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Prolog

Ich hasste mein Leben. Ich hasste alles. Nur Emelie nicht.Denn sie war es gewesen, die mich zum lachen brachte. Die mir gezeigt hatte, wie schön das Leben ist.
Das Haus brannte lichterloh. Gleich würde ich hinein rennen. Ich würde die Tür hinter mir abschließen und sterben. Alles schien perfekt. Was ich nicht gewusst hatte, nicht gewollt hatte, war, dass Emelie sich zwischen mich und meinen Plan stellen würde.



1. Kapitel



>>Stellen Sie sich das Haus noch einmal vor.<<
>>Das tue ich ja!<<
>>Was empfinden Sie, wenn Sie es deutlich vor sich sehen?<<, fragt mich Mr. Fine. Er sieht mich durchdringend an. So, als hätte ich es ihm noch nie erzählt. Als wäre alles neu für ihn.
>>Ich habe dieses Haus schon immer gehasst. Aber das wissen Sie bereits. Was wollen sie denn noch?<<, ich bin angespannt.
Seit meine Mutter mich zu diesem Psychologen geschickt hat, bin ich nervös. Überall. Zu jeder Zeit. Eine Woche bin ich jetzt schon in Therapie. Ich sei aggressiv, hat Mr. Fine meinen Eltern erzählt. Ich hätte keine Freude, keine Hobbys. Nichts. Aber das stimmt nicht. Ich würde keiner Fliege was zu Leide tun. Und Freude, oh ja, die habe ich. Wenn ich Mr. Fine erzähle, ich würde dieses Haus hassen. Ich lüge. Alles, was ich ihm erzählt habe, ist eine Lüge. Das lustigste daran ist, dass er es nicht merkt. Er denkt, meine Eltern würden mich vernachlässigen, denkt, ich hätte keine Freunde.
>>Warum? Ich weiß, Sie haben mir erzählt, dass es Sie an Ihren verstorbenen Großvater erinnert, aber, Tom, deswegen zündet man doch kein Haus an<<, er schien besorgt.
Nein, wäre es das Haus meines Großvaters, würde ich es wahrscheinlich wirklich hassen. Aber ich mag dieses Haus. Sehr sogar. Und mein Großvater ist auch nicht tot.
>>Ich...ich musste es einfach tun. Diese ganzen Erinnerungen. Ich hatte gedacht, dass wenn ich alles verbrenne, kann ich mich auch nicht mehr so klar daran erinnern.<<
Und plötzlich sah ich diese Bilder wieder vor mir. Emelie. Sie schrie und starrte in die Flammen, die das Haus vor uns verbargen. Ich umarmte sie. Sie war alles für mich. Das einzige, was ich liebte. Sie fing an zu weinen. Ihr Körper bebte unter meinen Armen. Ich ließ sie los und rannte in die Flammen.
>>Aber warum sind Sie dann in das Feuer gerannt?<<, sein Blick durchbohrte mich.
Was brachte diese Frage noch? Es war passiert. Man konnte es nicht mehr rückgängig machen. Ich würde mein Leben lang mit meinem Gewissen kämpfen.
Ich sah ihr Gesicht vor mir. Verschwommen. Ich würde sie nie wieder sehen. Sie war tot.


Ich machte einen Zug nach dem anderen. Tauchte meinen Kopf in das kühle Wasser, kam hoch und holte Luft. Immer wieder. Ich schwamm seit über einer Stunde die Bahn Nummer 8 hin und zurück. Am Anfang hatte ich mir das Gespräch mit Mr. Fine wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen. Auf seine letzte Frage hatte er keine Antwort bekommen. Die kleine, grüne Uhr an der Wand hatte geklickt und ich war aufgestanden und hatte gesagt, die Stunde sei um. Ich war gegangen und auf dem Weg hierher sah ich Emelies Gesicht vor mir. Ich sah es als ich mich umzog und auch, als ich meine ersten Bahnen schwamm. Doch mit der Zeit flogen meine Gedanken fort. Sie lösten sich auf und das einzige, das blieb, war ich, wie ich durch das Wasser schwamm.
Am Ende der Bahn stieg ich aus dem Wasser. Ich ging duschen und als ich wieder angezogen war, lief ich durch den Park nach Hause. Mittlerweile war es Herbst geworden und braune Blätter bedeckten den Boden. Hier und da kamen mir Leute entgegen. Sie alle trugen Mäntel, Schals und Handschuhe. Nur ich nicht. Ich trug T-Shirt und Shorts. Seit diesem Sommer hatte ich nichts anderes mehr angehabt. Meine Haare waren nass und ich denke ich zitterte. Das tat ich häufig, nur das ich es erst dann merkte, wenn man es mir sagte. Was war daran auch so merkwürdig? Ich hatte ein Menschenleben auf meinem Gewissen.
Ich lief durch die kleinen Straßen und stand schließlich vor unserem Haus. Es war weiß und wurde von dunklen Holzbalken gestützt. Im Vorgarten stand eine kleine Hollywoodschaukel. Sie wurde von Löwenzahn umwuchert und auf ihr lag ein rotes Kissen. Ich ging durch das niedrige Tor auf einem schmalen Pfad aus Steintafeln zur Haustür und klopfte. Für einen Moment herrschte eine drückende Stille, als plötzlich die Haustür aufgerissen wurde. Meine Mutter sah mich erschrocken an. Dann warf sie sich auf mich und umarmte mich stürmisch. Sie rief etwas ins Haus und wenig später erschien auch mein Vater in der Tür. Doch ich hatte genug. Ich ging an meinen Eltern vorbei in den dunklen Flur und die Treppe hinauf in mein Zimmer. Seit einer Woche hatte ich es nicht mehr gesehen und das vertraute barg auch etwas bedrohliches. Das Zimmer lag direkt unter dem Dach und so neigte sich der eine Teil der Decke zum Boden. Unter der Dachschräge stand mein Bett. Es war mit weißer Bettwäsche bezogen und man sah ihm an, dass hier schon lange niemand mehr geschlafen hat. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben dem Fenster und sah hinaus. Wie immer saß in dem Kirschbaum vor mir eine kleine Amsel und zwitscherte ihr Lied. Ich blickte nach unten und sah meine Eltern zwischen den Tomaten stehen. Meine Mutter gestikulierte wild mit ihren Armen und mein Vater hielt sie an den Schultern fest. Sie stritten. Das taten so ziemlich jeden Tag. Ich blickte auf und sah über die vielen, kleinen Häuser. Feine, weiße Flocken fielen aus den dunklen Wolken in unsere Straße und auf die Dächer. Der Winter kam erstaunlich früh.

Mein Kopf fiel gegen das kühle Glas der Fenster. Ich schlug meine Augen auf: Es war stockdunkel, nur der Mond ließ schmale Schatten über den frischen Schnee huschen. Ich stand auf und sah mich nach meinem Wecker um. Fünf Uhr morgens. Ich hatte ausgeschlafen. Seid drei Monaten hatte ich endlich wieder ausgeschlafen.
Langsam stieg ich die Treppe hinab. An der Wand hingen Bilder. Bilder von mir, wie ich älter wurde. Am untersten Ende der Treppe hingen Fotos, auf denen ich knapp ein Jahr alt war und je höher man stieg, desto größer wurde auch ich. Als ich an ihnen vorbei ging, warf ich einen Blick auf einzelne. Ich mit Philipp neben mir. Ich mit Schultüte. Ich in Badehose und einem winzigen Planschbecken für Babys.
Der Weg, den ich einschlug, führte erst geradeaus und bog dann scharf nach links ab. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und zerrte mit seinen eisigen Krallen an meinen Haaren. Ich schlang meine Arme um mich.
Nun führte der Weg nicht mehr an Häusern, sondern an einem großen Feld vorbei. Es roch nach Weizen und frischem Gras, obwohl dieses schon längst von Laub bedeckt worden war. Langsam ging der Weg in die Straße über. In der Ferne sah man schon die Wipfel des Waldes und als ich mich umdrehte, lag der äußerste Rand der Vorstadt weit hinter mir. Ein kleiner Pfad bog nach rechts ins Feld und ich folgte ihm.
Endlich lichteten sich die Halme und ich stand vor einer weiten Wiese. In deren Mitte stand ein kleines Haus. Es war rot und hatte eine hölzerne Terrasse. Ich ging um das Haus herum und erschrak. Ein klaffendes Loch bot den Anblick in den beschaulichen Wohnraum. Rußspuren verdeckten die eigentlich sonnengelben Wände. Ich stieg über einen Haufen Schutt und sah mich im Haus um. Nichts fehlte. Die karierten Sessel standen dort, wo sie immer standen und selbst die Gardienen hatte niemand abgenommen. Ich fragte mich, ob überhaupt jemand etwas von dem Brand erfahren hatte. Ich blickte auf den Boden und mir wurde bewusst, dass wahrscheinlich jeder hier wusste. Eine metallene Tafel war in den Boden eingelassen und auf ihr stand in weißer Schrift: Das Leben ist wie ein Feuer. Mal lodert es auf. Mal besteht es nur aus einem winziegen Funken. Bei Emelie ist dieses Feuer erloschen. In Würde und Ansehen soll sie nun ruhen!



Impressum

Texte: Alle Illustrationen und der gesamte Inhalt sind persönliches Eigentum und dürfen nicht verwendet werden.
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meinem Ethiklehrer Herrn Gauger, in dessen Unterricht ich immer schreibe.

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