über fünfzig Jahre deutsche Geschichte am Beispiel einer Dorfgemeinde: 1901 - 1953
Geleitwort des Pastors von Klein Wesenberg Erhard Graf
Nach meinem Dienstantritt im Mai 2008 habe ich viele Stunden im Archiv der Kirchengemeinde zugebracht und in den alten Unterlagen gestöbert, denn ich bin davon überzeugt, dass der Satz von August Bebel „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten,“ auch auf den Mikrokosmos einer kleinen Kirchengemeinde zutrifft. Dabei habe ich mir oft gedacht, es wäre schön wenn andere ebenfalls in diesen alten Quellen lesen könnten. Was in der deutschen Geschichte von der Kaiserzeit bis zum Wirtschaftswunder passierte, das können wir in den Geschichtsbüchern genau nachlesen. Doch wie wirkten sich diese historischen Ereignisse auf das Alltagsleben einer Kirchengemeinde aus? Dieser spannenden Frage ist der Autor nachgegangen und hat dabei das vorliegende Buch geschrieben. Er musste dazu viele Archive besuchen, um aus unterschiedlichen Quellen die Fakten zusammenzutragen. Das Buch ist eine lesenswerte Zusammenstellung zunächst der allgemeinen historischen Lage bezogen auf den jeweiligen Ortspastor. Die sehr verschiedenen Geistlichen sind nicht nur von ihrer Zeit und den politischen sowie wirtschaftlichen Umständen geprägt, sondern auch von den Menschen in dieser Kirchengemeinde, mit denen sie zusammenleben mussten. Fünfzig Jahre spannende Dorfgeschichte lassen erahnen, warum sich manche Dinge so und nicht anders hier entwickelt haben.
Geleitwort des Bürgermeisters von Klein Wesenberg Herbert David
Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
gerade in unserer jetzigen Zeit des Umbruchs mit vielen internationalen Kriegsherden um uns herum und einem Flüchtlingsstrom, der auch uns in Stormarn unmittelbar erreicht, gewinnt dieses hier vorliegende Buch mit seinen Originalaufzeichnungen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg umso mehr an Bedeutung.
Wir können uns mit diesem Buch erinnern, wie es war, als unsere Männer aus Klein Wesenberg und den Nachbargemeinden in den Krieg zogen und welches Leid es in der Folge für unsere Bürger und insbesondere Bürgerinnen in vielerlei Hinsicht gebracht hat. Wir können lesen von der damaligen Situation unserer Familien und hierbei wurden bei mir Erinnerungen wach an die Kindheit in unserem Dorf, die Konfirmandenzeit unter Pastor Böhmke, den wir als Kinder wegen seiner Menschlichkeit sehr schätzten, aber auch an die Nachkriegszeit mit all ihren Entbehrungen.
Mit diesem Buch ist ein spannendes Dokument der Zeitgeschichte in unserem Raum entstanden, das einerseits über das Leben während der beiden Weltkriege aufklärt, andererseits jedoch auch viel Wissenswertes über das politische Geschehen und das soziale Miteinander in dieser besonderen Zeit bereithält. Es bietet sich an für einen Gedankenaustausch zwischen den Generationen und möge es gerade für unsere Kinder und Enkelkinder eine Mahnung sein, den Frieden, den wir seit vielen Jahrzehnten genießen dürfen, zu schätzen und zu bewahren.
Im Namen der Gemeinde Klein Wesenberg möchte ich mich bei Klaus-Rainer Martin ganz herzlich bedanken für dieses außerordentliche historische Werk, das in unzähligen, mühevollen Stunden zusammengetragen wurde, und wünsche Ihnen interessante Lesestunden!
Mit freundlichen Grüßen aus Klein Wesenberg.
Geleitwort Bischof Gothart Magaard
Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche)
Die Kirche hat verschiedene Aufgaben und Ämter. Eines liegt Klaus-Rainer Martin sehr am Herzen: das prophetische Amt. Kirche soll sich einmischen, auch und gerade in gesellschaftlichen und politischen Fragen. Dies ist theologisch und historisch gesehen für eine lutherische Kirche nicht selbstverständlich.
Der Autor legt den Fokus auf Klein Wesenberg und zeigt am Beispiel dieser kleinen Dorfgemeinde, wie die politische Großwetterlage sich im Konkreten vor Ort ausgewirkt hat. Neben den politischen Dimensionen erfahren wir in seinem Buch zugleich viel über den Gottesdienstbesuch und das Gemeindeleben im genannten Zeitraum.
Seine vornehmliche Fragestellung ist aber eine politische und lautet: Wie haben sich die jeweiligen Pastoren, wie hat sich die Kirchengemeinde in den Jahren 1901 bis 1953 zu den aktuellen politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Entwicklungen verhalten? Seine Recherchen in der Gemeindechronik, in kirchlichen und kommunalen Protokollen, im Gemeindebrief und in Schriftwechseln zeigen auf, wie unterschiedlich dies jeweils geschehen ist. Menschlich berührend ist es zu lesen, was die Kriegserfahrungen in beiden Weltkriegen für die Menschen in Klein Wesenberg bedeutet haben und wie z.B. im Blick auf die Beerdigung Kriegsgefangener Spielräume genutzt wurden. Klaus-Rainer Martin benennt allerdings auch deutlich die dunklen Seiten der Kirchengeschichte während der Zeit der Nationalsozialisten.
Klaus-Rainer Martin beschreibt die jeweilige politische Lage mit ihren Themen und Herausforderungen und zeigt auf, wie sich das in der Kirchengemeinde konkret vor Ort ausgewirkt hat. Gerade diese Zusammenschau lässt die Geschichte lebendig und anschaulich werden. Sie macht den besonderen Reiz dieses Buches aus. Es bleibt die Aufgabe auch unserer Nordkirche unsere eigene Kirchengeschichte sorgfältig aufzuarbeiten. Wir müssen unsere Geschichte gut kennen, um daraus zu lernen. Dem Autor gebührt unser Dank, dass er dies sorgfältig und akribisch für seine Kirchengemeinde getan hat. Ich wünsche diesem Buch viele aufmerksame Leserinnen und Leser.
Die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war eine unruhige Zeit für die Welt, für Deutschland, für die evangelische Kirche und für das schleswig-holsteinische Dorf Klein Wesenberg, südwestlich von Lübeck an der Trave gelegen mit seinen derzeit 744 Einwohnern (bei der Volkszählung 1987 zählte man 520 Einwohner) und doppelt so vielen Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde, zu welcher auch umliegende Dörfer und einzelne Gutshöfe gehören. Die Welt, Deutschland – und damit auch Klein Wesenberg war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von folgenden Ereignissen geprägt:
1871 – 1918: Die Kaiserzeit
1914 – 1918: Der erste Weltkrieg
1919 – 1932: Deutschland auf dem Weg zur Republik
1920: Nordschleswig wird dänisch
1923/24: Die große Inflation
1929/30: Die Weltwirtschaftskrise
1933 – 1938: Der Nationalsozialismus in der Vorkriegszeit
1939 – 1945: Der zweite Weltkrieg und das Ende des Nationalsozialismus
1946 – 1951: Die Nachkriegszeit
1948: Die Währungsreform
1949: Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR
Im Internetauftritt der Nordkirche wird die Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins, auf die in diesem Buch ausführlicher eingegangen werden soll, zusammenfassend folgendermaßen dargestellt:
Nach dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 wurde Schleswig-Holstein eine preußische Provinz unter einem Oberpräsidenten mit Sitz in Schleswig, der der königlichen Regierung in Berlin unterstellt war. Der König, obwohl evangelisch-reformierten Bekenntnisses, war auch für die lutherischen Schleswig-Holsteiner oberster Bischof, doch erhielt die Landeskirche ein eigenes, in Kiel ansässiges evangelisch-lutherisches Konsistorium.
Die Kirchengemeinde- und Synodalordnung von 1897 brachte die Einführung von Synoden nach dem rheinisch-westfälischen Vorbild, deren Befugnisse bis zum Ende der Monarchie 1918 zwar begrenzt blieben, aus denen jedoch gleichwohl die heutigen "demokratischen" Synoden hervorgegangen sind.
Das NS-Regime führte auch in Schleswig-Holstein zur Gleichschaltung der Landeskirche durch die „Deutschen Christen“. Auf der "braunen Synode" am 12. September 1933 in Rendsburg, auf der sie die Mehrheit hatten, zwangen sie die Bischöfe Eduard Völkel (Schleswig) und Adolf Mordhorst (Holstein) zum Rücktritt und erhoben den DC-Pastor Adalbert Paulsen zum alleinigen Landesbischof.
Nach dem "Führerprinzip" regierte der Landesbischof allein mit Unterstützung des "Landeskirchenausschusses" und des Konsistoriums. Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur 1945 musste Paulsen abdanken. Mit der Wahl von Wilhelm Halfmann zum Bischof für Holstein (1946) und Reinhard Wester zum Bischof für Schleswig (1947) kehrte man zu der alten Ordnung zurück.
In dem vorliegenden Buch soll dargestellt werden, wie sich in dieser Zeit die evangelische Kirche verhalten hat, wo sie ein Stützpfeiler der jeweils Herrschenden war, wo sie hätte Stellung beziehen müssen, aber geschwiegen hat und wo sie oder einzelne Vertreter der Kirche persönlich schuldig geworden sind. Dabei wird der Versuch gewagt, nicht nur die großen Linien der Politik und des kirchlichen Handelns nachzuzeichnen, sondern das Schicksal einzelner Menschen, gleich ob sie Handelnde oder Opfer ihrer jeweiligen Zeit wurden, darzustellen.
Die Kritik wird nicht von einem kirchenfernen Kritiker geäußert. Vielmehr engagiere ich mich für die Botschaft des christlichen Glaubens und für die evangelische Kirche. Deshalb soll das Buch dazu beitragen, dass sich die evangelische Kirche und der einzelne Christ in der Zukunft nicht von den Mächtigen dieser Welt korrumpieren lässt, sondern sich allein an der christlichen Botschaft orientiert, unabhängig davon, ob es den Mächtigen dieser Welt gefällt oder nicht.
Auch heute steht die Kirche immer wieder in der Gefahr, zu kritischen und gefährlichen Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu schweigen. Oft sind es nur kleine und mitunter exotisch wirkende Gruppen und Grüppchen innerhalb der Kirche, die ihre Stimme erheben und auf solche Entwicklungen aufmerksam machen. Oft wirken diese Aktionen nur wie Nadelstiche bei einem Elefanten. Geradezu selten kommt es vor, dass ein ganzer Kirchenkreis aktiv wird, wie beispielsweise der Kirchenkreis Plön-Segeberg, der 2009, 2010 und 2013 politische Kirchentage durchführte und sich dabei beilspielsweise in Arbeitsgruppen mit den Problemen von Rüstungsexporten, unserer Haltung gegenüber Flüchtlingen aus den Krisengebieten unserer Welt, dem Klimawandel oder der Forderung nach einem fairen Welthandel auseinandersetzte.
Konservative Politiker prägten das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“. Dabei wird vergessen, dass auch viele Menschen, die einst die sowjetische Besatzungszone oder die DDR verlassen haben, Wirtschaftsflüchtlinge waren. Sie erhofften sich im Westen ein besseres Leben. Und der kapitalistische Westen war stolz, so aller Welt seine Überlegenheit mit seinem Modell einer „sozialen Marktwirtschaft“ gegenüber dem Kommunismus zu zeigen. Auch heute schweigt die Kirche und setzt sich mit Ausnahme kleiner Gruppen oder Einzelner nicht damit auseinander, wie solche Äußerungen von Politikern über Flüchtlinge die Werthaltungen in unserer Gesellschaft prägen. – Ich bin mir sicher, wäre meine Familie großer Not und Elend ausgesetzt gewesen, hätte ich mit ihr auch meine Heimat verlassen und wäre als „Wirtschaftsflüchtling“ in ein anderes Land geflohen, in der Hoffnung, wo anders ein besseres Leben führen zu können. Betroffen reagieren mitunter Gesprächspartner, wenn man so argumentiert. Doch es ändert sich nichts an der Abschiebepraxis. Und da, wo Änderungen vorgenommen werden, geschieht das weniger aus humanitären Motiven, sondern vorallem, um dem drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen.
Wenn Menschen, wie im Dezember 2014 in Dresden geschehen, aus Sorge vor „Überfremdung“ auf die Straße gehen und Politiker davon sprechen, dass man die Sorgen der Bürger ernst nehmen müsse, meine ich herauszuhören „man muss den Egoismus der im Wohlstand lebenden Bürger ernst nehmen“. Und das mit den Farben der Bundesrepublik Deutschland schwarz-rot-gold (= deutsch) bemalte Kreuz (= christlich) auf der Pegida-Demonstration (Pegida = Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) im Dezember 2014 in Dresden ließ in mir Assoziationen zu den Deutschen Christen und damit zum Nationalsozialismus aufkommen. – Die Historikerin und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung Berlin Dr. Stefanie Schüler-Springorum meinte in einem Gespräch in der Tagesschau 24 am 17.01.2015: „Das Abendland war bis 1945 antisemitisch und danach antibolschewistisch.“ Wer sich mit der Geschichte der evangelischen Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasst, kann das nur bestätigen. – Geradezu blasphemisch empfinde ich, dass man mit dem Ruf „Wir sind das Volk“, mit dem man 1989 eine Diktatur stürzte, demokratisch gewählte Politiker auf sich aufmerksam machen will. Muss man so was verteidigen?
Nicht unerwähnt bleiben darf auch eine kleine Gruppe von Diakoninnen und Diakonen innerhalb der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses Hamburg, welche sich „Diakonischer Arbeitskreis für Gerechtigkeit und Solidarität (DAGS)“ nennt. Dieser Arbeitskreis befasst sich seit Jahren mit ungerechten Arbeitsverhältnissen bei Kirche und Diakonie und muss dabei erschütternde Erfahrungen machen. Fast alle großen Einrichtungen der Diakonie haben Bereiche wie Hausreinigung oder haustechnische Dienste (Hausmeister, Handwerker) „outgesourcst“ (ausgegliedert) und zahlen einen geringeren Lohn als für die in der Einrichtung direkt beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber auch die in der Einrichtung direkt beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben häufig einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag, der von Jahr zu Jahr verlängert wird, und sind so an einer langfristigen Lebensplanung gehindert. Und auch die Kirchengemeinden vergeben als Träger von Kindertagesstätten die Reinigung der Einrichtung häufig an Fremdfirmen, ohne danach zu fragen, unter welchen Arbeitsbedingungen dort die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden. Mit Recht hat deshalb der verdi-Vorsitzende Frank Bsirske auf dem Kirchentag in Hamburg 2013 auf einer Podiumsdiskussion mit dem Kirchentagspräsidenten Dr. Gerhard Robbers die Beschlüsse der EKD-Synode vom November 2011 in Magdeburg zum kirchlichen Arbeitsrecht als „Papiertiger“ bezeichnet. Die Synode hatte allen, die kein faires Arbeitsrecht anwenden, in ihrem Beschluss den Ausschluss aus der Diakonie angedroht:
Diakonische Unternehmen, die über privatrechtliche Konstruktionen in den ersten Weg ausweichen wollen, müssen mit Ausschluss aus der Mitgliedschaft im Diakonischen Werk rechnen. Missstände wie Outsourcing mit Lohnsenkungen, ersetzende Leiharbeit und nicht hinnehmbare Niedriglöhne müssen zu ernsthaften Konsequenzen wie Sanktionen führen.
Doch niemand kontrolliert, ob dieser Beschluss auch eingehalten wird. Und wer in Einrichtungen der Diakonie, welche Arbeitsbereiche ausgegliedert haben, auf diesen Missstand hinweist, muss mit Beschimpfungen rechnen!
Zu einem geradezu vernichtenden Urteil kommt der Münchener Theologe Friedrich Wilhelm Graf in seinem Buch „Kirchendämmerung – wie die Kirchen unser Vertrauen verspielen“:
Die deutschen Kirchen sind stark vermachtete und verfilzte Organisationen mit viel Pfründenwirtschaft zur Alimentierung von Funktionären, die gern unter sich bleiben und miteinander in einem verquasten Stammesidiom kommunizieren, das für Außenstehende unverständlich bleibt - der ideale Nährboden für Schweigekartelle und Wagenburgmentalität.
Die Kirche sollte heute laut und unüberhörbar mahnen, die Gewinnmaximierung nicht über das Wohlergehen der Menschen zu stellen. Mein ehemaliger Briefpartner, der verstorbene Soziologie-Professor Henry Meier aus Seattle / USA, der als Kind zu Beginn der Naziherrschaft mit seiner jüdischen Familie aus Dresden in die USA fliehen musste, weil sein Vater in der Weimarer Zeit in der sächsischen Regierung Sozialminister war, hat mir unmittelbar nach der Wende 1989 geschrieben: „Ich bedaure das Scheitern des Weltkommunismus, denn nun kann der Kapitalismus sein wahres Gesicht zeigen.“ Wie dieses Gesicht aussieht, konnte man am 25. August 2014 im „Hamburger Abendblatt“ in einem Beitrag unter der Überschrift „Wie die Zocker ganze Länder ruinieren“ nachlesen. Dort heißt es:
Auf Kommunisten ist auch kein Verlass mehr, wenn man sie einmal braucht, bleiben sie stumm. So weltfremd die Ableitungen der Herren Marx, Engels und Lenin stets waren, als Kapitalismusbändiger funktionierte der real existierende Sozialismus. Die Angst vor den Kommunisten schuf in Westdeutschland den gemütlichen rheinischen Kapitalismus, die soziale Marktwirtschaft. Und in jeder Debatte gab es zur These auch eine Antithese.
Heute wird nicht mehr groß diskutiert - und die gefährlichsten Gegner des Kapitalismus sind längst nicht mehr vollbärtige Revoluzzer, sondern aggressive Hedgefonds der Wall Street. Ausgerechnet die Nutznießer der freien Märkte ruinieren die Märkte und mit ihnen das Vertrauen in die Marktwirtschaft.
Unabhängig von dem großen Weltgeschehen war Klein Wesenberg im ausgehenden 19. Jahrhundert, genau am 30. April 1882, von einem einschneidenden Ereignis geprägt, von einem Großfeuer, welchem auch die Klein Wesenberger Kirche zum Opfer fiel. Nur wenige Gegenstände, wie der Taufstein, das Altarkreuz, das Wettge’sche Wappen oder der Opferstock blieben erhalten. Von 1871 bis zum Brand war Carl Georg Friedrich Genzen Pastor in Klein Wesenberg. Ihm folgte 1882 Ernst Wilhelm Conrad Brodersen. Er war bis 1901 Pastor in Klein Wesenberg. In seine Amtszeit fällt der Wiederaufbau der Klein Wesenberger Kirche. Am 23. März 1884 wurde der Grundstein für den Bau der neuen Kirche auf den Fundamenten der abgebrannten Kirche gelegt. Erstmals wird 1186 eine Kirche erwähnt, welche auf einem religiösen Thingplatz oberhalb der Trave errichtet worden war. Das mag auch erklären, weshalb die Kirche in dem winzigen und unbedeutenden Dorf Klein Wesenberg, und nicht etwa in dem größeren Westerau errichtet worden ist.
Architekt und Bauunternehmer der neu erbauten Kirche war P. Voss aus Reinfeld. 1884 erhielt die kleine Kirche zwei Glocken, von der Firma Collier aus Berlin gegossen sowie eine Orgel von der dänischen Orgelbaufirma Marcussen gebaut aus dem nordschleswigschen Apenrade, seit 1920 Aabenraa in Dänemark. Am 27. März 1885 konnte die neu erbaute Kirche eingeweiht werden.
Sieben Jahre nach dem großen Brand, 1889, wurde in Klein Wesenberg die Freiwillige Feuerwehr gegründet. Heute hat sie über 70 Mitglieder (Einsatzabteilung 33, Jugendwehr 13, Spielmannszug 11, Ehrenabteilung 14) und zahlreiche Fördermitglieder. Sie ist neben ihrer eigentlichen Aufgabe des Einsatzes bei Katastrophen mit der Kirchengemeinde und dem Schützenverein ein wichtiger „Kulturträger“ des Dorfes, denn es gibt keine Schule, keinen „Tante-Emma-Laden“ und schon seit Jahrzehnten keine Gaststätte mehr im Dorf.
Die 1925 zum Aufgabenbereich des Pastors von Klein Wesenberg hinzugekommene selbständige Kirchengemeinde Hamberge hat offenbar bis zum heutigen Tage ihre Loslösung von Lübeck und Zuordnung zum Kreis Stormarn nicht restlos akzeptiert. In der Chronik von Hamberge lesen wir:
Des „Kaysers Freye Reichsstraße“ oder die Lübeck-Hamburger-Chaussee, wie die heutige Bundesstraße 75 in früheren Jahren bezeichnet wurde, war seit eh und je ein wichtiger Transportweg. An dieser Straße im Travetal entstanden die Orte Hamberge und Hansfelde, die heute die Gemeinde Hamberge bilden. Fast 700 Jahre wurden die Dörfer von Lübeck bestimmt bzw. stark beeinflusst. Diese Lübeck-Orientierung blieb auch mit der Eingliederung in den Kreis Stormarn vor fast 140 Jahren bestehen. Im nördlichsten Zipfel des Kreises gelegen, 3 km westlich von Lübeck und 7 km östlich von Reinfeld hatten die Dörfer empfindungsgemäß mit Stormarn wenig zu tun und waren dort auch nicht so bekannt.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Leben der Kirchengemeinde Klein Wesenberg von fünf Pastoren geprägt:
1902 – 1920: Pastor Gustav Petersen,
Pastor in Klein Wesenberg
1920 – 1924: Pastor Wilhelm Waßner
Pastor in Klein Wesenberg
1919 – 1924: Pastor Wilhelm Hellwig:
Der letzte Pastor in Hamberge und häufig Vertretungspastor in Klein Wesenberg
1925 – 1939: Pastor Jürgen Stoldt:
Pastor in Hamberge und Klein Wesenberg
1939 – 1951: Pastor Gustav Böhmke:
Pastor in Hamberge und Klein Wesenberg
Den Darstellungen in dem vorliegenden Buch liegen die Aufzeichnungen der fünf Pastoren in der Gemeindechronik, die Protokolle der Kirchenvorstandssitzungen und der kommunalen Gemeindevertretung der Jahre 1902 bis 1951, Gemeindebriefe der Jahre 1908 bis 1942, diverser Schriftwechsel und Unterlagen aus den Archiven der Kirchengemeinde Klein Wesenberg, dem Kirchenarchiv der Nordkirche in Kiel sowie dem Archiv des Amtes Nordstormarn und vielen anderen Quellen zugrunde. Die große Kirchengemeinde Bad Oldesloe verfügt über kein so geordnetes Archiv, wie die kleine Kirchengemeinde Klein Wesenberg. Alle wichtig erscheinenden Dokumente wurden laut telefonischer Auskunft an das Archiv des Kirchenkreises Plön-Segeberg gegeben. Die anderen Dokumente liegen ungeordnet im Keller des Kirchenbüros. Und das Archiv des Kirchenkreises Plön-Segeberg in Bad Segeberg wird von Mitarbeitern der Kirchenkreisverwaltung nebenher mit verwaltet und kann daher nur in begrenztem Umfang mit einer Anmeldefrist von fünf bis sechs Monaten aufgesucht werden. So können viele Fragen nicht abschließend und lückenlos geklärt werden, wie z.B. welche Pröpste den Kirchenkreis in den Jahren 1900 bis 1950 leiteten, und wer ihre Stellvertreter waren. Welche Pröpste waren hauptamtlich tätig, und welche Pröpste leiteten den Kirchenkreis neben ihrer Kirchengemeinde. Deshalb muss die Beschreibung lückenhaft bleiben. Und manche aus anderen Quellen bezogenen Informationen konnten nicht ein zweites Mal überprüft werden. Außerdem sind zum einen viele Personalakten und Dokumente der schleswig-holsteinischen Landeskirche durch den Bombenkrieg vernichtet worden. Zudem sind die meisten Protokolle aus den Kirchenvorstandssitzungen und die Protokolle der kommunalen Gemeindevertretung nur Beschlussprotokolle und geben nicht den Diskussionsverlauf wieder, welcher den Beschlüssen vorausgegangen war. Sie nehmen weder auf die politischen Ereignisse Bezug, noch enthalten sie persönliche Anmerkungen, z.B. Dank an den ausscheidenden Pastor oder einen Willkommensgruß an den neuen Pastor. Außerdem gibt es erst seit 1926 spezifische Gemeindeblätter für die Kirchengemeinden Hamberge und Klein Wesenberg, nachdem Pastor Jürgen Stoldt den „Monatsgruß“ begründet hatte. Vorher, ab Februar 1908 führte die Kirchenprovinz Schleswig-Holstein ein Gemeindeblatt ein. Dieses Gemeindeblatt erschien einmal im Monat mit einem Umfang von vier Seiten. Die ersten drei Seiten wurden vom Herausgeber gestaltet, die vierte Seite von der jeweiligen Region. Die Kirchspiele Hamberge, Reinfeld, Klein Wesenberg und Zarpen gestalteten als Region gemeinsam die vierte Seite des Gemeindeblattes mit Terminen und knappen Nachrichten aus ihren Gemeinden. Und in der Zeit des Nationalsozialismus gab es in den Gemeindebriefen „Pflichtbeiträge“, von der Kirchenleitung befohlen, welche dem Deutschen Christentum sehr nahe stand, bis der Druck des Gemeindebriefes 1942 ganz aufgegeben werden musste. Pastor Böhmke schrieb hierüber:
„Die Freude an dem Blatt wurde mir bald dadurch verdorben, dass der national-sozialistische Pressedienst die gesamte kirchliche Presse, und so auch uns verpflichtete, Artikel, die uns fertig geliefert wurden, abzudrucken. Sie durften nicht gekennzeichnet werden. Infolgedessen musste es so aussehen, als ob wir selbst Verfasser dieser Artikel seien, die doch oft Ansichten brachten, die schlecht zu denen passten, die wir selbst sonst vertraten. Die Leser mussten den Kopf schütteln über ihren Pastor, der einmal so und einandermal anders redete und sich als Parteimann gebärdete, der er doch sonst nicht war. 1942 musste das Blatt im Zuge der Abwürgung aller kirchlichen Pressearbeit seinen Dienst einstellen. Die Erklärung dazu wurde uns gleichfalls aufgenötigt.“
(Quelle: Archiv der Kirchengemeinde Klein Wesenberg, Gemeindechronik)
Insbesondere fehlen aus der Zeit des Nationalsozialismus viele Berichte und Unterlagen. Jürgen Stoldt, der von 1925 bis 1939 Pastor in Klein Wesenberg und Hamberge und ab 1939 Pastor in Bad Oldesloe und nebenher amtierender und von 1942 bis 1945 ernannter Propst im Kirchenkreis Segeberg war und seit 1933 der NSDAP und der Glaubensbewegung Deutsche Christen angehörte, hat dafür gesorgt, dass sowohl in Klein Wesenberg wie in Bad Oldesloe und Bad Segeberg Material vernichtet wurde, welches ihn und andere in den Kirchengemeinden und im Kirchenkreis hätte belasten können.
So bleiben die Berichte lückenhaft. Zudem wird nicht der Anspruch erhoben, im Sinne von Historikern wissenschaftlich präzise zu sein. Fast alle Buch-Beiträge, welche ich gesichtet habe, sind von Historikern für Experten geschrieben. Sie erreichen nur in geringem Umfang die Masse des „Kirchenvolkes“. Deshalb wird mit dem vorliegenden Buch auch die Absicht verfolgt, schwer verständliche Zusammenhänge verstehbar zu machen. Vereinfachungen werden deshalb bewusst in Kauf genommen, insbesondere, wenn es darum ging, die unterschiedlichen politischen und theologischen Strömungen innerhalb der Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche darzustellen. Schließlich soll aus der Sicht eines engagierten Gemeindeglieds dargestellt werden, wie sich die Ereignisse der Weltpolitik und der Politik in Deutschland auf das Verhalten der Christen, sowohl der Pastoren wie der Kirchenvorsteher und der Gemeindeglieder einer kleinen Dorfgemeinde als auch der evangelischen Kirche insgesamt ausgewirkt haben, und welche Bereitschaft zur Erneuerung der Kirche nach 1945 bestanden hat. Dabei musste ich die Erfahrung machen, dass es mühevoll war, die einzelnen Informationen wie ein Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen.
Oft bin ich gefragt worden, weshalb ich in der Vergangenheit rumstochere und nicht endlich einmal Ruhe gebe. Denen sei geantwortet: Dass wir heute in der Lage sind, unsere Konflikte gewaltfrei zu lösen, geht auf diese schmerzhaften Erfahrungen zurück und muss immer wieder aufs Neue bedacht werden, damit sich nicht wiederholt, was die Kirche und vor allem die Menschen hinter sich haben.
Klein Wesenberg, im Januar 2015
Klaus-Rainer Martin
Obwohl es unter den Reformatoren verschiedene Ansätze zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat gab, setzte sich die Ansicht durch, dass der jeweilige Landesfürst zumindest vorläufig als oberster Bischof anzusehen wäre, welcher in seinen Kirchenprovinzen die Leitungsfunktion inne hat und damit auch Kirchengesetze erlassen oder aufheben konnte. Mit der katholischen Kirche wurde 1555 im “Augsburger Religionsfrieden“ vertraglich vereinbart, dass die Konfession desjenigen, der das Land regiert, auch für die Untertanen verbindlich sei: „cuius regio – eius religio“ (wessen Land – dessen Religion). Das wurde auch im „Westfälischen Frieden“ bestätigt, mit dem 1648 der Dreißigjährige Krieg beendet wurde. Damit bekam die vorläufige Regelung aus der Reformation Endgültigkeit. So war der jeweilige preußische König auch der oberste Bischof von Preußen, zu welchem neben den Provinzen Brandenburg, Hannover, Hessen-Nasau, Ostpreußen, Westpreußen,Pommern, Posen, Schlesien, Rheinland, Westfalen und Sachsen auch die Kirchenprovinz Schleswig-Holstein gehörte.
Bereits 1867 wurde vom preußischen König, bevor er 1871 Kaiser des deutschen Reiches wurde, in Kiel ein Konsistorium als oberste Kirchenbehörde in der Provinz Schleswig-Holstein eingerichtet. Diese Kirchenbehörde wurde dem preußischen Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten unterstellt. Das Konsistorium war zuständig für die Beaufsichtigung der Propsteien und Kirchengemeinden insbesondere in der Vermögensverwaltung und in Personalangelegenheiten sowie für die Verwaltung der Landeskirche, aber auch für die Schulen.
Allmählich erkannten sowohl die Bürger in den Städten als auch die Landesobrigkeit, daß einer Jugend, die eine Schulbildung sich erworben hat, für das öffentliche Leben eine erhöhte Bedeutung zukäme. Deshalb schalteten sich nach und nach auch die Landesherren mit ihrem Einfluß auf die Gestaltung des Schulwesens ein.
(Quelle: Bock von Wülfingen, Constantin: Stormarn, der Lebensraum zwischen Hamburg und Lübeck)
Bereits der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte 1763 für Preußen ein „Generallandschulreglement“ erlassen, welches die Eltern verpflichtete, ihre Kinder auf Schulen gehen zu lassen. Es war ihnen aber freigestellt, zu entscheiden, um welche Art von Schule, staatlich oder privat, es sich handelte, welche Lehrinhalte vermittelt wurden, und wie viele Tage in der Woche oder im Jahr bzw. Stunden unterrichtet wurde. 1871 übernahm die neue Reichsregierung nach Gründung des Deutschen Reiches das preußische Generallandschulreglement. Erst 1919 wurde in der Weimarer Republik die Schulpflicht auf staatliche bzw. staatlich anerkannte Schulen begrenzt.
Das preußische Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten richtete in allen Kreisen Schulbehörden ein, für den Kreis Stormarn das „Stormarnsche Schulvisitariat“ in Wandsbek. – In Preußen war auf der Grundlage des Generallandschulreglements bereits 1814 eine Schulordnung erlassen worden. In Stormarn galt diese ab 1817. Seit dieser Zeit galt die allgemeine Schulpflicht, die Lehrer mussten eine entsprechende Ausbildung nachweisen und mehrere Dörfer wurden zu einem Schuldistrikt zusammengefasst mit einer Distriktschule und mehreren zumeist einklassigen Nebenschulen.
Wandsbek gehörte bis zur Bildung von Groß Hamburg im April 1938 als selbständige Stadt zu Schleswig-Holstein und war die Kreisstadt des Kreises Stormarn. – Bereits im Kaiserreich gehörte Klein Wesenberg politisch zum Kreis Stormarn, aber kirchlich zum Kirchenkreis Segeberg. Das ist von der Reformation an bis heute so geblieben. Das Stormarnsche Schulvisitariat berief für alle Schulen „Königliche Ortsschulinspektoren“, welche in ihrem Ort für die Schulen verantwortlich waren. In Klein Wesenberg war das der jeweilige Pastor der Gemeinde. Er war für alle Schulen in seinem Kirchspiel verantwortlich. Es gab neben der mehrklassigen Distriktschule in Klein Wesenberg mit zwei bis drei Lehrern noch einklassige Schulen in Groß Wesenberg, Groß Barnitz, Westerau und Trenthorst mit jeweils einem Lehrer. Während des ersten Weltkrieges wurden diese einklassigen Schulen jedoch aufgelöst und die Lehrer zum Militärdienst einberufen. Die Kinder mussten lange Fußmärsche auf sich nehmen, denn sie gingen von nun an alle in Klein Wesenberg zur Schule Die Schule in Klein Wesenberg erhielt in jedem Jahr ca. 50 Goldmark vom Stormarnschen Schulvisitariat, um seine für alle Schulen im Kirchspiel zur Verfügung stehende Bibliothek zu aktualisieren. Um die „richtigen“ Bücher anzuschaffen, erhielt der Ortsschulinspektor in jedem Schuljahr eine Bücherliste. Außerdem erhielt jede Schule im Kreis in jedem Jahr einen Obstbaum für den Schulgarten. 1916 wurden diese Zuwendungen eingestellt. Das preußische Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten erteilte über die Schulvisitariate fast in jedem Monat Weisungen an die Schulen und ließ den Lehrern nur wenig eigene Entscheidungsmöglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung. (Eine ausführlichere Beschreibung der Schulsituation in Klein Wesenberg muss an dieser Stelle unterbleiben, da im Archiv der Kirchengemeinde Klein Wesenberg nur Unterlagen des jeweiligen Pastors in seiner Funktion als Orts-Schulinspektor zu finden waren, jedoch keine Aufzeichnungen der Lehrer.)
Nach einer Statistik gab es 1936 in Stormarn 100 Volksschulen mit 303 Lehrkräften und 14.000 Schülern. Damit kamen auf eine Lehrkraft 46 Schüler.
(Quelle: Bock von Wülfingen, Constantin: Stormarn, der Lebensraum zwischen Hamburg und Lübeck)
Um 1685 flohen fast 50.000 Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland, davon etwa 20.000 nach Brandenburg und Berlin. Hugenotten ist die französische Bezeichnung für Protestanten calvinistischen Glaubens, welche in Frankreich verfolgt wurden. (Johannes Calvin war in Frankreich der Reformator der katholischen Kirche). In Deutschland, insbesondere in Preußen, waren die Hugenotten keinen Verfolgungen mehr ausgesetzt. Damit gab es in Preußen drei unterschiedliche Konfessionen: in den meisten Provinzen die evangelisch-lutherische, in Schlesien die katholische und in Brandenburg die evangelisch-lutherische und die evangelisch-calvinistische. Auch Menschen jüdischen Glaubens durften ihren Glauben ausüben und Synagogen bauen. Ihnen war es jedoch nicht gestattet, in der preußischen Armee Offizier zu werden. Die Militärführer waren schon zur damaligen Zeit rechts-konservativem und antisemitischem Gedankengut gegenüber aufgeschlossen. Doch abgesehen von dieser Einschränkung, herrschte in Preußen eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Toleranz. Friedrich II., auch „Friedrich der Große“ oder „Alter Fritz“ genannt, wird um 1740 der Satz zugeschrieben: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“. In Brandenburg wurde 1817 aus den lutherischen und den calvinistisch-reformierten Gemeinden die "Evangelische Kirche der altpreußischen Union". Damit gab es im Königreich Preußen in den meisten Provinzen die evangelisch-lutherische Konfession, in Brandenburg die „Unierte Kirche“ und daneben in Schlesien die katholische Konfession. Der preußische König war jedoch nur in den evangelischen Provinzen Bischof. In der katholischen Kirche wurden zu allen Zeiten Kardinäle und Bischöfe vom Papst in Rom ernannt.
Am 18. Januar 1871 erfolgte im Spiegelsaal des Schnlosses Versailles mit der Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser die Gründung des Deutschen Reiches. Die Zeit danach unter Kaiser Wilhelm II nach der Ära Bismarcks ab 1888 wird oft als „Wilhelminisches Zeitalter“ bezeichnet.
Mit der Verknüpfung von „Altar und Thron“ war die evangelische Kirche eine Institution der Kaisertreuen, vor allem der Adligen, des Bürgertums und der Landbevölkerung. Man darf sie als „nationalprotestantisch“ bezeichnen. Sie erreichte damit kaum die Arbeiterschaft in den sich mehr und mehr entwickelnden Industriezentren. Es bestand geradezu ein Misstrauensverhältnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie, was in der Weimarer Zeit schlimme Folgen hatte. Hier hat die evangelische Kirche eine große Chance vertan. Demgegenüber entstand in der katholischen Kirche, vor allem in Frankreich und in Belgien, die Bewegung der Arbeiterpriester. In der evangelischen Kirche gab es nur innerhalb der Inneren Mission Bestrebungen, welche auf Johann Hinrich Wichern (verwahrloste Kinder und Jugendliche), Friedrich von Bodelschwingh (Behinderte und Epileptiker) oder Clemens Perthes (Obdachlose) zurück ging. Allerdings wurden hier die zu betreuenden Menschen als Randgruppen der Gesellschaft betrachtet und man war insgesamt in der Inneren Mission recht konservativ und kaisertreu. Ziel war es, die zu Betreuenden zurück „auf den Pfad der Tugend“ zu führen und damit zurück in die Gesellschaft. Die Aufgabenstellung der Inneren Mission passte damit gut zu den ordnungspolitischen Bestrebungen des Staates. Überlegungen, wie man Zugang zur Industriearbeiterschaft, zum Proletariat findet, gab es auch hier nicht.
Doch die evangelische Kirche galt nicht nur als bürgerlich und obrigkeitstreu, sondern auch als „akademisch“:
Natürlich, die evangelischen Kirchen waren Pastorenkirchen, und die Pastoren waren akademisch gebildete Theologen, das prägte ihre Stellung. Sie waren, ganz anders als der katholische Klerus, Teil der akademischen Welt, sie gehörten zu den Studierten und Gebildeten, sie standen im Konnex mit der Wissenschaft und (oder) der „Kultur“, sie waren über Gehaltsregelung und zwei Ausbildungsstufen – Quasi-Beamte und staatsbezogen, wie die Kirche war, gehörten die Pfarrer zum Establishment. Das prägte ein Stück weit ihre Tätigkeit und den Kirchenstil, das machte die Kirche auch so theologisch.
(Quelle: Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918, Band I: Arbeitswelt und Bürgergeist)
In Preußen gab es neben dem König als oberstem Bischof seit 1846 die Generalsynode. Diese hatte allerdings keine gesetzgebenden Befugnisse und konnte gegenüber dem König nur Empfehlungen aussprechen, an die sich der König aber nicht halten musste. Die Generalsynode tagte einmal jährlich. Ihr gehörten 75 Männer an, welche vom König berufen wurden: die Superintendenten und Präsidenten der Konsistorialämter der Kirchenprovinzen, je drei gewählte Laien aus den Provinzialsynoden, zwei Professoren der preußischen Universitäten, die Hofprediger vom königlichen Schloss, die Oberbürgermeister der preußischen Städte Berlin, Halle, Königsberg und Stettin sowie drei Adlige.
Der preußische König in seiner Eigenschaft als oberster Bischof hatte in seiner Kirchenprovinz Schleswig-Holstein zwei Theologen als Landessuperintendenten eingesetzt, einen für den Sprengel Schleswig mit Sitz in Schleswig, und einen für den Sprengel Holstein mit Sitz in Kiel. Lübeck gehörte nicht zum preußischen Königreich und hatte damit auch eine eigene Kirchenverwaltung. An deren Spitze stand der „Senior“. Dagegen gehörte der heute zu Dänemark gehörende Landesteil Nordschleswig zur Kirchenprovinz Schleswig-Holstein. Die oberste kirchliche Verwaltungsbehörde für die gesamte Kirchenprovinz Schleswig-Holstein, welche damals eine staatliche Behörde war, war das Konsistorium mit Sitz in Kiel. Leiter des Konsistoriums war ein Jurist als Präsident. Abteilungsleiter, z.B. für die Finanzabteilung oder für die Bauabteilung, waren etwa je zur Hälfte Theologen und Juristen. Sie nannten sich Konsistorialräte. Daneben gab es eine Provinzialsynode. Diese war ähnlich wie die Generalsynode zusammengesetzt und hatte ebenso wenig Kompetenzen.
Die Kirchenprovinz Schleswig-Holstein war in zweiundzwanzig kirchliche Verwaltungsbereiche aufgeteilt, diese nannten sich Propstei. Ihnen stand ein Theologe als Propst vor. Klein Wesenberg gehörte zur Propstei Segeberg.
Der Landesverein für Innere Mission wurde 1875 gegründet. Seinen Hauptsitz hatte er in Rickling. Die wechselnden Aufgaben richteten sich auf die Unterstützung von Randgruppen der Gesellschaft, denen ein sinnvolles Leben ermöglicht werden sollte. Auch die Betreuung von Kranken gehörte zum Aufgabenbereich der Inneren Mission.
Die hierarchische Struktur der Kirche setzte sich vom preußischen König als oberstem Bischof der evangelischen Kirche über die Landesfürsten als Bischöfe in ihrer jeweiligen Provinz bis in die einzelnen Kirchengemeinden fort. Hier war der jeweilige Patron das Oberhaupt der Kirchengemeinde. In der Kirchengemeinde Klein Wesenberg war der jeweilige Gutsherr vom Gut Trenthorst als Patron Oberster der Kirchengemeinde. Er hatte seinen eigenen Platz in der Kirche, das „Patronatsgestühl“, eine Empore gegenüber der Kanzel mit seperatem Eingang, um nicht mit dem gemeinen Kirchenvolk in Berührung zu kommen. Das Patronatsgestühl war etwa einen halben Meter höher als die Kanzel. Damit wurde deutlich, wer in der Kirche das Sagen hatte. 1923 wurde direkt neben der Kanzel noch das „Lutherfenster“ eingebaut, um deutlich zu machen, dass der Pastor zwar nicht mehr dem Patron untersteht, aber der Gemeinde die reine lutherische Lehre zu predigen hat. – 1962 wurde unter Pastor Bredner das Patronatsgestühl nebst seperatem Eingang entfernt, um die Erinnerung an die hierarchischen Strukturen der Vergangenheit zu tilgen. Heute würde der Denkmalschutz dagegen Einspruch erheben.
Neben dem Patron und dem Pastor als Vorsitzendem wurde in der Kirchengemeinde Klein Wesenberg alle sechs Jahre ein Kirchenvorstand gewählt. Er bestand aus drei Kirchenältesten, welche auf Vorschlag des Pastors vom Propst berufen wurden, und sechs Kirchenvertretern, welche aus vier Wahldistrikten gewählt wurden. Wahldistrikte waren:
1910 kam nach dem Brückenbau über die Trave und die Eingemeindung Groß Wesenbergs in das Kirchspiel Klein Wesenberg noch ein fünfter Wahldistrikt mit zwei Vertretern hinzu.
Die Verfassung der Lübecker Landeskirche wurde 1895 durch den Senat der Hansestadt erlassen. Der Kirchenrat war die oberste Kirchenbehörde der Landeskirche mit Gesetzgebungsbefugnis. Ihm gehörten auch Mitglieder des Senats an. 1921 wurde durch die neue Verfassung die Trennung von Staat und Kirche vollzogen. Der Kirchenrat war jetzt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5781-0
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