Der Dschungel & ich
Band 4
Copyright Text © J.N. Taylor 2019
Kontakt: J.N.Taylor@gmx.de
Covergestaltung und Bildrechte: ©Ni Jica
Korrektur: Iris Biehl-Drucks
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autoren. Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind nicht gestattet.
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.
Hinweis: Diese Geschichte ist dem hübschen Covermodel gewidmet, dem liebenswertesten Kater, dem ich jemals begegnet bin.
Für Shiki
Wegen einer Fehlbildung wollte man dich nicht und hat dich bereits in jungen Jahren verstoßen, weil du nicht perfekt bist. Dabei ist es gerade deine Unvollkommenheit, die dich zu etwas Besonderem macht.
Trotz deiner Erfahrungen hast du nicht das Vertrauen in die Menschen verloren und verbreitest nun jeden Tag Freude in deinem neuen Zuhause.
Ja, du bist ein Wildfang, kletterst lieber an deinem Menschen hinauf, anstatt auf Bäumen, aber das ist in Ordnung, denn du liebst und wirst geliebt.
Du bist schön, nicht nur äußerlich.
Danke, dass du nicht perfekt bist.
Willkommen in der Einöde! Seit Stunden blickte ich nun schon auf endloses Nichts, nur durchbrochen von tiefgrünen Bäumen und anderen, seltsam anmutenden Pflanzen. Der schlammige Weg, auf dem unser geliehener Jeep fuhr, war kaum noch als solcher zu erkennen und so hoffte ich, dass wir unseren Zielort endlich bald erreichen würden.
»Es wird uns dort gutgehen«, versicherte mir Nolan nun schon zum gefühlt tausendsten Mal und warf mir dabei einen aufmunternden Blick zu.
Ich versuchte mich an einem Lächeln, versagte und nickte deshalb nur. Was sollte ich auch sagen? Ich war nicht wirklich gefragt worden, ob ich zu einer Wandlergemeinde mitten im Dschungel ziehen wollte, aber ich hatte mich dagegen auch nicht wirklich wehren können.
»Ich habe nur Gutes über diese Gemeinde gehört. Sie sollen sehr aufgeschlossen sein und sich gegenseitig helfen, wenn Probleme auftreten. Ich habe sogar gehört, dass sie ohne ein Zögern Nebelparder aufgenommen haben.«
Also werden sie kein Problem damit haben, einem herrenlosen Wandler, der kaum noch Kontrolle über sein Tier hatte, auch ein Zuhause zu geben. Wie praktisch für mich. Nur löste das keines meiner Probleme. Ich blieb eine unkontrollierbare Missgeburt, auch wenn ich jetzt weit weg vom Schuss war.
»Das klingt doch toll, oder? Du kannst dein Tier jederzeit rauslassen und keinen wird es stören.«
Das hatte es in der Stadt auch nicht. Als stinknormale Katze konnte ich auch dort durch die Straßen laufen und keinen hatte es interessiert. Sicher hätte es aber für Aufsehen gesorgt, wenn mich ein Mensch bei einer meiner Spontanverwandlungen gesehen hätte. Nolans Entscheidung, mich an einen Ort weit weg von jeglicher Zivilisation zu bringen, war also durchaus nachvollziehbar.
»Du musst dich nicht mehr in der Wohnung einsperren, kannst laufen und spielen, wann immer du willst. Ich wette, es wird dir dadurch schnell sehr viel bessergehen.«
Ich verdrehte die Augen, denn Nolan war da eindeutig optimistischer als ich. Klar wird mir der unheimliche Dschungel dabei helfen, meine Albträume loszuwerden. Nachts, wenn die großen Raubtiere auf die Jagd nach kleinen Kätzchen gingen, würde ich ganz unbekümmert in meiner kleinen Hütte schlafen. Oder in einem Baumhaus? Einer Höhle? Auch egal, denn eines war sicher, an einem solchen Ort würde ich niemals zur Ruhe kommen.
Nolan zuliebe würde ich es allerdings versuchen. Ich würde praktisch alles für meinen Spatz tun. Und doch würde es nie genug sein. Nie könnte ich wiedergutmachen, was der Vogelwandler bereits alles für mich getan und aufgegeben hatte. So wie jetzt, als er seinen Schwarm für mich verlassen hatte, um mich hierher zu bringen. Auch bei dieser Entscheidung hatte ich nichts mitzureden gehabt und Einwände jeglicher Art waren auf taube Ohren gestoßen.
Ich fragte mich schon seit Jahren, was der Mann an mir fand. Ich hatte ihm nichts zu geben, er dafür eine ganze Menge. Er hatte jemanden wie mich nicht verdient, der nur nahm und nichts bot. Trotzdem war ich heuchlerisch und egoistisch genug, dass ich froh war, dass er an meiner Seite stand. Ohne ihn wäre ich schon lange nicht mehr auf dieser Erde. Ich wusste es und er tat es auch. Vielleicht konnte er mich deswegen nicht verlassen.
»Es müssten jetzt noch etwa fünfzig Meilen sein, dann kommen wir zum letzten Dorf, bevor uns nur noch der Dschungel erwartet. Einheimische und Wandler leben dort zusammen und es wird auch unsere erste Anlaufstelle sein, um mit dem dortigen Wandlerrat in Kontakt zu treten.«
»Was ist, wenn es nicht klappt?«, meldete ich mich nun erstmals zu Wort.
»Das wird es«, kam es bestimmt zurück. »Freddy ist auch dort und wird ein gutes Wort für uns einlegen.«
»Freddy ...«
Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl, als ich an unseren alten Freund dachte. Freddy war damals mit uns auf die Highschool gegangen und wir drei hatten praktisch jeden Scheiß zusammen angestellt, den man machen konnte. Die Feuerameise war ein sehr quirliger Zeitgenosse gewesen ... und eine Tratschtante. Leider war er aber noch vor dem Abschluss umgezogen und wir hatten keinen Kontakt halten können. Zumindest dachte ich das. Für Nolan schien das allerdings nicht zu gelten.
»Bevor du fragst, Freddy hat mir vor ein paar Monaten einen Brief geschrieben und seitdem stehen wir in losem Kontakt zueinander«, erzählte Nolan, bevor ich überhaupt fragen konnte.
»Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«
Ich bekam einen unsicheren Blick zugeworfen. »Habe ich doch. Ich schätze, du hast es einfach vergessen.«
Ich antwortete nicht darauf, aber eher war es wohl so, dass ich nicht zugehört hatte. Ich wollte es nicht, aber manchmal driftete ich ab und nahm nicht wirklich viel von meiner Umgebung wahr. Leider hatte es in den letzten Monaten viele solcher Momente gegeben. Wie viel hatte ich wohl noch verpasst? Ich könnte Nolan fragen, aber ich traute mich nicht.
»Ist ja auch nicht so schlimm«, wiegelte er eifrig ab und gab sich betont fröhlich. »Ich habe jedenfalls schon einiges mit Freddy besprochen und er freut sich schon riesig auf uns.«
Ich erschrak. »Hast du ihm etwa gesagt, dass ich ...«
»Nein, natürlich nicht!«, beschwichtigte mich Nolan sofort. »Das geht niemanden etwas an und wenn du es erzählen willst, machst du es selbst.«
Wenn ich es erzählen will? Als ob ich das jemals freiwillig tun würde!
Wir schwiegen für den Rest der Fahrt, bis wir tatsächlich an einem großen Runddorf ankamen, das mir so fremdartig vorkam, dass ich versucht war, mir über die Augen zu reiben. Man konnte die Menschen gut von den Wandlern unterscheiden, denn diese trugen wenigstens einen Lendenschurz, während die Wandler nackt herumliefen.
»Ob das wohl echte Zähne sind, die sie sich da um den Hals gehängt haben?«, rätselte Nolan und sah nicht weniger fasziniert auf die einheimischen Bewohner, die uns gar keine Beachtung schenkten.
»Na ja, ich denke mal nicht, dass sie sich Platikbeißerchen aus dem Internet bestellt haben«, murmelte ich leise, denn ich sah gerade wie sich einige Wandler in der Dorfmitte versammelten und sie beachteten uns leider sehr wohl.
Ein beklemmendes Gefühl stieg in mir auf. Einige von ihnen sahen wirklich furchteinflößend aus. Wobei das für alle Menschen über 1,60m galt, also alle, die größer als ich waren. Diese Männer würde man sicher nicht mit einer Frau verwechseln und sie wussten sich zu wehren und bestimmt auch, wie man kämpft. Ich brauchte nur auf die sehnigen Muskeln zu schauen und bekam schon Schweißausbrüche. Nein, ich wollte da nicht raus!
Nolan konnte Gedanken lesen. »Willst du im Jeep warten, während ich mich mal umschaue und mit einigen rede?«
Ich nickte eifrig.
»Gut, ich werde nicht weit weggehen, also wenn etwas ist ...«
»Ich komme schon klar«, versicherte ich, auch wenn es nicht so war. »Ich werde ein braves Kätzchen sein.«
Nolan blickte mich liebevoll mit seinen blauen Augen an und streichelte mir sanft über die Wange. »Das bist du doch immer, Liebling«, flüsterte er und ich bekam noch einen keuschen Kuss auf den Mund, dann stieg er aus und ging selbstbewusst auf die wartenden Wandler zu.
Ich bewunderte ihn dafür. Dass ein Spatz ein solches Auftreten hatte, war nicht selbstverständlich und in Nolans Fall war es so auch nicht immer gewesen. Früher war er naiv und unsicher, fast schon schüchtern gewesen und ich hatte ihn trotz meiner geringen Größe immer wie einen Tiger beschützt. Heute hatte sich das Blatt gewandelt. Nolan und ich hatten die Plätze getauscht und er war ein starker Mann geworden.
Das hat er für dich getan. Er hatte keine Wahl. Du bist schwach, also musste er stark werden.
Traurigkeit erfasste mich und ich fragte mich, wie schon so oft zuvor, warum ich nicht endlich das Richtige tat und Nolan freiließ? Wir waren keine wahren Gefährten – wenn man es genau betrachtete, nicht einmal ein richtiges Liebespaar – und doch klammerte ich mich an ihm fest.
Weil er der einzige Halt ist, den du noch hast. Was bist du schon ohne ihn? Nichts! Er weiß es auch, deswegen kann er nicht gehen.
Es war die traurige Wahrheit, die mein Herz bluten ließ und doch unternahm ich nichts.
Feigling!
Meine Gedanken brachen abrupt ab, als ich schnelle Schritte hinter mir hörte. Mein gesamter Körper verspannte sich und mein Herz begann zu rasen. Plötzlich war ich wie gelähmt, konnte mich nicht einmal dazu bringen, mich umzudrehen, als die lauten Schritte auch schon beim Jeep ankamen und die Autotür auf meiner Seite aufgerissen wurde.
»Asher!«, kreischte jemand los und ich zuckte zusammen, als dieser Jemand meinen Arm ergriff und mich aus dem Auto zerrte. »Bei den Göttern, du bist es wirklich, was bin ich froh, dich zu sehen.«
Ich sah kurz rotes Haar aufblitzen, dann lag ich auch schon an einer schmächtigen und sehr nackten Brust und wurde so fest gedrückt, dass mir die Luft aus den Lungen gequetscht wurde.
Es war Freddy. Ich erkannte endlich die Stimme und auch sein Geruch war mir vertraut, aber mein Gehirn war schon lange nicht mehr dazu in der Lage, rational zu denken und deshalb war es mir unmöglich, so zu handeln. Anstatt mich zu freuen und meinen alten Freund auch angemessen zu begrüßen, stieß ich ihn panisch von mir und brachte eilig mehrere Schritte Abstand zwischen uns.
Freddy starrte mich verwirrt an. Ich starrte furchtsam zurück und konnte nicht sprechen.
»Asher, was ... du ...?«
»Freddy, du alter Feuerlöscher!«
Wieder einmal war es Nolan, der die Situation entschärfte und mich vor Fragen rettete, die ich in meinem jetzigen Zustand gar nicht hätte beantworten können. Auch nicht an guten Tagen, aber ist ja auch egal.
Nolan stellte sich unauffällig vor mich, schirmte mich ab und umarmte dann die Feuerameise, die noch reichlich überrascht aus der nicht vorhandenen Wäsche schaute. »Tut gut, dich zu sehen, alter Freund.«
Die beiden klopften sich freundschaftlich auf den Rücken und nun grinste auch Freddy wieder. »Und dich erst! Du glaubst ja nicht, wie langweilig es hier sein kann. Aber das ist ja jetzt vorbei. Wir drei werden diesen Dschungel ab sofort so richtig aufmischen. So wie früher, das wird lustig!«
Wenn er sich da mal nicht täuschte. Nolan und ich mussten dasselbe gedacht haben, denn er warf mir einen kurzen Blick zu, schenkte Freddy dabei aber sein frechstes Grinsen, damit er nichts merkte.
»Darauf kannst du einen lassen. Ich bin schon gespannt darauf, was man hier so alles anstellen kann.«
Freddy seufzte niedergeschlagen. »Wie gesagt, nicht besonders viel. Wenn, dann werden wir für Action sorgen müssen.« Das Gespräch kam ins Stocken und Freddy sah wieder zu mir herüber. Ich hatte mich wieder etwas gefasst und konnte sein Lächeln nun uneingeschränkt erwidern. »Hab ich dich eben erschreckt? Sorry, das wollte ich nicht.«
Ich winkte ab und ignorierte dabei meinen immer noch heftig pochenden Pulsschlag. Musste er ja nicht gleich merken, dass ich zum überdimensionalen Schisser aufgestiegen war. »Schon okay. Ich war nur in Gedanken.«
Freddy lachte. »Da kann ich ja froh sein, dass du mir nicht eine verpasst hast. Denk nicht, dass ich vergessen habe, was du für fiese Tricks draufhast.«
Ich lachte mit, doch es klang selbst in meinen Ohren falsch. »Beim nächsten Mal vielleicht.«
Wenn ich vor Angst nicht wieder in Starre verfalle.
»Lass mal stecken. Eine richtige Umarmung würde ich aber schon gerne haben.«
Das wollte ich nicht! Bevor ich einen hilfesuchenden Blick an Nolan richten konnte, griff dieser bereits ein und schlang einen Arm um die Schultern von Freddy. »Hey, such dir gefälligst einen eigenen Kerl! Das Kätzchen gehört mir.«
Freddy ließ sich auf das Ablenkungsmanöver ein und ich atmete erleichtert auf. »So besitzergreifend, he? Kann echt nicht verstehen, dass er dich immer noch nicht abgeschossen hat. Wie lange seid ihr schon zusammen? Fünf Jahre?«
»Yepp!«, grinste Nolan. »Und deshalb, Pfoten weg!«
Die Feuerameise wollte noch etwas erwidern, doch ein tiefes, lautstarkes Räuspern erklang im Hintergrund und wir wandten uns alle in die Richtung. Die Wandler, die ich vorhin auf dem Dorfplatz gesehen hatte, und mit denen Nolan ein Gespräch angefangen hatte, waren nun auch gekommen und forderten Aufmerksamkeit. Es waren vier an der Zahl und allesamt Testosteronschleudern sondergleichen. Ich roch zwei Katzen – welche Art konnte ich nicht sagen – aber die anderen beiden Gerüche konnte ich überhaupt nicht zuordnen. Ich war eben bis vor kurzem ein Stadtkind gewesen und dort traf man eher selten auf andere Wandler und wenn, dann waren sie meist weniger exotisch als diese hier.
»Oh, entschuldigt, dass ich euch einfach habe stehen lassen. Ich sah meinen alten Kumpel und musste schnell Hallo sagen«, rechtfertigte sich Nolan sofort und stellte sich wieder so, dass er mich weitestgehend vor den Augen der Fremden abschirmte.
Ich liebte und hasste ihn deswegen, denn ich wollte nicht wie ein kleines verschrecktes Kind behandelt werden, auch wenn es wohl irgendwie stimmte und ich auch nichts tat, um hinter seinem Rücken hervorzutreten. Die Katze versteckte sich hinter einem Vogel, jetzt alle mal bitte laut lachen!
»Du kennst also Freddy?«, hakte ein großgewachsener Dunkelhaariger nach, der zugleich auch die größte Dominanz ausstrahlte. Er war einer der Wandler, die ich nicht zuordnen konnte. »Dann musst du der Spatzenwandler sein, den er bereits angekündigt hat.«
»Richtig«, bestätigte Nolan sofort. »Mein Name ist Nolan, und wie ich euch eben bereits sagte, sind Asher und ich hier, um in diese Gemeinde aufgenommen zu werden. Ich würde deshalb gerne mit jemandem von eurem Rat sprechen. Denkt ihr, das ist möglich?«
Freddy begann zu lachen. »Das tust du doch schon! Kenko ist einer von unseren ehrwürdigen Gorillas und hat hier mit das Sagen.« Er nickte dabei zu dem Dominanzbolzen, der sofort noch ein bisschen größer zu werden schien und die Arme vor der Brust verschränkte, während er uns weiter musterte. Für meinen Geschmack verweilte sein Blick dabei eindeutig zu lange auf mir, was ich aber einfach mal auf seine Neugier schob.
Kaum merklich blähten sich seine Nasenlöcher und er nahm unsere Witterung auf. Dadurch veränderte sich seine passiv-aggressive Haltung innerhalb von Sekunden. Erst legte sich seine Stirn in tiefe Falten, bevor ein dunkles Leuchten in seinen Augen erschien und er breit zu grinsen begann.
»Herzlich willkommen im Dschungel und in eurem neuen Zuhause«, brummte er und kam einen großzügigen Schritt auf uns zu.
Nolan und ich waren so verblüfft, dass wir es erst registrierten, als er nur noch eine Armlänge von uns entfernt stand. »Willst du nicht noch mehr über uns wissen oder wenigstens die anderen aus eurem Rat fragen, bevor du uns bleiben lässt? Ich meine, wir sind natürlich dankbar und freuen uns, aber ...«
Bevor Nolan noch mehr stammeln konnte, winkte Kenko lasch ab und schob den Mann zur Seite. »Ich weiß genug. Ihr seid willkommen und ... besonders du, mein hübsches Kätzchen.«
Ich riss panisch die Augen auf, als der riesige Mann so urplötzlich direkt vor mir stand und mich mit einem eindeutig lüsternen Funkeln in den Augen fixierte. Ich konnte mich nicht mal rühren, als er eine Hand nach meinem Gesicht ausstreckte und ...
»Hey, Moment mal!«
Nolan, mein ewiger Lebensretter, fing die Hand noch in der Luft ab und baute sich vor dem Gorillawandler auf. Diese Drohgebärde sah leider wenig beeindruckend aus, was vor allem daran liegen könnte, dass Kenko ihn um einen guten Kopf überragte und den Mann auch gar nicht wirklich beachtete.
Sein Blick galt weiterhin mir. Ein Blick aus dunkelbraunen Augen, die nun fast schwarz vor unverfälschter Lust wirkten. Sie waren nicht das einzige Indiz dafür, dass der Mann mich wollte. Sein großer Schaft hatte sich innerhalb weniger Momente steil aufgerichtet und zuckte leicht bei meinem Anblick. Ich zuckte auch, allerdings einen guten Schritt vor ihm zurück.
»Komm zu mir, kleines Kätzchen«, schnurrte der Mann und ich wollte nur noch schreiend weglaufen. Dass ich es nicht tat, lag nur an meinem Freund, der dem Gorilla jetzt sogar vor die Brust stieß, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Komm wieder runter, Mann, das ist mein Partner«, zischte er und gewann dadurch tatsächlich Kenkos Aufmerksamkeit.
Er betrachtete den viel kleineren Mann mit einem arroganten Lächeln. »Richtig heißt es, er war es! Vergangenheitsform. Du wirst nicht wirklich so dumm sein und dich weiterhin zwischen meinen Gefährten und mich stellen, richtig?«
Das folgende Knurren traf mich genauso schockierend, wie seine Worte. Die Aggressivität, mit der es ausgestoßen wurde, machte mich sprachlos. Die Aussage seiner Worte tat es auch. Das konnte nur ein Missverständnis sein. Oder ein sehr schlechter Witz, den ich nicht verstand.
Alle Augen richteten sich nun auf Nolan, der einen unsicheren Schritt nach hinten auswich und seinen fassungslosen Blick nicht von Kenko nehmen konnte. »Das ist ein Scherz.«
Meine Rede!
»Warum sollte ich darüber scherzen!«, knurrte der Wandler erneut und verlor so langsam seine Geduld. »Geh mir jetzt sofort aus dem Weg, du Vogel oder ich reiß dir deine Federn alle einzeln aus!«
Nolan reckte stolz das Kinn und hob bereits kämpferisch die Fäuste in die Höhe, als sich meine Starre endlich von mir löste und ich eingriff.
»Nein! Lasst das sofort sein«, rief ich panisch und stellte mich sogar vor meinen Freund. Es musste erbärmlich ausgesehen haben, da ich mich halb an seine Brust zusammenkauerte, aber wenigstens würden Kenkos Schläge zuerst mich treffen und nicht Nolan, der mich nur beschützen wollte.
Ich richtete meinen nervösen Blick auf den Gorilla, konnte ihm aber nicht ins Gesicht sehen. »Lass ihn in Ruhe, bitte.«
»Dann verlass ihn und komm zu mir«, forderte Kenko lautstark.
Ich schüttelte ängstlich meinen Kopf. »Du musst dich irren. Ich bin nicht dein Gefährte.«
Die Gesichtszüge des Wandlers erstarrten. »Willst du mir etwa sagen, dass du es nicht fühlst?«
Wieder ein heftiges Kopfschütteln. »Nein, tut mir leid.«
Das folgende Brüllen aus seinem Mund hatte kaum noch etwas menschliches an sich und erschütterte mich bis ins tiefste meiner Seele. Plötzlich lag der Geruch blanker Panik in der Luft, die nicht nur ich zu empfinden schien. Kenkos Wandlerfreunde suchten inzwischen auch Abstand zu ihm und Freddy konnte nur ratlos zwischen uns hin und her starren. Wir standen nun alle drei allein inmitten eines Zentrums aus furchtsamen Schweigen und Ratlosigkeit.
Mein Körper zitterte und ich klammerte mich heftiger an Nolan fest, der mir besänftigend über den Rücken streichelte.
»Hör auf damit, du machst ihm Angst!«, zischte er und ich konnte mich in diesem Moment noch nicht mal für die Wahrheit seiner Worte schämen. Ich wartete noch immer auf den ersten Schlag, der mit Sicherheit jeden Augenblick kommen musste.
»Red keinen Unsinn! Er ist mein Gefährte und weiß, dass er keine Angst vor mir zu haben braucht. Er gehört mir!«
Ich wimmerte leise und versteckte meinen Kopf an Nolans Hals. Wie hatte das nur passieren können? Waren wir nicht hierhergekommen, um endlich zur Ruhe zu kommen? Nun sah es so aus, als wäre ich erneut in einem Albtraum gelandet. Einem Albtraum, aus dem ich diesmal vielleicht nicht herauskommen würde.
»Geh weg! Geh weg! Geh weg!«, murmelte ich immer wieder erstickt und es half. Der Gorillawandler wich fassungslos zurück.
»Er hat wirklich Angst vor mir«, murmelte Kenko und Nolan wandte sich mit mir in den Armen um, schob mich sachte und vorsichtig auf den Jeep zu.
»Ich sagte es dir doch. Wenn dir wirklich etwas an seinem Wohl liegt, dann lass uns jetzt gehen.«
»Du erwartest Unmögliches von mir«, rief uns der Gorilla hinterher und Nolan schüttelte den Kopf, warf dem Mann über die Schulter hinweg einen Blick zu, den ich nicht sehen konnte.
»Nein, denn wenn er wirklich dein Gefährte ist, wirst du ihm nicht noch mehr schaden wollen.« Eine kurze Pause folgte, die sehr gewichtig wirkte. »Wir können später reden. Nicht jetzt.«
Ich wusste nicht, was bei dem schweigendem Blickduell der beiden Männer geschah, aber Kenko machte tatsächlich keine Anstalten mehr, sich mir zu nähern und ließ uns ziehen. Ich konnte erst wieder problemlos atmen, als ich im Jeep saß und zusah, wie der Gorilla aus unserem Blickfeld verschwand.
Gleich darauf waren wir allein und nur Freddy war zurückgeblieben. Er musterte uns und vor allem mich mit einem undeutbaren Blick, bis Nolan ihn zu sich winkte.
»Weißt du etwas, wo wir heute Nacht bleiben können?«, fragte er, sobald die Feuerameise neben dem Jeep stand.
Ich sah sofort in meinen Schoß, weil ich mich für mein Verhalten eben in Grund und Boden schämte. Ich hatte nicht gewollt, dass jeder sofort erfuhr, dass ich einen Knacks weghatte. Mission missglückt. Ich hatte nicht einmal eine Stunde an diesem Ort gebraucht, um mich zu enttarnen. Da konnte ich nur Glückwunsch sagen und willkommen im neuen Zuhause!
»Wann können wir wieder nach Hause fliegen?«, fragte ich, während Nolan unser Zelt aufbaute. Freddy hatte uns einen Platz unweit des Dorfes gezeigt, das im Moment kein anderer Wandler für sich beanspruchte und war dann schnell verschwunden. Mir war es recht, denn so konnte ich mit Nolan sofort klären, wann wir wieder von hier verschwanden.
Nolan seufzte. »Wir können nicht einfach wieder abhauen. Wir sind um die halbe Welt gereist, um hierher zu kommen und ich denke nach wie vor, dass hier der beste Ort für uns ist.«
Das sah ich ganz und gar anders. »Wie kannst du das sagen, nachdem was heute passiert ist?«
Mein Freund sah mich leicht niedergeschlagen an. Mir fiel mal wieder auf, wie müde er in letzter Zeit wirkte. »Seinem Gefährten zu begegnen ist eigentlich eine gute Sache, weißt du?«
Das machte mich fassungslos. »Du glaubst wirklich, dass er mein Gefährte ist?«
Ich bekam ein hilfloses Schulterzucken als Antwort. »Er schien davon überzeugt zu sein und deshalb müssen wir die Möglichkeit auch in Betracht ziehen.«
»Müssen wir gar nicht«, fuhr ich auf. »Ich spüre nichts dergleichen und außerdem würde ich mich nie mit einem Gefährten wie ihn einverstanden erklären. Er ist aggressiv und gefährlich!«
»Er war aufgebracht, weil sein Gefährte ihn nicht erkannt hat und einen anderen Mann berührte. Das wäre jedem von uns so gegangen«, nahm Nolan ihn in Schutz, aber es konnte nicht über seine Traurigkeit hinwegtäuschen. »Gefährten erkennen einander im Normalfall an einem Blick oder spätestens über den Geruch. Du warst vielleicht einfach zu eingeschüchtert, um es zu bemerken.«
Das wäre jetzt die Möglichkeit, Nolan endlich ziehen zu lassen. Ich bräuchte nur zu sagen, dass dieser Kenko wirklich mein Gefährte war und ich wusste, Nolan würde sich ohne Zögern fügen und gehen. Mein Kopf war bereit für diese Worte ... mein Körper nicht. Mein Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus. Ich konnte es nicht.
Schweigend half ich beim Zeltaufbau und ergriff erst wieder das Wort, als wir im Inneren in den Schlafsäcken lagen. »Vielleicht hast du recht und ich hatte zu viel Angst, um es zu erkennen«, gestand ich leise in die Dunkelheit. »Es ändert aber nichts an uns oder unserer Situation. Und vor allem ändert es mich nicht. Du bist mein alles. Ich will ihn nicht und wenn er die Wahrheit kennt, wird er mich auch nicht mehr wollen.«
»Das ist Unsinn, Asher. Wenn er dein Gefährte ist, wird er dich immer wollen. Das Schicksal verbindet uns nicht wahllos.«
Meine Brust schmerzte, weil sich mal wieder pures Gift durch meine Adern schlängelte. Gift, das mich von innen heraus zerfraß. »Das Schicksal hat noch ganz anderes für mich bestimmt, von dem ich nicht wirklich angetan bin und deshalb kann ich auch nur sagen, es kann mich mal. Ich glaube nur noch daran, was ich sehen und fühlen kann. Für Kenko fühle ich nichts als Abneigung, aber du bedeutest mir alles.«
Nolans Schlafsack raschelte und wenig später lag ich in seinen Armen. »Ich weiß«, flüsterte er leise in mein Ohr. »Und du bedeutest für mich meine Welt. Ich liebe dich und will dich nicht verlieren, aber ... vielleicht ist es ein Zeichen, dass du gerade jetzt und hier auf deinen wahren Gefährten triffst. Vielleicht kann er dir helfen, was ...«
»Schluss damit!«, fuhr ich ihn ins Wort. »Es ist höchstens ein Zeichen dafür, dass wir schnell wieder von hier verschwinden sollten. Scheiß auf den Dschungel, uns ging es doch gut in Frisco.«
»Red dir das nicht ein, Asher. Du hast dich in deiner Wohnung eingeschlossen. Hier kannst du frei sein.«
»Frei sein kann ich nur mit dir an meiner Seite«, hauchte ich und es war die volle Wahrheit und zugleich die bitterste Lüge, die mir je über die Lippen gekommen war. »Ich brauche dich.«
»Und ich werde immer da sein«, versprach er und küsste mich.
Ich seufzte an seinen Lippen und ließ seine Zunge ein, ließ sie meinen Mund erforschen und für sich einnehmen. Es war ein sanfter aber drängender Kuss, der mehr von seiner inneren Zerrissenheit verriet, als er wahrscheinlich sollte. Mir blutete das Herz.
Wegen ihm.
Wegen mir.
Wegen dem, was nie hätte geschehen sollen ...
Tag der Veröffentlichung: 25.06.2019
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