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1. Einleitung

Ich war alt, viele Jahrmillionen alt. Einen Großteil dieser Zeit legte ich zwar mit einer Zeitreisemaschine zurück, aber nicht alles. Die letzten Jahre verbrachte ich im antiken Jerusalem und war unnatürlich vom Alter gezeichnet.

Dort fand mich meine große Liebe Britanny, welche den Untergang von Atlantis überlebte. Sie und ich waren nun vampirartige Wesen mit unbegrenzter Lebensspanne.

Aber dies alles war noch komplett neu für mich. Erst vor wenigen Stunden hatte ich mein erstes 'Opfer' getötet. Es war weniger schlimm gewesen, als ich befürchtet hatte. Wobei Mörder und Vergewaltiger ohnehin keine Sympathie von mir erwarten konnten.

Es war zugleich auch der Abschied von meinem bisherigen Leben in Jerusalem. Ich würde nie mehr zurückkehren können, denn für einen Waisen, dem ich mich als Vaterersatz angenommen hatte, war ich nach langer Krankheit gestorben. So musste es auch bleiben.

Britanny war dafür wieder an meiner Seite. Noch immer musste ich aufpassen, dass die Aufregung darüber nicht die Verwandlung auslöste. Eine Metamorphose, welche mich in eine menschliche Wolfsgestalt, nicht unähnlich einem Werwolf verwandeln würde.

Vorstellen kann man sich mich zum Zeitpunkt, des Beginns dieser Aufzeichnung, langhaarig, dunkelbärtig. Nach meiner Zeit durchschnittlich groß, hier eher überragend. Aber ansonsten nicht auffällig. Britannys Haare waren ebenfalls lang, glänzend und voll. Hohe Wangeknochen und eine schmale Nase machten sie für mich unglaublich attraktiv. Aber ich sollte schnell merken, dass es keine Rolle spielte, wie wir ursprünglich aussahen, denn dies würde sich eh ändern.

2. Neue Pläne

"Was werden wir nun machen?" Mir selber schwirrte noch der Kopf von dem Erlebten.

"Wir werden leben und reisen. Beobachten was passiert und mischen uns nach Möglichkeit nicht ein. In dieser Zeit ist das Leben noch einfach für uns. Bald, in etwa zweitausend Jahren, wird es schwieriger sein", erwiderte Britanny und meinte damit nicht nur das Leben, sondern auch die Ausweise, welche man brauchte. In den nächsten Jahrhunderten konnte man sich ohne Probleme ständig neu erfinden. Aber in unserer Ursprungszeit brauchten wir Papiere für so viele Dinge. Aber bis dahin war noch Zeit und wir würden auch dafür eine Lösung finden.

Wahrscheinlich war es nach ihrem langen Leben kein Problem zweitausend Jahre einfach so abzutun.

Mir schwirrte ein wenig der Kopf, bei der Vorstellung so lange zu leben. Ich nahm mir fest vor bei allen wichtigen Ereignissen dabei zu sein. Oder zumindest bei jenen, die mir besonders wichtig erschienen.

Natürlich würde ich indirekt dafür sorgen, dass meine Aufzeichnungen, die nun in den Händen von Elias waren, nicht in falsche Hände fielen. Es würde zwar noch einige Zeit dauern, aber dann würde man Deutsch verstehen können. Er wäre wohl doch besser gewesen meine Aufzeichnungen in Inoxcro niederzuschreiben. Die Sprache würde auch in unserer Ursprungszeit niemand verstehen. Ich nahm mir fest vor, dies in meinen neuen Aufzeichnungen zu tun.

Wer wusste schon, welcher machtsüchtige Mensch nach meinen Aufzeichnungen gieren würde, sollte er von ihnen erfahren. Aber erst einmal konnten Britanny und ich unser Wiedersehen ausgiebig Feiern. Nicht mit einem großen Fest, sondern mit Stöhnen und Seufzen. Wir hatten uns dazu in einer Herberge einquartiert und mit dem Geld der Halunken bezahlt, die es ohnehin nicht mehr brauchten.

Ein wenig erinnerte ich mich an eine Frau, welche mir vor langer Zeit etwas bedeutet hatte, aber nun gab es nur Britanny für mich. Sie war die Frau, mit der über Jahrtausende, wenn nicht sogar Jahrmillionen verbunden war.

Schon vorher hatten wir uns der Lust hingegeben, aber nun, wo der Hunger nicht mehr in uns nagte, war es ungleich intensiver. Unser Körpergeruch hing, mit dem neuen Geruchsinn wahrnehmbar, in der Luft. Aber nicht nur meine Nase war feiner geworden, sondern auch meine Haut.

Jeder Berührung von ihr, sandte Impulse der Leidenschaft durch mich. Ich fragte mich, ob es für sie genauso intensiv war. Ich erinnerte mich an ihre Worte, dass wir uns verwandeln konnten. In jede Gestalt. Sollten wir es wirklich herausfinden, wie es sich für das andere Geschlecht anfühlte?

"Ich weiß, was du denkst Liebster", offenbarte mir Britanny mit von Lust gezeichneter Stimme. "Du überlegst, wie es sich für mich anfühlt. Wie sich der andere Körper anfühlt. Wir können dies eines Tages ausprobieren, aber heute sei einfach nur mein." Der letzte Teil klang fast, wie ein Fauchen.

Ich zuckte zusammen, so laut hatte es geklungen.

"Ruhig Liebster, du musst dir keine Sorgen machen, so leise, wie wir sprechen, versteht uns keiner und unsere Lust, darf jeder erfahren. Die Menschen hier sind nicht so prüde, wie in unserer Zeit. Und selbst wenn doch, warum sollte es uns stören. Erst wenn man keinen Ruf mehr zu verlieren hat, ist man wirklich frei."

Und wirklich. Keiner schien sich zu stören, obwohl wir sicherlich nicht gerade leise waren. Niemand klopfte an die Wand oder gar die Tür.

Ich war mir hinterher nicht sicher, wie lange wir 'feierten', aber es kam mir vor, wie mehrere Tage. Meine Ausdauer schien durch die Verwandlung nicht gelitten zu haben. Eher im Gegenteil.

Leicht verschwitzt schmiegten wir uns aneinander.

"Wir sollten uns eine Weile zurückziehen. Ich muss so viel lernen und ich denke, unter Menschen wird das schwierig", überlegte ich laut.

Britanny lächelte mich glücklich an. "Ja, du hast recht." Sie schien die Worte zu hauchen. Schon mehrfach hatte sie mich darauf hingewiesen nicht zu laut zu sprechen. Es tat ihr in den Ohren weh und auch ich merkte immer mehr, dass ich Lautstärken nun auch anders wahrnahm. Schaffte es aber die meisten Geräusche recht gut auszublenden.

Das wenige Geld war verbraucht und es erschient Britanny an der Zeit weiterzuziehen. So brachen wir eines späten Nachmittags einfach auf. Zu fürchten hatten wir nichts. Jedenfalls glaubten wir das zu dem Zeitpunkt noch.

Viel Gepäck hatten wir nicht. Geld auch nicht, Britanny hatte sich nie damit belastet und ich hatte meine Habe, meinem Adoptivsohn hinterlassen.

Britanny hatte wohl meine Mine gesehen. "Mach dir keine Sorgen wegen Geld. Wir reisen schließlich nicht ohne Grund bei Nacht. Da gibt es genügend Gauner, die uns überfallen wollen."

Sie schien bei dem Gedanken fast zu kichern. Aber ich nahm an, dass es weniger das Töten war, was sie glücklich machte, sondern vielmehr meine Anwesenheit. Da erging es mir nicht anders. Ich konnte den Verdacht nicht loswerden, dass der Unfall in dem Labor der Anoxi, uns beide irgendwie aneinandergebunden hatte. Wahrscheinlich auf mehr als einer Ebene. Aber das war okay, schließlich ruhten meine Gedanken bei ihr.

Mir war auch sofort klar, was sie meinte. Die Halunken würden uns alles geben, weil sie nichts mehr brauchten. Aber was täuschte ich mich hier. Schließlich waren die Dinge selten so, wie man sich vorstellte.

Wir hatten uns nach Norden in Richtung Germanien gewandt. Zuerst hatte ich fliegen wollen, aber Britanny warnte mich, es nicht zu unterschätzen. Sie wusste es natürlich besser, wie viel Energie es verbrauchte, zu fliegen und wie sehr der Hunger dadurch zunehmen würde.

Trotzdem blieb die Sehnsucht nach dem Gefühl zu fliegen. Es war unbeschreiblich gut und alles in mir verlangte nach mehr. Ich fragte mich sogar, wie es wäre, wenn wir gemeinsam flogen und dabei unsere Lust auslebten. Ich würde es bestimmt noch erleben. Mir war als wäre meine Libido stärker geworden, aber vielleicht bildete ich mir dies nach den langen Jahren der Enthaltsamkeit auch nur ein.

Wir reisten zu Fuß und trotzdem hatte ich das Gefühl, genau zu wissen, wo wir waren. Ich erinnerte mich an das Sprachimplantat, was wir noch immer trugen. Dadurch erschienen Gespräche, wie moderne Sprache, obwohl sie in längst vergangener Art geführt wurden und was ich dachte, übersetzte das Implantat der Inoxcro automatisch in die andere Sprache, welche dann aus meinem Mund kam. Trugen wir nun vielleicht auch ein Navigationsimplantat?

Die Gegend, durch welche wir die ersten Tage wanderten, war überaus öde und kaum bewohnt. Sand in den unterschiedlichsten Tönen, Berge und Geröll prägten das Bild. Ab und wuchsen Pflanzen, aber spärlicher Bewuchs wäre sicherlich noch eine übertriebene Bezeichnung. Meistens gingen wir durch unwegsame Schluchten. Theoretisch konnte hinter jedem Vorsprung jemand lauern. Aber dazu waren wir zu fern der Zivilisation. Zu Ortschaften kamen wir nicht. Aber vielleicht hielten wir uns auch nur instinktiv abseits bewohnter Orte. So hatten wir unsere Ruhe. Konnten reden.

Ich drängte mehr als einmal darauf, endlich mit dem Lernen loszulegen, aber Britanny meinte, dass meine erste Lektion bereits begonnen habe.

Ich verstand nicht, was sie meinte, bis sich der Hunger wieder langsam in mein Bewusstsein schlich. Abseits der üblichen Karawanenpfade gab es wenig Menschen, welchen einen überfielen und so auch keine Nahrung für uns.

Sie wollte also mit mir üben dem Hunger zu widerstehen. Aber irgendwie war es schwierig und je stärker der Hunger wurde, desto mehr nahm ich das Leben in der Umgebung war. Selbst weit entfernte Menschen konnte ich wahrnehmen. Über Geräusche und durch mit dem Wind zugewehten Gerüchen.

Noch fiel es mir leicht, diesen Hunger zu kontrollieren, aber die Frage war, wie lange dies mir gelang. Britanny meinte, sie würde darauf achten, dass ich mich nicht übernahm. Ich hoffte sehr, dass dies klappte. War mir nicht sicher, ob es mir gefallen würde in einem entvölkerten Dorf aufzuwachen, wie es Britanny passiert war.

Bei Tag zogen wir uns in Spalten und Höhlen zurück. Wenn ich hier und dort eine Fledermaus sah, frage ich mich, wie viel von diesem Wesen wohl in mir war. Ich war froh, dass mein Gehör nicht bis in den Ultraschallbereich reichte. Jedenfalls konnte ich die Echosignale der Fledermäuse nicht hören.

'So viel also zu den Gesängen der Kinder der Nacht', dachte ich bei einer der Begegnungen mit diesen, trotz ihrer seltsamen Nasen, irgendwie niedlichen Wesen.

Längst reisten wir nicht mehr auf erkennbaren Pfaden. Mir wahr als wüsste Britanny den Weg. Mir war zwar klar, dass wir uns Europa immer mehr näherte und unterbewusst ahnte ich, dass es nicht mehr weit bis zum Bosporus war, aber trotzdem fiel mir die reale Orientierung schwer.

Wenigsten schien es wieder etwas Grüner zu werden und die Temperatur war auch nicht mehr so hoch, was aber auch an der Witterung liegen konnte. Ich wusste einfach zu wenig.

Wie viele Tage wir unterwegs waren, wusste ich nicht mehr. Es war aber auch nicht relevant, da ohnehin ein Tag dem anderen glich. Jeden Tag viele Schritte und sich kaum verändernde Landschaften. Da wir wegen der Landschaft keine gerade Linie gehen konnten, kamen wir natürlich deutlich langsamer voran.

Obwohl es eigentlich unendliche viele Fragen gab, schaffte ich es nur selten welche hervorzubringen. Britanny ermahnte mich aber auch immer wieder erst einmal nur dem Hunger zu lauschen. Ich solle meinen inneren Monolog finden.

Aber wie sollte ich das schaffen? Vielleicht durch meine Aufzeichnungen? Die halfen mir etwas den Frust abzubauen. Irgendwie hatte ich in letzter Zeit immer wieder das Bedürfnis, etwas zu zerschlagen oder meine Fäuste in den Felsen zu hämmern.

Einmal war ich dem Impuls gefolgt. Die Wunden waren schnell verheilt und Britanny hatte ich das verschwiegen. Vielleicht wusste sie es trotzdem. Sie hatte mich so angesehen, als wüsste sie es.

Was mich am meisten verstörte, war aber der Umstand, dass sie plötzlich keine Lust mehr zu haben schien. Oder glaubte sie, dies würde mich von meinem Hunger ablenken? Ich fühlte, immer wieder diese Aggressionen in mir aufwallen, welche ich vorher nie gehabt hatte. Kam das vom Hunger oder war das ein Teil der Veränderungen? Britanny kam mir sanfter vor, also warum sollte ich aggressiver werden? Es musste einfach am Hunger liegen.

Dann kamen wir in eine kleine Ortschaft. Diesmal hatte Britanny darauf bestanden, dass wir bei Tag reisten. Ich schäme mich, dies niederzuschreiben, aber der Hunger war mittlerweile so schlimm geworden. Das ich die Dorfbewohner fast eher wie Nahrung, als wie Menschen sah.

Ich bildete mir ein, dass Britanny fast schon höhnisch lächelte. So als wollte sie sagen, dass ich der Versuchung nun widerstehen sollte, wo sie mich ausgehungert hatte. Für einen Augenblick musste ich mich tatsächlich des Impulses erwehren, ihr meine Hände, um den Hals zu legen, dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle.

Ich kam mir gehetzt vor. Egal wohin ich blickte, sah ich Menschen. Kinder, die spielten, Viehhirten bei ihren Pferchen, in kleinen Häusern die Frauen oder auch davor. Es war lebhaft und laut und ein ziemlicher Kontrast zu der Einsamkeit von vorher.

Ich hatte natürlich gelernt, meine Sinne ein wenig besser zu kontrollieren, aber es fiel mir noch immer schwer. So strömte diese Lebhaftigkeit in schmerzhafter Weise auf mich ein. Für die Menschen sah ich sicherlich betrunken aus, aber es waren eher Lärm und Gerüche, die mich taumeln ließen. Ich sah zu Britanny. Auch jetzt schwieg sie. Wollte mir nichts sagen, dabei sehnte ich mich nach einem Tipp, wie man diese Eindrücke verarbeiten könnte.

Es stank ziemlich. Ich dachte, nach Alexandria hätte ich mich an den Geruch der Menschen gewöhnt, aber mit meinen neuen Sinnen war dies die reinste Folter. Es würgte mich, aber da ich bereits länger nichts getrunken hatte, kam nichts hoch. Selbst kleine Tiere hatte Britanny mir nicht gegönnt.

Warum machte mich dies alles so wütend? Ich liebte sie doch oder hatte ich mir das nur eingebildet? Es kam mir fast vor, als wäre sie so unnahbar, wie vor sehr langer Zeit. Aber warum?

Plötzlich unterbrach sie meine Gedanken flüsternd: "Michael, du musst dich kontrollieren. Deine Augen glühen schon und die Menschen starren dich an."

Und wirklich ich merkte erst jetzt, dass ich kurz davor gewesen war mich zu verwandeln. So wütend hatte mich der Hunger gemacht. Es musste der Hunger gewesen sein, denn was sonst konnte die Ursache sein?

Aber statt aufzuhören, war es mir plötzlich egal. Sollten sie doch alle sehen, was ich war und wegrennen in Furcht. Kaum hatte ich dies gedacht, da geschah es auch schon. Mein Äußeres änderte sich. Einige schrien entsetzt auf, andere rannten weg, nur ein Mann kam auf mich zu. Er sah ziemlich muskulös aus, aber auch ein wenig verdreckt.

'Warum hat er keine Angst vor mir? Er soll gefälligst in Furcht wegrennen.'

Erst später wurde mir die Absurdität meiner Gedanken bewusst. Warum sollte ich wollen, dass die Menschen mich fürchteten?

"Michael beruhige dich. Es tut mir leid, wenn ich dich zu sehr gequält habe. Ich wollte dir helfen den Hunger zu bezwingen. Vielleicht ... Vielleicht war diese Grausamkeit in mir zu stark." Ihre Worte stockten. Hatte sie mir etwa auch noch etwas verschwiegen?

Ich hielt die vorschnellende Faust des Hünen mit meiner Hand auf. Es fiel mir so unglaublich leicht. Obwohl der Mann sicherlich stark war, hatte es sich nicht angefühlt, als hätte er kräftig zugeschlagen. Wie stark war ich wohl? War es das, wie sich Superman fühlte? Wobei er ja viel sanfter war.

Die andere Faust traf mich plötzlich und unerwartet. Ich wurde zu Boden geschleudert. Der Kerl schrie triumphal und stürzte sich auf mich. Wie konnte das sein?

Der Hunger drängte mich, ihn einfach zu beißen, aber meine Moral hinderte mich. Er verteidigte sich nur. Selbst das Messer tat dem kein Abbruch. Ich spürte nicht, wie es sich in mich bohrte. Bevor er reagieren konnte, schlug ich zu. Er flog zwei Meter zurück. Ich sprang auf. Stürzte mich auf ihn. Wollte nur trinken. Plötzlich hielt mich eine Hand zurück.

Es war die Hand von Britanny. Es schien ihr kaum Mühe zu kosten mich zu halten.

"Nein. Lass ihn. Beherrsche dich Michael!", beschwor sie mich in Inoxcro.

Ihre Stimme war von Verwirrung geprägt. Alles in mir drängte danach sie wegzustoßen und mich auf den hilflosen Mann zu stürzen. Er hätte keine Chance gegen mich.

Trotzdem weckte der Klang ihrer Stimme meine Menschlichkeit. Ich presste meine Klauen in die Handinnenflächen und konzentrierte mich auf den Schmerz. Versuchte mich von dem Drang zu trinken zu befreien. Es war hart.

Verlockungen zu widerstehen, war ganz bestimmt nicht einfach.

Ich stand auf und trat zu Britanny. Sie entfernte das Messer und wischte es an ihrer Kleidung ab.

"Komm Michael, lass uns gehen."

Ich antwortete nicht, aber folgte ihr aus dem Dorf hinaus.

Wir gingen langsam. Für kurze Zeit fürchtete ich, dass der Hüne sich auf mich stürzen würde, aber er hatte offensichtlich genug.

Erst als wir eine Stunde Fußmarsch von der Stadt entfernt waren, sprach Britanny. Diesmal sprudelte es nur so aus ihr hervor.

"Michael es tut mir leid. Ich wollte dich an den Hunger gewöhnen und habe es übertrieben. Ich weiß nicht einmal so richtig warum. Vielleicht ist da Dunkelheit in mir, die nur manchmal hervorbricht. Ich weiß es nicht. Wir bleiben jetzt auf den Wegen und hoffen auf Wegelagerer. Auch ich verspüre Hunger. Von jetzt an werde ich sanfter sein."

Sie schwieg. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich zurückverwandelte. Meine Kleidung war entweder durch die Verwandlung oder den Kampf zerrissen worden. Der Klang von Britannys Stimme lenkte mich ab.

"Bisher, habe ich es immer geschafft, meine Verwandlung weitestgehend zu verbergen. Keiner wusste davon oder wurde hypnotisiert. Einzelnen glaubte man aber ohnehin nicht.

Bisher konnte ich die Existenz von Wesen wie uns geheimhalten, aber deine Verwandlung vor so vielen Menschen ließ sich nicht verbergen. Wir hätten sie alle töten müssen. Ich war in Versuchung, aber es wäre falsch gewesen.

Jetzt kann es passieren, dass man uns verfolgt. Wir werden bald unser Aussehen ändern müssen. Es ist anstrengend und macht viel Hunger, aber wir notwendig sein.

Man wird nach einem Mann und einer Frau suchen ..."

Sie sprach den Gedanken nicht zu Ende, denn ich konnte mir denken, dass wir das ändern mussten. Entweder zwei Frauen oder zwei Männer. Beides behagte mir wenig. Auch wenn ich neugierig war, so sträubte sich etwas in mir, als Frau aufzutreten. Und wenn wir beide Männer wären ... Es würde mir schwerfallen mit einem Mann Zärtlichkeiten auszutauschen und für die Nacht zurückverwandeln wäre kaum möglich. Britanny hatte mehrfach betont, wie anstrengend so eine Verwandlung war und bei der zur Wolfsgestalt hatte ich es selbst erlebt. Natürlich könnte es sein, dass wir dies eines Tages müssten.

Wir beide als Frauen unterwegs, wären leichte Opfer. Jedenfalls aus der Sicht von Halunken, bis sie merken, dass der Schein trügen konnte.

Britanny schwieg. Sie wusste sicherlich, was in mir vorging.

3. Kein Glück

Britanny redete nach kurzer Zeit wieder mehr und versuchte mir, ihre Erfahrungen zu vermitteln, aber natürlich konnte ich nicht immer alles begreifen. Manches musste man erleben und Selbstkontrolle, merkte ich mehr und mehr, fiel mir unheimlich schwer. Ich dachte zurück an meine erste Begegnung mit Britanny. Wie impulsiv ich da reagiert hatte.

Es stimmte. Ich war sehr impulsiv und dies gefährdete uns beide. Zugleich war trotz des Hungers mein Verlangen nach ihrer Nähe stärker geworden. Ich sehnte mich danach, doch sie hielt mich fern.

"Michael, du musst dich gedulden. Auch der Hunger der Leidenschaft kann bezwungen werden."

Mehr wollte sie mir aber nicht offenbaren, dabei war es mir wichtig, ihr nahe zu sein. Die Situation verwirrte mich immer mehr. Zumal es immer wieder Zeitpunkte gab, wo sie sich an mich schmiegte. Etwa nachts, wenn wir zu schlafen versuchten, was bei dem Hunger nicht einfach war.

Ich wunderte mich, dass ich es überhaupt noch aushielt und nicht über andere Reisende herfiel, denen wir begegneten. Diese kamen zwar in größeren Gruppen, aber bei dem gefühlten Hunger, wäre wohl selbst dies kein Problem. Konnte ich mich wirklich so gut beherrschen? Britanny nahm jedes Mal meine Hand in ihre und drückte fest zu. So als wollte sie mir sagen, dass ich mich beherrschen müsse. Aber wollte ich das überhaupt.

Mich überraschte es jedes Mal, dass ich es noch immer schaffte, bis es dann doch passierte.

Wir kamen gerade um eine Wegbiegung, hatten es aber vorher schon gehört. Es gab offensichtlich einen Kampf. Auf dem Boden lagen zwei tote Männer und der Geruch von Blut lag in der Luft.

Britanny flüsterte mir sofort zu: "Beherrsche dich, warte ab, erst wenn sie angreifen, dann nimm dir."

Meine Hände, oder waren es bereits wieder Pranken, zitterten. Alles schien schon verschwommen zu sein. Ich fühlte mich krank und konnte kaum klar denken.

Ich versuchte durch schütteln meines Kopfes wieder klar zu werden und merkte erst jetzt, dass jemand vor mir stand. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass ich angesprochen wurde.

"Verstehst du mich nicht? Jetzt mach schon."

Das Gefuchtel mit dem Schwert und der aggressive Tonfall ließ mich immer nervöser werden. Da mir schien, als würde ich angegriffen, fiel ich einfach über sie her und merkte erst, nachdem ich bereits fertig getrunken hatte, dass es eine Frau war. Eine junge rötlich Blonde, die Haare kurz gehalten. Ich schätzte sie auf 25 Jahre und sie war einen Kopf kleiner als ich und schlank. Ihre Bekleidung schien mir funktional und fürs Kämpfen gemacht zu sein. In ihrem Gesicht zeigte sich Schrecken. Schrecken vor dem, was ich getan hatte.

Ich sah mich um. Zwei weitere Frauen standen neben Britanny und sahen jetzt erst zu mir herüber. Beide hatte eher dunkle Haare, aber auch kurz, dazu ein dunklerer Teint. Die Frisur war eher wie bei Soldaten, als man sie bei Frauen erwarten konnte. Obwohl die Brüste und der Körper ganz klar sagten, dass es Frauen waren.

Britanny blieb zwar ruhig, aber ich merkte sofort, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Unentschlossen sah sie zwischen mir und den beiden anderen Frauen hin und her. Diese gingen aber sofort zum Angriff über. Britanny stieß sie zuerst nur zurück und blockte die Schwerter mit geschickten Schlägen mit bloßen Händen ab.

Ich schaute unschlüssig zu. Hatte ich etwa eine Unschuldige getötet? Ich sah mich um. Neben den beiden männlichen Leichen lag eine junge Frau mit zerrissenem Gewand. Sie lag still da und schien tot zu sein. Soweit ich es aus der Entfernung erkennen konnte hatte sie lange dunkle Haare und ein schmales attraktives Gesicht.

Erst jetzt realisierte ich, was ich getan hatte. Erneut hatte meine Impulsivität zu Problemen geführt. Was konnte ich bloß tun? Alles in mir schrie danach Britanny dafür die Schuld zu geben. Sie hatte mich so lange hungern lassen, aber ich wusste auch, dass dies nicht die Wahrheit war. Dass ich es getan hatte. Dass ich gemordet hatte. Der vermeintliche Angriff entschuldigte kaum für meine Tat.

Die Attacke auf Britanny wurde stärker, aber sie deutete mir an, dass ich nicht eingreifen solle. Ich merkte schnell, dass sie damit begann die Frauen zu hypnotisieren. Diese wurden auch schnell friedlicher, bis sie schließlich teilnahmslos vor sich hinstarrten.

Vorwurfsvoll sah Britanny mich an. Ich schwieg, kam aber näher.

"Die Leichen sind noch frisch und hätten völlig gereicht, aber wahrscheinlich war der Hunger zu stark." Ihr Blick war nun deutlich milder. Sie wusste, was in mir vorging und ich hatte nicht ihre jahrtausendalte Erfahrung in der Kontrolle des Hungers.

Ohne zu zögern, ging Britanny nun zu einem der Männer, trank, und dann zu der Frau mit dem zerrissenen Gewand. Auch von dieser trank sie. Ich konnte es deutlich hören. Für einen kurzen Augenblick meinte ich, dass die Frau sich wehren würde, aber das musste ich mir eingebildet haben, denn Britanny würde niemals einfach so über jemanden herfallen. Dazu hatte sie sich viel zu gut unter Kontrolle.

"Komm, trink von dem anderen, du brauchst gleich viel Energie, denn du musst ihren Platz einnehmen. So können wir verschwinden, falls uns jemand trotz der Entfernung gefolgt ist, und verhindern, dass noch mehr unser Geheimnis erfahren. Vergiss aber nicht dein Gesicht zu säubern."

In groben Zügen legte mir Britanny ihren Plan dar. Sie würde den Platz der jungen Frau einnehmen ich den der Kriegerin. Diese würde einfach Amnesie haben wegen eines schweren Schlages gegen den Kopf.

Aber all der Aufwand, nur um unser Geheimnis zu wahren? War dies nicht reichlich übertrieben? Schließlich würde es reichen den beiden Frauen weiszumachen, dass die Kriegerin namens Lucia gestorben wäre.

Britanny widersprach mir und meinte, dass wir von der Bildfläche verschwinden müssten, falls wir doch verfolgt würden. Außerdem ginge es ihr um Sühne für den Mord. Ich müsste den Platz jener einnehmen, die ich getötet hatte. Einerseits schien es mir absurd, aber dann auch wieder fair. Aber könnte ich wirklich unerkannt bleiben?

Ich saß auf der staubigen Straße und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Britanny zeigte trotz der Situation die notwendige Ruhe. Sind ging neben mir in die Knie und sprach ganz sanft, dass ich es schaffen würde.

Ich musste mich auf das Aussehen von Lucia konzentrieren und den Rest würde die Technik der Anoxi machen. Ich war sehr nervös. Weniger wegen des Umstandes der Durchführung, sondern mehr wegen des Ziels der Verwandlung. Ich als Frau? Es wäre ein Abenteuer. Sicherlich. Aber es wäre bestimmt auch seltsam.

Etwas tief in mir, wohl das männliche Ego schien sich zu weigern und doch war mir klar, dass ich es machen würde. Machen müsste, wenn ich weiterhin vor mir selbst bestehen wollte. Schließlich hatte ich getötet. Nein nicht getötet. In diesem Fall gemordet.

Während ich mich konzentrierte, merkte ich, dass ich mich veränderte, was unangenehm war. Besonders, als dieses vertraute Gefühl in der Hose verschwand.

Mein Puls ging vor Aufregung schneller, als ich mehr und mehr merkte, wie sich meine Anatomie veränderte. Ich wusste nicht mehr, wie lange es dauerte, aber schließlich sah ich genauso aus, wie mein Opfer. Nur bei den Haaren war es schwieriger. Britanny leitete mich an, wie ich die Haare bis zu einer bestimmten Länge wachsen lassen konnte.

Während der Verwandlung hatte sie mir erklärt, dass wir hier einer Gruppe von Frauen begegnet waren, die etwas von Amazonen hatten. Sie hatten sich vor langer Zeit zusammengetan, um ohne die Gewalt der Männer leben zu können. Um so leben zu können, wie sie wollten und auch stark sein durften. Sie behielten aber auch diesen Straßenabschnitt im Auge und machten mit Halunken kurzen Prozess. Ihnen war aber auch die griechische Form von Demokratie zuwider, denn diese schloss Frauen von der Mitbestimmung aus.

Für uns wäre dies sicherlich eine gute Gelegenheit etwas auszuruhen und zu überlegen, wie wir mit meiner Ausbildung weitermachen sollten.

Noch immer standen die Amazonen da und schienen auf weitere Anweisungen zu warten, aber Britanny ging systematisch vor. Während ich in meiner neuen Gestalt lauschte, ob sich niemand näherte, verwandelte sie sich in die junge Frau. Anschließend vergruben wir die Frauenleichen zusammen mit unserer Kleidung. Wir sahen nun komplett aus, wie die Personen in die wir uns verwandelt hatten. Nur unsere spärliche Habe verstauten wir in dem Beutel der Frau, deren Namen wir nicht kannten.

Mit einem Messer schnitten wir anschließend in unsere Bissspuren, bei den Soldaten, sodass man diese nicht erkennen würde. Jedenfalls nicht ohne moderne Forensik. Nachdem wir alles vorbereitet hatten beendete Britanny ihre Hypnose und wir legten uns in Position. Während ich lag, fragte ich mich, wie es wohl sein würde, als Frau zu leben. Bis jetzt fühlte es sich noch nicht so anders an.

Dann nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Die beiden Amazonen beugten sich über mich und riefen sanft meinen Namen. Lucia. Ich schlug die Augen auf und versuchte meine Rolle zu spielen. Aber wie spielte man eine Person, der man noch nie begegnet war. Auf deren Rolle man sich nicht hatte vorbereiten können.

Ich schaute möglichst verständnislos und fragte, wer sie seien. Es dauerte eine Weile, bis sie kapierten, dass ich nicht in der Lage war sie zu erkennen. Ich wusste natürlich nicht, was Lucia alles gekonnt hatte und musste vorsichtig sein und nicht zu viele meiner Fähigkeiten zu zeigen.

4. Ein neues Leben

Meinen Namen hatte ich bereits allein durch ihre Rufe festgestellt und die Sprache beherrschte ich so sicher wie jede andere. Das Implantat der Inoxcro, tat immer noch seinen Dienst.

Sie stellten sich als Chiuvana und Zelenia vor. Als Mann hätte ich sie sicherlich attraktiv gefunden, aber mit diesem Frauenkörper war ich mir nicht meiner Empfindungen sicher.

Sie erzählten mir, dass ich eine gute Kämpferin sei. Dies schien für sie besonders wichtig zu sein. Über meine Vergangenheit wüssten sie nicht viel. Ich wäre vor drei Jahren mit zwei Kindern aufgetaucht und hätte seitdem sehr viel im Umgang mit der Waffe gelernt. Auch, dass ich immer fair gewesen wäre, schien ihnen wichtig zu sein.

Ich merkte, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Sie hielten es für Verzweiflung und Chiuvana drückte mich an sich. Sprach beruhigend auf mich ein. Ich weinte aber nicht aus Verzweiflung, sondern weil ich die Mutter zweier Kinder getötet hatte. Keine Kriminelle, sondern ein guter Mensch.

So langsam verstand ich, wie schwer es für Britanny all die Jahre gewesen war. Sie hatte dieses hungrige Monster in sich, dass sie füttern musste. Was gierig war und nach immer mehr verlangte. Gleichzeitig musste sie sehr sorgfältig sein. Meine Impulsivität war mal wieder jemandem zu Verhängnis geworden.

Es war ungewohnt, eine Frau so nah zu sein und nicht diese typische Erregung zu empfinden. Nicht nur mein Äußeres hatte sich geändert. Meine Hormone und so schienen auch weiblich zu sein. Britanny hatte mir nicht davon erzählt, dass sich nicht nur das äußere änderte, sondern auch die Empfindungen.

Chiuvana schien noch eine Frage auf den Lippen zu liegen, aber sie zögerte diese zu stellen. Doch dann schien sie sich zu überwinden.

"Lucia, du erinnerst dich auch nicht an uns?"

'Uns'? Meinte sie das etwa so, wie ich das verstand. Waren die beiden zusammen gewesen? Für einen kurzen Augenblick flackerten Männerfantasien durch meinen Verstand, wurden dann aber verdrängt von dem Gedanken an Britanny. Ich liebte sie trotz allem, was wir in den letzten Tagen durchgemacht hatten. Trotz ihrer Unnahbarkeit.

Daran würde auch diese Gestalt nichts ändern. Daran würden auch weibliche Hormone nichts ändern.

"Nein, ich kann mich an wirklich gar nichts erinnern. Was ist nur mit mir? Nichts was früher war, ist noch in meinem Geist."

Natürlich musste ich diese Frage stellen. Sonst wäre ich unglaubwürdig geworden. Keiner würde mir abnehmen, dass ich als Kämpferin nicht auch um mein Gedächtnis kämpfte. Selbst ohne Erinnerungen blieb die Persönlichkeit erhalten.

Ich fühlte mich etwas unwohl Vana, wie die Koseform war, so anzulügen. Aber was sollte ich machen, wir waren nun in dieser Rolle und ich wusste nicht, was Britanny geplant hatte, um später wieder herauszukommen.

Nur, dass unser Auftauchen und der Tod von Lucia wohl nicht einfach so aus dem Gedächtnis zu löschen wäre.

Ich hörte Britanny stöhnen, als erwache sie unter Schmerzen. Zelenia wandte sich ihr zu, ging hinüber und kniete neben ihr.

Vana und ich sahen hinüber. So wie sie mich festhielt, konnte ich schlecht aufstehen und dazu schien es auch keinen Grund zu geben. Schließlich kannte ich die Frau nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich meiner Rolle gerecht werden wollte.

Sich als jemand anders auszugeben, war mir damals in der Kurzausbildung für angehende Agenten auch immer schwer gefallen, aber vielleicht war die Erfahrung hier gar nicht so schlecht. Wenn diese Zeitreise nicht passiert wäre, hätte ich sicherlich noch viele weitere Fortbildungen machen müssen, um zu einem richtigen Agenten zu werden, wenn ich dies gewollt hätte. So war ich eher eine Hilfskraft.

Es blitzte kurz in meinen Augen, als ich überlegte, ob mir Erfahrungen zu vermitteln einer der Ziele von Britanny war. Dass ich lernte, mich in anderen Rollen zurechtzufinden.

"Sie scheint unverletzt zu sein", rief Zelenia herüber.

"Geht es dir gut?", fragte sie Britanny. Hätte ich nicht dieses extrem gute Gehör gehabt, hätte ich wohl kein Wort verstanden.

Wieder lenkte mich Vana ab. Ich merkte, dass sie mich küssen wollte, als hoffe sie, der Kuss würde die Erinnerungen zurückbringen. Sie war nicht unattraktiv, aber ich war mit Britanny verbunden. Trotzdem konnte ich ihr, diesen Versuch nicht verweigern, ohne mich verdächtig zu machen.

Als sie merkte, dass ich den Kuss nicht erwiderte, schaute sie mich an und stand dann auf. Ging zu den Leichen der Männer hinüber. Sie wollte sich anscheinend ablenken. Wandte mir den Rücken zu, aber ich hörte, dass sie schniefte, als würde sie versuchen Tränen und Trauer zu verscheuchen.

Hatte ich ihr wirklich so viel bedeutet? Jetzt kam ich doch schon durcheinander. Nicht ich, sondern Lucia hatte ihr so viel bedeutet. Ich sah nur so aus wie Lucia. Was würde eine Frau in der Situation machen? Rüber gehen und sie umarmen? Weiter verwirrt gucken? Nein ich durfte keine Emotionen vorspielen, die ich nicht hatte. Sie tat mir zwar leid, aber ich würde mich verraten, wenn ich Vana nun umarmte und sie tröstete, obwohl sie mir nicht das bedeutete, was sie Lucia bedeutet haben musste.

In der Situation wünschte ich mir einen Rat von Britanny, aber diese konnte ich jetzt schlecht fragen. Dabei hatte sie sicherlich zahlreiche Erfahrungen mit solchen Situationen.

Wieder hörte ich das Gespräch von Britanny mit Zelenia.

"Mein Name ist Elektra und ich bin auf der Flucht vor meinem alten Ehemann. Ich konnte ihm keine Kinder schenken und nun will er eine neue Frau. Mich wollte er aber vorher töten."

Wie realistisch die Lüge von Britanny war, konnte ich nicht sagen, aber mit Amnesie wäre sie wohl nicht sonderlich weit gekommen, wo ich diese Ausrede ja bereits nutzen musste.

Zelenia hieß Britanny willkommen und erklärte ihr, dass sie eine Dorfgemeinschaft ohne Männer wären. Wo Frauen sich frei entfalten konnten und sich unterstützten. Fern ab von Krieg und Gewalt. Die toten Männer sahen für mich nicht gerade gewaltlos aus. Aber es ging wohl eher um die Gewalt gegen Frauen. Ein Thema, was zumindest für die nächsten zwei Jahrtausende die Menschheit begleiten würde.

Vana trat unterdessen gegen eine der Leichen. Mir war klar, dass sie frustriert sein musste. Wer wäre das nicht, wenn sich eine geliebte Person nicht mehr an einen erinnerte.

Zelenia rief herüber: "Warte Vana wir kommen gleich zu dir." Und an Britanny gewandt: "Komm Elektra lass uns Vana helfen."

Erst jetzt fiel mir auf, wie viel Haut die Kleidung von Britanny zeigte. Die Risse und Schnitte machten sie so unglaublich erotisch. Selbst in diesem Körper. Mir wurde klar, dass egal wie Britanny aussehen würde, meine Zuneigung und Liebe würden ihr immer gewiss sein.

Ich stand auch auf und ging ebenfalls zu Vana hinüber, sah sie aber nicht an und vermied auch Blicke zu Britanny. Unterdrückte die Erregung, auch wenn diese kaum sichtbar war.

Trotzdem stand ich kurz darauf neben ihr. Ihr Geruch wahr nun so anders. Viel anziehender, als zuvor. 'Nicht ablenken lassen! Du bist nun Lucia! Spiele deine Rolle!', forderte mein Verstand mich auf, aber mein Herz war noch immer bei Britanny.

Zelenia nahm schnell die Führung in die Hand und ordnete uns jeder einem Bein oder Arm zu. So trugen wir die beiden Leichen ein ganz Stück weg vom Weg, wo man sie nicht so schnell finden würde.

Die Kleidung sah mir entfernt nach römischen Soldaten aus. Bei so naher Betrachtung wirkte sie aber durch das viele Schwarz sehr düster. Wer sie wohl waren? Aber ich konnte das ungehindert fragen.

"Was für Männer waren das?", versuchte ich, mehr zu erfahren.

"Wir sind uns nicht ganz sicher. Vermutlich waren es einfach nur Straßenräuber, die einzelnen Reisenden auflauern."

Ich schaute kurz zu Britanny herüber. Ihr anderes Aussehen verwirrte mich noch immer, aber ich würde mich sicherlich daran gewöhnen. Es war kaum merklich, aber sie schüttelte für mich erkennbar den Kopf.

Sie hatte, wegen der für einfache Räuber zu edlen Kleidung, wohl ähnliche Schlüsse gezogen, wie ich. Wir waren hier nicht in einen konventionellen Überfall gestolpert. Da ging etwas anderes vor sich.

Arbeiteten die Männer und die Frau zusammen und war der Überfall nur ein Köder gewesen. Dann wäre die Frau, welche nun von Britanny als Elektra verkörpert wurde, eine Spionin. Aber mit welchem Ziel?

Eine Dorfgemeinschaft mit nur Frauen? Das war ungewöhnlich für diese Zeit. In historischen Texten wurde nichts davon erwähnt.

Auch in dieser Region waren die Römer die Besatzungsmacht. Sie hätten also Interesse daran dies alles zu klären.

Zwei Männer zu opfern, nur um eine Frau einzuschleusen? Entweder war etwa schiefgegangen oder für die Römer waren die Erkenntnisse von immenser Wichtigkeit. Aber warum? So einen Aufwand war auch diese Gemeinschaft nicht wert.

Zelenia und Vana schienen davon nichts zu ahnen. Sie waren sicherlich gute Kämpferinnen. Die deutlich sichtbaren Muskeln sprachen dafür, aber sie ahnten nichts von Macht und Politik. Dies hieße aber auch, dass sie in der Dorfstruktur nicht die Herrscherinnen waren. Wie hatte es Vana noch genannt? Der Rat der Weisen.

Diese würden sich allerdings kein Bild machen können, wenn sie nichts wüssten, was hier vor sich ging. Würde ich es offenbaren, würden sie allerdings wiederum gegen Britanny vorgehen. Elektra! Sie hieß jetzt Elektra und ich musste aufpassen, dass ich nicht den falschen Namen nutzte. Ihr zweiter Vorname Lilith wäre sicherlich einfacher zu merken gewesen. Aber es war ihre Wahl und irgendwie passte der Name dieser griechischen Killerin zu dem, was wir nun waren.

Als wir auf dem Rückweg waren, um die zweite Leiche wegzuschleppen, ging Elektra plötzlich neben mir und ich sah sie kurz an.

"Die Römer scheinen hier eine Infiltration versucht zu haben. Anscheinend hat das Dorf etwas, was die Römer interessiert." Sie sprach so leise, dass nur ich es hören konnte und ihre Lippen bewegten sich kaum. Ich machte es ihr nach.

"Zu dem Schluss bin ich auch gekommen. Wir müssen ihnen helfen." Ich hatte nichts gegen die Römer und vielleicht hatten sie sogar gute Gründe für ihr tun, aber ich hatte jemanden getötet und wenn wir den 'Amazonen' halfen, könnten wir das wieder gutmachen. Wobei ich mich noch immer etwas unwohl mit meiner 'Weiblichkeit' fühlte. Die Bewegungen und der Schwerpunkt des Körpers waren so anders. Von der Kraft her merkte ich allerdings keinen Unterschied.

Britanny stimmte mir zu, wobei sie mir ihre weiteren Gedanken nicht offenbarte. Sie hatte vielleicht sogar noch mehr Schlüsse gezogen. Wahrscheinlich schon, bevor sie sich in die Frau verwandelt hatte. Denn wenn es eine Infiltration war, dann wäre diese nicht Tod gewesen, sondern höchsten ohnmächtig.

Vana sah zu mir und versuchte mich anzulächeln. Mir war klar, dass Vana und Lucia wohl eine Beziehung gehabt haben mussten. Aber ich teilte diese Empfindungen nicht. Wie konnte ich ihr das bloß beibringen. Ich liebte Britanny egal in welcher Form. Vermutlich sogar, wenn sie aussähe, wie ein Mann, wobei ich das nicht unbedingt so schnell herausfinden wollte. Ich hatte genug damit zu tun, erst einmal mit meiner aktuellen Veränderung klarzukommen.

Mussten wir unsere Spuren verwischen? Es konnte sicherlich nichts schaden. Ohne eine Anweisung oder so abzuwarten hieb ich mit dem Schwert einen Ast ab, mit dessen belaubten Ende ich am Boden die Spuren verwischte. Ich hatte zwar keine Übung darin, wusste aber genug, um die offensichtlichen Spuren zu vernichten.

Nia und Vana sahen mich verständnislos an.

"Wir wollen doch nicht, dass sie zu schnell gefunden werden. Wer weiß, ob es nicht noch mehr gibt, wo die herkommen und so wird es länger dauern, bis sie die Leichen finden."

Ohne weiter darüber zu diskutieren, akzeptierten sie das Gesagte. Natürlich wollte ich verhindern, dass die Römer die Leichen zu schnell fanden, aber das hätte ich schlecht sagen können ohne Elektra zu gefährden.

Jetzt, wo der nagende Hunger verschwunden war, stellte ich fest, dass die Begierde sich wieder einschlich. Und ich meinte an dem leichten Geruch, der von Elektra ausging, dass es ihr ähnlich ging. Nur ausleben konnten wir dies derzeit nicht. Ich bedauerte dies sehr. Es war zwar ungewohnt, aber ich hatte mich immer wieder mal gefragt, wie eine Frau Lust erlebte.

5. Ankunft im Dorf

Nachdem wir auch auf der Straße die Spuren beseitigt hatten, führte uns Vana zum Dorf. Dieses lag gut versteckt in einem Tal, dass nur einen Zugang zu haben schien und ansonsten von nur schwer überwindbaren Felsen geschützt wurde.

Natürlich könnte so eine Lage auch ein Nachteil sein, aber sicherlich war der Zugang gut zu verteidigen. Eine Quelle speiste das längliche ovale Tal, sodass hier üppige Vegetation vorherrschte.

Es gab einige Hütten, welche als Unterkünfte dienten. Jedenfalls soweit ich dies erkannte. Ich konnte allerdings nichts entdecken, was ein Interesse bei den Römern wecken konnte. Mal abgesehen von der Örtlichkeit selbst, aber die kannten die Römer ja nicht, sonst wäre die Infiltration nicht notwendig gewesen.

Ich wurde von etlichen Frauen begrüßt. Nia und Vana hielten sich eher zurück. Das hieß wohl, dass ich die Anführerin gewesen war. Bis zu meinem 'Gedächtnisverlust'. Ich grüßte freundlich zurück und da weder Zelenia noch Chiuvana eine Erklärung abgaben, tat ich dies auch nicht.

Wir gingen direkt zu einer größer wirkenden Hütte. Dieses befand sich fast genau in der Mitte des Tals. Hier musste der Rat der Weisen sein, also jene Frauen, welche herrschten. Mit einem Schmunzeln dachte ich an meine Zeit, wo unsinnige Wortungetüme zu Gleichberechtigung erklärt wurden. Wobei eine Gesellschaft nur von Frauen auch keine Gleichberechtigung wäre.

Ich hatte aufgrund des Namens eine Gruppe älterer Frauen erwartet, die weise Ratschläge gaben. Zwei ältere Frauen waren wirklich in diesem Rat, aber auch vier weitere. Zwei davon mittleren Alters und zwei sehr junge Frauen. Es mochte vielleicht Zufall sein, aber es sah aus wie eine Repräsentation der Gesellschaft dieses Tals. So konnten bei Entscheidungen die verschiedenen Blickwinkel sicherlich gut berücksichtigt werden.

Welche Abgründe der menschlichen Natur hier lauerten, konnte ich auf den ersten Blick natürlich nicht erkennen. Von Vana und Nia wurde ich in den Vordergrund gedrängt. Mir war ziemlich mulmig. Als Geschichtenerzähler war ich Publikum zwar gewohnt, aber hier war es anders. Das Gefühl meines sich bewegenden Busens, erinnerte mich bei jedem Schritt daran.

Ich wusste nicht einmal, ob irgendwelche Rituale einzuhalten waren. Vielleicht musste ich knien oder auf einem Bein tanzen. Ich entschied mich aber für Direktheit in Kombination mit Achtung.

"Ah, Lucia du bist zurück, was hast du zu berichten?"

Duzen war schon einmal gut, aber so einer kleinen Gemeinschaft auch eher üblich.

"Ich habe mein Gedächtnis verloren. Das heißt, ich kenne weder die Bräuche noch eure Namen, falls ich dagegen verstoßen sollte, verzeiht mir dies bitte. Ich werde berichten, was mir bekannt ist.

Als ich zu mir kam, lagen zwei tote Männer auf einem Weg und eine bewusstlose Frau. Es hatte einen Kampf gegen bei dem wir siegten. Zum Verlauf können nur Vana und Nia berichten.

Wir schleppten die Männer außer Sicht und kamen dann mit jener, die Elektra heißt, hierher."

Die Minen der Frauen waren besonders, als ich von meinem Gedächtnisverlust berichtete, von Sorge gezeichnet. Ich würde wohl viel lernen müssen, aber dies tat ich ja bereits seit langer Zeit. Ich musste bloß aufpassen, dass ich mich nicht verriet und plötzlich etwas las, obwohl Lucia gar nicht lesen konnte oder so. Oder konnten alle hier lesen? Vielleicht war in dieser kleinen Gemeinschaft Bildung für alle normal.

Ich könnte auch behaupten, dass es ein Geschenk der Götter wäre, was mich nur meine Vergangenheit gekostet hätte.

"Das ist schlechte Kunde Lucia, dann kannst du nicht die Einführung von Elektra übernehmen, allerdings werden erst diese und Chiuvana berichten müssen. Und natürlich wird sich Elektra einer Prüfung durch die Lade der Wahrheit stellen müssen. Wir müssen aufpassen, dass sich niemand einschleicht."

Es war, als ahnten sie, dass die Frau, welche nun Elektra hieß und von Britanny gespielt wurde, vorher vielleicht eine römische Spionin gewesen war.

Was es mit der Lade der Wahrheit wohl auf sich hatte? Doch wohl nicht etwa die berühmte Bundeslade? Oder vielleicht doch etwas von Inoxcro oder Anoxi? Ich musste unbedingt dabei sein. Wobei es eigentlich unnötig war. Britanny könnte mir alles berichten.

Ich trat einige Schritte zurück und Vana trat vor. Sie musste in der Rangfolge wohl direkt unter mir stehen.

"Wir gingen wie üblich Patrouille, um sicherzugehen, dass niemand zufällig zu uns gelangen würde, als wir Schreie einer Frau hörten. Wir stürzten hin und fanden zwei Männer, die sie wohl vergewaltigen wollten. Jedenfalls sah es danach aus. Unserer Schwerter waren flinker und zielsicherer als ihre."

Sie rieb sich kurz den Kopf, so als wäre die Hypnose nicht ganz so wirksam, wie sie sein sollte.

"Ich kümmere mich gerne um Lucia und helfe ihr, ihr Gedächtnis wiederzufinden, wenn die Götter es wollen."

Sie warf mir einen Blick zu, in dem viel Gefühl steckte. Ich bedauerte zutiefst, dass ich diese Gefühle nicht teilte. Ich würde sie auch nicht teilen können, denn ich merkte einmal mehr, dass ich mit Britanny durch ein Band verbunden war, was die gesamte Existenz der Menschheit umfasste. Aber wie brachte ich dies Vana bei. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese und Lucia mehr als nur Freundschaft verbanden. Alleine diese Blicke sagten, dass es da sehr viel Liebe gegeben hatte.

Musste ich Lucias Liebe spielen, um meine Tat wieder gut zu machen? Ich könnte meine Gefühle für Britanny nicht verleugnen und selbst, wenn wir beide nun in Männerkörpern gesteckt hätte, wäre dies wohl nicht anders gewesen. Nein ich konnte ihr nicht einfach etwas vorspielen, was nicht da war.

Ich zwang mich, nicht zu auffällig zu Britanny zu schauen.

"Und jetzt soll Elektra sprechen!", forderte eine aus dem Rat, ich hatte nicht einmal darauf geachtet, welche es gewesen war. Was würde Britanny wohl sagen? Sie war natürlich gut in Improvisation. Besser als ich, wobei mich das Geschichtenerzählen auch einiges gelehrt hatte.

"Danke, dass ihr mir das Wort gewährt. Ich werde mich natürlich euren Prüfungen stellen. Alles ist besser als das Leben, welches ich hinter mir habe. Männer taten mir so viel Unrecht an, dass ich gar aufzuzählen vermag und lieber nicht daran denken möchte. Eure Gemeinschaft hier wirkt auf mich, wie ein Hort des Friedens, den ich mir schon so lange ersehnte."

Sie ging nicht auf Sachen ein, welche sie nicht belegen konnte und hielt sich nur an die Fakten ihrer wirklichen Vergangenheit. Es war schon bewundernswert, wie sehr sie es schaffte die Illusion einer anderen Wahrheit mit der Wahrheit zu erzeugen.

Ich trat impulsiv vor.

"Das Leid von Elektra geht mir nahe und ich würde sie gerne unterstützen. Vielleicht kann Vana uns gemeinsam unterrichten."

Der Rat zog sich kurz zurück und gab dann meinem Vorschlag statt. Zugleich schlugen sie vor, dass ich die Heilerin aufsuchen sollte. Jetzt bestand nur noch das Problem, dass wir unsere wirklichen Fähigkeiten nicht zeigen durften und wie wir unseren Hunger stillen sollten. Wir würde beide auf Patrouille gehen müssen, um Opfer finden zu können. Vielleicht sogar verkleidet als Reisende, um wie leichte Opfer

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: ulrics
Bildmaterialien: ulrics
Tag der Veröffentlichung: 18.03.2017
ISBN: 978-3-7438-0355-8

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