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Anstelle eines Vorwortes

 

Meine Tätigkeit beim Evangelischen Erziehungsverband (EREV)

 

Am 1. Januar 1997 trat ich mit über 58 Jahren nach über 31 Jahren Tätigkeit als Heimleiter des „Hauses Sonnenschein, Heilpädagogische Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Reinfeld in Holstein“, welche zum 31. Dezember 1996 geschlossen wurde, beim EREV den Dienst als Referent an. Der Evangelische Erziehungsverband, in der Weimarer Republik als „Evangelischer Reichs-Erziehungsverband (EREV)“ gegründet, ist der Fachverband für Jugendhilfe des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hat seinen Sitz in Hannover. Dort stellte mir der EREV auch ein bescheidenes Zimmerchen zur Verfügung, in welchem ich in der Woche wohnte. Ich fuhr nur an den Wochenenden nach Hause in das ca. 200 Kilometer entfernte Klein Wesenberg in Schleswig-Holstein.

 

Über meine zweieinhalbjährige Tätigkeit beim EREV wäre viel zu berichten. Dennoch möchte ich mich auf einige mir wesentlich erscheinende Fakten beschränken.

 

Bei meinem Dienstantritt standen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle mitten in den Vorbereitungen des im April 1997 stattfindenden Bundesfachkongresses in Bremen, zu welchem etwa 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet wurden. Er sollte unter dem Thema stehen „Leistung und Qualität in der Jugendhilfe“. Thematischer Mittelpunkt sollten die Ergebnisse des durch das Bundesfamilienministerium geförderten Forschungsprojektes „Untersuchung zum Erfolg von stationären und teilstationären Hilfen zur Erziehung“ (Jugendhilfeleistungen = JULE) sein. Federführung für dieses von der Universität Tübingen unter Leitung von Prof. Dr. Hans Thiersch durchgeführten Projektes hatte der EREV. Durch meine vielfachen Erfahrungen bei der Organisation und Durchführung von Tagungen der Berufs- und Fachverbände konnte ich mich schnell einarbeiten und manche inhaltliche wie organisatorische Aufgabe übernehmen.

 

In den darauffolgenden zwei Jahren wurden unter meiner Mitwirkung mehrere Veranstaltungen durchgeführt, in welchen Einzelaspekte dieses Forschungsprojektes, wie z.B. Umgang mit sexueller Kindesmisshandlung, Gewaltprävention oder Arbeit mit Mädchen in der Jugendhilfe vorgestellt wurden.

 

Während des Bundesfachkongresses in Bremen wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, welche Vorschläge für die Neufassung des § 77 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), der die Finanzierung von Jugendhilfeleistungen regelt, erarbeiten sollte. Ich erhielt den Auftrag, die Federführung für diese Arbeitsgruppe zu übernehmen. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden in der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes positiv aufgenommen und fanden ihren Niederschlag im novellierten KJHG. Durch die mit der Gesetzesnovelle geforderte Leistungsbeschreibung (§ 78c) kam auf den EREV die Aufgabe zu, den Mitgliedseinrichtungen Material zur Erstellung von Leistungsbeschreibungen zur Verfügung zu stellen. Hier war ich erneut gefordert.

 

In Bremen wurde eine weitere Idee geboren. Die Vokabeln Qualität, Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung hielten ihren unaufhaltsamen Einzug in die Einrichtungen der Jugendhilfe. Mit diesen Vokabeln war die Frage nach Zertifizierung oder der Schaffung eines eigenen Qualitätssiegels verbunden. Auch hier sollte ein Forschungsprojekt Antworten auf die vielfältigen Fragen geben. Ich erhielt den Auftrag, eine Projektskizze für ein solches Forschungsprojekt zu erarbeiten und gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Fachausschusses für Personal- und Organisationsentwicklung Karl-Heinz Filthut, Leiter einer Jugendhilfeeinrichtung in Bad Bentheim dem für die Bewilligung solcher Forschungsprojekte im Bundesfamilienministerium zuständigen Ministerialrat Wennemar Scherrer vorzutragen. Wir hatten mit unserem Anliegen Erfolg. Das Bundesfamilienministerium bewilligte ein über zwei Jahre laufendes Forschungsprojekt. Projektleiter wurde Peter Gerull aus Hessisch Oldendorf, der in diesen zwei Jahren durch mehrere Veröffentlichungen auf das Projekt aufmerksam gemacht und ein praktikables Selbstbewertungssystem für Einrichtungen der Jugendhilfe entwickelt hat. Außerdem wurden unter meiner Mitwirkung mehrere Veranstaltungen durchgeführt, in welchen dieses Selbstbewertungssystem vorgestellt wurde. – Ergebnis des Forschungsprojektes ist kurz gesagt: Nicht eine Zertifizierung durch betriebs- und fachfremde „Auditoren“, sondern eine Selbstevaluation (Selbstbewertung) nach einem standardisierten Bewertungssystem ist für die Einrichtungen der Jugendhilfe hilfreich.

 

Breiten Raum nahm in meiner Referententätigkeit beim EREV die Erstellung der Fortbildungsprogramme 1998, 1999 und 2000 und die Begleitung der laufenden Fortbildungsveranstaltungen sowie die Begleitung der satzungsgemäßen Organe (Vorstand, Fachbeirat), der Fachausschüsse (für Jugendhilfepolitik, für Personal- und Organisationsentwicklung, für Pädagogik) und der Arbeitsgemeinschaften (Betreutes Wohnen und flexible Hilfeformen, Schulische Bildung und Erziehungshilfen, Berufliche Bildung und Jugendhilfe) ein. Hierbei fand ich durch die Mitarbeiterin Petra Wittschorek große Unterstützung. Die Begleitung der Fortbildungsveranstaltungen und der Gremien war mit vielen Reisen quer durch Deutschland verbunden. Fast jede Woche musste ich für etwa zwei Tage auf Reise nach Stuttgart, Bonn, Berlin, Meißen, Kassel, Fulda, Würzburg oder sonst wohin gehen. Meist fuhr ich mit der Bahn. Nur wenn ich viel Material mitnehmen musste, charterte ich mir einen Mietwagen.

 

Auch die Mitarbeit in der Redaktion der Fachzeitschrift „Evangelische Jugendhilfe“ und der „EREV-Schriftenreihe“ gehörte zu meinen Aufgaben. So galt es, rechtzeitig für die nächste Ausgabe der Fachzeitschrift Autoren zu gewinnen. Die inhaltliche Gestaltung mehrerer Hefte der „EREV-Schriftenreihe“ lag in meiner Verantwortung. Immer herrschte unmittelbar vor der Abgabe der Manuskripte an die Druckerei und dem anschließenden Korrekturlesen der „Druckfahnen“ in der Geschäftsstelle große Hektik.

 

Durch meine Tätigkeit beim EREV kam ich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus nahezu allen 450 evangelischen Einrichtungen der Jugendhilfe in Deutschland und den meisten Fortbildungseinrichtungen in Kontakt, lernte manche Einrichtung kennen und habe bei etlichen Veranstaltungen anderer Verbände mit einem Buch- und Informationsstand die Arbeit des EREV repräsentiert.

 

Bei allem war ich mir stets sicher, die hohen Erwartungen des Geschäftsführers Hans Bauer und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einzelnen Gremiumssitzungen bzw. Fortbildungsveranstaltungen erfüllen zu können. Die Wertschätzung und Anerkennung, die mir dabei zuteil wurde, brachten mir meine Gelassenheit, welche ich in den Jahren 1995 und 1996 im Haus Sonnenschein in Reinfeld eingebüßt hatte, wieder zurück. – Und dank der beiden Mitarbeiterinnen Elvira Hansen und Gudrun Baake-Holz in der EREV-Geschäftsstelle konnte ich zudem mein Fachwissen und auch mein Können im Umgang mit dem PC erweitern.

 

Abschließender Höhepunkt meiner Tätigkeit beim EREV war die Teilnahme an der Vorbereitung und Durchführung der Bundesfachtagung des EREV in Heidelberg im April 1999 zum Thema „Europäisierung und sozialräumliches Handeln – Jugendhilfe in Europa“ mit mehr als 600 Teilnehmern und einem Tagungsablauf mit 3 Referaten, 4 Podiumsgesprächen und 7 Arbeitsgruppen und einer großen Ausstellung im Foyer der Stadthalle. Ein besonderes Highlight war am 20. April 1999 der Abend der Begegnung auf einem Neckarschiff. – Zur Vorbereitung dieser Bundesfachtagung hatte ich 1998 mehrmals nach Heidelberg reisen müssen.

 

Als ich meine Tätigkeit als Referent beim EREV drei Wochen vor meinem 61. Geburtstag zum 6. Juli 1999 beenden musste, weil meine vom Bundesfamilienministerium geförderte Stelle dem Rotstift zum Opfer gefallen war, habe ich schweren Herzens Abschied genommen, denn diese Aufgabe hat mich von der ersten bis zur letzten Stunde voll gefordert und befriedigt. Zugleich war mir bewusst, dass ein totales Ende meiner beruflichen Tätigkeit zum 31. Dezember 1996 ungleich schwerer gewesen wäre. Dennoch überkam mich die Frage: „Soll das schon alles gewesen sein?“ Deshalb stand mein Entschluss fest: Ich werde mir viele Beschäftigungen suchen.

 

Arbeitsrechtlich war die Beendigung meines Beschäftigungsverhältnisses kein Problem und vor allem war sie mit keinen finanziellen Einbußen verbunden. Zur damaligen Zeit war es noch möglich, dass man, wenn man als über Sechzigjähriger arbeitslos wurde, man nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ohne finanzielle Abzüge in Rente gehen konnte.

1999 bis 2017: Bewegende Jahre

 

 Meine Jahre bis 2017 als Rentner sind so ausgefüllt, dass es nötig ist, diese chronologisch zu erfassen.

 

1999

Am 21. Februar nahm ich zum dritten Mal am „LüHa-Fun-Run“, dem 75 Kilometer langen Lauf von Lübeck nach Hamburg teil. Und am 25. April nahm ich zum vierzehnten Mal in Hamburg am Marathonlauf teil. Das war insgesamt mein 38. Marathonlauf. Meinen ersten Marathonlauf hatte ich im April 1985 im Alter von 47 Jahren in Bremen bestritten. Einen Monat später, am 15. Mai nahm ich zum fünften Mal an dem 73 Kilometer langen Rennsteiglauf im Thüringer Wald teil und am 16. Juli zum zweiten Mal an einem Einhundert-Kilometer-Lauf in Marburg. – Die vielen Halbmarathons, Volksläufe über zehn Kilometer und die unzähligen Trainingskilometer führe ich nicht im Einzelnen auf.

 

Am 6. Juli beendete ich meine Arbeit als Referent beim Evangelischen Erziehungsverband (EREV). Damit begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich gewöhnte mich schneller als erwartet an den Gedanken, „Ruheständler“ zu sein, tun und lassen zu können, was mir behagt. Zugleich war ich der Meinung, dass es gewiss noch irgendwo Menschen gibt, die von meiner Berufserfahrung profitieren möchten. Ich bot der Vorwerker Diakonie in Lübeck meine Dienste auf der Basis eines 630-DM-Jobs als „Geringfügig Beschäftigter“ an und stieß mit meinem Angebot sowohl beim Direktor der Vorwerker Diakonie in Lübeck, Pastor Paulsen als auch beim Bereichsleiter des Bereiches Jugendhilfe Hartmut Friedrich auf Interesse. Beratend begleitete ich ab dem 1. September 1999 die Arbeit der Jugendhilfe in der Lübecker Diakonie.

 

Während der gesamten Jahre meiner Berufstätigkeit war mir stets bewusst, dass ich meine „geistige Heimat“ als Diakon im Rauhen Haus in Hamburg habe. Deshalb habe ich mich stets regelmäßig an allen Veranstaltungen der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses und dem „Konvikt Schleswig-Holstein Ost / Bergedorf“, der für mich zuständigen regionalen Gliederung, beteiligt. Allerdings habe ich in all den Jahren innerhalb der Brüder- und Schwesternschaft nie eine Funktion angestrebt. Vielmehr war mir wichtig, mich dorthin ohne besondere Verantwortlichkeiten zurückziehen und besinnen und alle Angebote wahrnehmen zu können, z.B. Seminare zur Frage „Brüderschaft und Drittes Reich“ oder anderen zeitgeschichtlichen Themen, Besuche in der Hamburger Synagoge, der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme, einem jüdischen Friedhof oder einem ehemaligen Ausbildungslager für jüdische Auswanderer während der NS-Zeit; oder ich nehme gemeinsam mit Ursula an den jährlich einmal stattfinden ganztägigen Ausflügen teil. – Erst jetzt, wo ich nahezu alle berufs- und fachverbandlichen Funktionen abgegeben habe, kann und will ich mich für die Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses engagieren. So vertrat ich diese von 1999 bis 2005 im Ausschuss Berufspolitik des Verbandes Evangelischer Diakonen- und Diakoninnengemeinschaften (VEDD) mit Sitz in Kassel und brachte dort meine berufspolitischen Erfahrungen aus meiner aktiven Zeit im Berufsverband ein. Der Ausschuss Berufspolitik tagte drei bis viermal jährlich.

 

Am 4. September 1999 nahm ich zum vierten Mal an dem 26 Kilometer langen Lauf von Ilsenburg im Harz über den Brockengipfel teil und am 26. September nahm ich zum elften Mal in Berlin am Marathon teil. Das Jahr 1999 schloss ich läuferisch am 28. November mit dem Ratzeburger Adventslauf ab, den ich zum fünften Mal bestritt.

 

2000

Dieses Jahr sollte ein sehr bewegendes werden.

 

Im Februar fuhr ich nunmehr zum sechsten Mal mit Ekkehard für eine Woche auf den Klinovec (zu deutsch: Keilberg) ins tschechische Erzgebirge zum Skilaufen. Auf der Hinfahrt machten wir in Oelsnitz im Erzgebirge Halt, wo wir beide als junge Männer im Bergbau gearbeitet hatten. Zwar deutet heute außer den vielen Halden und einem Bergbaumuseum kaum noch etwas auf den über viele Jahrhunderte die Landschaft und die Menschen prägenden Steinkohlebergbau hin, dennoch schwelgten wir in Erinnerungen an unsere Zeit als Hauer im Oelsnitzer Steinkohlenbergbau.

 

Danach, am 6. Februar nahm ich in Hamburg-Berne an einem Wintermarathon und am 20. Februar zum vierten Mal an dem 75 Kilometer langen Lauf von Lübeck nach Hamburg teil.

 

In der Zeit vom 9. bis 16. April 2000 reiste der Kirchenchor Klein Wesenberg, dem ich seit Dezember 1999 bis heute angehöre und im Tenor mitsinge, gemeinsam mit dem Kirchenchor Lübeck-Dornbreite nach Schweden. In dem kleinen Städtchen Boxholm, südlich von Stockholm, wo wir auch wohnten, gaben wir in der Kirche ein Chorkonzert mit Werken von Bach, Buxtehude und seinem Schwiegersohn Schieferdecker. Das gleiche Chorkonzert sangen wir noch in drei weiteren Kirchen in der Nähe Stockholms.

 

In Schweden erreichte mich die Nachricht von der schweren Erkrankung meines ältesten Bruders Dieter an Leukämie. Er lag im Krankenhaus in Hofgeismar. Es wurde über eine Rückenmarkstransplantation nachgedacht. Für diesen Fall hätte ich meine Schwedenreise abgebrochen und wäre umgehend nach Deutschland zurückgekehrt. Doch die Ärzte entschieden anders, da bei einem über 70jährigen Patienten durch eine Rückenmarkstransplantation keine Heilung mehr zu erzielen sei. So blieb ich in Schweden. – Zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus Schweden erreichte uns die Nachricht, dass Dieter am 2. Mai verstorben ist. – Lange habe ich mir Gedanken und auch Vorwürfe darüber gemacht, dass ich Dieters Wunsch befolgte und ihn nicht im Krankenhaus besucht habe. So ist meine letzte Erinnerung an Dieter ein sehr langer gemeinsamer Spaziergang mit tiefschürfenden Gesprächen am Abend des 29. November 1999 nach dem offiziellen Empfang anlässlich seines 70. Geburtstages. Unser Bruder Ekkehard war nicht mitgekommen, da es ihm gesundheitlich nicht so gut ging. Das hatten wir bei ihm noch nie erlebt. So stellten wir uns die Frage, wer von uns Brüdern wohl als nächster diese Erde verlassen muss. Schon wenige Monate später musste Ekkehard sich am Herzen operieren lassen.

 

Unser Hund Mucky hat nicht nur dafür gesorgt, dass neben ihm und dem Jack Russel Alea die Katze Flori bei uns lebte, sondern er hat sich auch einen Spielgefährten und Nachfolger ausgesucht. Ulrike war im Frühjahr 1998 bei uns ausgezogen und hatte Alea mitgenommen. Nun war Mucky allein. Stets war die Freude riesig, wenn uns Ulrike mit Alea besuchte, und der Trennungsschmerz umso nachhaltiger, wenn für den Hund die Einsamkeit wieder ausbrach. Wir konnten es nicht mehr länger mit ansehen, dass der nunmehr fast fünfzehnjährige Hund so unter der Einsamkeit litt. Deshalb entschlossen sich Ursula und ich, uns einen zweiten Hund aus dem Tierheim zu holen. Ursulas Arbeitskollegin Britta arbeitete ehrenamtlich im Tierheim unserer Kreisstadt Bad Oldesloe. Sie berichtete davon, dass derzeit viele Straßenhunde durch den Tierschutzverein „Arche Noah Kreta e.V.“ auf der griechischen Insel Kreta eingefangen, nötigenfalls tierärztlich behandelt und in Tierheime nach Deutschland gegeben werden, um sie davor zu bewahren, dass sie gejagt und erschossen werden, wie das in Griechenland üblich sei. Deshalb verabredeten wir uns mit dem Tierheim in Bad Oldesloe. Dort stellte man uns zwei Hunde vor, welche für einen Verkauf infrage kämen. Wir gingen mit beiden Hunden und Mucky spazieren. Unser alter Mucky lebte geradezu wieder auf und war dabei insbesondere dem einen Hund, Tessa, zugetan. Als wir nach wenigen Tagen wieder zu einem Hundespaziergang ins Tierheim fuhren, war insbesondere die Wiedersehensfreude zwischen Mucky und Tessa sehr groß. Und so entschlossen wir uns Tessa zu uns zu holen. Nach einigen Tagen, an welchen wir regelmäßig ins Tierheim fuhren und mit Mucky und Tessa spazieren gingen, war es dann soweit. Am Donnerstag, dem 22. Juni 2000 durften wir Tessa für ein geringes Entgelt kaufen und mitnehmen. Wir erhielten eine Urkunde und den internationalen Impfpass, in welchem folgende Eintragungen zu lesen waren: „Geboren Anfang 1998, aufgegriffen auf Kreta: 29.04.1999, Impfung gegen Tollwut auf Kreta (Tierheim) 25.04.2000“. In einer amtstierärztlichen Bescheinigung des Tierheims von Kreta vom 25.05.2000, dem Tag vor der Abreise nach Deutschland, war zu lesen: „…hat keine Anzeichen einer übertragbaren Krankheit gezeigt“. So hat Tessa mehr als ein Jahr im Tierheim auf Kreta und danach weniger als einen Monat im Tierheim in Bad Oldesloe leben müssen, bevor sie ein neues zu Hause bekam.

 

Tessa

 

Am 25. Juni veranstaltete die Vorwerker Diakonie ein dreißig Kilometer langes Stiftungsradeln von der Stammeinrichtung in Lübeck über den Gutshof „Ziegelhorst“ am Rande Lübecks, in welchem behinderte Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, bis zum Ratzeburger Dom. Ich hatte mich dazu bereit erklärt, diese Strecke, die Familien in gemächlichem Tempo radeln, laufend zu bewältigen. Das klappte auch vorzüglich. Ich traf mit den Radlern im Ziel ein.

 

Bei der Erörterung der Probleme von Jugendlichen, welche mit den allgemeinen Möglichkeiten der Jugendhilfe nicht mehr erfasst werden können, weckte ich mit meinem Bericht vom 1993 begonnenen Projekt in Rumänien großes Interesse. Ich arrangierte ein persönliches Kennenlernen mit Klaus Schäfer und einen Besuch von Hartmut Friedrich, Heiko Quade, Iris Teichmann, Michael Hümöller und mir vom 12. bis 19. Mai 2000 in Rumänien. Schließlich wurde die Entscheidung getroffen, dass sich die Vorwerker Diakonie Lübeck an diesem Projekt beteiligen wird. Mit großem Engagement wurden alle Voraussetzungen hierfür geschaffen und ein gemeinsames Konzept entwickelt. Vom 12. bis 17. März 2001 war ich mit Heiko Quade und vom 21.bis 28. Januar 2002 mit Hartmut Friedrich abermals in Rumänien, um die Voraussetzungen für eine enge Kooperation zu schaffen.

 

Das Dorf Cund in Rumänien

 

In der gemeinsam erstellten Leistungsbeschreibung haben wir dieses Projekt folgendermaßen beschrieben:

 

Seit dem 01.07.2000 ist die Vorwerker Diakonie Lübeck Kooperationspartner der rumänischen Firma Vitorul Acriculturii Cund (Zukunft Landwirtschaft) und der dazugehörigen Stiftung Vitorul Copiilor (Zukunftskinder). Gemeinsam unterhalten diese ein Werkschulprojekt für acht bis zehn Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Ein Teil dieser Werkschule befindet sich in Cund in Siebenbürgen / Rumänien (ehemals Reußdorf), ein weiterer Teil in Lübeck. Hierbei handelt es sich nicht um ein erlebnispädagogisches Auslandsprojekt, sondern um eine besondere Form der Hilfe zur Erziehung, in welcher der Aufenthalt der Jugendlichen in Rumänien und in Deutschland gleichbedeutend sind. Deshalb ist ein regelmäßiger Wechsel in Zeiträumen von jeweils ca. drei Monaten von praktischer Tätigkeit im Rahmen eines Dorfentwicklungsprojektes unter einfachen Lebensbedingungen in Rumänien und anschließendem Aufenthalt in Deutschland, der für die Weiterentwicklung der persönlichen Perspektiven der Jugendlichen genutzt werden soll (Schulabschluss, Berufsausbildung, Ablösung vom bisherigen Umfeld), konzeptionell vorgesehen. Das bedeutet, dass sich jeweils vier bis fünf Jugendliche in Deutschland und zur gleichen Zeit vier bis fünf Jugendliche in Rumänien aufhalten. Wir nennen diesen ganzheitlichen Ansatz ‚Sinnpädagogik‘.

Gemeinsam mit rumänischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie unseren Jugendlichen bewirtschaften Erzieher, Sozial- oder Heilpädagogen aus Deutschland in Cund / Rumänien einen Bauernhof mit Viehzucht (Milchwirtschaft, Hühnerhaltung, Schweinezucht) und Ackerbau (Gemüseanbau, Obstanbau) und in den dazugehörigen Nebenbetrieben eine Tischlerei, eine Schlosserei und eine Schuhmacherei. Die Endfertigung und der Vertrieb der Erzeugnisse erfolgt teilweise unter Beteiligung der Jugendlichen durch die Vorwerker Werkstätten in Lübeck. Die Jugendlichen erhalten in Rumänien regelmäßige schulische Förderung durch eine qualifizierte deutsche Lehrkraft. Außerdem helfen die Jugendlichen mit, im Dorf wieder eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen. Damit wird neben der pädagogischen Arbeit auch die internationale Zusammenarbeit gefördert und praktische Hilfe zur Dorfentwicklung geleistet.

Aufbauend auf den Lern- und Arbeitserfahrungen in Rumänien können sich die Jugendlichen während des Aufenthaltes in Deutschland, auf einen ihren schulischen Voraussetzungen gemäßen Schulabschluss vorbereiten, in den Vorwerker Werkstätten arbeiten oder eine Berufsausbildung absolvieren. Ihre Betreuung erfolgt in einer Wohngruppe in Lübeck oder in individueller Unterbringung. Eine enge Zusammenarbeit mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Vorwerker Diakonie ermöglicht diagnostische und erforderlichenfalls spezielle therapeutische Hilfen.

Dieses Projekt ist für einzelne Jugendliche gedacht, die im Rahmen ‚normaler heilpädagogischer Heimerziehung‘ nicht erreichbar sind, die jedoch die Möglichkeit zu einem Neubeginn erhalten sollen, indem sie ihr bisheriges soziales Umfeld hinter sich lassen können, um neue Lernerfahrungen zu machen. Die Jugendlichen werden in Cund / Rumänien ebenso wie in Lübeck in umfassender Lebens- und Arbeitsgemeinschaft gefördert und betreut.

Ziel dieser Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ist es, die jungen Menschen in ihrer Entwicklung soweit zu fördern und Fehlverhalten abzubauen, dass eine Eingliederung in die Lebens- und Arbeitswelt außerhalb eines beschützenden Rahmens in unserer Gesellschaft in Deutschland wieder möglich wird und sie ein eigenständiges, unabhängiges Leben führen können.“

 

Arbeit in der Landwirtschaft

 

Handwerkliche Arbeit

 

Doch im Sommer 2002 wurde diese enge Kooperation von Klaus Schäfer aufgekündigt. Er ist ein Mensch, der seine Unabhängigkeit über alles stellt. Der Kooperationsvertrag wurde von ihm als Einschränkung seiner Unabhängigkeit erlebt. Seitdem bedient sich die Vorwerker Diakonie nur noch im Einzelfall der Möglichkeiten in Rumänien und entwickelt darüber hinaus ein eigenes Konzept zum Umgang mit schwierigen und gewaltbereiten Jugendlichen. Hartmut Friedrich ist im Mai 2002 aus Vorwerk ausgeschieden. Sein Nachfolger als Leiter des Bereiches Jugendhilfe ist Werner Starke. Mit ihm wurde ein neues Konzept der Jugendhilfe der Vorwerker Diakonie Lübeck entwickelt, nachdem diese von der Stadt Lübeck das völlig abgewirtschaftete Kinderheim Wakenitzhof übernommen hatte. Da sich das Jugendamt Lübeck aus prinzipiellen Überlegungen gegen den „Export“ von extrem schwierigen Jugendlichen ins Ausland ausgesprochen hatte, wurde, auf den Erfahrungen in Rumänien aufbauend, das Konzept einer "Werkschule“ in Lübeck für 8 extrem schwierige Jugendliche entwickelt und in die Tat umgesetzt. So konnte ich bis zu meinem endgültigen Ausscheiden in der Vorwerker Diakonie Lübeck am 30. Juni 2006 Entscheidendes mit bewegen.

 

Am 11. Juli 2000 wurde in Klein Wesenberg ein Verein zur Förderung der Kirchenmusik „Musik vor Ort“ gegründet und ins Vereinsregister eingetragen. Zum Vorsitzenden wurde Ulrich von Papen gewählt. Ich konnte mich nicht der Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden entziehen. Im zahlreich in der Gemeinde verteilten Flyer heißt es:

 

Der Verein besteht aus Menschen, die Freude an Kirchenmusik haben und die möchten, dass Kirchenmusik und Chorgesang in der Kirchengemeinde Klein Wesenberg auch in Zukunft möglich sein wird. Die Mitgliedschaft im Verein verpflichtet zu keinerlei zeitraubenden Vereinsaktivitäten, sondern soll dazu beitragen, dass in Klein Wesenberg auch weiterhin musiziert und gesungen wird. Deshalb bittet der Verein alle Freunde der Kirchenmusik um finanzielle Unterstützung.

 

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 09.05.2017
ISBN: 978-3-7438-1171-3

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