Es ist der 20.März 1990. Ich sitze am Flughafen München Riem in meinem Taxi und warte auf Kundschaft. Hier stehe ich besonders gern. Es gibt mir das Gefühl der großen weiten Welt nahe zu sein. Mit jedem Gast weht ein Hauch davon in mein Taxi.
Und da kommt die große weite Welt auch schon, aber nicht geweht, sondern eher hereingewalzt – in Form einer eindeutig amerikanischen Vorstadtfamily, Mum, Dad und zwei Teenies, Sohn und Tochter.
Dad in Shorts, Mum mit großem gelben Strohhut und Sonnenbrille. Bunt gemustert die Kleidung, grell geschminkt die Gesichter – natürlich Kaugummis – laut - heftig winkend nach einem Taxi – nach mir.
Okay, denke ich Amerikaner machen Europa in acht Tagen. Da muss ich durch. So wie die angezogen sind kommen die sicher aus Rom. Dort ist es um diese Zeit doch etwas wärmer als bei uns.
Sind die echt? Vorsichtig schaue ich mich nach einer versteckten Kamera um. Wir sind in München, hier ist alles möglich.
Ich fahre meine Amerikaner ins Hilton. Ist eine schöne Fahrt vom Flughafen aus - schön im Sinne von: bringt mir gutes Geld.
Dort angekommen, werde ich gleich für den Nachmittag wieder bestellt. Sie wollen eine Stadtrundfahrt machen, mit dem Taxi - mit mir.
Um 15:00 Uhr hole ich sie also wieder ab. Die Filmkamera ist an. Ich muss mich vors Taxi stellen. Dad filmt und spricht leise in die Kamera.
- This is Uricke our taxidriver.
Verstohlen schaue ich mich um, vielleicht hält Dad ja die „versteckte Kamera“ in der Hand?
Ich habe eine Strecke herausgesucht, bei der alle Sehenswürdigkeiten die München zu bieten hat, angefahren werden, aber auch Plätze, die nicht zu den Touristenattraktionen gehören, sondern eher Geheimtipps sind.
Aber meine Amis haben ihre eigenen Vorstellungen. Europa in acht Tagen, das bedeutet für München: Marienplatz – Hofbräuhaus - Olympiapark- englischer Garten – Bavaria.
Ich fahre die Plätze an. Mum und Dad steigen aus, stellen sich vors Taxi . Dad filmt und spricht wieder leise in das Mikro. Sohn und Tochter werden aus dem Auto gezerrt und gefilmt. Smile, perlweiße Zähne, cheese. Und dann zur nächsten Sehenswürdigkeit. Keinen Schritt zu viel laufen. Möglichst direkt bei dem Objekt der Begierde parken.
Im Auto klirren mir die Ohren von dem ewigen “how lovely, oh look my dear, it´s so lovely”.
Wieder beschleicht mich dieses Gefühl, in irgendeine „Versteckte – Kamera“ - Falle zu tappen.
Wahrscheinlich hält gleich ein Auto, Frank Elsner springt raus und fragt : „ Verstehen Sie Spaß?“
Aber nein, das Auto vor mir wird nur langsamer, weil der Fahrer abbiegen will.
Dad verblüfft mich, indem er mir erklärt, dass wir jetzt nach Dachau fahren.
Habe ich meinen Amis Unrecht getan? Sie sind also doch nicht so oberflächlich, wie ich erst einmal vermutet hatte.
Unterwegs nach Dachau erzähle ich ihnen, dass wir durch den Stadtteil fahren, indem ich wohne. Sie sind begeistert. Wollen meine Haus unbedingt sehen.
Ich muss austeigen und werde gefilmt. Dad murmelt leise :
- This is the house of Uricke, our Taxidriver.
In Dachau angekommen, weise ich sie auf die beeindruckende Fotoausstellung hin. Sie winken ab.
- No time. Where are the stoves?
Wo sind die Öfen – ich fasse es nicht. Sie rennen zu den Verbrennungsöfen Dad packt die Kamera aus, Mum und die Kids postieren sich davor, smilen in die Kamera. Ich soll mich dazu stellen. Entsetzt winke ich ab und flüchte in mein Taxi. Ein paar Minuten später kommt meine Family zurück. Wir fahren ins Hilton. Die vier reden schon über den nächsten Trip. Morgen steht London auf dem Plan.
- Hyde-Park- Buckingham Palace- Trafalgar Square – Tower.
Am Hilton angekommen, werde ich geherzt und geküsst. Mum, ich traue meinen Augen nicht, hat Tränen in den Augen. Auch Dad wischt sich verstohlen ein Tränchen weg.
Nachdem ich ihnen fest versprochen habe sie zu besuchen, wenn ich mal in – ich schaue auf die Visitenkarte - Dallas!! bin, ziehen sie von dannen.
Ich halte die Visitenkarte in meiner Hand, lehne an meinem Taxi und warte auf Frank Elsner.
Er kommt nicht.
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2009
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