Über vierzig Jahre war ich berufsverbandlich tätig, von 1967 bis 1978 als Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Heilpädagogen in Deutschland (BHD), von 1978 bis 1987 als Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Heilpädagogen (BSH), von 1987 bis 1993 als BSH-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, 1993/94 als Mitglied im Gründungsvorstand des Deutschen Berufsverbandes der Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Heilpädagogen (DBSH), von 1993 bis 1995 als DBSH-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, von 1996-1997 als stellvertretender DBSH-Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein und von 1995 bis 2007 als Vorstandmitglied des BSH-Instituts, welches sich ab 1993 DBSH-Institut nannte. 2007 trat ich aus dem DBSH aus. Die berufsverbandliche Arbeit verlief in einer Zeit ohne Internet und ohne Handy sehr viel anders, als heute. Außerdem waren die Verbände kleiner als heute und verfügten somit nicht immer über hauptamtliche Geschäftsführer und Mitarbeiter. Die gesamte Arbeit wurde ehrenamtlich geleistet. Es ist mir wichtig, wenigstens einige Namen von Menschen zu nennen, die mir in diesen Jahren begegnet sind.
Die Schilderungen von Einzelheiten bekommen auch deshalb besonderes Gewicht, da weder die Homepage des DBSH noch die Homepage des BHP auf die Ursprünge der Arbeit hinweisen. Beim DBSH findet man unter „Geschichte des DBSH“ lediglich in einer tabellarischen Aufstellung die Verbände aufgelistet, welche letztendlich zum DBSH geführt haben. Beim BHP vermisst man einen Hinweis auf dessen Geschichte völlig. Selbst bei den 50 Fachtagungen gewinnt man den Eindruck, dass diese alle vom BHP organisiert wurden. Man erfährt nicht, dass die ersten 13 Fachtagungen vom BHD und die nächsten 7 von der Bundesfachgruppe der Heilpädagogen im BSH durchgeführt worden sind.
Vielleicht stoßen meine Ausführungen bei Berufskollegen unserer Generation, aber auch bei Kolleginnen und Kollegen der heutigen Generation auf Interesse.
Klein Wesenberg, im Februar 2017
1966
Im Oktober trafen sich die Absolventen des Heilpädagogischen Seminars (HPS) Bethel im Fortbildungshaus Bethels mit dem Namen „Stille Kammer“ im Teutoburger Wald. Bei diesem Treffen entstand die Idee, für den jungen Beruf Heilpädagoge eine Interessengemeinschaft zu gründen. Außer uns hatten ein halbes Jahr früher, im Herbst 1964, in München zwanzig Heilpädagoginnen und Heilpädagogen ihre Ausbildung beendet. Ich besorgte mir die Anschriften dieser Absolventen und teilte allen die Idee mit, eine Interessengemeinschaft zu gründen und bat um Mitarbeit. Spontan meldeten sich die Münchener Heilpädagogen Wolfgang Bone aus Ennepetal und Hans-Hermann Kleem aus Rengshausen und die Betheler Heilpädagogin Hannelore Hofeditz aus Marburg. Zu viert bereiteten wir bei einem gemeinsamen Treffen in Rengshausen bei Kassel die Gründung eines Berufsverbandes vor und luden alle dazu für den 27./28. Mai 1967 nach Randersacker bei Würzburg ein. Da inzwischen auch die ersten Absolventen des HPS Delmenhorst bei Bremen ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, luden wir auch die Absolventen des HPS Delmenhorst ein. Um dieses Treffen gut vorzubereiten, erarbeitete ich mit Hilfe meines ehemaligen Dozenten für Verwaltungsrecht, dem Leiter der Rechtsabteilung der Sozialbehörde Hamburg Dr. Winkelmann einen Satzungsentwurf für einen künftigen Berufsverband.
Beim Diakonischen Werk in Hamburg hielt ich ein Referat, in welchem ich auf die neue Ausbildung zum Heilpädagogen hinwies:
Welche Erwartungen darf man an die Heilpädagogik stellen?
I.
Es war bis 1963 in Deutschland nicht möglich, eine heilpädagogische Ausbildung für den außerschulischen Bereich zu erhalten. Bis dahin ging man zur Ausbildung in das von Heinrich Hanselmann gegründete Heilpädagogische Seminar Zürich oder z.T. auch in die heilpädagogischen Seminare nach Freiburg und Genf. So erhielten in den Nachkriegsjahren nahezu 70 Studierende aus Deutschland eine heilpädagogische Ausbildung in der Schweiz.
Im Herbst 1963 begann das „Heilpädagogische Ausbildungs- und Forschungsinstitut an der Heckscher Klinik München“ unter der Leitung von Friedrich Meinertz mit einer heilpädagogischen Ausbildung. Im Herbst 1964 legten die ersten 16 Studierenden die Prüfung ab.
Im Mai 1964 begann das „Heilpädagogische Seminar Bethel“ unter der Leitung von Dr. Wolfgang Klenner mit der Ausbildung. Im April 1965 legten 19 Studierende des ersten Ausbildungslehrganges die Prüfung ab.
Und im Herbst 1965 begannen die heilpädagogischen Seminare in Würzburg und in Freiburg/Breisgau (beide Caritas-Verband) und in Delmenhorst (Evangelisch Lutherisches Wichernstift) mit einer heilpädagogischen Ausbildung.
Um diese heilpädagogische Ausbildung im außerschulischen Bereich einheitlich zu gestalten, haben sich die genannten Ausbildungsstätten zu einer „Ständigen Konferenz von Ausbildungsstätten für außerschulische Heilpädagogen in Deutschland“ zusammen geschlossen. Man hat die „Ausbildungsrichtlinien für eine heilpädagogische Zusatzausbildung“ des Allgemeinen Fürsorgeerziehungstages (AFET) vom 01.09.1962 als verbindlich anerkannt und sich eine einheitliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung gegeben, die inzwischen von den Kultusministerien der betreffenden Länder anerkannt worden ist. Somit sind die heilpädagogischen Ausbildungsstätten staatlich anerkannt als „Höhere Fachschulen besonderer Art“.
II.
Die Tatsache, dass man sich auch in Deutschland auf eine heilpädagogische Ausbildung im außerschulischen Bereich besinnt – vorher erstreckte sich eine solche Ausbildung nur auf den Bereich der Sonderschulen -, berechtigt zu der Frage: Will man damit die herkömmliche Sozialpädagogik reformieren oder gar aus dem Felde schlagen, oder will sie eine Form der Erziehung neben vielen anderen sein? Was dürfen wir von der Heilpädagogik erwarten?
Heinrich Hanselmann beantwortet diese Frage so: „Heilpädagogik ist die Lehre vom Unterricht, von der Erziehung und Fürsorge aller jener Kinder, deren körperlich-seelische Entwicklung dauernd durch individuale und soziale Faktoren gehemmt ist“ („Einführung in die Heilpädagogik“, Zürich, 1930). Und sein Schüler und Nachfolger Paul Moor fügte dem hinzu: „Heilpädagogik ist Pädagogik und nichts anderes, wenn auch Pädagogik unter besonderen, erschwerten Bedingungen („Die Bedeutung des Spiels in der Erziehung“; Bern, 1962). Professor Erich Beschel, Dortmund, nannte die Heilpädagogik „Pädagogik der Notfälle“ („Missverständliche Heilpädagogik“, in Zeitschrift „Unsere Jugend“, Heft 7/1965).
Klaus-Rainer Martin beim Referat
1967
Wie geplant, trafen wir uns am 27./28. Mai 1967 in Randersacker bei Würzburg. Die 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Treffens gründeten den „Berufsverband außerschulischer Heilpädagogen in Deutschland (BHD)“. Man wählte mich zum Vorsitzenden. Diese Verbandsgründung erfolgte, nachdem ich vorher vergeblich versucht hatte, beim Deutschen Berufsverband der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen (DBS) die Bildung einer Fachgruppe für Heilpädagogen zu ermöglichen, denn schon damals war ich davon überzeugt, dass es sinnvoller ist, die Kräfte zu bündeln, als sich in vielen Verbänden zu verzetteln und für jeden Beruf innerhalb des weiten Feldes sozialer Arbeit einen eigenen Berufsverband zu gründen. Wir einigten uns im BHD darauf, einmal jährlich eine Fachtagung in Verbindung mit einer Mitgliederversammlung durchzuführen.
Die erste Tagung sollte bereits im Herbst 1967 in Springen im Taunus stattfinden. Für diese erste Tagung bereiteten wir eine erste Umfrage mit dem Titel „Situations- und Arbeitsplatzanalyse“ vor. – Im Laufe der Jahre sollten noch mehrere Umfragen folgen. - Die Auswertung übernahm Claus Eberhard Penk, ein Absolvent des HPS Delmenhorst. - Als Referenten luden wir den Leiter des HPS München, Dr. Kastantowitzsch ein. Er referierte zum Thema „Erziehen und heilen“. Hierzu luden wir auch als Vertreter des „Verbandes der Absolventen des HPS Zürich (VAZ)“ Günter Frommann, Eberhard Dyck und Gudrun Rönck ein. Nach dieser Tagung empfahlen diese den Mitgliedern der VAZ den Beitritt zum BHD. Gleichzeitig beantragten wir unsere Mitgliedschaft in der „Ständigen Konferenz heilpädagogischer Ausbildungsstätten“, deren Vorsitzender Dr. Wolfgang Klenner war, mit dem Ziel, eine bundeseinheitliche Heilpädagogen-Ausbildung zu garantieren, Bündnispartner für unsere Forderung nach einer staatlichen Anerkennung dieses neuen Berufes zu finden und bei der Erstellung der Berufsbeschreibung „Heilpädagoge“ durch die Bundesanstalt für Arbeit mitzuwirken. Der BHD formulierte für die Blätter zur Berufskunde eine vierfache Funktion des Heilpädagogen: der Heilpädagoge in der Gruppenarbeit, der behandelnde Heilpädagoge, der unterrichtende Heilpädagoge und der Heilpädagoge mit Leitungsaufgaben. Später kamen noch der frei praktizierende Heilpädagoge und der Heilpädagoge als Dozent in der Heilpädagogenausbildung hinzu.
Ebenso beantragten wir die Mitgliedschaft im Fachbeirat der Arbeitsgemeinschaft für Erziehungshilfe (AFET), so genannt, weil diese Arbeitsgemeinschaft in der Weimarer Republik unter dem Namen „Allgemeiner Fürsorge-Erziehungstag“ gegründet worden war. Gemeinsam mit Hubertus Braun aus Idstein im Taunus machte ich einen „Antrittsbesuch“ beim Bundesvorstand der Gewerkschaft ÖTV in Stuttgart. Wir boten an, als BHD korporatives Mitglied der ÖTV zu werden. Doch die ÖTV lehnte mit der Begründung ab, dass es ein grundsätzliches gewerkschaftliches Prinzip sei, nur Einzelmitglieder aufzunehmen. – Ich trat als Vorsitzender des BHD der Gewerkschaft ÖTV bei, in der Hoffnung, auf diese Weise einen mächtigen Bündnispartner für die Interessen der Heilpädagogen zu finden.
Im gleichen Jahr, 1967 folgte ich einer Bitte aus dem Schulministerium in Kiel und übernahm mit einer Doppelstunde pro Woche einen Lehrauftrag an der Dorothea-Schlözer-Schule, Fachschule für Sozialpädagogik in Lübeck. In der Abschlussklasse für die Erzieherausbildung übernahm ich das Thema Heimerziehung. Drei Jahre später, 1971 wurde ich mit gleichem Lehrauftrag an die zur Fachhochschule für Soziale Arbeit angehobene Schule nach Kiel versetzt. Wiederum drei Jahre später, 1974 wurden die Verträge mit Lehrbeauftragten aufgelöst. Die Fachhochschule hatte sich dazu entschlossen, den Unterricht künftig nur noch durch hauptamtliche Professoren zu erteilen. Man bot mir eine Professur in Kiel an. Doch ich lehnte ab, da ich mir bewusst war, dass ich nicht befähigt bin, wissenschaftlich zu arbeiten. Ich brauche die tägliche Praxiserfahrung, um meine Aussagen fachkompetent machen zu können.
1968
Auf der 2. Fachtagung des BHD im November 1968 in Springen im Taunus konnten wir den Leiter des HPS Zürich Fritz Schneeberger als Hauptreferenten begrüßen. Die Fragestellung seines Referates, ob man erzieherisches Tätigsein einfach mit produktiver Arbeit oder den vielfältigen individuellen oder sozialen Dienstleistungen gleichsetzen dürfe, hat mich während meines ganzen Berufslebens und berufsverbandlichen Engagements nicht mehr losgelassen. – Auf der Mitgliederversammlung änderten wir unseren Verbandsnamen und die Satzung. Künftig nannten wir uns „Berufsverband der Heilpädagogen in der Bundesrepublik Deutschland (BHD) e.V.“. Damit wollten wir uns auch für an Schulen tätige Heilpädagogen öffnen und unsere Kontakte zu Heilpädagogen in den kommunistischen Ländern nicht schon durch unseren Namen erschweren. Den Vorstand erweiterten wir um einen Sitz, um noch einen in der Schweiz ausgebildeten Heilpädagogen in die Verantwortung für den Berufsverband einzubinden. Außerdem verständigten wir uns darauf, künftig unsere Fachtagungen immer auf das Wochenende nach dem Bußtag zu legen und jedesmal einen Leiter eines heilpädagogischen Instituts als Referenten einzuladen.
Im gleichen Jahr begannen wir damit, vierteljährlich einen Mitgliederrundbrief unter dem Namen „BHD-Informationen“ herauszugeben. Auch diese Aufgabe, Zusammenstellung der Themen, Sorge um den Druck und Korrekturlesen sowie den Versand an die Mitglieder übernahm ich. Erst nach der Vorstandsneuwahl im Herbst 1973 übernahm das neu in den Vorstand gewählte Mitglied Helmut Heiserer aus Regensburg diese Aufgaben.
1969
Im Frühjahr tagte die „Ständige Konferenz heilpädagogischer Ausbildungsstätten“. Hier wurde über unseren Antrag auf Mitgliedschaft entschieden. Der BHD wurde als „beratendes Mitglied aufgenommen. Wir erhielten zwei Sitze. Eberhard Dyck, Günter Frommann und ich warteten vor der Tür des Sitzungsraumes diese Entscheidung ab.
Im Mai fand in Wien ein internationaler Kongress „Heilpädagogik“ statt. Die Anregung hierzu gab der international durch seine Forschung zum kindlichen Autismus bekannt gewordene Psychiayter Hans Asperger. An diesem Kongress nahmen Hannelore Hofeditz und ich als Vertreter des BHD teil.
Hans Asperger (stehend, re.) auf dem Wiener Kongress
Die 3. Fachtagung des BHD fand im November im „Haus der Begegnung“ in Königstein im Taunus statt. Der Leiter des neu gegründeten HPS Freiburg, Dr. Sagi, referierte zum Thema „Leistungsmessung durch Beobachtung und durch Tests“. Und Prof. Bach aus Mainz ergänzte diese Ausführungen mit seinem Referat „Funktionen, Formen und Probleme der Diagnostik“.
1970
Die Arbeitsgemeinschaft für Erziehungshilfe (AFET) wählte mich in seinen Fachbeirat. Im AFET sind die Landesjugendämter, die freien Wohlfahrtsverbände und Fachorganisationen vertreten. Somit ist der AFET (man sagt eigenartigerweise nicht „die AFET“) der in der bundesdeutschen Jugendhilfe maßgebende Fachverband.
Im Herbst 1970 nahm ich zum ersten Mal als BHD-Vorsitzender an der traditionellen Tagung der Vereinigung der Absolventen des HPS Zürich (VAZ) in Schaffhausen teil. Günter Frommann, Vorsitzender der deutschen Absolventen des HPS Zürich, hatte mich auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht und mich davon überzeugt, dass es gut und richtig sei, dass der BHD-Vorsitzende auf diese Weise Kontakt zu den Schweizer Heilpädagogen hält. Deshalb habe ich bis 1975 alljährlich an den „Schaffhauser Tagungen“ teilgenommen. Danach fanden keine Schaffhauser Tagungen mehr statt.
Die 4. Fachtagung des BHD fand wieder in Königstein im Taunus statt. Referenten waren der Leiter des HPS Delmenhorst, Dr. Falt zum Thema „Aufgaben des Heilpädagogen in progressiver Heimerziehung“ und Prof. Lempp aus Tübingen zum Thema „Kindliche Verhaltensstörung und ihre Behandlung“.
Klaus-Rainer Martin (li.) im Gespräch
mit Günter Frommann (mitte) und Hans-Peter Feldhusen (re.)
1971
Auch die 5. Fachtagung des BHD fand in Königstein im Taunus statt. Der Leiter des HPS Bethel, Dr. Klenner, referierte zum Thema „Übungsbehandlung als heilpädagogische Praxis“ und Prof. Stutte aus Marburg zum Thema „Grenzen und Möglichkeiten heilpädagogischer Behandlung“.
Im gleichen Jahr gab die Ständige Konferenz von heilpädagogischen Ausbildungsstätten eine Sammlung der „Stoffpläne für die Ausbildung zum Heilpädagogen“ heraus. Das geschah in enger Zusammenarbeit mit dem BHD, namentlich mit dem Leiter des HPS Delmenhorst Theodor Falt und mir, und war letztendlich nur möglich, weil der BHD den Druck der Broschüre finanzierte. Außerdem gab der BHD erstmals ein „Literaturverzeichnis für Heilpädagogen“ und ein „Verzeichnis der Ausbildungsstätten zum Heilpädagogen“ heraus. Die Arbeit zum Literaturverzeichnis wurde durch Cläre von Oy in Freiburg koordiniert. Das Ausbildungsstättenverzeichnis wurde von mir in Zusammenarbeit mit der „Ständigen Konferenz“ erstellt.
Diese Schriften wurden ebenso wie die BHD-Informationen von einer kleinen Druckerei in Reinfeld in Holstein gedruckt. Damit lagen alle mit dem Druck und Versand verbundenen Aufgaben in meiner Verantwortung.
1972
Die 6. Fachtagung des BHD fand wiederum in Königstein im Taunus statt. Im Vorstand hatten wir uns darauf verständigt, künftig den Fachtagungen ein Generalthema zu geben und alle Referenten zu bitten, zu diesem Thema zu referieren. Das Generalthema lautete „Heilpädagogik – analytische Psychotherapie – Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten für die Praxis“. Hierzu hatten wir vier Referenten geladen, unter ihnen den neuen Leiter des HPS Zürich Bonderer. Auch ich hielt hierzu ein Referat, das sogar in der schweizerischen „Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN)“ abgedruckt wurde:
Gibt es ein einheitliches Berufsbild der Heilpädagogen?
Wer sich mit den Fragen, Problemen und Bestrebungen um eine einheitliche Konzeption zur Ausbildung von Heilpädagogen in der Bundesrepublik Deutschland befasst, gerät in die Gefahr, resignierend alle Bemühungen aufzugeben. - Nie waren wir von einer bundeseinheitlichen Ausbildung zum Heilpädagogen weiter entfernt als im Herbst 1972; fast acht Jahre nach jenem Tag, an welchem in München die ersten Absolventen einer deutschen heilpädagogischen Ausbildungsstätte ihre Arbeit als Heilpädagogen aufnahmen.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es sieben heilpädagogische Ausbildungsstätten, die der Sektion I der „Ständigen Konferenz von Ausbildungsstätten für Heilpädagogen in Deutschland“ angehören. Und es gibt sechs verschiedene Ausbildungsvarianten zum Heilpädagogen:
Das Heilpädagogische Ausbildungs- und Forschungsinstitut an der Heckscher Klinik in München bildet seit Herbst 1965 als staatlich anerkannte Ergänzungsschule (= Fachschule) in einer einjährigen Vollzeitausbildung Jugendleiterinnen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie Kindergärtnerinnen und Erzieher mit mehrjähriger Berufspraxis zum Heilpädagogen aus.
Das Heilpädagogische Seminar Delmenhorst und das Institut für Heilpädagogik in Dortmund bilden ebenfalls nach ihren bisherigen Ausbildungsordnungen aus.
Ergebnis dieser Zusatzausbildung sind zwei Ausbildungsvarianten:
Variante 1.: Der Heilpädagoge, der im Grundberuf eine Fachschulausbildung (Kindergärtnerin, Erzieher) absolviert hat.
Variante 2.: Der Heilpädagoge, der im Grundberuf eine Höhere Fachschul- bzw. Fachhochschulausbildung (Sozialarbeiter, Sozialpädagoge) absolviert hat.
Das Heilpädagogische Seminar Würzburg bildet ebenfalls wie bisher in einer einjährigen Zusatzausbildung zum Heilpädagogen aus. In Würzburg verlangt man jedoch von Bewerbern mit einem Fachschulabschluss im Grundberuf den Besuch eines einjährigen Proseminars.
Variante 3.: Der Heilpädagoge, der im Grundberuf eine Fachschulausbildung (Kindergärtnerin, Erzieher) absolviert hat und den Zugang zum Heilpädagogischen Seminar nur über den Besuch des Proseminars erreichen konnte.
Das Institut für Heilpädagogik Bethel ist inzwischen „lnstitut für Heilpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe“ geworden, und das Institut für Heilpädagogik in Düsseldorf hat Anschluss bei der katholischen Fachhochschule in Köln gefunden.
Beide Institute bieten künftig nur noch graduierten Sozialpädagogen und graduierten Sozialarbeitern - auch ohne den Nachweis einer einschlägigen Praxis - die Möglichkeit eines zweisemestrigen Aufbaustudiums zum Heilpädagogen an (siehe: W, Klenner: "Weiterbildung; Heilpädagogisches Aufbaustudium - wozu?" in: "Der Sozialarbeiter" Nr.3 - Mai. Juni 1972).
Variante 4.: Der Heilpädagoge, der nach Abschluss eines sozialpädagogischen Fachhochschulstudiums ein zweisemestriges Aufbaustudium absolviert hat. Das Heilpädagogische Seminar Freiburg i. Br. ist inzwischen zum Fachbereich Heilpädagogik an der Fachhochschule für Sozialwesen und Religionspädagogik beim Deutschen Caritasverband e.V. geworden. Diese Fachhochschule bietet (nach dem Stand vom Oktober 1972) Studiengänge in vier Fachbereichen an für:
Das Fachhochschulstudium dauert einschließlich einer einjährigen praktischen Ausbildung (Berufspraktikum = Anerkennungsjahr) vier Jahre. Die Ausbildung gliedert sich in zwei Semester Grundstudium, gemeinsam für alle vier Fachbereiche; vier Semester Hauptstudium In einem der vier Fachbereiche und einem dem Hauptstudium zugeordneten Praxisjahr, das stärker schulisch geprägt sein soll als die bisher gebräuchliche Form des Anerkennungsjahres. Zum Studium kann zugelassen werden, wer die Fachhochschulreife besitzt. Absolventen von Fachschulen, z. B. Erzieher, werden auch beim Nachweis einschlägiger Praxis nur insoweit zugelassen, als sie die für den Erwerb der Fachhochschulreife notwendigen Zusatzfächer während der Fachschulausbildung belegt hatten (als Zusatzfächer gelten Englisch und Mathematik).
Variante 5.: Der an der Fachhochschule grundständig ausgebildete graduierte Heilpädagoge. Damit erfährt die Berufsbezeichnung Heilpädagoge zum ersten Mal in einem Bundesland die staatliche Anerkennung.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Tag der Veröffentlichung: 15.02.2017 Alle Rechte vorbehaltenImpressum
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