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Günter

 

 

Mit Günter war ich von 1967 bis zu seinem Tod mit 85 Jahren im Jahr 2021 befreundet, also 54 Jahre lang. Und dabei begann unsere Bekanntschaft seinerseits mit einer Ablehnung. Er war damals als einer der wenigen Absolventen des international bekannten Heilpädagogischen Seminars (HPS) Zürich in der Schweiz Heimleiter des Heilpädagogischen Heimes Bad Segeberg in Schleswig-Holstein, einem Heim, welches damals beispielhaft für die Heimerziehung im Nachkriegsdeutschland war. Ich war 1964 Student am ersten deutschen HPS in Bethel bei Bielefeld und hatte mich für ein Praktikum in Bad Segeberg beworben. Meine Bewerbung wurde von Günter abgelehnt.

 

Doch 1967, ich war als Heilpädagoge Leiter des heilpädagogischen Kinderheimes in Reinfeld bei Lübeck in Schleswig-Holstein etwa 15 Kilometer von Bad Segeberg entfernt geworden, begegneten wir uns auf einer Tagung des Berufsverbands der Heilpädagogen in Springen im Taunus. Dort entwickelten wir spontan gegenseitige Sympathien für einander. Wir verabredeten, im Sommer 1968 in einem alten Schloss, dem Schlos Gerstein bei Klausen in Südtirol in Italien gemeinsam, d.h. jedes Heim nach einander für je drei Wochen ein Ferienlager durchzuführen. Im Frühjahr 1968 bereiteten wir dieses Ferienlager gemeinsam in Südtirol vor. Das Ferienlager verlief für beide Heime so gut, dass wir auch in den Jahren 1969 und 1970 gemeinsam auf dem alten Schloss zu den Sommerferien Ferienlager durchführten.

 

In dieser Zeit entwickelte sich aus der sachlichen Beziehung eine persönliche, freundschaftliche Beziehung. Wir nahmen gegenseitig Anteil an familiären Ereignissen. Als Ursula zum dritten Mal schwanger war und gemeinsam mit mir an der jährlichen Bundesfachtagung des Berufsverbands der Heilpädagogen teilnahm, schlossen Günter und ich an einem geselligen Abend unter reger Teilnahme von Kolleginnen und Kollegen folgende Wette ab: Sollte uns ein Junge geboren werden, wird Günter dem Jungen bis zu dessen Einschulung sämtliche Schuhe bezahlen. Sollte uns aber eine Tochter geboren werden, habe ich bis zu deren Einschulung neben meinem auch Günters Mitgliedsbeiträge zum Berufsverband der Heilpädagogen zu zahlen.

 

Im April 1976 wurde uns eine Tochter geboren. Ich war Vorsitzender des Berufsverbands der Heilpädagogen und musste in den sechs Jahren bis zur Einschulung unserer Tochter mehrmals auf den Mitgliederversammlungen eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge beschließen lassen. Dabei war mir klar, dass es mich immer doppelt trifft. – Günter wurde aber Taufpate unserer Tochter und machte seinem Patenkind an den Geburtstagen und zu Weihnachten großzügige Geschenke.

 

1976 fuhren Günter und ich gemeinsam mit zehn Jugendlichen aus unseren Heimen mit zwei alten VW-Bussen durch Skandinavien bis zum Nordkap.

 

Über viele Jahre trafen wir uns gemeinsam mit unseren Ehepartnern zu Restaurantbesuchen oder bei einer von beiden Familien zu Hause. Diese Verbindung blieb auch bestehen, nachdem wir in den Ruhestand gegangen waren. Nur bei Günterts Beerdigung durften Ursula und ich wegen der Corona-Pandemie nicht dabei sein.

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Cover: Schloss Gerstein bei Klausen in Südtirol
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2023

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