Klinovec, zu Deutsch Keilberg, heißt der höchste Berg des Erzgebirges. Er liegt im tschechischen Teil des Erzgebirges, misst 1243 Meter und ist nur vier Kilometer vom zweithöchsten Berg des Erzgebirges, dem Fichtelberg bei Oberwiesental im sächsischen Teil des Erzgebirges entfernt. Er ist 1213 Meter hoch. Beide Berge sind als Ski-Region bekannt. Nach der Wende war ich acht Jahre lang in jedem Winter jeweils für eine Woche auf dem Klinovec zum Skilaufen. Die Skipisten und die Schlepplifte waren noch recht einfach. Sie stammten alle noch aus der kommunistischen Zeit vor der Wende. Unterkunft und Skipass für eine Woche waren nicht teurer als beides für einen Tag in Österreich. Vor allem aber fiel man nicht auf, wenn man nicht mit der modernsten Skiausrüstung und dem neuesten Skianzug ausgestattet war. Doch man hat sich immer mehr den westeuropäischen Skigebieten angeglichen. Die Schlepplifte wurden durch Sessellifte ersetzt. Und Skikanonen sorgen jetzt für eine Beschneiung der Skipisten und verlängern die Saison. – Natürlich wurden auch die Preise in den Hotels und an den Skihängen den westlichen Skigebieten angepasst.
Am Fuße des Klinovec befindet sich das Dörfchen Haj, zu Deutsch Stolzenhain. Es wurde im Mittelalter durch einen florierenden Silberbergbau bekannt. Während der Reformation mussten die Protestanten aus dem katholischen in Böhmen gelegenen Haj ins sächsische Oberwiesental fliehen. Heute ist Haj nur noch durch seine zahlreichen Übernachtungsmöglichkeiten für die Wintersportler und die Wanderer im Sommer bekannt. Für mich war es geradezu ein Ritual, bei jedem Winterurlaub mindestens einmal die Gaststätte „Johanka“ in Haj aufzusuchen. 1993 verbrachten wir in dieser Gaststätte mit der Familie auch einige Sommertage, denn man kann dort auch in bescheidenen Zimmern übernachten.
In den Jahren 1995 bis 2003 verbrachte ich acht Mal mit meinem fünf Jahre älteren Bruder Ekkehard im Februar eine Woche Skiurlaub auf dem Klinovec. Wir nannten diesen Urlaub stets „Männerurlaub“. Einquartiert waren wir immer in der Bergstation des alten Sesselliftes direkt am Gipfel des Klinovec. Dort gab es fünf Zimmer zum Übernachten und eine kleine Gaststätte. Wir hatten stets ein sehr preiswertes Doppelzimmer. Da es sich um ein Holzhaus handelte, machten wir stets am Heizkörper unter dem Fenster ein Kletterseil fest, um uns im Ernstfall schnell aus dem Zimmer abseilen zu können. Tagsüber war in der Gaststätte dieser Bergstation viel Betrieb. Doch nachdem am Abend die Lifte nicht mehr liefen, wurde es sehr still, denn nur die wenigen Übernachtungsgäste waren noch da. Unseren Männerurlaub im Februar 2004 mussten wir kurzfristig absagen, da die Bergstation des Sesselliftes abgebrannt war und wir so schnell keine andere Unterkunft finden konnten. So bin ich im Februar 2003 im Alter von 65 Jahren zum letzten Mal in meinem Leben Ski gelaufen.
Auf der Heimfahrt suchten wir jedes Mal eine Sehenswürdigkeit des böhmischen oder des sächsischen Erzgebirges auf, wie etwa die Schaubergwerke in Annaberg-Buchholz und Ehrenfriedersdorf oder das Heimatmuseum in Schneeberg. Besonders erwähnenswert ist unser Besuch in Joachimsthal, dem heutigen Jachimov. 1516 galt dieses Städtchen als die bedeutendste Silberbergbaustadt des Erzgebirges. In ihr wurde eine Silbermünze geprägt, welche unter der Bezeichnung „Thaler“ weltweit bekannt wurde. Da im böhmischen Erzgebirge im Unterschied zum sächsischen Erzgebirge Protestanten fliehen mussten, vor allem die Hussiten, brachten um 1690 protestantische Flüchtlinge aus Joachimsthal, welche über England nach Amerika auswanderten, den Brauch der Prägung von Silbermünzen von Joachimsthal nach Amerika mit. Die Münzen wurden dort ebenfalls Thaler genannt, in der englischen Sprache „Dollar“. 1792 wurde der Dollar die offizielle Währung des Landes. Heute gilt der Dollar als die weltweit anerkannte Leitwährung.
Genannt werden muss auch der Mineraloge und Bergbaukundler Georg Bauer, welcher seinen Namen in Georgius Agricola latinisiert hatte. Er lebte einige Jahre in Joachimsthal. Dort schrieb er das über zwei Jahrhunderte beachtete Buch „De re metallica“ und erfand die Radpumpe, eine Druckpumpe, welche es erst möglich machte, in größeren Tiefen ohne leicht ansteigende Stollen mit Wasserabfluss nach draußen nach Silber zu schürfen, weil man das Grundwasser wegpumpen konnte. – Als überzeugter Katholik war er in den Jahren 1994 bis 1555, also auch in der Zeit der Reformation, im protestantisch gewordenen Chemnitz Bürgermeister.
Mehrmals besuchten wir das am Fuße des Klinovec gelegene 250-Seelen-Dörfchen Bozi Dar, zu Deutsch Gottesgab, in welchem der erzgebirgische Heimatdichter Anton Günther (1876-1936) lebte. Er ist vor allem durch zwei seiner Lieder weit über die Grenzen des Erzgebirges hinaus bekannt geworden: „Feierobnd“ (Feierabend), und „Der Vugelbeerbaam“ (Der Vogelbeerbaum).
Insgesamt ist für mich beeindruckend, dass im böhmischen wie im sächsischen Erzgebirge, im Gebiet von Klinovec und Fichtelberg über Jahrhunderte Tschechen und Deutsche friedlich zusammenlebten und ihre Sprache und Kultur gegenseitig respektierten. Nur in der Religion war man damals im katholischen Böhmischen intolerant. Grenzen spielen erst in unserem Zeitalter eine trennende Rolle und verlieren hoffentlich in einem vereinten Europa immer mehr an Bedeutung.
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2022
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