Guten Tag, gestatten sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin ein Papierkorb und stand viele Jahre zu Füßen meines Herrn. Über meine Erfahrungen zu berichten, fällt mir schwer. Dennoch habe ich mich entschieden, die Öffent-
lichkeit über mein Schicksal zu informieren.
Als mein Geflecht noch frisch war, stand ich, nach einer wochenlangen Schiffsreise, in einem Möbelhaus und wurde nur selten beachtet. Manchmal nahm mich jemand in die Hand, schwenkte mich, drehte mich um, studierte den weißen Fleck auf meinem Hintern und stellte mich wieder auf den Boden, um sich den viel wichtigeren Stühlen, Tischen, Schränken und Regalen zu widmen. Ich war keine Attraktion, nur eines der Accessoires, eine pure Notwen-
digkeit, wie ich immer wieder von den Menschen hörte.
Bis der Tag kam, an dem ich hochgehoben und am Ausgang des Möbelladens, abgestellt wurde. „Das macht 9,99“, meinte eine nette Frau und der mich festhielt antwortete: „Ein guter Preis für meinen neuen Sachbe- arbeiter“.
Ich war mächtig stolz, als mich mein künftiger Chef und Kollege für eine solch wichtige Position engagierte und in den Kofferraum seines Wagens rollen ließ. Sowas hatte ich vor diesem Tag nie gehört. Nie wurde zu einem Stuhl oder Regal gesagt: „Mein neuer Sachbearbeiter“. Im Möbelhaus hörte ich immer nur: „Viel zu teuer“, oder: „Was gibt’s Rabatt?“
Von dem Tag an stand ich also pflichtbewusst neben einem polierten Mahagonischreibtisch und war sehr beschäftigt. Täglich wurden mir Blätter zur diskreten Einsichtnahme heruntergereicht und ich hatte viel für meinen einzigen Kollegen zu tun.
Wenn er nach seinen Terminen zurückkam, war er entweder gut gelaunt, zornig oder sehr hektisch, was ich anfangs nicht verstand. Aber immer wenn er sich unpässlich fühlte, gab es für mich besonders viel Arbeit, die ich ihm gerne abnahm.
Um mich zu entlasten, wurde nach einigen Jahren ein Personalcomputer angeschafft. Aber von Entlastung keine Spur. Mein Herr druckte jede Korrektur aus und es gab für mich immer mehr Arbeit. Ich wurde mit buchstäblichen Vergänglichkeiten vollgemüllt und schließlich zur Zwi- schenablage für die Papierwiederaufbereitung degradiert. Das alles hätte mir nichts ausgemacht, aber als plötzlich noch eine große Plastikbox neben mir stand, erhielt ich nur noch gebrauchte Papiertaschentücher und handschriftliche Aufzeichnungen, die vorher unleserlich zerkleinert wurden. Es war entwürdigend.
An allem sei mein Alter und der technische Fortschritt schuld, meinte mein Herr, doch noch hält er zu mir. Wegen meines Geflechts und seiner nostalgischen Gefühle stehe ich aber nicht mehr neben dem Schreibtisch, denn alle meine Aufgaben wurden an diese junge, billige, blöde, pflegeleichte, sterile und dusselige PVC-Box übertragen.
Ich hab heute meinen Platz auf den alten Keramikfliesen, direkt neben der Balkontür, und kann bei guter Sicht die Alpen sehen. Doch an ganz besonderen Tagen wird`s mir noch warm ums Geflecht. Immer wenn Waldi mich besucht und sein Bein hebt.
Copyright: Tony Fekter
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2010
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