Tschechen und Deutsche haben im böhmischen und im sächsischen Teil des Erzgebirges seit Jahrhunderten gut zusammengelebt. Die Grenze zwischen dem tschechisch geprägten Königreich Böhmen und dem deutsch geprägten Königreich Sachsen bestand für die Menschen kaum. Ihnen wurde nur durch die Kirche und die Politik im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mal bewusst gemacht, dass es zwischen beiden Völkern Unterschiede gibt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Grenze zwischen der damaligen Tschechoslowakei und Deutschland neu festgelegt, ohne wie bisher durchlässig zu sein. Man konnte nur noch mit einem Visum eines der beiden Länder besuchen.
Die nicht zusammenhängenden Gebiete in der Tschechoslowakei entlang der Grenzen zum Deutschen Reich und zu Österreich, in welchem viele Deutsche und Österreicher lebten, nannte man ab 1918 Sudetenland, sowie in der NS-Propaganda ab 1933 Sudetendeutschland. Vor 1918 hatten die sudetendeutschen Gebiete zum Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn gehört und es hatte keine Bedeutung, ob man Tscheche, Deutscher oder Österreicher war. Doch mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus Ende der 1920er Jahre wurden immer häufiger Konflikte zwischen den tschechischen Menschen und den deutschsprachigen Menschen provoziert. Hitler verlangte deshalb den Anschluss des Sudetenlandes ans Deutsche Reich und drohte sonst mit Krieg. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs schlossen deshalb in München ohne Beteiligung der tschechischen Regierung ein Abkommen mit den Nationalsozialisten. Nach dem Münchener Abkommen vom September 1938 wurde das Sudetenland von der Tschechoslowakei abgetrennt, den Tschechen weggenommen und ins Deutsche Reich eingegliedert. Man feierte das international als Sicherung des Friedens, weil man irrtümlicherweise glaubte, damit einen Krieg verhindert zu haben. Das ans Deutsche Reich „angeschlossene“ Gebiet hatte 3,6 Millionen Einwohner, davon etwa 2,9 Millionen Deutsche und 0,7 Millionen Tschechen. – Während bisher im Sudetenland alle Orts- und Straßenschilder zweisprachig waren, waren diese ab 1938 nur noch deutschsprachig und ab 1945 tschechisch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden insgesamt drei Millionen der knapp über 3,2 Millionen Sudetendeutschen vertrieben und die Tschechoslowakei wurde ein Staat ohne deutsche Bevölkerung. Das Sudetenland hatte keine geografische oder administrative Bedeutung mehr. Die Tschechoslowakei wurde ein kommunistischer Staat und nannte sich CSSR (Tschechische Sozialistische Republik). Am 1. Januar 1972 wurde die Visumpflicht zur DDR aufgehoben.
Nach der Wende, am 1. Januar 1993 wurde die Tschechoslowakei geteilt und entstanden die beiden selbständigen Staaten Tschechische Republik (Tschechien) und Slowakische Republik. Die Tschechische Republik ist seit 1993 Mitglied der Vereinten Nationen, seit 1999 Mitglied der NATO und seit 2004 Teil der Europäischen Union. Seitdem spielt die Grenze mitten im Erzgebirge zwischen Deutschland und Tschechien, und damit zwischen Böhmen und Sachsen, nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die bekannteste und bis heute verehrte Person in Tschechien ist der Theologe und tschechische Reformator Jan Hus, auch unter dem Namen Johannes Huss bekannt, geboren 1370 in Husinec in Böhmen und am 6. Juli 1415 auf dem Konzil in Konstanzz am Bodensee, einer Versammlung der Kirchenfürsten, trotz Zusicherung von freiem Geleit, hingerichtet, nachdem er auf dem Konzil seine Reformgedanken vorgetragen hatte und seine Lehre nicht hatte widerrufen wollen. Er wurde als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Seine Anhänger, die Hussiten, wurden von den meisten böhmischen Adeligen unterstützt und richteten sich hauptsächlich gegen die böhmischen Könige, die damals gleichzeitig das Amt des römisch-deutschen Kaisers bekleideten, und gegen die römisch-katholische Kirche. Infolge der Auseinandersetzungen kam es in den Jahren 1419 bis 1434 zu mehreren Hussitenriegen.
Die Hussiten mussten aus Böhmen fliehen und fanden Zuflucht in der Oberlausitz zwischen Zittau und Görlitz, in dem Gut Kunwald. Dort nannte man sie „böhmische Brüder“. Im Gut Kunwald gründeten sie die Siedlung Herrnhut und 1727 unter dem Theologen Graf Zinsendorf die Herrnhuter Brüdergemeine, die noch heute besteht und weltweit bekannt ist durch Herausgabe der biblischen Losungen für jeden Tag und die Herrnhuter Adventssterne.
In Böhmen waren die Tschechen mehrheitlich katholisch und nach Luthers Reformation die meisten Deutschen protestantisch. Heute sind 4 % römisch-katholisch, 0,5 % evangelisch, 0,4 % tschechisch-hussitisch. Die meisten Menschen gehören jedoch keiner Religionsgemeinschaft an.
Genannt werden muss auch Georgius Agricola. Er wurde unter dem Namen Georg Bauer. 1494 in Glauchau in Sachsen geboren. Während seines Aufenthalts 1518 in Italien hat er seinen Namen latinisiert und nannte sich nunmehr Georgius Agricola. 1519 zog er als Arzt und Apotheker nach Joachimsthal (auf Tschechisch Jáchymov) und widmete sich nebenbei der Mineralogie. Dort begann er, ein achtbändiges wissenschaftliches Werk unter dem Titel „De Re Metallica“ zu schreiben, welches er 1550 im evangelischen Chemnitz, wo er als Katholik inzwischen Bürgermeister war, beendete. Dort starb er 1559. In einem seiner Bücher beschreibt er seine Erfindung, die Druckpumpe, mit welcher man erstmals das Grundwasser aus größerer Tiefe nach oben an die Erdoberfläche pumpen konnte. Dadurch wurde der Abbau des in der Erde vorkommenden Silbers in größerer Tiefe sowohl im böhmischen Erzgebirge als auch im sächsischen Erzgebirge nicht mehr nur in leicht ansteigenden Stollen, wo das Wasser abfließen konnte, sondern auch in senkrecht angelegten Schächten erst möglich.
In Georgius Agricolas Leben wird die Verflechtung zwischen Böhmen und Sachsen deutlich.
Auch Adam Ries muss genannt werden. Er wurde 1492 in Bamberg geboren und zog als Zwanzigjähriger nach Annaberg ins Erzgebirge, wo er 1550 starb. Er gilt als der „Vater des modernen Rechnens“, denn er hat mit seinen Werken entscheidend dazu beigetragen, dass die römische Zahlendarstellung als unhandlich erkannt und weitgehend durch die indisch-arabischen Zahlzeichen ersetzt wurden, welche das Rechnen erst möglich machte. In Annaberg gründete er eine Rechenschule und lehrte dort die vier Grundrechenarten Addieren (Zusammenzählen), Subtrahieren (Abziehen), Multiplizieren (Malnehmen) und Dividieren (Teilen). Durch ihn wurden die indisch-arabischen Zahlen und das Rechnen mit ihnen in Sachsen und in Böhmen eingeführt. Sein Name ist aus der Redewendung "nach Adam Riese" allgemein bekannt. - Eine Vielzahl von Adam-Ries-Nachfahren lebt noch heute im Obererzgebirge.
Ebenso muss auch Barbara Uthmann genannt werden. Sie lebte von 1514 bis zu ihrem Tod 1575 ebenfalls in Annaberg. Als um 1560 der Silberbergbau zu Ende ging, führte sie das Klöppeln ein, um wenigstens den Frauen der arbeitslos gewordenen erzgebirgischen Bergleute Arbeit zu beschaffen. Klöppeln ist eine Handarbeitstechnik, die sich als Hausindustrie etabliert hat, bei der mittels Klöppel (spindelförmige, meist aus Holz gefertigten „Spulen“) und dem daran aufgewickelten Garn verschiedenartige Spitzen gefertigt werden. Den Ursprung der Technik vermutet man in Italien. Um 1557 erschien in Venedig das erste Buch mit Mustern für das Klöppeln. Aus Italien soll die Technik zunächst nach Spanien und von dort in die Niederlande und danach nach Frankreich gelangt sein. Barbara Uthmann, die Witwe eines Montan-Unternehmers aus Annaberg, soll als Verlegerin maßgeblich an der Verbreitung des Klöppelns im Erzgebirge beteiligt gewesen sein. Sie hat bis zu 900 Bortenwirkerinnen aus Sachsen und Böhmen mit Aufträgen versorgt.
Nicht unerwähnt bleiben darf auch der Orgelbauer Gottfried Silbermann, Er wurde 1683 in Frauenstein im Osterzgebirge geboren und lebte dort bis zu seinem Tode im Jahr 1753. In Frauenstein hat er auch die größte Orgel gebaut und der Kirchengemeinde geschenkt. Bekannt sind auch Orgeln von ihm in Bautzen und in Crostau bei Zittau (Oberlausitz)-Außerdem hat er viele Orgeln in kleineren Kirchen in Böhmen und Sachsen gebaut.
Ebenso muss Adalbert Stifter genannt werden. Er wurde 1806 in Oberplan an der Moldau im Böhmerwald (heute Horni Plana in Tschechien) geboren und ist 1868 in Linz an Pocken gestorben. Er war ein nicht nur in Böhmen, sondern vor allem auch in Österreich bekannter Schriftsteller, Maler und Pädagoge. Adalbert Stifter zählt zu den bedeutendsten Autoren des Biedermeier. Zu seinen Werken zählen Erzählungen und Novellen sowie die längeren Romane "Der Nachsommer" und "Wiotiko".
Doch es gab zu beiden Seiten auch Nationalisten wie etwa den tschechischen Komponisten der Romantik Bedřich Smetana. Er wurde 1824 als Friedrich Smetana in Litomysl in Böhmen geboren und auch auf diesen Namen getauft. Erst als Erwachsener, im Zuge der nationalen Unabhängigkeitsbewegung Böhmens, änderte er seinen Vornamen bewusst in die tschechische Namensform. Smetana starb 1884 in Prag. Sein bekanntestes Werk ist die symphonische Dichtung "Die Moldau" (tschechisch „Vltava“) aus dem Orchesterzyklus "Mein Vaterland" („Má vlast“).
Auf deutscher Seite ist der erzgebirgische Heimatdichter Anton Günther zu nennen. Er wurde 1876 in Gottesgab, dem heutigen Boẑi Dar (ins Deutsche übersetzt = Gottes Geschenk) in Böhmen, unweit von Oberwiesental, geboren. Durch seine in erzgebirgischer Mundart gedichteten Lieder, vor allem „Feieromd“, wurde er deutschlandweit bekannt. 1908 dichte er:
„Deitsch on frei wolln mer sei,
on do bleibn mer aah derbei,
weil mer Arzgebirger sei.“
Trotz seiner nationalistischen Haltung ließ er sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen. Anton Günther gilt als Begründer der Liedpostkarte, einer Postkarte mit einfachen Notenbildern, Texten und eigenen Lithografien. Er war der Erste, der 1895 ein komplettes Lied (da aber noch ohne Noten) auf eine Postkarte bannte. 1937 nahm er sich das Leben. Es wird darüber gerätselt, ob der Grund in seinen Depressionen zu suchen ist, an denen er viele Jahre litt, oder daran, dass seine Tochter einen Nazi-Funktionär heiratete. – Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Boẑi Dar. Seine Witwe wurde 1945 aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und lebte bis zu ihrem Tod 1958 im sechs Kilometer entfernten deutschen Oberwiesental. Sie hat den Friedhof in Boẑi Dar niemals besucht. - Doch auf seinem Grab befinden sich immer frische Blumen. Frau Günther konnte aber immer von Oberwiesenthal hinab nach Boẑi Dar und damit auf ihr ehemaliges Anwesen und den Friedhof blicken.
Schließlich muss noch Franz (tschechisch František) Kafka genannt werden. Er wurde 1883 als Sohn einer jüdischen Familie in Prag geboren, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Er starb 1924 in Kieling in Niederösterreich. Kafka schrieb seine Werke in deutscher Sprache. Sein Ruhm und seine Berühmtheit gewannen Kafka erst nach seinem Tod mit der Veröffentlichung seiner restlichen Werke, die er seinem engen jüdischen Freund Max Brod hinterlassen hatte. Sein bekanntestes Werk ist der zur Weltliteratur gehörende Roman „Der Prozess“. - An Kafkas Leben wird deutlich, dass man zu kurz greift, wenn man einen Menschen dem einen oder anderen Staat zuordnet.
Abschließend muss ich auch noch meinen Bruder Ekkehard erwähnen. Während seines Theologiestudiums ab 1955 in Ostberlin teilte er seine Studentenbude mit einem tschechischen Theologiestudenten. In dieser Zeit erlernte er die tschechische Sprache. Beide blieben ihr Leben lang freundschaftlich verbunden und hielten regelmäßig in den jeweiligen Kirchengemeinden in der CSSR und in der DDR wechselseitig Gottesdienste. Ekkehards und meine Familie machten nicht nur im sächsischen Teil des Erzgebirges gemeinsam Urlaub, sondern besuchten auch Prag, Brünn, Oberplan, Pilsen, Budweis, Karlsbad. Wir machten Urlaub in der Hohen Tatra, der Niederen Tatra, im Slowakischen Paradies, am Lipno-See, einem Stausee, welcher die Moldau aufstaut und so Prag vor Hochwasser schützen soll, und in Johanka, einem kleinen Dorf am Fuße des Klinovec. Gemeinsam mit Ekkehard nahm ich vierzehn Mal am Einhundert-Kilometer-Lauf in Liberec im Iser-Gebirge teil. Achtmal fuhren wir nach der Wende im Winter am Keilberg (Klinovec) im tschechischen Teil des Erzgebirges unweit von Oberwiesenthal und dem Fichtelberg Ski. Und wir besuchten Joachimsthal (Jáchymov), wo der Taler seinen Ursprung hatte, den Friedhof in Boẑi Dar und waren am Grab von Anton Günther. Wir besuchten auch das Schlachtfeld bei Königgrätz, wo im Juli 1866 die Armee Preußens die Armeen Österreichs und Sachsens besiegte. Danach bildete sich der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, zu dem auch das Königreich Böhmen (Tschechien) und die Slowakei gehörten. Erst nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 wurde die Tschechoslowakei ein eigenständiger Staat. Das Königreich Sachsen hingegen schloss sich 1871 dem unter der Führung Preußens neu gebildetem Deutschen Reich an.
Tag der Veröffentlichung: 07.04.2025
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