Als Heilpädagoge interessiert mich neben der großen Weltpolitik immer auch, welche Menschen dahinterstehen und was sie – nicht nur politisch und taktisch gesehen, sondern auch menschlich, persönlich – zu dieser Entscheidung oder Handlung veranlasst hat, und wie sich diese Menschen in ihrer jeweiligen Position als Politiker verändert haben. Es bewegt mich, dass Vieles, das von namhaften und bekannten Menschen veranlasst wurde, von anderen ausgeführt wird, ohne die Sinnhaftigkeit oder die Missachtung von Menschlichkeit zu hinterfragen.
Deshalb ist mir das Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertold Brecht sehr sympathisch:
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf?
In welchen Häusern des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer?
Das große Rom Ist voll von Triumphbögen.
Wer errichtete sie?
Über wen triumphierten die Cäsaren?
Hatte das vielbesungene Byzanz nur Paläste für seine Bewohner?
Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war.
Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen? So viele Berichte. So viele Fragen.
Doch wenn man in die Weltpolitik blickt, kann man auch fragen:
War es Adolf Hitler allein, hat er einen Menschen eigenhändig umgebracht oder nur für andere Mörder die Ideologie geliefert?
Es waren die vielen Nazis und Mitläufer, die seine verbrecherische und hasserfüllte Ideologie in die Tat umsetzten.
War es Josef Stalin allein?
Oder waren es die vielen kommunistischen sowjetischen Aufseherinnen und Aufseher, die seine verbrecherische und menschenverachtende Ideologie in die Tat umsetzten.
Ist es Wladimir Putin allein, hat er einen Menschen eigenhändig umgebracht oder nur für andere Mörder die Ideologie geliefert?
Es waren und sind die vielen russischen Soldaten, die seine verbrecherische und hasserfüllte Ideologie in die Tat umsetzen.
War das der Hamas-Führer Ismail Haniyya in seinem Versteck irgendwo in Katar allein, hat er einen Menschen eigenhändig umgebracht oder nur für andere Mörder die Ideologie geliefert?
Es waren und sind die vielen Hamas-Terroristen, die seine verbrecherische und hasserfüllte Ideologie in die Tat umsetzen.
Ist es der israelische Präsident Benjamin Netanjahu allein, oder sind es die vielen israelischen Soldaten, welche ohne die Zivilbevölkerung zu schützen, die Hamas vernichten wollen?
Waren es die Verantwortlichen im Balkankrieg 1991 bis 1995 wie etwa der Serbenführer Radovan Karadžić und sein oberster Offizier Radtko Mladic allein, oder waren es die vielen am Krieg beteiligten Menschen auf beiden Seiten?
Sind es die Anführer der vielen Kriege in Afrika allein, oder sind es die vielen Menschen, die die verbrecherischen und hasserfüllten Ideologien in die Tat umsetzen?
So könnte man bei allen politisch motivierten Verbrechen fragen.
Auf diese Frage finde ich keine Antwort. Was bringt Menschen dazu, als Angehörige einer Gruppierung solche unmenschlichen und hasserfüllten Verbrechen zu begehen, die man als Privatmensch nie begehen würde? Was spielt sich in jedem einzelnen Menschen ab, dass ihn eine Ideologie derart vereinnahmt, dass jede Form von moralischen Bedenken, von menschlichen Empfindungen, von Gewissensbissen abhandenkommt und dieser Mensch solche Verbrechen bedenkenlos begehen kann und dabei noch das Gefühl entwickelt, richtig zu handeln.
Kann Hass jeden Menschen verändern und jede Ideologie Menschen derart verblenden, dass sie jedes Verbrechen begehen können, ohne dass sich ihr Gewissen regt?
Kann mich und andere der wertorientierte verfassungsgemäße Grundsatz „die Würde des Menschen ist unantastbar“ von solchem Verhalten abhalten, oder bedarf es noch für jeden von uns einer tiefer gehenden Form der Vermittlung einer humanen Werthaltung?
Dass Hass eine Triebfeder für unrationelles Verhalten sein kann, erfährt in unserer wertorientierten Gesellschaft auch jedes Scheidungsgericht, wenn Menschen, die sich einmal geliebt haben, nun um Unterhaltsleistungen, gerechte Vermögensaufteilung und / oder das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder streiten. Und dass man in unserer westeuropäischen Welt immer wieder von Gewalt gegen Frauen lesen muss, ist unbegreiflich. Die Frage, was Menschen zu hassenden, den anderen missachtenden Lebewesen macht, bleibt für mich ein Rätsel.
Für mich bleibt der christliche Grundsatz Richtschnur: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Satz: Zuerst im April 2024 unter www.belletistica.com veröffentlicht. Doch die Website ist oft nicht erreichbar und wird am 31.12.2025 abgeschaltet.
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2025
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