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Noch ein perfekter Mord

 

„Und das macht dir wirklich nichts aus?“, fragte Gerd vorsichtshalber noch einmal nach.

„Nein, überhaupt nicht! Wenn ich´s Dir doch sage“, versicherte ihm Hermann und lächelte. „Was soll denn das Problem sein? Das Bett steht doch da.“

„Naja, ich dachte nur, weil es doch damals so unglücklich gelaufen ist ...“, rief Gerd in Erinnerung.

 

„Unglücklich gelaufen“ war eine vornehme Umschreibung für die Geschmacklosigkeit, die ihm Gerd damals zugemutet hatte! Erst hatte er ihn mit den tollsten Versprechungen in sein Haus nach Thailand gelockt, das sich vor Ort als Baustelle herausstellte, deren wenige fertig gestellten Zimmer er mit seiner jungen Familie selbst bewohnte, während er ihn in einem Verschlag untergebracht hatte, wo ihn die Mücken und allerlei anderes Getier schier auffraßen. Dann hatte ihn Gerd mit Aufgaben betraut, die überhaupt nicht in sein Fachgebiet fielen und am Ende hatte er ihn gänzlich um seine Bezahlung geprellt, die er nicht mal einklagen konnte, weil der Auftrag unter Freunden mit Handschlag erteilt worden war und alles über eine von Gerds zahlreichen „Wegwerf-Firmen“ lief, die zwei Wochen später sowieso nicht mehr existierte. Dafür hatte er sich zahlreiche Tropenkrankheiten zugezogen, an denen er noch lange laborierte und die ihn schon damals um ein Haar das Leben gekostet hätten. Noch heute hatte er einen besonders hartnäckigen Parasiten im Körper, den er von dort offenbar mitgebracht und der es sich in seiner linken Schulter gemütlich hatte.

 

Und plötzlich stand Gerd wieder vor der Tür und bat um Quartier, weil er sein Haus in Deutschland seinerzeit aufgegeben hatte, aber jetzt seinen alten Röntgenarzt besuchen wollte, da seine Knochen nicht mehr richtig mitmachten. Erst erwog er, Gerd kommentarlos mit dem Gummiknüppel vom Hof zu prügeln, aber vielleicht war dessen Erscheinen ja ein Wink des Himmels und darum bat er ihn auf einen Kaffee herein und begann ein harmloses Gespräch.

„Was verschafft mir denn die unverhoffte Ehre? Gar nicht in Thailand?“

„Neee - da bin ich schon lange nicht mehr. Ich hab recht bald nach der Geschichte damals in Dubai Fuß gefasst und betreibe da seither ein gut gehendes Ingenieurbüro.“

„Jaja - in dem du meine Methoden verhökerst, du Schweinehund!“, dachte Hermann still bei sich, sagte aber nichts und nickte nur.

„... aber jetzt wollen die Knochen nicht mehr so richtig und ich muss mal wieder meinen alten Knochendoktor besuchen, weil der meine neuen Thorax-Aufnahmen mit seinen alten vergleichen kann“, fuhr Gerd unbekümmert fort.

„Jaja, kein Problem. Hast Du schon einen Termin?“, wollte er wissen.

„Ja, gleich Morgen früh. Hab ihn vorhin aus dem Auto angerufen“, plapperte Gerd unbekümmert weiter.

„Das ist ja überschaubar! Dann richte dich mal häuslich ein. Das Gästezimmer kennst du ja noch.“

„Ja, klar. Du - total nett von dir übrigens ...“

„Kein Problem! Ist doch alles da“, beschwichtigte er Gerd und dachte sich im Stillen, dass dessen Laden in Dubai wohl doch nicht so gut lief, wie behauptet, wenn er sich hier in Deutschland kein Hotelzimmer leisten konnte. Allerdings war Gerd schon immer ein notorischer Schnorrer gewesen und es war nicht ausgeschlossen, dass er zuhause trotzdem fürstliche Reisekostenspesen abrechnen würde, die in seiner eigenen Tasche landen würden. Gerd war und blieb halt ein kleiner Gauner. Und ein gefährlicher dazu, denn dass er sich zufällig mit dem Parasiten infiziert hatte, war keinesfalls sicher. Viel wahrscheinlicher war ein gewisses „Kosteninteresse“ daran, dass der Geschäftspartner stirbt, nachdem er sein Wissen preisgegeben hatte.

 

„Ach so …“, hub Gerd plötzlich an. „Kannst du mich bitte im Laufe des Nachmittags nach Kleinenkirchen fahren? Da wohnt eine Studienkollegin von mir. Die will ich bei der Gelegenheit mal besuchen.“

Hermann grinste, als er an Gerds „Studienkolleginnen“ dachte. Er hatte zahlreiche „Studienkolleginnen“ im ganzen Bundesgebiet, die seltsamerweise alle wesentlich jünger waren als er und bei denen sich der Nachmittagstee im allgemeinen bis zum nächsten Morgen hinzog.

„Ahhh … verstehe! Dann muss ich mit dem Abendessen wohl nicht auf dich warten?“, mutmaßte er.

„Nein, nein! Mach dir nur keine Umstände. Sie bringt mich auch zurück“, ließ Gerd wissen.

„Verstehe! Na denn man viel Spaß.“

Als er Gerd an der Kirche im Nachbarort Kleinenkirchen abgesetzt hatte, wo er seine Süße treffen wollte, schüttelte er im Stillen nur den Kopf, weil er an Gerds junge, hübsche Frau dachte, die er in Thailand zurückgelassen hatte und die sich dort um sein Kind kümmerte. Naja, das mussten die Beiden schließlich unter sich ausmachen. Das ging ihn Alles nichts an und das war jetzt auch nicht mehr wichtig, denn Gerds Zahltag rückte näher.

 

Wieder zuhause ging Hermann unverzüglich ans Werk und suchte aus seinem verstaubten Elektronik-Krempel die alte Röntgenröhre heraus, die er vor vielen Jahren bei der Werksauflösung, durch die er den Grundstock seines Labors erwarb, an sich genommen hatte. Als sie entstaubt war, machte sie sogar einen recht ordentlichen Eindruck, obwohl sie natürlich Gebrauchsspuren aufwies. Sie war einst das Herzstück einer zerstörungsfreien Werkstoffprüfeinrichtung gewesen und hatte Schweißnähte mit harter Röntgenstrahlung durchstrahlt. Die Anschlüsse des Netzteils zeigten zumindest primärseitig noch elektrischen Durchgang, was hoffen ließ, dass sich die Röhre noch einmal zu einem letzten Einsatz überreden ließ, obwohl Abschirmung und Kühleinrichtung längst nicht mehr vorhanden waren.

Er schloss die Röhre korrekt an und holte aus seinem Labor Stativmaterial und eine Glasplatte, die mit einer Fluoreszenzschicht beschichtet war. Dann fixierte er die Röhre am Stativ, lehnte die Platte gegenüber an ein Regalbrett, verließ den Schuppen und stellte sich vor der Wand so auf, dass er die Fluoreszenzplatte sehen konnte, zwischen der Röhre und seinem Körper aber die dicke Ziegelwand und ein Regal mit Maschinenteilen war. Dann betätigte er kurz den Schalter.

Die Fluoreszenzplatte flammte in einem gespenstischen, hellgrünen Licht hell auf, solange der Strom floss und erlosch dann wieder, wie ein Spuk. Er lächelte befriedigt. Die Röhre hatte die ganzen Jahre unten in seiner Wühlkiste offenbar nicht übel genommen!

Dann nahm er den Aufbau wieder auseinander und räumte das Hilfsmaterial sorgfältig weg. Die Röhre aber klemmte er in die Polsterfedern unter einem Stuhl im Wohnzimmer, fixierte sie sorgfältig mit Kabelbindern und führte das Stromkabel zur nächsten Steckdose, das zwischen den ganzen Antennen- und Lautsprecherkabeln auf der Erde gar nicht auffiel. Dann ging er zum Sicherungskasten, suchte den FI-Schalter, mit dem die Steckdose abgesichert war und legte den Hebel um. Nachdem er sich mit einem Spannungsprüfer vergewissert hatte, dass der Stromkreis auch wirklich unterbrochen war, steckte er den Stecker ein, bereitete sich in der Küche fröhlich pfeifend sein Abendbrot zu und ließ den Abend mit einem schlechten Film aus der Konserve ausklingen.

 

In den frühen Morgenstunden rappelte es schließlich an der Hoftür. Offenbar war Gerd von seiner „Studienkollegin“ gerade an die Luft gesetzt und heimgefahren worden. Er hörte, wie Gerd eine Dusche nahm und dann leise das Haus verließ.

Er räkelte sich, gähnte herzhaft und stand auf. Als Gerd wenige Minuten später mit einer großen Tüte Brötchen zurückkehrte, röchelte die Kaffeemaschine bereits in den letzten Zügen und er stellte gerade die Zutaten für das Frühstück auf den Tisch.

„Aaaach … das sieht ja lecker aus!“, begeisterte sich Gerd, nahm Platz und langte kräftig zu.

„Ich hol mal den Kaffee, der sollte jetzt durch sein“, sagte Hermann und erhob sich.

„Ja, gerne! Für mich bitte nur mit etwas Milch“, meinte Gerd und widmete sich wieder seinem Brötchen.

Auf dem Weg in die Küche hielt Hermann kurz am Zählerkasten an, legte den Schalter um und zählte langsam bis zehn, bis er den Stromkreis wieder trennte und die Kaffeekanne aus der Küche holte.

„Das Ding muss mal wieder entkalkt werden, damit es nicht solange braucht“, informierte er Gerd, als er die Stube wieder betrat. Dort war ein leichter Geruch nach Ozon und heißem Isoliermaterial wahrnehmbar, aber Gerd schien nichts zu bemerken, streckte ihm nur seinen Becher entgegen und sie setzten ihr gemeinsames Frühstück fort.

 

„Oh Mensch! Jetzt wird’s aber auch Zeit!“ sagte Gerd irgendwann und sprang auf.

„Na, denn mal los!“, ermutigte ihn Hermann und ermahnte ihn scherzhaft: „Blieb nicht zu lange vor der Röhre stehen, sonst kriegst du leuchtende Augen.“

„Jaja!“, rief Gerd noch im Rausgehen. „Bis nachher!“

Als sein Freund aus dem Gartentor war, nahm Hermann seinen letzten Schluck Kaffee, entfernte die Röhre unter dem Stuhl und brachte sie wieder in den Schuppen, wo er sie in seine Elektronik-Wühlkiste zurücklegte. Dann räumte er den Frühstückstisch fröhlich pfeifend ab und spülte das Geschirr.

 

Das Martinshorn näherte sich von der Autobahn her, fegte mit einem Affenzahn am Haus vorbei und hielt vor der Röntgenpraxis. Hermann schaute kurz aus dem Küchenfenster und trocknete weiter ab, wobei er weiter fröhlich vor sich hin pfiff. Ein paar Minuten später fuhr der Rettungswagen mit Karacho wieder Richtung Kreiskrankenhaus.

Als er in der Küche fertig war, begab er sich in sein Labor, mischte Calciumphosphat und Holzkohle in einem Mörser, gab das Gemenge in ein schwer schmelzbares Reagenzglas, setzte einen Stopfen mit Glasrohr darauf und erhitze das Reagenzglas kräftig über dem Bunsenbrenner. Als das Gemenge gelb glühte, stieg daraus ein heller Rauch auf, der sich zum größten Teil im aufgesetzten Glasrohr niederschlug und dort einen weißlich-gelben Belag von elementarem Phosphor bildete. Als der Ansatz abgekühlt war, nahm er das Glasrohr ab, zog etwas Schwefelkohlenstoff in eine Spritze auf, spülte den Phosphor damit aus dem Rohr und sammelte die Lösung in einem kleinen Gläschen, das er gut verschraubte und beiseite stellte.

Dann packte er seine Badetasche und verbrachte den Tag gut gelaunt am Strand. Gerd war nicht zurück gekommen, aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Die Praxis seines Arztes war offenbar geschlossen worden. An der Tür klebte ein amtliches Siegel und der Eingang war mit Flatterband abgesperrt.

 

Am Abend brutzelte er sich ein leckeres Menü und erhob dazu ein gutes Glas Wein mit den Worten: „Auf dein ganz Spezielles, mein alter Freund! Mögest du in der Hölle schmoren und Scheiße schippen bis zum jüngsten Tag - Skål!“

Später in der Nacht, als es in den Straßen ruhig geworden und die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet worden war, ging er nochmal in sein Labor, zog die Phosphor-Lösung, die er früher am Tage bereitet hatte, in einer Einmalspritze mit einem kleinen Hahn auf und steckte sie vorsichtig in die Tasche. Dann begab er sich zur abgesperrten Röntgenpraxis und trat vor das Fenster des Behandlungszimmers, das zu einer kleinen Seitengasse schaute. Dort bohrte er mit einem feinen Bohrer ein kleines Loch in eine der Entwässerungsöffnungen im Rahmen, dessen Material das scharfe Werkzeug wenige Augenblicke später durchdrungen hatte. Dann führte er die Kanüle durch das kleine Loch, öffnete den Hahn und spritze die Lösung durch kräftigen Druck auf den Kolben weit in das Behandlungszimmer.

Als er kurz darauf wieder in seinem Wohnzimmer saß und sich einen Film anschaute, hörte er, wie sich von Ferne Feuerwehrsirenen näherten. Beim Blick aus dem Fenster nahm er Feuerschein war und konnte erkennen, dass die Röntgenpraxis lichterloh brannte.

 

„Ich kann mir das beim besten Willen nicht erklären, meine Herren!“, versicherte der nicht mehr ganz junge Dr. Müller dem Assistenten des Kommissars und wischte sich zum wiederholten Male den Schweiß von der Stirnglatze.

„Hol´ uns uns mal drei Kaffee, Hauser!“, sagte Kommissar Kaspar und betrachtete den Verhörten. Der war leichenblass, zitterte ein wenig und hing nur noch in seinem Anzug. Kaspar betrachtete ihn einen Moment mit gerunzelter Stirn, als Dr. Müller leise: „So was!“, murmelte und dabei den Kopf schüttelte.

„Wie bitte?“, hakte der Kommissar nach.

„So was!“, wiederholte Dr. Müller. „Und das nach fast vierzig Berufsjahren!“, und schüttelte wieder bestürzt den Kopf.

Kommissar Kaspar zündete sich eine neue Zigarette an und versuchte sich ein Bild von der ganzen Angelegenheit zu machen. Dr. Müller erzählte ihnen jetzt seit Stunden immer die exakt gleiche Geschichte, die ebenso wahr zu sein schien, wie sie unspektakulär war: sein Patient Gerd Ahrens hatte sich pünktlich zum vereinbarten Termin in seiner Praxis vorgestellt und eine Röntgenaufnahme von seinem Thorax machen lassen, wie schon etliche Male zuvor. Dabei war er ohne ersichtlichen Grund plötzlich zusammengebrochen und zeigte lebensbedrohendes Versagen der Vital-Funktionen, worauf er seinen Patienten mit einen Rettungswagen unverzüglich auf die nächste Intensivstation schaffen ließ. Dort stellte man die typischen Symptome einer schweren Strahlenkrankheit fest und veranlasste die sofortige Schließung der Röntgenpraxis.

Außer, dass Gerd Ahrens seit vielen Jahren Dr. Müllers Patient war, konnten keine Berührungspunkte zwischen den Beiden festgestellt werden. Ein Motiv oder irgendein anderes Indiz für ein vorsätzliches Tötungsdeliktes waren damit nicht erkennbar. Es schien sich tatsächlich um ein simples technisches Versagen des Röntgengerätes zu handeln, obwohl Dr. Müller wiederholt versicherte, alle Wartungsvorschriften des Gerätes stets eingehalten zu haben. Ob hier ein Unfall oder Fahrlässigkeit vorlag, musste die Überprüfung des Röntgengerätes und der Wartungsprotokolle zeigen.

In diesem Moment kam Hauser mit dem Kaffee zurück, verteilte die Papp-Becher auf dem Tisch und sagte zu seinem Chef: „Kann ich dich mal einen Moment sprechen?“

„Ja, klar!“, entgegnete der und folgte ihm vor die Tür. „Was ist denn los?“

„Die Feuerwehr hat uns gerade mitgeteilt, dass die Praxis vom Müller lichterloh brennt!“

„Ach du Schande! Das wird der technischen Kommission die Arbeit aber nicht sehr erleichtern!“, stellte Kaspar bestürzt fest. Die technische Kommission des Strahlenschutzes hatte sich für den kommenden Morgen in der geschlossenen Praxis angesagt, um das fraglichen Röntgengerätes zu überprüfen.

„Tja, das ist wirklich zu dumm!“, pflichtete ihm Hauser bei. „Aber eine Verschleierungsmaßnahme von Dr. Müller kann es wohl kaum sein. Ein besseres Alibi als er kann man ja nicht haben.“

„Stimmt! Er war die ganze Zeit bei uns und seine Frau, die ihm in der Praxis hilft, hat im Nebenraum auf ihn gewartet“, resümierte der Kommissar, bevor sie Beide wieder in den Verhörraum gingen.

„Herr Dr. Müller“, hub Kommissar Kaspar an, als er sich setzte. „Ich fürchte, ich habe noch eine schlechte Nachricht für Sie ...“

 

Am nächsten Morgen waren die ehemaligen Praxisräume nur noch rauchende Höhlen, in denen ein paar Spurensicherer in weißen Einmal-Overalls ´rumstocherten und Proben nahmen.

„Wozu ist das eigentlich gut?“, fragte Hermann Stahl einen der Ermittler, der eine Pause machte und am Rand des Tatortes eine Zigarette rauchte.

„Wenn irgendwas ohne ersichtlichen Grund anfängt zu brennen, kann Brandstiftung nie ausgeschlossen werden“, erklärte ihm der Spezialist mit wichtiger Miene. „Wenn dabei Brandbeschleuniger, also irgendeine brennbare Flüssigkeit verwendet wird, bleiben immer Reste davon im Brandschutt zurück. Die lösen wir dann im Labor mit Schwefelkohlenstoff heraus und identifizieren sie mit empfindlichen Methoden. Dabei finden wir ALLES!“, berühmte er sich. „Ob Benzin oder Flüssiggas, Spiritus, Kaltreiniger oder was-auch-immer. Wir finden ALLES.“

„Beeindruckend!“, sagte er und wiegte anerkennend den Kopf. „Na denn - viel Erfolg!“

„Jaja - werden wir haben!“, äußerte der Andere zuversichtlich, nahm einen letzten Zug, warf seine Kippe dann weg und begab sich wieder in den Schutt.

Er lächelte still vor sich hin und setzte seinen Weg zur Polizeiwache fort, wo er Gerd als vermisst meldete.

 

„Und es kann nicht sein, dass er eine weitere „Studienkollegin“ besucht hat, erkundigte sich der diensthabende Beamte, nachdem er ihm den Ablauf von Gerds Besuch geschildert hatte.

„Glaub ich nicht! Dann hätte er mir doch was gesagt. Er wollte nur seinen Arzttermin wahrnehmen und hätte am Nachmittag eigentlich den Zug zu seinem Rückflug erreichen müssen. Und seine ganzen Sachen stehen auch noch bei mir.“

Der Beamte runzelte die Stirn, sagte: „Augenblick!“, und verließ kurz den Raum. Als er zurück kam fragte er: „Ihr Bekannter heißt Gerd Ahrens, sagten Sie?“

„Ganz Recht!“, bestätigte er und nickte.

„Gestern ist ein Gerd Ahrens in der Röntgenpraxis von Dr. Müller zusammengebrochen und letzte Nacht im Kreiskrankenhaus verstorben. Kann das ihr Bekannter sein?“

„Das wollen wir mal nicht hoffen, aber es klingt ganz danach!“, gab sich Hermann bestürzt.

„Hat ihr Bekannter Verwandte in Deutschland, die ihn identifizieren könnten?“

„Glaub ich nicht. Er ist seit Ewigkeiten geschieden und lebt schon lange im Ausland. Ich wüsste nicht, wen ich da benennen sollte. Aber wenn ich Ihnen vielleicht weiter helfen kann ...“

„Das können Sie in der Tat. Falls wir keine Anverwandten finden, sind wir auf ihr Zeugnis angewiesen.“

 

Eine Stunde später betrat Hermann die Pathologie des Kreiskrankenhauses und bestätigte die Identität des vermissten Gerd Ahrens, der bleich und tot auf der Bahre lag.

„Woran ist er denn gestorben?“, fragte er. „Als er das Haus verließ, war er doch noch ganz munter.“

„Dazu darf ich Ihnen keine Details sagen, weil noch ermittelt wird“, informierte ihn die Beamtin, die ihn begleitete. „Aber es gab wohl eine Fehlfunktion des Röntgengerätes, was nach dem Brand gestern Nacht aber natürlich schwer zu sagen ist.“

„Ach du Schande!“, rief Hermann aus. „Strahlenüberdosis etwa? DAS ist ja auch kein schöner Tod!“

„Nein, das war GANZ bestimmt kein schöner Tod!“, bestätigte der ebenfalls anwesende Pathologe und zog das Laken wieder über Gerds totes Gesicht.

 

Zwei Tage darauf klopfte es an der Tür. Als er öffnete, standen zwei Polizeibeamte vor der Tür.

„Guten Tag, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?“, begrüßte er sie freundlich.

„Wir wollen die Habe des verstorbenen Herrn Ahrens abholen“, sagte einer der Beamten.

„Ja, dann kommen Sie mal rein. Ich hab seine Sachen schon alle zusammen gepackt“, womit er auf zwei gepackte Taschen im Flur deutete. „Hat sich was Neues zum Ablauf der Tragödie ergeben?“

„Soweit sich das nach dem Brand noch sagen ließ, war wohl schlicht das Röntgengerät defekt. War zwar tadellos gewartet, aber eben nicht mehr das Jüngste. Erst hat es mit einer viel zu hohen Strahlendosis den bedauernswerten Herrn Ahrens umgebracht und später in der Nacht auch noch den Brand durch eine elektrische Fehlfunktion verursacht. Wenigstens sind dabei keine weiteren Menschen zu Schaden gekommen und die Praxis war gut versichert.“

„Tragisch!“, meinte er nur.

„Ja! Kann man wohl sagen“, bestätigte der Beamte. „Typische Verkettung unglücklicher Umstände. Ist das Alles?“, und deutete auf die beiden Taschen.

„Ja! Mehr hab ich nicht gefunden. War ja nur eine kurze Visite.“

„Alles klar! Denn nochmal vielen Dank für ihre Kooperation.“

„Doa nich füa, meine Herren - tschüß!“

„Tschüß!“

 

Als er die Tür hinter den beiden Beamten geschlossen hatte, lud er die Kaffeemaschine, besorgte sich einen großen Eisbecher aus dem Supermarkt gegenüber und löffelte ihn genüsslich in der Sonne sitzend zum Kaffee. Er würde den Tag mit einer ganz entspannten Radtour ausklingen lassen, die ihn wie zufällig an der Müllkippe vor der Stadt vorbei führen würde. Dort würden die alte Röntgenröhre, die Spritze und das kleine Glasfläschchen im hohen Bogen auf den großen Haufen fliegen und für alle Zeit unauffindbar sein.

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Tag der Veröffentlichung: 08.03.2015

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