich alles gegeben und es tat gut, Gutes getan oder wenigstens versucht zu haben.

Paris und all seine Lichter bei Nacht waren wunderschön. Und ich saß hoch oben im Eiffelturm, wo bisher garantiert kein Mensch gesessen ist, und hatte das Privileg, mir diese Schönheit anzusehen. Ganz weit hinter dem Horizont sah ich sogar langsam das Sonnenlicht – mit menschlichem Auge nicht wahrnehmbar, doch ich konnte die Farben sehen.

Das Geräusch, das Anthony von sich gegeben hatte, während er hin und her gelaufen war, hörte auf. Meine Augen glitten von der Stadt und richteten sich nach unten zu ihm. Er schaute zu mir hinauf und atmete tief durch.

Ich nahm das als Startsignal, um langsam wieder hinunterzuklettern. Ich hatte ihn lange genug unten alleine zurückgelassen.

Runter ging es viel schneller als hinauf, wobei ich auch ständig Angst hatte, dass ich womöglich noch ausrutschen könnte. Doch ich hatte meinen Gleichgewichtssinn gefunden und war beinahe schon in vampirischer Geschwindigkeit am Eisengitter angekommen.

„Bitte nicht zu schnell. Lieber langsam und vorsichtig“, meinte Anthony unten angespannt. „Bitte. Pass auf!“

Und so ließ ich mich langsam und vorsichtig durch die größere Öffnung des Gitters fallen, wobei ich mich fragte, wie ich da vorhin hindurch gekommen war, da ich kaum wieder durch das Loch zurück passte. Meine Motivation war wohl besonders groß gewesen, als ich hindurch nach oben geklettert war.

Ich lies mich fallen und landete nicht auf dem Boden, sondern in Anthonys Armen, als er mich auffing. Mein Körper landete etwas zu hart an seinem, doch sobald er mich in seinem Griff hatte, entspannte er die Umklammerung und lies mich langsam an seinem Körper hinabgleiten, bis ich mit meinem Gesicht direkt vor seinem war. Meine Zehen berührten kaum den Boden.

Lange starrte er mir in die Augen und ich war nicht nur körperlich in eine Starre gefallen. Auch in meinem Kopf bewegte sich nichts, als ich Anthony ebenfalls in die Augen schaute und mein Blick dann weiter runter auf seine Lippen glitt, die nur Millimeter von meinen getrennt waren. Und ich konnte an nichts anderes mehr denken, als diesen Abstand zu überwinden.

Die Muskeln seiner Arme ließen noch lockerer. Ich konnte wieder mit meinen Sohlen auf dem Boden stehen. Doch der Abstand zwischen uns hatte sich kaum verringert.

„Du machst mich wahnsinnig, Milana“, hauchte er. Tief in meinem Inneren zog sich mein Körper zusammen. Meine Augen konnten sich währenddessen nicht entscheiden, ob sie lieber in Anthonys dunkle Augen blicken oder auf seine verführerischen und erfahrenen Lippen starren wollten.

Langsam fuhren seine angespannten Hände, die an meinem Rücken lagen, immer weiter nach oben. Seine heißen Berührungen lösten bei mir weiche Knie aus – als ob ich unter seinem Einfluss schmelzen würde.

„Wegen dir bekomme ich noch graue Haare“, murmelte er und ich lächelte, als auch seine Mundwinkel sich hoben.

Die muskulösen Arme glitten wieder hinunter und während die eine Hand an meiner Hüfte landete und mich dann noch näher an ihn zog, strich die andere Hand bereits über meinen Arm, um dann sanft mein Gesicht zu umfassen. Ich erschauderte erregt, als sein Daumen langsam über meine Lippen strich, und schloss die Augen. Gefühle, die ich mit aller Mühe unterdrückt hatte, rauschten in Wellen über mich und ich hielt mich um Halt suchend an Anthonys Shirt fest.

„Ich weiß nicht, was du mit mir, meinem Körper und meinen Gefühlen machst.“ Sein Griff um meinen Körper wurde stärker, lies jedoch gleich darauf wieder nach. Ich öffnete flatternd die Augen. „Aber ich kann nicht mehr ohne dich. Ich brauche dich.“ Seine Stimme, die ohnehin nur ein Hauch war, brach.

Mit wackligen Knien holte ich tief Luft, doch die Anspannung lies nicht nach, nachdem ich ausgeatmet hatte.

„Milana“, setzte er an, doch stockte. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er presste angespannt seine Lippen zusammen.

„Ja?“ Auch meine Stimme war sehr schwach, sodass sie drohte zu brechen.

Anthony schnaubte. „Das machst du verdammt nochmal nie wieder!“ Seine Hand glitt von meinem Gesicht und rutschte hinunter zu meiner Taille. Der minimalen Abstand, den er dabei zwischen uns gebracht hatte – unabsichtlich oder auch nicht – schleuderte mich wieder in die kalte Realität. Ich entspannte den Griff um sein Shirt, hatte jedoch immer noch nicht genug Platz, um meine Hände von seiner breiten Brust zu schieben.

„Ich bin hier unten fast vor Sorge gestorben.“ Er schloss die Augen und legte stöhnend seinen Kopf zurück. „Nie wieder, okay?“, fragte er diesmal sanfter und ruhiger, als seine Hand wieder meine Wange streichelte.

Ich konnte seine Unruhe und Besorgnis in seinen dunklen, grünen Augen sehen. Ihn wieder so nah an meinem Körper zu spüren, brachte die Wärme in mir wieder zurück.

Bevor ich einfach nicken würde, nur um ihn damit glücklich zu machen, hielt ich einen Moment inne, um mich erst wieder daran zu erinnern, worum er mich gebeten hatte. Dabei strich ich gedankenverloren mit meinen Fingern über seine Brust, sodass sich seine Muskeln unter ihnen verspannten und er schwer atmend auf meine Hände hinunterblickte.

Ich schaute lächelnd zu ihm hoch. „Nie wieder?“ Ein Grinsen stahl sich an die Oberfläche. „Kann ich nicht versprechen. Es hat dafür zu viel Spaß gemacht.“

Anthony schnaubte mit leicht hochgezogenem Mundwinkel. „Bitte.“ Die kleinen Lachfalten um seine Augen verschwanden. „Ich werde es nicht erneut überleben, wenn ich mir solche Sorgen um dich machen muss“, sagte er vollkommen ernst.

Mit angehaltenem Atem brachte ich mein „Okay“ kaum heraus. Es glich eher einem Aufkeuchen als einem Wort.

Doch Anthony war damit immer noch nicht zufrieden. „Versprich es mir.“ Der Ausdruck in seinem Gesicht nahm einen völlig verzweifelten an, der Druck seiner Hand an meinem Gesicht wurde stärker.

„Warum?“, flüsterte ich. Ich fühlte, wie mir die Tränen kamen, auch wenn ich nicht genau definieren konnte, weswegen. Es war, als hätte ich in mir eine regelrechte Gefühlsüberschwemmung, die ein Ventil nach außen suchte. Ich zitterte und fast bildete ich mir ein, es kam von der Kälte an den Stellen, an denen Anthony mich nicht berührte und mir seine Wärme schenkte.

„Weil … verdammt!“, brachte er heraus. Seine Hand strich immer wieder meine Wange entlang. „Weil ich es niemals ertragen könnte, wenn dir je etwas geschehen würde. Du bist mir viel wichtiger, als ich es mir selbst bin.“

Mein Brustkorb hatte aufgehört, sich zu bewegen, da meine Atmung sich eingestellt hatte. In meinen Bewegungen vollkommen erstarrt blickte ich in Anthonys Gesicht, dass immer noch verzweifelt verzerrt war.

Rasselnd atmete ich aus. „Anthony...“

„Ja?“ Sein Griff um meine Taille würde wieder stärker und ich wurde an ihn gedrückt.

Ich wollte nur die Falten an seiner Stirn glätten und endlich seine Lippen auf meinen spüren, doch eine dunkle Wolke lies sich zu erkennen geben, obwohl sie schon die ganze Zeit dagewesen war.

Ich flüsterte, den Tränen ganz nahe. „Aber Clas ...“

Es war, als erwachte Anthony wie aus einem Traum in der finsteren Realität. Seine Sorgenfalten verschoben sich, doch dann schüttelte er den Kopf und erwiderte mit fester Stimme: „Scheiß auf den Kerl. Scheiß auf Clas!“

Ich schüttelte verzweifelt den Kopf, während die ersten Tränen bereits über mein Gesicht liefen. Ich hasste es, dass dieser Kerl so ein Idiot war, der die Gefahr unterschätzte. Die Gefahr, die Clas werden würde, sobald wir wirklich unseren Gefühlen freien Lauf ließen. Ich hasste es, was er damit mit mir anrichtete und er tat dies wieder und wieder. Doch ich konnte keinen Laut herausbringen, mir strömten nur weiterhin die Tränen über meine Wangen auf Anthonys Hand, der sie immer wieder verzweifelt versuchte, wegzuwischen.

„Nein, bitte, hör auf zu weinen, Süße.“ Immer wieder strichen seine Finger die neuen Tränen weg, bis ich meine großen Augen von seinen wandte und mein Gesicht in seinem Shirt versteckte.

„Ich hasse das, was du mir dadurch immer antust, ich hasse das!“, heulte ich in seine Brust hinein. Nun wurde auch Anthony verzweifelt, seine Hände strichen immer wieder meinen Rücken auf und ab.

„Ich werde das alles mit Clas klären, ich werde mit ihm reden!“, versprach er und seine Hand hob mein Gesicht zu sich an. „Ich werde alles mögliche tun, damit das mit uns möglich wird.“ Seine Augen sahen mich durchdringlich an. „Wir werden das schaffen.“

Ich schüttelte nur meinen Kopf, weil ich wusste, Anthony würde das niemals schaffen – stattdessen würde er sich dadurch noch umbringen. Immer mehr Tränen quollen aus meinen Augen über. Es würde niemals funktionieren.

„Doch.“ Anthony zog mich näher an sich, als seine Lippen meine trafen. In mir explodierte ein Feuerwerk. Ich schmeckte meine eigenen Tränen in dem Kuss, die erst jetzt nach und nach versiegten. Verzweifelt zog ich ihn an mich, um noch mehr von ihm zu spüren. Hitze breitete sich in mir aus.

Wir waren bereits mit diesem Kuss dem Tode geweiht, also spielte es ab jetzt keine Rolle mehr, wie weit wir nun kommen würden. Es zählte nur noch das Jetzt – und jetzt brauchte ich ihn.

„Ach, wie seid ihr beiden doch putzig!“

Die Stimme lies uns erschrocken auseinander fahren. Mit Besuch hatten wir beide nicht gerechnet.

 

17.

 

Ich zuckte zusammen und drehte mich entsetzt um. Weder ich noch Anthony hatten mitgekriegt, wie ein Vampir hier zu uns hoch gekommen war, zu sehr hatten wir uns auf der Welle der Gefühle verloren. Ich riskierte kurz einen Blick auf Anthony, der genauso entgeistert und verwirrt geradeaus starrte, wie ich. Seine Haare standen nun offensichtlich nicht absichtlich chaotisch von seinem Kopf ab.

Man hatte uns erwischt. Oh nein.

Der Vampir hatte dunkles, schulterlanges Haar, das er sich hinter die Ohren schob, während er uns schelmisch angrinste. In dem grauen Hemd und seinen verwaschenen Jeans, in die er lässig seine Hände gesteckt hatte, stand er breitbeinig da und sah damit aus wie ein durchschnittlicher Mensch. Nur die Blässe seiner Haut und die nun langsam dunkler werdende Iris hätten ihn vor menschlichen Augen als Vampir enttarnt.

Im Bruchteil einer Millisekunde gesellte sich ein hochgewachsener, blonder Vampir zu ihm. Ich fühlte und hörte unter mir auf der Treppe noch einen anderen hoch kommen. Kaum einen Augenblick später stand dann auch der letzte und dritte im Bunde auf der Plattform. Zusammen bildeten sie eine Formation und blockierten den Weg nach unten.

Verdammt, man hat uns erwischt!, schoss mir nochmal die Erkenntnis durch den Kopf und langsam sickerten mir auch die Folgen des Kusses zwischen Anthony und mir in mein Hirn ein.

Panisch trat ich einige Schritte zurück, während ich mir die nassen Tränen vom Gesicht grob wegwischte.

Man würde uns töten. Clas hatte mich ausdrücklich davor gewarnt. Anthony hatte mir versprochen, das klären zu können, doch daraus würde jetzt nichts mehr werden. Denn es war zu spät.

Viel zu angespannt, als dass mir neue Tränen fließen konnten, packte ich Anthonys Arm und zog ihn hastig zu mir nach hinten. Er tat nur einige Schritte rückwärts, blieb dann jedoch standhaft stehen. Tief holte er Luft und baute sich auf, wodurch er nun viel größer, stärker wirkte.

Aufgrund meiner heftigen Reaktion schmunzelten die drei Vampire. Der blonde sogar zwinkerte mir zu, als er meinen ängstlichen Blick auf sich bemerkte, und lachte daraufhin los.

Gerade holte der dritte mit den braunen Haaren und der krummen Nase Luft, um etwas zu sagen, da unterbrach Anthony ihn bereits vor seinem ersten Wort.

„Was wollt ihr hier?“, knurrte er. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und sein Shirt aufgrund seinen angespannten Brustmuskeln kurz vor dem Zerreißen.

Was sie hier wollen? Ist das nicht offensichtlich?

Ich packte Anthony hinten am Shirt, um ihn näher an mich zu ziehen. Widerwillig gab er nach.

„Sie wollen uns umbringen, verdammt!“, flüsterte ich ihm hysterisch zu. Meine Stimme war so leise, dass nur Anthony mich hören konnte. Die Vampire könnten höchstens versuchen, es an meinen Lippen abzulesen. „Lass uns sofort wegrennen!“

Irritiert riskierte er einen Blick zu mir nach hinten. „Wir wissen noch nicht, ob sie uns umbringen wollen.“

„Wissen wir übrigens auch noch nicht, ob wir euch umbringen wollen“, erwiderte derjenige mit den langen Haaren, der Anthony wohl gehört haben musste.

Ich schüttelte mit dem Kopf. Er log. Sie würden uns sicher umbringen, da Clas es ihnen befohlen hatte.

Verzweifelt zerrte ich Anthony weiterhin am Arm, doch er bewegte sich nicht von der Stelle. „Sie werden uns umbringen“, krächzte ich.

Energisch drehte er sich zu mir um. „Warum zur Hölle glaubst du, sie werden uns umbringen?“, fragte er wütend und verwirrt.

Meine Hand zitterte als ich sie von Anthony nahm. Schon wieder spürte ich, dass ich den Tränen nahe war. „Weil Clas es mir versprochen hat. Er hat mir gedroht, dass …“ Meine Stimme brach.

In Anthony legte sich ein Schalter um und auf einmal verstand er, worüber ich mir die ganze Zeit Sorgen gemacht hatte. Sein Gesicht verzog sich verständnisvoll, jedoch blieb sein Kiefer angespannt.

„Milana“, presste er hervor. Zwar stand er mit dem Rücken zu den Vampiren, die sich sichtlich über die Respektlosigkeit aufregten, weil er sich einfach umgedreht hatte, aber Anthonys Konzentration lag trotzdem auf ihnen. „Diese Vampire sind nicht von Clas …“ Damit drehte er sich wieder um.

Verwirrt starrte ich seinen Hinterkopf an. Der starke Wind, der für uns ungünstig blies, da unser Geruch zu den Vampire geblasen wurde, wir aber sie gar nicht riechen konnten, wehte mir immer wieder neue Haare nach vorne.

Wir gehören garantiert niemandem“, erklärte der mit der krummen Nase säuerlich. „Ich heiße schließlich nur Oliver und nicht Oliver Rey, also gehört keiner von uns zu eurer Familie, die ihre eigenen Artgenossen abschlachtet.“ Die letzten Worte fauchte er nur noch.

Ich verstand gar nichts mehr. Wenn sie gar nicht zu Clas Leuten gehörten, wer waren sie dann? Mein Kopf drehte sich.

„Ich bezweifle, dass ihr hier erwünscht seid“, knurrte Oliver. „Immer wenn ihr kommt, sterben entweder viele von uns oder es kommt zu einem Regierungswechsel in der Stadt. Und ihr wisst, wie diese immer aussehen?“

Vor lauter Kopfschmerzen und von all der Irritation zog ich meine Stirn in Falten. Nein, ich wusste nicht, wie sie aussahen.

Oliver verdrehte die Augen, als ob es von Anfang an klar gewesen wäre, dass ich das nicht wissen würde. „Es ist schrecklich. Steht der Ranghöchste auf einer wackeligen Position, weil ihr Leute abschlachtet, dann wird er augenblicklich gestürzt. Die Ältesten und Stärksten kämpfen dann gegeneinander um die Macht, jeder kämpft gegen jeden. Köpfe rollen, tausende. Es ist das wahre Grauen. Um das ganze mal knapp zusammenzufassen.“

Mich schauderte es.

„Also macht, dass ihr verschwindet“, raunte er bedrohlich. „Wir kommen auch gut ohne euch klar.“

Langsam endlich verstand ich, wer vor uns stehen musste. Wir hatten den ganzen Tag nach dem Mörder der jungen Frau gesucht und nun standen sie höchstwahrscheinlich vor uns. Ich konnte sie immer noch nicht riechen, dafür wehte der Wind einfach zu stark in die falsche Richtung, aber einer von ihnen musste es gewesen sein. Und ich wettete darauf, dass Oliver der Täter war. Wieso denn sonst würde er vor den Reys Angst haben müssen?

„Keine Sorge“, antwortete Anthony so ruhig und höflich wie möglich. Doch seine Augen waren noch immer vor Wut zusammengekniffen. „Wir werden bald wieder gehen. Wir hatten nie vor gehabt, euch in eurem Leben irgendwie zu stören.“

„Das bezweifle ich“, knurrte derjenige mit den langen, dunklen Haaren und knurrte Anthony an. Er knurrte zurück und zusammen begannen sie ein Blickduell.

Verstand Anthony denn nicht, wer vor uns stand? Wir hatten sie endlich gefunden – sie hatten uns gefunden – und jetzt sagte er, wir gehen?

„Hör mit diesem Blödsinn auf, Anthony!“, brüllte ich plötzlich. „Weißt du denn nicht, wer sie sind?“

Alle Augen waren auf einmal auf mich gerichtet.

Wütend starrte ich Oliver und seine beiden Freunde an. „Wie sollen wir euch nicht abschlachten, wie du so schön sagst, wenn ihr genau dasselbe mit den Menschen tut?“

Olivers Augenbrauen sanken nach unten und er starrte mich mit einem zornigen Blick an. Der Blonde neben ihm knurrte. „Wir töten keine Menschen.“

Ich glaubte ihm nicht. „Ach ja? Dann wer zur Hölle hat diese arme junge Frau misshandelt und aufgeschlitzt?“, brüllte ich. „Wieso sonst seid ihr hier?“ Ich starrte jedem der drei Vampire schnaubend in die Augen, allen nacheinander. „Seid ihr gekommen, um euch eurer Strafe zu stellen?“

„Nein“, knurrte erneut der Blonde. Wutentbrannt versuchte er mich zu Boden zu starren, trat sogar bedrohlich einige Schritte vor.

Er war riesig – über einen Meter neunzig groß, und auch wenn er nicht besonders breit gebaut war, so war er doch offensichtlich stark und muskulös. Fast wäre ich einen Schritt zurück gewichen. Doch stattdessen trat ich trotzig einen Schritt nach vorne.

„Milana“, drohte Anthony. Warnend hielt er eine Hand vor meinen Körper, lies mich so den Vampiren keinen weiteren Schritt näher kommen. Ich schnaubte nur.

„Wir töten keine Menschen“, wiederholte Blondie.

Ich schnaubte erneut. Anthonys Hand drückte mich nach hinten, als ich vortrat.

„Jean-Luc sagt die Wahrheit“, äußerte sich Oliver, seine Wut zurückdrängend. Seine Augen hingen an dem Blonden, der knapp davor war, auf mich loszuspringen. „Es macht uns aggressiv, wenn ihr so etwas behauptet.“ Sein Atem ging stoßweise.

„Warum wohl? Vielleicht deswegen, weil es stimmt?“, flüsterte ich provozierend. Der Wind heulte hier oben zu laut, sie hatten mich nicht gehört – aber sie hatten es von meinen Lippen gelesen.

Blondie, Jean-Luc, trat einen weiteren Schritt vor und wirkte auf einmal noch größer.

„Milana“, drohte Anthony erneut. In dem Moment, in dem Jean-Luc und ich uns niederstarrten, packte er meinen Arm und zog mich widerwillig einige Schritte nach hinten.

„Es handelt sich hier alle um ein Missverständnis“, sagte er zu den dreien. „Wir werden gleich wieder gehen.“

„Das glaube ich nicht mehr“, meinte ich Jean-Luc leise knurren zu hören.

Anthony rüttelte angespannt an meinem Arm, den er schmerzhaft festhielt. „Hör auf damit! Sie sind es nicht!“

Ich versuchte, meinen Arm freizukriegen, doch es gelang mir nicht. Meine Wut staute sich auf. Den ganzen Tag bereits drückte sich Anthony vor dem Auftrag und jetzt, wo wir endlich die Mörder gefunden hatten, da drückte er sich?

Mit einem Aufknurren stieß ich Anthony hart genug weg, damit er mich losließ, dann stampfte ich auf den blonden Vamp zu, der mir ebenfalls entgegenkam. Wir blieben gleichzeitig einen Meter voneinander stehen, als sich Oliver zwischen uns stellte. Als Jean-Luc knurrte, knurrte auch ich.

Trotz des Windes konnte ich Oliver aufgrund des geringen Abstands riechen. Er war es nicht gewesen.

„Ihr Mörder“, zischte ich ihn und seinen blonden Kumpanen an. Jean-Luc musste es gewesen sein.

Oliver fletschte mit den Zähnen. „Wir waren es nicht!“, brüllte er. „Keiner von uns ist es gewesen! Ich war vor allen Menschen an dem Tatort und habe den verdammten Geruch aufgeschnappt! Kein einheimischer Vampir ist es gewesen!“

Ich knurrte. „Lügner!“

Seine Hand zuckte nach vorne, doch weder ich noch er bewegten uns von der Stelle. Hinter mir fühlte ich, wie Anthony mir den Rücken stärkte, doch auch er bewegte sich nicht zu viel, um die anderen Vampire nicht zu provozieren.

„Wir sind es nicht gewesen, verdammt!“, rief er aufbrausend. „Es war einer von außerhalb gewesen und wenn ich mich nicht irre, dann hat er nach dem Staub eurer lausigen Burg gestunken, in der ihr König spielt!“

Ich atmete entsetzt auf. Er log. Ich – oder wenigstens Anthony – hätte es gewusst, falls dem so wäre. Die Reys töteten keine Menschen so brutal und öffentlich.

Zufriedengestellt, mich so stehengelassen zu haben, drehte mir Oliver provokant den Rücken zu und ging wieder zurück. Nun konnte ich wieder Jean-Luc sehen, da Oliver weggetreten war. Blondie musste der Mörder sein, ich konnte es in seinen eisblauen Augen sehen. Und seine verdammten Freunde deckten ihn.

Wütend starrte ich den großen, blonden Vampir vor mir an. „Ihr verdammten, lügenden, mordenden Arschlöcher.“

Mit Jean-Lucs Angriff hatte ich gerechnet – ich hatte ihn absichtlich gereizt. Mit aufgerissenen, angespannten Pranken sprang er auf mich zu. Ich war darauf vorbereitet, ich wollte die Konfrontation.

Mit einem Schlag von hinten wurde ich zur Seite geschleudert, ehe ich mit dem großen Vampir kollidieren konnte. Jean-Luc landete auf dem knurrenden Anthony und zusammen fielen sie sich raufend auf den Boden.

Ich hatte nicht mal einen Augenblick, um mich zu orientieren, da stürzte sich bereits der Vampir mit den schulterlangen Haaren auf mich. Da ich auf dem Boden lag, hatte ich in der kurzen Zeit keinerlei Ausweichmöglichkeiten. Also legte ich mich schnellstmöglich in Abwehrposition. Sein erster Schlag war auf meinen Kopf gerichtet, doch den wehrte ich erfolgreich mit meinen Armen ab. Daniel wäre stolz auf mich gewesen. Doch dies hier war kein Training und ich musste plötzlich die nächsten Schläge abwehren, denen das menschliche Auge kaum folgen würde. Ich war im Nachteil, denn ich lag unten, während er über mir thronte. Mit einem überraschenden Schlag mit dem Ellenbogen ins Gesicht, den ich nicht schnell genug hatte abwehren können, setzte mein Kopf für die nächsten Momente aus. Ich konnte nichts sehen, nichts riechen, als er die nächsten Schläge ins Gesicht verteilte. Dann war mehrere Sekunden lang alles schwarz. Ich bildete mir fast schon ein, ich würde schlafen, als mich heftige Schmerzen wieder zu Bewusstsein zwangen.

 

Fortsetzung

 

Das Buch ist noch nicht zu Ende. 

Es kommen regelmäßig Fortsetzungen.

 

 

Danke fürs Lesen. Und viel Spaß beim weiteren Lesen, wenn dir es bis hierhin gefallen hat.

 

Wenn du wissen willst, wie es weiter geht, kannst du meiner Gruppe beitreten oder mich einfach direkt anschreiben. :)

Link zur Gruppe: http://www.bookrix.de/_group-de-elyn-s-buecher-1/

 

Über ein ehrliches Feedback würde ich mich außerdem auch freuen ^-^

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.02.2016

Alle Rechte vorbehalten

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