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Schon lange vor der Ankunft wusste jedes Kind in Sri Lanka, dass das britische Staatsoberhaupt die Insel für vier Tage besuchen würde. Als oberste Repräsentantin des Commonwealth oblag es Elizabeth II, die Beziehungen zu den Kolonien, die sich nach dem Krieg für unabhängig erklärten, zu pflegen und für Kontinuität einzutreten. Vor dem Schulgebet - und die meiste Zeit danach - erzählten die Lehrer von dem Adelsgeschlecht der Queen, seinen Verästelungen in der Genealogie des Hauses Windsor, geblendet von dem Reichtum, den das Empire mit seiner Galionsfigur entfaltete. Hatte man den Engländern nicht vieles zu verdanken? Das Cricket an erster Stelle, zudem Strassen und Eisenbahnen und die ausgedehnten Plantagen im Hochland, die den weltberühmten Ceylon-Tee kultivierten! Auch die Souvenirhändler waren hellauf begeistert, das Einlasspersonal der Tempelstätten freute sich, Museumsdirektoren und Bürgermeister rieben sich die Hände. Beim letzten großen Staatsbesuch hatte die Regierung sogar ein Hotel für die Königin bauen lassen, das Resthouse Nr. 1. Bis heute zieht es Touristen an; beseelt vom königlichen Flair übernachten sie dort, wo die junge Queen mit ihrem Prinzgemahl logierte, und sorgen für klingelnde Kassen. 27 Jahre waren seitdem vergangen. Offiziell hieß Ceylon nun Sri Lanka und galt nicht mehr als britisches Dominion. Das Besuchsprogramm sah zur Enttäuschung vieler nur einen Ausflug nach Kandy vor. Man würde an der Westküste bleiben und sich mit Wirtschaftsfragen beschäftigen.
Die Boulevardzeitungen ergingen sich in märchenhaften Ausschmückungen, beschrieben die Garderoben, die Elizabeth in diesen Tagen zur Schau trug. Der Leser möge sich zur Einstimmung vorstellen, wie die Queen, angetan mit einem Kleid von Hardy Amies auf die Gangway tritt, einer Kreation aus Duchesse-Satin im Grün-Orange der Sri Lankischen Flagge, bestickt mit stilisierten Blüten in zarten Silber- und Perlschattierungen. Während sie die Stufen hinabschreitet (ihr Mann Phillip ist nicht zu sehen. Ist er auf einem Golf-Turnier?) wird sie gefolgt von vier durchtrainierten Leibwächtern, zwei Kammerzofen, drei Privatsekretären, dem Pressesprecher Michael Scatchard, dem geschäftsführender Hofmeister Kevin Knott, zwei persönlichen Dienern (einer davon ist Willibald Fletcher), zwanzig Beamten unterschiedlicher britischer Ministerien und neun Vertretern der Presse. In der Rückschau interessieren den Autor jedoch andere Zusammenhänge und daher lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Publikum am Bandaranaike International Airport, erzählt, dass schon bei der Ankunft der Monarchin Tausende Augenpaare auf sie gerichtet sind und jedes Detail, vom Abschreiten der Ehrengarde bis hin zum Defilee zum Tagungsort aufs Strengste vorgeschrieben ist. Ein riesiges Räderwerk sorgt dafür, dass ein banales und asoziales Ereignis als Teil des Empires inszeniert wird. Nun kommt der Autor auf die Idee, ein weiteres Detail hinzu zu fügen, das unwichtig erscheint, sagen wir, die Kapelle hätte sich entschlossen, nach der Nationalhymne (anstelle eines Militärmarsches) das von Elizabeth geschätzte Yellow Submarine zu spielen, was von den Beatles rührt, und zwar so, dass durch alle zackigen und formellen Klänge noch etwas von der Lebenslust der ursprünglichen Version durchscheint, so als wäre dies eine verschlüsselte Botschaft. Nehmen wir einmal an, Elisabeth erinnert sich nun, wie sie, Anfang der 70er Jahre, als London hipp war, die Pilzköpfe empfing, um sie für ihre Verdienste auszuzeichnen. Es heißt, John Lennon soll auf ihrer Toilette im Buckingham Palace einen Joint geraucht haben. Ob sie gerade dar-an denkt, wenn sie in die Kamera lächelt, wissen wir nicht. Aber womöglich ist ihr diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf gegangen...
Als sie nun mit der Limousine abfährt, vor ihr eine Phalanx aus Motorrädern, hinter ihr eine Eskorte aus acht schwarzen Fahrzeugen, unzähligen Privatautos und zwei Reisebussen, verläuft alles nach Plan. Elizabeth macht Konversation mit dem stocksteif neben ihr sitzenden Präsidenten Jayawardene. Der ist so etwas wie ein autokratischer Herrscher und erklärt, aus dem Fenster zeigend, dass er neue Gebäude für Parlament und Regierung bauen lässt, weshalb man momentan ohne diese Institutionen auskommen müsse. Er macht einige Komplimente, das Kleid stehe Elizabeth wirklich ausgezeichnet, und da er keine Witze reißen darf nach dem Motto Kommt ein Mann zum Arzt, um die Zeit mit ihr zu überbrü-cken (aha, der Prinzgemahl ist auch mitgekommen), fragt er nach dem Anschlag am 13. Juni, wo ein Verrückter sechs Schüsse auf die Queen abgegeben hat, allerdings mit Platzpatronen, als sie auf dem Pferde sitzend an der Zeremonie Trooping the Colour teilnahm, und dann, als sie nur kurz antwortet, will er genaueres wissen über die Ende Juli vollzogene Hochzeit ihres Sohnes Charles mit Lady Diana Spencer, wobei die Königin unhöflich knapp wird und in eisiges Schweigen versinkt. Der Corso durchbricht eine jubelnde Menschenmenge; jetzt hält die Limousine vor einem palmengesäumten Portal und Elisabeth, unterstützt durch einen Diener in Livree, entsteigt der Karosse. Auf dem roten Teppich wartet das Empfangskomitee. Der Bürgermeister von Colombo überreicht ihr eine goldene Brosche in Gestalt eines Blumensträußchens, besetzt mit Saphiren, Rubinen und Diamanten. Nun geht es hinein in eine Atmosphäre von Glamour und Reichtum. Diesmal ist das Galle Face das Hauptquartier, eines der damals führenden Luxushotels. Man stelle sich einmal vor...
Das abendliche Festbankett: Elisabeth trägt eine Gardarobe aus elfenbeinfarbenem Seidenkrepp, entworfen im Hause des zwei Jahre zuvor verstorbenen Hofschneiders Normann Hartnell. Von einer Schleife auf der linken Schulter fällt eine lange, drapierte Stoffbahn den Rücken herab. Den Saum des Kleides ziert eine Bordüre mit üppigen Stickereien aus Gold- und Silberpailleten. Jeder Platz auf dem Tisch, jeder Teller, jeder Korb ist mit Frangipaniblüten umkränzt. Man speist Lamm mit Minzsoße, zum Nachtisch gibt es Plumpudding. Das Silberbesteck mit dem eingravierten Windsor-wappen ist eigens für den hohen Besuch angefertigt, was natürlich nicht der Tradition des Galle Face Hotels entspricht. Dafür bedie-nen die Kellner ihre Gäste ganz in weiß: Weiße Jacke im Kolonial-Look, weißer Sarong und sogar weiße Handschuhe. Überall stehen Tropenholzmöbel auf dem edlen Mahagoni-Parkett. Im Kamin knistert ein Holzfeuer, und neben ausgestopften Jagdtrophäen hängt ein Foto der jungen, bildhübschen Frau, die Elizabeth II bei der Thronbesteigung gewesen ist. Hier erkennst du als Leser mit feuchten Augen den Alterungsprozess, der stattgefunden hat, der ebenso gut dein eigener ist, die unbarmherzige, abstumpfende Routine des Alltages, du fühlst dich Elizabeth II nahe, die sich seit dem plötzlichen Tod ihres Vaters und dem Tag ihrer Thronbesteigung in Westminster Abbey mit ermüdenden Prozeduren herum-schlägt; die jährlich bei 400 Jubiläen, Staatsbesuchen und diplomatischen Anlässen sich ähnelnde Reden hält; und die eine endlose Reihe sich wiederholender Paraden und Empfänge erträgt. Nichts fällt dir leichter als einen Teil deines Ichs in eine Königin zu investieren, die auf ihrer Rückreise von Australien pflichtbewusst in Sri Lanka vorbeischaut. Dieser in den Chroniken des Landes immer wieder erwähnte Staatsbesuch hat – was vielen Kennern des Hauses Windsor verborgen blieb – eine pikante Note, die mit dem ungewöhnlichen Wunsch zusammenhängt, den die 55jährige und schon etwas ungeduldige Königin in weniger als eine Viertelstunde äußern wird. Noch ist nichts bekannt. Die Vertreter des Landes und der ansässigen europäischen Minderheiten sitzen auf handgeschnitzten Stühlen, der braun gerahmte Spiegel, der über der stilvollen Kommode hängt, reflektiert eine Reihe eindrucksvoller Persönlichkeiten. Da wäre ganz hinten Mr. Andrew Khan - der Herr mit dem Turban repräsentiert die Moors, wie man die ceylonesischen Moslems noch heute nennt. Gegenüber, der dunkelhäutiger Mann namens Sampanthan ist Ceylon-Tamile und einigermaßen präsentabel, während seine Brüder im Norden und Os-ten den Sezessionskrieg vorbereiten. Der Herr im Smoking, Dr. van Goeree, repräsentiert die Burgher - Nachkommen der Holländer. Die meisten der jetzt folgenden Kabinettsmitglieder gehören dem Jayawardene-Clan an bis hin zum Ministerpräsidenten. Auch zwei Portugiesen sind vertreten, daneben Großkaufleute, Richter, kurz: die gesellschaftliche Elite des Landes. Die üblichen Tischreden werden gehalten wie bei allen Konferenzen und Meetings. Im Gegensatz zu landläufigen Annahmen kann die Queen solche Abläufe nicht wesentlich beeinflussen. Verträge, die sie unterzeichnet, werden von Fachleuten und Ausschüssen vorgeschlagen und müssen im Parlament ratifiziert werden. Man spricht über Garan-tien für die heimischen Produzenten, die nach England liefern wollen, man spricht über Investitionen der britischen Seite. Das Gespräch streift Margret Thatcher, mit der die Queen zwar gewisse konventionelle Grundüberzeugungen teilt; aber sie mag die kleinbürgerliche, ehrgeizige und mit Ellenbogen arbeitende Politikerin nicht, die noch dazu die Auslandsreisen der Queen als überflüssig abtut und nur unwillig abzeichnet. Die Audienzen mit ihr sind eine Qual. Möglicherweise jetzt, in einem unkonzentrierten Moment, hört Elizabeth wieder die Liedzeile von Yellow Submarine. Als das Gespräch auf den Zimtexport kommt, und gefragt wird, ob sie die Betriebsstätte des weltgrößten Zimtexporteurs in Negombo besichtigen wolle, antwortet sie: „Eine Königin lebt wie eingemauert in einem System von Zeremoniell und Etikette, eingesponnen in ein Netz von Gebräuchen und Verboten, deren Absicht keineswegs dahin geht, ihre Würde zu erhöhen, noch weniger ihr Wohlbehagen zu steigern....“ Die müden Ventilatoren vertreiben die schwüle Hitze. Elizabeth blickt in die frostigen Maskengesichter der Honoratioren und lässt sich nicht entmutigen. „In der Tat bin ich außeror-dentlich eingebunden in ein straffes zeitliches Korsett, meist jage ich von einem offiziellen Termin zum anderen und würde doch gerne länger in Ihrem paradiesischen Land verweilen. Am Samstag Nachmittag lässt mir das Protokoll etwas Zeit. Ich habe mich spon-tan entschieden, in Negombo schwimmen zu gehen.“
Dieser verständliche Impuls erzeugte, damals am 21. Oktober 1981 um 20 Uhr 42, keinen Widerspruch, im Gegenteil, man lobte die Spontaneität der Königin und einigte sich darauf, dass der Prinzgemahl (hier bin ich froh, die Nebenfigur endlich loszuwerden) den Termin beim Zimthändler übernehmen würde. Kevin Knott, der Chef des Protokolls, schaute besorgt zum Pressechef, der hinter der spanischen Wand lauerte; Michael Scatchard nickte, streckte die Hände von sich, was beruhigend gemeint war, und soviel hieß wie: wir werden das Kind schon schaukeln. Kurz darauf sah man ihn mit dem singhalesischen Regierungssprecher plaudern. Eine erste Presseerklärung war in Arbeit, welche betonte, wie aufregend die Eskapaden der Queen seien, und dass ihr der mitreisende Arzt zum Schwimmen im Indischen Ozean geraten habe. Die Gesellschaft erhob sich, man lief auf die Terrasse und genoss die Aussicht aufs Meer, während der Regierungssprecher dem Präsidenten etwas zuflüsterte. In der Nähe ein paar Pagen, Tabletts mit Drinks schleppend, und nicht weit davon Elizabeth, allein unter all den blasierten und eitlen Männern; oft genug wurde sie überhaupt nicht als Frau wahrgenommen, schließlich war sie eine Institution wie das Parlament oder das Gericht. Sie blickte in die weiche, von Hitze durchsetzte Nacht und das Tosen der Wogen erschien ihr wie eine von fern heranrollende Sehnsucht.
Ein fetter Vollmond erklomm den Abendhimmel, als sich Jayawardene auf einer Ottomane aus geschnitztem Tamarindenholz niederließ und den Ministerpräsidenten heranwinkte.
„Wo wäre denn der beste Strand in Negombo?“
„Im Norden ist ein öliger Hafen mit unschönen Wellenbrechern. Im Süden hat man die Aussicht auf das Fort. Dort ist der Strand mit Seetang bedeckt.“
„Dann lassen Sie ihn morgen reinigen.“
„Habe ich bereits angeordnet, Sir. Das Ministerium für Tourismus wird mit der Inneren Sicherheit kooperieren.“
„Gut. Denken Sie daran, dass es in Colombo keine Stromausfälle geben darf. Auch nicht in Mount Lavinia. Sperren Sie Panadura und Wadduwa.“
Was nun das weitere Programm angeht, bist du, lieber Leser, sicher gespannter als die Queen, die am nächsten Morgen nach Kandy gefahren wird. Wieder ein Triumphzug durch eine mit Menschen gefüllte Straße. In Berichten (ich zitiere aus einem Buch von Ann Marrow) hört sich das folgendermaßen an: “The welcome was tinged with bygone splendor and thousands huddled for days and nigths in monsoon rain under their black umbrellas to see her car as she drove through the forest up to Kandy, escorted by trumpeters in orange robes and musician with conch shells.“ ´
Ziemlich britisch klingt das, oder, Hand aufs Herz, ganz schön bescheuert. Wer würde heute noch Tage und Nächte im Regen verbringen, um zu sehen, wie die englische Königin in einem alten Morris oder Austin vorbeifährt? Hätten Sie, der Sie immerhin diese Geschichte bis hierher gelesen haben, Vergnügen daran, oder gibt es wichtigere Dingen in Ihrem Leben, Pflichten, dringende Erledigungen und Verantwortung gegenüber ihrer Familie? An dieser Stelle, muss ich, der ich bisher tapfer durchgehalten habe, leider abbrechen; ich bringe ehrlich gesagt den Enthusiasmus nicht auf, weiter zu erzählen. Ohnehin hat für mich die Episode schon beim Dinner an Tempo und Farbe verloren; heikel wurde sie bei der Figur des Präsidenten und seiner korrupten Helfer; mich beschlich das Gefühl, dass die Monarchie keine Zukunft hat – sie ist überflüssig wie ein Kropf. Ist es nicht ein schlechtes Zeichen, wenn man als Autor nicht an die Fiktion glaubt, die man zu kreieren im Begriff ist? Das passiert mir gelegentlich, und es wäre jetzt völlig falsch, nicht auf das Bauchgefühl zu hören, das mich immer wieder davor bewahrt, blindlings in eine Sackgasse zu laufen. Ich frage Sie als Leser, was für einen Sinn hat es, in Anbetracht des überbordenden Büchermarktes, Szenen auszuschmücken, die ins letzte oder vorletzte Jahrhundert gehören und bessere Autoren bis zum Überdruss beschrieben haben? Derartige Bilder findet man sogar in Fantasyfilmen – sie werden von Computern generiert und sind, literarisch betrachtet, nur die Fortsetzung der Klatsch- und Tratschgeschichten über Königshäuser. Immer geht es um Luxus und Skandale, man schildert extravagante Kleider, ein nobles Bankett, exotische Ausflüge; so etwas ist billiges Daumenkino. Sicher haben Sie den Ipad zur Hand, Sie hören Yellow Submarine oder recherchieren, ob die von mir gelieferten Fakten stimmen. Daher ist es nicht tragisch, wenn ich Ihnen einige Internetadressen nenne, mit denen Sie sich den weiteren Verlauf erarbeiten können. Sie besitzen die technischen Mittel, eine Powerpoint-Präsentation zu jedem beliebigen Thema zu erstellen und sind es auch nicht anders gewöhnt. Informieren Sie sich unter www.strandsäuberung.de wie es ist, Tausende von stinkenden Ölklümpchen aufzulesen, stellen Sie sich vor, in Kettenformation über den Strand zu gehen, mit Müllbeuteln ausgerüstet, und den Dreck aufzulesen, Bierflaschen, Kokosnussschalen, Styropurverpackungen, Bastmatten und ekelhafte Fischabfälle, Reste von Mahlzeiten und Feuerstellen, Baumaterialien wie Eisenstangen und Zement, aber auch Plastikplanen, Zeitungsteile oder von Algen überwucherte Badelatschen. Suchen Sie unter www.naturschutz.com/negombo! Ein zerbrochenes Boot, das mit einer Spitze aus dem Sand ragt und mit stinkendem Ballast gefüllt ist, muss beseitigt werden - ganz zu schweigen von dem Unrat, der vor dem Strand im Wasser liegt! In unserem Fall besorgen es Taucher der Armee, schwimmendes Plastik und Korkteile einzusammeln, zudem finden sich Ankerbojen, Ölkanister und elektrische Geräte. Wollen Sie wirklich erfahren, wie es weitergeht? Noch haben Sie die Wahl – Sie können das Buch zusammen klappen und die Erzählung "Queen Elizabeth geht schwimmen" in den Schrank stellen zu den ledergebundenen Goethe-Ausgaben und der Glocke von Schiller. Sie können natürlich auch die unappetitlichen Seiten herausreißen aus dem ansonsten einwandfrei gedruckten Buch, oder mit einem Filzstift einzelne Sätze schwärzen, die Ihnen nicht behagen. Andererseits, das räume ich ein, existieren Schauplätze der 80er Jahre nicht im Internet; wir leben in einer Übergangszeit, in der Literatur angemessen ist als Hilfestellung für Leute höheren Alters. Aber ich skizziere nur - bilden Sie sich nichts ein! Die folgende Szene gibt es lediglich in Schwarz-Weiß: Queen Elizabeth auf einem Elefanten, umringt von Figuren mit schwarzen Regenschirmen. Die Gesichter werden nicht ausgeführt, die Schirme sind schwarz schraffiert; Palmen werden mit Strichen angedeutet. Davor, in einem Jeep der Armee, hockt der Präsident; ein Helfer, der mit Regierungsgeschäften betraut ist, beugt sich geflissentlich zu ihm in die Chassis und übertönt Trompeten und Muschelhörner.
„Beim Säubern des Strandes wurden mehrere Abfallrohre aufgerissen, sie haben den Küstenabschnitt mit Jauche überschwemmt. Wir brauchen schweres Baugerät, Sir!“
„Was soll der Unfug“, wundert sich Jajawardene. „Wollen Sie mit Kanonen auf Spatzen schießen?“
Das Verantwortliche wirkt bekümmert, er lächelt und schaut verlegen auf seine Hände.
„Nun ja, es gibt einen Bagger. Den besitzt die Armee. Der Bagger funktioniert auch. Aber er wird in Kurunegalla eingesetzt, 50 Kilometer von Negombo entfernt. Auf der Straße sind das zwei Tagesreisen.“
„Was ist mit der Bahn?“
„Die Küste ist überflutet; leider auch das Gleisbett. Ich sehe da nur eine Möglichkeit...“
„Die wäre?“
„Der andere Bagger, Sir. Sie wissen, er wird an der zweiten Bahn-linie eingesetzt – zum Bau Ihrer Villa und des neuen Bahnhofes...“
„Und?“ fragt der Staatschef aufbrausend.
„Den könnten wir innerhalb von sechs Stunden...“
„Machen Sie’s. Unverzüglich! Und wenn Sie schon dabei sind, räumen Sie die Elendshütten gleich mit ab. Die Fischer haben sie ohne Genehmigung gebaut.“
Der Helfer, der an der Harvard Business School studiert hat, wirkt erleichtert und läuft zum Telefon. Soweit die Skizze; ich denke, Sie können sich den Ausflug nach Kandy und die Parallelwelt an der Küste denken und leite über zu den historisch konkreten Ereignissen.
Es war der dritte Tag. Morgen würde Elizabeth abreisen, und so wollte sie die Begegnungen in Sri Lanka bewusster wahrnehmen, das Licht, das Klima, die Landschaften intensiver genießen. Vor allem freute sie sich auf das Bad im Indischen Meer, das sie sich so wacker vom Protokollchef erstritten hatte. Beim Frühstück erinnerte sie Kevin an ihr Vorhaben, unbedingt schwimmen zu wollen. Ihr Privatsekretär Jack Lambert versprach, alles für ihren Aufenthalt am Strand vorzubereiten, und fuhr, ein Zelt im Gepäck, mit Prinz Phillip und der ersten Kolonne voraus. Elizabeth hatte sich ihrer drückenden Schuhe entledigt, lief barfuss aus ihrer Suite und wies die Zofen an, sie sommerlich und verführerisch zu kleiden. Man stelle sich vor: Ein federleichtes Tageskleid aus Seide mit grün-orangem Blumenmuster, tailliert geschnitten. Den grünen Hut aus fein geflochtenem Stroh, dicht besetzt mit Blumen, ziert ein Band, das den Kleiderstoff aufgreift - ein Entwurf von Simone Mirman, die übrigens auch die beim Pferderennen in Ascot getragenen Kreationen entwickelte. Um den Hals ein leuchtend grünes Smaragdhalsband. Elizabeth wollte nicht nur schwimmen, sondern auch Muscheln auflesen... und vielleicht würde sie sogar Delfine beobachten! Vor dem Hotel wartete die Nobelkarosse, welche die Regierung kurz vorher importiert hatte; der Geruch von Lack und Leder betäubte Elizabeth, als sie im Polster versank. Die Eskorte bestand aus sechs Polizisten und zwei schwarze Limousinen. Da sie ausdrücklich auf einen privaten Ausflug bestand, wurde sie, abgesehen von den Leibwächtern, nur vom Butler begleitet, der das Gepäck verstaute, und neben dem Fahrer Platz nahm. Durch die Scheibe erkannte sie, dass die Männer miteinander sprachen und der Ceylonese auf die Schönheiten der Hauptstadt hinwies, er nannte die Größe und Anzahl der Parks, zeigte auf Monumente o-der beschrieb Stadtteile. Wo die Brücke über die Eisenbahntrasse nach Kandy führte, stand ein Soldat, der mit großer Lässigkeit eine Maschinenpistole trug und fröhlich lächelte, als die Lady passierte. Der Konvoi erreichte die Küstenstraße; dennoch konnte Elizabeth nur selten einen Blick auf das Meer erhaschen. In letzter Zeit über-kamen sie Anfälle von Solipsismus. Das klang wie eine Krankheit; es war ein körperliches Unbehagen darüber, dass die Welt möglicherweise nur in ihrem Kopf existierte und die Queen mit ihren Projektionen alleine war. Über eine Flusslandschaft ging es in ein unscheinbares und zersiedeltes Städtchen. Hier endete die Reihe der Strommasten, vom letzten Mast hingen, wie der Schriftsteller Wolfgang Herrendorf sagen würde, die Kabel runter wie frischgewaschenes Haar. Im Zentrum erkannte man Cafes, Restaurants und Souvenirläden. Sie bogen nach links, passierten eine Kirche im portugiesischen Stil und einen Friedhof. Dahinter erstreckte sich eine Freifläche voller Menschen. Elizabeth klopfte an die Innenscheibe, und öffnete die eingelassene Luke. „Was ist hier los?“
„Es hat sich herumgesprochen, dass Euer Majestät einen Ausflug macht“, meinte der Butler. „Beunruhigen Sie sich nicht, Milady, wir haben alles unter Kontrolle.“
Die Wagen rollten aus, und die Polizei schirmte das Gelände ab. Gottseidank war nirgends ein roter Teppich. Ein einziges Haus entdeckte sie – die Fenster mit Kistenholz vernagelt. Davor stand ein Fischer, der sich bei einem Polizisten beschwerte. Er hatte ein altes Gesicht, staubgrau; scharfe, schwärzliche Falten liefen über seinen Hals; seine Oberlippe war geschwollen. Am Fuß trug er Sandalen, die aus alten Autoreifen geschnitten waren. Die Queen ging auf den lehmigen Platz hinaus. Neben den Rolls Royce drängten sich sogleich barfüssige Kinder. Sie beobachteten Elizabeth mit unerträglicher Aufmerksamkeit. Schließlich strich sie zwei von ihnen über den Kopf, sehr zum Missfallen der Leibwächter, und da die Fischermädchen kein Englisch verstanden und das Gespräch ins Leere ging, wusste sie nicht, wie sie die Situation meistern sollte. Der alte Flechter brachte in diesem Augenblick die Reisetasche mit den Gastgeschenken, die er stets mitführte, und Elizabeth verteilte daraus ein paar Kugelschreiber, gerahmte Portraitfotos, Kämme, Bürsten und Puderdosen. Als die armseligen Mädchen an der Reihe waren, legte sie silberne Manschettenknöpfe dazu mit der Aufforderung, sie ihrem randalierenden Vater zu bringen. Nun kam Kevin Knott und geleitete sie zum Strand.
„Die Fischer waren damit einverstanden, den Fischmarkt auszusetzen, damit Sie nicht durch Gestank belästigt werden.“
„Danke, Kevin.“
Der Protokollchef schaute besorgt auf den Himmel, der sich gerade bewölkte; der gesamte Aufenthalt, an dem er mit seinem Stab arbeitete, schien durch den Einfall der Königin gefährdet. Knott musste versuchen, diesen verrückten Nachmittag über die Runden zu bringen.
„Dort im Zelt finden Sie die ausgewählte Badekleidung und Erfrischungsgetränke.“
Am Strand neben der Lagune erkennst du, verehrter Leser, die Ruinen des holländischen Forts mit einem wunderbaren Tor, auf dem die Jahreszahl steht. Seit zweihundert Jahren wurde die Fes-tung als Gefängnis verwendet; die Frage nach Recht und Unrecht stellen wir als Voyeure besser nicht. In der Lagune versammeln sich die Auslegerboote. Neben einem Gewirr aus Masten, Netzen und Takellagen harren die Fischer vor den Absperrgittern. Einige von ihnen haben über Nacht ihre Hütten verloren. Dank des enor-men Aufgebotes an Sicherheitskräften wagt es niemand, aufzumucken, und so verzichten wir auf eine Erörterung. Nur der Querulant, der die Manschettenknöpfe erhalten hat, mault und beschwert sich; er verschwindet in einer Welle von Neugierigen, die sich vor die Absperrungen drängen. Darunter die Verkäufer von Kokosnüssen, Teigfladen, Erfrischungsgetränken, Luftballons und Plastik-spielzeug - sie hoffen auf ein Zusatzgeschäft und schreien sich die Seele aus dem Leib. Selbst buddhistische Mönche sind mit ihren Sonnenschirmen vom Angurukaramulla-Tempel gekommen. Alle erwarten sie - nicht anders als du, lieber Leser, der du so viel Zeit investiert hast und dir die Beine in den Bauch stehst - eine Sensation.
Die Wolken lassen jetzt rechts oben zwei Löcher sehen, die wie Katzenaugen gehässig funkeln. Links das Triumvirat Michael Scatchard, Kevin Knott und Privatsekretär Jack Lambert, das mit scharfem Profil himmelwärts schaut als sei dies Teil einer einstudierten Choreographie. Vor den Absperrungen das Volk: Blau-weiß gekleidete Schüler, Touristen in Shorts und Badekleidung, Tuchverkäufer, Rikschafahrer, die ihrer Küche abtrünnigen Köche, die ihre Gäste vergessenden Kellner und die Gäste selbst. Alle jubeln, als sich Elizabeth, für die kleineren Zuschauer kaum erkennbar, auf Badetuch und Badekissen niederlässt. Es ist fast wie in alter Zeit, wo man den Herrschern eine Art religiöse Verehrung ent-gegen brachte und ihnen Zauberkräfte zubilligte. Elizabeth I hatte sich dieses Aberglaubens bedient. Tausende, die an ihre Schutz- und Heilwirkung glaubten, sollen tatsächlich geheilt worden sein. Elizabeth II, in ein fortschrittliches Jahrhundert hineingeboren, verzichtet auf religiöse Gesten, auf Segnungen und Handauflegen. Sie sitzt erhöht auf einem Kissen und überlegt. Pfeifend und ratternd jagt das kleine Kolonialbähnchen hinter ihr durch die Bananenstauden, ein Ereignis, das in Negombo niemand zur Kenntnis nimmt. Auch die Queen bewegt ihren Kopf keinen Zentimeter.
Die Wolken, das eingefrorene Bild der am Boden sitzenden Königin, das feinsäuberlich durch Sperrgitter abgetrennte Volk, all diese Zeichen vereinigen sich für dich, lieber Leser, zu der Ahnung, dass es keine große Aktion geben wird an diesem Strand, an dem du dich selber schon siehst als Tourist, wenn nicht in diesem, dann doch im nächsten Jahr, in dem du die Schauplätze des royalen Aufenthaltes besuchen willst, das Galle Face Hotel, das niederländische Fort, die Lagune mit den Auslegekanus, den Fischmarkt und nicht zuletzt den Strand, auf dem die Königin gesessen hat, du wolltest schon zu einem Reisebüro gehen, dir einen Prospekt besorgen und prüfen, ob es in Negombo vielleicht günstige Übernachtungsmöglichkeiten gibt, ein schickes und neugebautes Hotel der 5-Sterne-Klasse, damit du einmal selbst an einem gereinigten Strand sitzen könntest wie Queen Elizabeth, doch jetzt verharrst du, wie alle anderen und bist gespannt, ob sich noch etwas ereignen wird.
In diesem historischen Moment hatte sich am Himmel einheitliches Grau durchgesetzt, was an der Westküste selten ist, vor allem bei dem im Herbst herrschenden Nordostmonsun. Am Zenit konnte man ein paar Wölkchen unterscheiden, die sich staffelten wie ein Flugdrachen mit dreifach gepuscheltem Schwanz. Alles was man hörte, war das heisere Krächzen der Krähen; einige Mitglieder des Magistrates bedauerten, niemand dazu abgestellt zu haben, die freche, auf dem Strand herumhüpfende Brut mit Stecken zu vertreiben; andere meinten jedoch, das hätte die feine englische Dame im Zentrum gewiss irritiert. Nun keiften einige Hunde hinter den Absperrungen, aber das störte niemand; so sehr war man freilaufende Tiere gewöhnt. Eine ganze Weile saß die Queen auf dem Diwan, vor sich den makellosen, weitflächig geräumten Strand. Elizabeth trug einen dezent geblümten swimming suite, ein Einzelstück, das ihr Londoner Schneider Hardy Amies für sie persönlich gefertigt hatte; sie hielt den Blick auf das Meer gerichtet, auf dem Kopf die Hutkreation von Simone Mirman, das royale Handtäschchen neben sich. Der Protokollchef und der Butler befanden sich in Rufweite, und weil sich Elizabeth die Presse verbeten hatte, waren Journalisten vom Strand verbannt. Keine Frage, Fotografen hatten sich rund um das Areal postiert, sie lauerten auf Balkonen, Bäumen oder Dächern, und nur die im Tross der Königin befindlichen Fotografen entsprachen dem offiziellen Wunsch und traten freiwillig hinter die Absperrungen der singhalesischen Polizei. Dort pöbelte noch der alte Mann, der in seinem verschmutzten Sarong kein gutes Motiv abgab – möglicherweise ein Vedda, wie man hier die Ureinwohner nennt. Ein Zivilfahrzeug fuhr vor, zwei unauffällig gekleidete Herren bugsierten den Störenfried auf die Rückbank. Sie würden den Fast-Zahnlosen und nun bald Ganz-Zahnlosen an der großen Müll-kippe absetzen, unter Tritten und Schlägen, verärgert, weil er ihnen das Schauspiel vermiest hatte. Die Queen aber wendete nicht einmal den Kopf, als man den schreienden Mann abtransportierte, und nur ihr Strohhut blieb aus der Entfernung sichtbar. Was mochte ihr durch den Kopf gehen, als sie auf dem Strand saß und unbewegt aufs Meer blickte? Kevin Knott schaute zu Michael Scatchard, der nickte, dann schwenkte er die Hand. Es war das verabredete Zeichen für Pram und Ramesh, zwei Helfer der Regierung. Sie liefen hinüber zur Armada der blau-weiß gestreiften Boote, die Big Fish hießen, Sea Breeze oder Tenusha Hirushan. Netze, Takellage, Mannschaft - alles war vorbereitet. Ein Auslegerboot, frisch gestrichen, stach in See und querte das Bild, das sich der englischen Monarchin bot, von rechts nach links. Die Apparate der Fotografen klickten, die internationale Presse würde zufrieden sein; also auch der Premierminister mit dem Industrieminister und Großbritannien mit Sri Lanka. Mehr gibt es nicht zu berichten, denn sonst geschah - nichts. Einer Statue gleich, und dazu eine Studie über die Unfreiheit der Königin, über den Zwang der ihr zugemessenen Rolle, rührte sie sich nicht von der Stelle. Hatte sie vergessen, dass sie schwimmen gehen wollte? Hoffte sie, dass ein gelbes U-Boot auf-tauchte, und sie in ein anderes Leben mitnahm? Für manche Kommentatoren verkörperte die Queen mehr als zuvor den eiser-nen Willen des Empire, sich nicht vom Kurs abbringen zu lassen, und den Grundsatz der Windsor, sich gegen die Masse zu behaup-ten. Auf was wartete sie, als sie auf die Wellen starrte, die sich vor ihr brachen und mit gekräuselter Schaumkrone auf sie zuliefen? Eine Viertelstunde verstrich. Zwanzig Minuten. Enttäuschung machte sich breit. Elizabeth saß auf dem samtenen Kissen, die Beine angewinkelt, und rührte sich nicht. Fünfundzwanzig Minuten. Unwillkürlich hielten die Zuschauer den Atem an. Auch der Protokollchef hatte das Ungewöhnliche der Situation erkannt, wusste aber keinen Rat. Lambert wirkte verunsichert. Scatchard formulierte bereits eine Presseerklärung, dass die Queen eine leichte Erkältung habe durch den gestrigen Monsunregen. Jeder spürte, dass ein Eklat drohte und Elizabeth nahe daran war, die Fassung zu verlieren – trotz der immensen Selbstkontrolle, die man ihr als Kind beigebracht hatte. Der eigentliche Held dieser prekären Geschichte ist deshalb der alte Fletcher. Ohne den Butler, die Ikone der britischen Leitkultur, wäre es an diesem Nachmittag nicht wei-ter gegangen. Willibald Fletcher brachte in selbstverständlichem Diensteifer ein klappbares Tischchen. Schräg hinter der Monarchin stellte er es auf, dazu einen Campingstuhl. Punkt 17 Uhr servierte er Tee in einer weißen Porzellankanne. Die Queen erhob sich, als ob sie nie an etwas anderes gedacht hätte und setzte sich so würdevoll nieder als sei sie im Buckingham Palace. Ein Raunen lief durchs Publikum. Am nächsten Tag würden die Gazetten berichten, dass Elizabeth II den einheimischen Tee überaus schätzte, besonders Orange Pekoe Broken aus Nuwara Eliya. Zwei Tassen ha-be sie getrunken, den Blick auf den Indischen Ozean gerichtet. Nicht einmal der Butler wusste, dass sie sich bei ihrem extravaganten Ausflug einen Sandfloh eingefangen hatte, der sie nachts ganz furchtbar in den Hintern piekste.

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Tag der Veröffentlichung: 01.08.2011

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