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Zerstörter Ruf

wer war Liebhold(t)?

 

Als Ursula und ich am Sonntag, dem 30. Juni 2019 am Sommerfest der Kantorei in der evangelischen Kirche St. Johannis im schleswig-holsteinischen Ahrensburg teilnahmen, sang der Chor die vierstimmige Motette „Befiehl dem Herren deine Wege“, komponiert von Liebhold. Der Sprecher, der die einzelnen Musikstücke ankündigte und dabei stets ein paar Worte zu dem Musikstück und dem Komponisten sagte, meinte, dass vom Komponisten nicht einmal der Vorname und schon gar nicht sein Geburtsort und Geburtsdatum und weitere Daten aus seinem Leben bekannt seien. Das machte mich neugierig. Deshalb versuchte ich, im Internet über Google mehr von diesem Komponisten zu erfahren. Doch meine Nachforschungen stießen dort auf enge Grenzen. Weder konnte ich seinen Vornamen in Erfahrung bringen, noch seinen Geburtsort, sein Geburtsdatum und weitere Lebensdaten. Es bleibt sogar rätselhaft, ob er sich am Ende seines Namens mit „d“ oder „dt“ schreibt. In seinen Partituren wird sein Name stets am Ende mit „d“ geschrieben, dagegen in Sammlungen, in welchen auch andere Komponisten aufgeführt sind, mit „dt“. Ich erfuhr bei Wikipedia lediglich, dass er Violine und Waldhorn gespielt habe und um 1730 bei Gotha in Thüringen erfroren sei.

 

Der Organist, Kapellmeister, Komponist und Musikwissenschaftler, Freund von Johann Sebastian Bach und Zeitgenosse Liebholds Johann Gottfried Walther (1664-1748) schrieb über ihn in seinem Musiklexikon, er sei ein „roher Mensch, hielte sich nur in Dörfern auf, kam in keine Kirche, genoss die Sacra nicht“. Trotzdem sind von Liebhold 22 geistliche Motetten und 130 geistliche Kantaten mit biblischen Themen bekannt. In diesen setzt er Instrumente ein, die in kirchlichen Musikstücken des 18. Jahrhunderts eher unüblich sind, wie z.B. das Waldhorn oder das Parforcehorn, ein Horn ohne Ventile, mit welchem man nur Naturtöne blasen kann, welches eher bei Jägern und in Hubertusmessen anzutreffen ist.

 

Eine geistliche Motette ist – einfach ausgedrückt - eine kurze mehrstimmige kirchliche Chormusik. Eine geistliche Kantate ist dagegen eine kurze mehrstimmige kirchliche Chormusik mit Instrumentalbegleitung. Beide können als Text ein Bibelwort oder ein geistliches Lied verwenden. So tragen Liebholds Kantaten Titel wie die 1709 komponierte Kantate „Vergnüglichkeit bleibt meinem Herzen“, „Ich will den Herren loben allezeit“ oder „Gott regiert mein Leben“ (komponiert vor 1695). Diese Kantate komponierte er etwa 1728 für den 17. Sonntag nach Trinitatis.

 

Wenn man die Texte und Vertonungen seiner Motetten und Kantaten in Betracht zieht, kann man sich die Äußerung von Johann Gottfried Walther über Liebhold nicht vorstellen. Ist diese etwa von einer persönlichen Fehde diktiert worden? Auf jeden Fall ist sie nicht mit Martin Luthers Erklärung zum 8. Gebot in Einklang zu bringen, wo es heißt: „… Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“

 

Die Texte seiner Motetten und Kantaten verraten demgegenüber, dass er offenbar Kontakte zu bekannten Persönlichkeiten wie den thüringischen Komponisten und Dichter Georg Neumark (1621-1681) hatte, welcher nicht nur durch den Choral „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, sondern an deutschen Königs- und Fürstenhäusern auch durch seine sonstigen Dichtungen bekannt war. Von ihm stammt der Text zu „Befiehl dem Herren deine Wege“. – Oder hat Liebhold Georg Neumarks Text ohne Absprache mit ihm einfach übernommen?

 

Vorstellbar ist aber auch, dass Liebhold zunächst als Kantor in einer evangelischen Kirche in Thüringen tätig war und aus einem unbekannten Grund in Ungnade gefallen ist und bei keiner Kirche mehr eine Anstellung fand. Es muss etwas so Ungeheuerliches gewesen sein, dass man seine zahlreichen musikalischen Werke nur noch unter Weglassung seines Vornamens und Verschweigen seiner sonstigen Lebensdaten zu Gehör brachte. In diesem Fall träfe Johann Gottfried Walthers Aussage auf seine letzten Lebensjahre zu.

 

Der Name Liebhold ist eingedeutscht. Er stammt aus dem Jüdischen und ist abgeleitet von Levi, was so viel bedeutet wie der Anhängliche, der Liebe, der Holde, welcher jedem zugetan ist. Manche jüdische Familie, welche ursprünglich Levi hieß, hat den Namen Liebhold gewählt. Vielleicht hängt der Grund für das Verschweigen seiner Lebensdaten und einer Verbannung aus kirchlichen Diensten auch mit einer vermuteten oder tatsächlichen Abstammung aus einer jüdischen Familie zusammen. Zur damaligen Zeit durfte ein Jude selbst dann, wenn er dem christlichen Glauben beigetreten war, nicht jeden Beruf ausüben.

 

Das könnte auch erklären, weshalb auf keiner seiner Partituren ein Vorname vermerkt ist. Da keine Originalpartitur von ihm vorhanden ist, sondern nur Abschriften, lässt sich jedoch nicht feststellen, ob das Weglassen seines Vornamens von ihm selbst veranlasst wurde oder erst später erfolgte.

 

Der Musikstil von Liebhold wird als „simpel, fast schon naiv“ bezeichnet. Aber seine unübliche Instrumentierung vor allem mit Blechblasinstrumenten, wird als farbenreich bezeichnet. Der Dichter, Komponist und als Braunschweiger Schlosskantor bekannte Heinrich Brokemeyer (1690-1751), vermerkte auf einer Kantate Liebholds: „Eine Probe der Composition eines gewissen Liebhold, der keine bleibende Stelle hatte, Clauseln sammelte, u. dieselben nach Hln. Telemanns Aussprüche, unglückl. zusammenleimete“. – Eine gewisse Ähnlichkeit mit Georg Philipp Telemanns (1681-1767) Musik ist nicht zu leugnen. Telemann wirkte ab 1706 für ein paar Jahre im thüringischen Eisenach und prägte mit seinen Kompositionen durch ungewöhnliche harmonische Effekte die Musik des Barock. Das kam gewiss den Vorstellungen Liebholds entgegen. Und es war damals nichts Ungewöhnliches, den Musikstil oder gar einzelne Motive eines anderen zu übernehmen. – Erst in unserer Zeit wird sehr streng darauf geachtet, dass man nicht unerlaubterweise Motive eines anderen übernimmt und als seine eigenen ausgibt.

 

Für den Musikwissenschaftler Max Seiffert (1868-1948) war die Musik Liebholds trotz solcher Kritik aber erwähnenswert und sollte deshalb der Nachwelt erhalten bleiben. Er hat die 22 Motetten Liebholds in seiner Sammlung „Thüringer Motetten“ aus der Zeit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegeben.

 

Etwas mehr über Liebold erfährt man im „Katalog der Deutschen Nationalbibliothek“. Dort erfährt man, dass er 1670 in der Wetterau geboren wurde. Die Wetterau ist ein Gebiet in Hessen nördlich von Bad Vilbel und östlich vom Taunus. Eine jüdische Abstammung würde auch erklären, weshalb er aus Hessen nach Thüringen ausgewandert ist, wo ihn niemand kennt.

 

Liebhold soll aber nach dem "Katalog der Deutschen Nationalbibliothek" bereits 1729 in Gotha verstorben sein. - Oder war es die Silversternacht 1729/1730? Dann könnten beide Jahreszahlen stimmen.

 

Das Datum 1729 wird auch in der Noten-Partitur zur Kantate „Ehre sei Gott in der Höhe“, 2012 herausgegeben vom Stretta Music-Verlag in Eisingen bei Pforzheim angegeben. Als seine Berufe werden Komponist und Kantor angegeben. Doch sein Vorname bleibt auch dort unbekannt. Bei der Angabe der Daten bezieht man sich auf das „World Biographical Information System (WBIS)“. Lediglich ein Musikstück aus dem 16. Jahrhundert wird einem Johann Daniel Liebhold als Komponisten zugeschrieben, von welchem auch nichts weiter bekannt ist. Ob es sich dabei aber um den hier beschriebenen Liebhold handelt, bleibt ungewiss.

 

Auch in der Personenliste SuperSearch von My Heritage, in welcher Millionen von Personalien aufgeführt sind, erfährt man nichts über Liebhold(t). Ebenso wenig erfährt man in der umfangreichen Sammlung persönlicher Daten von Komponisten beim Radiosender NDR-Kultur.

 

So bleibt Liebhold(t) für die Nachwelt ein Mensch, über den wenig in Erfahrung zu bringen ist.

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Tag der Veröffentlichung: 29.11.2019

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