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Unser Lämmchen




Es ist schon lange her. Doch vergessen werde ich dieses Erlebnis wohl nie.
Ich war noch ein Kind. Wie alt war ich damals eigentlich?
Leider kann ich mich daran nicht mehr so genau erinnern. Nur Bruchstücke sind davon übrig geblieben
War ich zehn Jahre alt oder älter? Oder war ich noch jünger? Es fällt mir absolut nicht mehr ein.
Oft habe ich meine Mutter danach gefragt, doch auch sie kann sich nicht mehr genau daran erinnern. Nun gut, mit ihren fast 88 Jahren kann man das ja auch verstehen.

Ich lebte damals mit meinen Eltern und zwei kleineren Schwestern in einem mittelgroßen Dorf. Die Kreisstadt war fast zehn Kilometer von uns entfernt. Am Rande dieser Kleinstadt, in Sachsen, da lebten unsere Großeltern.
In der einen Straße wohnten Oma und Opa, die Eltern unseres Vaters. Ein paar Straßen weiter wohnte die andere Oma. Sie lebte dort alleine. Der Opa hatte sie verlassen. Ich habe nur eine einzige Erinnerung an diesen Opa, denn er hatte mir damals, als ich ein kleiner Junge war, die Haare geschoren. Kleine Tierchen, die wohl jeden bekannt sind, hatten sich auf meinem Kopf eingenistet. Das ganze passierte damals in der Sommerzeit. Weil ich mich mit meiner Glatze schämte, bin ich die ganze Zeit mit einer Mütze bedeckt herum gelaufen.

Nun aber möchte ich endlich erzählen, was der eigentlich Grund meiner Erinnerung von damals war. Was ich erlebte und was mir so nachhaltig davon im Gedächtnis bis heute haften geblieben ist.

Es war eines Tages, nach dem Frühstück, da verließ der Vater die Wohnung. Lange war er nicht weg, denn bald darauf kam er wieder zurück und brachte ein kleines niedliches Lämmchen, ein Böckchen mit. Dieses Böckchen hatte er im Dorf bei einem Bauern gekauft. Wir Kinder freuten uns sehr darüber und waren so glücklich. Das Lämmchen hatte so ein weiches Fell, so dass wir uns gleich in es verliebten. Wir mussten es immer und immer wieder streicheln.
Dem kleinen Kerlchen schien es auch gefallen zu haben, denn es hielt still.

Leider konnten wir das Lämmchen nicht zu Hause behalten. Wo sollte es denn bei uns untergebracht werden?
Aber unsere Eltern hatten einen Plan und den hatten sie bereits vorher mit unserer Oma abgesprochen. Das Lämmchen sollte zu ihr gebracht werden. Dort sollte es ihm auch gut gehen.
Unsere Oma hatte einen großen Garten mit einer großen Wiese. Also Futter gab es dort genügend und einen schönen Stall gab es auch.

„Großer, du kommst mit mir mit. Wir bringen das Lämmchen zur Oma.“

So sagte der Vater zu mir. Er holte unseren Handwagen aus dem Schuppen.




Das Lämmchen wurde hineingesetzt und fest angebunden und los ging es. Meine kleineren Schwestern wollten auch beide mit, aber der Vater ließ das nicht zu, da der Weg für die Beiden doch etwas zu lang und beschwerlich war. Mit Tränen in den Augen blieben sie zurück und wir zogen los. Vater an der Deichsel und ich schob. Über die Hälfte unserer Wegstrecke ging alles gut. Doch dann wurde das Lämmchen im Wagen mobil. Plötzlich sprang es aus dem Wagen und hing, da es ja angebunden war, an der Seite. Es zappelte und machte sich laut bemerkbar. Lämmchen wieder rein in den Wagen und weiter ging es. Dann war es wieder draußen, aber diesmal auf der anderen Seite.

Vater und ich waren glücklich, als wir dann, nach dem langen Fußmarsch endlich mit unserer Fracht heil bei der Oma angekommen waren. Mir taten ganz schön die Beine weh. Oma gab uns etwas zur Stärkung. Mein Schmerz war danach auch bald wieder vorbei.
Das Lämmchen bezog seinen Stall, welcher mit frischem Stroh ausgelegt war und machte es sich dort gleich bequem.





Sicherlich musste es sich auch von den Strapazen der längeren Reise im Handwagen erholen.
Dann ging es wieder in Richtung heimwärts. Dieses Mal musste ich nicht den ganzen Weg nach Hause laufen, nein ich konnte eine größere Strecke im Handwagen sitzen.
So oft wie wir konnten besuchten wir unsere Oma und unser Lämmchen.
Die Zeit verging.
Das Lämmchen wuchs prächtig und wurde ein stattlicher Schafbock.
Ich weis noch, dass meine Mutter aus der Wolle Socken, Handschuhe und Pullover für uns Kinder gestrickt hat. Pullover die immer so toll gekratzt haben.

An einem Tag, ich besuchte mal wieder meine Oma alleine, da geschah es.
Oma wollte Hans,





wie sie ihn nannte, ein Stück weiter anpflocken. Mit einem Hammer trieb sie den Pflock ins Erdreich und wie sie sich bückte, nahm Hans den Kopf nach unten, holte Anlauf und schubste sie in einen Stachelbeerbusch.

Dieses Bild werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Oma segelte in den Busch, die Beine hoch in die Luft. Ich war erst erschrocken, doch dann musste ich so lachen, dass ich nicht im Stande war ihr aufzuhelfen.
Mit Mühe hatte sie sich dann selbst aufgerappelt und ist aus dem Busch gekrabbelt.
Oh, wie sah Oma aus. Ihr Gesicht war durch die Stacheln des Busches so toll zerkratzt. Das muss ihr auch ganz schön weh getan haben.
Mir tat es hinterher auch weh, denn ich bekam meinen Teil auch ab, weil ich gelacht hatte.
Was mit unseren Hans später geschah, das ist mir nicht mehr bekannt.

Über diesen Vorfall wurde öfters, wenn alle beisammen waren, noch gelacht. Auch Oma lachte, obwohl es ihr anscheinend immer noch peinlich war.

1975 ist sie dann gestorben. Jedes Mal wenn ich an ihrem Grab stand musste ich wieder lachen, denn da sah ich wieder das Bild vor mir, wie Oma in den Busch geschubst wurde.
Oft kam es mir so vor, als aus dem Grab ein Lachen zurück kam.
Oma, du wirst mir doch deshalb nicht böse sein?
Das Grab unserer Oma ist nun auch schon seit längerer Zeit aufgelöst und trotzdem denke ich immer noch gerne an sie, denn sie war so eine liebe Frau.
Wenn ich ein Lämmchen sehe, dann kommt diese Erinnerung immer wieder hoch, die Erinnerung an meine Oma....

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Tag der Veröffentlichung: 20.05.2009

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