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Geliebtes Monster

Im Bann der Syrtanis 1

Copyright Text © J.N. Taylor 2021

 

Kontakt: J.N.Taylor@gmx.de

 

Covergestaltung: J.N. Taylor

Bildmaterial: pixabay.com, canva.com

 

 

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autoren. Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind nicht gestattet.

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.

 

 

Zum Inhalt:

Liebe macht blind. Wer hat nicht schon einmal diese Worte gehört? Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht und die wahre Bedeutung hinter diesem Satz erst verstanden, als ich bereits hoffnungslos erblindet war.

Khar war schuld. Khar, der angeblich groß, hässlich und absolut gefährlich sein sollte. Khar, der kein Mensch war und Fische brutal mit einem Speer ermordete.

Wollt ihr wissen, wie es dazu kommen konnte? Nun, dazu müsst ihr meine Geschichte lesen ...

 

Hinweise:

Es handelt sich hier um den Einführungsband in die Welt der Syrtani. Coreys und Khars Geschichte ist in sich abgeschlossen, aber es finden sich Hinweise auf weitere Pärchen, die sich erst noch finden müssen. Enthält außerdem eine große Menge an Zuckerguss mit extremen Fischgeschmack und Andeutungen in Bezug auf Mpreg.

Vorwort


Diese Geschichte widme ich meiner Mutter, die immer zu mir steht und sowieso die Beste ist. Mama, ich hab dich lieb!


Uh, war das kitschig und da wir nun zu den Warnungen kommen, muss ich euch leider gestehen, es geht auch so weiter. Ja, mit dieser Story hab ich mich mal in ganz neue Gefilde gewagt, denn ich war richtig, richtig lieb. Kein unnötiges Drama und keine bösen Überraschungen. Glaub ich zumindest, denn wenn ihr eine besondere Vorliebe für Fische habt – und damit meine ich nicht auf dem Teller – dann könnte sich das hier für euch ganz schnell zu einer Horrorstory entwickeln. Dafür entschuldige ich mich schon mal vorab und wünsche euch ansonsten ganz viel Spaß beim Lesen.


J.N.

 

1. Gestrandet


Mein Herz rast und meine Lunge brennt. Ich laufe kreuz und quer, ohne Ziel und ohne zu wissen, wie lange meine Beine noch mitmachen werden. Aber ich kann nicht stehen bleiben. Meine Verfolger sind nah.

Ich breche durch etliche Sträucher und Büsche, deren Äste mir in die Haut schlagen und mich zeichnen, aber ich spüre es kaum. All meine Sinne sind nur auf eines ausgerichtet: aufs Überleben.

Ich höre ihre seltsamen Laute in meinem Rücken. Bestimmt sind sie sich siegessicher, denn sie holen immer weiter auf.

Schneller, ich muss schneller laufen.

Ich beschleunige noch einmal und frage mich dabei, wie es je so weit hatte kommen können. Es kommt mir inzwischen wie ein Traum vor, dass ich erst gestern noch mit meinem Bruder und seinen Freunden auf einer Segelyacht gestanden und die Weiten des Ozeans genossen hatte. Wir hatten uns so frei gefühlt, so glücklich und absolut unbesiegbar.

Doch dann kam der Sturm und zeigte uns, wie unbedeutend und klein wir doch in Wahrheit sind und wie machtlos gegen die Stärke einer solchen Naturgewalt. Wir verloren den Kampf gegen das Unwetter und die riesigen Wellen. Die Yacht kam weit vom eigentlichen Kurs ab und krachte plötzlich gegen Klippen. Danach weiß ich nicht mehr viel. Das Meer schluckte mich erst, nur um mich anschließend auf dieser Insel wieder auszuspucken. Auf dieser gottverdammten Insel, auf der Kreaturen leben, wie es sie nur in den gruseligsten Schauermärchen zu finden gibt.

Ich habe sie nur kurz gesehen, als ich auf der Suche nach meinen Leuten und etwas Essbarem war. Ich fand ein Dorf und dort ...

Ihr Antlitz hatte mich für einen kurzen Moment erstarren lassen. Das sind keine Menschen gewesen. Sie standen zwar auf zwei Beinen, aber ihre grünlich-graue Haut bestand aus Schuppen. Ihre Gesichter glichen denen einer Echse, genauso wie der riesige Schwanz, der aus ihrem unteren Rücken ragte. Nur die Kiemen an ihren Hälsen sprachen dafür, dass es sich bei diesen Kreaturen vielleicht auch um so eine Art Fisch handeln könnte. Ihre gelblich geschlitzten Augen verengten sich, sobald sie mich entdeckten – und das taten sie recht schnell - und sofort begannen sie mich mit ihren langen Speeren zu jagen.

Und nun laufe ich hier durch den Urwald der Insel und verliere so langsam alle Hoffnung. Welchen Weg soll ich einschlagen, wohin kann ich mich wenden? Bringt meine Flucht überhaupt etwas? Mir wird immer deutlicher bewusst, dass ich an diesem Ort sicher keine Hilfe zu erwarten habe und meine Kräfte beginnen nachzulassen.

Nein, du musst Ramon und die anderen finden. Sie sind sicher auch hier gestrandet. Irgendwo.

Ich hoffe, das stimmt, denn wenn sie ertrunken sind ... Zu meiner Angst gesellt sich nun auch eine gehörige Portion Schmerz in meiner Brust. Ich bin immer der Außenseiter gewesen. Der kleine schwule Junge, der zu anders war, um eigene Freunde zu finden und daher von seinem Bruder überallhin mitgeschleppt wurde. Von einem Bruder, der immer etwas ruppig zu mir war, aber der es gut mit mir meint und den ich jetzt vielleicht nie wiedersehen werde.

Tränen beginnen mir die Sicht zu verschleiern und das Engegefühl in meiner Brust erreicht einen neuen Höhepunkt. Ich kann nicht mehr atmen und knicke fast augenblicklich in die Knie.

Nein, steh auf! Lauf weiter!

Aber ich kann nicht. Ich bin kein Kämpfer, bin es nie gewesen und gerade wirkt alles so aussichtslos. Ramon hat mir immer Schwäche und mangelnde Willensstärke vorgeworfen und nun stellt sich heraus, dass er recht hatte. Ich bin ein Loser und gebe wie ein verängstigtes Kind auf, erwarte mein Schicksal ohne jegliche Abwehr.

Hoffentlich geht es wenigstens schnell zu Ende.

Nur Sekunden nach meinem Zusammenbruch sind sie da und umkreisen mich. Ich schaffe es nicht, meinen Kopf zu heben und ihnen in die Augen zu blicken, sondern starre stattdessen lieber auf ihre nackten Füße. Sie sehen eigentlich recht menschlich aus. Sie sind bloß größer als normale Füße. Wenn man genau hinsieht, erkennt man Schwimmhäute zwischen den Zehen. Vielleicht steckt in diesen Wesen mehr Fisch als Echse? Vielleicht beides? Wirre Gedanken ... Natürlich ist auch die Hautfarbe völlig falsch und die Schuppen gehören da auch nicht hin, aber ansonsten ...

Ich zucke zusammen und zittere am ganzen Körper, als sich eine schuppige Hand um mein Kinn legt. Sie fühlt sich kalt an. Die Haut rau und fest. Langsam zwingt sie meinen Kopf nach oben, bis ich einem dieser Kreaturen direkt in die Augen blicken muss. Es ist ein erschreckender Anblick, der meinen Körper mit Entsetzen füllt, dabei dachte ich, ich hätte das Limit an Grauen längst erreicht.

Dicke Wülste umrahmen das leicht eckige Gesicht. Die Nase ist flach und besteht eigentlich nur aus zwei kleinen Löchern. Darunter findet man pechschwarze, dünne Lippen und hinter diesen Lippen jede Menge kleiner spitzer Zähne. Ich kann es genau erkennen, denn das Monster lächelt.

Dessen Augen ruhen fast schon freundlich auf mir und nun beginnt es auch noch zu sprechen. Es ist keine Sprache, die ich jemals gehört habe. Die Worte scheinen nur aus seltsamen Brumm- und Grunzlauten zu bestehen und natürlich verstehe ich nichts davon. Sie klingen nicht bösartig oder aggressiv, sondern eher beruhigend, was mich weiter verstört. Werde ich doch nicht gefressen oder will mich das seltsame Wesen nur in Sicherheit wiegen? Doch zu welchem Zweck?

Es blickt mir weiterhin fest in die Augen. Diese Augen sind so fremdartig mit den senkrecht geschlitzten Pupillen, es können nur die eines Tieres sein. Eines Raubtieres.

Mir entweicht ein Wimmern und die Kreatur vor mir stößt einen Laut aus, der einem langgezogenen Seufzen sehr ähnlich erscheint. Im nächsten Moment werde ich einfach gepackt und lande kopfüber über dessen breiter Schulter. Ich beginne zu schreien, doch ich werde fortan ignoriert und einfach fortgetragen.

Ich lasse baumelnd den Kopf hängen. Ich habe keine Kraft mehr.

Man bringt mich zurück ins Dorf und dort verfrachtet man mich in eine Hütte. Mein Herz setzt vor Freude und Erleichterung einen Schlag aus, als ich dort auch auf meinen Bruder und seine Freunde treffe. Sie sind nicht tot und ich scheine zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht sterben zu müssen, denn das Monster, von dessen Schulter ich baumle, lässt mich nun langsam wieder herunter und stößt mich anschließend sanft zu meinen Leuten.

Ich falle regelrecht in die Arme meines Bruders, der zwar eine Platzwunde an der Stirn hat, aber ansonsten unverletzt scheint. In diesem Augenblick bin ich einfach nur froh, denn egal, was noch kommen mag, ich werde es nicht allein ertragen müssen.

2. Willkommen bei den Syrtanis


In der Hütte ist es stickig und heiß. In einer Ecke liegt ein Stapel Decken und daneben befindet sich ein Eimer mit Trinkwasser, ansonsten gibt es hier nichts außer uns. Ich habe mir eine Decke genommen und mich neben meinen Bruder gelegt. Erst wäre ich fast ertrunken, dann kam die Hetzjagd. Ich bin unglaublich erschöpft und will nur schlafen, aber Ramon hört nicht auf zu reden und schreckt mich mit seiner aggressiven Stimme immer wieder aus jeglichem Schlummer.

»Was sind das für Mutanten? Wie kann es so etwas geben? Wo kommen sie her? Was haben sie nun vor? Wir müssen gegen sie kämpfen, bevor sie uns töten können. Wir müssen von dieser Insel, doch wie stellen wir das an? Wir brauchen Hilfe! Wir brauchen Waffen! Wir brauchen ...!«

Stundenlang wird über unsere seltsamen Gastgeber diskutiert, Pläne geschmiedet und wieder verworfen, nur um dann wieder von neuem zu debattieren. Ich kann das alles nicht mehr hören. Ich bin müde und mir ist schlecht. Die Hitze setzt mir arg zu. Längst klebt meine Kleidung wie eine zweite Haut an mir, dabei trage ich nur Shorts und ein dünnes T-Shirt. Ich will, dass dieser Alptraum einfach vorbei ist und nur mal für einen kurzen Moment abschalten, aber Ramon versteht das nicht.

»Corey, sag doch auch mal was. Du kannst dich nicht die ganze Zeit vor der Realität verstecken. Wir brauchen jetzt jeden Mann. Zeig einmal in deinem Leben Stärke und verdammt noch mal Kampfgeist! Oder willst du, dass wir alle draufgehen?«

»Natürlich nicht«, beschwichtige ich meinen Bruder sofort.

Wir haben schon einen Mann verloren. Zumindest denken wir das, denn Samson, Ramons bester Freund, befindet sich nicht in der Hütte, daher müssen wir annehmen, dass er den Wellen nicht entkommen konnte.

Daphne, Zelda und Ramon wurden von den Monstern aus dem Wasser gefischt. Carl und Frances so wie ich an Land gespült. Ramon hatte sich heftig gewehrt und wurde deshalb von den Monstern bewusstlos geschlagen, was die Platzwunde auf seiner Stirn erklärt ... und seine grenzenlose Wut. Wobei man sagen muss, dass Ramon so gut wie immer von einer gewissen Wut umgeben ist. Er nennt es Temperament, doch ich bin mir da nicht so sicher. Zu oft habe ich schon aufgrund seines Temperamentes einstecken müssen.

»Dann lieg nicht nur auf der faulen Haut, sondern hilf uns, einen Plan zu entwickeln!«, werde ich nun angeschrien und setze mich sofort auf. Mein Schädel brummt, aber das lasse ich mir besser nicht anmerken.

»Ich denke, das Beste wird sein, wenn wir zuerst versuchen, mit ihnen zu kommunizieren«, gebe ich kund und kassiere dafür sofort einen Handkantenschlag vor die Stirn. In meinem Kopf explodiert der Schmerz und ich muss für einen Moment die Augen schließen.

»Bist du dumm?«, werde ich angeblafft. »Du willst mit diesen Mutationen reden? Mit ihnen ein Schwätzchen halten? Das sind Tiere und keine Menschen!«

»Aber einer hat mit mir gesprochen«, krächze ich und rücke eilig ein wenig von ihm ab. »Ich habe ihn zwar nicht verstanden, aber er hat versucht, mit mir zu kommunizieren und das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?«

Ramon schüttelt in sichtlicher Enttäuschung den Kopf. »Corey, du bist und bleibst ein naives Baby. Warum erwarte ich überhaupt noch was von dir?«

Seine Worte tun weh. Ich bin nicht so dumm und naiv, wie er denkt. Ich glaube nur einfach nicht, dass wir es hier mit Gewalt herausschaffen werden. Diese Wesen sehen verdammt stark aus und sind alle mindestens einen Kopf größer als wir. Außerdem besitzen sie spitze Speere und wir haben nichts, um uns zu verteidigen. All das könnte ich ihm nun vorhalten, aber ein warnender Blick aus seinen stahlgrauen Augen hindert mich an jeglichem Widerspruch.

»Ramon, setz dem Jungen nicht noch mehr zu«, mischt sich nun Frances ein und schenkt mir ein halbherziges Lächeln, bevor er sich wieder an meinen Bruder wendet. »Er ist genauso verängstigt wie wir alle und wenn du ehrlich bist, dann war sein Vorschlag bisher der vernünftigste. Ich denke auch, dass wir erst mal herausfinden müssen, was sie eigentlich von uns wollen.«

Ich seufze erleichtert. Wenigstens hält Frances noch zu mir, aber der Mann ist auch schon immer der Netteste dieser Clique gewesen. Und der Schönste. Mit seiner muskulösen Statur, den dunklen Locken und den himmelblauen Augen, kann er jeden haben, den er will. Leider steht er nur auf Frauen und hat mich daher nie so angesehen, wie ich es manchmal heimlich tue, wenn ich denke, dass es keiner mitkriegt.

»Natürlich hältst du wieder zu ihm«, ätzt mein Bruder. »Tu nicht so, als würdest du ihn mögen, nur weil du deinen heimlichen Bewunderer nicht verlieren willst!«

Meine Wangen beginnen zu brennen. Okay, anscheinend waren meine Blicke doch nicht so geheim, wie ich immer gedacht habe. Das ist mir unheimlich peinlich, aber zum Glück achtet im Moment keiner auf mich.

»Was soll das, Ramon? Ich mag deinen Bruder. Es macht mir nichts aus, dass er schwul ist oder mich anschaut. Lass ihn doch endlich mal in Ruhe!«

Ramon wird gefährlich rot im Gesicht. »Sag mir jetzt nicht, dass du dir gerne von ihm den Schwanz lutschen lassen würdest, denn bei Gott ...«

»Verdammt noch mal, darum geht es doch gar nicht!«, wird nun auch Frances laut. »Der Junge ist erst neunzehn und braucht Freunde, die ihm nicht dafür in den Arsch treten wollen, dass er eben anders. Ich verstehe dich einfach nicht. Auf der einen Art willst du ihn immer beschützen und auf der anderen machst du ihn ständig fertig. Komm endlich mal klar.«

Keine Ahnung, wie das Gespräch über unsere Situation auf mich kommen konnte, aber ich bin froh zu sehen, dass mein Bruder einlenkt. Das macht er nicht oft. »Ist ja schon gut, Mann. Reg dich ab! Wir haben Wichtigeres zu besprechen, richtig?«

»Stimmt!«, nickt Daphne und legt beruhigend einen Arm um Ramons Schulter. Sie ist seine derzeit feste Freundin und eigentlich nicht wirklich nett. Es ist ihre Yacht gewesen, die gestern untergegangen ist und vielmehr als ihren Luxus und Partymachen interessiert sie nicht. Unsere aktuelle Lage scheint sie aber daran zu erinnern, dass es tatsächlich Wichtigeres im Leben gibt. Überleben zum Beispiel.

»Lasst uns noch mal in Ruhe über alles sprechen«, meint sie und auch die eher schüchterne Zelda stimmt zu.

»Ja, bitte, schreit nicht mehr. Ich ertrag das alles nicht.« Sie beginnt zu weinen und ihr Freund Carl, der letzte in unserem Bunde, nimmt sie tröstend in den Arm. Er ist eher klein und schlankerer Natur, so wie ich, aber ich muss gestehen, dass wir bisher kaum ein Wort miteinander gesprochen haben. Ich kann mich irren, aber ich denke, ihm gefällt es auch nicht so, dass ich schwul bin. Nicht, dass er mich jemals angegangen wäre. Nein, es ist nur so ein Gefühl.

»Ich gebe Frances und Corey recht«, spricht er nun und verblüfft mich damit. »Lasst uns versuchen, mit diesen Inselbewohnern zu reden.«

»Inselbewohner«, schnaubt Ramon und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. Ich weiß, gleich wird wieder eine abfällige Bemerkung kommen, doch bevor er den Mund erneut öffnen kann, hören wir, wie sich etwas vor der Tür tut. Sekunden später öffnet sie sich und eine dunkelhäutige, faltige alte Frau betritt unser bescheidenes Domizil.

Sie trägt nichts außer einer Art Lendenschurz und für einen Moment kann ich nichts anderes tun, als ihr auf ihre tiefhängenden Brüste zu starren. Wieder spüre ich, wie mir die Wangen zu brennen beginnen und ich reiße mich eilig von diesem Anblick los.

»Guten Tag, liebe Gäste«, spricht sie in einwandfreiem Englisch und erstaunt damit nicht nur mich.

»Du kannst unsere Sprache und bist ein Mensch!«, ruft Ramon nicht gerade clever durch den Raum, denn das ist ja wohl offensichtlich.

»Oh, du hast gute Augen und dein Gehör funktioniert auch noch einwandfrei. Glückwunsch!«, scherzt die alte Dame und bringt damit erneut alle aus der Fassung.

Jeder außer mir ruft nun aufgeregt Fragen durch den Raum. Es ist so laut und durcheinander, dass man kaum ein Wort versteht und so stößt die Frau einen lauten Pfiff aus, bevor sie beschwichtigend die Hände hebt und schreit: »Kinder, Ruhe bitte! Setzt euch und ich werde all eure Fragen beantworten.«

Hinter ihr erhebt sich ein Schatten. Einer der Echsen-Fisch-Männer ist ihr ins Innere der Hütte gefolgt und stellt sich nun beschützend neben sie. Mit einem Speer in der Hand und einem Blick, der klarstellt, dass er jeden Angriff sofort unterbinden wird, bringt er die gesamte Gruppe endlich zum Schweigen.

»So ist’s schon besser«, seufzt die Alte und sinkt in einiger Entfernung zu uns in den Schneidersitz. Sie sieht sehr unbekümmert aus und mustert jeden Einzelnen von uns mit einem Lächeln. Ich kann nichts dagegen tun und erwidere es vorsichtig, was ihren Blick für einen Bruchteil länger auf mir ruhen lässt, bevor sie sich an niemand bestimmten wendet. »Lasst uns mit der Fragerunde beginnen. Sicher wollt ihr wissen, wo ihr hier gelandet seid. Vorab, die Insel hat keinen richtigen Namen. Wir nennen sie einfach schlicht unser Zuhause.«

»Monster Island würde besser passen«, nuschelt mein Bruder leise und erntet dafür einen grimmigen Blick von der alten Dame, die anscheinend trotz ihres hohen Alters noch ein gutes Gehör besitzt. Sie beschließt, den Einwand unkommentiert zu lassen, aber ich kann sehen, dass es ihr nicht leichtfällt.

»Mein Name ist übrigens Mitaki Sue und das Volk, welches diese Insel beherbergt, nennt sich Syrtani.« Sie deutet auf die Kreatur neben sich. »Die Syrtani sind eine eigenständige Rasse, die sich in einigen Punkten von uns Menschen unterscheidet.«

»Wer hätte das gedacht«, wirft mein Bruder erneut murmelnd ein und wird zum Glück wieder ignoriert.

»Die Syrtani sind genetisch schwer zu erklären. Man sagt, sie wurden einst aus dem Meer geboren und sie seien die Lieblingsgeschöpfe des Gottes Susanoo, der über das Meer und die Stürme herrscht. Inzwischen haben sie sich allerdings weiterentwickelt und bevorzugen das Leben an Land.«

»Ich wusste, das sind Mutanten«, giftet Ramon und verschränkt angriffslustig die Arme vor der Brust. Der Meermann neben Mitaki Sue sieht das gar nicht gern und gibt einen warnenden Laut von sich. Mitaki Sue legt schnell eine Hand an die Seite seines Oberschenkels und besänftigt ihn so.

Sie sieht Ramon nun eindeutig verärgert an. »Junger Mann, du solltest lieber nicht vorschnell urteilen. Sie sind keine Mutanten. Nur anders.«

Und Ramon verachtet alles andere, das weiß ich nur zu genau.

»Auf dieser Welt gibt es vieles, was vor der menschlichen Welt verborgen existiert«, spricht Mitaki weiter. »Die Syrtani sind nur eine Rasse von vielen, aber alle haben eines gemeinsam: Es sind Lebewesen wie du und ich.«

»Ganz bestimmt nicht!«, schnaubt Ramon verächtlich und wird dafür von Frances mit dem Ellenbogen in die Seite gestoßen.

»Sei ruhig, Alter!«, zischt er so unauffällig wie möglich und ich kann ihm nur zustimmen. Ein Gespräch zu führen ist besser, als von einem Speer aufgespießt und anschließend vielleicht verspeist zu werden. Bisher läuft doch alles ganz friedlich und ich wünsche mir nichts mehr, als dass das auch so bleibt.

Daphne scheint das auch so zu sehen, denn sie bittet ihren Freund wortlos mit ihren Augen und Ramon bleibt tatsächlich stumm. Ich kann nur hoffen, dass es erst mal so bleibt.

»Können wir nun unser Gespräch fortsetzen?«, seufzt Mitaki und blickt fragend in die Runde. Alle außer Ramon nicken. »Gut. Kommen wir wieder zurück zu den Syrtani und warum ihr hier seid. Sicher ist euch klar, dass sich ein Volk, das so anders ist als die Menschen, sich nicht einfach in der Welt zeigen kann. Nein, dafür ist die Welt noch lange nicht bereit, daher gab der Gott Susanoo ihnen dieses friedliche Eiland und schirmt sie seitdem vor den Menschen ab. Diese Insel existiert auf keiner Landkarte und man kann sie weder vom Wasser noch von der Luft aus erkennen. Wie ich bereits erwähnte, ist der Gott Susanoo seinen Lieblingen sehr zugetan, aber das hat leider nicht nur Vorteile, denn die Syrtani haben so einige Bedürfnisse, die sie untereinander einfach nicht befriedigen können.«

Mir wird etwas mulmig und den anderen scheint es ähnlich zu gehen, denn sie rutschen unruhig auf ihren Plätzen hin und her.

»Bedürfnisse?«, hakt Daphne ängstlich nach und die Alte nickt.

»Sie sind einsam. Die Syrtani bestehen aus sehr dominanten und recht ... impulsiven Männern. Es gibt keine Frauen und auch keine unterwürfigen Männchen in ihrem Stamm, was sie ziemlich frustriert, denn in ihnen schlummert auch der starke Drang, sich um einen Partner zu kümmern und ihn zu umsorgen. In der Vergangenheit kam es oft zu kämpfen, weil man sich gegenseitig zu unterwerfen versuchte und das wiederum sorgte dafür, dass diese einzigartige Rasse fast ausgestorben wäre, denn solche Kämpfe endeten nicht selten mit dem Tod. Susanoo konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er all seine geliebten Kinder verlor und begann dann, ihnen ab und zu Menschen auf die Insel zu schicken. Von da an wurde es besser. Sie paarten sich mit den Menschen und vermischten ihre Gene miteinander. Die nächsten Generationen wurden recht bald friedlicher und die ewigen Kämpfe hörten auf. Nun warten die Syrtani einfach ab und hoffen, dass Susanoos Sturm auch ihnen irgendwann einen Gefährten bringt. Der letzte Sturm war viele Jahre her, aber das hat sich gestern ja zum Glück geändert. Susanoo brachte euch her und nun würden die Syrtani euch gerne kennenlernen und in ihrem Stamm willkommen heißen.«

»Das ist ja wohl lächerlich!«, schreit Ramon und blickt Mitaki geschockt an. Die anderen sehen nicht minder entsetzt aus und ich befürchte, mein Gesicht sieht nicht besser aus als ihres.

»Willst du damit sagen, wir sollen die Huren dieser Monster werden? Das ist absolut ... ekelhaft!« Ramon beginnt zu würgen. »Ekelhaft und undenkbar«, speit er aus und steht auf, um sich drohend vor Mitaki aufzubauen. Der Syrtani an ihrer Seite stellt sich sofort schützend vor sie und ehe Ramon auch nur reagieren kann, hat er auch schon eine Speerspitze an seiner Kehle. Mein Bruder erstarrt und schluckt heftig.

Wir alle sind wie erstarrt, nur Mitaki scheint gelassen. Sie steht auf und stellt sich mit ruhiger Miene neben den bedrohlich knurrenden Syrtani, der Ramon nicht für eine Sekunde aus den Augen lässt. Eine falsche Bewegung und mein Bruder liegt blutend am Boden, so viel ist klar. Ich beginne haltlos zu zittern und mir wird wieder schlecht. Ich schlinge die Arme um mich und wage kaum zu atmen. Ich habe solche Angst.

Ich höre Mitaki seufzen. »Ich war einst wie ihr, voller Angst und Unverständnis habe ich mit meinem Schicksal gehadert und es verdammt. Doch wisst ihr was? Es bringt nichts. Wen Susanoo einmal auf diese Insel gebracht hat, der wird sie auch nie wieder verlassen. Selbst, wenn wir euch gehen lassen wollten, wir könnten es nicht, denn kein Mensch kommt durch die unsichtbare Barriere, die der Gott geschaffen hat. Ihr werdet lernen müssen, das zu akzeptieren, denn erst dann wird es euch bessergehen. Es liegt nun an euch, was ihr aus eurer neuen Situation macht. Die Syrtani werden euch nicht dazu zwingen, sich ihnen hinzugeben. Sie geben euch die Wahl. Ihr könnt hier in diesem Dorf bleiben, wo es euch an nichts mangeln wird und ihr sie in Ruhe kennenlernen könnt oder ... ihr geht und sucht euch einen Platz außerhalb unserer Behausungen. Mir ist klar, welche Entscheidung ihr treffen werdet, denn sie ist bei den Menschen immer dieselbe, aber bedenkt eines, dort draußen seid ihr ohne Schutz und auf euch allein gestellt. Die Syrtani werden euch Zugang zu ihren Trinkwasserquellen gewähren, aber eure Nahrung und auch sonst alles müsst ihr euch selbst beschaffen. Von ihnen gibt es nur Dinge im Austausch. Wollt ihr etwas von ihnen, werdet ihr auf irgendeine Art dafür bezahlen müssen. Das hängt vom jeweiligen Syrtani ab, den ihr gegebenenfalls um Hilfe bittet.«

»Wir werden niemals um Hilfe betteln«, speit Ramon angewidert aus und weicht eilig nach hinten zurück, als sich die Speerspitze des Syrtani senkt. Ich greife rasch nach seinem Arm und klammere mich an ihm fest. Teils, weil ich ihn so beruhigen will und teils, weil ich echt Angst um ihn habe.

»Dann zeigt man euch jetzt, wo ihr euch aufhalten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.04.2021
ISBN: 978-3-7554-2918-0

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