Die Drachen, das Chaos & ich 5
Copyright Text © J.N. Taylor 2022
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Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.
Zum Inhalt:
Lügen, Intrigen, seltsame Schattenwesen. In der Welt der Drachen hat man es nicht immer leicht. Das gilt vor allem für mich, denn man hat mir übel mitgespielt.
Man hat mich zu Unrecht des versuchten Mordes bezichtigt, mich in den tiefsten Kerker gesperrt und wollte mich dort vergessen, doch so läuft das nicht!
Ich lasse mich nicht so einfach verleumden und ganz sicher werde ich mich auch nicht meiner Familie berauben lassen, die mir mehr als alles andere bedeutet. Ich werde für sie und meine Rechte kämpfen ... und wenn es das Letzte ist, was ich tue.
Zu meinem Glück bekomme ich unverhofft Hilfe, jedoch stellt sich mir bei meinen zwei neuen Freunden schnell die Frage, was sie wirklich im Schilde führen. Sind es tatsächlich Freunde oder doch eher Feinde?
Lasst es uns gemeinsam herausfinden ...
Ich weiß nicht, wie oft ich schon die Ziegel der Gefängnismauern gezählt habe, aber ich bin es langsam leid, auf dieses düstere Mauerwerk zu starren. Warum hält man mich hier fest? Warum spricht man nicht mit mir?
Ich habe verstanden, dass der Drachenrat mich für etwas anklagt, aber was zum Teufel soll ich verbrochen haben? Die Vollstrecker sind einfach in mein Haus gestürmt und haben mich mitgenommen. Kein Wort fiel, bevor sie mich hier eingesperrt haben und danach wurde mir auch nur gesagt, dass ich mit meinen Fragen bis zur Anhörung warten soll.
Doch wann soll die sein? Ich habe mein Zeitgefühl verloren und kann nicht sagen, ob ich nun erst Stunden, Tage oder Wochen hier verbracht habe. Es gibt kein Fenster und der Gang vor den Gitterstäben wird nur durch zwei magische Fackeln erhellt.
Wütend schlage ich gegen die Gitterstäbe, die sofort in einem hellgrünen Licht aufleuchten. Sie sind magisch verstärkt, genauso wie die Wände um mich herum. Wenn der Rat beschließen sollte, mich hier zu vergessen, dann werde ich nichts dagegen tun können.
Scheiße, ich will nicht in solch einem Grab enden.
Frustriert lasse ich mich zurück auf meine Pritsche fallen. In der Ecke steht ein Eimer mit Wasser, das ab und zu gewechselt wird und hinter einem Vorhang befindet sich ein Klo, aber mehr Luxus gesteht man mir nicht zu. Ich wusste schon, warum ich erst nach dem Mittelalter auf die Welt kommen wollte.
Ich lasse den Kopf hängen. Wie es Juli und Nathan wohl geht? Hat Juli es geschafft, über Remys Verschwinden hinwegzukommen und Thades Feuer anzunehmen? Oh, ich bete dafür, ansonsten müsste der Junge inzwischen tot sein und ... Nein, darüber will ich nicht näher nachdenken.
Hoffentlich kommt Remy bald. Er kennt genug Mitglieder vom Rat und müsste doch längst erfahren haben, dass ich hier drin bin. Er muss kommen und mich befreien oder mir wenigstens meine Fragen beantworten, damit ich weiß, wogegen ich mich wehren muss. Er muss ...
»Niemand wird kommen und dich befreien.«
Als ich die tiefe Stimme höre, ruckt mein Kopf sofort Richtung Gitterstäbe. Ein dunkelgekleideter Mann steht dort und schenkt mir einen mitleidigen Blick. Er riecht nach Schwarzdrache, kommt mir aber nicht bekannt vor.
»Wer bist du?«
»Ein Freund.«
Ich schnaube abschätzig. »Es scheint eher so, als hätte ich all meine Freunde verloren.«
Der Mann nickt bestätigend. »Damit hast du wohl recht, aber ist das verwunderlich? Schließlich möchte niemand etwas mit einem Drachen zu tun haben, der versucht, den Gefährten seines eigenen Bruders zu ermorden.«
»Was!?«
Voller Wut springe ich auf die Füße und bin nach zwei langen Schritten bei diesem unverschämten Kerl angekommen. Ich kralle meine Hände in die Stäbe und ignoriere das schmerzhafte Kribbeln, das dabei meine Haut durchströmt. »Wiederhol das!«, zische ich.
»Deswegen sitzt du hier drin, Con«, gibt der Fremde ruhig zurück. »Du sollst Julian auf magische Weise vergiftet haben, um deinen Bruder damit aus seinem Versteck zu locken. Der Junge ist dabei fast gestorben.«
»Das ist doch lächerlich!«, fauche ich aufgebracht. »Ich würde doch nie ...«
»Das weiß ich«, fällt mir der Drache ins Wort. »Ich bin auch nicht hier, um dich deshalb zu verurteilen. Das wird übrigens niemand tun, weil deine Anhörung bis auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.«
Ich kann es nicht fassen. »Was? Ich werde solch eines Vergehens angeklagt und darf mich nicht mal rechtfertigen? Wer ist dafür verantwortlich? Ich will ihn sprechen und ...«
»Nun beruhig dich mal«, werde ich erneut unterbrochen. »Malik hat nicht vor, dich hier ewig versauern zu lassen, aber er kann dich auch nicht freilassen. Er steckt da in einer kleinen Zwickmühle, die er leider selbst zu verantworten hat.«
»Malik steckt dahinter?«
In meinem Kopf rast es. Was habe ich getan, um den Zorn des Schwarzdrachenanführers auf mich zu ziehen? Sind wir an meinem Geburtstag nicht noch als Freunde auseinandergegangen? Ich verstehe es einfach nicht.
»Es ist nichts Persönliches«, antwortet mein Gegenüber auf meine unausgesprochene Frage. »Sagen wir einfach, er brauchte einen Sündenbock und du warst nun mal das perfekte Ziel.«
»Dann hat er Julian vergiftet?«
»Sieht wohl so aus.«
»Aber warum? Und wie geht es Julian? Lebt er noch?«
Der Mann lächelt müde. »Julian geht es gut und die Vergiftung wurde aufgehoben. Er war nie das Ziel, sondern nur ein Köder. Du kannst es als die verzweifelte Tat eines Mannes bezeichnen, der keinen anderen Ausweg sah, um seinen Clan zu beschützen.«
Ich schüttle meinen Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
»Musst du auch nicht.«
Ich sehe ihn resigniert an. »Und nun? Hat dich dein Herr geschickt, um mich zu beseitigen?«
Das Gesicht des Drachen verschließt sich. »Er ist nicht mehr mein Herr und nein, ich werde dich nicht töten.«
Die Aussage verwundert mich. Er ist ein Schwarzdrache, also muss er Malik unterstehen, es sei denn ... »Bist du ein Verbannter?«
»Vielleicht«, murmelt er leise und wendet den Blick ab. »In jedem Fall bin ich aber ein Verräter.« Er zieht einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und hält ihn hoch. »Weil ich dich nämlich hier herausholen werde.«
Hoffnung keimt in mir auf und als er den Schlüssel tatsächlich in das Schloss steckt, kann ich meine Freude nicht mehr verbergen. Meine Mundwinkel wandern nach oben. »Scheint so, als könne ich dich doch einen Freund nennen.«
»Oder du nennst mich einfach Moon«, gibt er zwinkernd zurück und macht eine angedeutete Verbeugung. »Und nun raus hier. Wir haben nur noch zehn Minuten, bevor der nächste Drache seine Runde dreht.«
Ich trete eilig zu ihm auf den Gang hinaus und er legt mir ein Amulett um den Hals. Jetzt erkenne ich auch, dass er ein identisches trägt. »Schutzzauber«, erklärt er auf meinen fragenden Blick hin. »Niemand wird uns damit wittern können.«
Der Mann hat an alles gedacht und so können wir eigentlich verschwinden, doch eine letzte Frage brennt mir dann doch noch auf der Seele. »Warum tust du das für mich? Ich meine, wenn das herauskommt oder sie uns gleich erwischen, dann könnte man dich dafür hinrichten.«
Moon seufzt. »Ich tue das nicht für dich, sondern für einen alten Freund, der blind und orientierungslos geworden ist. Und jetzt los oder ich gehe ohne dich.«
Mein Retter stürmt voran und ich werde den Teufel tun und hier einfach stehen bleiben. »Warte!«, rufe ich ihm hinterher und folge schließlich.
Ich ahne, dass mein Leben von nun an nicht einfach sein wird, aber ich werde für meine Rechte kämpfen ... und für meine Familie, die ich hoffentlich bald wiedersehen werde.
Ich komme mir ziemlich dämlich vor, als Moon meine Augenbinde abnimmt und ich im nächsten Moment auf das hässlichste Haus aller Zeiten starre. Eigentlich ist es noch nicht mal ein Haus, sondern eher ein grauer Betonklotz, in dem man großzügiger Weise ein paar Löcher für Türen und Fenster gehauen hat. Ein Bungalow des Grauens.
»Willkommen in deinem neuen Zuhause.«
»Auf Zeit, oder?«, widerspreche ich schnell. »Bitte sag mir, dass ich nur einen winzig kurzen Moment in diesem übergroßen Sarg verbringen muss und dann endlich wieder zu meiner Familie darf.«
Der Schwarzdrache, dem ich wahrscheinlich mein Leben zu verdanken habe, nickt unbeständig. Warum sieht er unsicher aus? Verdammt, das gefällt mir nicht!
»Wir werden sehen müssen, wie sich die Sache mit Malik und dem Pakt zwischen ihm und Jamie entwickelt. Ist schwer zu sagen, wie lange wir geduldig sein müssen.«
Das ist nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe. Seit mich Moon vor zwei Tagen aus dem Kerker des Drachenrates befreit hat, kann ich nur daran denken, wie ich meinen Namen wieder reinwaschen kann. Die Taten, die Malik, der Anführer der Schwarzdrachen, mir unterstellt hat, sind erstunken und erlogen. Niemals hätte ich Julian, der so etwas wie mein Ziehsohn und zudem der Gefährte meines Bruders Remy ist, etwas angetan. Schon gar nicht versucht, ihn umzubringen. Allein die böswillige Unterstellung schmerzt und ich will, nein, ich muss es richtigstellen.
»Na, komm erst mal rein. Dort drinnen ist es nicht so ungemütlich, wie es von außen aussieht«, versucht Moon mir Mut zu machen und öffnet die Tür, indem er seine Hand daneben auf eine Apparatur legt. Ein Handscanner zum Öffnen des Schlosses? Interessant. Nachdem Moon ein grünes Lämpchen zum Leuchten gebracht hat, wird er von einer elektronischen Stimme dazu aufgefordert, noch den passenden Zahlencode einzugeben, dann dürfen wir endlich eintreten.
Moon wirft mir zuvor jedoch noch einen amüsierten Blick über die Schulter zu. »Tizian liebt diese Spielereien und einfach alles, was mit neumodischer Technik zu tun hat. Ich glaube, dieses Haus ist sicherer als Fort Knox.«
»Muss ich aufpassen, dass ich im Inneren irgendwo auf eine Mine trete?«, gebe ich nur halb im Scherz von mir, denn nervös bin ich nach seiner Aussage schon etwas. Ich bin ein Drache und die versuchen zwar, sich immer der gegebenen Zeit anzupassen, doch seien wir ehrlich, wir lieben es eher ursprünglich und ohne unnötigen Schnickschnack. Ich zumindest.
»Wer weiß?«, murmelt Moon geheimnisvoll und macht es damit auch nicht besser. »Komm jetzt, ich will dir unseren großen Supernerd vorstellen. Du wirst überrascht sein.«
Das bin ich schon jetzt. Moon hat mir nämlich verraten, dass er von diesem Tizian erfahren hat, was sein ehemaliger Anführer angestellt hat. Er war es auch, der ihn dazu angestiftet hat, mich aus dem Gefängnis zu befreien und daher bin ich natürlich doppelt so neugierig auf diesen mysteriösen Mann.
Laut Moon ist Tizian seit einigen Jahren sein engster Verbündeter und hilft ihm dabei, unentdeckt vor anderen Drachen zu bleiben. Es interessiert mich ja brennend, was Moon angestellt hat, um sich überhaupt verstecken zu müssen, aber aus dem Mann ist nichts herauszukriegen, wenn man ihn danach fragt. Ich habe noch nie davon gehört, dass man nach einem abtrünnigen Schwarzdrachen suchen würde, also kann es eigentlich nicht so schlimm sein, aber was weiß ich schon.
Ich folge meinem Retter zögerlich ins Haus und bekomme gleich den nächsten Schock, denn alles, was ich bisher sehen kann, ist weiß. Weiße nackte Wände, weißer Boden, weiße Möbel.
Moon zieht seine Schuhe aus und stellt sie in ein Regalfach direkt neben der Tür und sieht mich auffordernd an. »Tizian ist sehr auf Ordnung bedacht. Keine Schuhe im Wohnraum. Alles hier hat seinen Platz und wenn du etwas benutzt, musst du es auch ordentlich wieder zurückstellen. Das ist eine Macke, mit der man sich erst mal arrangieren muss, aber man gewöhnt sich dran.«
»Ein Reinlichkeitsfanatiker?«, hake ich leise nach und Moon zuckt unbestimmt mit den Schultern.
»Irgendwie schon und irgendwie nicht. In diesem Haus gibt es tausende von Regeln, die er dir lieber selbst erklären soll. Andererseits scheint er aber nicht unbedingt mit Schmutz Probleme zu haben. Manchmal stapelt sich tagelang das dreckige Geschirr, bevor er es in die Spülmaschine räumt. Wenn du allerdings eine Tasse einfach auf dem Tisch stehen lässt, flippt er aus. Er ist kompliziert.«
Scheint mir auch so und ist ein Grund mehr, warum ich hier nicht so lange bleiben möchte. Ich bin zwar auch ein ordentlicher Drache, aber ich möchte auch nicht gleich angeschrien werden, weil ich mal eine Socke auf dem Weg zum Wäschekorb verliere.
Vom Flur aus werde ich nach rechts in eine Küche geführt, die weitere Skurrilitäten bereithält. Natürlich ist auch hier alles weiß, außer die verchromten Elemente wie Herd und Spüle. In den Regalen befinden sich Behälter, die alle ordentlich mit einer Etikettiermaschine beschriftet wurden. In ihren Inneren befinden sich Nudeln, Reis, Mehl, Zucker, Salz und dergleichen. In den Schränken daneben befindet sich weißes Geschirr hinter einer Glastür. Pfannen und Töpfe hat man wahrscheinlich in den unteren Schränken versteckt, damit sie nicht zu viele Farbakzente setzen. Oh Mann, der Kerl scheint wirklich eine Meise zu haben.
Moon zieht einen Vorhang zur Seite, der sich in der Nähe des Kühlschranks befindet und offenbart so das Versteck für die Lebensmittelvorräte. »Wenn du etwas aus den Behältern benutzt, füll es danach bitte wieder auf. Tizian möchte, dass sie immer voll sind.«
»Dann geh ich wohl lieber gleich an die Vorräte. Ist einfacher.«
Moon schmunzelt. »Kannst du versuchen, aber lass dich von Tizian nicht dabei erwischen. Er wirft dir dann diesen bestimmten Blick zu und glaub mir, der hat schon die mächtigsten Drachen in die Knie gezwungen.«
Aha. Will ich noch mehr erfahren? Antwort: Ja! »Stellst du ihn mir jetzt endlich vor?«
»Ja, komm mit.«
Wir gehen wieder in den Flur und folgen von dort diesmal dem Weg nach links. Er führt in ein spartanisch eingerichtetes Wohnzimmer. Sofalandschaft, Tisch, Kommode. Es gibt nicht mal einen Fernseher und selbstverständlich ist hier auch alles weiß und ansonsten kahl. Von Dekorationen wird anscheinend nicht viel gehalten.
Moon deutet auf eine Treppe, die von hier aus ins obere Stockwerk führt. Das ist fast so, wie bei mir Zuhause. »Dort oben befinden sich die Schlafzimmer und zwei Bäder. Das auf der linken Seite gehört allein Tizian. Wir werden uns daher das rechte gemeinsam teilen müssen.«
Damit kann ich leben, daher nicke ich nur, während Moon bereits wieder losmarschiert. Ich folge ihm bis zu einer Tür im hinteren Bereich des Wohnzimmers und er klopft an.
»Herein!«, höre ich gleich darauf eine gedämpfte Männerstimme, die erstaunlich jung klingt. Das irritiert mich und als ich dann in einen schummrig beleuchteten Computerraum geschoben werde, ist die Verwirrung perfekt.
Ein schmächtiger kleiner Teenager sitzt vor seinen fünf Bildschirmen und schafft es kaum, seinen Blick in unsere Richtung zu heben, während er wild auf seiner Tastatur herumtippt. »Moment, bin gleich fertig«, nuschelt er und ich sehe fragend zu Moon, der sich ein Schmunzeln verkneifen muss.
Das soll der Mann sein, der Moon seit Jahren mit seinen Seher- und Schamanenqualitäten beschützt? Das ist unfassbar! Der Junge trägt Cargoshorts und ein labberiges T-Shirt, auf dem Realität ist was für Weicheier, die Angst vor Einhörnern haben steht und seine blonden Haare stehen ihm in alle Himmelsrichtungen ab. Egal, wie oft ich auch hinschaue, er bleibt ein Kind.
»Es ist nicht immer alles so, wie es scheint«, belehrt mich Moon leise und eindeutig amüsiert, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Schnupper mal an ihm.«
Das ist eine seltsame Aufforderung, aber im nächsten Moment versuche ich tatsächlich seine Witterung aufzunehmen und werde erneut überrascht, denn da ist nichts. Er besitzt keinen Geruch und als ich die Augen zusammenkneife, um noch genauer hinzusehen, stelle ich fest, dass er noch nicht mal eine Aura besitzt. Jedes Wesen besitzt irgendeine Ausstrahlung und Drachen sind Experten darin, diese zu offenbaren, aber bei diesem Jungen kann ich mich noch so anstrengen und entdecke ... gar nichts. Scheiße, jetzt habe ich eine Gänsehaut. Ist das nur eine Hülle ohne Leben im Inneren?
Kaum gedacht, dreht er sich auf seinem Stuhl endlich zu uns herum und ich muss meine Meinung revidieren. In seinem jugendlich rundlichen Gesicht befinden sich zwei sehr lebhafte honigbraune Augen, die ziemlich feurig in meine Richtung starren.
»Willkommen in meinem Heim, Con«, stößt er etwas atemlos hervor und mustert mich dabei von oben bis unten. Ein anerkennendes Funkeln schleicht sich in seine Augen und er nickt zufrieden. »Ich muss sagen, du übertriffst meine Erwartungen.«
»Aha? In welcher Hinsicht?«, muss ich sofort nachhaken.
»In jeder«, gibt er nur zurück und richtet seine Aufmerksamkeit auf Moon. »Gab es auf dem Weg hierher Probleme?«
Moon schüttelt den Kopf. »Die Amulette haben unsere Witterung bis zum Schluss verschleiert und wir wurden nicht verfolgt.«
»Ja, und ich durfte die letzten drei Stunden mit einer Augenbinde in einem Auto sitzen, um ja nicht den Standort dieses Versteckes zu erfahren«, gebe ich meinen Senf noch dazu, denn das wurmt mich, seit Moon mich dazu quasi gezwungen hat. »Mir wurde gesagt, ich solle dir vertrauen, wenn ich heil aus dieser Sache wieder rauskommen will, aber du selbst vertraust mir nicht?«
Tizians Blick wird plötzlich ausdruckslos. »Man sollte niemals jemandem einfach so vertrauen. Nicht mir. Nicht Moon. Nicht dir. Am Ende handeln wir nämlich alle nur auf unserem eigenen Vorteil bedacht.«
»Was bedeutet das jetzt?«
»Dass du uns vertrauen musst, auch wenn du es nicht solltest«, lautet die mehr als fragwürdige Antwort, die mich kein Stück beruhigt. »Aber warum reden wir überhaupt über solche Dinge? Komm doch erst mal in Ruhe an. Hat Moon dir schon das Haus gezeigt?«
Ich kann nicht behaupten, dass ich über diesen Themenwechsel erfreut bin. Bin ich nun am Arsch, oder nicht? »Ja, ein wenig. Ich würde trotzdem lieber über mein kleines Problem reden?«
»Du hast ein Problem?«
Dieser Fratz will mich tatsächlich verarschen und dabei schaut er auch noch so, als würde er die Frage absolut ernst meinen. »Wie würdest du es nennen, wenn man dich einfach so deiner Familie entreißt, dich für etwas anklagt, das du nicht getan hast und anschließend in einen Kerker wirft, damit du dort ungesehen verrotten kannst?«
»Ach, das Problem«, tut er so, als käme ihm in diesem Moment die Erleuchtung. »Ja, das war ganz schön gemein von Malik, was? Aber kommt Zeit, kommt Rat. Das wird schon wieder.«
»Mehr hast du nicht dazu zu sagen?« Ich kann es nicht fassen. »Moon hat mir versichert ...«
»Was willst du von mir hören?«, unterbricht er mich seufzend. »Im Moment spricht alles gegen dich. Wenn du ohne Beweise vor den Rat trittst, bist du tot. Versuchst du, mit Malik direkt zu verhandeln, bist du tot. Furzt du auch nur zu laut außerhalb dieser Räumlichkeiten, bist du tot. Sieh es ein, im Moment ist die Drachenwelt nicht gut auf dich zu sprechen und niemand wird sich für dich gegen den Anführer der Schwarzdrachen stellen, vorausgesetzt, du findest überhaupt jemandem, der dir glaubt.«
»Dann soll ich also abwarten und nichts tun?«
Er nickt. »Im Moment garantiert genau das dein Leben.«
Ein bitteres Gefühl schleicht sich durch meine Brust. »Was mache ich dann überhaupt hier? Ich sollte besser versuchen, zu Remy zu gelangen. Mein Bruder wird mir glauben.«
Tizian legt seinen Kopf schief und mustert mich mit unergründlicher Miene. »Vielleicht, aber wenn du das tust, landet er genauso auf Maliks Abschussliste, willst du das?«
Frustration macht sich in mir breit. »Natürlich nicht, aber ...« Oh Gott, was soll ich nur tun?
Tizian steht auf und legt mir eine Hand auf die Schulter. Die Berührung fühlt sich seltsam an. Nicht gut, nicht schlecht, einfach nur seltsam. »Con, ich verspreche dir, es kommt alles wieder in Ordnung, aber das braucht Zeit. Das Chaos hat dich mit seinen dunklen Schwingen gestreift, aber ich werde dich vor seinem Gift beschützen. Zumindest in dieser Hinsicht kannst du mir vertrauen.«
»Das Chaos?« Ich sehe auf ihn herunter, denn der Winzling ist gut einen Kopf kleiner als ich. »Ja, so fühlt es sich an. Mein Leben ist ein Scherbenhaufen, aber wie willst ausgerechnet du mich davor schützen, dass ich in diesen Trümmern zugrunde gehe?«
Ich werde sanft angelächelt. »Ach, Con. Es gibt immer einen, der hinter einem solchen Trümmerfeld aufräumen muss, richtig? Lass mich deine Putzfee sein.«
»Aber wie?«
»Du wirst es bald verstehen und nun komm, ich zeig dir dein Zimmer und danach koche ich für uns alle etwas. Ich habe mir alle Zutaten liefern lassen, um jedes deiner Lieblingsmenüs zu zaubern.«
Der Kleine strahlt und hüpft dann praktisch beschwingt zur Tür hinaus. Moon und ich folgen ihm, denn zumindest ich habe ja gar keine andere Wahl.
Ich starre auf mein Steak und die gefüllte Ofenkartoffel auf meinem Teller und werde immer misstrauischer. Neben meinem Teller befindet sich ein Glas mit Erdbeerlimonade und im Ofen backen gerade frische Apfeltaschen für den Nachtisch.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser kleine Junge, der mir gerade so unschuldig gegenübersitzt und seine Portion Steak verdrückt, genau über meine Vorlieben Bescheid weiß. Er hat mich nicht mal gefragt, was ich gerne esse und einfach mit dem Kochen losgelegt. Nun, wahrscheinlich ist es nicht schwer, sich über meine Essensgewohnheiten zu erkundigen. Ich schätze, solche Informationen sind leicht zu beschaffen, aber was ist mit der rosa Prickelbrause, die ich nur heimlich trinke, weil es mir irgendwie peinlich ist, wie abhängig ich von diesem Zeug bin?
Und dann wäre ja auch noch die Sache mit meinem vorläufigen Schlafzimmer. Ich war ganz schön überrascht, als ich es gesehen habe, denn es ist nicht wie erwartet weiß, sondern in einem hellen Braun gestrichen worden. Den Wänden hat man außerdem mintgrüne Akzente hinzugefügt. Ich liebe diese Farbe, aber auch sie passt nicht unbedingt zum Image eines stolzen Drachens, also ist das ein weiteres meiner Geheimnisse.
Ich habe auch jede Menge Horrorliteratur gefunden. Alles neuwertige Bücher, die man ordentlich in ein Regal gestellt hat, das sich neben einem ultrabequemen Ledersessel befindet. Ich kam in der Vergangenheit nicht mehr oft zum Lesen, aber es gab eine Zeit, da habe ich solche Literatur praktisch verschlungen.
Tizian hat sogar dafür gesorgt, dass sich ein riesiger Flachbildschirm in meinem Zimmer befindet, auf dem mein Lieblings-Streaming-Dienst bereits eingerichtet wurde. Sind das alles Zufälle? Glückstreffer? Oder steckt mehr dahinter? Ich denke, ich hätte es gemerkt, wenn er in meinem Kopf herumgewühlt hätte, aber kann ich mir da wirklich so sicher sein?
»Hey, Tizian, was für ein Wesen bist du eigentlich?«, frage ich also, um hinter das Mysterium dieses Jungen zu kommen. »Und wieso siehst du aus wie höchstens sechzehn, obwohl du das mit Sicherheit nicht bist?«
Tizian schmunzelt beim Kauen. »Das sind aber unhöfliche Fragen. Frag ich dich etwa, warum du wie Anfang dreißig aussiehst, obwohl du das auch ganz eindeutig nicht bist?«
Ich zucke mit den Schultern. »Du weißt ja, dass ich ein Drache bin, also besteht diesbezüglich wohl kaum Erklärungsbedarf. Aber was bist du? Moon nannte dich einen Technik-Schamanen, aber was muss ich mir darunter vorstellen?«
»Dass ich gerne mit verzauberter menschlicher Technik spiele?«
Ich runzle die Stirn. »Ist das eine Frage oder eine Antwort?«
»Beides?«
»Du kannst also menschliche Technologie verzaubern?« Davon habe ich noch nie gehört, aber man lernt ja nie aus.
»Sicher. Die Menschen haben tolle Erfindungen gemacht, aber sie sind nicht immer effektiv genug für mich und so verbessere ich sie eben ein wenig ... auf meine Art.«
»Interessant. Wo lernt man so was?«
Er grinst schelmisch. »Na ja, jedenfalls nicht in Hogwarts.«
Aha,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2022
ISBN: 978-3-7554-3353-8
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