,,Du musst in die Menschenwelt reisen."
Dieser eine Satz lässt das Blut in meinen Adern gefrieren und ich kann nicht anders, als regungslos dazustehen. Mein ganzes Leben lang bin ich schon eine Wächterin unseres Königs. Darauf setze ich mein ganzes Leben. Ich habe täglich Kampftraining genommen, meine Tarnfähigkeiten spezialisiert und gelernt, wie ich aus den verschiedensten Kräutern Heiltränke mische. Freunde hatte ich noch nie. Oft habe ich andere Feen dabei beobachtet, wie sie gemeinsam auf der Wiese spielten oder eine Reise in die Hauptstadt unseres Reiches unternahmen. Aber ich hatte noch nie das Bedürfnis solchen Tätigkeiten nachzugehen. Mir wurde mein ganzes Leben lang gesagt, ich hätte ein besonderes Talent zum Kämpfen. Und ich akzeptiere es. Mit der Zeit merkte ich, dass mir das tägliche Training mit jedem vergehenden Tag mehr Spaß machte.
Doch jetzt, wo unser Reich sich mitten im Krieg befindet, wurde ich von unserem König auserwählt, eine äußerst wichtige Aufgabe zu erledigen.
,,Alari. Da du unserem Reich schon immer treu ergeben warst, möchte ich dich mit einer sehr wichtigen und geheimen Aufgabe beauftragen. Aber bevor ich sie dir erzähle, musst du mir einen Treueschwur leisten." - so beginnt der König, gleich nachdem ich den prächtigen Palastsaal betrete.
Ich fühle mich geehrt, da nur wenige Feen in ihrem Leben die Erlaubnis bekommen, den Saal zu betreten, oder gar den König zu treffen. Es ist riesig, mindestens zwanzigmal so groß wie mein Zimmer im Flur der Wächter, das nur mit einem Bett, einem Tisch, zwei Stühlen, einem Kleiderschrank und einem kleinen Badeabteil versehen ist. Im Königssaal dagegen sieht man die wundervollsten Lampen, ausgeschmückt mit Diamanten und Smaragden bester Qualität, riesige Steinsäulen, weite Fenster mit feuerroten Baldachimvorhängen und was dem ganzen Raum die Atmosphäre verleiht, ist der Thron gegenüber dem Eingang. Wie ich es noch damals in der Akademie für Wächter gelernt habe, wird nach dem Tod des Königs für den Nachfolger ein Thron angefertigt, ausschließlich aus reinem Gold. Während ich über solche Sachen nachgrübele, bereiten Diener das Ritual des Treueschwurs vor. Dabei muss ich mit ehrlichen Worten das Versprechen aussprechen und dann eines von den vorbereiteten Gegenständen auswählen. Die sind dafür da, mich mit dem Tod zu bestrafen, sobald ich den Schwur breche. Bei einem Buch, zum Beispiel würde passieren, dass es einen so fesselt, dass derjenige vergisst zu essen und zu trinken, und somit sich langsam ins Reich der Toten begibt. Es sind natürlich nur Dinge. Das einzige, das es ihnen ermöglicht, so eine "Tat" zu begehen ist der Zauber, mit dem sie von den mächtigsten Zauberern unseres Landes belegt wurden. In so einer Situation wählen die dümmeren Feen den harmlosesten Gegenstand, weil sie denken, so würde ihnen der Tod nicht widerfahren, falls sie den Treueeid brechen sollten. Doch das ist völliger Unsinn. Einer Legende nach, die ich noch als Kind erzählt bekam, wurde jemand von einem Ring getötet. Eine Kräuterfee, die sich nur damit beschäftigte kräftigende und heilende Tränke für unsere Krieger zu brauen, wollte einen Lebensverlängerungstrank für sich behalten, obwohl dies verboten ist. Nur die ältesten Weisen dürfen diese Tränke kosten, damit sie dem nächsten König weiterhin mit Rat beistehen können. Beim Brauen fiel ihr der Ring in den Brautopf, und als sie es trank, starb sie sofort, nachdem sie den Ring verschluckte. Dies ist einer unserer ältesten Legenden, die einen dazu ermahnt, nie einen Treueschwur zu brechen.
Weil ich dem Reich als Wächterin schon immer treu dienen musste, kenne ich solche Eide schon. Also spreche ich die Worte des Schwurs:
,,Im Namen des Reiches, des Königs und der Weisen verspreche ich hiermit, meinen Schwur zu halten und Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen"Nach diesen Worten trete ich vor und prüfe die Gegenstände, die mir zur Auswahl vorlegen. Ich kann mich entscheiden zwischen:
- Einem Buch: wahrscheinlich wäre die Wahl der meisten darauf gefallen, aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die vor gefährlicheren Dingen zurückschrecken
- Einer Öllampe: falls man nicht zu den Koboldfeen gehört, die in den dunklen Bergen leben,hat man keinen Nutzen davon
- Einem Messer mit präzise geschnitzter Klinge: die meisten würden davor zurückschrecken,aber ich erkenne einen großen Nutzen drin
Also trete ich vor und nehme mir das Messer. Die Halterung ist geschmückt mit Saphirsteinen und besteht aus Hartmetall. Aber die Klinge, die so scharf ist, wie ich es noch nie bei einem gewöhnlichen Kampfmesser gesehen habe, interessiert mich viel eher.
„Die Wahl ist gefallen! Jetzt erzähle ich dir was zu tun ist." - dröhnt die tiefe Stimme des Königs durch den Saal.
„Du musst in die Menschenwelt reisen. Ich möchte, dass du jemanden findest und sein Vertrauen gewinnst, damit er mit dir ins Feenreich zurückkehrt. Die Einzelheiten wird ein Diener dir vorbeibringen, noch bevor du abreisen wirst. Fang an, dich vorzubereiten. Du darfst jetzt gehen." - nickt er mir zu, und ich verbeuge mich ohne ein Wort und verlasse den Saal. Das habe ich nicht erwartet. Normalerweise ist es verboten für Feen, die Menschenwelt zu betreten. Und ich weiß auch nicht was mich dort erwarten wird. Aber mir wurde antrainiert, in jeder Situation klar zu denken. Somit packe ich meine wichtigsten Sachen in eine Umhängetasche und mache mich bereit für die Reise.
„Das Portal ist geöffnet. Sie können durchgehen.“ – ruft mir einer der für das Portal zuständigen Wächter zu.
Durch dieses Portal werde ich in eine mir fremde Welt gelangen, und noch obendrauf muss ich das Vertrauen von einer unbekannten, mir völlig fremden Person gewinnen. Inzwischen weiß ich auch, dass derjenige Luke McLeod heißt und in einem Reich namens England wohnt. In den Stunden vor der Abreise stelle ich noch Nachforschungen dazu an, wie man mit Menschen in Kontakt kommt. Nachdem ich dazu das Wichtigste durchgelesen habe, stelle ich mir drei Hauptregeln auf:
1. Ich muss lächeln. Laut den Büchern muss ich dabei beide Mundwinkel etwas anheben.
2. Höflich und nett sein.
3. Freundlich schauen.
Ich mache mir Sorgen darum, ob ich die Richtige für diesen Auftrag bin. Gelächelt habe ich das letzte Mal als Kind, soweit ich mich erinnern kann. Beim Kampftraining gab es nichts zu lachen und mit Freunden konnte ich mich auch nicht amüsieren. Punkt zwei kommt mir am leichtesten vor, weil ich so erzogen wurde, immer zu jedem und allen höflich zu sein. Bei Punkt drei bin ich mir wieder einmal unsicher. Wie schaue ich denn? Niemand hat mir jemals gesagt, dass ich einen freundlichen Blick hätte. Aber das stellt sich dann schon noch heraus.
Ich gehe einen Schritt auf das Portal zu, bevor ich noch einmal stehen bleibe und mich umschaue. Die Feenwelt ist immerhin meine Heimat. Es ist schwer sie zu verlassen, aber so lautet nun meine Pflicht. Beim Umschauen erblicke ich die großen Hügel, die sich bis zum Horizont erstrecken. Auf den Hügeln sehe ich Hütten und Holzhäuser, vor denen sich geschäftige Feen hin und her bewegen. Für sie ist dieses Portal nicht sichtbar. Ich kann alles sehen, was in meiner Umgebung ist, aber um das Portal wurde eine magische Barriere errichtet, die Unbefugte nicht betreten dürfen.
„Sie dürfen durchgehen!“ – kommt die Stimme etwas lauter von dem Wächter. Diesmal zögere ich nicht mehr und gehe durch. Für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl zu schweben. Es fühlt sich an, als würden tausende Federn mein Bauch von innen kitzeln. Ich wünschte mir schon immer ich könnte fliegen. Die meisten Menschen denken das können alle Feen. Aber das stimmt nicht. Bei der Geburt werden die Fähigkeiten einer Fee getestet und je nachdem, wo ihre Stärken liegen werden sie dementsprechend erzogen. Es gibt mehrere Arten von Feen:
1. Wächterfeen: Sind für den Schutz des Königs, der Bewohner und des Reiches zuständig. Ihre ausgeprägten Fähigkeiten liegen beim Kampf,schnellem Denken und Handeln.
2. Kräuterfeen: Stellen verschiedene Tränke zum Wohl des Reiches her. Ihre ausgeprägten Fähigkeiten liegen bei präzisem Arbeiten und guten Erinnerungsfähigkeiten.
3. Koboldfeen: Sind für das Heranschaffen von wertvollen Gesteinen zuständig. Ihre ausgeprägten Fähigkeiten liegen in ihrer physischen Kraft- und Anpassungsfähigkeit.
4. Magierfeen: Verfügen über Fähigkeiten der Magie, die sowohl im Kampf, als auch im Alltag der Feen angewendet werden. Ihre ausgeprägten Fähigkeiten liegen in der Konzentration und Geschicklichkeit.
5. Navigationsfeen: Eine Feenart mit Flügeln. Ihre ausgeprägten Fähigkeiten liegen in der Orientierung und dem Sammeln von Informationen.
Natürlich gibt es noch viele Untergruppen der Feen, aber sie sind in der Unterzahl, weshalb sie nur in den wenigsten Büchern notiert sind. Ich als Wächterfee, ohne Flügel und mit ausgeprägten Kampffertigkeiten, lande mit einem lauten Plumps auf etwas Hartem. Als ich mich langsam wieder fassen kann, wird mir klar, dass ich mich bereits in der Menschenwelt befinde. Über mir ragen große Wände auf und der Boden, auf dem ich gelandet bin, ist kalt und grau. Langsam rappele ich mich auf und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Laut den Informationen, die ich zu diesem Auftrag bekam, muss ich einen Ort namens Schulinternat aufsuchen. Aber weil ich keinen Hauch von Ahnung habe, wo ich das finden soll, fühle ich mich ein bisschen verloren. Was das genau ist, weiß ich auch nicht ganz sicher. Angeblich soll es der Akademie,die ich als Wächterin absolviert habe, im Großen und Ganzen ähneln, . Ich laufe erstmal los, um die Gegend zu erkunden. Während ich mich ein paar Schritte vorwärtsbewege, bemerke ich, dass die Menschen mich anschauen. Aber wieso? Eigentlich sollte nichts darauf hindeuten, dass ich eine Fee bin. Ich mustere die Menschen um mich herum. Sie sehen für mich alle gleich aus. Fast jeder trägt eine blaue Hose, und was darüber. In der Feenwelt unterscheiden sich die verschiedenen Arten der Feen durch ihre Kleidung. Ich, als weibliche Wächterfee, trage eine schwarze Hose mit einem schwarzen Oberteil und einen schwarz-grünen Umhang, der mir bis zu den Füßen reicht. Außerdem trage ich beim Training noch eine Art Rüstung, die an den Schultern, Ellbögen, und Knien angebracht ist.
„Ist irgendwo eine Cosplayveranstaltung?“ – höre ich jemanden hinter mir murmeln, aber das Gesagte verstehe ich nicht mehr.
Cosplay? Mir wird klar, dass meine Reise in die Menschenwelt sich nicht als leicht herausstellen wird. Die Sprache ist anders als meine, aber ein Magierwerkzeug, welches ich speziell für diesen Auftrag bekommen habe, macht mir möglich es zu verstehen.
„Hey, Kleine, wo gehst du denn hin in diesem Aufzug? – ich erinnere mich an die Regeln, die ich mir aufgestellt habe und versuche zu Lächeln, was aber wahrscheinlich eher als ein Zucken in meinem Gesichts zu deuten ist.
„Ich suche einen Ort namens Internat. Wissen Sie vielleicht, wo ich es finde?“ – antworte ich dem Jungen, der vor mir auftaucht.
„In dieser Kleidung willst du in ein Internat? Da schmeißen sie dich glatt wieder raus.“ – fängt er an zu... lachen. Wieso? Habe ich was falsch gemacht? Und was hat er an meiner Kleidung auszusetzen? Ist das vielleicht der Grund, weshalb mich alle anschauen? Weil ich ein bisschen anders aussehe? Ich habe schon gehört, dass Menschen viele Vorurteile hegen würden, aber das habe ich mir nicht so vorgestellt. Der Junge lacht mich ja auch nur aus.
„Wenn sie mir nicht helfen können, dann gehe ich.“ – sage ich und mache kehrt. Ich sehe noch, wie er mich verdutzt anschaut, aber beachte ihn nicht mehr. Als er mir noch schließlich in die Augen schaut, durchzuckt mich ein komisches Gefühl, dem ich aber keine Beachtung schenke.
Weil ich immer noch keine Idee habe, wohin ich gehen soll, irre ich zwischen den beängstigenden Wänden der Menschenhäuser umher. Ganz ehrlich, Feenhütten sind mir viel lieber. Als ich schon eine Weile umherlaufe, überkommt mich das Gefühl, als würde ich beobachtet werden. Ich beschleunige meine Schritte und laufe auf einen Weg zu, wo weniger Menschen zu sehen sind. Wer soll mich denn beobachten? Ich kenne in der Menschenwelt niemanden und ich bezweifle, dass mir Feinde unseres Reiches gefolgt sind. Als ich bei zwei Wänden ankomme, biege ich nach links in eine Gasse ab, wo sich niemand befindet. Dort greife ich in meine Tasche nach meinen Trainingsmesser und mache mich kampfbereit.
Mit dem Messer in der Hand presse ich meinen Rücken gegen die Wand, um mir ein 180 Grad Sichtfeld zu verschaffen. Natürlich muss ich auch mit einem Angriff von oben rechnen. Also lausche ich den Bewegungen der Luft um einen annähernden Feind schon im vorne herein zu bemerken. Ich warte mehrere Sekunden, bis ich eine Regung aus meinem rechten Blickwinkel wahrnehme. Ich stürze mich in die Richtung, wo ich den Feind vermute, aber ich treffe in die Leere. Habe ich mich etwa geirrt und es war nur ein Tier? Sowas ist mir noch nicht oft passiert, also fühle ich mich recht enttäuscht, stecke aber dennoch mein Messer wieder ein.
„Entschuldigung...“ – höre ich eine piepsige Stimme, kann aber nicht entscheiden woher sie kommt.
„Wer ist da? Würden sie sich bitte zeigen?“ – sage ich und hoffe innerlich, dass ich jetzt nicht anfange zu halluzinieren. Liegt das daran, dass ich nicht mehr in der Feenwelt bin?
„Hier...“ – Also liege ich doch richtig. Etwas ist da. Ich drehe mich einmal im Kreis, bis ich es endlich bemerke. Ich sehe einen kleinen Kopf hinter der Wand hervorlugen und weiß sofort was das ist.
„Sie können ruhig näherkommen, ich tue ihnen nichts.“ – nachdem ich das sage, lässt sich die kleine Fee blicken. Es ist eine Navigationsfee. Das heißt sie ist nicht viel größer als meine Hand und schwebt mithilfe ihrer Flügel durch die Luft. Navigationsfeen sind für Menschen unsichtbar, deshalb konnte sie mir so leicht folgen.
„Was tun sie denn hier? Sind sie wegen eines Auftrages hier?“ – erkundige ich mich, denn ich bin stark der Vermutung, dass sie nicht freiwillig hierherkam, was auch nebenbei bemerkt nicht erlaubt wäre, so ängstlich sie aussieht. Navigationsfeen dienen im Feenreich als Informationsquellen und Wegweiser. Schon anhand ihrer Größe und ihrer Flügel kann man sie leicht von den anderen Feenarten unterscheiden.
„Nein, ich ehmm... wurde vom König geschickt. Ich sollte bei deinem Auftrag behilflich sein.“ –
So ist es also. Ich bekomme also eine Navigationsfee als Helferin. Das kann mir nur recht sein, denn somit werden sich mir weniger Hindernisse in den Weg stellen. Auch das sogenannte Internat kann ich mit ihrer Hilfe im Nu finden.
„Ich danke Ihnen. Würden Sie gleich mal nachschauen, wo ein Internat zu finden ist?“ – gebe ich ihr auch schon die erste Aufgabe.
„Ja natürlich. Einen Moment bitte. Würdest du mich vielleicht... nicht ganz so höflich ansprechen? Natürlich nur wenn es kein Problem ist. Ich finde nur, da wir jetzt zusammenarbeiten werden... könnten wir ja... so etwas wie... Freunde werden“ – stellt sie mir eine äußerst merkwürdige Frage. Es stimmt schon, was sie sagt. Sobald man im Feenreich jemanden nicht mehr mit höflicher Sprache anspricht, erklärt man sich bereit, eine Freundschaft zu schließen.
„Ich brauche keine Freunde. Aber im Ausnahmefall dieses Auftrages werde ich deiner Bitte folgen, und Sie... ich meine dich, normal ansprechen.“ – antworte ich ihr.
„Dankeschön“ – die kleine Fee scheint gleich etwas mutiger. Ich schaue ihr zu, wie sie mit der Analyse beginnt. Dabei überprüfen Navigationsfeen mithilfe ihrer Fähigkeiten die Umgebung, was man daran erkennt, dass ihren Augen für diese Zeit jegliches Gefühl entweicht und sie nicht ansprechbar sind.
„Ich habs!“ - ruft die Fee nach kurzer Zeit. – „Es gibt mehrere solcher Internate an diesem Ort, aber mein Gefühl sagt mir, welches das Richtige sein wird. Es ist gar nicht so weit entfernt. Wir müssen nur diesen Weg überqueren und dann auf ein großes, braunes Haus zusteuern.“
Wir machen uns auf und folgten der Wegbeschreibung. Das Überqueren des Weges erweißt sich aber als äußerst kompliziert. Denn auf diesen Weg sind nicht mehr Menschen unterwegs, sondern es rasen bunte Metallkasten auf runden Teilen in eine Richtung.
„Weißt du was das ist?“ – frage ich meine Begleiterin.
Sie scheint einen Moment nach Informationen zu suchen, als sie wieder zu mir rüberschaut.
„Die Menschen nennen sowas Autos und benutzen sie als Transportmittel, so wie wir es mit Kutschen tun. Und nenn mich bitte Indis.“
„Danke für die Auskunft Indis. Ich bin übrigens Alari, aber das weißt du sicher schon.“
Jedes mal, wenn einer dieser Autos vorbeirauscht, zerweht ein leichter Wind meine dunkelblonden Haare. Ich überlege, wie wir zwischen den Transportmitteln durchkommen sollen, als ich plötzlich etwas bemerke. Nicht weit von uns bleiben sie plötzlich stehen, und die Menschen können rübergehen ohne unter die rasenden Metallkästen namens Autos zu gelangen.
„Indis, wir laufen jetzt zu der Stelle da, siehst du sie? Da kommen wir rüber.“
Wir kommen schnell bei der Stelle an, aber gerade als ich den Weg betreten will, setzen sich die Autos in Bewegung. Mein Herz steht für einen Moment still, denn darauf war ich nicht vorbereitet. Blitzschnell bleibe ich stehen, gerade noch rechtzeitig.
„Hey, warten Sie doch bis die Ampel grün ist! Wir sollten ein Vorbild für Kinder sein!“ – ruft mir ein alter Mann zu. Ampel. Wieder ein Wort, das ich nicht verstehe.
„Eine Ampel zeigt an, wann man einen Weg mit Autos überqueren darf. Man darf nur loslaufen, wenn es grün ist.“ – sagt Indis zu mir. Sie ist eine echt begabte Navigationsfee, da sie so schnell Informationen findet.
„Indis, wieso fliegst du nicht einfach auf die andere Seite?“ – stelle ich ihr die Frage, denn ich verstehe nicht wieso sie neben mir bleibt, schließlich kann sie auch auf der anderen Seite auf mich warten.„Wir sind doch Freunde, oder? Und Freunde lassen sich nicht im Stich.“
Wieder dieser Begriff. Freundschaft. Ich kann nichts damit anfangen, und habe seit Jahren keinerlei Erfahrung damit.
Noch während ich darüber nachdenke, drängen sich die Menschen hinter mir nach vorne. Die Ampel ist wohl grün. Ich lasse mich mit der Menschenmasse mitziehen. Endlich auf der anderen Seite angekommen, fühle ich mich erleichtert, doch die erste Herausforderung ist noch nicht überstanden. Ich muss das Internat finden. Indis meint, es sei ein braunes Haus. Ich halte danach Ausschau und muss feststellen, dass es wirklich nicht mehr weit ist. Es sticht mit der braunen Farbe von den grauen Mauern der anderen Häusern hervor. Indis fliegt los und ich folge ihr.
Bald stehen wir vor dem Internat. Ich frage mich, was ich jetzt tun soll. In der Akademie für Wächter musste ich mich zuerst anmelden. Ob das auch in der Menschenwelt so ist? Weil Indis keinerlei Anstalten macht, mich zuinformieren, trete ich einfach durch die breite Glastür an der Vorderseite des Internats. Ich komme in eine große Einganshalle, die sich in zwei Richtungen verzweigt. Ich sehe Metallplättchen an der Wand hängen, auf denen etwas in mir unbekannter Schrift steht.
„Indis, könntest du mir die Schrift entziffern?“ – frage ich meine kleine Helferin.
„Auf dem Oberen steht, dass rechts der Wohnbereich ist, und auf dem Unteren, dass die Schule links ist“.
Schule entspricht wahrscheinlich meiner Vorstellung von Akademie.
„Hallo, bist du Neu hier?“ – kommt plötzlich die Frage von einem Jungen, der vor mir auftaucht. Ich setze ein Lächeln auf und antworte.
„Ja, kannst du mir vielleicht sagen, was ich jetzt machen soll?“
„Natürlich, komm ich zeige dir, wo du dich anmelden kannst. Und darf ich dich vielleicht was fragen? Ich will nicht gleich am Anfang unhöflich sein, aber wieso bist du so seltsam angezogen?“
Also habe ich richtig vermutet. Meine Kleidung passt hier einfach nicht rein. Aber was sollte ich antworten? Ich kann ihm wohl nicht erzählen, dass ich aus der Feenwelt komme und einen Auftrag erfüllen muss. Er würde sich nur über mich lächerlich machen. Denn es ist eine Tatsache, dass Menschen nicht in der Lage sind, ernsthaft an mythische Wesen zu glauben. Und da fällt mir das eine Wort an, das ich auf der Straße gehört habe.
„Cosplay...“ – stoße ich hervor und hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt.
„Achso, du cosplayst gerne? Weißt du, ich hab da auch ein verrücktes Hobby, ich sammle alles, was mit Tieren zu tun hat. Poster, Dokus, Bücher... Einfach alles.“
„Tiere sind wirklich sehr... interessant.“ – versuche ich eine anständige Antwort hervorzubringen.
„Nicht wahr? Oh, entschuldige mir, dass ich hier die Zeit verplappere, du wolltest dich ja anmelden. Lauf mir einfach nach.“ – er läuft los in die Richtung, wo sich die „Schule“ befindet. Indis, die bisher alles still beobachtet hat, fliegt ihm hinterher, und auch ich folge ihm. Ich weiß nicht wieso, aber der Junge gefällt mir sehr. Wahrscheinlich nur deshalb, weil ich sonst nicht oft Bekanntschaften mache und das Ganze für mich neu ist. Obwohl, diesmal verläuft es anders als bei dem Jungen in der Stadt, der mich nur ausgelacht hat. Dieser Junge hier ist einfach... freundlich.
„Hier wären wir.“ – sagt er nachdem wir ein paar mal rechts abgebogen sind.
„Danke, dass Sie mir helfen.“ – entgegne ich so höflich wie möglich.
„Sie? Du kannst ruhig du zu mir sagen, wir sind ja schließlich fast im selben Alter.“
So läuft es also bei den Menschen. Sie reden mit allen Gleichaltrigen, wie mit ihren engsten Freunden. Das muss ich mir merken.
„Ja, gut. Ich gehe mich dann mal anmelden. Ich muss durch diese Tür, oder?“
„Ja, ich hoffe wir sehen uns dann bald wieder. Wie heißt du eigentlich?
„Mein Name ist Alari. Und deiner?“
Ganz in meinem Inneren hoffe ich, dass er Luke heißt. Wieso, weiß ich nicht, denn ich bin ihm ja erst vor ein paar Minuten begegnet. Aber ein Gefühl in mir möchte unbedingt, dass er derjenige ist, dessen Vertrauen ich gewinnen muss.
„Luke. – antwort er lächelnd und geht davon.
Wenige Zeit später stehe ich vor einem Zimmer mit der Nummer 32. Die Anmeldung erwies sich als kompliziert, vor allem, als sie meinen Nachnamen wissen wollten. Feen haben nur einen Namen. Aber weil die Frau, die meine Anmeldung regelte, nicht akzeptieren konnte, dass ich einfach nur Alari heiße, habe ich einfach noch einen Namen erfunden. So wurde ich zu Alari Avari. Ich weiß, nicht besonders kreativ, aber was besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen. Die Frau runzelte kurz die Stirn, schrieb meinen Namen aber auf den Anmeldezettel. Ähnliche Schwierigkeiten löste ich gleichermaßen mit meiner Fantasie, zum Beispiel die Frage, wo meine Eltern sind, die das Ganze unterschreiben sollten. Da erfand ich eine Geschichte davon, dass sie wegen eines Auftrages weit weg mussten, und bald wieder hier wären um zu unterschreiben. Lange muss ich sowieso nicht hier bleiben, das hoffe ich zumindest.
Nachdem alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt waren, muss ich mein Zimmer finden, wobei mir Indis hilft. Ich öffne die Zimmertür und stelle überrascht fest, dass sich zwei Betten im Zimmer befinden. Und auf dem einen sitzt ein Mädchen mit langem, blondem Haar. Als ich eintrete, dreht sie sich um. Auf einmal fängt sie an zu grinsen, steht auf, und springt mir um den Hals. Das kann ich gedanklich nicht mehr einordnen. Auf so eine stürmische Begrüßung war ich nicht vorbereitet.
„Endlich! Ich habe mich schon so darauf gefreut eine Zimmernachbarin zu bekommen! Weißt du, alleine kann es nachmittags ganz langweilig werden, denn in diesem Internat kann man außer lernen nicht viel machen. Also manchmal dürfen wir schon raus, meistens sonntags, aber das ist auch nur einmal in der Woche. Und ich musste mein ganzes letztes Schuljahr alleine wohnen! Ah, ich habe gehört, dein Vater hat der Schule extrem viel Geld gespendet, damit sie dich auch mitten im Schuljahr nehmen, aber keine Sorge ich hege keinerlei Vorurteile gegen dich, nur weil du aus reichem Hause stammst.“ – diesen Kurzvortrag meiner Zimmernachbarin muss ich gleich nach meiner Ankunft anhören.
Letztendlich redet sie nicht nur über sinnloses Zeug, ich erfahre auch, dass der König dafür gesorgt hat, dass ich hier mitten im Jahr einfach so auftauchen kann.
„Siehst du, da ist deine Zimmerhälfte. Ich habe schon dein Bett vorbereitet, damit du nicht gleich so viel zu tun hast. Im Schrank hängt auch deine Schuluniform.“ – nach diesem Satz beäugt sie meine Kleidung, sagt jedoch nichts dazu und lächelt nur. Diese Geste finde ich sehr sympathisch von ihr.
„Danke. Ich bin übrigens Alari.“ – sage ich und halte ihr meine Hand hin. Sie schaut komisch, nimmt sie aber und schüttelt sie. Dann ist in Sekundenschnelle wieder ihr Lächeln zurückgekehrt.
„Ach, wie dumm von mir, ich habe ganz vergessen mich vorzustellen. Ich bin Christina. Meine Freunde nennen mich aber Christie.“
„Gut. Ich stell dann mal meine Sachen ab.“ – sage ich zu ihr und gehe auf mein zukünftiges Bett zu. Es steht in der rechten Ecke des Zimmers an der hellorangen Wand. Daneben ist noch ein nicht allzu großer Schrank und ein aus Mahagoniholz gemachtes Bücherregal, worauf sich bereits ein Haufen an Büchern befindet. Ich packe meine Sachen aus, natürlich nur die, die in meiner Zimmernachbarin nicht den Anschein erwecken, ich sei ein Serienmörder auf der Flucht. Also lasse ich meine Kampfwerkzeuge in der Tasche und räume meine spärlichen Mitbringsel aus: Mein Lieblingsbuch, meine Zahnbürste, eine schwarze Hose und zwei schwarze T-Shirts und eine Kette, der einzige Gegenstand, der mich an meine Mutter erinnerte.
„Es ist ja schon so spät geworden! Gehen wir duschen und legen wir uns dann schlafen, morgen wird für dich ein harter Tag sein!“ – ruft Christina.
Nachdem ich bereits im Bett liege, denke ich noch lange nach. Über die Menschen und ihr Verhalten, das mir sehr direkt erscheint. Manchmal sogar zu direkt. Nichts von der distanzierten Höflichkeit, in der ich aufgewachsen bin, finde ich wieder. Ich denke noch über Christina nach, die mir eine bequeme Hose zum Schlafen gegeben hat, ohne dass ich sie auch nur darum bat. Und über Luke. Den Luke, den ich wahrscheinlich bald in das Feenreich begleiten werde. Dass ich ihn so schnell gefunden habe, hat mich überrascht. So viel Glück habe ich sonst nicht.
Während ich so nachgrübele, höre ich das Fenster, das sich zwischen unseren Betten befindet, klirren. Weil mir klar ist, dass ich sonst nicht zur Ruhe komme, laufe ich zum Fenster um nachzuschauen, was da ist. Dabei stelle ich fest, dass Christina bereits tief und fest schläft. Ich schleiche leise zum Fenster, um sie ja nicht zu wecken und schaue raus. Aus dem Fenster unseres Zimmer hat man einen Ausblick auf eine große Grünfläche, mit Bäumen und Büschen am Rand. Ich warte einige Minuten, aber als sich bis dahin nichts regt, will ich mich endlich schlafen legen. Ich habe bloß Angst gehabt, Feinde unseres Reiches hätten über meinen Auftrag erfahren und würden mich daran hindern wollen. Dieser Auftrag scheint dem König sehr wichtig zu sein, auch wenn ich es nicht ganz verstehe. Wobei könnte uns ein normaler Menschenjunge behilflich sein? Als sich mein Herzklopfen einigermaßen beruhigt, lege ich mich wieder hin und bin schon bald dabei einzuschlafen. Doch da höre ich es wieder. Diesmal aber nicht das Klirren des Fensters, sondern ein Klopfen an unserer Tür. Wer könnte das sein? Um diese Uhrzeit schlafen alle normale Menschen. Langsam steige ich wieder aus meinem Bett, ziehe meinen Umhang an und nehme mein Messer zur Hand. So öffne ich unsere breite Holztür und luge dahinter hervor. Weil ich niemanden erkennen kann, trete ich einen Schritt nach vorne und stehe mitten auf dem dunklen Flur. Ich versuche etwas zu erkennen, aber erfolglos.
„Hey, Süße, was machst du noch so spät hier draußen?“ – spüre ich plötzlich eine Hand an meiner linken Schulter. Reflexartig stoße ich mein Ellbogen nach hinten, um die Magengrube zu treffen, aber mein Gegner ist schneller. Er weicht aus, fasst meine beiden Hände und presst mich an die Wand. Da erst sehe ich sein Gesicht und mir wird sofort klar, dass dies kein Mensch ist. Meine Beine fangen zu zittern an, was bei mir eine sehr ungewohnte Reaktion ist. Meistens verspüre ich keine große Angst und kann überlegt handeln. Doch diesmal fesseln mich die Augen meines Gegenübers. Sie sind so dunkel, wie die Federn eines Raben, doch in der Mitte sehe ich ein beängstigendes Funkeln. Wir stehen noch mindestens zwanzig Sekunden reglos da, bis ich meine Stimme erhebe:
„Was willst du von mir?“
„Das ist heute nur eine Warnung. Vergiss deinen Auftrag und kehre in dein Reich zurück. Ich werde dir diesmal nichts tun, aber nächstes mal wird es anders laufen, wenn du meiner Warnung keine Beachtung schenkst.“ – sagt der Fremde und gräbt seinen Blick in meinen.
„Davon träumst du wohl“ – sage ich, alle Höflichkeiten vergessend und trete ihm mit einem heftigen Tritt ins Schienbein. Sein Griff lockert sich und ich kann mich endlich befreien. Ich nehme mein Messer und versuche ihn zu treffen. Er weicht erneut aus, was mich sehr verärgert. Wie kann er nur so schnell sein?
„Wer bist du überhaupt?“ – frage ich ihn wütend.
„Oh, du hast mich nicht erkannt? Ich bin zutiefst beleidigt. Du kannst dich wirklich nicht mehr an mich erinnern? Dann helfe ich dir mal: Mein Name ist Elon.“
Und da macht es bei mir Klick.
Er ist derjenige, der damals mein Leben kaputtmachte.
Ich war vielleicht gerade mal sieben Jahre alt, als ein Junge namens Elon, der in meinem Alter war, in unser Dorf zog. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, denn es gab einen Riesenaufruhr. In so einem Dorf passiert nicht vieles, deshalb freuen sich die Bewohner wenn etwas Interessantes passiert und reden nur noch darüber. Das Seltsame am Fall des Jungen war, dass er alleine wohnte, aber trotzdem immer genug zu essen hatte und stets versorgt war. Ich hatte anfangs Angst, und hielt mich von ihm fern. Doch er schien Interesse an mir zu haben und mit der Zeit haben wir immer öfters miteinander geredet bis wir schließlich Freunde wurden. Zumindest dachte ich das. Eines Tages, als ich nach der Probeprüfung an der Wächterakademie heimkam, war das ganze Dorf verwüstet. Fenster waren eingebrochen, Terrassenmöbel waren umgeschmissen und ich las seltsame Schriften an den Holzhäusern. Ich erschrak dermaßen, dass ich anfing so laut zu schreien, dass ich eigentlich alle Dorfbewohner auf mich hätte aufmerksam machen müssen. Doch keiner kam. Als mir das bewusst wurde, rannte ich so schnell wie möglich zu meinem Elternhaus. Ich schrie weiterhin so laut, wie es mit meinen jungen Stimmbändern nur möglich war. Ich lief durch unseren breiten Flur und merkte, dass auch unser Haus chaotisch war. Mäntel und Umhänge lagen auf dem Boden zerstreut, Tische standen verkehrt herum und Türen waren aus ihrem Rahmen gerissen. Plötzlich bemerkte ich etwas Rotes auf dem Boden. Und je weiter ich ging, umso mehr sah ich davon, bis ich im Wohnzimmer ankam. Dort lagen meine Eltern. Oder besser gesagt die Leichen meiner Eltern. Blutüberströmt und verlassen. Ich sank auf die Knie und fing an zu schluchzen. Ich begriff es einfach nicht. Immer war alles so friedlich gewesen. Wie konnte das passieren? Ich weinte und weinte, wie lange weiß ich nicht mehr. Innerlich war ich zusammengebrochen. Ich hatte alles verloren, was mir etwas bedeutete: Meine Eltern, mein Zuhause und mein ganzes Leben. In weniger als einem Tag. Während ich so dasaß und heulte, tauchte auf einmal Elon auf und ich verspürte einen Funken Hoffnung.
„Es sind also doch nicht alle gestorben!“, dachte ich mir. Doch da sah ich das Messer mit der blutigen Klinge in seiner Hand und wusste nicht mehr was ich denken sollte.
„Elon, was... ist hier passiert? Woher hast du das Messer?“ – schluchzte ich.
„Du naives Huhn. Vielleicht begreifst du jetzt, dass nicht alles auf der Welt gut ist. Ich werde dich jetzt nicht töten. Aber ich werde wiederkommen und auch deinem Leben ein Ende setzen.“ – meinte er und verschwand.
Als er das sagte, funkelten seine Augen genauso blutrünstig wie jetzt. Ich stehe zitternd da und schaue ihn mir an. Das ist er ganz sicher. Seitdem ist er viel muskulöser und größer geworden, auch seine Haare haben einen dunkleren Braunton angenommen, aber seine Augen schauen mich genauso an wie damals.
„Wieso jetzt? Wieso tauchst du jetzt auf? Wieso? Hattest du nicht schon genug Möglichkeiten, mich zu töten?“
Mir war vorher schon klar, dass er kein Mensch ist. Dafür ist er zu schnelll und zu strak.
„Dich zu töten ist nicht mein allererster Auftrag. Da hab ich Wichtigeres zu tun, als meine Hände deinetwegen schmutzig zu machen.“ – verzieht er seinen Mund zu einem fiesen Grinsen.
„In wessen Auftrag handelst du?“ – frage ich ihn und verstehe nicht, wieso er all dies tut.
„Siehst du das denn nicht? Lernt man an deiner Superakademie nicht zuerst seinen Feind einzuschätzen?“ – entgegnet er. Und erst da sehe ich es. Er trägt ein schwarzes Oberteil mit dem Abzeichen der Dunklen Feen.
Es gab einmal vor langer Zeit eine Gruppe von Feen, die den damaligen König von seinem Thron stürzen wollten. Doch ihr Plan wurde aufgedeckt, ehe sie ihn durchführen konnten und sie wurden aus dem Reich verbannt. Ohne, dass ihnen jemand Aufmerksamkeit schenkte, taten sie sich erneut zusammen und gründeten ein eigenes Reich. Das Reich der Dunklen Feen. Seitdem schlossen sich in den letzten Jahrhunderten noch viele Feen an, die mit den Regierungsmethoden des Königs nicht einverstanden waren. Und vor ein paar Jahren zettelten sie einen Krieg an, indem sie ein Waffenlager an der Grenze unseres Reiches überfielen.
Wie konnte ich nur so blind gewesen sein? Schon viel früher hätte ich darauf kommen müssen, dass Elon eine Dunkle Fee ist.
„Für heute verabschiede ich mich mal, Fräulein. Aber nimm dich in Acht: Wenn du nicht in das Feenreich zurückkehrst, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du das tust."Und weg ist er. So schnell wie er gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Wahrscheinlich verwendet er verbotene Magie, aber das war mir im Moment egal. Es erschüttert mich zu sehr Elon wieder zu treffen. Der Elon, von dem ich einmal dachte er wäre mein einziger und bester Freund. Seit er mich so verraten hat, ist es für mich unmöglich Leuten zu vertrauen. Immer noch zitternd gehe ich zurück in das Zimmer und will mich hinlegen. Auf dem Weg zu meinem Bett stoße ich gegen die Bettkante, woraufhin Christina aufwacht.
„Hey, Alari, alles klar bei dir?“- fragt sie mit einer verschlafenen Stimme.
„Ja, ehh... ich war nur auf der Toilette.“ – lüge ich. Ich kann ihr auf keinen Fall erzählen, was wirklich mit mir geschehen ist. Nachdem ich mich hinlege, will ich noch darüber nachdenken wie ich die Sache mit Elon regeln soll. Ich muss meinen Auftrag erfüllen, ob er mich daran hindern will oder nicht. Mein Gedankengang dauert maximal eine Minute, denn schon bald schlaf ich ein.
„Alari! Zeit aufzustehen!“ – höre ich eine gedämpfte Stimme und spüre wie jemand an meinen Schultern rüttelt. Verschlafen öffne ich die Augen und blicke zu der Person neben meinem Bett auf.
„Ja, danke für das Aufwecken“ – sage ich zu Christina und sie lächelt mir freundlich zu. Da fällt mir alles wieder ein. Die Ereignisse der letzten Nacht. Die blutrünstigen Augen von Elon. Schnell versuche ich meine Gedanken zu verdrängen, und mich wieder auf Christina zu konzentrieren, da sie ununterbrochen redet.
„...und dann können wir gemeinsam zum Schulbereich laufen, ich zeige dir dann dein Unterrichtszimmer. Kannst du mir vielleicht deinen Stundenplan zeigen?“
Ich kann mich erinnern, dass mir bei der Anmeldung ein Zettel mit meinen Stunden in die Hand gedrückt wurde, und ich mache mich gleich auf die Suche danach. Als ich es finde, hilft mir Christina meine Bücher auszusuchen, die ich an diesem Tag brauchen werde und ich stopfe sie in meine Umhängetasche. Dann ziehe ich die Uniform an, die aus einem schwarzen, knielangen Rock und einem roten, gemütlichen Oberteil besteht. Sobald wir beide fertig sind, machen wir uns auf dem Weg zum Schulbereich. An dem Zimmer, wo mein Unterricht anfängt, verabschiede ich mich von Christina, da sie schon im zweiten Jahrgang ist und wir somit getrennt Unterricht haben. Der Schulbereich ist übrigens viel größer als ich es mir bis jetzt vorgestellt hatte. Lange nicht so groß wie der Königspalast, aber trotzdem verzweigen sich auch hier eine ganze Menge Flure in verschiedene Richtungen, überall sind Türen durch die man in die Unterrichtsräume gelangt.„Hey, Alari, ist bei der Anmeldung alles in Ordnung gewesen?“ – fragt Luke, der neben mir auftaucht.
„Ja, es lief alles glatt“ – antworte ich, während wir den Unterrichtsraum betreten.
„Das freut mich sehr. Wie findest du eigentlich die Schule? Ist ziemlich groß, oder?“ – stellt mir Luke weitere Fragen. Ich kann nur glücklich darüber sein, dass es so ein netter Typ ist, den ich ins Feenreich verfrachten muss!
„Ja, es erinnert mich schon fast an ein Labyrinth mit...“ – stoppe ich abrupt, als ich den Jungen erblicke, der auf einem der Zweiertische sitzt. Es ist derselbe Typ, der am Tag zuvor auf der Straße meine Kleidung auslachte. Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, schaut er zu mir. Direkt in meine Augen.
Er wirkt etwas überrascht über meinen Anblick, aber wendet im nächsten Augenblick seine Aufmerksamkeit einem Mädchen zu, das sich an ihn schmiegt.
„Luke, wer ist der Junge da?“
„Hast du ihn vielleicht irgendwo schon mal gesehen? Er ist der Star der Schule. Und ich habe das Glück, meinen Namen mit ihm zu teilen.“ – grinst er mich blöd an.
„Wie meinst du das?
„Naja, ich heiße Luke Hawkins und er Luke McLeod. Unsere Vornamen sind also gleich, auch wenn wir uns sonst gar nicht ähneln.“
Ich erblasse. Das kann doch nicht wahr sein! Einmal scheint etwas gut zu laufen und da kommt schon die nächste Komplikation. Wie soll ich das Vertrauen von so einem Jungen gewinnen? Ich habe mich so darüber gefreut, den anderen Luke näher kennenzulernen. An Luke McLeod komme ich nicht mal in eine Entfernung von unter zwei Metern an dran, da er scheinbar eine Schutzbarriere aus Mädchen hat. Solche Leute meide ich schon immer. Aber versuchen musste ich es. Also entschuldige ich mich kurz bei Luke Hawkins und stapfe auf Luke McLeod zu.
„Hey, Luke, hättest du vielleicht einen Moment? Ich muss mit dir reden.“ – sage ich zu ihm und alle starren mich an als wären mir plötzlich Flügel gewachsen.
„Wenn du was zu sagen hast, dann raus damit, wenn nicht dann lass mich in Ruhe.“ – sagt Luke McLeod zu mir und ich bin kurz davor zu explodieren.
Wie kann er nur so unhöflich sein, wo wir uns doch noch gar nicht kennen?
„Wenn du hören willst, was ich dir zu sagen habe, dann komm her. Ich möchte unter vier Augen mit dir reden.“
Immer noch schauen mich die Leute um mich herum verblüfft an. Was hatte ich denn jetzt schon wieder gemacht? Ich bemerke, dass Luke McLeod etwas dem Mädchen am nächsten zu ihm zuflüstert und dann widerstrebend aufsteht. Der erste Schritt wäre dann schon mal getan. Jetzt muss ich nur noch sein Vertrauen gewinnen, was aber wahrscheinlich einige Zeit dauern wird, so wie unsere Beziehung ihren Anfang nimmt.
„Was willst du von mir?“
"Erst einmal möchte ich mich vorstellen. Ich heiße Alari. Ich möchte, dass wir Freunde werden.“ – komme ich gleich zur Sache.
„Bist du komplett verrückt? Ich kenn dich nicht mal.“
„Aber du wirst mich noch kennenlernen.“
„Woher willst du wissen, dass ich mich mit jemanden wie dir abgeben werde? Du bist nur ein freakiges Cosplaygirl.“
Das mit dem Cosplay verstehe ich übrigens immer noch nicht ganz, aber ich muss mich wohl damit zufriedenstellen.
„Das wirst du. Dafür werde ich sorgen.“ – beende ich das Gespräch.
Später sitze ich mit Christie in der Bibliothek und bin fleißig dabei zu lernen. Was mir gar nicht so leicht fällt. Ich erfahre in dieser Welt Sachen, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Aber am aller verwirrendsten ist mein Unterricht namens Informatik. Da müssen wir meistens ein viereckiges Ding benutzen. Anfangs wusste ich nicht einmal wie man es anschaltet, aber Christie stufte mich als streng erzogenes Kind ein und meinte, meine Eltern hätten mich nicht an elektrische Geräte gelassen. Ich stimmte ihr nur zu, denn so hatte ich eine Ausrede für mein Unwissen.
Mit Luke McLeod übrigens komme ich keinen Schritt weiter, denn ich weiß nicht wie ich im näherkommen soll. Ich muss mir einen Plan aushecken, sonst sitze ich noch meine volle Lebenszeit hier fest.
Luke Hawkins aber erscheint mir immer netter und netter. Wir reden viel und sitzen im Unterrichtsraum nebeneinander. Nennt man sowas eigentlich Freundschaft, oder tut er das Alles aus reiner Höflichkeit?
Elon ist seitdem nicht wieder aufgetaucht, worüber ich nur glücklich sein kann. Er ruft in mir nur schlechte Erinnerungen wach, weshalb ich auch nur ungern an ihn denke. „Erde an Alari!“ - ruft Christie mir zu und wedelt mit einer Hand vor meinen Augen.
„Ja, ich habe bloß nachgedacht.“
„Über was denn?“ – fragt sie mich neugierig. Antworten kann ich nicht mehr, weil in dem Moment setzt sich Luke Hawkins an unseren Tisch.
„Hey wie geht´s euch? Schon fleißlig gelernt?“
Luke leistet uns zurzeit öfters mal Gesellschaft. Und immer wenn ich ihn sehe und ihm in die haselnussbraunen Augen schaue, werde ich umso trauriger, dass nicht er der Erwählte des Königs ist. Wir sitzen noch lange in der Schulbibliothek, die an jeder Wand und auch mitten im Raum mit Regalen voller Bücher ausgestattet ist, zwischen denen sich noch runde Holztische befinden, und reden über die verschiedensten Sachen. Über das Lernen, über Bücher, über Haustiere und über ein Essen namens Müsli, dass ich erst gestern probiert habe. Ich fand es einfach super! Während wir gerade ausdiskutieren, ob Müsli mit Milch oder ohne Milch besser schmeckt, bemerke ich, dass draußen am Fenster eine schwarze Katze sitzt. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, denn Katzen gibt es in dieser Gegend sehr viele. Aber die Augen von dieser hier leuchten blutrot.
„Ich muss mal kurz wohin“ – entschuldige ich mich bei Christie und Luke und verlasse die Bibliothek. Ich beeile mich schnell nach draußen zu kommen, denn ich muss erfahren was diese Katze hier will. Ich laufe durch die weißen Flure der Schule auf den Ausgang, der zum Schulpark führt, zu. Aus der Schule rausgekommen fühle ich erstmal die Kälte, die mir plötzlich durch alle meine Glieder strömt und sehe, wie weiße Flocken vom Himmel fallen. Schnee! Das gibt es also auch in der Menschenwelt. Ich liebe Schnee. Es ist wunderschön zu sehen, wie die Landschaft sich weiß verfärbt und dicke Flocken durch die Luft wirbeln. In der Ferne, am Rande des Parkes sehe ich plötzlich eine in schwarze Kleidung gehüllte Person. Ich gehe weiter, denn ich spüre etwas Bedrohliches von der Person ausgehen. Und ich liege richtig. Ich erkenne die Katze, die neben Elon steht. Mist! Er hat mir echt noch gefehlt!
„Was willst du diesmal? Falls du weider wegen deiner Warnung gekommen bist, kann ich dir schonmal sagen, dass du dir abschminken kannst, dass ich jemals meinen Auftrag abbreche.“
„Ich habe dir doch schonmal gesagt: Ich warne dich bloß einmal. Und diesmal geh ich zur Sache.“ – meint Elon mit seiner tiefen, dennoch zart klingenden Stimme. Auch wenn der Junge von damals nur gespielt war, er hat sich sehr geändert. Wahrscheinlich hat er jede Woche eine neue Fee aus seinem Reich als Freundin, so wie er jetzt aussieht. Seine Haare sind länger gewachsen, gehen aber noch nicht bis zu seinen Schultern. Seine Gestalt ist muskulöser und größer geworden und seine ganze Ausstrahlung wirkt selbstbewusster aber gleichzeitig auch arrogant.
„Ach, und wie willst du zur Sache gehen? Auf dem Schulgelände wo uns doch jeder sehen kann, wirst du wohl kaum auf mich losgehen, oder? – entgegne ich ihm frech.
„Und was wenn?“ – grinst er mich an. Im nächsten Moment liege ich auf den Boden und Elon über mir. Er drückt mich runter und ich fühle die Kälte, die meinen ganzen Körper in Beschlag nimmt.
„Glaubst du es mir immer noch nicht?“ – fragt er mich mit einem schadenfrohen Gesicht. Ich schaffe es nicht in meine Tasche zu greifen, weil Elon meine Hände weiterhin auf den Boden gedrückt hält.
„Ich könnte dich jetzt töten.“ – sagt er mit einem kalten Blick.
„Und wieso tust du es nicht?
„Weil ich dann keinen Spaß mehr hätte“ – flüstert er und lockert seinen Griff. Ich nutze die Gelegenheit und ziehe meine Hand weg. Wieso ist er mir immer überlegen? Alle meine Kampfkenntnisse verblassen, sobald er mich angreift. Er steht auf und ich kann mich endlich aus dem kalten Schnee aufsetzen. Mein Rücken fühlt sich eiskalt an und ich fange an zu zittern.
„Wars das? Deshalb bist du auf deine ach so tolle Akademie gegangen? Damit du sobald ein Feind auftaucht zitternd auf den Boden liegst?“ – grinst er hämisch. Da spüre ich mein Adrenalinlevel wieder hochfahren und greife in meine Tasche. Ich will meinen Trainigsmesser hervorholen, aber das erste was meine Hand zu fühlen bekommt, ist ein metallischer Griff den ich nicht gewohnt bin. Trotzdem ziehe ich es heraus, da jede Sekunde wichtig ist. Ich bemerke das Messer, das ich bei dem Ritual gewählt habe, und fühle mich gleich selbstsicherer. Ich wollte es noch nicht benutzen, weil ich damit noch nicht traniert habe, aber wenn es jetzt so gekommen ist, muss ich wohl. Ich rappele mich auf und stehe Elon gegenüber. Er trägt wieder sein schwarzes Oberteil mit dem Abzeichen der Dunklen Feen und eine schwarze Hose. Eigentlich wirkt er sehr menschlich. Zumindest menschlicher als ich, an meinem ersten Tag in dieser Welt. Ich richte meinen Messer auf ihn und stürze los. Er war nicht darauf vorbereitet, weshalb ich einen Treffer an seiner Schulter erzielte, was mich innerlich aufjubeln lässt. Er schimpft vor sich hin und ich mache mich bereit zum nächsten Angriff. Diesmal will ich ihn richtig treffen. Doch ehe ich mich wieder auf ihn stürzen kann, leuchtet mein Messer in einem grellen Blaulicht auf, was die Gegend um uns erstrahlen lässt. Ich fühle mich unsicher mit diesem unvertrauten Kampfwerkzeug, versuche mich aber wieder zu fassen. Nur ruhig denken. Solche Eigenschaften haben nur magische Werkzeuge, die von den Zauberern unseres Reiches hergestellt werden. Das muss ich mir zum Nutzen machen. Ich konzentriere mich und probiere das Blaulicht auf Elon zu richten. Er schaut verblüfft und weiß wahrscheinlich selber nicht, was im Moment vor sich geht. Ich suche an meiner Waffe nach einen Auslöserknopf, denn nur die Magier können die Energie von sich aus beeinflussen. Ich fummele an der Halterung herum und drücke aus Versehen auf den größten Saphirstein. Da erfahre ich einen Stoß nach hinten, als das Blaulicht aus der Klinge schießt und Elon mitten auf sein Brustkorb trifft. Ich hatte vorher noch nie ein magisches Werkzeug benutzt, aber die Sagen scheinen zu stimmen. Solche Werkzeuge verfügen über eine ungeheuere Kraft.
„Was in aller Welt war das gerade?“ – höre ich eine Stimme links von uns und erstarre als ich sehe, wer der Besitzer der Stimme ist.
Nicht sehr weit von uns entfernt steht Luke McLeod in seinem blauen Kapuzenpulli und schaut uns mit großen Augen an. Der Schnee fällt immer noch in riesigen Flocken und der Boden ist von einer Schneedecke eingehüllt. Wegen der eisigen Kälte sind keine Schüler mehr im Park und ich frage mich, wie Luke auf die Idee kam, bei diesem tollen Wetter mal einen Spaziergang zu machen. Elon blickt mich mit fragenden Augen an. Was will er jetzt von mir? Er hat uns das Ganze überhaupt eingebrockt.
„Geh weg. Ich kümmere mich um ihn.“ – sage ich zu Elon, weil ich der Meinung bin, dass er alles noch schlimmer machen würde. Er steht noch eine Weile reglos vor mir bis er kehrt macht und wegen dem Schnee bald nicht mehr zu sehen ist. Ich wende mich an Luke der in der Zwischenzeit näher gekommen ist.
„Ich wusste, dass du komisch bist, aber so weit hat meine Fantasie nicht gereicht.“ – meint er und schaut mich mit seinen meerblauen Augen zweifelnd an. – „Wieso hast du einen Messer bei dir? Wieso hat es gerade geleuchtet? Wer ist der Junge von grad eben?“
„Sagtest du nicht, dass du nichts mit mir zu tun haben willst? Dann bin ich dir auch keine Antwort schuldig.“ – weiche ich seinen Fragen aus. Ich könnte ihm theoretisch auch die Wahrheit sagen. Dass ich eine Fee bin und gekommen bin, um ihn abzuholen. Aber ich lasse der ganzen Sache lieber etwas Zeit. Sonst würde er sich überrumpelt fühlen und mir kein Wort glauben.
„Ja da stimmt aber irgendwas stimmt nicht mit dir. Du bist anders. Und ich will wissen was du uns allen verheimlichst. Du kommst mitten im Schuljahr hierher, in einer Kleidung, die total lächerlich ist, hast einen komischen Namen und einen leuchtenden Messer. Das ist nicht normal, oder?“
„Und du findest es normal, wenn man von zwanzig Mädchen umgeben ist? Also meiner Meinung nach ist das auch ´komisch´.“ – kontere ich.
Er zieht eine beleidigte Grimasse und erwidert:
„Das ist nicht komisch. Das hat nur was mit meiner Coolheit zu tun.“
So ein selbstsüchtiger Kerl! Was will der König nur von ihm?
„Wenn du meinst.“ – belasse ich es dabei und laufe wieder auf den Einagng der Schule zu. Luke folgt mir, sagt aber nichts mehr. Ich stemme mich gegen die breite Glastür und trete in die Eingangshalle ein. Ein Gefühl der Wärme überkommt mich und lässt mich erleichtert ausatmen.
„War dir kalt?“ – erkundigt sich Luke plötzlich.
„Nein, ich habe nur aus Spaß gezittert.“ – entgegne ich. „Ich begleite dich zu deinem Zimmer.“ - ignoriert er meine Antwort. Plözlich so sorgsam, was?
„Ich finde den Weg auch alleine, danke.“ – murre ich und gehe los. Er folgt mir nicht. Ganz in meinen Inneren habe ich vielleicht gehofft, dass er mir folgen würde. Diesen Gedanken verwerfe ich aber sehr schnell.
Am nächsten Morgen wache ich erst zwanzig Minuten vor dem Unterrichtsbeginn auf und frage mich, wieso Christie mich nicht geweckt hat. Ich eile zu ihren Bett und merke, dass etwas nicht stimmt. Sie scheint noch zu schlafen, aber ihr laufen im Schlaf Schweißtropfen von der Stirn und ihr blondes Haar ist wirr vom ständigen Hin- und Herwälzen.
„Christie, wach auf.“ – schüttele ich sie leicht an ihren Schultern, nachdem ich ihre weiße Decke auf die Seite geschoben habe.
„Mhmm... ist es schon morgens?“ – reibt sie sich verschlafen die Augen.
„Ja, gleich fängt die Schule an.“
„Ich habe so ein mulmiges Gefühl im Magen. Ich bleibe heute lieber im Zimmer.“
„Soll ich bei dir bleiben?“
„Nein, du musst sowieso noch eine Menge nachholen. Ich komme auch alleine zurecht.“
„Brauchst du etwas?“
„Ja. Noch ein bisschen Schlaf.“ – stöhnt sie und schließt ihre hellblauen Augen.
Ich mache mir Sorgen um sie. Was für eine Krankheit hat sie wohl? Bei mir kann sie sich nicht angesteckt haben, denn Wächterfeen bekommen gleich nach ihrer Einschulung ein spezielles Immunisierungsmittel, die gegen alle Arten von Krankheiten wirkt und von den Kräuterfeen hergestellt wurde. Hoffentlich ist es bei Christie nichts Schlimmes, weil ich habe sie mitllerweile sehr ins Herz geschlossen.
Den Unterricht erreiche ich erst mit fünf Minuten Verspätung. Der Lehrer guckt mich grimmig an und ich entschuldige mich, ohne nach Ausreden zu suchen. In der letzten Woche habe ich schon einiges an Ausreden miterlebt, zum Beispielt so etwas wie „Meine Tür ließ sich nicht öffnen und ich kam nicht raus bis der Hausmeister gerufen wurde!“. Der arme Hausmeister wusste natürlich nichts von der ganzen Sache. Als ich mich an meinen Platz setzen will, merke ich, dass nicht Luke auf den Nachbarstuhl sitzt. Oder doch, es ist Luke, aber nicht Luke Hawkins. Widerstrebend setze ich mich und ernte dabei mörderische Blicke von meinen Klassenkameradinnen.
„Was machstdu hier? – flüstere ich Luke zu.
„Ich sitze im Englischunterricht.“ – grinst er mich mit einem schiefen Lächeln an.
„Ich meine, wieso sitzt du auf diesem Stuhl?“
„Weil ich nicht stehen will.“
In meiner Hilflosigkeit drehe ich mich in die Richtung, wo Luke Hawkins jetzt sitzt. Er ist jetzt in der ersten Reihe, direkt vor dem Lehrer, neben dem Bücherwurm Thomas. Ich suche seinen trostgebenden Blick, aber er macht keine Anstalten zu mir zu schauen.
„Was hast du mit Luke gemacht? Ich vermute mal er hat sich nicht freiwillig weggesetzt.“ – flüstere ich Luke McLeod zu.
„Ach, das habe ich auf meine Art geregelt.“ – meint er lässig.„Und wie ist deine Art?“ – hake ich nach, weil ich schon schlimme Vorstellungen habe. Erpressung à la Luke-Art?
Das stell ich mir so vor:
„Her mit dem Platz, sonst erfährst du meine Karft am eigenen Leib!“ – so Luke M.
„Aber ich sitze doch hier!“ – so Luke H.
„Jenny, Taylor, Amanda.“ – so Luke M.
,,Zu Befehl, Sir.” – so die Mädchen.
Und dann zücken sie alle ihre Waffen und vertreiben meinen guten Freund Luke von seinem Platz. Das ist natürlich sehr unwahrscheinlich, aber Luke McLeod traue ich alles zu. Eine Antwort auf meine Frage von vorhin bekomme ich nicht mehr, denn der Lehrer ist unserem ständigen Geflüster leid:
„Luke, Alari ich erwarte euch morgen vor Raum 32 zum Nachsitzen. Wenn ihr nicht kommt, fließt das in eure Endnote ein.“
Bis zur Ende der Stunde sagen wir also nichts mehr. Auch danach gibt mir Luke nur ausweichende Antworten, bis ich es dann schlussendlich aufgebe. Mit Luke Hawkins versuche ich auch zu reden, aber es wirkt als würde er mir aus den Weg gehen. Was hat Luke McLeod bloß angestellt?
Als ich nach dem Unterricht zurück zu meinem Zimmer gehe, fällt mir Christie wieder ein, und wie mies es ihr heute morgen ging. Ich öffne besorgt die Tür und eile zu ihr. Ihre Haare sind ungekämmt und ihre Augen sehen aus, als hätte sie schon seit Tagen nicht mehr geschlafen. Ihr Bett ist aufgewühlt und sie liegt unter ihrer Decke.
„Christie, ich bin wieder da!“
Als Antwort höre ich nur ihren unregelmäßigen Atem von ihr. Also ist es schlimmer als ich dachte. Ich lege meine Hand an ihre Stirn und fühle ihre glutheiße Körpertemperatur. Ich will mich sofort aufmachen um den Schularzt zu verständigen, als ich die blaue Flecken auf ihrer Hand bemerke, die mein Herz zum Rasen bringen. Sie hat keine menschliche Krankheit. Das ist Feengift. Eines von der schlimmsten Sorte, die ihre Opfer erst quält und sie dann einen langsamen Tod sterben lässt. Ich will Christie retten, aber ich habe weder die Zeit noch die Erlaubnis ins Feenreich zurückzukehren und das Gegengift zu besorgen. Plötzlich höre ich ein lautes Klopfen an der Tür. Ich öffne sie zaghaft und blicke Elon entgegen.
„Na, wie geht´s deiner Freundin?“ – stellt er mir böse grinsend die Frage, die ich nicht erwartet hätte.
„Gib mir das Gegengift.“ – fauche ich ihn an.
„Jetzt mach mal langsam. Mit was beschuldigst du mich denn wieder?“ – schaut er mich mit gespielt beleidigten Augen an.
„Das weißt du genauso gut wie ich.“
Elon hatte Christie das Gift verabreicht. Das ist auch logisch. Aber wie hat er das gemacht? Er war doch Christie nie in die Nähe gekommen. Oder doch? Ich überlege fieberhaft, wann er die Möglichkeit dazu gehabt hat. Da fällt mir ein, dass Christie mir gestern erzählte, was für einen super coolen Typen sie im Park getroffen hätte und wie toll es war mit ihm zu spazieren. Als Krönung des Ganzen bekam sie auch noch einen Abschiedskuss. Die perfekte Gelegenheit das Gift zu verabreichen. Wieso ist mir das bloß nicht früher eingefallen? Ich schimpfe mit mir selbst, weil ich Christie gestern nicht aufmerksam zugehört habe.
„Für was gibst du mir das Gegengift?“ – frage ich Elon, auch wenn ich seine Antwort schon weiß, aber ich muss mir sichergehen.
„Du sollst dein Auftrag abbrechen, oder das Mädchen stirbt.“
Ich durfte meinen Auftrag nicht abbrechen. Aber Christie durfte auch nicht sterben. Ich könnte nicht mit dem Gedanken leben, dass sie meinetwegen ihr Leben verlor.
„Wie kannst du nur so kaltherzig sein?“ – stelle ich die Frage an Elon.
„Ich bin eine Dunkle Fee. Kaltherzigkeit gehört zu meinen Haupteigenschaften.“ – zwinkert er mir zu.
Ich muss erfahren, wo er das Gegengift aufbewahrt. Sonst komme ich nie dran.
„Ach, und wo wohnt denn Mr.Kaltherzigkeit in der Menschenwelt? Hast du eine Eisscholle gefunden, wo du dich einnisten kannst?“ – frage ich im Plauderton.
„Toller Trick, aber ich werde dir nicht verraten wo ich wohne.“ – lacht er mich einfach aus. Ich verziehe das Gesicht und blicke ihn wortlos an.
„Also, brichst du deinen Auftrag endlich ab?“
Tue ich das? Ich würde meine Position als Wächterfee verlieren und auch die Gunst des Königs, für jemanden, den ich erst vor kurzer Zeit kennengelernt habe. Trotzdem darf ich sie nicht sterben lassen.
„Ja ich tue es.“ – bringe ich leise über die Lippen.
„Wie bitte? Ich glaub ich habe dich nicht richtig verstanden.“
Der Typ will doch echt nur an meinen Nerven zerren!
„Du hast es sehr wohl verstanden. Gib mir das Gegengift, sonst platzt unser Deal.“
„So geht das nicht. Woher soll ich wissen, dass du dann zurückkehrst?“
Wieso erratet dieser Junge immer meine Gedanken? Ja, es könnte auch klar gewesen sein, dass ich ihn nur austricksen will, aber ich denke ich habe es glaubwürdig gesagt. Und trotzdem ist er wieder hinter meinen Plan gekommen.
„Ich brauche Zeit zum Überlegen. Treffen wir uns in einer Stunde wieder hier.“ – nehme ich mir das letzte Wort und stolziere zurück in meinen Zimmer.
Ich darf meinen Auftrag einfach nicht abbrechen. Wer weiß, wenn der König sehr miese Laune hat, befreit er mich sogar vom Dienst und ich kann heimatlos in der Feenwelt herumlungern. So weit möchte ich es nicht bringen. Aber ich darf einen unschuldigen Menschen nicht sterben lassen.Ich grübele noch eine Weile über eine Lösung meines Problems nach, als es an meiner Tür klopft. Da Christie nicht in der Lage ist, zur Tür zu laufen, gehe ich und begrüße unseren Besucher. Elon kann es noch nicht sein, falls er neben seiner Kaltherzigkeit nicht auch noch Ungeduld als Haupteigenschaft hat.
„Hey, Alari, das hast du im Klassenzimmer vergessen.“ – reicht mir Luke McLeod mein Geschichtsbuch sobald ich die Tür öffne.
„Eh... danke.“
Danach stehen wir uns noch schweigend gegenüber, bis bei mir ein Licht aufgeht. Was wäre die einfachste Möglichkeit Luke in die Feenwelt zu bringen, ohne dass er auffällt? Ich darf einfach nicht bei ihm sein. Da die Katze nur mich zu beobachten scheint, kann ich Luke schon mal vorschicken und ihm seinen Schicksal zu überlassen. Das ist auch nicht meine beste Idee, aber diesmal nur meine einzige. Die Feenwelt ist gefährlich. Luke würde es ohne einer Begleitung nicht lange durchhalten, weshalb ich mich daran mache ein Brief zu schreiben:
Sehr geehrte Fee,
dieser Menschenjunge ist aus bestimmten Gründen in dieser Welt, die ich leider nicht erläutern kann. Fügt ihm keinen Schaden zu, denn das würde den Zorn unseres ehrenvollen Königs auf Sie ziehen.
Mit ehrfurchtsvollen Grüßen,
Alari, Wächterin des Palastes Caerleon
Diesen Brief werde ich Luke mitgeben, damit sein Leben nicht gefährdet ist. Ich als Wächterin verfüge über eine Position in unserer Gesellschaft, die gewürdigt wird. Aber bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen kann, muss ich mit Luke reden. Und er muss mir alles glauben und meine Anweisungen befolgen. Dafür habe ich noch 45Minuten. Eigentlich wollte ich mir mehr Zeit lassen um sein Vertrauen zu gewinnen und ihn in alles einzuweihen, aber Elon zieht mir einen Strich durch meine Pläne. Während ich diesen Brief schreibe steht Luke immer noch schweigend vor der Tür uns blickt mich zweifelnd an.
,,Luke. Ich muss mit dir reden. Würdest du bitte kurz hereinkommen?"
Er schaut mich merkwürdig an, folgt mir aber zu meinen Schreibtisch, wo ich ihn auf den Stuhl drücke. Dann erzähle ich ihm alles. Wirklich alles. Angefangen bei meiner Ankunft in die Menschenwelt, bis hin zu Elons Angriffen. Das geht sogar mir zu schnell, und der arme Luke schaut mich nur mit seinen neugierigen Augen komisch an. Ich erzähle und erzähle bis ich zur Gegenwart angelange und in was für einer Situation wir nun stecken.
„Willst du mich veräppeln?“ – ruft Luke empört aus.
„Nein, ich habe die gerade nur die Wahrheit erzählt. Das hast du schon mal von mir verlangt, oder?“ – erinnere ich ihn an die Szene, die sich im Park abgespielt hat.
„Kannst du mir das Ganze beweisen?“ – hakt er weiterhin ungläubig nach.
„Wenn du willst kannst du meine Waffen anschauen. Oder wir warten bis Elon an der Tür trommelt, denn da wirst du es mir ganz sicher glauben.“
„Dieser Elon… bedeutet er dir viel? Wenn du von ihm redest, sehe ich immer einen traurigen Ausdruck in deinen Augen.“
Da trifft Luke einen wunden Punkt.
„Das geht dich nichts an.“ – antworte ich störrisch. – „Glaubst du mir, oder nicht? Die Zeit drängt.“
„Ja. Was willst du, was soll ich jetzt machen?“
„Du musst jetzt sofort in die Feenwelt gehen. Ich öffne dir ein Portal, aber ich weiß nicht wo du landen wirst. Um das zu beeinflussen können müssten wir zum Hauptportal, der in der anderen Hälfte der Stadt liegt, gehen wofür wir aber keine Zeit mehr haben.“ – erkläre ich schnell, weil Elon jederzeit wieder auftauchen könnte. Luke nickt stumm, sagt aber gar nichts mehr. In diesem Moment bemerke ich das merkwürdige Ausdruck in seinen Augen und begreife, dass es alles andere als leicht für ihn ist. Er muss seine Welt verlassen, seine Freunde und alle, die ihm etwas bedeuten. Und das ohne zu wissen was auf ihn zukommt. Ich fange an ihn zu respektieren. Er zeigt Mut und Selbstbewusstsein, obwohl er innerlich verwirrt sein sollte. Er akzeptiert die Fakten die ich ihm auftische und befolgt meine Aufforderungen ohne mir zu widersprechen. Er ist anders als ich ihn mir vorgestellt habe. Am Anfang wirkte er bloß wie ein frecher Menschenjunge, doch er ist viel mehr als das. Darin könnte auch der Grund liegen, weshalb unser König ihn auserwählt hat.
„Sobald du angekommen bist, sollst du dir Hilfe bei einer Fee holen. Die allermeisten sind sehr höflich und hilfsbereit. Am besten wäre es, wenn du jemanden findest, der so ähnlich angezogen ist wie ich Du musst nach dem Palast fragen. Ich bin mir sicher sie werden dich dorthin führen, wenn du ihnen diese Nachricht überbringst.“ – reiche ich ihm den Brief, den ich vorhin mit aller Sorgfalt verfasst habe.
„Kommst du dann auch bald?“ – erkundigt er sich bei mir.
„Ja, ich versuche so schnell wie möglich hier wegzukommen.“ – versichere ich ihm und mache mich daran ein Portal zu öffnen. Ich nehme einen Kristall in die Hand, die ich vor Beginn meiner Reise noch eingepackt habe. Ich lege ihn auf den Boden und schiebe den Vorhang ein bisschen zur Seite, damit das Sonnenlicht eindringen kann. Bald beginnt das Kristall zu flimmern und erstrahlt immer mehr in einem funkelnden Lilalicht. Um das Kristall bildet sich ein glitzernder Kreis, das Portal. Es ist nicht viel größer als ein Rad einer Kutsche, aber nur Zauberer verfügen über die Macht, größere und beeinflussbare Portale herzustellen.Ich wende mich an Luke, der wie erstarrt neben mir dasteht. Ich stupse ihn leicht mit meinem Ellbogen an, und er erwacht aus seiner Schockzustand. Dann nicke ihm zu und er stellt sich an Rande des Portals.
„Bis bald, Alari.“ – verabschiedet er sich von mir, und seine Nervosität ist ihm eindeutig anzumerken.
„Bis bald, Luke.“
Und er verschwindet durch das Portal. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass Elon nicht wieder mein Plan durchschaut.
Wo zum Geier bin ich hier? In Märchen wird die Welt der Feen immer bezaubernd und wundervoll beschrieben. Und ich stehe hier mitten im Nichts. Wortwörtlich. Weit und breit sehe ich nur den dunklen, lilafarbenen Boden und sonst von allen Seiten nur den Horizont. Wo bleiben die grünen Wiesen, die fliegenden Feen mit ihren durchsichtigen Flügeln und die zauberhaften Gerüche? Von alldem ist hier nichts wiederzuerkennen. In was habe ich mich da bloß reingelassen? Ich bin auch so bescheuert. Ich vertraue einem Mädchen, die ich erst vor Kurzem kennengelernt habe und lasse mich von ihr gleich in die Feenwelt teleportieren. Normalerweise hätte ich sowas nie getan. Aber Alari hat eben etwas Bezauberndes an sich, wovon ich mich blenden ließ. Und das liegt nicht nur an ihrem Aussehen, obwohl sie zugegebenerweise kein schlechter Fang wäre Doch ich denke dieses besondere Etwas liegt an ihrer Ausstrahlung. Wie sie sich bewegt, wie sie redet, wie sie schaut... All dies hat mein Bewusstsein beeinflusst. Deshalb befinde ich mich jetzt hier und habe keinen Plan wohin ich soll. Alari sagte, ich sollte so schnell wie möglich eine Fee finden. Super. Meiner Vermutung nach befinden sich hier im Umkreis von mindestens zehn Kilometern keine Feen, außer wenn sie sich aus Versehen hierher teleportieren ließen, wie meine Wenigkeit. Ich stehe also total planlos irgendwo in der Feenwelt. Das ist ja schon mal eine gute Aussicht. Noch eine Weile bleibe ich so stehen, bis ich mich entschließe mich hier wegzubewegen, bevor mich hier meine Rentnerjahre heimsuchen. Also laufe ich los in eine beliebig gewählte Richtung. Es sieht immerhin überall gleich aus, oder nicht? Ich lege einen Fuß vor den anderen und merke, dass ich leichter geworden bin. Oder besser gesagt fühlt sich mein Bein leichter an. Da war doch mal was in Physik... Mit Schwerkraft und so. Aufgepasst habe ich nicht, aber auch mit ist klar, dass ich auf den Mond riesige Sprünge machen könnte, wobei ich meine Hände ausstrecke und mich wie ein Vogel fühle. So extrem war es hier nicht, das heißt ich fühle mich nicht wie ein Vogel, sondern eher wie ein Känguru an seinen besseren Tagen. Ich mache weitere Schritte und beginne mich an das Gefühl zu gewöhnen. Ich glaube, ich mag es sogar! Auf der Erde habe ich noch nie ein Gefühl wie dieses erlebt. Ich hopse weiter und blicke zum Himmel empor. Es sieht düster aus, beinahe schwarz. Genau wie der Boden. Die Sonne ist auch nicht sichtbar. Man sieht nur einen schwarzen Kreis, der den Himmel schmückt. So habe ich mir eher die Hölle vorgestellt, geschweige denn die Feenwelt.
Ich bin jetzt etwa einen halben Kilometer gewandert, wenn man es so nennen kann. Ich würde es eher als hopseln bezeichnen, falls dieses Wort überhaupt existiert. Meine Aussicht hat sich nicht viel geändert, mit der Ausnahme, dass ich in der Näher vertrocknete Äste sehe, die umgekippt auf den Boden liegen. Ich betrachte eines dieser Äste näher und nehme eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr.
„Ist da jemand?“ – schreie ich in die Leere und höre ein Krachen.
Ich mache eine 360Grad-Drehung um mich herum. Sehen tue ich weiterhin nur die öde Landschaft und den düsteren Himmel.
„Pieps, pieps pieps pieps.“ – nehme ich eine hohe Stimmer wahr. Oder besser gesagt mehrere Stimmen. Sie kommen immer näher und ich spiele mit dem Gedanken die Flucht zu ergreifen. Aber jetzt scheint sich eine Chance zu bilden, damit ich nicht weiterhin mutterseelenallein herumirren muss, in einer mir völlig unbekannten Welt. Das habe ich aber bereits erwähnt, oder? Wenn ich mir aber diese Möglichkeit entgehen lasse, wäre Alari enttäuscht. Vielleicht kann ich mir bei den Besitzern der Stimmen sogar Hilfe holen. Ich wage einen Schritt näher und frage erneut:
„Wer ist da? Ich heiße Luke McLeod und brauche Hilfe, da ich mich hier verirrt habe.“
„Pieps, pieps pieps.“
Will mich hier jemand auf den Arm nehmen? Oder hat derjenige nicht mehr alle Tassen im Schrank? Ich tippe auf das erste und gehe so nah, dass ich erkennen kann, wer mir die ganze Zeit zupiepst. Als ich das piepsende „Ding“ zu sehen bekomme, stolpere ich zuerst ein paar Schritte zurück. Denn es ist ein hässliches, mausähnliches Tier. Das zerschrubbte, hier und da ausgefallene Fell, die riesigen Augen, die mindestens so groß sind wie ein Bierglas im Durchmesser, die spitzen 30zentimeterlangen Ohren, in denen sich ekliges, grünes Schleim befindet, und der Körper, so fett wie die eines Schweines, sind sehr abschreckend. Dieses Ding (ich weiß nicht wie ich es sonst bezeichnen sollte) sieht aus wie eine Mutantenmaus aus einem dieser schlechten Comics, wo Aliens die Welt überfallen. Ich weiche verschreckt von der Mutantenmaus zurück, weil ich sehe, dass es nicht alleine ist. Hinter ihm reiht sich noch eine kleinere Herde seiner Sorte auf.
„Pieps, pieps, pieps pieps“ – kommen sie auf mich zu.Große Hilfe sollte ich von ihnen nicht erwarten. Ich hopse weiter weg und werde immer schneller. Am liebsten würde ich meilenweit von ihnen entfernt sein, aber diese Dinger sind schneller als ich dachte. Sie verfolgen mich immer weiter und ich fühle Panik in mir hochkommen. Was wenn sie mich erreichen? Werden die mich in Fetzen reißen, wie die Dinosaurier die Menschen in „Jurassic Park“? Meine letzte Hoffnung wäre, dass sie Vegetarier sind. Doch diesen Gedanken verwerfe ich sehr schnell, denn ich gewinne einen Anblick in das Maul einer Mutantenmaus und sehe wie die Zähne von Blut verklebt sind. Bääh! Ich hüpfe mit schon fast 25Stundenkilometern und endlich bildet sich eine gewisse Distanz zwischen mir und den Nagetieren. Bis ich über einen Ast stolpere. So dämlich verhalte ich mich sonst nie! Die Mädchen hängen immer an mir wie Kletten, da ich es in jeder Situation schaffe gelassen zu sein. Das nutze ich natürlich vollends aus, aber das ist jetzt nicht Thema. Im Vordergrund steht jetzt, dass ich langsam an meine Grenzen komme. Die Umstände hier zerren echt an meinen Nerven. Ich rappele mich auf und stehe den Mutantenmäusen gegenüber. Sie scheinen Angst zu haben, denn sie zittern am ganzen Leib und ihre Glupschaugen weiten sich vor Schreck. Hab ich mich gerade zu einem Monster gewandelt oder was? Ich versuche mein Glück und brülle aus dem Bauch heraus. Die Mäuse erzittern und flitzen davon. Ich, Luke McLeod das Monster, habe eine Herde von Monstermäusen davongejagt! In der Zukunft kann ich es in meine Bewerbungsunterlagen mitreinschreiben. Ich wette, ich würde bei meinem zukünftigen Chef sehr gut punkten.
Zufrieden drehe ich mich um und begreife. Die Mäuse haben sich nicht vor mir erschreckt. Eine nette Einbildung, aber eben nicht die Wahrheit. Vor mir schwebt momentan das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe. Ihre hüftlangen blonden Haare flattern im Wind. Ihre eiskalten blauen Augen sehen mich neugierig und zugleich abwertend an. Sie trägt eine schwarze Hose die über ihren Knien endet mit einem schwarzen, enganliegenden Oberteil mit V-Ausschnitt. Die Krönung des Ganzen sind aber die flimmernden grauen Flügeln, die an ihrem Rücken angebracht sind. Sie schlagen zart hin und her und halten sie somit in der Luft. Keines der Mädchen aus der Schule könnte mit ihr mithalten. Ihre Ausstrahlung übersteigt die von Alari. Es hat einen besonderen Einfluss auf mich. Nur dieser erste Anblick. Wie sie gleichzeitig furchterregend und zerbrechlich wirkt. Die dunkle Atmosphäre, die sie ausstrahlt.Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich mit einem einschüchternden Blick an.
„So, so, du bist also der kleine Schützling des Gaunerkönigs.“
Ich verliere mich in ihren Blick und spüre, wie meine Gliedmaßen unter mir zusammensacken, ehe alles schwarz wird.
Ich laufe gestresst im Zimmer auf und ab. Zu Christies Bett, und dann nach einer Wende wieder zu meinem. Die Situation zerrt sehr an meinen sowieso schon müden Nerven, und ich kann wirklich nur hoffen, dass mein Plan funktioniert. Wenn nicht, verlieren zwei Leute ihr Leben. Christie als allererstes. Dann komm ich. Keiner kann mir garantieren, dass Elon mich nicht mit seinen Verbündeten auflauert und mich töten lässt. Es ist auch fraglich, wie ein Eins-gegen-Eins-Kampf zwischen mir und Elon ausgehen würde. Er ist mir physisch überlegen, aber meine Reflexe sind ziemlich gut.
Es klopft an der Tür. Und was für ein Wunder, Elon steht davor und schaut mich mit seinen dunklen Augen an, in denen sich Ungeduld spiegelt.
„Der Herr erwartet also seine Antwort, ja?“ – gucke ich ihn herausfordernd an.
Ich muss mich stark zeigen, egal wie zerbrechlich ich mich gerade fühle. Es ist so als würden hunderte von Glasscherben an meinem Körper kitzeln und es somit zum Zittern bringen vor der Angst geschnitten zu werden. Denn genau so ist es, wenn ich Elon anschaue. Er erpresst mich, und wenn ich mich nicht seinem Willen beuge stirbt meine Freundin. Wenn ich es so bedenke, ist Christie meine allererste Freundin. Ich bin mir nicht sicher wieso, aber es ist mir klar, dass Christie von Grund auf gut ist. Sie sprüht immer vor Freundlichkeit und man kann die Zeit richtig mit ihr genießen. Bisher kannte ich dieses Gefühl nie, da es in der Feenwelt nie die Aussicht auf Freundschaft für mich gab. Alle hielten mich zu ernst, da ich immer am trainieren war und nie Zeit für Freizeitprogramme hatte. Vor ein paar Wochen wäre es mir nicht einmal im Traum vorstellbar gewesen, eine Fee zur Freundin zu haben, geschweige denn einen Menschen. Aber ich bin so glücklich, über einen für die meisten alltägliche Sache, wie Freundschaft, dass es nicht in Worte zu fassen ist.
„Ich weiß die Antwort bereits.“ – blickt mir Elon ohne jegliche Gefühlsregung in die Augen. Ich kriege Angst, er hätte etwas von meinem Plan mitbekommen. Also frage ich nach:
„Und wie lautet deiner Meinung nach meine Antwort?“
„Weißt du´s ernsthaft nicht? Natürlich bin ich mir zu 100Prozent sicher, dass du zurückgehst zu deinem König und dein Schicksal über dich ergehen lassen wirst. Schon damals warst du so. Nie würdest du einen unschuldigen Menschen sterben lassen.“ – nach diesem Satz sieht er mir tief in die Augen und ich fühle mich gezwungen wegzusehen, da ich sein Blick nicht mehr länger ertrage. Wo kommt bloß diese plötzliche Verlegenheit her?
„Lass mich durch.“ – schubst mich Elon nicht ganz sanft zur Seite und tretet zu Christies Bett. Er nimmt ein Glasfläschchen aus einer in seinem Umhang eingenähten Tasche. Im Fläschchen befindet sich eine bläuliche Flüssigkeit. Das Gegengift! Er vertraut mir. Mein Plan scheint zu funktionieren, aber ich kann nie wissen was Elon als nächstes tut. Schon als Kind hatte er mich des Öfteren überrascht. Einmal, als wir auf der großen Wiese in der Nähe meines damaligen Dorfes picknicken wollten, nahm er eine Katze mit, laut ´er solle uns die Mäuse für das Mittagessen fangen´. Ich bin schreiend weggerannt, in meinem rosa Rüschenkleid, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. An dem Tag verkroch ich mich in mein Zimmer. Ich fand die Idee von Elon absurd. Wieso sollten wir unschuldige Tiere töten, wo ich doch leckere Marmeladenbrötchen mitgebracht hatte?
Wir versöhnten uns erst wieder, als Elon mit einem Strauß selbst gepflückter Blumen vor meiner Haustür auftauchte. Er bat mich um Verzeihung, er wollte mich nicht erschrecken, es wäre bloß ein blöder Witz gewesen. Heute bezweifele ich immer mehr, dass das nur ein Witz war.
Er öffnet das Fläschchen und versucht Christie in eine aufrechte Lage zu bringen, um ihr das Gegengift zu verabreichen. Ich eile zu ihm und helfe dabei. Wir stützen Christie an die Wand, Elon hebt ihr Kinn hoch und flößt ihr die Hälfte des Fläschcheninhalts in den Mund ein.
Das Gegengift wirkt schnell. Binnen von wenigen Sekunden macht es sich bemerkbar, dass Christies Brustkorb sich regelmäßiger hebt und senkt. Ich atme erleichtert auf. Jetzt muss ich mir vorerst keine zusätzlichen Sorgen mehr machen.
„Pack deine Sachen. Ich begleite dich zum Hauptportal.“ – Elon erhebt sich langsam aus seiner Kniebeuge und geht ohne mir Beachtung zu schenken die Tür hinaus. Ich nehme meine Umhängetasche zur Hand und sortiere meine Sachen wieder ein. Dann rufe ich nach Indis. Leise genug um Christie nicht aus ihrem ruhigen Schlaf zu wecken.
Navigationsfeen brauchen keinen Portal um die Grenze der Welten zu überqueren, falls sie gerufen werden. Deshalb rufe ich Indis vor meinem Unterricht und schicke sie danach gleich nach Hause. Sie ist auch lieber bei ihren Freunden und Bekannten, als mit mir in der Menschenwelt. Den Unterricht schaffe ich aber nur, wenn sie auch dabei ist, da ich die komischen Schriftzeichen der Menschen immer noch nicht entziffert bekomme. Weil keiner sie sehen oder hören kann dient sie mir als persönlicher Übersetzer.
Bald erscheint Indis wieder und lächelt mich an. Ich habe ihr bisher nichts von Elons geheimen Tätigkeiten erzählt. Und das habe ich auch nicht vor. Ich brauche sie gerade für etwas anderes.
„Indis, hilf mir bitte einen Brief zu schreiben. In der Menschenschrift. Und stell mir anschließend keine Fragen, sondern geh zurück in unsere Welt. Ich werde die einmal alles erklären, aber nicht jetzt.“
Sie nickt nur. Eine vorbildliche Navigationsfee.
Ich krame Zettel und Stift hervor (ich habe mir auch einen Stift in Indis´ Größe besorgt, nur um auf solche Situationen vorbereitet zu sein) und fange an zu diktieren:
Liebe Christie,
Es tut mir leid, aber ich muss diese Schule verlassen. So ein Ding mit meinen Eltern...Ich danke dir für all die Hilfe die ich von dir während meines Aufenthaltes bekommen habe! Ich werde dich noch sicherlich noch besuchen kommen! Genaueres kann ich dir nicht versprechen, aber ich hoffe, das ist auch genug. Ich wünsche dir noch ein schönes Schuljahr. Sag Luke bitte auch schöne Grüße und auf Wiedersehen von mir. Damit du mich ja nicht vergisst, lasse ich dir ein kleines Andenken hier.
Liebe Grüße
Alari
Ich zupfe an meiner Kette und stochere den einen Smaragd von seinem Platz. Meine Kette ist nun unvollständig, aber ich weiß, dass ein Teil meines Herzens in dieser Welt bleiben wird. Deshalb lege ich den Smaragd neben dem Brief auf Christies Schreibtisch. Ich bin mir sicher, sie wird es finden.Indis verbeugt sich und teleportiert sich ihr Versprechen haltend in die Feenwelt zurück. Ich werfe noch einen wehmütigen Blick auf die schlafende Christie und verschwinde vor die Tür wo Elon auf mich wartet.
„Kannst du nicht schneller laufen?“ – motzt Elon mich an, als wir schon dabei sind die Stadt zu durchqueren.
„Kannst du nicht mal deinen Mund halten? Wieso kommst du überhaupt mit? Ich finde den Weg auch alleine.“
„Schonmal daran gedacht, dass ich dir nicht vertraue? Genauso wenig wie du mir?“
„Wieso solltest du mir nicht trauen? Ich bin nicht diejenige, die dich vor vielen Jahren verraten hat.“
Bei diesem Satz steigen mit Tränen in die Augen. Ich sehe nur noch verschwommen, weil sich die Tränen meinem Blickfeld in den Weg stellen. Zudem spüre ich, wie mich Elon von der Seite aus anstarrt, was mir nicht weniger Unbehagen bereitet. Am liebsten würde ich mich in diesem Zustand in mein Bett legen und meine Gedanken den Büchern hingeben.
„Bist du immer noch nicht darüber hinweg? Ist doch schon Ewigkeiten her.“
„Du fragst mich, ob ich darüber hinweg bin? Vielleicht ist es für so jemanden wie dich schwer vorstellbar, aber nein, ich bin noch lange nicht darüber hinweg! Und das werde ich nie sein!“ – meine Gefühle lassen sich nicht mehr zügeln. Elons letzte Behauptung war mir wie ein Stich ins Herz. Ich fühle, wie mir eine Träne meine Wange hinunterläuft und einen salzigen Nachgeschmack hinterlässt. Ich wische sie mit meinem Ärmel weg, die diesmal von normaler, unauffälliger Kleidung stammt. In dem Moment, wo Elon gerade etwas erwidern will, fängt der Boden an zu vibrieren und ich stolpere über meine eigenen Beine. Elon packt mich am Ärmel und zieht mich hoch. Ich entreiße mich seinem Griff und versuche aufrecht stehen zu bleiben, was bei den immer stärkeren Schwingungen des Bodens beinahe unmöglich ist. Ich schaue mich um und sehe die Menschen, wie sie friedlich neben mir entlangspazieren. Auch Elon scheint keine Schwierigkeiten mit dem Stehen zu haben. Das kann aber nur eines bedeuten.
Ich stecke bis zu den Knien in Schwierigkeiten. Der Zorn meines Königs erreicht mich bis hier her. Es lässt den Boden unter mir vibrieren, so dass ich ins Schwanken gerate. Wie hat er bloß von meinem Plan erfahren? Indis hat sich wohl nicht verplappert, oder doch?
„Geht es dir nicht gut?“ - erkundigt sich Elon. In seinen Augen bemerke ich einen Funken von Sorge, der aber vielleicht auch nur Einbildung ist.
„Ja, alles bestens. Laufen wir weiter.“ - murre ich.
Der Boden hat aufgehört unter mir zu vibrieren und endlich kann ich wieder eine aufrechte Haltung einnehmen. Elon schaut mich misstrauisch an, was ich aber ignoriere und einfach weiterlaufe. Er holt zu mir auf und pikst mir plötzlich mit seinem Finger in die Seite. Ich schreie laut auf. Die Menschen um uns herum betrachten uns kurz, sehen aber mit einem Grinsen wieder weg. Was geht ihnen gerade durch den Kopf?
„Was soll das?!?“ - maunze ich Elon mit einem finsteren Blick an.
„Wieso lügst du mich an?“- er sieht mir tief in die Augen, so als würde er alles wissen wa in mir vorgeht.
„Ich lüge nicht. Das bildest du dir ganz sicher nur ein.“
„Nein, das bilde ich mir nicht nur ein, das ist so. Wenn du lügst, zuckt deine Nase immer so süß. Das konntest du dir also auch nicht nach jahrelanger Training abgewöhnen.“
Seine Äußerung wirkt nicht wie eine Frage, sondern wie eine Behauptung Darauf kann ich nichts mehr erwidern, ich schnaube nur empört und stapfe weiter. Bis wir am Portal ankommen hüllen wir uns in ein düsteres Schweigen.
Das Portal sieht für die normalen Menschen aus wie ein Schaufenster eines Ladens, der schon seit geraumer Zeit geschlossen hat und mit Holzbalken verriegelt ist. Für mich und Elon ist es aber eine schimmernde Öffnung, die in allen Farben des Regenbogens glänzt.
„Ich geh dann mal.“ - meine ich und will durchgehen. Elon packt meinen Ärmel und zieht mich zurück Er blickt mir gespielt verwirrt in die Augen:
„Du denkst wohl nicht, dass ich dich alleine gehen lasse. Ich komme mit.“
Hat der nicht mehr alle?
„Vergiss es. Du wurdest verbannt und würdest schon Minuten nach deiner Ankunft tot am Boden liegen. Alle wissen wie man mit Verrätern umgeht.“
„Ich will meinen Vater besuchen. Das kannst du mir doch nicht übel nehmen.“
„Natürlich kann ich das! Als Wächterin hätte dich schon längst töten sollen. Wegen den Umständen in dieser Welt tue ich es aber nicht. Komm mir nie wieder unter die Augen.“
Das ist mein letzter Satz bevor ich durch das Portal verschwinde.
Ich sehe die grünen Hügel, die Bäume mit den dichten Laubkronen, die keine Sonnenstrahlen durchlassen, den blauen Himmel, der die Gefühle aller Feen widerspiegelt. Ich bin daheim! In der Ferne steht das imposante Schloss des Königs, die Sonne scheint drauf, dass der höchste Turm in einem gelben Schimmer glänzt. Es sieht wunderschön aus! Ich war nicht lange weg, aber ich habe diese Welt vom Herzen aus vermisst.
Ich mache mich auf dem Weg zum Palast, da meiner Vermutung nach Luke schon angekommen sein sollte. Dabei genieße ich den herrlichen Anblick über mein zuhause, und atme die frische,saubere Luft ein.
„Alari, wieder da?“ – ruft eine mir wohlbekannte Stimme nach mir.
„Ja. Aber ich habe noch zu tun.“„Mit deinem neuen Auftrag? Ich habe gehört, der König hätte dich persönlich zu sich bestellt!“
„Ja, das stimmt tatsächlich... Jetzt muss ich aber wirklich weiter.“
Ich will ihn endlich abhängen. Denn derjenige, der mich angesprochen hat, ist niemand anderes als Primo, der zusammen mit mir an der Akademie unterrichtet wurde. Die meisten, und dazu gehöre auch ich, können ihn nicht ausstehen. Klar, er ist sehr fleißig und tut alles um ein guter Wächter zu sein, aber er ist eben so... anhänglich. Er kann einem ganz schön auf die Nerven gehen, wenn man sich eine längere Zeit mit ihm unterhält.
„Schade, ich hätte noch gerne mir dir geplaudert. Aber wir holen es das Nächste mal nach! Viel Erfolg!“ – verabschiedet er sich winkend und ich setze meinen Weg fort.
Meine Route führt durch einen dichten Laubwald, dem Monahan-Wald. Meiner Meinung nach ist es eines der schönsten Wälder unseres Reiches. Es besitzt mehrere Lichtungen, die reich an Helligkeit sind. Magier kommen gerne hierhin, um sich seelisch aufzubauen, damit ihre Magie stärker ist. Auch ich spaziere hier gerne entlang um dem Zwitschern der Vögel zuzuhören und andere Tiere zu beobachten.
Ich komme an einem alten Baumstumpf vorbei und halte kurz an. Sachte streiche ich über die jahrtausendealte Rinde. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir vor, was dieser Baum in all seiner Lebenszeit schon alles miterlebt hat. Von Lachen der Kinder, Freude der Feen, Leben der Tiere bis hin zu Kämpfe und Kriege, Trauer und Not. So stehe ich noch eine Weile da. Man könnte denken ich hätte Wurzeln geschlagen, genauso wie die Bäume um mich herum. Es fällt mir schwer, wieder in die Gegenwart zurückzukehren, aber ich bin meiner Pflichten bewusst. Ich lausche noch einen Moment lang den Geräuschen des Waldes. Ich erwarte die alltäglichen Geräusche des Monahan-Waldes. Das Rascheln der Laubkronen, die Bewegung der Tiere, das zarte Wehen der Luft. Doch der Wald hüllt sich in ein düsteres Schweigen. Es ist diese besondere Art von Schweigen, in dem sich nichts regt. Ich öffne meine Augen wieder um die Lage besser zu betrachten. Kein Lebewesen macht sich bemerkbar. Irgendetwas läuft hier falsch. Plötzlich höre ich das Rascheln der heruntergefallenen Blätter, die das Kommen einer Person ankündigen. Ich denke mir nichts dabei und setze meinen Weg fort. Ich grübele nach, woran die seltsame Stille liegen kann, als ich ein Tuch vor meinem Mund spüre, gehalten von einer rauen Männerhand. Innerhalb von wenigen Sekunden verliere ich mein Bewusstsein, mit dem Gedanken, dass ich den Ursprung der Stille gefunden habe.
„Was sollen wir jetzt mit ihr machen? Er hat sich seitdem nicht mehr gemeldet.“
„Wie können nur warten.“
Ich öffne meine Augen einen Spalt und frage mich, wann ich eingedämmert bin. Und wo überhaupt. Ich sehe nichts außer Dunkelheit. In diesem Moment stürzen alle Erlebnisse wieder auf mich ein. Wie ich Luke vorgeschickt hab. Wie mich Elon zum Portal begleitet hat. Wie ich durch den Monahan-Wald spaziert bin. Und wie ich verschleppt wurde. Das gibt schon mal eine Erklärung dafür, warum ich nur schwarz sehe. Meine Entführer haben mir die Augen verbunden. Genauso meine Hand- und Fußgelenke, damit ich ja nicht fliehen kann. Mit meiner Kraft könnte ich das Seil sofort in Stücke reißen und meine Entführer bekämpfen, aber meine Neugier darum, was hier passiert ist größer als meine Fluchtlust. Die Stimmen meiner Entführer, dem Gespräch nach zu urteilen zwei Männer, werden lauter.
„Wir können nicht mehr warten. Sie wird nicht mehr lange betäubt sein! Was sollen wir dann mit ihr tun? Wenn er nicht bald auftaucht sitzen wir ganz schön in der Patsche.“
„Jetzt beruhig dich doch! Er kommt sicher bald.“
Nachdem ich das höre, interessiert es mich brennend, wer dieser geheimnisvolle „Er“ sein könnte. Aufjedenfall der Boss dieser Feiglinge. Ihretwegen ist der ganze Wald so leise. Die Tiere spürten wahrscheinlich die Anwesenheit vom Bösen. Ich warte ab, ob ich noch Information entnehmen kann, aber das Gespräch segelt auf ruhigere Gewässer zu Themen wie 'Meine Waffe ist ganz neu'. Super. Dann muss ich mir die Informationen auf einem anderen Weg beschaffen. Also stemme ich meine Fäuste mit aller Kraft auseinander. Gleich spüre ich wie das Seil reißt. Meine Entführer sind wohl wirklich Amateure, so ein leicht zerreißbares Seil zum Gefangennehmen zu benutzen. Da meine Hände jetzt frei sind stehen mir viele Möglichkeiten offen. Ich könnte mich von meinem Seil an den Füßen befreien und meine Entführer angreifen, sie waffenlos machen und nach Informationen ausquetschen. Oder ich ergreife einfach die Flucht. Da ich aber das Motto „Wieso leicht, wenns auch schwer geht?“ präge, entscheide ich mich für die erste Option. Gerade als ich meine Entscheidung in die Tat umsetzen will, öffnet sich mit einem lauten Schwung die Tür und jemand stürmt schnellen Schrittes herein. Meine Entführer reagieren nicht wenig überrascht und springen mit einer kurzen Bewegung von ihren Stühlen auf. Dann höre ich laute Kampfgeräusche, wie das Klirren von Schwertern und Dolchen. Schließlich endet das ganze mit zwei Plumpsgeräuschen. Ich wage es nicht mich zu regen und stelle mich schlafend. Schritte kommen auf mich zu und ich werde an den Schultern gerüttelt.
„Alari! Alles klar bei dir? Bist du wach? Bitte sag etwas!“- dröhnt mir eine sorgenvolle Stimme ins Ohr. Elons Stimme.
„Ja, ich bin wach. Schon länger. Aber sag mir eins: Was machst DU hier?“
„Um ehrlich zu sein, ich bin dir gefolgt. Dann habe ich gesehen wie diese Männer dich verschleppt haben und konnte nicht mehr tatenlos zusehen.“
Er ist mir gefolgt. Was für eine Schande. Als ausgebildete Wächterin habe ich ihn nicht bemerkt. Ich sollte mich dafür schämen.
„Andere Frage: Wieso bist du mir gefolgt?“
„Ich habs dir doch bereits gesagt. Ich will meinen Vater besuchen. Du bist die einzige die mir dabei helfen kann.“
„Ich kann dir unmöglich helfen. Ich weiß nicht wer dein Vater ist, ich wusste bis heute nicht einmal das er noch lebt, und demnach kann ich dir natürlich auch nicht sagen wo er sich aufhält.“
„Du weißt es. Sein Name ist Saladir.“
Saladir. Der Mann, der mir in der ganzen Feenwelt am vertrautesten ist. Derjenige der mir schon seit Jahren zur Seite stand. Mein Lehrer an der Akademie. Auch wenn ich keinen Unterricht mehr habe, ist er jederzeit bereit mir mit gutem Rat beiseite zustehen und mir zu helfen. Er sollte Elons Vater sein? Das kann ich nur schwer glauben.
„Du lügst.“
„Woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es einfach. Saladir könnte keinen Sohn wie dich haben. Er hat ein gutes Herz.“
„Ich etwa nicht? Jetzt bin ich aber beleidigt.“
„Nein, du nicht! Tu jetzt bitte nicht auf den Guten, denn das bist du nicht! Du hast meine Eltern getötet! Meinen ganzen Dorf ausgerottet! Alles, was mir jemals etwas bedeutet hat, ist durch deine Hand ausgelöscht worden!“
Ich schreie vor Verzweiflung.
„Ich habe mich geändert. Siehst du das nicht ein?“
Er hat sich wirklich geändert. Er ist viel lockerer geworden, von seinem Äußeres gar nicht erst zu sprechen. Aber der Ausdruck in seinen Augen lässt mich alle positive Gedanken verwerfen. Dieses böse Funkeln in seiner Iris besaß er schon damals, und das hat sich bis heute nicht geändert.
„Wenn du dich wirklich geändert hättest, wie du es behauptest, würdest du nicht zu den Dunklen Feen gehören!“
„Deshalb brauche ich meinen Vater! Ich wollte nie bei den Dunklen Feen leben und will das immer noch nicht. Ich brauche seine Hilfe um da loszukommen!“
Darauf bin ich nicht in der Lage etwas zu erwidern. Seine Worte scheinen wahr zu sein, aber mein Gefühl sagt mir was anderes.
„Das sollte ich dir glauben? Hältst du mich für so naiv?“
„Ich halte dich gar nicht für naiv. Ich sage nur die Wahrheit. Bitte, glaube mir.“
Er sieht mich mit solch einem Blick an, wie die eines bettelnden Kindes. Innerlich kämpfen meine Gefühle miteinander. Einmal droht das eine zu gewinnen, dann wieder das andere, bis schließlich ein Sieger hervorkommt.
„Ich begleite dich bis zu der Akademie. Ich werde behaupten du seist mein Gefangener. Aber sobald du auch nur eine schlechte Bewegung machst, kannst du damit rechnen, dass ich deinen Machenschaften ein Ende setze.“
Ein leichtes Lächeln bildet sich auf Elons Gesicht. Er wirkt zufrieden.
„Komm, ich helf dir hoch.“
„Ich schaffe es auch alleine, danke.“
Langsam erhebe ich mich. Plötzlich fährt ein stechender Schmerz in mein Fußgelenk. Ich musste ihn verletzt haben als die beiden Männer mich mitgenommen haben.
„Tut dir was weh?“
Elon ist aufmerksamer als ich dachte.
„Nur das Fußgelenk. Ich kümmere mich gleich darum.“
Ich halte Ausschau nach meiner Umhängetasche. Es liegt auf einen alten Holzstuhl, der vor einem leeren Tisch steht. In der Ecke steht noch ein Regal, ansonsten ist der verdunkelte Raum, bis auf die zwei ohnmächtigen Männer auf dem Boden, leer. Es könnte eine ganz normale Holzhütte sein, mit der Ausnahme, dass es hier nur ein kleines Loch in der Wand als Fenster dient. Schnell humpele ich zu meiner Tasche und krame ein kleines Fläschchen Heilungstrank raus, die jeder Wächter vor einem Auftrag zugeschickt bekommt. Vorsichtig lasse ich einen Tropfen auf mein schmerzendes Fußgelenk fallen. Ich spüre, wie der Schmerz mit jeder Sekunde verschwindet, bis ich nichts mehr fühle.
„Wir können los“ – sage ich zu Elon und marschiere los.
Die Akademie ist nicht mehr weit entfernt, da ich durch das Hauptportal zurückgekommen bin. Luke hatte leider nicht so ein Glück. Er musste schließlich das von mir erschaffene Portal benutzen, das heißt, er könnte überall in der Feenwelt gelandet sein. Inzwischen musste mit Hilfe meines Briefes den Weg zum Palast gefunden haben.
Als ich aus der Hütte trete, schaue ich zu den von Sternen besähten Himmel empor. Es ist Nacht. Wie lange musste ich weg gedöst sein?
„Nur wenige Stunden. Länger konnte ich nicht warten um dich zu befreien.“- antwortet Elon auf meine Gedanken.
„Wieso weißt du immer was ich denke?“ – empört drehe ich mich zu ihn um.
„Weil ich dich kenne.“ – tut er meine Frage mit dieser kurzen Erklärung ab. – „In dieser Dunkelheit können wir nicht mehr weiter. Lass uns ein bisschen weiter weg Rast machen, falls unsere beiden Verbrecher früher als gedacht wieder ihr Bewusstsein erlangen sollten.“
Ohne etwas zu sagen folge ich Elon. Als er nach einer kleinen Ewigkeit wieder stehen bleibt verkündet er:
„Hier schlafen wir.“
Ich betrachte den von Laub übersäten Boden. Es kann gar nicht mal so unbequem sein hier zu schlafen.
„Ich halte zuerst Wache. Bin ja auch erst vor wenigen Zeit aufgewacht.“ – lächele ich Elon zuckersüß an. In meinem Kopf fängt sich ein Plan an zu formen.
„In Ordnung. Gute Nacht.“ – sagt Elon nur und legt sich auf einen größeren Laubhaufen. Die Tasche, die er bei sich trägt, wirft er neben sich hin.
Bald nehme ich sein regelmäßiger Atem wahr. Das heißt, er ist schon eingeschlafen. Ich schleiche mich mucksmäuschenstill an ihn heran und mache mich an seiner Tasche zu schaffen. Denn meine Tasche spiegelt meinen Charakter wider. Es enthält Geheimnisse, von denen nur ich weiß. Wenn Elon mich anlügt oder mir etwas verheimlicht, dann werde ich es gleich herausfinden.
Ein gewöhnlicher Dolch. Ein unbeschriebenes Stück Papier. Ein rauer Lederband. Weitere Kampfmesser und unnötiges Zeug. Nichts! Gar nichts! Keine einzige Sache deutet darauf hin, dass Elon mir was verschweigen würde. Ich war mir aber so sicher. Noch einmal durchforste ich die braune Tasche ohne Erfolg, seufzend schleiche ich mich zurück zu meinem kurzzeitigen Bett, einem mittelgroßen Laubhaufen. Leise gehe ich zurück zu meinen Wachposten und sitze dort, bis ich abgelöst werde.
Am nächsten Morgen werde ich von Elon geweckt. Wie lange habe ich wohl geschlafen?
„Wieso?“ – wendet sich Elon mir zu, sobald ich die Augen öffne.
„Was?“ – wahrscheinlich habe ich ihn nur wegen meiner Verschlafenheit nicht richtig verstanden.
„Wieso hast du gestern Nacht in meiner Tasche gekramt?“
Verdammt. Woher weiß er das?
„Denkst du echt, ich hätte es nicht gemerkt? Mann bist du naiv. Jetzt gib mir eine Erklärung.“ – seine Augen blitzen mich böse an, so dass ich leicht und unbemerkbar zusammenzucke.
„Das kannst du dir selber zusammenreimen. Ich geb dir mal einen Tipp: Ich vertraue dir nicht. Na, geht bei dir jetzt ein Lämpchen auf.“
„Sei nicht so frech, sonst...“
„Sonst was? Du bist auf mich angewiesen. Komm mir nicht mit Drohungen.“
Langsam werde auch ich wütend. Ich tue ihm einen Gefallen und er beschimpft mich als frech! Ich drehe ihm schnaubend den Rücken zu. Der Weg bis zur Akademie erweist sich als leise. Weder Elon noch ich setze zu einem Gespräch an. Ich spüre, wie er mich manchmal von der Seite anschaut, jedoch schenke ich ihm keine Beachtung.
Als wir an der Akademie ankommen, sehe ich Saladir gleich am Eingang. Er wirkt neben der riesigen Akademie stehend wie eine Ameise neben einem Menschen. Ich ziehe Elon schnell ins Gebüsch.
„Mach jetzt nichts Unüberlegtes. Ich rufe Saladir und du bleibst solange hier.“ – gebe ich ihm den Befehl. Auf unserem Weg hatten wir das Glück, dass niemand nach seiner Person fragte. Wahrscheinlich nahmen sie an, ich hätte ihn als Wächterin ausfindig machen müssen, damit der König Geheimnisse der Dunklen Feen aus ihm rausbekommen kann.
Elon blickt mir kurz zweifelnd in die Augen, nickt aber schließlich. Ich springe aus dem Gebüsch und laufe schnurstracks aus Saladir zu. Die anderen Schüler beachten mich nicht und gehen ihren Tätigkeiten nach. Alle scheinen das warme Wetter und die angenehmen Strahlen der Sonne zu genießen. Auch Saladir, der wahrscheinlich seine Mittagspause hat. Schon von einer Entfernung von 10Metern bemerkt er mich, und lächelt mir freundlich zu. Ich lächele zurück.
„Sei gegrüßt, Alari. Wie geht es dir? Läuft in deiner Arbeit alles gut?“
Saladir war schon immer sehr freundlich und direkt gewesen.
„Ja, danke der Nachfrage. Mit mir ist alles in Ordnung. Aber mir ist etwas zu Ohren gekommen, worüber ich Sie gerne fragen würde.“
„Dann raus damit. Du weißt, du kannst mich jederzeit um Hilfe bitten.“
„Ja, und das weiß ich sehr zu schätzen. Aber diesmal geht es nicht um mich. Ich habe ihren Sohn getroffen.“
Saladir ist sonst nicht aus der Ruhe zu bringen, doch jetzt huscht ein überraschter Ausdruck über sein Gesicht, der aber nur zwei Sekunden andauert und dann wieder verschwunden ist.
„Mein Sohn also... Alari, es kann nicht sein, dass du meinen Sohn getroffen hast.“
„Aber das habe ich!"
„Nein, und weißt du wieso? Mein Sohn ist tot. Er ist mit drei Jahren an einer Vergiftung gestorben. Unmöglich kann er am Leben sein.“
Verwirrt starre ich ihn an. Er streicht seinen kurzen, weißen Zottelbart entlang während er mich mitleidig anschaut. Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Es dauert eine Weile bis ich sie ordnen kann und sich drei Möglichkeiten ergeben:
Es ist sonnenklar, welche Möglichkeit logisch ist. Saladir würde mich niemals anlügen, da bin ich mir ganz sicher. Er würde einen anderen Sohn keinesfalls verschweigen. Probleme schiebt er nicht unter dem Teppich, sondern stellt sich ihnen. Dann bleibt nur die dritte Möglichkeit offen. Elon hat mich angelogen. Wieso aber? Welchen Nutzen könnte er daraus ziehen mir so eine Lüge vorzutischen?
„In diesem Fall, entschuldigen sie mir bitte. Ich habe mich sicherlich geirrt.“ – respektvoll verbeuge ich mich und wende mich zum Gehen.
„Alari, pass auf dich auf!“
Das ist das letzte, was er sagt, bevor ich unter den Schülern verschwinde. Als ich außer der Reichweite von neugierigen Blicken bin, husche ich hinter das Gebüsch, wo ich Elon gelassen habe. Und was für eine Überraschung! Er ist nicht mehr da. Das Pochen von Adrenalin in meinen Ohren übertönt alles andere. Meinetwegen ist eine Dunkle Fee in unserem Reich frei unterwegs! Was, wenn er wieder ganze Dörfer tötet? Ich zittere am ganzen Körper. Das darf ich nicht zulassen! Ich halte nach Spuren Ausschau. Vor mir erstreckt sich ein kleiner Wald, der zur Akademie gehört. Hier haben wir das Tarnen geübt. Ich verfalle in alten Erinnerungen. Wie ich am Anfang meines Unterrichts, als das Tarnen eher ein Versteckspiel war, immer als letztes oder gar nicht gefunden wurde. Bei diesem Gedanken kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Während ich mich verträumt umschaute, werde ich von einer Fußspur wieder in die Gegenwart zurück gerissen. Ich gehe in die Knie und schaue es genauer an. Das kann nur von Elon sein. Hier im Schatten ist der Boden feucht, weshalb sich diese Fußspur gleichmäßig auszeichnet. Es ist auch frisch. Ich folge der Fußspur wenige Meter. Dort ist der Boden wieder von Laub bedeckt. Also sind keine Fußspuren mehr sichtbar. Trotzdem laufe ich in dieselbe Richtung weiter, in der Hoffnung wieder welche Spuren zu entdecken. Als ich weit in den Wald hineingelaufen bin, tauchen plötzlich vier stämmige Männer vor mir auf. Alle mit dem Abzeichen der Dunklen Feen. Ich mache mich kampfbereit und schon stürmt einer der Männer auf mich zu. Ich pariere seinen Schwerthieb mit einem Dolch, die erste Waffe die mir im Moment zur Hand kommt. Dabei weiche ich auch aus und mein Angreifer taumelt neben mir vorbei. Ich kriege keine Sekunde zum Ausruhen, denn schon kommt der nächste Angriff von hinten. Die Zeit reicht mir nicht mehr richtig zu reagieren. Ich versuche mich noch rasch umzudrehen um dem Schwert auszuweichen, aber ich werde an der Seite getroffen. Meine Rüstung wird dadurch beschädigt. Zumindest bin ich nicht verwundet. Mit meinem Dolch steche ich auf den jetzigen Gegner ein. Plötzlich werde ich auf den Boden gedrückt und ich spüre wie einer der Männer mich mit seinem Gewicht nach unten drückt. Ich lande auf dem Boden. Die Luft wird aus meinen Lungen gepresst. Keuchend versuche ich mich aufzurappeln, was mir jedoch nicht gelingt. Diesen Kampf habe ich verloren. Ich höre auf, mich zu wehren und lasse meinen Körper schlapp werden. Ich falle ihn Ohnmacht. Zum zweiten mal innerhalb von wenigen Tagen.
Als ich wieder aufwache, ohne zu wissen wie viele Stunden seit dem Kampf verstrichen sind, finde ich mich in einem dunklen Raum wieder. Es ist anders als bei meiner letzten Entführung. Das Aussehen der Umgebung gleicht nicht mehr einer Holzhütte, sondern viel eher einem Kerker. Ich bin von Steinwänden umgeben, und vor mir erstreckt sich ein Metallgitter vom Boden zur Decke. Die einzigen Lichtstrahlen kommen von oben durch einen kleinen, vergitterten Fenster. Meine Augen haben sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und ich erkenne eine reglose Gestalt neben mir. Bei genaueren Hinschauen wird mir bewusst, dass es sich um ein Mädchen handelt. Ein sehr junges Mädchen. Wahrscheinlich ist sie erst zwölf oder dreizehn. Genau kann ich das nicht sagen, aber sie ist jünger als ich. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich regelmäßig, stelle ich erleichtert fest. Vielleicht sollte ich sie wecken. Auch ihr steht das Recht zu, mitzubekommen was hier vor sich geht.
„Hey...“ – versuche ich sie leise wach zu bekommen.Als sie weiterhin keine Anzeichen des Aufwachens zeigt, werde ich etwas lauter.
„Hey, wach auf!“
Diesmal bringt mein Versuch Früchte. Sie blinzelt und reibt sich die Augen. Langsam setzt sie sich auf und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. Erst jetzt scheint sie zu bemerken, dass etwas nicht in Ordnung ist. Verwirrt schaut sie sich um, bis ihr Blick an mir heften bleibt
„Wer bist du?“ – fragt sie nüchtern.
„Alari. Ich bin auch gerade erst zu Sinnen gekommen.“
„Weißt du, wo wir sind?“
„Nein.“
Plötzlich hören wir ein lautes Klirren, und in der Dunkelheit lässt sich erkennen, dass die Gittertür verschoben wird.
„Kommen sie mit.“ – sagt eine strenge weibliche Stimme.
Wir gehorchen und folgen ihr. Wahrscheinlich wird sie uns sagen, wieso wir hier sind. An Fliehen kann ich leider nicht denken, da meine Handgelenke verbunden sind. Und diesmal nicht mit einem Möchtegern-Seil, sondern mit festen Eisenketten. Genau so ist es auch beim anderen Mädchen. Im Stehen macht es sich bemerkbar, dass sie regelmäßig trainiert. Unter ihrem T-Shirt zeichnen sich ihre Muskeln ab, und auch ihr Blick zeugt vom Mut einer Kämpferin.
Wir werden einen schmalen Gang aus Steinmauern entlanggeführt. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis in einem Raum ankommen, der mit vier Fackeln beleuchtet ist. Vor uns steht ein Mann mittleren Alters, der uns streng entgegenblickt. Die Frau verbeugt sich und verlässt den Raum durch eine alte Holztür.
„Wieso sind wir hier?“ – stelle ich meine erste Frage an den Mann. Aber sicherlich nicht die letzte.
Er sieht mich grimmig an, da es ihm anscheinend nicht gefallen hat, dass ich zuerst das Wort ergriff.
„Sie sind hier um ihre Aufgabe zu erfüllen.“
„Ich kenne keine andere Aufgabe, als mein Reich zu schützen.“ – entgegne ich barsch.
„Das werden Sie aber tun müssen. Es sollte Ihnen nicht sehr schwer fallen. Sie müssen nur warten.“
„Auf was?“
„Auf den Tod ihres Königs.“
„Wieso wollen alle Dunklen Feen den König zum Umsturz bringen? Etwa nur aus Rache wegen ihrer Verbannung? Das bezweifle ich sehr.“
„Nein, nicht nur aus Rache. Der König regiert falsch, nur zu seinem Wohle. Und sie fallen alle darauf herein.“
„Sagen wir mal, Sie haben Recht. Wieso sind ich und dieses Mädchen hier?“
„Erst einmal zu Ihnen. Sie standen uns sehr im Weg. Wir mussten uns darum kümmern, Ihrem Auftrag ein Ende zu setzen.“
„Was hat Luke mit der ganzen Sache zu tun?“
„Mehr als Sie denken würden.“
„Und wieso bin ich hier?“ – meldet sich plötzlich das Mädchen zu Wort.
„Wir zählen auf Ihre Hilfe. Den König kann man nur mithilfe eines Zaubers besiegen, den nur die mächtigsten Zauberer lernen können. Und die sind alle dem König treu ergeben. Außer Ihnen.“
„Ich bin in der Ausbildung zur Wächterin. Mit Magie habe ich nicht im geringsten etwas zu tun.“
„Das behaupten Sie. Wir suchen schon lange nach der richtigen Person. Jahrelang konnten wir nur beobachten, bis sich die Anzeichen bei Ihnen ausgeprägt haben.“
„Was für Anzeichen?“
„Da gibt es Folgendes...“
Weiter höre ich gar nicht mehr hin. Ich wurde also nur entführt, damit ich nicht im Weg stehe. Und was ist mit Luke? Er ist doch ein normaler Mensch. Meine Fantasie reicht nicht weit genug, um mir vorzustellen was Lukes Rolle in diesem verrückten Spiel ist. Dann ist da noch dieses Mädchen, die den König töten soll. Irgendetwas läuft hier komplett schief. An Elon erst gar nicht zu denken.
„Ich möchte sie bitten, zurück in ihr Zimmer zu gehen. In einer Stunde wird jemand das Essen vorbeibringen.“
Was mich am allermeisten in seinem letzten Satz schockiert war die Bezeichnung unseres Gefängnisses. In meinen Vorstellungen entspricht Zimmer etwas Anderem, Bequemeren. Aber bei diesem Mann kann es gut sein, dass eine normale Unterkunft für ihn wirkt wie königliche Gemächer.
Wie werden in unser „Zimmer“ zurückgeführt, eingeschlossen und zurückgelassen.
„Wie heißt du?“ – stelle ich die Frage an das Mädchen.
„Keona“ – antwortet sie mir. Danach sitzen wir nur noch schweigend da, mit den Rücken an die Wand gelehnt.
Soll das mein Schicksal sein? Abzuwarten bis mein Reich mitsamt seinem Herrscher im Krieg untergeht? Den Rest meines Lebens im ungemütlichen Revier der Dunklen Feen zu verbringen. Das ist mir nur schwer vorstellbar. Auch das Schicksal kann man ändern. Man braucht nur den Willen dazu. Also warte ich. Bis ich von außen keine Geräusche mehr höre und nur noch das Abendlicht durch das Gitterfenster scheint. Keona ist eingeschlafen. Sie wirkt weder aufgewühlt noch verwirrt in unserer äußerst merkwürdigen und auch gefährlichen Situation. Ich frage mich was für eine Person sie ist. Aber das herauszufinden kann noch warten. Vorerst habe ich schon genug zu tun:
1. Das erste und allerwichtigste: Ich muss herausfinden wo Luke sich befindet, denn inzwischen ist es zweifelhaft, dass er in Sicherheit ist.
2. Von hier wegkommen. Unbemerkt.
3. Den König alarmieren und beschützen.
4. Die Dunklen Feen im Kampf besiegen.
So sehen meine Zukunftspläne aus. Und ich kann schon sehen, dass es nicht leicht sein wird alle zu erfüllen.
Ich presse mich an die Gittertür, die ich vorhin mit einem Werkzeug, das ich genau für solche Fälle (man muss ja auf alles vorbereitet sein, oder?) in meiner Tasche trage. Das Schloss scheint langsam nachzugeben. Noch ein bisschen mehr Kraft Alari! Mit voller Kraft stemme ich mich dagegen, solange bis es plötzlich mit einem Ruck nachgibt. Meine Hände sind immer noch nicht frei, weshalb es mir sehr schwer fiel mein Werkzeug zu benutzen. Einzig meine Anderseits fand ich es fraglich, wieso sie meine Tasche bei mir gelassen haben. Bis ich genauer reinschaute. Meine Kampfwerkzeuge waren verschwunden, genauso wie meine Heiltränke. Alles was blieb war mein Buch, mein schlüsselähnliches Ding, womit ich die Tür gelockert habe und noch unwichtige Kleinigkeiten, die sie nicht gefährlich fanden.
Schlussendlich zählt aber nur eines: Ich kann hier raus. Keona schläft in der Ecke. Ich habe nicht vor sie aufzuwecken. Wenn ich dahinterkomme, was hier vor sich geht werde ich sie holen. Sonst wäre sie mir nur im Weg, auch wenn sie zur Wächterin ausgebildet wird, weil sie noch lange nicht bereit für solch gefährliche Aufgaben ist. Mit diesem Gewissen verlasse ich unser Gefängnis und schleiche mich durch den unbeleuchteten Gang. Das Zimmer, in dem wir uns mit den Mann unterhalten haben, liegt jetzt frei. Erleichtert atme ich auf und gehe mit leisen Schritten zu der Holztür. Ich öffne sie einen Spalt breit und luge dahinter. Es erstreckt sich ein weiterer Gang dahinter, der nach rechts führt. Dieser ist schon mit flimmernden Fackeln an den Wänden beleuchtet. Mit flinken Schritten folge ich dem Gang, danach einer Schneckentreppe, der geschätzt drei Stockwerke nach oben führt. Im nächsten Augenblick stockt mir der Atem. Es sieht ganz anders aus, als die Umgebung in der ich bisher gefangen war. Die Steinwände sind mit prächtigen Gemälden geschmückt, von der Decke hängen riesige Kronleuchter und der Boden ist mit einem roten Teppich mit goldenen Rändern ausgelegt.Stimmen reißen mich aus meiner Starre und ich verstecke mich hinter einem Vorhang, der vor einem großen Fenster angebracht ist. Die Stimmen kommen näher. Sie gehören einem Mann und einer Frau. Stocksteif stehe ich da und hoffe darauf, nicht bemerkt zu werden. Inzwischen sind die beiden Personen bis hier hergelaufen. Ich höre wie sie an meinem Versteck vorbeigehen und gelassen miteinander plaudern. Als ich der Meinung bin, dass sie weit genug sind, luge ich hinter dem Vorhang hervor. Gerade sehe ich noch, dass es wirklich zwei Personen sind, ein blondes Mädchen mit wunderschönen langen Haaren und einer schlanken Gestalt, die sich bei einem Mann unterhakt, der von hinten genauso aussieht wie Luke McLeod. Mein Herz klopft wie verrückt, als mir bewusst wird, was ich gerade gesehen habe. Es war tatsächlich Luke mit einer Dunklen Fee. Ich würde vieles dafür geben, zu wissen was hier vor sich geht. Meines Wissens sollte Luke im besten Fall schon beim König sein und im schlimmeren Fall, wie ich es seit gestern schon vermutet habe, im Reich der Dunklen Feen. Entführt. Doch die Szene von gerade eben bezeugt das glatte Gegenteil. Mehr Zeit zum Nachdenken bleibt mir nicht mehr, da ich die nächsten Leute um die Ecke biegen höre. Schnell husche ich hinter den Vorhang und warte bis sie vorbeigehen. Sobald keine Stimmen mehr zu hören sind, komme ich hinter dem Vorhang hervor und fühle mich einigermaßen wie Sherlock Holmes in „The Stolen Diamond“, mit der Ausnahme, dass ich keinen Revolver zur Hand habe. Aber überführen möchte ich jemanden. Oder zumindest zur Rede stellen. Nachdem ich mich in jede Richtung umgeschaut habe, flitze ich los in die Richtung, den Luke und das Mädchen eingeschlagen haben. Bei der nächsten Biegung sehe ich, dass der Flur sich nach links und rechts verzweigt. Bei genauerem Hinhören erkenne ich, dass Luke nach links ist. Ich eile ihnen hinterher. Mein Weg führt mich durch weitere Gänge und Flure, die menschenleer sind. Luke und das Mädchen bleiben vor einer weißen Tür stehen. Lukes darauffolgende Tat überrascht mich sehr. Er umarmt das Mädchen (die Dunkle Fee!) und geht durch die Tür. Das Mädchen bleibt noch einen Moment wie angewurzelt stehen, setzt dann aber ihren Weg fort.Da weiterhin niemand in der Nähe ist stürme ich auf Lukes Zimmertür zu und reiße sie ohne zu klopfen auf. Verwirrt blinzelt Luke mich an und sieht mir in das wütende Gesicht.
„Was. Tust. Du. Hier?“ – stoße ich hervor.
„Wie? Du sagtest du, ich solle ins Palast. Da bin ich doch. Und jetzt bist du auch da? Wo liegt dein Problem? Hattest du nen schlechten Tag?“ – sagt er zu mir und wirft dabei lässig sein gerade ausgezogenes Shirt auf sein Bett, so dass er nun mit einem nackten Oberkörper vor mir steht.
„Das ist der falsche Palast!“ – schreie ich ihn an.
„Wie? Es gibt noch mehr?“
„Nein. Nur noch eines. Und da hättest du hingehen sollen.“
„Wieso sagst du mir das erst jetzt?“
„Ich dachte dir wär der Unterschied zwischen Dunkler Fee und Fee klar! Es hätte gereicht wenn du dir die Kleidung anschaust“
„Willst du mir grad weismachen, dass ich im Palast der Dunklen Feen bin? Zu denen auch dieser Elon gehört von dem du mal erzählt hast?“
„Ja genau. Du hast es begriffen.“
„Was jetzt?“
„Hilf mir erst meine Fesseln
abzubekommen.“
Er schaut mich prüfend an. Wahrscheinlich hat er bisher nicht gemerkt, dass ich gefesselt bin.
„Wieso...“ – setzt er an, aber ich lasse ihn nicht zu Ende sprechen:
„Erklär ich dir später. Mach einfach.“
„Schon gut...“
Er läuft im Zimmer umher, bis sein Blick an der Schublade des Nachttisches stehen bleibt. Eilig öffnet er es und wühlt darin rum. Triumphierend sieht er sich um und hält einen Nähset hoch. Dort nimmt er die Nadel raus und stellt sich hinter mich. Mein Herz pocht schneller, als ich spüre wie er mit seinen Armen meinen Rücken berührt. Er macht sich an dem Schloss meiner Fesseln zu schaffen, die bald mit einem Klick aufgehen und auf den Boden fallen.
„Das hätten wir dann mal.“ – meint Luke mit einem siegessicheren Blick.
„Wie hast du das gemacht?“ – frage ich ihn verblüfft, da diese Sache für mich ganz neu war.
„Hab ich mir selber beigebracht... Man braucht nur ein bisschen Übung.“
Sehr hilfreich ist seine Antwort nicht, aber ich gebe mich damit zufrieden. Wir haben wichtigeres zu tun.
„Sag mal, Luke, hast du dich hier schon gut eingelebt?“
Insgeheim will ich mit dieser Frage nur herausfinden, wer das Mädchen an seiner Seite war.
„Joa... Die Leute hier scheinen ganz nett zu sein. Bist du dir ganz sicher, dass das Dunkle Fee sind?“
„Ja das bin ich!“ – rufe ich empört.
„Aber sie sagten mir, ich wäre am richtigen Ort.“
„Dann haben sie dich angelogen!“
„Wenn du meinst... Es ist schwer zu glauben, nach den paar Tagen die ich hier verbracht habe. Zuerst hatte ich noch Zweifel, da ich an einen grässlichen Ort gelandet bin, aber nachdem Clair mir das Schloss gezeigt hat sind die alle verflogen.
„Wer ist Clair?“ - erkundige ich mich, obwohl mir seine Antwort bereits klar ist.
„Sie...“ – fängt er an, als es plötzlich an der Tür klopft.Sie dürfen mich nicht entdecken! Erschrocken sehe ich Luke an, der schon bei der Tür ist.
„Warte doch! Ich muss hier weg!“ – zische ich.
Jetzt scheint er zu begreifen und zeigt auf den Schrank links von mir. Dort verstecke ich mich und hoffe mit einem Kloß im Hals, dass Lukes Besucher schnell wieder die Weite sucht, da es nicht sehr angenehm ist in einer Schacht voll mit Lukes Kleidern zu festzusitzen.
Mit vor Aufregung zitterndem Körper sitze ich da und warte. Luke öffnet die Tür mit einem Klick und eine weibliche Stimme dringt gedämpft in meine Ohren.
„Luke, du hast dein Ring bei mir vergessen. Ich bin gekommen um es dir vorbeizubringen.“
Luke besitzt einen Ring?
„Danke, Clair, das ist sehr nett von dir.“Schon wieder diese Clair.
„Darf ich kurz reinkommen? Wir könnten uns noch ein bisschen unterhalten und dann zusammen zum Speisesaal laufen. Was meinst du?“
„Das wäre wirklich toll... aber ich habe noch vor dem Essen was zu tun.
“„Ach, was denn?“
„Ich wollte noch... duschen gehen. Damit wir dann noch einen schönen Abend zusammen verbringen können.“
Ich sehe förmlich vor mir, wie Luke sein charmantestes Lächeln aufsetzt und diese Clair in seinen wunderschönen blauen Augen versinkt.
„Oh, wenn das so ist. Ich freue mich schon darauf. Bis dann, Luke.“
„Bis dann Clair.“
Die Tür fällt in seinen Schloss und Luke öffnet die Schranktür. Grelles Licht blendet meine Augen, die sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt haben.
„Kommst du heute noch raus?“ – fragt mich Luke genervt, da ich keine Anstalten mache aus dem Schrank zu steigen.
„Nein, morgen erst.“ – murre ich.
Mit Clair hat er sich nicht so arrogant verhalten. Wieso mit mir?
„Seit wann trägst du einen Ring? Ich habe nie einen bei dir gesehen, als ich in deiner Welt war.“ – wechsele ich das Thema.
„Den habe ich hier als Willkommensgeschenk bekommen. Schau mal was fürn coolen Stein der hat.“
Und ja. Der Stein ist wirklich „cool“. Aber bei genauem Betrachten der Farben bestätigt sich meine böse Vorahnung.
„Luke, das ist ein Spionenstein. Sie belauschen dich rund um die Uhr.“
„Quatsch. Den hat Clair mir gegeben und sagte er würde mir Glück bringen.“
„Wie naiv bist du eigentlich? Wir müssen hier sofort weg. Verstehst du wieso? Weil deine liebe Clair dir ein Spionenstein aufgebunden hat und sie auch dieses Gespräch mitbekommen haben. Sie wissen, dass ich hier bin!“ – von Adrenalin gesteuert zerre ich ihn aus dem Zimmer und haste los. Den Stein werfe ich in den Kamin. Verbrennen kann sie nicht, aber das Zischen der Flammen sollte alle Geräusche überdecken. Ich kann mir nicht leisten wieder gefangen zu werden.
An der Ecke des langen Flures, wo Lukes Zimmer liegt sind zwei Wächter positioniert, eine Frau und ein Mann. Wahrscheinlich haben auch sie schon den Befehl bekommen, nach uns Ausschau zu halten. Ich wiege meine Chancen in einem Kampf, wo ich keine Waffen besitze und auch noch auf Luke aufpassen muss. Sie stehen nicht sehr hoch, trotzdem muss ich es versuchen. Ich lasse Luke los, den ich bis jetzt hierher gezerrt habe und stürze auf den Mann zu. Ich überwältige ihn mit einem harten Schlag auf den Kopf, den er nicht erwartet und somit auch nicht abgewehrt hat. Die Frau holt mit ihrem Schwert nach mir aus, aber ich ducke mich schnell genug und fege dabei ihre Beine weg. Mit einem lauten Plumps fällt sie auf den Boden. Ich entreiße ihr das Schwert und schlage ihr mit der Halterung auf den Kopf, so dass sie in Ohnmacht fällt. Hinter mir höre ich ein begeistertes Jaulen von Luke:
„Wow! Das will ich auch können! Wo hast du das gelernt?“
„An der Akademie.“ – gebe ich ihm die nicht sehr genaue Antwort, da ich keine Lust auf solcherlei Gespräche habe.Ich betrachte die besiegten Personen vor mir. Hier liegen lassen kann ich sie nicht, dann würden die Dunklen Feen zu schnell herausfinden welche Fluchtrichtung wir eingeschlagen haben. Plötzlich kommt mir eine geniale Idee zu Sinnen. Es fühlt sich an, wie die Situation aus einem Comic, wo plötzlich die Glühbirne aufleuchtet.
„Luke, nimm den Mann mit, wir müssen schnell zurück zu deinem Zimmer.“
Ich nehme die Frau huckepack und auch Luke gehorcht mir diesmal ohne Kommentare. Wir schleppen die beiden zurück und ich beginne, Luke meinen Plan zu erklären:
„Wir tauschen unsere Kleider aus. Wenn wir uns als Dunkle Feen ausgeben kommen wir mit Leichtigkeit von hier weg.“
„Da hast du recht.“ - meint er und verschwindet mit dem Mann im Badeabteil.Schnell wechsele ich die Kleider von mir und der Frau. Von der Größe her sind sie perfekt. Wahrscheinlich, weil die Lebensweise von einer Wächterin im Dunklen Palast und dem der Feen nicht sehr unterscheidet. Viel Kampftraining und kurze Mahlzeiten.Also stehe ich fertig als Dunkle Fee verkleidet da und warte ungeduldig auf Luke. Ich kann nur von Glück sprechen, wenn ich bedenke, dass die Dunklen Feen uns nicht mehr hier suchen werden.
„Hey, Alari, sehe ich nicht toll aus in dieser Verkleidung?“ – lächelt Luke mich schelmisch an, als er aus dem Bad kommt.
„Du siehst bescheuert aus! Die Brustrüstung trägt man anders herum. Wieso hast du überhaupt so lange gebraucht?“
„Ich habe noch meine Zähne geputzt.“
Ungläubig blinzele ich ihn an. Habe ich etwas falsch verstanden? Oder hat er sich wirklich in unserer nicht ungefährlichen Situation die Zähne geputzt?
„Luke, das ist nicht dein Ernst, oder?"
Ich starre ihn völlig perplex an.
„Wenn wir jetzt unterwegs sein werden, komme ich wohl einige Tage nicht an eine Zahnbürste, geschweige denn an eine Zahnpasta. Also reg dich nicht so auf, nur weil ich auf mein Mundgeruch achte.“Schnaubend drehe ich mich zur Tür und spähe auf den Gang. Weit und breit ist niemand zu sehen, obwohl wir mit unserer neuen Verkleidung hoffentlich nicht aufgefallen wären. Schleichen steht diesmal nicht auf dem Plan. Rücken gerade und vorwärts. Wir müssen schließlich als Dunkle Wächterfeen durchgehen. Luke läuft genauso selbstbewusst neben mir her. Ab und zu sieht er nach hinten, bis ich ihn anzische:
„Was suchst du hinter dir? Etwa dein Ego? Glaub mir, das hast du nicht verloren.“
Mit einem Grinsen sieht er mich an, den ich nicht deuten kann und richtet seinen Kopf endlich nach vorne. Bis jetzt sind wir mehrere Flure abgelaufen, in die Richtung, wo ich den Ausgang vermute. Fee bauen normalerweise alle Eingänge nach Süden, da die untergehende Sonne Kraft gebend sein soll. Im Gefängnis sah ich durch das Gitterfenster die Sonne aufgehen, das heißt dort war Osten. Somit lässt sich auch gleich herausfinden wo Süden ist.
„Wohin, wohin?“ – höre ich plötzlich eine mir schon bekannte weibliche Stimme hinter mir.
„Luke, gehst du mir jetzt auch noch fremd? Was ist mit dem versprochenen Abendessen?“
Natürlich ist es Clair. Sie funkelt mich wütend an. Es wird zum Kampf kommen. Da bin ich mir ganz sicher.
„Hey, Clair, schön dich zu sehen. Wusstest du schon, dass ich als Wächter jobben darf?“ – tut Luke einen auf Schleimer.
„Verkauf mich nicht für dumm. Dir sollte klar sein, dass du immer in unseren Händen warst. Das war nie andersherum.“
„Clair, liebe, du bist jetzt irgendwie ganz anders.“ – probiert Luke weiter.
„Luke, lieber“ – fängt sie mit einer ironischen Stimme an – „Du bist schlauer als du dich zeigst. Sag bitte nicht, dass du immer noch denkst ich würde dich vergöttern. Du bist nur ein feiger Mensch. Nichts weiter.“
„Luke ist nicht feige.“
Verdammt! Das ist mir einfach so rausgerutscht. Aber es ist die Wahrheit. Ein „feiger“ Mensch hätte sich nicht getraut diese Welt zu betreten. Luke tat es aber ohne lange darüber nachzudenken.
„Wächterfee Alari. Habe ich recht?“ – sieht mich Clair wissend an.
„Ja, in der Tat. Und wem stehe ich gegenüber?“
„Mein Name ist Clairseana. Ich bin die Befehlsgeberin der Palastwächter.“
„Verstehe. Und wenn ich es richtig vermute hast du nicht vor uns gehen zu lassen.“
„Da kann jemand ja sehr schlau schlussfolgern.“
„Falls du das auch kannst, musst du wissen was jetzt kommt.“
„Und wie ich das weiß.“ – sagt sie und greift nach ihrem Messer. Oder besser gesagt nach meinem Messer. Denn das, was in ihrer Hand ist, ist nichts anderes als das Messer, welches ich beim Schwurritual ausgesucht habe. Von dem ich die wahren Kräfte immer noch nicht kenne. Mit diesem Messer wedelt Clairseana in der Hand so rum, als sei es schon ihres seit der Geburt. Ich nehme das Schwert zur Hand, welches ich der besiegten Wächterin abgenommen habe. Es ist ein normales Eisenschwert mit einer Länge von einem Meter. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Nur eines weiß ich. Wenn Clair mein Messer richtig benutzt, habe ich keinen Hauch einer Chance gegen sie. Denn auch wenn ich nur wenig darüber in Erfahrung gebracht habe, es wurde mir bewusst, dass es sich um ein äußerst starkes Zauberwerkzeug handelt.
„Clair, liebe, überleg es dir noch einmal! Wenn du willst, gehe ich sogar mit dir zum Abendessen.“
Lukes Versuche, Clair zu überzeugen werden immer lächerlicher. Wahrscheinlich kann er bloß nicht akzeptieren, dass es überhaupt ein Mädchen gibt, das ihn zurückweist. Es muss ein regelrechter Schock für ihn sein.
„Halt dich da raus, Luke. Die Sache geht dich nichts an.“
„Und ob es mich was angeht! Ich bin hier derjenige, um den ihr kämpft. Es ist mir bewusst, dass ihr beide bis zu den Ohren in mich verknallt seid, aber gleichzeitig kann ich nur mit einem von euch ausgehen. Dafür müsst ihr aber nicht kämpfen! Wir können es auch anders regeln!.“
Zum ersten Mal denken wir mit Clairseana wahrscheinlich dasselbe: „Ist der Junge wirklich so selbstverliebt oder tut er nur so?“
Die Verblüffung ist uns wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben. Und nicht nur mir und Clair, sondern mittlerweile auch Luke. Sollte ihn unsere Reaktion verwundern? Nicht wirklich.
„Wieso schaut ihr mich jetzt so an?“ – er sieht uns ehrlich verwirrt an.
Damit ist auch meine vorige Frage beantwortet. Er ist wirklich so selbstverliebt.
„Luke, könntest du dich bitte wirklich raushalten?“ – bitte ich ihn.
„Aber Alari...“
Bevor er wieder einer seiner bescheuerten Überlegungen preisgibt, unterbreche ich ihn.
„Luke. Lass das!“
Er scheint zu kapieren, dass ich das ernst meine und erwidert nichts.
„Ich habe keine Lust mehr für eure Späßchen!“ – ruft uns Clairseana genervt zu.
Das nächste was ich wahrnehme ist ein strahlendes Licht, dass meine Augen blendet und ich nichts mehr erkennen kann. Ein merkwürdiges Gefühl durchzuckt meinen Körper. Meine Arme und Beine werden schlapp, wie die einer Puppe. Ich sacke zusammen und liege gleich auf den weichen mit Teppich ausgelegten Boden. Mit Luke scheint das gleiche zu passieren. Letztens, als ich das Zauberwerkzeug wenn auch ungewollt benutzt habe erschien nur ein blauer Lichtstrahl. Doch diesmal erleuchtet ein betäubendes Rotlicht meine ganze Umgebung. Wie schafft es Clair nur diese Kraft freizusetzen? Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, sie ist sehr stark. Und auch hübsch. Es ist leicht verständlich wieso Luke so an ihr geklebt hat. Was ich bisher aber übersehen habe, sind die Flügel. Eine Wächterfee mit Flügel? Was für Überraschungen werden mich noch treffen? Bäume lernen reden? Sogar das könnte ich mir mittlerweile vorstellen.
Das Rotlicht erlischt nach wirklichen vier Sekunden und einer spürbaren Ewigkeit. Ich versuche die Kontrolle über meine Beine wiederzugewinnen, doch es geschieht nichts. Nicht einmal meine Zehen schaffe ich zu bewegen. Dieses Gefühl lässt Panik in mir hochsteigen.
„Was hast du getan?“ – frage ich Clair angewidert.
„Das solltest du doch besser wissen.“ – lacht sie höhnisch auf.
Leider tue ich das aber nicht. Ihr kann ich es natürlich nicht sagen, aber mir selbst ist es bewusst.Es muss mir gelingen mich zu bewegen. Sonst kann ich nichts gegen sie anrichten. Angestrengt versuche ich mich zu rühren, so dass ich sogar vergesse Luft zu holen. Die Anstrengung lässt einen Knoten in meinem Kopf entstehen, welcher mir übel stechende Schmerzen verursacht. Doch im Vergleich zu meiner Angst um meinen Körper, das ich nicht mehr kontrollieren kann ist es nur ein lästiges Gefühl, wie eine Fliege, die man versucht zu verjagen und es einen trotzdem nicht in Ruhe lässt.Vom Boden aus sehe ich, wie zwei mit bequemen schwarzen Stiefeln bekleidete Schuhe näherkommen. Clair beugt sich zu mir runter und hält mir ein weißes Tuch an die Nase. Ein unangenehm süßlicher Geruch steigt mir in die Nase und entführt mich in eine Welt verschwommener Bilder, die keinen Sinn ergeben. Gleich erblassen auch diese, bis ich am Ende nur noch schwarz sehe.
Das letzte an was ich mich erinnere ist ein verzweifelter Schrei von Luke. Danach bekam ich nichts mehr mit. Jetzt sitze ich auf einen hölzernen Stuhl. Die gebogene Lehne drückt mir unweich in den Rücken, weshalb ich versuche eine bessere Position einzunehmen Das geht auch nur schwer, da meine Hände mit einem kräftigen Seil hinter der Lehne festgebunden sind. Auch meine Beine sind an die Beine des Stuhls gebunden. Mich zu bewegen scheint nahezu unmöglich. Mit meinen Fingern taste ich das raue Seil ab, mit der sie mich gefesselt haben. Als mir das bewusst wird, entlockt es mir beinahe ein Freudeschrei. Ich spüre wieder alle meine Gliedmaßen! Eine Welle der Erleichterung überströmt mich, macht sich in meinen Körper breit, erfüllt es mit Wärme und lässt mich erleichtert ausatmen.
„Wieder wach, Prinzessin?“
Plötzlich gefriert mir das Blut in den Adern. Die Stimme kommt von links und ich weiß schon wem es gehört, bevor ich meinen Kopf nach links beuge. Ich schau ihm direkt in die eiskalten grauen Augen. Sie scheinen mich zu durchbohren, aber ich gebe nicht nach. Erwidern tue ich nichts, da ich meine Wut gegen ihn nicht in Worte fassen kann. Er hat mich gefühllos verraten und in die Falle gelockt. Eine weitere Tat auf der Liste der „Sachen, die ich Elon niemals verzeihen werde.“
Wieso er? Wieso ist er überall da, obwohl ich mir nur wünsche, er solle verschwinden. Weit weg von mir sein. Mir nichts mehr antun können. Mein Herz nicht immer in Scherben zu zerbrechen, die ich eine lange Zeit lang wieder zusammenfügen muss, nur damit sie wieder zerfallen.
Innerlich bin ich zusammengebrochen. Äußerlich starre ich in die Leere und versuche die Anwesenheit Elons zu ignorieren. Aus Angst, er würde meinen unnatürlich schnellen Herzschlag hören, sobald ich auch nur eine klitzekleine Bewegung, mache sitze ich regungslos da.
Dieses Mal bin ich nicht in einem Kerker. Dieser Raum muss sich in den oberen Etagen des Palastes befinden, da die zarten Sonnenstrahlen der untergehenden Sonne durch das Fenster meine Haut wie tröstende Hände streicheln. Ich lasse mich diesen Gefühlen hin und versuche alles andere auszuschließen. Elons Anwesenheit, Lukes leisen Atem, da auch er hierher verschleppt wurde, das einengende Gefühl der Tatlosig- und der Hilflosigkeit und auch den Schmerz in meinen Kopf, der wie ein Hammer, der mit kleinen zeitlichen Abständen immer wieder an meinen Kopf hämmert. Mein Beruhigungsritual hält genau zwei Sekunden stand. Denn ein Lufthauch von links weht mir Elons Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Wald und scharfen Kräutern. Meine Gedanken werden durch diesen Geruch trüb und ich kann nicht mehr klar denken. Eine Blockade entsteht zwischen meinen Gedanken und meinen Taten. Mein Verstand befiehlt mir, weiter geradeaus zu schauen und Elon nicht zu beachten. Doch mein Kopf dreht sich langsam in seine Richtung, bis ich ihm direkt in die Augen schauen kann. Eine andere Anweisung meines Verstands wäre, ich solle wieder wegschauen. Und was tue ich? Weiterhin blicke ich in Elons tiefe Augen, die mich zu verschlucken drohen. Mein Herz hämmert mir gegen die Brust und ich denke fieberhaft nach, was ich tun könnte. Wie sollte ich mich der Fee gegenüber verhalten, der mein Leben kaputtmachte, mich täuschte und verriet.
„Sag doch was.“
Elons Flüstern gleicht der Bewegungen der Luft. Genauso zart und sachte weht es zu meinen Ohren hinüber.
„Alari, wo sind wir hier?“
Diese Stimme ähnelt eher einem Bären, der aus dem Winterschlaf erwacht ist. Luke ist wieder wach. Ich danke dem Himmel, dass er mich aus meiner gedrängten Situation retten konnte.
„Das ist ein Verhörraum im rechten Flügel des Schlosses. Hier verhandeln wir mit den Gefangenen.“ – übernimmt Elon die Antwort.
„Hab ich dich gefragt?“ – murrt Luke ihn an.
Da scheint wohl jemand nach dem Aufwachen nicht sehr gut gelaunt zu sein. Seine braunen Haare sind verwuschelt vom Kampf vorhin und seine Frisur sieht aus wie die Stacheln einer Igel.
„Nein, aber ich habe dir geantwortet.“ – erwidert Elon ungerührt.
Er ist wie ausgewechselt, da wir jetzt nicht mehr zu zweit sind.
„Halt doch einfach die Klappe.“
„Du hast mir nichts zu befehlen.“
Darauf wird Luke still. Vielleicht wird ihm erst jetzt bewusst, dass wir in großen Schwierigkeiten stecken. Es erfolgt eine peinliche Stille. Nur unser Atem ist zu hören. Auf alles andere setzt sich ein dichtes Schweigen. Als das unerträglich wird, zwinge ich mich mit Zweifeln dazu Elon anzusprechen, da es etwas gibt, was ich unbedingt wissen muss.
„Wieso? Wieso hast du mich wieder verraten?“ – stelle ich ihm sehr direkt meine Frage. Meine Augen werden feucht und es steigen mir salzige Tränen in die Augen, die ich aber wieder zurückdränge und nicht runterollen lasse.
„Weil das mein Befehl war. Du weißt genauso gut wie ich, dass man alle Befehle befolgen muss?“
Elons Herz muss aus Eis sein. So kalt, dass die Finger daran festfrieren würden wenn man es anfasst. Ich gebe zu, meines ist auch nicht brodelnd heiß, da ich in den letzten Jahren gelernt habe, eine Mauer darum zu bauen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich ganz sicher nicht so weit gekommen um eine angesehene Wächterin zu sein. Ich tat alles um es zu erreichen, weil Träume nicht von selber in Erfüllung gehen. Man muss sich den Weg erkämpfen und sich den Hindernissen stellen mit denen man konfrontiert wird.
„Antworte mir doch. Du musst es verstehen.“ – sagt Elon in Befehlston und ich sehe ihn in einem noch negativeren Licht.
„Nein, Elon. Ich werde nie verstehen warum du meine Eltern getötet hast. Ich werde auch nie verstehen wieso du mich vor ein paar Tagen in die Falle gelockt hast, weil es dir so gefiel. Ich werde dir nie verzeihen, dass du das Grundgestein meines Lebens zum Einsturz gebracht hast und ich mein Leben in der Tiefe verbringen muss. Ohne einer Familie, ohne Freunde. Und ich denke, da bist du derjenige, der hier etwas verstehen sollte.“
Er starrt mich ungläubig an und ich wundere mich selbst darüber, was mir alles aus dem Mund kommt. Die Worte sind ehrlich. Ein harter Stein fällt mir vom Herzen und ich bin froh, alles mal ausgesprochen zu haben.
Ich kann kaum fassen, was ich gerade höre. Ich dachte bisher immer, Alari wäre von Natur aus so verschlossen und doch tapfer. Aber wenn dieser Elon ihr all das angetan hat...
Es ist ein Wunder, dass sie bisher durchgehalten hat. Der Hass, den ich gegenüber Elon verspüre wird von Sekunde auf Sekunde größer. Wenn er Alari so blutrünstig hinterging, tat er Ähnliches sicher schon mit anderen Leuten. Wahrscheinlich tötete und mordete er, um seinen „Befehl“ zu erfüllen.
Klar, ich wurde auch angelogen, Clair hat mir die ganze Zeit nur vorgespielt, sie sei meine Freundin. Aber wie soll mich das schon hart treffen? Ich bin schon mit vielen Mädchen ausgegangen und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass da ein paar richtig gemeine Tussen dabei waren. Das ist jetzt auch kein guter Vergleich, Clair überliegt ihnen immer noch weitaus, aber auch sie war für mich nur ein Zeitvertrieb, diesmal in einer mir unbekannten Welt.Während ich mit vor Wut gesträubten Nackenhaaren dasitze, öffnet sich mit einem tiefen Knarzen die Tür. Elon geht auf die Knie und senkt seinen Kopf vor der zierlichen Gestalt, die mich sehr an jemanden erinnert. Spontan denke ich, es wäre Clair, doch bei genauerem Hinschauen bemerkt man den Altersunterschied.
„Seien sie geehrt, Majestät.“ - sagt Elon mit einer ehrfurchtsvollen Stimme, die ich eher als Knarzen einordnen würde, und ich spreche meine Gedanken laut aus:
„So ne kleine Blondine sollte eine Königin sein? Dass ich nicht lache.“
Plötzlich starren mich alle im Raum, Alari mit eingeschlossen, mit vor Überraschung geweiteten Augen an.
Ich kann einfach nicht glauben, wie unverschämt Luke sein kann! Wie kann er so mit einer Königin reden? Auch wenn sie unser Feind ist, das geht nicht. Möglicherweise lassen wie ihn jetzt köpfen. Oder werfen ihn in den schlimmsten Kerker, einem magischen Ort, wo man bis in die Ewigkeiten herumirrt und doch nie den Ausgang findet. Man erreicht die Grenze der Verzweiflung, der Einsamkeit und der Kraftlosigkeit. Diese Gefühle fressen anschließend einen von innen auf, bis man die Hoffnung völlig aufgibt und sich in den Selbstmord stürzt. Eine grausame Strafe, die ich nicht einmal meinen größten Feinden wünsche.
„Was sagen Sie da, junger Mann?“ – sagt die Königin mit einer entschlossenen, festen, aber dennoch zart klingenden Stimme, wie ich es nicht vermutet hätte.
„Entschuldigen Sie, Majestät. Ich habe mich nur von ihrer Schönheit blenden lassen, so dass ich meine Gedanken nicht richtig aussprechen konnte.“
Luke hat also begriffen, dass er mit seiner letzten Äußerung vollkommen danebenlag. Und jetzt kommt er mit lächerlichen „Wiedergutmachungsargumenten“.
„Ihre Entschuldigung ist angenommen.“ – meint die Königin und ihre Stimme lässt wieder den Raum erzittern. Alle verstummen und mir klappt beinahe meine Kinnlade herunter. Sie ist wirklich mit solcher Leichtigkeit auf Lukes Schmeichelei hereingefallen? Kaum zu glauben.
„Wächterin Alari, ich möchte Sie bitten mir zu erklären, wieso Sie ohne Erlaubnis in mein Palast eingedrungen und meinen Gast entführen wollten.“
Luke war hier niemals ein Gast. Eher ein Gefangener. Das darf ich ihr aber nicht sagen, denn auf irgendeine Art und Weise fühle ich mich sicher in der Vermutung, dass sie mir nicht so schnell verzeihen könnte. Es ist aber auch ausgeschlossen, dass ich ihr verrate, dass ich persönlich Luke in diese Welt gebracht habe und wieso ich das getan habe. Sobald ich auch nur ein Wort darüber verlieren würde wäre mein Leben beendet. Ich habe meinen Schwur abgelegt und daran halte ich mich.
„Sie wollen mir also keine Antwort geben?“ – schaut sie mich mit ihren gefühllosen, hellblauen Augen an. Ich weiß nicht, wie lange ich über eine Antwort nachgegrübelt habe, aber sie scheint ihre Geduld bereits verloren zu haben, obwohl man es ihr nicht ansieht. Ihre Gesichtszüge sind entspannt, ihre Haut hat eine natürliche Blässe, ihre blonden hüftlange Haare fallen ihr elegant über die Schultern, auf ihr silbernes Kleid, welches mit blauen Saphirsteinen an den Ärmeln aus Seide, und mit glänzenden Diamanten an den Seiten geschmückt ist, perfekt zu ihrem schwarzen Umhang passend.
„Nein, Ihre Hoheit.“
„Sie sind nicht in der Position, eine Antwort zu verweigern. Elon, nehmen Sie sie mit. Sie wissen was zu tun ist.“
„Natürlich, Ihre Majestät.“
Noch eine kurze Verbeugung und dann bedeutet mir Elon mit einer Handbewegung, dass ich ihm folgen sollte. Sekunden vergehen. Elon wird immer ungeduldiger.
„Steh doch endlich auf!“
„Ich bin an den Stuhl gefesselt.“ – sage ich, als ob es nicht schon längst klar gewesen sei.
„Verzeih.“ – meint Elon in seiner Verlegenheit wegen seiner Unaufmerksamkeit. Er bindet mich los und ich stehe widerstrebend auf. Unter den prüfenden Blicken der Königin, die auf meiner Haut brennen, verlasse ich den Raum. Was wird wohl mit Luke geschehen? Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn ihm auch nur ein falsches Wort aus dem Mund rutscht, erwartet ihn nichts Gutes.
Meine Situation ist aber auch nicht viel besser. Meine Gefühle sind so wirr, dass ich sie nicht mehr entschlüsseln kann. Manchmal denke ich, ich hätte Elon bereits verziehen, aber im nächsten Moment fällt mir all das Leid ein, den er mir zugefügt hat. Der Schmerz, der seitdem mein Schatten geworden ist. Die Erinnerungen an meine Eltern die ich nicht loslassen kann und überallhin mit mir rumschleppe und sie wie ein Steinbrocken auf meiner Seele lasten. Mein Herz aber will das nicht akzeptieren, es will alles verdrängen was in der Vergangenheit passiert ist und Elon eine neue Chance geben. Ich weiß aber, dass ich das nicht kann. Denn die Erinnerungen und Geschehnisse können noch so weit in mir verschlossen sein, sie werden nie vollständig verschwinden. Elons Tat ist nicht wiedergutmachbar.
„Du musst gestehen, was dein Auftrag ist. Sonst wirst du hier sterben müssen.“
Ich schweige. Aus zwei Gründen will ich nichts erwidern: Vorrangig ist der Grund, dass ich mein Schwur nicht brechen darf. Ansonsten habe ich entschieden, mehr Distanz zu Elon zu halten. Ich darf ihm mein Herz nicht mehr öffnen, schließlich sind wir keine Kinder mehr. Ich darf mich nicht mehr bei ihm ausheulen, wie damals, wenn ich vom Baum gefallen bin. Jetzt ist er mir ein Fremder.
„Du kannst nicht für alle Ewigkeiten schweigen!“ – meckert Elon mich hasserfüllt an.
Ich bringe wohl seine Nerven zu brodeln. Aber ich fühle mich momentan nicht in der Lage dazu, meine Gefühle in Worte zu fassen. Es geht einfach nicht. Am liebsten würde ich einfach nur wegrennen. Weg von Elon, weg von der Königin, weg von meiner Pflicht.
„Wenn du nichts sagst, muss ich dich mit einer unserer Methoden bekanntmachen, die dafür sorgen wird, dass du dein Mund aufmachst.“
Er will mir Angst machen. Eine typische Methode, wenn man etwas aus jemanden herausbekommen will.Sekunden vergehen und ich überlege mir eine Antwort, die ihm klarmacht, dass ich nicht verraten werde, was mein Auftrag ist.
„Elon, meinst du, du kennst mich?“
„Ja, Alari, ich bin mir sicher, dass du innerlich immer noch das kleine tollpatschige Mädchen bist, welches ich von damals kenne. Ebenso wirst du mir nicht sagen, was du hier zu suchen hast, denn du bist ein Sturkopf und siehst lieber dem Tod entgegen, als deinen Entschluss zu ändern!“
„Mit der zweiten Hälfte liegst du...“ – will ich seine Gedanken bestätigen als die Tür hinter uns aufgeschlagen wird und Luke neben mir vorbei saust:
„Verkauf mich nicht für dumm!“ – schreit er in die Richtung, wo die Königin in der Tür auftaucht.Ohne lange nachzudenken hetze ich ihm nach, Elon uns hinterher.
„Luke, warte doch!“ – schreie ich so laut ich kann.
Er hört mich aber nicht, oder will mir einfach keine Beachtung schenken. Immer schneller saust er durch die Gänge des Palastes, an verdutzten Gesichtern vorbei, bis wir im Palastgarten ankommen. Der Wegrand ist geschmückt von prächtigen Rosensträuchern, die wie in einem Märchen in der Sonne blutrot aussehen.
„Nein! Bleibt stehen! – ruft Elon hinter meinen Rücken, als Luke beinahe einen Art Labyrinth erreicht.
Ich frage mich, was Luke so in Aufregung versetzt hat. Die Königin musste ihm etwas offenbart haben, was seine Laune derartig veränderte. Aber was wohl? Ohne einmal tief durchzuatmen rennt er weiter in das Labyrinth und... verschwindet. Von einem Moment auf das andere. Wie von Zauberwand weggezaubert.
„Alari! Geh da nicht rein! Es ist kein normales Labyrinth!“
Ich bleibe stehen und warte bis Elon mich einholt um mir das Ganze genauer zu erklären.
„Wo ist Luke?“ – frage ich ihn außer Atem, da wir eine lange Strecke hinter uns haben.
„Das Labyrinth hat ihn verschluckt. Es ist das 'Labyrinth der Besinnung' und er kann erst raus, wenn er seine Ängste und Schwächen im Form von drei Aufgaben bekämpft. Wir benutzen es normalerweise für die schlimmsten Übeltäter, da sie es auch dort nicht schaffen ihre Fehler zu erkennen und somit für Ewigkeiten im Labyrinth gefangen sind.“
„Wie können wir ihn da herausholen?“ – frage ich ihn aufgeregt.Ich darf Luke nicht verlieren! Er muss zum König gebracht werden!
„Du kannst nichts tun. Er muss es alleine schaffen.“ – kommt die Antwort, die ich am meisten befürchtet habe, von Elon.
Luke schafft es alleine nicht. Er hat weder die Fähigkeiten, noch die Willenskraft solch eine Herausforderung zu überstehen. Ich muss ihn da herausholen! Da mir nichts anderes übrigbleibt, betrete ich von Adrenalin gesteuert die Öffnung des Labyrinths. Das letzte, was ich höre, ist ein verzweifelter Ruf von Elon, den ich nicht mehr verstehen kann. Danach werde ich von einem grellen Licht geblendet, alle Gedanken verlassen mein Gehirn und ich fühle mich einfach nur frei.
Ich finde mich an einen wunderschönen Ort wieder. Es ist eine grüne Wiese, geschmückt mit allen möglichen Blumen die einem einfallen. Der hellblaue Himmel erstreckt sich über mir bis weit in die Ferne, wo diese bezaubernde Landschaft nie aufzuhören scheint. Für einen Moment lasse ich mich vom Anblick hinreißen und genieße es in vollen Zügen. Bis mir wieder einfällt wieso ich hier bin. Ich muss Luke finden.
,,Luke!" - schreie ich mit voller Lautstärke. Vergeblich warte ich auf eine Antwort. Trotzdem wage ich noch einen Versuch:
,,Luke, wo bist du?"
Erneut höre ich nur das Sausen des Windes, wie es meine dunkelblonden Haare sachte auseinanderweht. Aber Luke taucht nicht auf. Ich weiß nicht wie dieses Labyrinth funktioniert, aber meiner Vermutung nach sind wir wahrscheinlich nicht am gleichen Ort gelandet. Das heißt ich muss ihn suchen.
Ohne eine Ahnung zu haben, wo er sich bloß befinden kann laufe ich in eine beliebige Richtung los. Es sieht überall gleich aus. Die gleiche Wiese, der gleiche Himmel mit den gleichen Schäfchenwolken und auch die gleichen Blumen. Es ist beinahe so, als würde sich die Landschaft immer wiederholen. Erst ist da eine Rose, dann eine Lilie, eine Mohnblume, eine Orchidee, eine Margarete, ein Löwenzahn, und schließlich eine Vergissmeinnicht. Diese Reihe von Blumen wiederholt sich, egal, in welche Richtung ich gehe. Solch eine regelmäßige Verteilung gibt es auf einer Wiese nicht. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen, geschweige denn Tiere. Normalerweise sollte es an so einem Ort doch von Vögeln, Schmetterlingen und Käfern nur so wimmeln. Etwas ganz Merkwürdiges geht hier vor sich. Das spüre ich.
Die regelmäßige Anreihung der Blumen ist mir dermaßen unnatürlich, dass ich mit der Zeit den Drang bekomme, diese Ordnung zu zerstören um ein Teil der Natürlichkeit wiederherzustellen. Aus einem plötzlichen Entschluss entschieden gehe ich in die Knie und fasse den Stiel einer Mohnblume. Mit einer kräftigen Handbewegung versuche ich es abzureißen, aber es ist einfach unmöglich. Der Stiel scheint sich stets zu weigern seine Wurzeln zu verlassen.
In diesem Augenblick rieche ich etwas Seltsames. Oder besser gesagt gar nichts. Auf einer Wiese, die die Heimat tausender Blumen bildet, sollte es doch fast bis zum Ersticken nach verschiedenen Gerüchen duften. Dieser Ort ist nicht von meiner Welt. Und auch nicht von Luke seiner. Es ist eine unnatürliche, parallele Welt, die mit meinen Sinnen nicht zu begreifen ist.
Das soll also das 'Labyrinth der Besinnung' sein? Indem ich mit meinen Ängsten und Schwächen konfrontiert werde? Ich schaffe es nicht, mir hier einen Zusammenhang herzustellen. Erwartet habe ich harte Kämpfe, schwer zu meisternde Hindernisse und blutrünstige Monster, die sich mir in den Weg stellen würden.
Anstelle von meinen Vorstellungen bin ich an diesem Ort. Ganz alleine. Mein einziger Geselle ist der Wind, der mir um die Ohren kreist und mich in ein unsicheres Gefühl der Sicherheit wiegt. Plötzlich sehe ich in weiter Ferne einen braunen Kasten. Beim Näherkommen lässt sich erkennen, dass es sich um eine alte Holztür handelt. Das Holz ist teilweise schon abgebröckelt, und die Klinke verrostet. So stelle ich mir die Tür einer Dunklen Kräuterfee vor, aber das komische daran ist, dass keine zum Tür gehörige Hütte zu sehen ist. Die Tür steht alleine mitten auf der Wiese. Von meiner Neugier geleitet lege ich meine Hand an die Klinke und drücke sie nach unten. Durch den entstehenden Spalt dringt ein heller Lichtstrahl, wie damals im Chemieunterricht, als unsere Lehrerin einen Magnesiumstab angezündet hat. Ich muss meine Augen zusammenkneifen, denn meine Augen fühlen sich an als würde man sie ausbrennen. Ich lasse die Türöffnung breiter werden, und das Licht wird immer stärker, so dass ich mittlerweile nichts mehr sehen kann. In der Hoffnung, dass das Licht wieder aufhört will ich die Tür schließen, aber da ich mit meinen Augen nichts mehr erkennen kann stolpere ich über meine eigenen Füße und falle direkt in das Licht herein.
Danach nehme ich das blendende Licht hinter meinen Augenlider nicht mehr wahr. Langsam und bedacht öffne ich meine Augen wieder und sehe einen alten, mit Holzmöbeln bestattetes Zimmer. Aber hinter der Tür war doch keine Hütte als ich sie öffnete. Das ist ein erneutes Zeichen dafür, dass hier nicht alles nach rechten Dingen zugeht. Der Raum besitzt auch keine Fenster, trotzdem ist es nicht stockfinster. Ich kann genau erkennen, wie viele Abdrücke alt aufgehängter Bilder auf der Wand zu sehen sind, genauso wie die exakt gleich aussehenden Bücher.
Es ist bedrückend wie unwahr meine Umgebung ist. Ich fühle mich wie in einer Kugel eingeschlossen, abgeschieden vom Rest der Welt. Dieses Gefühl drückt mir wie ein harter Steinbrocken auf die Brust. Meine Umgebung ist bedrückend und ich wünschte nicht alleine sein zu müssen. Ich vermisse die Nähe der Dinge, die mich in der realen Welt von Tag zu Tag begleiteten. Schnell verdränge ich diese Gedanken, weil ich weiß, dass ich an jedem Ort in der Lage sein muss alleine klargekommen. Es wird nicht immer jemand neben mir stehen, meine Hand halten und mir sagen was ich tun soll. Das ist schon Vergangenheit.
Ich muss es auch alleine aushalten.
Auf einmal höre ich ein lautes Geräusch. Die Tür ist hinter mir zugefallen. Ein Schauder fährt mir über meinen Rücken und auf meinen Armen bildet sich eine Gänsehaut. Ich erzittere von der Kälte und wünsche etwas Warmes, Weiches. Verlassenheit überkommt mich wie noch nie. Nicht einmal als meine Eltern starben, fühlte ich mich so alleine. Es waren Menschen um mich, die mich mit Mitleid ansahen und mir Trost gebende Worte zuflüsterten. Erst jetzt bemerke ich, wie wichtig es mir war. Damals verschloss ich mein Herz und nahm meine Umgebung nur in der fernen Weite war. Aber diesmal, wirken alle Gefühle der Einsamkeit auf mich, die ich jemals gespürt habe. Es bleibt mir keine Zeit mich davor zu wappnen. Dieser Schwall von Gefühlen strömt auf mich von einem Moment auf das andere ein. Ich weiß nicht ob es an diesem Raum, oder überhaupt an diesen unnatürlichen Ort liegt, dass das passiert. Mein Herz sehnt sich nach Nähe anderer Feen. Mein Körper kribbelt und ich wünsche mir, dass ich gier wegkomme.
,,Ich brauche Hilfe... ich kann nicht mehr alleine..." - murmele ich, in Bann aller negativen Gefühle.
Auf einmal erscheint erneut ein grelles Licht und das nächste, was ich mitbekomme ist, dass ich mich in einem breiten Gang zwischen zwei gerade geschnittenen Hecken befinde. Das Gras unter mir ist eben, und an manchen Stellen sind Tautropfen auf den einzelnen Grashalmen zu sehen. Vögel zwitschern und Insekten umkreisen mich schwirrend. Es ist meine Welt! Aber wie bin ich so plötzlich wieder hierhergekommen?
,,Fee Alari, Sie haben die erste Aufgabe meines Labyrinths gemeistert. Unter Druck der Magie dieses Labyrinths haben Sie sich eingestehen können, dass sie Hilfe brauchten. Damit haben sie ihre Sturheit, alles alleine zu machen, bekämpft. Sie können froh sein, dass diese Aufgabe so leicht war. Die restlichen werden schwieriger werden. Nun können Sie ihr Reise durch mein 'Labyrinth der Besinnung' fortsetzen, in der Hoffnung hier raus zu kommen." - dröhnt eine tiefe, gleichmäßige Stimme aus dem Nichts und verschwindet genauso schnell wieder, wie es gekommen ist.
Das ist also die erste Aufgabe gewesen. Elon sagte es gäbe drei solcher Aufgaben. Das heißt ich muss noch zweimal die schreckliche Erfahrung, die ich in dieser unnatürlichen Welt erlebt habe, wiederholen. Aber ich muss es tun um Luke zu finden. Wieso ist dieser Idiot überhaupt weggerannt? Sobald ich ihn finde, kommt er mir nicht mehr davon, bis er mir alles verrät.
Die Erleichterung, die ich gespürt habe schwindet langsam und erst jetzt bemerke ich, dass mich eine Stimme ohne dazugehörendem Körper angesprochen hat. Solche Arten von Magie waren mir bisher nicht bekannt, aber ich kann sie auch nicht ausschließen. Die Stimme befahl mir meinen Weg durch das Labyrinth fortzusetzen. Und genau das werde ich nun tun
Also setze ich meinen Weg fort. Ich laufe zwischen den sich über mich erstreckende Hecken durch und nehme bei allen Abzweigungen die Richtung rechts. Denn damals, als ich an dem Tag an dem Elon meine Eltern ermordete spazieren ging, lief ich nach links in Richtung Wald. Und es war der unglücklichste Tag meines Lebens. Aus diesem Grund habe ich mich jetzt dazu entschieden immer nach rechts zu gehen, vielleicht werde ich dann mehr Freude erfahren. Mir ist natürlich bewusst, das dies nur ein kindischer Aberglaube meinerseits ist, aber trotzdem möchte ich es mal versuchen. Ich biege mehrmals ab, bis ich an eine merkwürdige Abzweigung komme. Sie führt in mindestens zehn Richtungen, sie sich weiter in jeweils zwei Zweigen teilen. Diesmal fällt mir die Entscheidung nicht so leicht. Klar, ich kann wieder nach rechts gehen, aber diese Wahl fühlt sich falsch an. Aus diesem Labyrinthzweig kommt ein helles Sonnenlicht und es verspricht Freude, genauso wie weitere vier. Die übrigen 5 sehen dunkel aus, die Hecken sind dort abgestorben und braun. Das grüne Gras geht in grau über und die Stimmung dieses Ganges ist nicht sehr angenehm. Mein Herz sagt mir, dass ich in eines der hellen Gänge gehen sollte. Aber wenn ich eines an der Akademie gelernt habe, dann das: Das was gut aussieht, ist es aber nicht immer. Weil ich dieser Theorie bis zum Grund auf glaube, entscheide ich mich für den mittleren der dunklen Wege. Ich trete zwischen den zwei Hecken auf den Weg und erwarte erneut, wie beim ersten Mal, an einen unheimlichen Ort teleportiert zu werden. Doch es geschieht nichts Außergewöhnliches. Also laufe ich den Weg entlang, in einer verfaulten, veralteten, und kaputten Umgebung.
Während ich diese Umgebung betrachte, spüre ich plötzlich wie ich mitten in eine Hecke laufe. Ich möchte schon nach links abbiegen, aber zu meinen Schreck ist sowohl links als auch rechts eine weitere Hecke. Der Weg geht nicht weiter. Aber es sollte doch stimmen. Der düstere Weg müsste der richtige sein. Da bin ich mir ganz sicher. Deshalb halte ich Ausschau nach Lücken in der Hecke, vielleicht liegt dort die Lösung. Ich suche mit meinen Augen jeden Millimeter der Hecke ab, aber es ist nichts zu finden. Überall ist nur das verfaulte Grünwerk der Hecke zu sehen. Ich kann nicht anders als die Richtung zu ändern und zurückzulaufen.
Schon fast habe ich den Ausgang aus meinem Gang erreicht, als ich ein Schmerz an meinen Handgelenken spüre. Eine schwarze, raue und eklige Hand greift nach meiner und hält mich mit einem eisernen Griff fest. Ich versuche mich loszureißen, aber der Halt ist zu fest. Schnell möchte ich die Hand mit meinem Dolch durchschneiden. Aber noch bevor mir auffällt, dass mein Dolch gar nicht bei mir, sondern in der mir weggenommenen Tasche ist, greift eine weitere Hand nach mir und in Sekundenschnelle kann ich weder meine rechte, noch meine linke Hand bewegen. Ich zappele rum und der Griff der beiden Hände, die übrigens keinen zugehörigen Körper haben, sondern wie Geisterhände aus der Hecke kommen, lockert sich und ich bin gerade dabei mich ihnen zu entreißen, als eine weitere Hand meine Schulter packt. Erst die linke, dann die rechte. Es ist unmöglich geworden mich zu bewegen. Mit aller Kraft bin ich dabei mich freizukämpfen, aber ohne Erfolg. Meine Glieder schmerzen mittlerweile von dem vielen Strampeln und das Blut ist aus meinen Handgelenken gewichen, weil der Druck einfach zu stark ist. Ich hätte doch auf mein Gefühl hören und auf dem sonnigen Weg weitergehen sollen. Dort wäre mir so etwas in der Art ganz sicher nicht passiert. Aber jeder meiner Lehrer an der Akademie sagte mir, dass ich mich nicht vom Äußeren täuschen lassen soll. Das stimmt wahrscheinlich auch. Aber es ist mir erst jetzt, wo ich die Situation nicht mehr ändern kann, eingefallen, was Saladir sagte:
,,Es kann sein, dass dein Verstand dir etwas anderes sagt als dein Herz. Höre in diesem Fall aber auf dein Herz, weil du so mit Sicherheit den richtigen Weg einschlagen wirst."
Und diese Worte übersteigen wahrscheinlich alles andere. Wieso habe ich das bloß nicht früher begriffen? Meine Kraft lässt schon dermaßen nach, dass ich beinahe dabei bin, den ungewinnbaren Kampf gegen die Macht dieses Labyrinths aufzugeben. Es ist mein erster Auftrag und ich versage.
Doch aus dem heiteren Himmel verschwinden die Hände mitsamt den Hecken um mich herum. Ich befinde mich erneut in einem der normalen Labyrinthgänge.
,,Wächterfee Alari, Sie haben die zweite Aufgabe meines Labyrinths bestanden. Sie haben begriffen, dass das eigene Gefühl der Herz und der Seele weitaus wichtiger ist als jegliches Gelerntes "
Und schon wieder verblasst die Stimme. Wieso stellt man mir solch merkwürdige Aufgaben? Bisher hatte es bei beiden Aufgaben etwas mit nicht materiellen Sachen, mit Gefühlen zu tun. Was wird wohl die letzte Aufgabe mit sich bringen?
Die wollen mich doch wieder nur veräppeln. Schon seit ich dieses verdammte Ding von Labyrinth betreten habe, irre ich hier zwischen grünen Büschen, die mit dreimal so groß wie ich selbst bin. Nicht einmal Trenton, der Riese unter den Riesen und Chef unseres Schulbasketballclubs, nebenbei e
in großer Arsch, würde die Höhe dieser allzu großen Büschen erreichen. Wie soll ich dann mit meinen 1,70Zentimetern hier rauskommen? Gar nicht wäre die logische Antwort. Aber das darf ich Alari nicht antun. Ich kann nur hoffen, dass sie mir nicht in das Labyrinth gefolgt ist. Das könnte ich mir von ihr vorstellen. Aber mein Problem höchsten Prioritäts ist trotzdem, wie ich mich selber hier herauszaubere. Zurück kann ich nicht gehen, da sich der Eingang, wo ich reinkam, schon verschlossen hat. Wie von Zauberhand. Diese Welt geht mir schon sehr auf die Nerven. Alles passiert hier ohne Logik. Nicht dass ich ein Mensch wäre, der nur an die wissenschaftlich nachgewiesenen Sachen glaubt, aber in dieser Welt ist mir der Zauber einfach zu viel. Ich will zurück zu meinem alten Leben, wo ich beliebter war als jeder andere. Hier fühle ich mich wie ein Spielzeug dieser Feen. Und ihre sogenannte Königin wollte mir etwas Unglaubliches vorgaukeln. Sie hat mich so auf die Palme gebracht! Nicht nur, dass sie mich wie einen Gefangenen behandelt, sondern auch noch ihre vorgetischte Lüge.
,,Luke McLeod aus der Menschenwelt. Durch wundersame Weise bist du in meinem Labyrinth angelangt, wo ich dich herzlich begrüße. Nun erwarten dich drei Aufgaben, die du richtig lösen musst um hier herauszukommen. Ansonsten bleibst du in diesem Labyrinth gefangen. Viel Erfolg."
Eine weitere unerklärliche Sache die ich erleben muss. Wie aus einem imaginären Lautsprecher gibt man mir Anweisungen. Drei Aufgaben muss ich also lösen... Sehr schwer wird es wohl nicht sein. Und dann kann ich hier raus. Wo muss ich aber hin? Viele Wahlmöglichkeiten bleiben mir nicht. Ich kann geradeaus weiterlaufen und... eigentlich nur das. Also mache ich mich auf den Weg. Alles wirkt wie in einem richtigen Labyrinth wie im Freizeitpark. Letztens war ich in einem als meine Eltern mit mir nach Österreich, Schloss Schönbrunn fuhren. Dort war im Schlosspark ein kleines Labyrinth, wo meine Eltern mich unbedingt reinschicken wollten. Übrigens war ich sechs Jahre alt. Dort irrte ich eine ganze Weile rum, bis ich an eine Aussichtsplattform in der Mitte des Labyrinths kam. Es war nicht der Ausgang, aber ich konnte mir ein Überblick über das Labyrinth verschaffen. Schließlich bin ich dann rausgekommen, und meine Eltern waren verdammt stolz auf mich. Damals waren es noch schöne Zeiten. Während ich über dieses Ereignis nachdenke, stolpere ich plötzlich über etwas und fliege auf den Boden. Meine Knie schmerzen dort, wo ich mich auf ihnen abgestützt habe, um nicht mit dem Gesicht im Gras zu landen. Beim Aufblicken sehe ich zu meinem Schreck, dass ich über Knochen gestolpert bin. Genauer über die Beine eines Skeletts. Ein Schauder fährt mir über den Rücken und entsetzt drehe ich mich weg um weiterzulaufen. Benommen muss ich feststellen, dass sich auf meinen Weg weitere Skelette befinden. Die meisten sind in der Sitzlage an die Hecke gelehnt und ihr Kopf hängt haltlos runter. Andere liegen ausgestreckt auf dem Boden.
Ohne nach unten zu ihnen zu schauen laufe ich erhobenen Kopfes durch den Heckengang. Das nächste, was mich dort erwartet sind drei Türen. Ich finde es wieder einmal fraglich, wie Türen in ein Labyrinth kommen, aber ich verdränge diesen Gedanken und betrachte sie genauer. Es sind drei völlig unterschiedliche Türen. Die linke ist aus Stahl und sieht ziemlich fest aus. In der Mitte besteht die Tür aus altem Holz wie aus den letzten Jahrhunderten. Ganz rechts ist eine Glastür, wie die eines modernen Gebäudes. Spontan möchte ich durch die moderne Glastür, wie wir es auch an unserer Ferienvilla haben. Ich mache einen Schritt darauf zu und lege meine Hand an die Klinke, als eine merkwürdige Stimme von meinen Rechten kommt.
,,Überlege deine Wahl gut, junger Mann, denn sonst wirst du ins Verderben fallen wie ich damals."
Die Stimme ist krächzend und rau, als ob jemand sie seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt hätte. Es kommt von einem bärtigen, alten Mann mit langen, wirren und gelockten schwarzen Haaren. Es gibt also noch jemanden außer mir in diesem Labyrinth der noch lebt! Aber er sieht nicht so aus als würde er mir viel helfen können, obwohl er mich vorhin davon abgehalten hat, durch die von mir ausgewählten Tür zu gehen.
,,Was meinen Sie? Wie soll ich meine Wahl besser überlegen? Es sind doch nur drei Türen."
,,Ich darf dir nicht viel sagen. Sonst wird meine Seele für alle Ewigkeiten, sogar nach meinem Tod im Dunkeln herumirren, sagte man mir in diesem Labyrinth. Eines will ich dir aber noch raten: Schau genauer hin."
Nach diesem Satz schließt der Mann die Augen und scheint in einen friedlichen Schlaf zu fallen, der wahrscheinlich nicht mehr aufhören wird.
Ich befolge den Rat des alten Mannes und sehe mir die Türen genauer an. Ich merke aber nichts Außergewöhnliches. Es sind normale Türen, wie immer mit einer Türklinke versehen. Ich trete noch näher um auch jedes kleine Detail wahrzunehmen. Wie in einem Fehlersuchrätsel mit dem Unterschied, dass ich diesmal keine zwei Bilder vergleichen muss, sondern diese Türen hier mit denen von der Menschen auseinanderhalten sollte. Nacheinander gehe ich alle wichtigen Punkte einer Tür durchgehe. Die Klinke ist bei allen vorhanden, jeweils aus anderem Material aber trotzdem normal. Die Türen sind rechteckig, also auch ganz alltäglich. Beim nächsten Punkt fällt mir endlich etwas auf. Es sind keine mit Schlüssel zu öffnenden Schlösser an den Türen. Wenn ich die Türen in unserem Haus, in der Schule und sonst noch an vielen möglichen Orten in Erinnerung rufe, haben diese immer Schlösser. Sogar meine Zimmertür hat eins, auch wenn ich den Schlüssel schon längst verschlampert habe. Letztens habe ich ihn glaube ich vor fünf Jahren gesehen, dann war es aber plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwunden. Ist jetzt auch egal. Fazit ist, dass diese Türen hier keine Schlösser haben. Vielleicht kann ich etwas damit anfangen, weil sonst wäre ich wirklich verloren. Eventuell sind die Schlösser versteckt und man kann sie nur mit einer bestimmten Magie sichtbar machen? Das wäre doch möglich, so wie es in dieser Welt abgeht. Ich beäuge die Stelle unter der Türklinke von der Holztür. Ein Schloss ist tatsächlich nicht zu sehen, wie bisher, aber dafür sehe ich etwas ganz anderes, was mir wahrscheinlich weiterhelfen kann.
Um zu meiner nächsten Aufgabe zu gelangen muss ich mir die Mühe zu laufen nicht machen. Gleich nachdem die Stimme verhallt werde ich an einen anderen Ort teleportiert. Dort wo ich lande, ist es dunkel und der Boden besteht aus hartem Stein. Um mich herum ragen große Steinklippen auf, die im Licht des rot gefärbten Himmel Orange aussehen. In den riesigen Gesteinen lassen sich Öffnungen, wie die einer Höhle erkennen. Und die Sache, die einem am allermeisten in die Augen sticht, ist die Tatsache, dass die Gesteine an vielen Stellen mit Gold bezogen sind. Auch vereinzelte Goldbrocken liegen hie und da auf dem Boden. Während ich im Betrachten der Umgebung versinke, packt mich plötzlich von hinten ein harter Windstoß und schmeißt mich auf den Boden. Ich werde flach auf den Boden gedrückt und der Windstoß zieht über mir vorbei. Dabei höre ich das laute Rauschen des Windes und das Schlagen von Flügeln. Von sehr großen Flügeln. Vorsichtig schaue ich nach oben, und mir bleibt der Atem in der Lunge stecken, als ich den Besitzer dieser großen Flügel erblicke. Seine Haut rot wie Blut, bedeckt mit hunderten von stahlharten Schuppen in der gleichen Farbe, riesige Ohren und schmale Augen, die alles zu erahnen wissen, der Rücken geschmückt mir zwei Flügeln, die größer sind als die aller Vögel, ein Maul in dem sich starke, dreckigen Zähne befinden, die jederzeit in der Lage wären mir den Arm abzubeißen. Es ist ein Drache, wie ich es aus zahlreichen Legenden und Geschichten kenne. Mystisch und Angst einflößend. Dabei dürfte es nicht existieren. Es ist ein erfundenes oder längst ausgestorbenes Wesen, das in der heutigen Welt nichts zu suchen hat.Jetzt, wo ich das realisiert habe, erkenne ich was ich bisher übersehen habe. Überall sind Drachen zu sehen, sobald man genauer hinschaut. Sie sitzen an Felsvorsprüngen, liegen ausgestreckt auf dem Boden und fliegen über den breiten Himmel. Es sind riesige Monstern, die ich nur aus einem einzigen Grund erst jetzt bemerkt habe. Sie besitzen einen Tarneffekt, wie die eines Chamäleons. Ihre Haut und Schuppen passen sich an ihre Umgebung an. Auf einmal sieht mir der eine Drache vom Himmel herab stechend in die Augen. Sein Blick durchbohrt mich und lässt mich erschaudern. Von einem Gefühl gepackt renne ich fluchtartig zu einer Höhle in dem nächsten übergroßen Felsen. Keuchend atme ich aus und bringe ein bisschen Ordnung in meine Gedanken.
1. Hier gibt es Drachen
2. Sie scheinen gefährlich zu sein
3. Es gibt keine bekannte Methode einen Drachen zu besiegen
Ich weiß noch nicht, welche Aufgabe ich an diesem Ort erfüllen muss, aber innerlich hoffe ich, dass ich nicht gegen eines dieser fürchterlichen Wesen kämpfen muss.
,,Mama?"
Eine kindliche Stimme dringt aus der Höhle. Wurde ein Kind aus der Feenwelt von den Drachen entführt? Dann wäre meine Aufgabe es zu retten. Ich laufe weiter in die Höhle hinein und werde von der Dunkelheit verschlungen.
Es dauert seine Zeit, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen und ich endlich etwas erkennen kann. Auch dieses ist nicht viel, da mich rechts und links nur bloße Steinwände umschließen, bis ich am Ende der Höhle Licht flackern sehe. Beim Näherkommen kann ich es als ein Lagerfeuer deuten. Daneben liegt ein Nest mit einem winzigen Lebewesen drin. Ich muss dreimal blinzeln, bis mir bewusst wird, dass es sich auch hierbei um ein Drachen handelt. Es ist kleiner als die draußen, aber trotz ein Drache. Ich bin schon dabei kehrt zu machen, als ich wieder die Kinderstimme höre.
,,Bist du das, Mama? Ich will was essen." - jammert die Stimme. Da außer mir und dem kleinen Drachen niemand in der Höhle ist, und die Stimme mit Sicherheit nicht zu mir gehört, bleiben nicht sehr viele Möglichkeiten offen.
,,Nein, ich weiß nicht wo deine Mutter ist. Ich bin die Wächterfee Alari und möchte dir einige Fragen stellen." - fasse ich meinen ganzen Mut zusammen um mit meiner Aufgabe weiter zu kommen. Vielleicht kann mir dieser kleine Drache helfen. Er ist immer noch eine bessere Option als seine Verwandten außerhalb der Höhle.
,,Cool! Meine Mama hat mir erzählt, dass Feen etwas Wunderbares wären und eines Tages jemand von ihnen kommen und uns retten wird. Ich bin übrigens Etna und du kannst mich alleeees fragen was du möchtest" - grinst mich der kleine Drache an.
,,In Ordnung. Zuerst würde mich interessieren, wie du meine Sprache verstehen kannst."
,,Hmm... Keine Ahnung, frag was anderes." - lächelt er mich an, obwohl er mir null weiterhelfen konnte.
,,Gut. Was mich noch interessieren würde wäre, über was du vorhin gesprochen hast. Was meintest du damit, dass eine Fee euch retten wird?"
Viele meiner Fragen habe ich übersprungen, aber dieses hier könnte ausschlaggebend für mich sein.
,,Das sagt meine Mama immer. Ich weiß es nicht so genau. Aber schau mal, da kommt sie ja!"
Tatsächlich sind unter der Türklinke so etwa ameisengroße Buchstaben angebracht. Da hätte mir der Mann echt sagen können, dass ich SEHR genau schauen muss. In solchen Fällen wäre eine Lupe echt praktisch. Aber da ich ausgerechnet jetzt keines dabei habe, muss ich die winzigen Buchstaben selber mit bloßen Augen ablesen. Ich beuge meinen Kopf so nah an die Tür heran, dass meine Nase beinahe das alte Holz berührt. Ich kneife meine Augen zusammen und fange langsam an zu lesen:
Lüge
Illusion
Erbarmungslos
Bestrafung
Ende
Diese fünf Wörter sind in das Holz eingraviert. Langsam verstehe ich den Sinn dieser Aufgabe. Ich muss einfach die Tür mit den positiven Wörtern suchen!Schnell gehe ich zu der Stahltür links vor mir und suche die kleine eingravierten Wörter:
Hinterhalt
Albtraum
Seuche
Selbstmord
Da hier wieder nur diese bescheuerten, deprimierenden Wörter stehen, gehe ich zu der letzten Tür. Vielleicht war meine erste Entscheidung doch richtig? An dieser Tür finde ich sechs Wörter:
Verlust
Erkrankung
Regen
Rache
Asche
Tod
Und wo sind meine ersehnten schönen Wörter? Sind alle Türen falsch? Muss ich hier jetzt für immer und ewig feststecken? Frust durchströmt mich und ich lasse mich enttäuscht auf den Boden fallen. Meine Idee hat nichts mit sich gebracht. Stressig fahre ich mir mit der rechten Hand durch meine damals noch weichen, hellbraunen Haaren, die mittlerweile schon dreckig und verschmutzt sind. Ich sehe schon fast schlecht aus wegen den Umständen hier. Ganz schlecht kann ich von Natur aus nicht aussehen, das sollte jedem klar sein. Meine Hoffnung auf die Lösung dieses bekloppten Türrätsels ist aber erloschen. Ich kann solche Aufgaben einfach nicht lösen.
(*an die Leser: seid ihr darauf gekommen, welche Tür die richtige ist? :) Schreibt mir dann ob ihr es herausgefunden habt ;) Ein kleiner Tipp: liest es wie ein Japaner.*)
Was würde Alari an meiner Stelle machen? Oder dieser Elon. Der wüsste sicher ein Ausweg aus dieser Situation. Wie ich den Typen nicht ausstehen kann.Meine Lehrer meinten immer, wenn man eine Aufgabe nicht so lösen kann wie man es vorhatte, solle man den vorigen Lösungsweg ganz aus seinem Kopf löschen und die Aufgabe aus einer ganz neuen Perspektive betrachten. Genau das sollte auch ich tun, wenn ich nicht bis mein Lebensende hier verweilen möchte.Ich kann bisher ausschließen, dass die Lösung mit der Bedeutung der Wörter zu tun hat. Außer dem Inhalt hat ein Text noch einen wichtigen Punkt. Die Gestaltung. In meinem Fall steht jeweils ein Wort in einer Zeile. Die Wörter sind auch untereinander geschrieben, wohlgemerkt. Schnell wage ich noch ein Versuch. Ich setze mich im Schneidersitz vor die Stahltür und schaue die Wörter ohne zu blinzeln an, in der Hoffnung, dass die Lösung mir wortwörtlich in die Augen fliegen würde. Nur leider tut es das nicht.Zumindest zuerst nicht. Erst sehe ich nur die Wörter, so wie sie sind. Hinterhalt, Albtraum, Seuche, Selbstmord. Bis mir etwas in die Augen sticht. Denn wie ich es bemerke sind sie nicht ohne Grund untereinander geschrieben.
Hinterhalt
Albtraum
Seuche
Selbstmord
Da alle ersten Buchstaben groß sind, ist es eine noch größere Schande, dass mir die Sache erst jetzt auffällt. Die ersten Buchstaben der jeweiligen Wörter ergeben ein neues Wort: HASS.
Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer vor Freude. Schnell springe ich auf und beäuge die Wörter auf der Glastür, um mich zu vergewissern, dass es gerade nicht nur ein Zufall gewesen ist.
Verlust
Erkrankung
Regen
Rache
Asche
Tod
Und ja! Sie ergeben wieder ein neues Wort! Diesmal ist es VERRAT. Jetzt muss ich mich nur noch darauf verlassen, dass die letzte Tür nicht wieder ein Reinfall wird, wie bei meiner ersten Theorie. Ich atme noch einmal tief aus, bevor ich die Holztür überprüfe:
Lüge
Illusion
Erbarmungslos
Bestrafung
Ende
,,Ja!" - schreie ich vor Freude, die ich mir nicht verkneifen kann. Das muss es sein! Liebe. Man sagt, es wäre das wichtigste. Ich selber habe es so noch nicht betrachtet, aber besser als Verrat und Hass ist es auch aus meiner Sicht.Ohne weiter zu zögern drücke ich die alte Klinke runter und gehe durch die Tür, bereit auf eine mir noch unbekannten Schicksal.
iDie Mutter des kleinen Drachen sieht beeindruckend aus. Gerade noch passt sie in die Höhlengänge, sodass ihre breiten Flügeln die Wände streifen. Ihre Schuppen sind grünlich und haben auch hie und da einen blauen Schimmer. Stolz erhobenen Hauptes stolziert sie auf ihren vier Beinen auf uns zu.Als sie mich bemerkt, weiten sich ihre sowieso schon großen Augen erstaunt. Der Ausdruck in ihren Augen ändert sich aber schnell zu wütend.
,,Was willst du hier?" - faucht sie verärgert, wobei ihr auch eine kleine Feuerzunge aus dem Maul schießt. Überrascht sehe ich, dass sie kein Feuer spuckte. Es war ihre Zunge, die aus Feuer ist.
,,Ich bin die Wächterfee Alari und bin Ihnen vollkommen freundlich gesinnt"
,,Eine Fee? Sei herzlich willkommen in unserer Welt. Was bringt dich hierher?" - ändert sie ganz plötzlich ihre Einstellung und fängt an, wie eine alte Freundin mit mir zu plaudern. Mein Wut weitet sich einen dünnen Spalt breit vor Überraschung und meine Kinnlade klappt leicht runter. Ich benötige einige Augenblicke bis ich mich zusammenreißen und auf ihre Frage eine Antwort geben kann:
,,Ich muss hier eine Aufgabe erfüllen, damit ich in meine Welt zurückkehren kann. Haben Sie vielleicht eine Idee um was es sich dabei handeln kann? Ihr Sohn hat eine Prophezeiung erwähnt, die meiner Meinung nach mit meiner Aufgabe zusammenhängen könnte."
,,Ach, das ist eine sehr lange Geschichte, die das Leben unseresgleichen stark veränderte." - seufzt sie traurig. - ,,Bitte nimm Platz." - deutet sie mit ihrem Maul auf einen Steinbrocken, das sich neben dem Feuer und dem kleinen Drachen befindet. Damit ich der Drachenmutter nicht allzu wählerisch vorkomme, setze ich mich schnell auf das harte, im Laufe der Jahre mit Staub belagerte Stein. So sitze ich direkt neben dem Feuer und spüre die Hitze, die davon ausgeströmt wird.Gleich nachdem ich es mir einigermaßen bequem gemacht habe, beginnt die Drachenmutter zu erzählen. Sie spricht von einer alten Prophezeiung, dass schon seit langer weitererzählt wird. Es handelt von dem schwarzen Drachen, der vor mehr als hunderten von Jahren die Macht über alle Drachen übernahm. Bis heute traut sich keiner, es mit ihm aufzunehmen, und diejenigen, die sich den Mut gefasst haben um gegen ihn anzutreten, wurden nicht mehr lebend wiedergesehen. Das ist der wahre Teil ihrer Geschichte. Die Drachenmutter, die übrigens den Namen Ganta trägt, meint, dass die Drachen seitdem alle in Dunkelheit und Finsternis leben und dem schwarzen Drachen gehorchen müssen, um nicht ihr Leben zu verlieren.Der bisher noch nicht bewiesene Teil der Geschichte ist, dass es eine Möglichkeit gibt, diesen Drachen zu besiegen. Und zwar durch Retter aus einer anderen Welt, aus der Welt der Feen.
,,Es werden zwei sein, die den Flammenberg bis zu der Höhle des Drachens besteigen werden und mit vereinten Kräften den Drachen, der Finsternis über unser Reich bringt, vernichten werden." - mit diesen Worten beendet Ganta ihre Geschichte.
Jetzt verstehe ich das Ziel meiner Aufgabe. Ich muss den schwarzen Drachen besiegen. Aber laut der Prophezeiung sind es zwei, die mit vereinten Kräften den schwarzen Drachen besiegen. Wie lange muss ich wohl warten, bis die nächste Fee diese Stufe des Labyrinths erreicht, und dann ausgerechnet diese Aufgabe bekommt? Wird es dann schon zu spät sein, um in meine eigentliche Welt zurückkehren?
Verwundert bleibe ich stehen. Es ist nichts Besonderes geschehen, weshalb ich überrascht sein sollte. Das einzige, was ich getan habe, ist, dass ich durch eine Tür getreten bin. Auf der einen Seiten rein und auf der anderen Seite raus. Nichts Außergewöhnliches, eher etwas Alltägliches.
,,Luke McLeod. Sie haben die erste Aufgabe meines Labyrinths bestanden. Sie haben gemerkt, dass das Äußere nichts über das innere aussagt, und man nie nur nach dem Äußeren urteilen sollte, sondern vorerst betrachten sollte, was hinter der Sache steckt.Deshalb können Sie den Weg meines Labyrinths weiterverfolgen und Euch auf die nächste Aufgabe vorbereiten."
Wie beim ersten Mal verstummt die Stimme nachdem es mir eine kurze Standpauke gehalten hat.Schlagartig verschwimmt die Umgebung um mich herum, und als im nächsten Augenblick bin ich an einem ganz anderen Ort, was ich jedoch sehr gut kenne. Immerhin habe ich mit elf und zwölf Jahren jeden Nachmittag damit verbracht dieses Spiel zu zocken. Eine kindliche Freude lässt meinen Herz einen Hüpfer machen. Um mich herum ist alles dem Game getreu viereckig. Links von mir stehen die typischen Bäume mit den eckigen Laubkronen, hinter mir ist eine weite Landschaft die eine Aussicht auf das durch vereinzelten Inseln unterbrochene Wasser gibt. Rechts gackern Hühner, und hie und da sind auch über dem grünen Grasboden schwebende Eier zu erkennen. Vor mir sehe ich die größte Überraschung, was ein merkwürdiges Glücksgefühl in mir freisetzt. Ich bin genau neben einem Dorf gedroppt! Schnell renne ich darauf hin, wobei ich wahrscheinlich auch hinfallen würde, da ich noch nicht viel Erfahrung damit hab, mich mit eckigen Körpergliedern fortzubewegen, aber dass ist ja in diesem Spiel nicht möglich.
Die Sonne steht noch hoch oben am Himmel, das heißt ich habe noch genug Zeit mir vor Einbruch der Nacht einen Unterschlupf zu sichern. Abrupt bleibe ich stehen, als mir wirklich bewusst wird was ich hier gerade tue. Vor wenigen Minuten war ich noch in diesem bekloppten Feenlabyrinth, und plötzlich befinde ich mich in diesem Spiel. Das kann doch wohl nicht meine zweite Aufgabe sein, oder? Was sollte ich hier tun? Minecraft ist kein Spiel, wo man ein besonders Ziel hat, außer zu überleben. Sollte ich vielleicht ein Netherportal bauen oder gar den Enderdrachen besiegen?Wenn ich die Stimme mal brauche ist es nicht mehr da. Momentan hätte ich es echt nötig, dass man mir sagt was ich machen soll. Aber da das nicht passiert, muss ich irgendwie selber klarkommen.Mit einem Blick nach oben stelle ich fest, dass die Sonne sich bereits weiterbewegt hat. Das heißt meine Zeit vor Einbruch der Dunkelheit wird immer weniger und ich bezweifle, dass das Spielmodus auf friedlich gestellt ist. Und ich will lieber nicht testen, ob ich auch wirklich sterbe, wenn ich hier umgebracht werde. Soweit ich dieses Labyrinth schon erlebt habe, ist es wahrscheinlich eh so. Ich renne schnell zu einem Baum, mit ganz komischen Gefühlen in den Beinen. Es ist so unnatürlich, als ob ich nicht in meinem eigenen Körper wär. Dieser Spielkörper gefällt mir ganz und gar nicht. Aber immerhin kann ich damit Holz hacken, ohne mir Verletzungen einzuhandeln, die später vielleicht auch auf meinem richtigen Körper sichtbar wären.
Nachdem ich die ersten Schritte des Spiels hinter mir habe, und mein Inventar in Form von einem Balken vor mir sich stetig füllt, begebe ich mich zum Dorf.
,,Hallo, würden sie mir vielleicht helfen?" - spreche ich den einen Dorfbewohner an, in der Hoffnung, dass er mir verrät, was ich in dieser Welt zu tun habe.
Der Dorfbewohner antwortet mir nicht. Er betrachtet mich nur mit gefühllosen Augen bis ein Balken über ihm erscheint. Zwölf Fische gegen ein Smaragd bietet er mir als Tausch an. Genervt gehe ich von ihm weg, da er mir null geholfen hat. Das gleiche versuche ich bei drei anderen Dorfbewohnern, und werde immer verzweifelter. Eine Truhe habe ich mittlerweile auch gefunden und zu meinem Glück auch drei Brote darin, die ich schon verspeist habe. Sie haben nach nicht geschmeckt.Trotzdem werde ich immer deprimierter, da ich hier einfach keine Anzeichen von Leben wahrnehme. Kein Lachen, keine Wut, keine belustigte Gespräche, gar nichts was hier auf die Identität von Menschen hindeuten würde.Als die Sonne am Horizont untergeht, verkrieche ich mich in eines der Hütten, ausgestattet mit einem Holztisch und Bänken an den Seiten. Ausgepowert will ich mich auf eines der Bänke hinhocken, aber mein Körper gehorcht mir nicht. Ich hatte ganz vergessen, dass sich in diesem Spiel die Figur sich nie hinsetzt. Super. Dann stehe ich eben. Mein Körper ist eigentlich gar nicht müde, aber seelisch bin ich total kaputt. Am liebsten würde ich mit jemanden über all das reden, was mir in letzter Zeit passiert ist. Wie schön es doch wäre, wenn mein bester Freund oder von mir aus auch Alari bei mir wäre...
Mittlerweile ist es der dritte Tag, den ich bei den mystischen Wesen, den Drachen verbringe. Überraschend war festzustellen, wie freundlich alle zu mir waren. Nur ein paar ältere Drachen, die mit Ganta als die ältesten unter ihrer Art beschrieb, grummelten genervt, und schenkten mir keine Beachtung. Ansonsten behandelten mich alle respektvoll und verehrten mich auch gewissermaßen, da ich laut ihrer Prophezeiung eine ihrer Auserwählten bin. Leider liegt genau da mein Problem, da ich nur e i n e bin. Niemand weiß wie lange es brauchen wird, bis eine andere Fee, der auch bereit ist, diese Aufgabe als ihren Retter zu erfüllen, an diesen Ort kommt. Auf mich haben sie vierzehn Jahre lang gewartet, meinten sie. Also sind meine Aussichten, dass ich hier so bald wie möglich rauskomme sehr niedrig. Und ohne das Erfüllen meiner Aufgabe hier komme ich nicht aus dem Labyrinth. Erst muss ich mit Hilfe eines anderen den schwarzen Drachen besiegen. Ein mal habe ich Ganta in den letzten Tagen gefragt, wieso sie sich nicht einfach zusammenschließen und so den bösen Drachen besiegen, da zusammen auch die Schwachen stark werden. Gantas Antwort hat mich aber ziemlich geschockt:
,,Auch, wenn jeder kampffähige Drache unseres Reiches kämpfen würde wären wir noch weitaus nicht stark genug, um dem schwarzen Drachen auch nur eine minimale Wunde zuzufügen."
Da stelle ich mir doch einfach die Frage: Wenn es nicht eine Nation von Drachen schafft einen einzigen zu besiegen, wie sollte ich dann die Macht dazu haben?
Gerade bin ich dabei, Etna und ein paar anderen Jungdrachen beim Spielen zuzuschauen. Auch Drachenkinder amüsieren sich fenomenal mir ihren feuerspuckenden Mäulern. Jetzt spielen sie ein Spiel, 'Feuerball' genannt, in dem sie sich in zwei Gruppen aufteilen und auf die Felsen der Gegengruppe abfeuern. Soweit ich richtig informiert bin, entspricht ihr Spiel dem 'Fußball' der Menschen.
Plötzlich höre ich Aufschreie, die aus fast allen Richtungen an den Felsen widerhallen. Auch die Jungdrachen beenden ihr Spiel und horchen interessiert auf:
,,Der zweite Retter ist da!"
,,Endlich werden wir frei sein!"
,,Das Leben des schwarzen Drachen wird bald ausgelöscht werden!"
Solche und ähnliche Jubelschreie dringen zu meinen Ohren. Und das kann nur eines bedeuten.
,,Alari, hörst du? Dein Partner ist da!"
,,Ja, ich höre, Etna. Ich werde alles tun, um euch zu retten..."
...und hier herauszukommen, füge ich in Gedanken hinzu.
Ich erhebe mich von dem Felsen, auf dem ich saß um das Spiel mitzuverfolgen, und gehe los in die Richtung wo ich eine riesengroße Versammlung von Drachen sehe.
,,Entschuldigung, darf ich bitte vorbei?" - frage ich die Drachen, die ganz außen einen Halbkreis um die anderen bilden, und versuche mich an ihnen vorbeizumogeln. Als sie mich aber entdecken öffnet sich eine freie Gasse vor mir, wie vor Moses das Meer, und die Drachen weichen rechts und links auf die Seite. Endlich kann ich sehen, wer mir helfen wird, die Drachen zu befreien. Am anderen Ende der durch Drachen umschlossene Gasse steht Luke und blickt mich mit Augen an, in denen tausende von Gefühlen gleichzeitig durcheinander wirbeln. Es ist wirklich Luke! Von allerlei Glücksgefühlen gepackt handele ich unüberlegt und renne durch die Gasse. Auch Luke macht ein paar Schritte auf mich zu und ich falle ihm um den Hals. Er legt seine Arme zärtlich um mich und flüstert mir ins Ohr:
,,Ist alles in Ordnung, Alari? Weißt du ich habe dich schon angefangen zu vermissen."
Ich drücke ihn mit den Händen auf seiner starken Brust weg und erwidere:
,,Das alles ist nur passiert, weil du überhaupt in dieses Labyrinth gerannt bist. Wieso hast du das getan?" - blicke ich zu ihm empor, da er beinahe einen ganzen Kopf größer ist als ich. Er beugt sich näher an mich heran und flüstert mir erneut ins Ohr:
,,Können wir das vielleicht an einem ruhigeren Ort besprechen? Ich fühle mich hier ein bisschen beobachtet." - meint er und schaut in die Richtung der Drachen.
,,Natürlich." - antworte ich und nehme ihn an der Hand, um ihn zu Etna und Gantas Höhle zu führen, in der ich mich mittlerweile eingenistet habe.
,,Ist es er? Werdet ihr uns retten?"
,,Wann geht ihr zum schwarzen Drachen?"
Die Stimmen der Drachen dringen mir ins Bewusstsein, und ich weiß, dass ich sie nicht in Ahnungslosigkeit lassen darf. Deshalb lasse ich Lukes Hand los und trete vor die interessierte Menge:
,,Ihr liegt richtig, wenn ihr vermutet, dass eure beiden Retter vor euch stehen. Wir werden uns schon morgen früh auf den Weg zum schwarzen Drachen machen, der hoffentlich noch am selben Tag besiegt wird!" - rufe ich und ernte dafür lauter Jubelrufe. Die Ältesten, die es sich ganz am Rande der Menge bequem gemacht haben, grummeln Sätze wie
,,Sie schaffen es sowieso nicht.", ,, Es sind nur zwei unwissende Jünglinge" vor sich hin. Sie haben schlicht und ergreifend kein Vertrauen in uns. Manchmal habe ich auch das Gefühl, als on es ihnen egal ist, dass der schwarze Drache regiert. Inzwischen habe ich erfahren, dass dieser Drache jeden Tag Futter zu sich bringen lässt, und da er mindestens fünfzigmal so viel isst, als ein normaler Drache bleibt für die anderen nicht mehr viel übrig. Sie ernähren sich ausschließlich aus dem nachwachsenden Gold, welches ich schon bei meiner Ankunft bemerkt habe. Leider wächst dieses Gold nur in einer Woche vollständig wieder und nur dann ist es auch essbar, wie mir Ganta es erklärte.
Die Menge an Drachen hat sich mittlerweile beruhigt und löst sich in verschiedene Richtungen auf.
Diesmal ist es Luke, der mich an der Hand nimmt und losläuft. Die Wärme seiner Hand lässt meinen Bauch kribbeln und ich bin glücklich darüber, endlich einen Menschen, wenn auch keine Fee, bei mir zu haben. Ich ziehe Luke voran zu der Höhle von Ganta. Dabei sehe ich, wie Etna mich vom Weitem mit vor Interesse geweiteten Augen beobachtet. Ich winke ihr zu und auch er hebt eines seiner großen Vorderbeine als Gruß.
In der Höhle reden wir über vieles. Wir erzählen uns gegenseitig was wir alles erlebt haben auf unserer Reise durch das Labyrinth. Auch Luke hatte es nicht leicht, aber immerhin sind wir jetzt zusammen hier. Ich bin mir nicht ganz sicher wieso ich Luke als eine Art Stütze betrachte, da im Fall eines Kampfes ich es wäre, dir ihn beschützt. Trotzdem fühle ich mich viel erleichterter, jetzt da er bei mir ist. Auf eine seltsame Art und Weise hat er sich sehr verändert. Wahrscheinlich haben die ersten Aufgaben im Labyrinth viele Gefühle in ihm geweckt. Ein bisschen ist er gebrochen aber trotzdem merkt man ihm eine neue Stärke an. Er erzählt mir lachend, dass er darin getestet wurde, nicht auf den ersten Blick zu urteilen. Den Sinn der zweiten Aufgabe verstehe ich nicht ganz, da seine Erzählung sehr trüb ist und ich keinen klaren Faden in seiner Geschichte finden kann. Erst redet er über ein, wie er sich ausdrückt, Game, was bei mir schon für Verwirrung sorgt.
,,Jetzt, wo ich alles erzählt habe musst du mir erzählen was wir hier machen wollen." - grinst er mich freundlich an.
,,Die Kurzversion: Wir müssen zusammen einen Drachen besiegen, der auf einem Berg wohnt.",,Und wenn wir das schaffen können wir zurück?"
,,Das hoffe ich. Machen wir uns gleich auf dem Weg."
In wenigen Minuten spazieren wir umgeben von tausenden Jubelschreien Richtung Flammenberg. In den Augen der Drachen spiegelt sich Hoffnung und Vorfreude wider.
,,Fee Alari." - spricht mich einer der Drachen an und tritt vor uns. Es ist einer der Drachenältesten.
,,Ohne einer Waffe werdet auch ihr nicht in der Lage sein, den schwarzen Drachen zu besiegen. Deshalb nimmt dieses Schwert zu euch, das aus reinem Gold gemacht ist. Gibt aber Acht, das Schwert kann mit einem Schlag auf des Drachens Haut brechen. Ihr müsst es ihm direkt in den Herz stechen, wo die Schuppen weniger verhärtet sind. Und nun wünsche ich euch viel Erfolg." - überreicht er mir mit seiner großen, mit Krallen ergänztennTatze vorsichtig das Schwert.
,,Vielen Dank. Wir werden euch nicht enttäuschen." - nehme ich das Schwert entgegen und verbeuge mich respektvoll.
,,Und was krieg ich?" - fragt Luke plötzlich.
Sowohl ich, als auch der Drachenälteste schauen ihn verständnislos an. Als er unsere Blicke sieht, fängt er an zu erklären:
,,Wenn Alari eine Waffe bekommt wieso kriege ich keine? Wir müssen ja zusammen den Drachen besiegen."
Mensch! Luke sollte jetzt echt nicht den Drachenältesten verärgern!
,,Gib dich mit das zufrieden was du hast! Wir könnten euch auch ohne jeglicher Waffe in den Kampf schicken!" - faucht der Drachenälteste und schnalzt dabei mit seiner Feuerzunge.
,,Wir müssen nicht unbedingt für euch kämpfen, bedankt euch doch lieber dafür!" - gibt Luke zurück, obwohl er wissen müsste, dass wir es tun müssen, um jemals wieder in unsere Welt zurückzukehren.
,,Entschuldigt sein Verhalten, wir möchten Euch nicht mehr weiter belästigen. Nochmals danke für das Schwert, ich werde es gewissenhaft führen." - unterbreche ich ihre Unterhaltung und ziehe Luke weiter. Er schaut mich noch einmal grimmig an, bevor wir schließlich unseren Weg zum Flammenberg fortsetzen.
,,Wann sind wir endlich da?" - meckert Luke zum unzählbaren Mal.
,,Bald." - antworte ich mittlerweile sehr genervt.
,,Und wie lange dauert das noch?"
,,Weiß ich doch nicht!" - erlaube ich mir einen kleinen Schrei.
,,Musst ja nicht gleich so austicken, also echt." - meint er und meine Nerven drohen zu reißen.
,,Wenn du nicht mindestens zwanzigmal schon gefragt hättest, würde ich sicherlich nicht 'austicken'." - erwidere ich.
,,Jetzt fahr doch mal runter, ich hab nichts getan." - zieht er einen Schmollmund.
,,Nein, nur das du dich wie ein kleines Kind benimmst."
,,Darauf erwidere ich mal gar nichts, ok?"
,,Das tust du richtig." - beende ich das Gespräch.
Nach einem weiteren und dank Luke auch seelisch anstrengendem Marsch kommen wir schließlich am Flammenberg an. Ich verschlucke die eingeatmete Luft, als ich zum Berg emporblicke. Mir klappt der Mund auf und hustend sehe ich zu Luke rüber. Ihm geht's auch nicht anders. Der Berg ist unbegreifbar groß. Es ragt weit in den Himmel empor und die Spitze davon ist aus unserer Sicht gar nicht zu sehen. An der einen Seite des Berges fliegt ein Drache auf die Spitze des Berges zu. Er trägt dabei etwas im Maul. Wie ich es vermute ist es wahrscheinlich ein Goldbrocken, um den schwarzen Drachen sein unverdientes Futter zu bringen.
,,Hey, Alari, müssen wir da jetzt wirklich hoch?"
,,Ja Luke. Soweit wir beide hier noch herauskommen wollen."
Plötzlich bemerke ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung hinter uns und greife aus Reflex zu dem Schwert, welches ich von den Drachen bekommen habe. Das Schwert liegt schwer in meiner Hand, während ich mich umdrehe. Aber ich blicke nicht einem Feind entgegen. Es ist Etna die mich eingeschüchtert anschaut. Schnell stecke ich das Schwer wieder in seine Lederscheide, das mir zum Glück nicht weggenommenen wurde, als man mich gefangen nahm.
,,Etna, was bringt dich hierher? Ich dachte wenn ihr nicht dazu gezwungen seid, nähert ihr euch diesem Berg nicht."
,,Ich weiß, Mama hat es mir auch streng verboten auch nur daran zu denken hierher zu kommen, aber ich kann euch diese Reise nicht alleine machen lassen. Der Weg bis nach oben ist verdammt lang! An der Spitze angekommen würdet ihr nicht vor Erschöpfung umfallen! Das würde uns auch nicht helfen. Und nur, weil alle anderen Drachen zu feige sind ihren Rettern auch nur ein bisschen Hilfe zu leisten, lasse ich euch nicht im Stich! Steigt auf meinen Rücken und ich bringe euch hoch."
,,Etna, das weiß ich sehr zu schätzen, aber ich möchte, dass du jetzt zurück in deine Höhle gehst." - antworte ich auf seinen Vorschlag mit entschlossener Stimme.
,,Ich stimme Alari auch zu. Geh weg von hier." - sagt zu meiner Überraschung Luke um mich zu unterstützen.
Etna scheint mir Zweifeln zu kämpfen. Jedoch meint er schließlich:
,,Wenn ihr jetzt nicht mit mir nach oben kommt, gehe ich alleine."
,,Und was würdest du oben anfangen? Meinst du du hättest auch nur eine geringe Chance den Drachen zu besiegen?" - entgegne ich wütend.
,,Nein. Aber endlich würde man sehen, dass ich nicht so feige bin wie man es von mir denkt!"
Das liegt also dahinter. Er will sich selber seine Kraft beweisen.
,,Keiner denkt das von dir, Etna."
,,Was weißt du schon! Erst vor ein paar Tagen bist du hier angekommen und denkst du wüsstest alles! Ich wollte euch nur helfen, aber wenn ihr es nicht wollt dann lass ich es eben!"
- schreit er wutentbrannt und erhebt sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft.
,,Etna!" - rufe ich verzweifelt mit voller Lautstärke.
,,Wieso tut sie das? Alleine kann sie nichts erreichen! Luke lass uns so schnell wie möglich losgehen. Wir müssen verhindern, dass sie dem schwarzen Drachen in die Nähe kommt."
Ohne etwas zu sagen dreht sich Luke um und besteigt den Hang, der zur Bergspitze hinaufführt. Sein Gesicht ist merkwürdig ernst, wie ich es ihm nicht gewohnt bin.
,,Hilfe! Ich komme hier nicht raus! Luke!" - zappele ich verzweifelt, während mein ganzer Körper von Ranken umgeben ist.
,,Alari!" - schreit Luke.
Unser Weg zur Spitze des Berges erscheint hoffnungslos Wir sind schon mehrere Stunden gelaufen und trotzdem ist das einzige was wir zu sehen, oder in meinem Fall besser gesagt zum Spüren bekommen eine gut gestellte Falle. Ich habe mich beim Laufen, gerade als ich durch Luke abgelenkt war, in einem der Ranken verfangen und danach haben sich alle anderen Ranken verselbständigt.
,,Luke, nimm das Schwert!" - schreie ich und versuche mit meiner durch einen modrigen Ranken zurückgehaltenen Hand das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Luke kommt ein paar Schritte auf mich zu und ergreift das Schwert, sobald ich es zur Hälfte schon raus gezogen habe. Verunsichert nimmt er es in die Hand und fuchtelt dann in die Richtung der Ranken. Glücklicherweise schafft er es schnell, meine rechte Hand zu befreien. Die Ranken weichen zurück lassen mich aber noch nicht vollends los. Ich zappele weiter, aber eine nächste Ranke ist schon dabei meine rechte Hand wieder zu ergreifen. Ich sehe, wie ein merkwürdiges Grinsen in Lukes Gesicht weicht, wie das eines kleinen Kindes, das gelernt hat wie man auf Bäume klettert. Er verstärkt seinen Griff am Schwert und schneidet damit weitere Ranken durch, bis ich schließlich frei bin. Die vom Felsen runter hängenden Ranken bewegen sich noch kurz in der Luft, bis sie in ihre Ausgangsposition zurückfallen und an der Felswand anliegen.
,,Danke Luke. Lass uns weitergehen." - sage ich und schaue ihn stolz an. Ich hätte mir das nie so vorstellen können, aber es lässt mein Herz einen Takt höher schlagen, dass Luke mich wirklich gerettet hat und nicht andersherum.
,,Hast du's gesehen? Ich war doch richtig cool, oder?" - sagt er freudig.
,,Ja, natürlich." - lasse ich ihm die Freude.
Schweigend laufen wir weiter, er über seine tolle Heldentat nachdenkend und ich darüber grübelnd, was ich über Luke denken sollte. Er überrascht mich immer zu neuem, bis er in wenigen Momenten wieder der alte, bisschen bekloppter Luke ist. Aber es macht mir Spaß mit ihm unterwegs zu sein. Früher habe ich noch nie im Team gearbeitet, meine Aufträge galten immer nur mir allein. Ich bin froh darüber, auch dieses Gefühl kennenzulernen, wenn es jemanden gibt, dem man vertrauen kann und nicht die ganze Last alleine trägt. Auch wenn Luke kein ausgebildeter Kämpfer ist, weiß ich, dass er niemals so feige ist vor einer Gefahr zu fliehen.
,,Hey, Alari, ich denke wir sind angekommen." - weckt mich Luke aus meinen Gedanken.
Vor uns ist ein Tor, der mindestens zwanzigmal so groß ist wie wir. Wenn ich richtig liege, finden wir dahinter gleich den schwarzen Drachen.
Das Tor ist prächtig verziert mit Mustern aus Gold und gemeißelt aus hartem Stein.
,,Wir sind da, oder?" - fragt mich Luke ungerührt.
,,Ja. Endlich sind wir da. Hoffentlich ist Etna noch nichts passiert."
,,Wie willst du diesen Steinhaufen öffnen?"
,,Das frage ich mich gerade auch." - sage ich, da am Tor keine Klinke angebracht ist.
,,Vielleicht lässt es sich einfach öffnen wenn wir es nach hinten drücken." - meint Luke und setzt seine Idee gleich in die Tat um. Er stemmt seine Hände gegen das kalte Gestein und drückt zu. Dabei durchfährt mich wieder der Gedanke, wie falsch ich Luke anfangs eingeschätzt hatte. Immer mehr bewundere ich ihn und sein Mut.
,,Es geht nicht." - stellt er fest. Das Tor hat sich keinen Stück bewegt.
,,Warte mal! Siehst du die zwei Goldhaken an den Rändern? Lass mal versuchen ob man sie auf irgendeine Weise vielleicht runterziehen kann." Die Haken stachen mir gleich ins Auge, weil sie sich in der Farbe des Goldes, welche die Muster bildet, von den übrigen Verzierungen unterscheiden.
Ich lege meine rechte Hand auf das Goldhaken auf der rechten Seite des Tores und ziehe es runter. Ein knarzendes Geräusch setzt ein und ich schrecke zurück. Meine Füße finden keinen Halt und ich stolpere nach hinten. Aber anstatt hinzufallen lande ich in Lukes Armen. Sein Gesicht ist ganz nah zu meinem und ich spüre seinen Atem auf meiner Nase.
,,Alles in Ordnung?" - fragt er mich ernst. Seine markanten Gesichtszüge sind versteift und in seinen Augen sehe ich Sorge. Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus und ich schnappe leise nach Luft.
,,Ja, alles gut, danke." - sage ich und blicke ihn weiterhin in die wunderschönen haselnussbraunen Augen.
,,Würdest du mich vielleicht loslassen?" - hüstele ich kurz, da er keine Anstalten macht, mich wieder auf eigenen Füßen stehen zu lassen.
,,Ehm, klar." - sagt er und nimmt seine Arme von mir. Seine Gesichtsfarbe verstärkt sich Richtung rot und er sieht verlegen in eine andere Richtung. Aber das, was wor anschauen müssten ist die Öffnung, die hinter dem Haken in Vorschein kommt.
,,Luke das musst du sehen!"
,,Was gibt's? "
,,Guck mal hinter dem Haken in die Öffnung. Da ist Platz für einen Handabdruck. Ich denke somit ist auch klar, wie wir hier hereinkommen, und auch wieso wir zu zweit sein müssen. Zieh den anderen Haken nach unten und leg deine Hand rein!"
Er befolgt meine Anweisungen und auch ich tue meine Hand an die dafür vorgesehene Stelle. Ich habe bloß Angst, der Haken erneut nach oben fahren, die Öffnung sich schließen würde und meine Hand einklemmen würde.
,,Komm Luke, beeil dich!"
,,Ich mach ja schon!"
Auch er legt seine Hand in die Öffnung. Wir warten. Es passiert nichts. Bis plötzlich das Tor abrupt nach hinten kippt und wir mit ihm mach vorne fallen. Schmerzhaft lande ich mit meinem Kopf am Boden. Der Schmerz fährt von meiner Stirn ausgehend bis zu meinen Hinterkopf. Ich stöhne leise und stemme mich mit bedacht nach oben um mir eine klare Sicht über die Umgebung zu schaffen. Luke liegt bewegungslos auf dem Boden rechts von mir.
,,Luke!" - schreie ich und eile zu ihm.
Seine Atmung ist flach und er antwortet auf nichts, egal, was ich zu ihm sage. Er ist bewusstlos. Das glaube ich zumindest, bis ich ein Lächeln auf seinem Gesicht bemerke. ,,Du bist doch wach, oder?" - rufe ich empört aus.
,,Ja das bin ich, aber es ist süß wie du mal die Fassung verlierst." - erhebt er sich und grinst mich an.
,,Blödmann." - sage ich und laufe weg. Er hat echt den Mut, sich bei mir so einen Spaß zu erlauben? Was übrigens gar nicht lustig war?
,,Alari! Jetzt warte doch!" - schreit er mir hinterher, aber ich laufe unbeirrt weiter. Vor mir liegt eine Grube. Es ist groß und der schwarze Drache ist unübersehbar, wie er mit seinem langen, ausgestreckten Schwanz mitten in der Grube liegt.
,,Bleib leise." - flüstere ich Luke zu, der mich mittlerweile eingeholt hat.
,,Was jetzt?"
,,Ich sollte ihn angreifen bis er noch schläft."
Ohne auf eine Zustimmung von Luke zu warten, die mir sowieso nicht wichtig wäre, lasse ich mich am Rande der Grube langsam nach unten rutschen. Und schon stehe ich plötzlich vor dem schwarzen Drachen, der mich sogar im Liegen um mehrere Meter überragt. Aber wo ist Etna? Sie müsste schon seit langer Zeit hier oben angekommen sein. Hoffentlich ist sie zur Besinnung gekommen und wieder zurück zu ihrer Höhle geflogen. Hoffentlich. An das Schlimmere möchte ich erst gar nicht denken. Meine Hand legt sich auf den Griff des Schwertes, das sich noch in seiner Scheide befindet. Ich will es schnell hinter mich bringen. Wird auch ganz leicht sein. Ich schleiche mich zum Drachen und ramme ihm das Schwert ins Herz. So ist mein Plan, der sich aber als komplett unnützlich herausstellt als der Drache aus seinem Schlaf aufsteht.
,,Wer wagt es, meine Ruhezeit zu stören?" - grollt er mit seiner tiefen Stimme, der von den Wänden der Kluft als Schall wieder zuhören ist. Ich weiß nicht zu antworten. Stattdessen mache ich mich kampfbereit und renne auf ihn zu. Er hebt seine große Tatze und will mich damit treffen um mich außer Gefecht zu setzten, was auch ein leichtes Spiel für ihn sein würde, vorausgesetzt ich wäre langsamer. Aber schon aus reinem Reflex springe ich nach oben, und lande auf seinem Fuß, weshalb es für ihn unmöglich wird, mich damit zu treffen. Ich renne weiter, weiche dabei Feuerstrahlen aus und komme schließlich in Reichweite seines Herzens. Gerade als ich dabei bin ihn zu erstechen erhebt er sich vollständig und ich falle zurück zu Boden. Schon ist er wieder bereit mich mit Feuer zu attackieren, als ihn etwas hinten am Nacken packt. Er jault auf und ich sehe, wie Etna ihre scharfen Zähne in seinen Nacken bohrt. Schnell springe ich wieder auf und starte meinen nächsten Angriff. Der schwarze Drache schüttelt seinen Kopf und Etna wird gegen einen Felsen geschleudert. Sie fällt zu Boden und steht nicht mehr auf. Von Wut getrieben stürme ich erneut auf den Drachen zu und noch bevor er mich wirklich realisiert bohre ich mein Schwert durch seine schuppige Haut direkt in sein Herz.
,,Grahhhhh!" - windet sich der schwarze Drache unter den Schmerzen, die ich ihm zugefügt habe. Er versucht das Schwert aus seinem Leib zu ziehen, indem er seine schweren Tatzen zu einer Faust um das Schwert ballt. Ich gerate in Panik, als er das Goldschwert schon fast draußen hat. Doch dann zuckt er plötzlich zusammen und fällt mit einem lauten Knall zu Boden. Ich muss zur Seite springen, damit ich nicht unter seinem riesigen Körper begraben werde. Erleichtert atme ich auf. Es ist geschafft. Der schwarze Drache ist besiegt.
,,Alari, du hast es geschafft!" - ruft Luke von oben, rutscht den Hang runter und fällt mir vor Freude um den Hals. Ich erwidere seine freundschaftliche Geste und lege meine Arme um seinen Nacken.
,,Du bist mir also nicht mehr böse?" - ertönt seine Stimme so nah an meinem Ohr, dass sein Atem meine Ohrlippen kitzelt.
,,Wieso sollte ich dir böse sein?" - frage ich in plötzlicher Verwirrung, als mir einfällt, wie er mich vorhin reingelegt hat.
,,Das werde ich dir nicht verzeihen, aber jetzt kann ich dir nicht mehr wütend sein." - erlaube ich mir ein Lächeln, drücke ihn ein bisschen von mir weg und schaue ihm in die Augen. Auf einmal ertönt ein Keuchen neben uns. Etna! Beinahe hätte ich ihn vergessen! Ich lasse Luke vollends los und hechte zu Etna, der zwar bei Bewusstsein ist, aber dennoch auf dem Boden liegt.
,,Kannst du nicht aufstehen?" - frage ich ihn leise und knie mich neben ihn.
,,Es ist alles in Ordnung. Ich brauche bloß ein bisschen Erholung."
,,Danke, dass du uns geholfen hast. Ohne dir wäre es mir möglicherweise nicht so schnell gelungen, den Drachen zu besiegen. Habe meinen Dank. Anderseits muss ich dir noch eines sagen. Wie konntest du bloß alleine hochfliegen, und uns in Sorgen hinterlassen? Ein Glück, dass du nicht auf eigene Faust gehandelt hast. Ansonsten hätte die Geschichte hier ganz anders ausgehen können."
,,Es tut mir Leid. Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen um mich macht. Aber mein Wunsch war auch einmal ein Held zu sein."
,,Das bist du bereits." - versichere ich ihm.
Er schenkt mir ein breitmäuliges Lächeln. Plötzlich wenden sich seine Augen von mir ab, und fokussieren etwas hinter mir. Ich drehe meinen Kopf um die Quelle seiner Interesse auch zu erblicken. Erstaunt sehe ich, wie eine riesige Masse von Drachen auf uns zufliegt. Sie bedecken den Himmel und bieten einen wundervoll Anblick auf das gleichzeitige Schlagen hunderter Drachenflügel. Ich erhebe mich und nehme ihre Danksagungen und Jubelrufe freudig entgegen, sobald sie sich auch auf dem Berg niederlassen.
,,Ohne diesem Schwert und den Mut dieses kleinen Drachens hätten wir es nicht geschafft." - schreie ich in die Menge um die Drachen zu stillen. Alle schauen zu Etna, den sie erst jetzt zu bemerken. Ganta bohrt sich einen Weg durch die Drachen und stürmt auf ihren Sohn zu.
,,Wie ich mir Sorgen um dich gemacht habe! Aber ich bin sehr stolz auf dich!". - flüstert sie zu ihrem Sohn, so leise, dass es unter den erneut eingesetzten Jubelschreien untergeht, die auch schon Etna gelten.
Luke gesellt sich zu mir und horcht den fröhlichen Drachen. Etwas ist aber anders an ihm. Und nicht etwa, dass er diesmal nicht kindlich wie ein Honigkuchenpferd grinst, sondern mit einer ernsten Miene neben mir steht. Nein. Das Merkwürdige sind seine Beine. Sie schimmern und sind beinahe schon durchsichtig. Panisch greife ich seinen Ellbogen und deute auf seine Beine. Auch er erschreckt sich bei diesem Anblick, weist mich aber darauf hin, dass ich genauso aussehe. Die Zeit des Abschieds ist gekommen.
,,Vielen Dank für eure Gastfreundschaft, liebe Drachen. Wir sind froh, dass ihr nicht mehr unter der Macht des schwarzen Drachens leben müsst und wünschen euch viel Erfolg beim Ausbauen einer zukünftigen Welt, in dem ihr alle in Frieden leben könnt. Lebt wohl."
Nach meinen letzten Worten verblassen auch unsere Hände, unser Körper und schließlich bleibt nur noch der Kopf. Mit einem letzten Blick kann ich sehen, wie Etna uns als Abschied mit eines seiner schweren Tatzen zuwinkt.
Mein Magen ist flau und ich bekomme ein Schwindelgefühl. Ich glaube die ständige Teleportation tut mir nicht allzu gut. Und trotzdem bin ich froh es endlich aus dem Labyrinth geschafft zu haben. Ich richte mich vorsichtig auf, damit mir nicht weiter schlecht wird und schaue mich um. Überrascht bemerke ich, dass nicht das erwartete Szenario vor mir zu sehen ist. Der Eingang des Labyrinths liegt nicht vor mir, und auch hinter mir befindet sich nicht das prächtige Schloss der Königin Stattdessen ist außer Luke und mir noch eine Gestalt auf dem grauen Boden zu erkennen. Die Gestalt wirkt wie einer der Ältesten. Sein Gesicht ist geschmückt von einem langen Bart, die Haare hängen ihm in wirren Strähnen über den Kopf. Die Fingerspitzen hält er zusammengepresst und seine Beine sind im Schneidersitz gekreuzt. Das ganze gibt ein recht merkwürdiges Bild ab, beinahe als würde der Mann meditieren. Seine Augenlider sind auch geschlossen und sein Körper angespannt, als würde ihn die jetzige Situation viel an Konzentration kosten. Plötzlich prustet Luke neben mir los. Wahrscheinlich hat der Anblick des meditierenden, alten Mannes eine derartige Reaktion bei ihm hervorgerufen. Ängstlich sehe ich den Mann an, aber dieser regt sich immer noch nicht. Verdattert sehe ich ihn an und schnipse einmal mit meinen Fingerspitzen vor seiner Nase. Weiterhin lässt sich keine Reaktion von ihm beobachten. Planlos schaue ich Luke an, der aber auch keine Idee zu haben scheint.
,,Was jetzt?" - spreche ich die Frage laut aus, die bisher um ums herum in der Luft lag.
,,Darf ich den kitzeln?" - kommt es von Luke.
Verwirrt schaue ich ihm in die Augen und muss realisieren, dass es wirklich sein Ernst ist. Da ich nicht anderes zu erwidern weiß, meine ich einfach:
,,Ja, klar..."
,,Super!"
Er nähert sich langsam dem Mann und streckt seine Hände aus, so als würde er ihn bereits in der Luft kitzeln wollen. Als Luke mit seinen Händen bereits nah an seinem Körper ist, schießen seine Augenlider in die Höhe und zwei geweitete, schwarze Pupillen kommen zum Vorschein. Der alte Mann hebt eines seiner in Meditationspose gehaltenen Hände an seinen Mund und hustet stark auf. Danach hebt er seinen Blick und beäugt uns kritisch.
,,Ihr jungen Leute seid immer so ungeduldig. Gerne hättet ihr mich zu Ende meditieren lassen können. Jetzt muss ich vom neuen anfangen." - sagt er und schließt wieder seine Augen.
,,Jetzt warten sie doch! Sagen sie uns wieso wir hier sind!" - mault Luke.
Genervt öffnet er die Augen erneut und sagt:
,,Wenn ihr eure Geduld nicht zügeln könnt erkläre ich es euch. Aber lasst es schnell hinter uns bringen. Zur Erklärung: Da ihr die Aufgaben dieses Labyrinths erfolgreich gemeistert habt und eure Ängste bekämpft habt, und so weiter und so fort, erfülle ich euch einen Wunsch."
Bei diesen Worten stockt mir der Atem. Schwer stoße ich folgende Worte hervor:
,,Können sie...Menschen...aus dem Tod wieder zurückbringen?"
Ohne jeglicher Gefühle sieht er mich an.
,,Nein, dazu habe auch ich nicht die Macht."
Enttäuschung macht sich in mir breit. Ich hatte gehofft er könnte meine Eltern wieder zu leben erwecken. Dies war aber eindeutig nur ein kindischer Wunsch meinerseits. Luke guckt mich interessiert an. Wahrscheinlich will er wissen, wieso ich ausgerechnet diesen Wunsch hätte.
,,Dann möchte ich meine Waffe, ein Messer welches ich bei einem Schwur gegenüber dem König erhalten habe und das sich jetzt bei den Dunklen Feen befindet wiederhaben."
,,Dein Wunsch soll wahr werden." - sagt er und im nächsten Moment stehe ich mit dem Messer in der Hand vor dem Labyrinth, an der Stelle wo dieses Abenteuer begann. Aber wo ist Luke?
Meine Frage beantwortet sich in kürzester Zeit von selbst, da Luke auch neben mir auftaucht.
,,Was hast du dir gewünscht?" - erkundigt sich Luke bei mir. Ich hebe meine linke Hand hoch und deute auf das Messer. Ich bin froh, dass ich es endlich wiederhabe. Noch immer bin ich mir unsicher, was die Kraft dieses Messer angeht. Aber genau aus diesem Grund möchte ich es weiterhin benutzen und lernen, wie ich es richtig benutze. Denn es ist keinesfalls ein normales Messer. Es ist in Besitz von versteckten Kräften, die noch verborgen vor mir sind. Ich weiß, dass ich durch dieses Messer um ein Vielfaches stärker werden kann.
,,Und du? Was hast du dir gewünscht?" - frage ich Luke.
,,Hmm... das sag ich dir nicht." - grinst er.
,,Wieso? Ich habe dir meinen Wunsch doch auch gesagt!" - brause ich auf.
,,Weil..."
,,Weil?'
,,Weil ich es dir nicht sagen will."
,,Das ist auch keine Antwort! Sag mir wieso du es mir nicht sagst!"
,,Wünsche darf man doch nicht verraten."
,,Hä, wieso?" - sehe ich ihn perplex an.
,,Weil sie dann nicht wahr werden!"
Ich blinzele ein paar mal schnell hintereinander und schaue ihn fragend an.
,,Ist das auch so ein Ding bei den Menschen?"
,,Ja, denk schon. Wenn du noch nie davon gehört hast dann ist es wahrscheinlich wirklich nur bei uns Menschen so."
,,Also werde ich deinen Wunsch nicht erfahren. In Ordnung. Aber wir sollten die Zeit hier nicht weiter verplempern, da die Wächter der Königin jederzeit hier auftauchen können."
,,Du hast Recht. Lass uns hier wegkommen."
Ich entscheide mich für links und schleiche mit Luke an der Schlosswand entlang. Zu unserem Pech sehen wir plötzlich zwei Wächter um die Ecke biegen. Es gibt aber keinen Ort, wo wir uns auch nur für eine kurze Zeit verstecken könnten. Dann bleibt nur eines. Kampf.
Ich bin froh darüber, dass ich diesmal eine Waffe bei mir habe. Der Wunsch am Ende des Labyrinths kann uns womöglich einige Probleme schneller lösen lassen. Deshalb frage ich mich immer noch, was Luke sich wohl gewünscht hat. Aber im Moment ist das nebensächlich. Schnell stürme ich auf die Wächter zu. Die Überraschung ist ihnen ins Geschäft geschrieben. Bevor sie Zeit zum Reagieren hätten schlage ich mit der stumpfen Seite des Messers dem männlichen Wächter hart auf den Kopf und der weiblichen, die inzwischen schon ihre eigene Waffe zu Hand genommen hat, haue ich mit der Faust in die Magengrube, so dass sie ohnmächtig zusammensackt
,,Krass!" - meint Luke bewundernd. - ,,Ich könnte mir nicht einmal im Traum vorstellen, dass eines der Mädchen aus meiner Klasse oder gar aus der Schule so kämpft. Und du tust es als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt."
,,Ja. Aber auch ich könnte nicht auf diesem Niveau kämpfen wenn ich nicht Tag für Tag hart dafür trainiert hätte. Gehen wir weiter."
Bei den nächsten Wächtern haben wir die Möglichkeit uns am Wegrand, da das Schloss an dieser Stelle nah an den Park grenzt, hinter einem Busch zu ducken und warten bis die beiden vorbeimarschiert sind.
Schon fast haben wir es aus dem Bereich des Schlosses geschafft, als eine ganze Gruppe von Wächtern auf uns zukommt. Wahrscheinlich wurden die ohnmächtigen Wächter, die ich vorhin erfolgreich besiegt habe.
,,Shit." - reagiert Luke die Situation ab.
,,Keine Sorge. Wir kommen hier durch und können uns danach sofort auf den Weg zum Palast Caerleon machen." - greife ich wieder mal zu meinem Messer.
Diesmal haben mich die Wächter schon früher bemerkt und machen sich ebenso kampfbereit. Es sind etwa ein Dutzend. Ich könnte sie besiegen. Wenn nicht Elon an ihrer Spitze stünde. Er ist mir auch im Eins-gegen-Eins-Kampf ein ebenbürtiger Gegner. Mit Unterstützung der anderen Wächter ist es sehr wahrscheinlich, dass ich unterliegen werde, aber ich muss kämpfen. Ein Kampf, vor dem man schon im Voraus zurückschreckt ist ein bereits verlorener Kampf. Wenn man aber kämpft, hat man immer die Möglichkeit zu gewinnen, solange der Wille stark bleibt. Man darf nicht aufgeben. Das ist das wichtigste.
Elon zögert nicht lange. Er rennt auf mich zu und schafft es mich auf den Boden zu werfen, so als wäre ich wehrlos. Um mich fester an den Boden zu pressen, damit ich mich nicht losreißen kann, geht er in die Knien. Sein rechter Arm ist an meinem Hals und drückt mir fast die Luft weg. Sein Gesicht ist nah an meinem, so dass nur ich die Wörter höre, die er flüstert.
,,Ich helfe euch hier loszukommen. Wenn ich dir ein Zeichen gebe begibst du dich zum Hintereingang des Palastes. Verstanden?"
Völlig verblüfft sehe ich ihn an. Ich weiß nicht was ich sagen könnte. Wieso will er mir auf einmal helfen? Zweifelnd nicke ich ihm zu und er lockert seinen Halt um meinen Hals. Ich nutze die Gelegenheit um ihn abzuschütteln. Dann schlage ich zu und er weicht mir aus. Alles wirkt nach außen wie ein richtiger Kampf. Aber ich kenne Elon. Er bleibt noch nicht bei der Verteidigung sondern geht sobald es möglich wird ins Angriff über. Das war auch schon so, als wir vor vielen Jahren als Kinder aus Spaß miteinander gerungen haben. Da die anderen Wächter es aber als Unfähigkeit von Elons Seite abtun, werfen sie sich auch mitten in den Kampf und ganz plötzlich habe ich viel mehr Gegner. Ich weiche dem einen aus, was dazu führt, dass der Wächter hinter mir getroffen wird. Minus ein Gegner. Perfekt. Aber schon schlägt der andere zu. Ich blocke mit meinem Messer und stoße es in seinen Bauch. Die Verwirrung auf dem Kampffeld wird immer größer. Manche Wächter schlagen aus Versehen auch aufeinander zu. Das ganze geht in eine Katastrophe über. Es sind einfach zu viele.
,,Alari, jetzt!" - schreit Elon und beginnt gegen seine eigenen Männer zu kämpfen. Wieso tut er das? Welche Vorteile kann er daraus ziehen mir zu helfen? Es bleibt mir aber keine Zeit darüber nachzudenken. Ich packe Luke am Handgelenk und wir rennen wie Verrückte in die Richtung, die Elon mir vorgeschlagen hat.
,,Alari, was machst du?" - schreit mich Luke an. - ,,Wieso fliehst du?"
,,Das erkläre ich dir später. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich zum Hintereingang kommen."
Darauf sagt er nichts mehr und es ist nur unser Schnaufen zu hören, bis wir am Hintereingang ankommen.
,,Und was jetzt?" - fragt Luke außer Atem.
,,Ich weiß es nicht."
Verblüfft sieht er mich an und denkt wahrscheinlich ich wäre durchgedreht. Immerhin habe ich ihn in einem irren Tempo hierher gezerrt und habe keine Ahnung wieso. Aber Elon hat nichts davon gesagt wie es weitergeht. Ich laufe auf und ab beim Überlegen, was wir jetzt tun sollten.
,,Was willst du hier?" - höre ich Lukes Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Elon Luke gegenüberstehen. Er hebt beschwichtigend die Hände und sagt:
,,Ich habe euch geholfen dort wegzukommen. Du solltest mir eher dankbar sein."
Bevor sich ein Streit zwischen den beiden entfachen könnte spreche ich Elon an:
,,Was ist mit den Wächtern?"
,,Sie sind alle außer Gefecht gesetzt."
,,Aber wie? Du musstest doch nur wenige Minuten nach uns losgegangen sein. Wie konntest du alle in so kurzer Zeit besiegen?"
,,Das muss ich dir doch nicht beantworten." - grinst er mich selbstbewusst an.
,,Hey, darf ich an eurer Versammlung bitte teilhaben? Wenn du Elon schon das Reich verraten hast." - steht eine völlig unerwartete Person neben mir.
,,Clair... müsstest du nicht am Haupteingang Wache halten?" - fragt Elon nicht sehr begeistert.
,,Normalerweise schon. Aber heute hatte ich Lust hier vorbeizuschauen." - grinst sie uns höhnisch an.
Wenige Zeit, nachdem Clair aufgetaucht ist, sitzen wir allesamt im Kerker des Palastes. Und wieso? Weil Clair noch Dutzende von Wächtern mitgebracht hat, gegen denen wir nicht eine geringste Chance hatten zu gewinnen. Sie waren einfach in der Überzahl. Und Elon hatte damit nicht gerechnet. Zumindest weiß ich jetzt, dass er uns wirklich helfen wollte und es keine Lüge war. Denn neben mir, an die kalte Steinwand gelehnt, sitzt Elon im Schneidersitz und verflucht Clair. An meiner anderen Seite befindet sich Luke und beäugt Elon immer noch misstrauisch. Die beiden werden wohl nicht aufs Schnelle beste Freunde sein, wenn ich es richtig vermute. Aber auch für mich liegen Elons Motive im Dunkeln. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich ihm all seine Taten verzeihen und einen Neuanfang starten möchte. Doch das wäre falsch. Das ist mir im vollen Maße bewusst. Nur eines kann ich nicht leugnen. Ich habe ihn geliebt. Wahrscheinlich war er meine erste Liebe. Meine Kindheitsliebe. Gleichzeitig aber ist er die Person, die mein Leben in den Abgrund stieß. Diese Fakten widersprechen sich in allen Fällen. Hier muss ich einem bekannten Sprichwort Recht geben: Der Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.
,,Tut mir leid." - kommt es ganz plötzlich von Elon.
,,Falls du uns wirklich helfen wolltest, können wir dir nichts vorwerfen." - erlaube ich mir ein leichtes Lächeln.
,,Und wollte er das?" - will Luke wissen.
,,Natürlich wollte ich das!" - sagt Elon gelassen.
,,Und das sollen wir dir etwa glauben?
,,Wieso solltet ihr es mir nicht glauben, ist doch die Frage. Wenn ich euch nicht hätte helfen wollen, dann hätte ich euch mit den Wächtern zusammen festgenommen."
,,Soll ich dir alle 320 Gründe aufzählen, weshalb wir dir nicht glauben sollten?"
,,Ihr könnt mir ganz gewiss glauben! Du Mensch weißt doch nichts von unserer Welt, da solltest du vielleicht nicht so selbstsicher sein."
,,Du hast Recht. Ich weiß nicht viel von dieser Welt, aber eines sicher: Du bist der Grund dafür, dass Alari immer wieder Tränen in die Augen steigen."
Wann hat er das mitbekommen? Es kommt nur selten vor, dass ich an meine Eltern denke. Aber meistens dauert so ein Gedankengang von mir nicht weiter als wenige Sekunden, und die Tränen hatte ich immer schnell ausgeblinzelt. Luke musste verdammt aufmerksam sein, um das bemerkt zu haben.
Elon erwidert nichts mehr, sondern starrt nur vor sich in die Leere. Bis plötzlich Schritte auf den düsteren Gang neben unserem Kerker ertönen. Der Schlüssel klirrt im Schloss und die schmale Gittertür wird aufgestoßen. Klappernd fällt das Tablett zu Boden, das von einem Wächter gebracht wurde.
,,Euer Essen. Spart es auf, denn bis morgen früh gibt es nur noch Wasser." - murrt der Wächter abschätzig und geht davon.
,,Ich war sein Abteilungsleiter. Und sieht nur wie er mich jetzt behandelt." - sagt Elon gespielt verletzt.
Wieder muss ich darüber staunen, was Elon erreicht hat, bis ich ihn wiedergesehen habe. Meine Abteilung ist die Palastwache und ich muss mich an die Befehle und Zeitpläne halten, die mein Abteilungsleiter, ein Mann mit sehr viel Energie, macht. Bisher ist es mir noch nie in den Sinn gekommen, es in den nächsten zehn Jahren zur Position eines Abteilungsleiters zu schaffen. Elon ist gerade mal ein halbes Jahr älter als ich. Unter normalen Bedingungen wäre es unmöglich, dass Elon diesen Rang erreicht hat. Aber er ist außergewöhnlich stark.
,,Und wie willst du uns hier rausbringen? Wenn du es doch warst, der uns diese Schwierigkeiten eingebrockt hast." - sagt Luke mit einer großen Portion Arroganz. Er benimmt sich so anders, als wenn er nur mit mir ist.
,,Nur um eines klarzustellen: Ich wollte euch helfen und hatte keine bösen Absichten." - erwidert Elon.
,,Wie kommen wir dann raus?"
,,Das muss ich mir noch überlegen."
,,Dann mach mal schneller."
,,Überlege doch selber etwas, wenn du so viel schlauer bist."
,,Hört doch endlich mal auf! Ich habe einen Plan." - mische ich mich in ihrem Gespräch.
Die Nacht war ungemütlich, aber mein Plan war erfolgreich. Vorhin hatte ich beobachtet, wie der Schlüssel zur Gittertür lose am Gürtel des Wächters baumelte. Danach war alles ganz leicht. Luke spielte den Verzweifelten, hing sich an die Hüfte des Wächters und bat darum, freigelassen zu werden. Das hat den Wächter nicht gewundert. In seinen Augen sind Menschen Schwächlinge. Er verzog sein Gesicht bloß zu einer unnatürlichen Fratze, schüttelte Luke ab und warf unser Frühstück auf den Boden. Auf dem Gang hörte man noch lange sein irres Lachen. Luke hat eine wahrhaftige Show durchgezogen.
Endlich haben wir den Schlüssel. Jetzt ist es ein leichtes, aus dem Schloss zu kommen. Elon kennt sich schließlich aus.
Nachdem ich auf den Gang gespäht habe, auf der Suche nach weiteren Wächtern, die unser Plan durchkreuzen können, mache ich mich daran den geklauten Schlüssel von außen her im Schloss zu drehen.
,,Los, kommt." - zische ich Elon und Luke zu.
Ich bin mir nicht im Klaren darüber, welchen Weg Elon nach unserer Flucht einschlagen wird, aber ich hoffe zutiefst, dass ich ihn danach nie wieder sehen muss. Nie wieder den Schmerz spüren muss, den er mir zugefügt hat, wenn ich ihn ansehe.
,,Ich zeig euch den Ausweg." - flüstert Elon vorsichtshalber. Er bewegt sich mit leichten Schritten vorwärts. Wir folgen ihm. Eine Treppe hoch, einen Flur entlang, nach rechts und wieder nach links. Schleichen uns an den Wächtern vorbei. Drücken uns flach an die Wände, damit wir nicht entdeckt werden. Bis wir endlich an einen Hinterausgang kommen. Davor stehen zwei Wächter, die durch Elon aber beide ausgeschaltet werden. Durch die Doppeltür treten wir in eine frische Brise hinaus. Ich muss meine Augen zusammenkneifen, damit die hellen Sonnenstrahlen mich nicht blenden.
,,Weiter!" - gibt Elon den Befehl und treibt uns an. Wie rennen an Lukes Tempo angepasst, bis wir in einen nahe gelegenen Wald kommen. Trotzdem sind wir weit genug, damit sie uns nicht mehr suchen. Wir wandern zu einer Lichtung, der sich in den Tiefen des Waldes versteckt. Die Sonnenstrahlen, der absteigenden Sonne dringen durch die Blätter der Bäume über uns.
,,Es wird dunkel. Wir machen hier Rast." - sagt Elon.
,,Ist es hier wirklich sicher? Sind wir weit genug damit sie uns nicht bis hier verfolgen?" - erkundige ich mich aus Angst, dass er uns wieder in eine Falle lockt.
,,Ja, das ist es." - antwortet er selbstsicher und sicher und fügt hinzu:
,,Diesmal kannst du mir trauen." - und sieht mir dabei tief in die Augen.
Plötzlich zerstört ein lautes Geräusch die Stille, in die wie nach unserer Ankunft gesunken sind. Es klingt wie das Knurren eines Bäres.
,,Ihr habt es auch gehört, oder?"
,,Ja. Hier sollten aber keine Bären leben. Man hat zumindest noch nie einen hier entdeckt."
Alarmiert heben wir beide unsere Dolche vor die Brust und lauschen. Das Geräusch setzt wieder ein.
,,Leute..."
,,Sei leise Luke. Sonst lenkst du seine Aufmerksamkeit auf dich."
,,Aber..."
,,Pschtt!'
Wir warten. Das Geräusch lässt sich wieder hören. Laut. Es muss in der Nähe sein. Elon nickt mir zu, als hätte er meine Gedanken gelesen. Auf einmal spüre ich ein leichtes Stechen an meiner Schulter. Ich drehe mich um die eigene Achse und schwinge meinen Dolch. Ein Glück, dass ich es stoppen kann. Es war nur Luke, der mir an die Schulter getippt hat.
,,Was willst du? Fast hätte ich dich umgebracht!" - zische ich aufgeregt.
,,Da ist kein Bär. Es war mein Magen. Ich bin hungrig." - sagt er ohne die Miene zu verziehen. Meine ganze Anspannung und Stress der letzten Tage sammelt sich in einem Lachen. Ich pruste los und kann nicht mehr aufhören. Wir mussten für Luke ein sehr komisches Bild abgegeben haben, wie wir kampfbereit auf einen Bären warteten und ihn nicht zu Wort kommen ließen. Auch Elon lacht bereits und Luke grinst wie bescheuert. Als seien wir drei dicke Freunde, die sich schon seit Ewigkeiten kennen.
,,Ich gehe jagen. Macht ihr das Lagerfeuer." - sage ich und gehe los, ohne auf eine Antwort der beiden zu
warten.
Im Wald ist es dunkel, die dichten Laubkronen lassen kaum Licht durch. Ich konzentriere mich auf die Geräusche um mich herum. Da ich keinen Bogen habe, kann ich vergessen, Vögel zu jagen. Stattdessen erlege ich zwei Kaninchen. Ohne meiner übernatürlichen Geschwindigkeit wäre das unmöglich, aber so ist es ein leichtes, beiden einen tödlichen Stich mit meinem Dolch zuzufügen. Ich werfe sie auf meine Schulter, ohne Rücksicht darauf ob mein Oberteil beschmutzt wird. Morgen sind wir sowieso wieder im Palast.
Als ich wiederkomme, ist es ganz still. Elon sitzt am Feuer und legt immer wieder neue Holzblöcke hinein.
,,Wie hast du das Feuer so schnell anbekommen?"
,,Hat der da gemacht." - deutet er auf Luke, der einen Stein herumkickt.
,,Noch nie was von Feuerzeug gehört?" - fragt er mürrisch. Seine Laune scheint nicht sehr gut zu sein. Was ist zwischen Elon und Luke vorgefallen?
,,Na gut. Lasst uns essen."
Nachdem Luke sich erstmal weigert, das Kaninchen zu essen, weil er einen Hasen als Haustier hatte, bis sein Magen ihm schließlich keine andere Wahl übrig lässt als es zu essen, legen wir uns alle schlafen. Da wir weder Kissen noch Decken besitzen, müssen wir uns auf den harten Waldboden legen, der nur leicht mit Gras bewachsen ist. So haben wir schon mal zusammen Rast gemacht. Damals, bevor uns Elon in die Falle gelockt hat. Wieso ist er überhaupt noch hier? Luke und ich würden es auch alleine perfekt zum Palast schaffen. Ich muss morgen, sobald ich mich ausgeschlafen habe und wieder fit bin, auf alle Fälle mit ihm reden.
,,Ich halte Wache. Legt euch schlafen." - meint Elon und egal, wie wenig ich ihm traue, meine Augen fallen sofort zu. Das letzte, was ich vor dem Einschlafen sehe sind die lodernden Flammen des Lagerfeuers, neben den sich Elon niedergelassen hat.
Ich träume nichts und verfalle in die tiefe Schwärze vom Schlaf, bis mich die ersten Sonnenstrahlen am Morgen aufwecken. Gähnend setze ich mich auf. Alles an mir schmerzt. Der Boden war sehr hart und an vielen Stellen uneben.
,,Gut geschlafen?" - fragt Elon mich lächelnd. Erst jetzt sehe ich, dass er immer noch am Lagerfeuer sitzt, genauso wie bevor ich eingeschlafen bin.
,,Wieso hast du mich nicht geweckt? Ich hätte die Wache übernehmen können."
,,Du brauchst den Schlaf dringender als ich. Und er vor allem." - deutet er mit der Nasenspitze auf den schlafenden Luke.
,,Wie weit willst du uns noch begleiten?" - stelle ich ihm geradeaus die Frage, mit der ich mich schon seit längerem beschäftige.
,,Bis ihr im Palast angekommen seid. Ich will den König darum bitten mich als Wächter aufzunehmen."
,,Das wird er nie tun."
,,Woher willst du das wissen?"
,,Du bist eine Dunkle Fee! Ein Feind des Reiches! Sobald du die Grenze übertrittst wirst du sofort festgenommen!"
,,Das wurde ich das letzte mal auch nicht." - erinnert er mich erneut an unseren vor nicht allzu langer Zeit stattfindenden gemeinsamen Abenteuer. Der mit seinem Verrat endete.
,,An deiner Stelle würde ich es nicht wagen, mich dort blicken zu lassen. Ist dir klar, dass du auch uns Schwierigkeiten machst, wenn du zusammen mit uns entdeckt wirst?"
,,Ja, genau deshalb werde ich nicht entdeckt werden."
Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich fühle mich unwohl in seiner Gegenwart, habe kein Vertrauen in ihm. Jetzt hat er uns geholfen. Wie lange dauert es aber bis er uns wieder verrät?
,,Ich habe euch nie freiwillig verraten. Lässt du mir bitte kurz Zeit es dir zu erklären?"
Schon wieder weiß er, woran ich denke.
,,Elon, was gibt es da zu erklären? Du hast meine Eltern umgebracht. Mich und Luke in eine Falle gelockt. Wieso sollte ich dir da jemals verzeihen?"
Die Worte kommen mir nur schwer über die Lippen. Es ist grässlich, darüber zu reden. Wieso kann ich die Vergangenheit nicht hinter mir lassen?
,,Du musst mir nicht verzeihen. Hör mir einfach mal zu."
,,In Ordnung. Aber mach schnell. Luke kann jeden Moment aufwachen und wir müssen weiter."
,,Es fing alles an, als ich vier war." - fängt Elon an zu erzählen. - ,,Ich wurde von den Dunklen Feen entführt. Angeblich sahen sie Potenzial in mir. Sie wollten mich in ihrer Armee. Damals lebten noch meine Eltern. Ich wollte zu ihnen zurück und wehrte mich gegen ihnen. Da brachten sie meine Eltern um. Ich brach in mir zusammen. Eine lange Zeit wusste ich es nicht, aber meine Eltern arbeiteten im Geheimen für den König in einer Gruppe, die auf die Dunklen Feen spezialisiert war. Genauso wie deine. Deshalb mussten sie sterben. Ich weigerte mich, andere umzubringen und weil sie mit mir nicht weiterwussten, unterzogen sie mich einer Gehirnwäsche. Ihre stärkste Magierfee manipulierte meine Gedanken und zwang mich zu meinen Taten, die danach kamen. Deine Eltern waren nicht die einzigen. Ich musste mich immer wieder in Dörfer einleben, bis sie mir den Befehl gaben zu töten. Und ich konnte mich nicht dagegen wären. In meinen Gedanken sah ich nur das eine. Den Befehl. Einige Jahre später ließ die Wirkung des Magiers nach. Ich konnte wieder klar denken und bereute alle meine Taten. Ich konnte nicht glauben, was ich alles getan hatte. Weiterhin hatte ich aber vorgetäuscht, dass ich mich nach ihren Befehlen richte. Das Kampftraining absolvierte ich mit perfektem Ergebnis. Sie waren stolz auf mich. Ich war eine lebende Waffe, die nach ihren Worten tanzt. Das dachten sie zumindest. Als ich von meiner Mission erfuhr, dich daran zu hindern Luke in diese Welt zu bringen, wusste ich erst gar nicht wie ich reagieren sollte. Es war für mich unglaublich, dass ich dich wiedersehen darf. Den Befehl befolgte ich, von Anfang an einen eigenen Plan habend. Ich wollte dir das alles erzählen und mich bei dir entschuldigen. Es tut mir leid. Es tut mir leid Alari, dass ich dir so viel Leid zugefügt habe. Wenn ich versuche, mich an die alten Zeiten zu erinnern, bist du die einzige Person, an dessen Gesicht und Namen ich mich erinnere. Du hast mir viel bedeutet. Es tut mir wirklich leid." - sagt er, und ich weiß, dass er die Wahrheit sagt. Er lehnt seinen Kopf an meine Schulter und ist so zerbrechlich, wie ich ihn noch nie erlebt habe.
,,Ich verzeihe dir. Du hast wahrscheinlich mehr Leid erlitten. Danke, dass du es mir erzählt hast."
Ich kann ihm nicht weiter böse sein. Es geht einfach nicht. Verzeihen ist nicht schwer. Nur das erneute Vertrauen.
,,Ich danke dir. Dass du mir einfach so verzeihst, ist unglaublich. Du bist genauso toll wie damals." - hebt er den Kopf von meinen Schultern und lächelt mich an. Ich fühle mich, als wäre ein riesengroßer Stein von meinem Herzen gefallen.
,,So war das also. Dann habe ich ja keinen Grund dich zu hassen, oder?" - schreckt uns auf einmal die Stimme von Luke auf. Seine Worte sind an Elon gerichtet. Er hat die Hände hinter seinen Kopf gelegt und schaut in den Himmel hinauf.
,,Seit wann bist du wach?" - frage ich, da ich wissen möchte, wie viel er mitgehört hat.
,,War ich die ganze Zeit schon."
,,Verstehe. Dann lasst uns weitergehen." - erhebt sich Elon und ist wieder sein altes Selbst. Nichts von der Zerbrechlichkeit vor ein paar Minuten ist vorhanden.
Wir packen die wenigen Habseligkeiten, die wir dabeihaben und brechen zum Palast auf.
Gegen Abend kommen wir an. Wie immer stockt mein Atem beim Anblick des prächtigen Palastes. Es ist ein Meisterwerk der Architektur. Vier Türme, schlichte Farben, die sich gegenseitig ergänzen, Goldverzierungen an den Fenstern und tausende andere kleine Details, die einem nicht gleich in die Augen stechen und trotzdem von großer Wichtigkeit für das Gesamtbild sind.
Luke betrachtet das Gebäude fasziniert, Elon sieht es mit einem gleichgültigen Blick an. Die Kapuze hängt im in das Gesicht und verdeckt seine wahre Person. Er hat es tatsächlich geschafft, uns unbemerkt bis hierhin zu begleiten. Manchmal hat es auch den einen oder anderen Trick gebraucht, damit er vor den Wachen, denen wir auf unserem Weg begegnet sind nicht auffliegt
,,Alari! Du bist wieder da! War dein Auftrag erfolgreich?" - grinst mich Primo, der gerade eben aufgetaucht ist, an. Ich muss ruhig bleiben. Gelassen. Nichts davon anmerken lassen, dass er mir verdammt nochmal auf die Nerven geht und ich im Moment wirklich keine Lust auf eine Unterhaltung habe.
,,Ja, alles lief in Ordnung. Ich muss jetzt zum König." - verabschiede ich mich so schnell wie möglich und stolziere auf den Haupteingang zu. Um uns herum wimmelt es von Wächtern, Magierfeen und Durchreisende. Es schenkt uns aber niemand Beachtung.
,,Du hast in den letzten einen tollen Verehrer dazubekommen, nicht wahr?" - grinst Elon mich bescheuert an. Erst sehe ich ihn verständnislos an, bis mir klar wird, dass er damit Primo meint.
,,Aber natürlich." - sage ich, da ich nicht viel Lust habe mich im Moment mit solch unwichtigen Sachen zu befassen.
Die Wächter rechts und links im Flur stationiert nicken mir zu und beäugen die Neuankömmlinge misstrauisch. Zum Glück haben wir unterwegs bei einem Händler den langen Kapuzenumhang für Elon gefunden, sonst wäre sein Anzug der Dunklen Feen schon aufgefallen.
Ich richte meinen Blick starr geradeaus und gehe mit selbstsicheren Schritten auf den Thronsaal zu. Wir passieren weitere zwei Wächter, die bereit sind, uns die deckenhohe Tür aus zwei Flügeln zu öffnen. Die Tür öffnet sich mit einem typischen Knarzen, wie man es von alten, schon von Rost befallenen metallischen Türen kennt.
,,Wow! Das ist total krass!" - meint Luke beim Anblick des Saales erstaunt.
,,Benimm dich! Du stehst gleich vor dem König!" - zischt Elon und Luke versteift sich.
,,Tretet ein!" - dringt die Stimme des Königs zu uns vor.
Schnellen Schrittes laufen wir den rubinroten, länglichen Teppich entlang und bleiben vor dem König stehen.
,,Willkommen Wächterfee Alari. Sie haben Ihren Auftrag wie erwartet professionell gemeistert. Wie ich sehe, hast du auch den Schwur gehalten und niemanden in deinen Auftrag eingeweiht. Wer aber ist der junge Herr neben dir?" - erkundigt sich der König.
,,Majestät. Mein Name ist Elon. Ich wurde vor vielen Jahren aus dem Reich verbannt, Grund dafür waren die von mir verübten Attentate auf mehrere Dörfer. Ich weiß, dass ich dem Gesetz nicht gehorche indem ich hierhin zurückgekehrt bin. Ich tue das, da ich meine Taten bereue und wie damals niemand wusste unter Einfluss von Hypnose der Dunklen Feen stand. Aus diesem Grund möchte ich Euch bitten, die Verbannung aufzuheben."
Elon legt seinen rechten Knie auf den Teppich und verbeugt sich unterwürfig.
,,Damit befasse ich mich später! Würden Sie jetzt bitte den Saal verlassen bis ich sie rufe." - fällt der König ein vorläufiges Urteil.
,,Zu Befehl, Majestät." - erhebt sich Elon und verlässt den Saal in der Begleitung zweier Wächter. Was wohl in seinem Kopf gerade vorgeht?
,,Nun zu euch. Auch dich möchte ich willkommen heißen, mein Sohn. Nebenbei möchte ich mich für alle Unannehmlichkeiten auf deinem Weg hierher entschuldigen."
Was? Sein Sohn? Das meint er sicherlich nicht wörtlich, oder?
,,Hallo, Vater."
Luke wirkt kein bisschen überrascht. Was geht hier vor sich?
,,Mein Spion bei den Dunklen Feen berichtete mir davon, dass du bereits Bescheid weißt, weil sich diese allzu geschwätzige Königin dazu geäußert hat. So ist die Überraschung dahin. Lange möchte dich auch nicht hierbehalten. Nur bis die Angriffe der Dunklen Feen gelegt haben und dir nicht mehr die Gefahr droht von ihnen entführt zu werden. Du verstehst sicherlich, dass es für das Reich nicht zum Guten wäre, wenn die Feen erfahren, dass ihr Herrscher einen Sohn von einer Menschenfrau hat. Diese Information hätte die Dunkle Königin ohne lange nachzudenken ausgenutzt"
,,Deshalb hast du mich zuerst entführen lassen? Das ist wirklich viel besser." - lässt Luke die Ironie in seiner Stimme klingen.
,,Wir haben dich nicht entführen lassen. Laut meiner Informationen bist du freiwillig mitgekommen."
,,Hatte ich denn eine Wahl?"
,,Man hat immer eine Wahl. Soviel zur Sache. Ein Wächter wird dich zu deinem Zimmer führen."
Wie auf Zauberhand erscheint ein Wächter in der Tür und bittet Luke, ihm zu folgen. Auch ich will den Saal verlassen, aber der König hindert mich daran.
,,Alari! Einen Moment noch. Ich weiß, Sie sind erst gerade eben von ihrem Auftrag zurückgekehrt sind, aber es gibt einen Auftrag, den ich getrost nur Ihnen überlassen kann."
,,Wie lautet dieser Auftrag?" - frage ich neugierig.
,,Meine Tochter wird in zwei Wochen ihr achtzehntes Geburtstag haben, der mit einem großen Ball gefeiert wird, zu dem das ganze Volk herzlich eingeladen ist. Ich möchte von Ihnen, dass sie bei dieser Veranstaltung ihre Leibwache sind."
,,Zu Befehl." - verbeuge ich mich.
,,Sie können gehen. Schicken sie die Dunkle Fee zu mir."
Ich tue wie befohlen und bedeute Elon beim Hinausgehen in den Thronsaal einzutreten.
Die nächsten Tage vergehen mit den Vorbereitungen für den Ball. Untertanen huschen geschäftig den Fluren entlang, hängen Girlanden an die Säulen, Wächter tragen Tische in den Ballsaal auf denen bald Türme von den herrlichsten Speisen des Reiches stehen werden, zubereitet von den hervorragendsten Köchen. Mir wurde befohlen, mir die Woche als Erholungszeit zu gönnen und mich danach meiner Rolle als Leibwächterin der Prinzessin anzueignen. Ich bin schon sehr gespannt darauf sie kennenzulernen. Was für eine Person sie wohl ist?
Auch Luke hat sich hier inzwischen eingelebt. Er versteht sich gut mit den Palastwächtern und vor allem.mit den Wächterinnen. Viel haben wir seitdem nicht miteinander geredet, nur durch Zufall wenn wir uns auf dem Flur begegnet sind. Soweit ich weiß ist er auch zum Ball eingeladen, aber seine Person als Sohn des Königs darf er niemanden preisgeben. Genauso wie Elon. Er wurde als Wächter eingestellt, aber der König ist ihm gegenüber sehr misstrauisch, weshalb zwei eingeweihte Wächter ihn rund um die Uhr bewachen. Die Entscheidung des Königs hat mich gewundert, Elon ist immerhin eine Dunkle Fee gewesen. Dennoch freue ich mich, dass er nicht zurückgeschickt wurde. Er verdient die Chance einen Neuanfang zu wagen. Gerade bin ich auf den Weg mit der Prinzessin Bekanntschaft zu machen und mir meine Aufgabe nochmal anzuhören. Ich klopfe leise aber selbstsicher an. Den Raum, indem ich die Prinzessin kennenlernen werde habe ich noch nie betreten, weshalb ich nicht weiß, als was der Raum funktioniert. Vielleicht ist es Konferenzraum. Plötzlich geht die Tür vor meiner Nase auf und ich wage einen Blick ins Innere. Es ist als würde mich ein grelles Licht blenden. Überall liegen Kleider in allen Farben und Formen, mit Glitzersteinen oder gar Diamanten geschmückt rum. Hinten im Raum ist ein riesiger Schrank, wo ein blaues, kurzes Kleid raushängt. Und vor mir steht die Prinzessin. Sie steckt in einen hellrosanen, knielangen Kleid und strahlt mich an. Ihr hüftlanges, blondes Haar fällt ihr locker über die Schultern.
,,Endlich bist du da! Freut mich, dich kennenzulernen, ich bin Ariana. Und dein Name ist Alari, stimmt's? Danke, dass du meine Leibwache sein wirst. Ich sage Vater immer, dass ich keine bräuchte, es würden auch die unzähligen anderen Wächter ausreichen, aber er besteht darauf." - kichert sie.
Bisher kannte ich die Prinzessin nur vom Sehen. Ich habe sie mir definitiv anders vorgestellt. Jedoch gefällt sie mir so besser, als die Prinzessin aus meiner Vorstellung. Sie ist... viel freundlicher. Und offener.
,,Es freut mich, Euch kennenzulernen. Ich werde alles geben um eine gute Leibwache zu sein." - verbeuge ich mich.
,,Lass doch bitte die Förmlichkeiten. Wir sind nur unter uns." - lächelt sie mich an.
Ihr Lächeln ist ansteckend. Ich muss es erwidern, was ich auch gerne tue.
,,Verstanden. Sind das schon die Kleider für den Ball?"
,,Oh ja! Ich brauche deine Hilfe! Ich kann mich zwischen zwei nicht entscheiden. Dieses rosane Kleid finde ich toll! Aber schau mal, dieses hellblaue ist auch nicht schlecht." - zerrt sie ein weiteres Kleid aus einem der Haufen. Es wundert mich, dass sie mich um Rat fragt. Gleichzeitig erfreut es mich. Ein Gefühl sagt mir, dass ich mich gut mit ihr verstehen werde.
,,Was gefällt Euch besser? Das solltet Ihr nehmen."
,,Nenne mich Ariana. Wir sind etwa im gleichen Alter. Sag du zu mir." - zwinkert sie mir zu. - ,,Welches mir besser gefällt. Das rosane. Glaube ich..."
,,Das rosane passt besser zu Eu... dir."
,,Wirklich? Fantastisch! Dann nehme ich das."
Auf einmal ertönt ein weiteres Klopfgeräusch.
,,Herein!" - ruft die Prinzessin.
,,Entschuldigung für die Störung. Der König bittet euch in den Thronsaal." - steht Elon im Begleitung eines weiteren Wächters in der Tür. Sein Blick schweift durch den Raum und ruht einige Momente auf der Prinzessin.
,,Eh... natürlich. Richten Sie Vater bitte aus, dass ich in wenigen Minuten erscheine." - stammelt die Prinzessin.
Ich beäuge sie misstrauisch, da ihr Verhalten sich so plötzlich geändert hat.
,,Zu Befehl." - verbeugt sich Elon und macht kehrt.
Eine drückende Stille erfüllt den Raum.
,,Alari." - flüstert die Prinzessin.
,,Ja?"
,,Wer war das gerade?"
,,Welcher der beiden?"
,,Der mit dem schönen Gesicht."
Sie meint Elon. Eindeutig. Zumindest vermute ich, dass sie nicht den bärtigen, alten Wächter meinte.
,,Sein Name ist Elon. Er wurde erst vor kurzem im Palast eingestellt."
,,Ich will ihm kennenlernen. Bitte hilf mir! Das konnte kein Zufall sein. Mir ist gerade die Liebe meines Lebens begegnet! Das Geburtstagsgeschenk des Lebens!"
,,Bitte beruhige dich. Du hast ihn gerade zum ersten Mal gesehen." - versuche ich sie zu beruhigen.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst sein muss, mag ich es nicht, dass sie solch einen großen Gefallen an Elon findet.
,,Du hast ja Recht..." - seufzt sie. - ,,Vater erwartet mich! Ich muss mich beeilen!"
Schnell zieht sie ein schlichtes, beigefarbenes Kleid an und huscht zur Tür.
,,Bevor ich es vergesse! Warte bitte hier auf mich! Ich komme gleich wieder."
Und schon ist sie weg. Es bleibt mir ein Rätsel, weshalb ich bleiben muss. Ich nehme auf einen kleinen gelben Hocker Platz und betrachte den Raum. Jemand müsste hier ein bisschen Ordnung machen, denke ich mir beim Anblick der unzähligen Kleiderhaufen. Wie vom Blitz getroffen bleibt mein Blick auf einen der Kleiderhaufen hängen. Ganz speziell auf ein grünes Kleid. Ich gehe hin, um es mir näher anzuschauen. Es ist ein trägerloses, wunderschönes, smaragdgrünes Kleid, das ein paar Zentimeter über den Knien geht und an der Brust mit Edelsteinen geschmückt ist. Vorsichtig halte ich es vor mir hin. Es ist genau meine Größe.
,,Auf sowas stehst du also?" - höre ich eine Stimme aus der Richtung der Tür und erst jetzt fällt mir auf, dass ich die Tür gar nicht geschlossen habe.
,,Was machst du hier? Und wo ist dein Bewacher?" - frage ich Elon und versuche von dem Kleid abzulenken. Es ist mir absolut peinlich, dass Elon mich in so einer Situation erlebt hat.
,,Er musste weg und ich habe im Moment nichts zu tun. Er hatte keine Zeit mehr mir eine weitere langweilige Aufgabe zuzuteilen..."
,,Achso. Wie gefällt's dir ansonsten im Palast?"
,,Du kannst dir gar nicht vorstellen wie glücklich ich darüber bin hier zu sein. Davon habe ich dir eine ganze Menge zu verdanken."
,,Solltest du nicht weitergehen? Die Prinzessin kann jeden Moment auftauchen."
,,Ja, schon gut. Übrigens... Das Kleid würde dir stehen." - grinst er und geht.
,,Ich bin wieder da!" - zwitschert die Prinzessin fröhlich als sie wiederkommt.
,,War alles in Ordnung?"
,,Ja, natürlich." - lächelt sie.
,,Das Kleid." - zeigt sie auf das Stück, das sich immer noch in meiner Hand befindet. - ,,Es gefällt dir, oder?"
,,Eh... ja."
,,Ausgezeichnet!" - klatscht sie ihre beiden Hände zusammen. - ,,Probier's gleich mal an. Wenn es passt wirst du es beim Ball tragen können."
,,Was? Ich bin deine Leibwache! Ich muss den Kampfanzug tragen!"
,,Fa - a - alsch. Dieses Kleid wird deine Tarnung sein. Das ist ein Befehl von mir, ja?"
,,In Ordnung."
Sofort nehme ich das Kleid mit in die Anprobe. Ich ziehe den Vorhang zu und bekleide mich. Als ich angezogen bin, wandert mein Blick zum Spiegel. Das Kleid passt mir wie angegossen. Verlegen trete ich aus der Umkleide und sehe die Prinzessin erwartungsvoll an.
,,Es ist schrecklich. Such dir lieber etwas anderes." - meint sie und dreht sich weg.
Wie? Das Kleid ist keinesfalls schrecklich und es passt mir gut. Was will die Prinzessin?
,,Warum ist es denn schrecklich?" - erkundige ich mich.
Ihr kalter Blick streift mich.
,,Alles daran ist schrecklich."
Nein. Das kann nicht sein. Ich weiß nicht, wieso sie das sagt, aber es stimmt nicht. 'Das Kleid würde dir stehen' - erinnere ich mich an Elons Worte und fasse den Mut, der Prinzessin zu widersprechen.
,,Mir gefällt es und ich möchte es auf den Ball anziehen. Tut mir Leid, aber ich entscheide selber was ich anziehen werde."
Die Prinzessin zeigt eine unerwartete Reaktion. Sie klatscht sich in die Hände und lächelt mich an.
,,Glückwunsch!" - sagt sie und ich schaue sie verwirrt an.
,,Glückwunsch?"
,,Ja, Glückwunsch! Du hast den Test bestanden!"
Da ich sie immer noch verdattert anschaue erklärt sie:
,,Ich wollte sehen, ob du den Mut hast, mir, deiner Prinzessin zu widersprechen um deine eigene Meinung zu verteidigen. Und du hast es getan! Das zeugt davon, dass du Mut hast. Einen ganz besonderen Mut. Deshalb erkenne ich dich hiermit als meine Leibwache öffentlich an! Lass uns darauf anstoßen!" - hebt sie ein imaginäres Glas in die Höhe und ich mache mit. Das Lachen kann ich mir auch nicht mehr verkneifen. Wir lachen bis uns die Puste wegbleibt. So gut habe ich mich schon eine ganze Weile nicht mehr gefühlt.
Ohne dass ich ich es wirklich wahrnahm sind die Tage bis zum Ball wie im Flug vergangen. In einer halben Stunde werden Gäste aus allen Punkten des Reiches erscheinen.ind den Ballsaal füllen. Gelächter wird in den Fluren zu hören sein, Orgelmusik wir aus dem Ballsaal ertönen und die Stimmung wird fantastisch sein. Zumindest für die Gäste. Wir Wächter müssen alarmbereit sein um eindringende Feinde rechtzeitig zu stoppen. Ich finde es sehr wahrscheinlich, dass die Dunklen Feen heute einen Angriff auf uns verüben. Unter den Gästen wäre es nicht schwer, ihre eigenen Leute einzuschmuggeln.
,,Bist du fertig?" - höre ich die Stimme der Prinzessin von der Außenseite meiner Umkleide.
,,Einen Moment noch!" - schreie ich und betrachte mich ein letztes Mal im Spiegel. Mit einen zufriedenen Blick verlasse ich die Umkleide und begebe mich zu der Prinzessin. Sie ist wunderschön. Ihr Kleid sitzt perfekt, leichte Schminke, die sie aufgetragen hat ist schlicht, betont aber trotzdem ihre hellblauen Augen. Die Haare sind zu einen Dutt gebunden, nur vorne fallen ihr ein paar gelockte Strähnen ins Gesicht. Meine Frisur ist ähnlich, mein Dutt ist aber lockerer als ihre.
,,Jetzt bist du mit dem Schminken dran!" - strahlt die Prinzessin.
,,Danke, ich möchte keine Schminke."
,,Wieso?"
,,Ehrlich gesagt habe ich noch nie welche getragen." - lächele ich verlegen.
,,Dann ist das die Gelegenheit es auszuprobieren! Setz dich."
Ich nehme ohne Widerrede Platz und lasse die Prozedur über mich ergehen. Vor einer Woche hätte ich niemanden geglaubt, dass ich heute in einem Kleid dasitzen würde und mich die Prinzessin höchstpersönlich schminken wird.
,,Und, wie gefällt's dir?"
,,Ja es ist toll geworden. Vielen Dank, Ariana."
Sie hat es wirklich gut hinbekommen. Meine Augen wirken viel größer durch die Wimperntusche und der Lidschatten passt farblich zu meinen Kleid. Der hellrosane Lippenstift, der meine Lippen bedeckt sieht elegant aus. Als ob ich im Spiegel eine kmpletg andere Person betrachten würde.
,,Alari..." - flüstert die Prinzessin. -,,Darf ich dich um einen Gefallen bitten?" - sagt sie etwas lauter.
,,Natürlich. Was ist los?"
,,Ich möchte, dass du mir hilfst Elon näherzukommen. Bitte! Das ist mir sehr wichtig!"
Ihre Bitte überrascht mich. Sie hat Elon doch nur einmal gesehen? Wenn auch widerstrebend antworte ich:
,,Ich werde tun, was in meiner Macht steht." - lächele ich uns stehe auf, damit wir uns zum Ballsaal begeben.
,,Danke!" - umarmt sie mich stürmisch. Zuerst weiß ich gar nicht reagieren soll, bis ich die Umarmung schließlich erwidere.
,,Es gibt nichts zu danken, Prinzessin. Machen wir uns auf den Weg."
,,Ja, tun wir das."
Geschmächtig schlendern wir die Gänge entlang, begleitet von den neidischen Blicken weiblicher Wächterinnen, die nicht am Ball teilnehmen, da sie für die Bewachung des anderen Palastflügels zuständig sind. Gleichzeitig ernten wir bewundernede Blicke der Männer, die mich recht verlegen machen. Die Prinzessin aber scheint selbstbewusst und glücklich zugleich zu sein. Ihre Ausstrahlung kann ich nur bewundern. Gleich danach betreten wir den Ballsaal, der noch mit Ausnahme von einigen Wächtern und Dienstmädchen leersteht.
Ich begleite die Prinzessin zu ihrem gepolsterten Stuhl, wo sie das Abendmahl verzehren wird.
Bald erscheinenem auch die ersten Gäste. Mein Blick schweift durch den Raum. Langsam stehen überall schick gekleidete Männer und Frauen und unterhalten sich in einer angemessenen Lautstärke. Mein Blick schweift durch den Saal. An den Eingängen stehen in Anzug gekleidete Wächter, darunter auch Elon. Das Hemd schmiegt sich an seine Brust und der Anzug, den er nicht zugeknöpft hat betont seine durchtranierten Arme. Ich merke, dass die Prinzessin in dieselbe Richtung schaut wie ich. Wahrscheinlich geht ihr im Moment das gleiche durch den Knopf. Auf einmal gehen alle Lichter im Raum aus. Der König erscheint auf einem beleuchtetes Podest auf der uns gegenüberliegenden Seite des Raumes. Er hält eine oberflächliche Rede, mit Glückwunschen an seine Tochter und Begrüßungen an die Gäste. Danach geht er. Wie es für die Prinzessin wohl sein mag, als Tochter eines Königs aufzuwachsen?
Sobald das Abendessen gegessen ist und alle Gäste ihre Glückwünsche ausgerufen haben, beginnt der amüsante Teil des Abends. Eine Gruppe aus talentierten Feen bedient die Instrumente und die herrliche Musik erfüllt dem Raum. Immer mehr Gäste strömen auf die Tanzfläxhe.
,,Alari, lass uns tanzen!" - lächelt die Prinzessin uns steht auf.
,,Tut mir Leid, aber das geht nicht. Beim Tanzen würde ich dich schnell aus den Augen verlieren."
,,Ach, komm schon! Lass uns ein bisschen Spaß haben!"
,,Ich muss dich bewachen. Das ist meine Pflicht."
,,Bitte, Alari! Nur ein Tanz mit Elon. Bitte!" - fleht sie.
,,Daher weht also der Wind..." - zwinkere ich ihr zu und ihr Gesicht verfärbt sich leicht rötlich.
,,In Ordnung. Ein Tanz und nur mit Elon, ja? Er kann auch auf dich aufpassen. Warte kurz hier, ich bin gleich wieder da."
Ohne meine Augen von ihr zu nehmen gehe ich zu Elon und bleibe neben ihm stehen. Auf einmal weiß ich aber gar nicht was ich sagen soll.
,,Willst du was?" - bricht Elon die Stille und sieht mich aus den Augenwinkeln an.
,,Eh ja. Tanze mal mit der Prinzessin bitte." - sage ich ganz direkt.
,,Was? Woher kommt das so plötzlich?"
,,Frag nicht und mach einfach."
Elon hebt beschwichtigend die Hände uns geht zu der Prinzessin. Habe ich etwa Protest erwartet? Wer wäre schon so idiotisch, dass er mit der wunderschönen Prinzessin nicht tanzen würde?
,,Hey Alari! Lange nicht mehr gesehen. Lass und auch tanzen!" - taucht Luke so plötzlich neben mir auf, dass ich zusammenzucke.
,,Luke, ich arbeite gerade."
Die Bewachung der Prinzessin hat Priorität. Ich darf nicht rumtanzen und sie aus den Augen verlieren. Gerade tanzt sie eng umschlungen mit Elon zur Takt der Musik.
,,Egal, komm mit!" - meint Luke und zieht mich an meinen Handgelenk auf die Tanzfläche.
Tanzen war nie mein Ding. Ich weiß nicht wo ich meine Beine genau setzen soll, damit ich nicht auf den Fuß meines Partners trete. Auch diesmal ist es nicht anders. Der Raum und die Anwesenden drehen sich wirr um mich, während Luke mich an der Hüfte festhaltend hin und her schwenkt.
,,Luke hör auf. Ich kann nicht tanzen." - bettele ich.
,,Denk so daran, als wäre es ein Kampf, in dem du die Bewegungen deines Gegners verfolgen müsstest." - raunt er mir ins Ohr.
Ich atme einmal tief ein und schließe meine Augen. Ein Kampf. Genau so ist es. Ich muss mich gemeinsam mit meinem Gegner bewegen, damit er mir nicht ausweichen kann. Konzentriert wage ich einen Schritt nach dem anderen und gebe mich dem Gefühl des Tanzens hin. Beinahe vergesse ich, dass ich auf die Prinzessin Acht geben muss. Mein Blick schweift zu ihr hinüber. Im Moment lachen sie und Elon ganz herzhaft über etwas.
,,Würdest du lieber mit Elon tanzen?" - verfinstert sich Lukes Gesicht und sein Halt um meine Hüfte lockert sich.
,,Nein, so ist das nicht..." - will ich mich rechtfertigen als ich plötzlich etwas in Augenwinkel bemerke. Mehrere Männer in einem schwarzen Anzug drängeln sich unbemerkt auf die Tanzfläche. Es fällt keinem auf, aber trotzdem finde ich es merkwürdig, was sie ohne einem Partner auf der Tanzfläche zu suchen haben. Es ist bereits zu spät als ich bemerke was sie vorhaben.
,,Elon! Bring die Prinzessin weg!" - schreie ich durch die Menge und reiße mich von Luke los und schreie weiter.
,,Verlässt den Raum. Feinde sind eingedrungen!" - kreische ich, so dass mich der ganze Raum hört. Panik bricht unter den Leuten aus und alle rennen in verschiedene Richtungen davon. Die Männer von vorhin sind bei der Prinzessin angekommen. Zum Glück hat Elon die Situation begriffen und verteidigt die Prinzessin. Ich geselle mich zu dem Kampf und lege einen nach den anderen um. Es war vorauszusehen, dass sich die Dunklen Feen zwischen das Volk einschmuggeln möchten.
,,Prinzessin, komm mit! Elon du kommst klar, oder?"
,,Klar, geht schnell!"
Ich würde schon losrennen, als ich sehe, dass Luke am Rande des Getümmels steht. Er hätte schon fliehen sollen, wie alle anderen Einwohner.
,,Luke, was machst du noch hier?"
,,Ich will dir helfen!"
,,Dann sei nicht im Weg." - hektisch schaue ich nach hinten. Die Dunklen Feen sind immer noch auf den Beinen und kämpfen gegen die Wächter. Zum Glück sind alle Gäste aus dem Saal verschwunden.
,,Dann komm auch mit, Luke. Schnell!"
Die Prinzessin und Luke folgen mir mit großen Schritten und fast haben wir schon den Ausgang erreicht, als plötzlich all Dunklen Feen aus dem Raum strömen. Etwas ist hier faul. Wieso sollten sie so plötzlich die Flucht ergreifen? Das sind die letzten Gedanken, die mir durch den Kopf gehen bevor die Decke nach einem ohrenbetäubenden Knall über uns einbricht.
,,Alari! Hörst du mich? Antworte mir bitte!" - rüttelt mich jemand an der Schulter, aber ich schaffe es nicht meine Augen zu öffnen. Mein Gehirn ist wie benebelt und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wo bin ich? Wer rüttelt mich? Wem gehören die gedämpften Stimmen, die von außen in meine Ohren dringen?
Auf einmal spüre ich einen harten Schlag auf meiner Wange und schrecke hoch. Meine Augen gehen auf und ich kann wieder meine Umgebung wahrnehmen. Zwei sorgenvolle Gesichter beugen sich über mich, die ich Luke und Ariana zuordnen kann. Langsam rappele ich mich auf, aber als ich aufstehen will, fährt ein sehr stechender Schmerz durch meine Schläfen und ich falle auf den Boden. Gleichzeitig spüre ich wie mein rechtes Bein den Dienst aufgibt. Auch das Brennen auf meiner Wange verursacht mir Schmerzen.
,,Wo bist du verletzt?" - kniet sich wie aus dem Nichts kommend Elon neben mich hin.
,,Was machst du hier? Du warst doch gar nicht bei uns, als die Decke eingestürzt ist." - schaue ich ihn verwirrt an.
,,Als die Dunklen Feen den Raum verließen wollte ich euch einholen, deshalb hatte ich die Möglichkeit euch in den Flur zu schubsen, als die Decke einstürzte."
Wenn ich es richtig betrachte, liegt rechts von mir wirklich ein riesengroßer Trümmerhaufen, was früher wahrscheinlich der Eingang zum Ballsaal war.
,,Tut mir Leid das ich dich nicht rechtzeitig retten konnte und du doch verletzen musstest. Die Ohrfeige tur mir übrigens auch Leid, aber sie war nötig."
,,Deshalb brennt meine Wange also... Trotzdem danke. Zum Glück bin ich nicht schwer verletzt. Ich denke es ist nur was am rechten Bein."
,,Und am Kopf." - meint Luke und ich fasse an meine Stirn. Danach muss ich feststellen, dass meine Hand vor Blut verklebt ist.
,,Wir sollten die Blutung stoppen." - sagt Elon und zieht sein Hemd über seinen Kopf. Mit einem starken Zug zerreißt er es in zwei Stücke. Das eine bindet er mir vorsichtig um die Stirn. Dabei kommt mir sein nackter Oberkörper gefährlich nahe.
,,So. Das andere Teil behalten wir für später, damit ich es wechseln kann. Wir können nicht wissen welche Räume sie noch einstürzen gelassen haben und wo sonst noch der Weg versperrt ist."
Schnell wird klar, dass wir nicht so einfach rauskommen wie gedacht. Der Raum am anderen Ende des Flures ist die Küche. Die Dunklen Feen haben auch diesen einstürzen lassen. Sie wollten niemanden am Leben lassen. Alle Räume, in denen ihrer Vermutung nach Feen waren sind eingestürzt. Sie geben keine Gnade. Wollen sie diesmal wirklich das Reich zum Einsturz bringen?
,,Was jetzt? Lohnt es sich überhaupt bis zum Ende des Flures zu laufen, wenn wir sowieso nicht weiterkönnen? Und Alari ist verletzt." - stellt Luke mürrisch fest.
,,Wir müssen schauen, ob es nicht doch einen Ausgang drüben gibt. Es bringt auch nichts wenn wir hier verweilen, wo wur nicht einmal wissen, ob jemand in der momentanen Lage uns zur Rettung kommen wird." - entgegnet Elon.
,,Schön und gut. Aber was ist mit Alari?"
,,Ist schon in Ordnung. Ich kann laufen." - versuche ich mich aufzurappeln, aber mein rechtes Bein gibt wieder nach. Wahrscheinlich ist es gebrochen.
,,Was ist los?" - erkundigt sich Elon.
,,Mein Bein ist gebrochen."
Luke macht ein paar Schritte auf mich zu und geht rückwärts vor mir in die Hocke.
,,Steig auf."
Da ich keine andere Wahl habe, ohne die anderen alleine losziehen zu lassen kämpfe ich mich auf sein Rücken und wir machen uns allesamt auf die Suche nach einem Ausgang.
,,Es ist aussichtslos!" - jammert die Prinzessin. - ,,Was wenn wir hier nie wieder herauskommen? Und was ist mit all den anderen Gästen passiert? Sind sie wohl in Sicherheit?"
Dabei klammert sich Ariana ganz fest an Elons Arm, als wäre sie ein hilfloses, kleines Mädchen.
,,Wir und sicherlich auch die anderen Wächter bemühen sich darum, die Sache zurechtzubiegen. Macht Euch keine Sorgen, Prinzessin." - spricht Elon ihr beruhigend zu.
,,Wenn du das sagst glaube ich es." - sagt sie und setzt einen Hundeblick auf.
Ich störe die Prinzessin nur ungern, aber es gibt etwas, was ich Elon so schnell wie möglich mitteilen muss.
,,Elon, mir ist gerade etwas Wichtiges eingefallen. Sag mal, ist in diesem Flur das Zimmer der neuen Wächter?"
,,Ja, es ist diese Tür rechts. Ich wohne dort mit fünf anderen Neulingen." - deutet er auf eine Holztür rechts von uns.
,,Dann weißt du doch ganz sicherlich, wo man vom Balkon her hingelangt." - grinse ich stolz über meine Idee.
,,Ja stimmt! Die Treppe am Balkon führt in den Hof!"
Auch ich erinnere mich noch daran, wie ich damals bei Prüfungen oft diese Treppe genutzt habe. Sie ist dafür da, dass die Wächter schneller als Verstärkung auftauchen können, falls etwas im Palastgarten geschieht.
,,Los, lasst uns beeilen! Wer weiß, was draußen im Moment passiert." - treibe ich die anderen an.
Elon geht zur Tür und drückt die Klinke runter. Natürlich ist sie verschlossen. Das sollte aber kein Problem sein, da Elon den Schlüssel bei sich hat. Wir gehen durch das Zimmer zum Balkon. Ich werde immer noch von Luke getragen und mache mir inzwischen Gedanken darüber ob ich nicht zu schwer für ihn bin.
,,Alari, du solltest am besten hierbleiben." - sagt Elon zu meiner Überraschung. Ich reiße die Augen auf und schaue ihn erstaunt an.
,,Wieso sollte ich? Du weißt doch, dass ich irgendwie klarkomme."
,,Du kommst klar, ja? Indem du getragen wirst, oder was? Wenn es draußen zu einem ernsthaften Kampf kommt, könntest du nichts tun."
,,Und deshalb willst du mich hierlassen? Ich kann kämpfen. Luke, lass mich bitte runter."
,,Dein Bein ist doch gebrochen. Vergiss es."
,,Lass mich einfach runter."
Ich zappele wild, bis Luke mich schließlich nicht mehr halten kann und loslässt. Als ich auf dem Boden lande, fährt ein höllischer Schmerz durch mein Bein, wie ich es noch nicht gespürt habe. Ich wanke, aber als ich Elons Blick sehe reiße ich mich zusammen und richte mich auf.
,,Siehst du? Es ist alles in Ordnung."
So dass niemand es merkt verlagere ich mein Gewicht auf das gesunde Bein.
,,Wirklich? Dann komm mal her."
Er will mich quälen, das weiß ich, aber an diesem Punkt kann ich nicht mehr nachgeben. Mit einem entschlossenen Blick mache ich einen qualvollen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. Und noch einen. Als ich schon fast bei ihm bin, kann ich nicht mehr und ich sacke auf den Boden.
,,Bist du jetzt zufrieden? Du hattest Recht, ich bleibe hier."
,,Genauso habe ich es mir vorgestellt."
,,Bringst du Luke und die Prinzessin in den versteckten Keller?"
,,Ja. Ich werde versuchen den nahe gelegenen Eingang so zu erreichen, dass wir keinen Dunklen Feen begegnen. Danach geselle ich mich zu den anderen Wächtern und wir vertreiben die Dunklen Feen so schnell wie möglich. Wenn ich in meiner Vermutung richtig liege, sind die anderen Wächter bereits am kämpfen. Wir müssen uns beeilen. Du Alari, bleibst schön hier und wartest geduldig bis ich wiederkomme. Gehe nirgends hin. Verstanden."
,,Ja..."
,,Gut dann kommt mit."
,,Ich möchte bei Alari bleiben." - sagt Luke plötzlich.
,,Ob du es möchtest oder nicht, ist mir egal. Meine Aufgabe ist es, dich hier wegzubringen."
,,Wieso darf Alari nicht mit? Sie könnte doch einfach mit uns kommen."
,,Das geht nicht. Wächter haben keinen Einritt in den Keller. Sie müssen kämpfen. Bis zum Tod."
,,Und wenn einer verletzt ist wie Alari? Da darf man doch sicherlich rein."
,,Nein, darf man nicht. So lautet nun mal die Regel, und wenn du nicht freiwillig mitkommst, werde ich dich mit Gewalt hier wegbringen müssen."
,,Versuch's doch." - schnauft Luke empört. Er und Elon schauen sich sekundenlang ohne zu blinzeln in die Augen, bis Elon sich ganz nah vor Luke hinstellt.
,,Bist du dir da sicher? Dass ich es versuchen soll? Es kann weh tun."
,,Deine Drohung funktioniert bei mir nicht." - erwidert Luke gelassen.
,,Das ist keine Drohung." - sagt Elin und rammt Luke seine Faust in den Magen, woraufhin dieser auf den Boden fällt. Elon packt ihn, als wäre er ein Stück Papier und wirft ihn über seine Schulter.
,,Prinzessin, wir gehen." - meint er und verschwindet auf den Balkon.
,,Halte durch, Alari. Danke für alles. Wir sehen uns bald wieder." - winkt mir die Prinzessin zum Abschied und verschwindet hinter Elon durch die Balkontür.
Meine Frust wächst mit jeder verstreichenden Minute. Ich kann dieses Gefühl der Unnützlichkeit nicht ertragen. Mehr als auf den weichen Matten des Bettes unter mir zu sitzen und dafür zu beten, dass Ariana und Luke heil in den Keller kommen kann ich nicht tun. Am liebsten würde ich zu ihnen gehen und sie beschützen. Wenn der Prinzessin etwas passiert, wird das allein meine Schuld sein, weil ich nicht auf sie aufpassen konnte. Ich muss Elon vertrauen. Er wird es schaffen, ganz sicher. Er wird sie beschützen.
,,Hier bist du also." - geht die Balkontür mit einem Knall auf, und diejenige, die eintretet, ist niemand anderes als Clair.
,,Was willst du hier? Wieso habt ihr den Palast angegriffen? Meint ihr, ihr könntet uns einfach so besiegen?"
,,Nach deiner jetzigen Verfassung zu urteilen, ist die Antwort eim eindeutiges ja. Du bist doch verletzt, oder?" - lacht sie.
,,Wie hast du mich gefunden?" - zische ich wütend.
,,Ach das. Ich habe nur gesehen, wie Elon mit dem Menschenjungen und der Prinzessin diesen Raum verlässt, und da ihr die einzigen seid, die nicht am Kampf gegen uns teilnehmen, dachte ich mir, dass es ser gut sein kann, dass du dich hier verkriechst."
,,Was ist mit den anderen Wächtern? Sind sie heil aus dem Ballsaal gekommen?"
,,Manche ja, manche nein. Wer weiß? Aber die, die sich selbstbewusst genug fühlten um gegen unsere Wächter anzutreten, werden auch bald nicht mehr so lebendig wie vorher sein."
,,Du..." - knirsche ich wütend mit den Zähnen.
,,Aber lange Rede, kurzer Sinn, auch du wirst jetzt von mir besiegt werden."
Sie zückt ihren Dolch und stürzt auf mich zu. Gerade noch kann ich ihr ausweichen. Schnell nehme ich auch meinen Dolch aus der versteckten Tasche unter mein Kleid, damit ich mich verteidigen kann. Ist es aber möglich, dass ich in diesem Zustand einen Kampf gegen sie gewinne?
Es fühlt sich kein bisschen gut an, im Sitzen zu kämpfen, aber es ist mir bewusst, dass sobald ich aufstehe alle meine Chancen verspielt wären, da auch nur ein starker Hieb von Clairs Seite aus genügen würde, um mich ins Schwanken zu bringen und der Kampf wäre entschieden. Clair ist sich ihres Sieges sicher und schlägt mit einer unvorstellbaren Wut und Wahn auf mich zu. Ich pariere einen Hieb nach den anderen, kann selber aber keine ausführen. Schon die Verteidigung kostet mir viel Mühe, da ich nicht die Möglichkeit habe mit dem ganzen Körper auszuweichen.
,,Wie lange willst du das noch durchziehen?" - schreie ich Clair zwischen zwei Hieben an.
,,Solange ich dir keine tödliche Wunde zufüge!" - schreit sie zurück.
Ich habe keine Chance. Niemals kann ich in diesem Zustand gewinnen. Habe ich vielleicht etwas dabei, was mir helfen könnte? Da ich nicht meinen Wächteranzug anhabe, fehlt mir das meiste meiner Kampfausstattung. Außer diesem Dolch habe ich nur noch ein Betäubungstuch, das mir aber nicht viel bringt, da ich es nicht an ihren Mund halten kann, und den magischen Dolch, den ich mir bei der Schwurzeremonie ausgesucht habe. Letztendlich hatte ich bisher keine Zeit damit zu üben. Die Woche über war ich nach dem Auftrag sehr müde und erschöpft, ebenso wie beschädigt. Jedoch sehe ich keinen anderen Ausweg aus dieser Situation. Ich kann nur darauf hoffen, dass zufälligerweise durch eine meiner Bewegungen eine Art von Magie aktiviert wird, die stärker als Clair ist. Zum Glück kommt Clair immer mehr aus der Puste, immerhin greift sie mich schon seit einiger Zeit mit voller Wucht an. Deshalb habe ich kurz einige wenige Sekunden, um den anderen Dolch unter meinem Kleid hervorzuholen. Mit aller Kraft versuche ich meine Ruhe zu bewahren. Falls ich panisch werden würde, wäre Clairs Sieg von mir selber abgestempelt. Ganz plötzlich setzt Clair wieder zum Angriff an, und ich kann gerade noch rechtzeitig reagieren. Hätte ich es nicht geschafft, würde ich jetzt mit einer blutigen, klaffende Wunde zu Boden gleiten. Ich kann meinen Reflexen wieder einmal meinen Dank vermitteln. Bloß habe ich nicht gemerkt, dass ich ihren Angriff mit dem magischen Dolch geblockt habe. Trotzdem tut sich nichts. Kein Licht, keine Magiewelle, nichts.
,,Wie lange denkst du, kannst du gegen mich durchhalten?" - knirscht Clair mit ihren Zähnen.
,,Solange es nötig ist."
,,Wartest du etwa darauf, dass dein toller Elon dich rettet?" - grinst sie zufrieden mit sich selber.
Diese Frage regt mich dermaßen auf, dass ich zum ersten Mal zum Angriff ansetze. Das kommt auch für Clair unerwartet. Doch wo ich meinen ersten Angriff erfolgreich ausführen könnte, erscheint der vorher erhoffte Lichtstrahl. Es stößt Clair in den Magen und sie fliegt mehrere Meter nach hinten. Verwundert erfriere ich in der Bewegung und staune über das, was ich gerade zu sehen bekommen habe. Wieso funktioniert es jetzt? Weshalb nicht schon vorher, als ich es doch so sehr gewollt habe?
Leider war der Lichtstrahl nicht stark genug, um Clair zu besiegen. Sie rappelt sich auf und ohne lange zu zögern stürzt sie auf mich zu. Meinen Instinkten nach würde ich am liebsten auf die Seite ausweichen, aber wegen meinem verletzen Bein ist es unmöglich. Erstarrt und verzweifelt stehe ich da, ohne mich bewegen zu können. Ich kann meine Hand nicht dazu bringen sich zu bewegen, den Dolch zu heben um zu blocken. Blackout hat Luke diesen Zustand auf unserer Reise mal bezeichnet. Mit zusammen gekniffenen Augen warte ich auf mein Ende. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass die anderen in Sicherheit sind und die Dunklen Feen so früh wie möglich besiegt werden. Ich warte, aber es kommt nichts. Kein Stich, kein Schmerz, nichts. Ängstlich hebe ich langsam meine Augenlider und sehe Clair einige Meter entfernt vor mir. Und das Merkwürdige beruht nicht nur darauf, dass sie nicht in Angriffstellung ist, sondern nur verwundert dasteht. Sie ist grün. Genauso wie die Wände und Möbel des Zimmers in dem wir uns befinden. Was geht hier vor sich? Verblüfft schaue ich mich um. Es ist wirklich alles grün. An einigen Stellen dunkel, an anderen wiederum heller.
,,Benutzt du Magie? Das ist doch nicht möglich!" - gerät Clair völlig außer sich.
Das leuchtet mir ein. Der Dolch! Er musste das ganze hervorgerufen haben. Wenn ich genauer überlege, ist es offensichtlich, dass sich nicht das Zimmer verfärbt hat. Nur meine Sicht ist grün, da um meinen ganzen Körper ein Schutzschild hervorgerufen wurde. Aber wodurch? Ich habe mir keinen vorgestellt, gewünscht oder sonst was. Ich war nur verzweifelt und bereit mein Leben zu geben, da ich keine andere Möglichkeit hatte. Kann es sein... kann es sein, dass meine Gefühle die Magie des Dolches aktiviert haben? Als ich vorhin einen Angriff auf Clair verübt habe, war ich wegen ihrer vorigen Äußerung sehr wütend. Da half mir der Dolch mit einem Angriff. Diesmal war ich verloren und konnte nichts tun. Deshalb erschien ein Schutzschild. So unwahrscheinlich diese Erklärung ist, dennoch finde ich nichts Plausibleres.
Jetzt, wo ich wieder klar denken kann verschwindet der Schutzschild und übrig bleibt nur eine verdutzte Clair. Ich muss es testen. In meinen Gedanken krame ich nach all den Dingen, die mich ihr gegenüber wütend machen. Ihr Verhalten. Ihre Hinterlistigkeit. Die Art, wie sie von Elon redet. Das Wissen, dass sie jederzeit ein Leben beenden würde, ohne lange zu überlegen. Das alles macht mich wütend. Ich kann ihr all diese Dinge nicht verzeihen. Wie erwartet schießt ein sehr starker Lichtstrahl aus dem Dolch. Diesmal sogar stärker als vorhin. Wahrscheinlich, weil ich jetzt meine ganze Wut in diesen einen Angriff gelegt habe.
Clair prallt mit starker Wucht gegen die Wand.
,,Wie... machst du... das?" - keucht sie.
Magische Werkzeuge mit so einer Stärke gibt es normalerweise nicht, da liegt sie richtig. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Dieses Werkzeug ist eine Ausnahme. Eine wundervolle Ausnahme.
,,Dieser Angriff beinhaltet all meine Wut. Erhebe nie deine Hand gegen die lichten Feen."
,,Denkst du wirklich du könntest mich so leicht besiegen? Ernsthaft? Du bist lächerlich." - verzieht sie ihr Gesicht. Es sind eher ihre Bemühungen aufzustehen, die lächerlich sind. Wieso gesteht sie nicht endlich, dass sie verloren hat?
,,Deine Freunde... deine Verbündeten... dein Reich... wir werden... alles... vernichten." - stößt sie hervor.
Es reicht. Ich feuere einen weiteren Lichtstrahl auf sie ab. Man muss sie stoppen. Sie ist eine Dunkle Fee in allen Poren. Böse von den Zehenspitzen bis zur Stirn.
Erneut prallt sie gegen die Wand. Aber aufstehen kann sie nicht mehr.
,,Du... wirst noch sterben... das verspreche ich dir." - haucht sie ihre letzten Worte, bevor sie bewusstlos wird.
Ich habe gewonnen. Es war nicht leicht, so nach dem Kampf fühle ich mich sehr erschöpft. Die Luft weicht aus meinen Lungen, meine Körperteile werden taub, aber mein inneres ist mit einem Gefühl der Wärme erfüllt. Schwankend schmeiße ich mich auf das Bett, auf dem ich vor dem Kampf saß und grabe mich in das weiche und warme Bettpolster ein. Mein Teil an diesem Kampf ist vorbei. Clair ist besiegt, und sie zählt eindeutig zu den stärksten der Dunklen Feen. Der magische Dolch liegt schwer zwischen meinen verkrampften Fingern. Mit einem Blick darauf merke ich, dass sich meine Fingernägel schon weiß verfärben, so stark klammere ich mich am Dolch fest. Es hat mir das Leben gerettet. Erleichtert lasse ich es auf das Bett plumpsen. Hoffentlich werde ich es heute nicht mehr brauchen. Einen weiteren Kampf würde ich nicht mit meinen stärksten Bemühungen und dem Dolch nicht überleben. Ich spüre, wie meine Augenlider schwer werden, bis ich schließlich in die Dunkelheit eintauche.
,,Alari! Wie kannst du in dieser Situation schlafen! Das kannst wirklich nur du..." - weckt mich eine ungeduldige Stimme aus meinem traumlosen Schlaf.
,,Ist es vorbei?" - frage ich verschlafen.
Am liebsten würde ich weiterhin im Kissen versinken, der realen Welt entfliehend. In eine Welt ohne Kämpfe, Angst und Zweifeln. Das ist für mich leider unmöglich. Mir wird wieder einmal bewusst, dass ich eine pflichtbewusste Wächterin unseres Königs sein muss. Nicht wollend öffne ich meine Augen und blicke den ernsten Gesichtszügen von Elon entgegen.
,,Was pennst du hier, während das ganze Reich ums Überleben kämpft?"
,,Tut mir Leid. Nach dem Kampf mit Clair..."
,,Kampf mit Clair? Du hast in diesem Zustand ernsthaft gekämpft? Wo ist Clair jetzt?" - schreckt Elon auf und ist sofort alarmbereit.
,,In der Ecke dort drüben." - deute ich mit meinem Zeigefinger auf die Stelle, wo sie nach dem letzten Stoß des Dolches gelandet ist und richte mich langsam auf. Mein Körper schmerzt fürchterlich.
,,Du hast sie besiegt? Aber wie...?"
,,Erzähl ich dir später. Was ist mit den anderen? Sind Luke und Ariana in Sicherheit? Was ist mit den Dunklen Feen? Habt ihr sie besiegt?"
,,Es war nicht leicht. Viele sind verletzt und einige mussten ihr Leben geben in dem Kampf. Die Dunklen Feen haben den Palast mit allen ihren Wächtern angegriffen. Manche sind geflohen, als sie sahen, dass die Wächter des Königs trotzdem in der Mehrzahl sind. Wir planen morgen mit den unverletzten Wächtern den Dunklen Feen endgültig ein Ende zu setzen. Wir greifen sie an. Diesmal sind sie geschwächt, und wenn wir gewinnen, können wir endlich in Frieden leben."
,,Das wäre toll. Meinst du ich kann morgen mitkämpfen?"
,,Nein, vergiss es. Du musst dich zusammen mit den anderen verletzen Wächtern erholen."
,,Ja, du hast Recht." - seufze ich. - ,,Ist wirklich bald alles vorbei?"
,,Ja. Das hoffe ich."
Eine halbe Stunde später sind alle Gäste und Angestellte mitsamt den König und Ariana aus dem Keller gekommen. Die Prinzessin steht eng bei Luke und sieht zerbrechlicher aus, als ich es je bei ihr gesehen habe. Glücklicherweise scheint sie aber beruhigt zu sein.
,,Prinzessin! Luke! ist alles in Ordnung?" - humpele ich zu ihnen hinüber.
,,Alari! Die Frage ist eher ob du in Ordnung bist." - sieht mich die Prinzessin besorgt an.
,,Ja, klar. Ich bin froh, dass ihr es sicher zum Versteck geschafft habt."
,,Das kann ich Luke verdanken! Elon wurde unterwegs, als wir nicht mehr weit vom Versteck waren, in einem Kampf verwickelt. Wenn Luke nicht schnell genug reagiert und mich hinter einem Baum gezogen hätte, wären wir von den nächsten Angreifern bemerkt worden."
Sie erzählt die Geschichte mit einem seltsamen Glanz in den Augen. Hat sie diesmal an Luke Gefallen gefunden? Das wird sich ganz sicher noch herausstellen, denke ich mir schmunzelnd. Wie ich die beiden kenne werden sie zusammen alle Koplikationen meistern können und sich gegen allen Regeln des Reiches auch als Halbgeschwister lieben.
Plötzlich tretet der König aus dem Schatten der Bäume hinter Luke und Ariana. Auf seinem Gesicht sind keine Geühle zu erkennen, er sieht so gelassen aus, als seinen wir nicht erst vor kurzem dem Angriff der Dunklen Feen ausgesetzt wurden.
,,Alle unverletzten Wächter sollen noch an diesem Tag eine Besprechung abhalten und die Kampfstrategie für morgen festlegen. Morgen besiegen wir die Dunklen Feen schlussendlich!"
Auf die Worte des Königs folgen heftige Jubelrufe und lautes Klatschen. Danach werden die Gäste zu ihren Wagen geführt, damit sie sich so bald wie möglich in ihrem Zuhause ausruhen können. Bald sind nur noch die Wächter im Garten. Auch Luke und Ariana wollen gerade aufbrechen, um sich in ihren Räumen zurückzuziehen. Gerade als ich ihnen folgen möchte, packt mich jemand am Arm.
,,Elon! Was ist?"
,,Lass mich dir kurz was sagen, bevor du gehst. Wahrscheinlich sehen wir uns bis nach dem Kampf nicht mehr."
,,Stimmt. Was möchtest du sagen?"
,,Weißt du, was mich immer wieder daran gehindert hat, mein eigenes Bewusstsein zu verlieren, als ich bei den Dunklen Feen war?"
Ich erwidere nichts und Elon fährt fort:
,,Das warst du. Immer wenn ich dachte, ich könnte es nicht mehr aushalten, musste ich nur an dich denken. Alari, du bist etwas Besonderes für mich und das möchte ich dir beweisen, nachdem ich heil aus dem Kampf zurückgekehrt bin."
Ich weiß nichts zu erwidern, weil mich diese Worte von Elon zu sehr erfreuen. Stattdessen werfe ich mich um seinen Hals, alle Disziplin als Wächterin vergessend und drücke mich ganz fest an ihm. Langsam hebe ich meinen Kopf und schaue in seine atemberaubenden Augen. Er beugt sich zu mir vor und seine Lippen berühren meine. Ganz zärtlich, als würden sie von Federn gestreichelt werden. Danach immer fester, bis wir in einem innigen Kuss versinken und alle Gedanken die nichts mit Elon zu tun haben aus meinem Kopf verschwinden. In diesem Moment ist mir endlich ganz klar, dass ich mich, seit wer weiß wie langer Zeit, in Elon verliebt habe.
drei Wochen später
,,Mit dieser Auszeichnung belohne ich alle Wächter, die im Kampf gegen den Dunklen Feen tapfer gekämpft haben!"
Die Stimme des Königs ist wie immer sehr majestätisch und die Stimmung im Saal könnte gar nicht besser sein. Alle Wächter schauen erwartungsvoll zum König hinauf. Man sieht schon fast die Vorfreude in ihnen brennen. Auch Elon ist dabei. Aus Versehen erwischt er mich dabei, wie ich ihn anstarre. Er lächelt leicht und zwinkert mir unbemerkt zu. In meiner Brust verbreitet sich sein seltsames Gefühl von Wärme und ich lächele zurück. Ich liebe Elon. Und wie es sich herausgestellt hat, ist die Sache nicht einseitig. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber ich hoffe an seiner Seite bleiben zu können. Wenn ich mich weiter nach links umdrehe, sehe ich auch Ariana neben dem König stehen und genauso fröhlich lächeln wie ich. Diese Freude hat einen ganz bestimmten Grund. Luke hat sich dazu entschieden in der Feenwelt zu bleiben. Er meinte, seine Beziehung zu seinen geschiedenen Eltern war nie sehr stark und es gäbe keinen Grund für ihn, dorthin zurückzukehren. Inzwischen weiß ich aber, welcher Grund wirklich dahinter steckt. Wie ich vermute ist sicherlich etwas im Keller zwischen den beiden vorgefallen. Sie haben zueinander gefunden. Ich bin froh über ihr Glück. Vor nicht allzu langer Zeit war sie noch in Elon verschossen, aber dieses Mal meint sie es wirklich ernst mit Luke, das sieht man ihr an.
Bisher weiß außer mir, Elon, dem König und natürlich Ariana niemand, wer Luke wirklich ist. Alles wird sich mit der Zeit ergeben. Jetzt, wo die Dunklen Feen entweder vernichtet oder gefangen wurden, steht uns auch ein ganz neues Territorium zur Verfügung, die das Reich ausnutzen wird.
,,Wächterin Alari! Treten Sie bitte vor!"
Ich reagiere auf meinen Namen, wundere mich aber wieso der König mich aufruft. Immerhin habe ich am Endkampf gegen den Dunklen Feen nicht teilgenommen.
Trotzdem trete ich vor und gehorche dem Befehl.
,,Diese Auszeichnung ist Verdienst von Tapferkeit und Mut. Trage sie mit Würde."
Ich verbeuge mich wie es sich gehört. ,,Majestät, ich verdiene diese Auszeichnung nicht. Während die anderen Wächter den entscheidenden Kampf kämpften, lag ich bloß verletzt in meinem Zimmer und wartete."
,,Diese Auszeichnung bekommst du nicht wegen dem Kampf, sondern wegen all dem, was du davor geleistet hast."
Vielleicht irre ich mich, aber es erscheint mir als hätte ich ein leichtes Lächeln auf den Lippen des Königs gesehen.
Verlegen übernehme ich die Auszeichnung und begebe mich zu den anderen Wächtern. Im Moment sind alle glücklich. Frieden herrscht im Reich und wir müssen nicht mehr die Angriffe der Dunklen Feen fürchten. Da uns das bewusst ist, sind wir glücklich und hoffen auf eine friedliche Zukunft.
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2015
Alle Rechte vorbehalten