- Ministerium -
Es war heiß. Schrecklich heiß. Diese elende Hitzewelle hielt nun bereits seit Monaten an. Die Klimaanlagen liefen auf Hochtouren und verbrauchten extrem viel Strom.
Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
Im Ministerium waren etliche Beschäftigte anwesend, aber große Leistungen waren bei der Hitze nicht zu erwarten. Noch dazu war Ferienzeit, wo viele in kühlere Regionen flogen.
Für Harald Bauer hatte der Tag nur schwer begonnen. Nach der halbwegs erträglichen Nacht im klimatisierten Schlafzimmer hatte er sich zur Arbeit begeben. Sein Referat hatte natürlich wieder einen vollen Posteingang, sodass erst einmal eine besondere Meldung unterging. Sie war aber auch nicht gekennzeichnet gewesen.
So dauerte es fast eine Stunde, bis er zur Erledigung dieser Nachricht kam. Sie kam auch recht unspektakulär daher, aus dem Lagezentrum des Bundes. Durch das ODL-Messnetz wurden erhöhte Werte für einige radioaktive Isotope in der Luft gemessen.
Noch kein Grund, die Leitung zu beunruhigen. Schließlich wollte Harald noch Karriere machen und Panikmacher schafften das meist nicht. Dann lieber nur mit positiven Meldungen auffallen.
Er konzentrierte sich erst einmal auf die anderen Meldungen. Nahm sich vor, der Sache nach dem Mittag nachzugehen, als ihn das Telefon aufschreckte. Das Display zeigte eine Nummer des Radiologischen Lagezentrums. Allerdings wusste Harald, dass dieses mal wieder nur teilweise einsatzbereit war. Angeblich steckte ein russischer Hackerangriff dahinter. Er vermutete aber, dass durch die Urlaubszeit einfach keine volle Besetzung vorhanden war.
Er ging dran. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber es klang irgendwie dringend.
Mit leichtem kölschen Akzent meldete er sich: »Bauer«
»Hier Mikowich aus dem Lagezentrum. Unser Messnetz zeigt immer stärker steigende Werte. Es kommt aus Belgien.«
Trotz der Hitze wurde Harald kalt. Steigende Werte aus Belgien. Er redete sich kurz ein, dass es etwas Harmloses sein könnte, aber da führte kein Weg dran vorbei, er musste handeln.
»Schicken Sie mir bitte die Werte. Ich informiere die Leitung.«
Natürlich tat er dies nicht persönlich, sondern fasste die Informationen kurz schriftlich zusammen und versah sie mit dem Eilvermerk. Nach dem Versenden eilte er dann aber dennoch selbst zum Vorgesetzten, damit die Information nicht unterging. Wenn seine böse Ahnung zutraf, dann gäbe es bald viele Probleme.
Wie üblich telefonierte sein Vorgesetzter. Es verging also noch einige Zeit, bis er dran kam. Harald erklärte ihm die Lage, woraufhin sein Vorgesetzter eilig eine Nummer wählte und wiederum seine Vorgesetzte informierte. So dauerte es nur noch eine halbe Stunde, bis die Information den Minister erreichte.
Natürlich wollte der Minister keine völlig unnötige Panik verursachen und zögerte. Verlangte zuerst nähere Informationen. Dieser Auftrag wurde dann auch sofort, versehen mit einem Eilvermerk an Herrn Bauer geleitet, der seufzend die vielen Fragen betrachtete, die er nun klären sollte, während kritische Zeit verstrich. Aber es half nichts und brachte auch nichts, den Minister unmittelbar zu kontaktieren. Harald machte sich also an die Arbeit. Ihm lief der Schweiß über die Stirn. Die Zeit war knapp, eigentlich müsste sofort gehandelt, nicht erst auf weitere Details gewartet werden. Aber war die Information erst einmal draußen, gab es mit Sicherheit Chaos und Panik. Zumal selbst das Lagezentrum in NRW noch immer nicht fertig gestellt worden war. Und jetzt in der Ferienzeit vermutlich massiv unterbesetzt gewesen wäre für einen Dauerbetrieb. Andere Bundesländer waren da schon deutlich weiter.
- Duisburg -
Bald war Feierabend. Alle auf der Baustelle am Innenhafen warteten bereits darauf. So war es am Freitag immer, so würde auch heute sein. Dann ging es ins Freibad.
Martin Gnukowski tat mal wieder der Rücken weh. Trotz der vielen Maschinen blieb etliches noch Handarbeit, aber er konnte froh sein, dass er eine feste Anstellung hatte und nicht eine dieser Scheinselbstständigkeiten. Damit wurden vor allen Dingen jene vom Arbeiterstrich ausgebeutet. Er hatte das schon an vielen Baustellen mitbekommen, aber was sollte man da schon tun?
Bald konnte er ja entspannen und feiern. Wurde ja auch Zeit, dass endlich wieder Wochenende war. Genaue Pläne hatte er nicht, nur dass er Spaß wollte. Eigentlich kam er sich manchmal zu alt dafür vor, aber man lebte schließlich nur einmal und er hatte sicher noch viele Jahre vor sich.
Nach der Arbeit ging es direkt mit dem Fiat nach Hause, wo die leere kleine Wohnung auf ihn wartete. Noch auf dem Weg las er kurz bei Facebook die neuesten Infos. Aber wie immer gab es nur Mord, Totschlag, aber nichts Wichtiges. Warum auch Zeitung lesen, wenn er bei Facebook alles erfuhr, was er wissen wollte. Insbesondere die Einladungen zu Veranstaltungen und Parties. Es gab hier einiges an Auswahl, aber jetzt war erst einmal Duschen angesagt, um den Dreck und Schweiß vom Tag zu entfernen und sich bereit für den Abend zu machen, vielleicht noch etwas Schlafen und dann Vorglühen. Schließlich waren die Getränke nicht billig.
- Duisburg -
Bei einer Feuerwehrwache in Duisburg trat gerade Heinz Meier seinen Dienst an.
Es war heiß und somit würde sicherlich, in den nächsten 24 Stunden, einiges an Arbeit auf ihn warten. Normalerweise gab es für ihn ruhige Schichten, aber bei der Hitze entflammte alles so unglaublich schnell. Ein Funke reichte. In der Wache ging mehr als dösen auch nicht, denn eine Klimaanlage gab es nicht. Trotz mehrfacher Bemühung darum, schien es kein Geld dafür zu geben. War wohl nicht so wichtig, fitte und ausgeruhte Feuerwehrleute zu haben.
Heinz seufzte, wenn er an die schwere Kleidung dachte, dann fielen ihm aber auch die erschöpften Gesichter von Menschen ein, die er mit den anderen gerettet hatte. Er hatte nie Buch geführt, wie viele ihm sein Leben verdankten, es reichte ihm, dass es sie gab.
Dies half über die teilweise undankbaren Seiten hinweg. Nicht nur das Anpöbeln, während man Menschen rettete, wobei das am Schlimmsten war, aber auch die ganze Situation. Ein neues Fahrzeug bräuchte es eigentlich auch mal und manche Ausrüstung war sicherlich auch nicht mehr auf Stand. Und wie lange es dauerte, bis man Ersatz für defekte Ausrüstung bekam, war auch nicht toll. Aber Jammern half nichts. Immer das Beste aus der Situation machen. Und er konnte seine Familie doch gut versorgen, auch wenn es nicht immer einfach war.
Er schaffte es gerade noch, sich umzuziehen, da rief bereits der erste Einsatz. Es würde sicherlich nicht der Letzte bleiben.
- ICE -
Zugbegleiterin Jenny Klickner hasste die Schichten am Freitag Mittag. Die Züge wurden immer extrem voll mit den ganzen Wochenendpendlern. Und die richtigen Kollegen waren diesmal auch nicht dabei. Mit einigen hatte man trotz der Belastung ja noch Spaß, aber damit rechnete sie heute nicht.
Es dauerte nicht mehr lange, da würde die Fahrt von Berlin nach Köln starten, von der sie erst in der Nacht zurück sein würde.
Heute würde es bestimmt wieder eine Katastrophe werden. Bei der Hitze fiel leider regelmäßig nicht nur die Technik im Zug, sondern auch jene an der Strecke aus. Das hieß nicht nur überfüllte Waggons, sondern auch längere Fahrtzeiten, wenn nicht sogar die letzten Haltepunkte entfielen. Wann sie zu Hause ankäme, wusste sie nicht. Der einzige Vorteil für sie war bei solcher Verspätung, dass sie die Überstunden bezahlt bekäme.
Noch war zwar keine Klimaanlage ausgefallen, sie konnte sich aber bereits ausrechnen, dass es bald dazu käme, da es in den letzten Tagen ständig der Fall gewesen war. Es würde wohl auch heute heiß hergehen. Einige wussten ja, dass sie wenig daran ändern konnte. Sie hatte sogar schon mehr als einmal verschiedene Stellen in der ›Behörde‹ Deutsche Bahn auf die Probleme aufmerksam gemacht, aber damit genauso wenig erreicht, wie die Passagiere.
Diese konnte sie häufig nur vertrösten, was gar nicht so einfach war, wusste sie doch selbst, wie desolat die Wahrheit aussah. Natürlich durfte sie sich nicht über geschönte Statistiken und Ähnliches auslassen.
Heute gab es sicherlich Viele, denen sie vielleicht ein wenig mit Anschlüssen helfen konnte, obwohl selbst die Informationen zu oft nicht stimmten. Das System zeigte einfach nicht die Echtzeit an und selbst die Zugbegleiter litten darunter, zu wenig Infos zu bekommen.
Es ging los. Aber heute würde es anders sein als die übliche Verspätungsroutine.
- Düsseldorf -
Sofia van Rinteln liebte Freitage. Jedenfalls dann, wenn sie einen 24-Stunden-Dienst hatte. Das klang erst einmal hart, war es aber nicht. Meist blieb es erstaunlich ruhig. Man kam endlich mal dazu, das Liegengebliebende aufzuarbeiten.
Natürlich dachte sie auch an ihren Sohn, der bei den Großeltern am Niederrhein war.
Die Kameraden verabschiedeten sich ins Wochenende und ließen sie alleine zurück. Bald würde sie fast alleine sein, aber ein Ansprechpartner war notwendig. Falls doch mal etwas passierte, dann würde es schnell ziemlich heftig, aber bisher hatte sie eine solche Notsituation nicht erlebt.
Hochwasser oder Hilfe nach Stürmen waren hier schon mal vorgekommen. Dann gab es richtig etwas zu tun. Aber so etwas kam glücklicherweise selten vor. Aber wie bei der Feuerwehr galt auch hier: ›Allzeit bereit‹.
Manchmal sehnte sie sich schon nach etwas Aufregung, welche die tägliche Routine durchbrach, aber dann war sie wieder froh, wenn nichts passierte. Denn wenn etwas passierte und sie benötigt würden, war es schwierig.
Sie dachte an die Trockenheit und die Waldbrände, die nun überall drohten. Sie sah sich noch einmal die Weisung zu dem Thema an. Leider wären zu viele im Wochenende, wenn wirklich mal etwas passierte. Aber heute passierte bestimmt nichts. Sie wollte morgen ihren Sohn in die Arme schließen.
- Aachen -
Er war es leid, dass man nicht endlich handelte. Diese Drecksruinen, die sich Tihange nannten, hingen als Fotos an den Wänden. In einem Regal fanden sich unzählige Akten und Dokumente. Einige hatte er verfasst, andere organisiert. Es gab da ja völlig legale Mittel und Wege, an viele Informationen zu kommen. Allerdings gab es auch Informationen, die wurden unter Verschluss gehalten, so absurd es auch erschien. Schon mehrfach hatte er versucht, an diese zu gelangen. Aber es half nichts, der scheinbar endlose Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie ging weiter.
Er und alle, die mit ihm kämpften, dass der Alptraum endlich endete, würden siegreich sein. Sie mussten es, denn ansonsten passierte es über kurz oder lang.
Die Prognosen für den Fall eines GAUs verhießen nichts Gutes. Und das Schlimmste war, die Behörden waren nur marginal darauf vorbereitet. Es gab keine Evakuierungspläne und außer ein paar Iodtabletten hatten die staatlichen Stellen nichts vorbereitet. Es gab zwar Gesetze, allerdings würde es trotzdem dauern, bis die Verwaltung soweit war.
Sein Handy vibrierte plötzlich. Vermutlich nur wieder eine Messengernachricht. Trotzdem zog er es wie jedes Mal heraus. Einerseits nervte das Gerät, aber es war auch hilfreich.
So konnte er auch die Werte seiner Messstation per App verfolgen. Das hatte zwar einiger Bastelei bedurft, aber doch war es ihm gelungen, alles zum Laufen zu bringen.
Und natürlich konnte man sich per Handy gut mit anderen austauschen. Es war keine Nachricht gewesen, sondern seine Messapp, die sich meldete. Seine Finger begannen leicht zu zittern. Eigentlich wollte Thomas Rados gar nicht wissen, was ihm die Messapp mitteilen wollte. Es wären sicherlich keine guten Nachrichten. Denn eigentlich sollte die Messapp sich gar nicht melden.
Er rief den aktuellen Wert auf. Dieser war deutlich höher als Normal und schien beständig zu steigen. Die Warnschwelle, welche er definiert hatte, war überschritten.
Er sah sich die Werte der letzten 24 Stunden an. In den letzten beiden Stunden waren die Werte besonders stark angestiegen. Er kannte sich gut genug aus, dass er wusste, dass noch keine akute Lebensgefahr bestand. Zu lange sollte man sich bei solchen Werten aber auch nicht aufhalten.
Sofort suchte Thomas bei verschiedenen Nachrichtenapps nach Informationen, aber nichts war zu finden. Wie konnte das sein? Müssten die Behörden nicht längst aktiv sein? Zeit war schließlich ein essentieller Faktor bei einem Vorfall mit Strahlung. Je kürzer die Exposition, desto besser.
Er musste etwas unternehmen. Er durfte nicht zulassen, dass dies totgeschwiegen wurde.
Also machte er sich ans Werk und verfasste für sein Blog einen Beitrag, der automatisch in verschiedene Netzwerke geteilt wurde.
›Gau eingetreten? Aachen strahlt!
Strahlenmesswerte in Aachen deutlich erhöht.‹
Dazu postete er einen Screenshot der Messapp. Er hoffte, es würden zumindest ein paar dadurch gewarnt.
- Ministerium -
Harald Bauer bemühte sich noch immer, die Informationen zusammenzustellen. Er wusste, dass die Zeit drängte und doch zögerte die Leitung, eine Entscheidung zu treffen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Ersten ins Wochenende verschwinden würden.
Es war frustrierend, dass er niemanden mehr erreichte, aber solange nicht der Alarm ausgelöst wurde, gab es keine Bereitschaft. Dabei konnte das keinesfalls bis Montag warten. Schließlich stand er auf, setzte sich dann wieder und fasste das Bekannte zusammen. Danach ging er dann direkt zum Büro des Ministers. Normalerweise war er nicht so draufgängerisch,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2019
ISBN: 978-3-7487-0607-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für all jene, die gegen den Wahnsinn kämpfen.