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Prolog

» Caro diário, 14.08.2011, Lisboa

...« lese ich in meinem Tagebuch. Mehr steht auf der ersten Seite nicht. Ich blätter eine Seite weiter, dort steht das gleiche nur mit einem anderen Datum. Und durchgestrichen. Zu gut kann ich mich an diese Zeit erinnern. Tomüde und total ausgelaugt kam ich von den Trainings nach Hause, habe Hausaufgaben gemacht, etwas gegessen und versucht, meine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Doch wie sagt man es sich selbst ein für alle mal, dass dein Vater gestorben ist? 

"Geehrte Passagiere, wir werden in Kürze in Anaheim, Kalifornien landen. Bitte setzten sie sich nun auf ihre Plätze und schnallen sich an. Wir hoffen sie hatten einen angenehmen Flug und bedanken uns, dass sie US Airways gewählt haben. Einen guten Aufenhalt in USA", erklingt die Stimme des Piloten durch den Lautsprecher. Die Stewardes verabschieden sich mit ihrem sonnigen Lächeln und alle setzten sich hin wie befohlen. Ich schnalle mir meinen Gurt um und stecke mein Tagebuch weg. Mum sitzt neben mir und hieft sich mit ihren Armen noch mal besser hin - ihre Beine können ihr da nicht mehr helfen.

"Tudo bem?", fragt Jacinta sie, ihre Pflegerin die einen Stuhl weiter sitzt.  ("Alles okey?")

"Sim sim, estou bem", lächelt Mum. ("Ja ja, mir geht's gut")
Mit dem Blick zum Fenster raus beobachte ich, wie wir über meine neues Zuhause hinweg fliegen und immer mehr an Höhe verlieren. Irgendwie freue ich mich schon darauf. In den USA zu leben, mit einem erfahrerern Coach zu trainieren, andere Mädchen kennen lernen, die vielleicht gleich gut oder auch besser als ich sind. Meinen Freunde, meiner Sprache und meinem Vaterland den Rücken zu kehren - das tut weh. 

 

Am Flugbahnhof müssen wir noch einmal unsere Pässe vorweisen. Ich fische mein Ticket, Ausweis und Reisepass aus meiner Handtasche und gebe ihn den Mann mittleren Alters.

"Areias Costa...", murmelt er und sieht mein Bild genaustens an. "Verzeihung, aber kann es sein, dass ich sie schon einmal irgendwo gesehen habe?"

"Ich denke nicht", verneine ich und nehme ihm meine Dokumente wieder ab.

"Dann verzeihen sie. Willkommen in Anaheim", verabschiedet er mich und weißt mir weiter zu gehen.

"Wie kommen wir jetzt zum Haus?", frage ich meine Mutter die bereits einige Meter vor mir wartet. Meine Stimme hat sich gehoben, klingt neugierig und aufgeregt; was ich auch bin.

"Por que não fales português, meu amor?", fragt mich Mutter und sieht mich vom Rollstuhl aus an. ("Wieso sprichst du nicht Portugiesisch, meine Liebe?")

"Por que agora somos nos Estados Unidos, mãe. Em uma nova vida", erkläre ich. "Also?" ("Weil wir jetzt in den USA sind, Mutter. In einem neuen Leben")

"Draußen wartet ein Chauffeur", antwortet sie dann auf Englisch und nickt mir mit leuchtenden Augen zu.

 

"Ich hab endlich mein Zimmer fertig!" Erschöpft werfe ich mich auf das weiße Sofa und starre den Kronleuchter darüber an. "Was gibt es zum Abendessen, Jacinta?"

Das Wohnzimmer haben wir schon seid langem fertig, es ist komplett neu eingerichtet und verlangt noch mehr Rücksicht und Vorsicht. Mum hat mir von Beginn an eingeschärft, dass in diesen Raum weder Knabberzeug, noch Entspannungstees oder irgendwelche Tableten etwas verloren haben. Und Jacinta ist übrigens als Köchin eingesprungen, während wir uns noch nach jemanden umsehen, der sich mit traditionell portugiesischen Rezepten auskennt. 

"Arroz de tomate", antwortet ihre piepisge Stimme. "Talvez podes pôr a mesa por favor?"("Tomatenreis. Könntest du vielleicht den Tisch decken, bitte?")

"Ja, klar", ich springe auf und laufe die zwei Stufen hoch, die eine Abgrenzung zur Küche darstellen. 

"Nerea? Lamento, mas não comprendo por que já não fales português", meint sie und wirft mir einen fragenden Blick zu. ("Entschuldigung, aber ich verstehe nicht, wieso du nicht mehr Portugiesisch sprichst.")
Seufzend lege ich die drei Servietten sorgfälltig hin und versuche eine Erklärung zu finden.

"Não sei... Portugal é o meu passado." ("Ich weiß nicht... Portugal ist meine Vergangenheit."

"Thiago, o teu pãe, é o teu passado, queres de dizer o não?" Jetzt dreht sie sich mir zu und sieht mich leicht besorgt an. ("Thiago, dein Vater, ist deine Vergangenheit, das willst du sagen oder nicht?")
Ich zucke mit einer Schuler und nicke gleichzeitig. "Du darfst nicht so denken, Nerea", sie kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. "Er ist immer bei dir und Portugal wird immer deine Heimat sein." Sanft steicht sie mir durchs Haar, während ich meinen Kopf gegen ihre Schultern drücke.

Verdammte Umarmungen, versuche ich mich selbst von meiner plötzlichen tiefen Traurigkeit abzulenken. Hör schon auf zu heulen.

"Tens razão", lächle ich dann gezwungen und decke den Tisch fertig. ("Du hast recht.")

 

 Das sein Vater gestorben ist sagt man sich am einfachsten, wenn man seine Todesanzeige in's Tagebuch legt. Und irgendwann gesteht es man sich dann auch ein und kommt damit klar.

Mein Herz sagt mir allerdings immer wieder, dass es in jedem Moment an der Haustür klingelt und mein Vater wieder da ist. Dass ich einen Brief erhalten würde, wenn der Postbote des Morgens vorbei fährt, in dem steht, dass er mir alles erklären würde, sobald er zu meinem Geburtstag endlich wieder nach Hause kann.

Die Zeit bis zu diesem Tag überbrücke ich immer mit hartem Training. Immerhin muss ich Paps dann ja zeigen können, was sein großes Mädchen jetzt alles kann.

Genauer gesagt 'kleines' Mädchen. Zum Glück hatte mein Körper es noch nie sonderlich eilig mit wachsen und so bin ich jetzt immernoch 1,54m groß. Kunsttrunen erklärt sich, da ist es nicht von Vorteil über 1,60m zu sein.

"A tua filha aspera-te", wisper ich in mein Kissen und schlafe in meinem neuen Zuause etwas außerhalb der Stadt ein. Morgen würde die Schule beginnen. ("Deine Tochter wartet auf dich")

Primeiro Capítulo

Im Zwielicht das am Morgen duch die Fenster fällt trete ich in die Turnhalle, so leise als möglich. Zwar ist noch niemand da, den meine hallenden Schritte stören würden, aber ich bin nun mal gern leise und unauffällig. 

Ich bin eine viertel Stunde zu früh hier; was soll ich denn alleine? Da wärme ich mich lieber schon etwas auf. Flink binde ich meine Haare zu einem hohen Pferdschwanz zusammen und beginne mich schnell ein bisschen auf zu wärmen. Zuerst die Arme, dann die Beine und dann noch ein bisschen die Rückenmuskulatur. Ein Blick auf die Uhr oberhalb des Basketballkorbes verrät mir, dass es in 5 Minuten läuten würde. 

Ehrlich gesagt nehme ich es als ein gutes Zeichen, wenn mein erster Tag hier mit Sport beginnt. Sport war immer schon mein Lieblingsfach und kaum einer wird sich darüber wundern, schätze ich. 

Ich reise die Arme in die Luft, atme noch einmal tief durch und mache dann ein schwungvolles Rad. Noch eines und dann noch eines und dann noch eines - bis ich in der Mitte der Halle anhalte. Lächelnd bleibe ich stehen und strecke meine Hände wieder in die Höhe. Langsam hebe ich mein rechtes Bein, immer höher bis ich dann auf einem Bein im Spagat da stehe. Mit geschlossenen Augen und Glückseeligkeit in meinem Herzen mache ich mich nochmal ganz lang. Noch langsamer als vorhin senke ich das gestreckte Bein wieder. Schnell hole ich noch einmal Luft bevor ich eine Radwende und gleich darauf einen doppelten Flickflack vollführe, so schnell als möglich.

Zwei Sekunden nach dem ich aufkomme schmerzt mein linker Wadenmuskel einen Augenblick. Sowas mach ich auf diesem Boden lieber nicht mehr, denke ich mir schmunzelnd und massiere den Muskel etwas. Im gleichen Moment höre ich ein Klatschen. "Respekt, Miss", kommt von einer tiefen Männerstimme. Sie klingt etwas knorrig und passt auch zu dem Mann mit dunkler, leicht faltiger Haut. "Ich bin Steven Wade, der Sportlehrer. Celia, richtig?" Ich nicke.

"Die meisten nennen mich Nerea", meine ich um nicht ganz wortlos da zu stehen und lächle ihn höflich entgegen.

"Ich habe mich schon gefragt, ob die Nerea kommen würde", erzählt er stolz. 

"Naja, es gibt wahrscheinlich nicht viele mit genau meinem Namen", werfe ich ein und schmunzle. Er macht eine diese typische nachdenkliche Kopfbewegung, die doch eindeutig zustimmend aussieht.

"Es freut mich dich kennen zu lernen. Die anderen Mädchen werden erst in 10 Minuten von den Umkleidekabinen kommen. Du kannst also noch gern noch weiter turnen."

"Nein, der Boden ist etwas zu hart", erkläre ich. Mit einem gelächelten 'Wie du meinst' geht er in sein kleines Büro das an die Sporthalle angrenzt und wieder zieht Stille ein.

Am liebsten würde ich weiter turnen, aber nur wegen 10 Minuten und so einfachen Übungen will ich mir nicht die Muskeln zerren. Schweigsam und irgendwie an nichts denken warte ich darauf, dass meine neuen Kameradinen kommen und der Unterricht endlich anfängt. 

 

Die ersten die herein kommen, zwei Blondinen mit durchschnittlicher Figur, wirken kurz erschreckt, als sie mich auf der Bank sitzen sehen, grüßen dann aber freundlich und setzten sich an neben das Handballtor und plaudern über irgendein wichtiges Turnier der Volleyball-Mannschaft.

Kurze Zeit darauf folgen noch drei andere Grüppchen, die alle so vertieft in ihrer Ausnahme-Zustand-Sitzung waren, dass sie mich erst gar nicht bemerkten. Steven Wade kommt in den nun schon hell erleuchteten Raum zurück und sieht streng zur Tür. Während wir noch auf die letzten warten, macht er derweil den Appell. 

"Verzeihung die Verspätung, Sir", entschuldigen sich drei Mädchen leicht außer Atem und immernoch in Straßenkleidung. "Der Schülerbus hatte eine Panne und wir mussten zu Fuß laufen."

"In Ordnung, zieht euch um - wir beginnen derweil. Macht bitte zwei Teams, wir spielen... Fußball", verkündet er fröhlich und überhört das darauf folgende Geraunze.

Ich mag Fußball und kann es auch relativ gut, dank meinem Vater der oft mit mir gespielt hat. Mir kommt der Gedanke, dass er womöglich wegen mir Fußball gewählt hat.

Mit aufmerksamen Blick beobachte ich wie eine nach der anderen bei ihrem Namen aufgerufen wird und sich Gruppen formieren. Diese scheinen auch ohne Rücksicht auf Freundschaft gemacht zu werden; und das habe ich bei meiner alten Klasse vermisst. Die Jungs hatten kein Problem damit, aber der Rest wäre lieber krepiert als ohne seiner ABF zu spielen. Wie ich es mir nicht anders erwartet habe, bin ich die letzte und will eigentlich schon zu den einem Team hingegen, da fragt mich die 'Kapitänin' nach meinem Namen.

"Nerea", antworte ich und siehe sie abwartend an. Dann nickt sie und winkt mich lächelnd zu sich. Anschließend fallen noch drei Namen - ach ja, die einen Mädchen ziehen sich ja noch um... 

 

"Wieso bist du so gut in Fußball?"

"So gut bin ich doch gar nicht..."

"Halt die Klappe: du hast zwei Tore im völligen Alleingang geschossen", insistiert Sam, die 'Kapitänin'. 

"Drei Tore", verbessert sie Mona, eine von den Blondinen die zuerst in die Halle kamen, mit einem Auflachen. 

"Wenn ihr meint", schmunzle ich und ziehe mir meine schwarze Jeans an.

"Woher kommst du eigentlich? Du hast so einen sexy Latino-Akzent", fragt sie und spricht die letzten Worte leicht schnurrend aus.

"Danke, aus Lisabon", antworte ich und grinse leicht.

"Da war ich dieses Jahr! Mann, ihr müsst mal diese Milchcreme mit Zimt kosten", schwärmt sie und wirft jeder einzelnen einen strengen Blick zu. 

"Unbedingt, aber ihr wollt auch nicht wissen, wie viel Prozent Zuckeranteil da drinnen ist."

"Ne, vielleicht nicht. Aber sag mal, wieso bist du so klein?", fragt Sam plötzlich und ganz ungeniert, während sie auf mich herab schaut. Sie ist gute zwei Köpfe größer als ich, vielleicht auch drei kleinere Köpfe größer.

"Ich turne", erkläre ich, "da wächst man nicht sonderlich."

"Wie, so richtig-richtig?"

"Mhm", antworte ich in einem zustimmenden Tonfall und ziehe mir mein tiefblaues Top an. Darüber eine leicht durchsichtige, weiße, ärmellose Bluse. 

"Echt?! Zeig uns mal was!" Demonstrativ setzt sie sich hin und ich mache mich auf einen schweren Kampf gefasst.

"Mir ist nicht so danach", murmle ich und packe meine Sportsachen ein. 
Meinen Freunden, meinem Trainer und den Sportrichtern zeige ich gerne was ich kann - natürlich. Bei Fremden ist das etwas anders. Am besten lässt es sich mit Zeichnungen erklären. In diesen spiegeln sich, ob man es will oder nicht, immer irgendwelche Gefühle oder Charakterzüge des Künstlers wieder. Und wenn sie irgendjemand einfach mal so ansieht, bricht er in deine Privatsphäre ein und nimmt dir etwas.

"Bitte, bitte, bitte", betteln mehrere, woraufhin ich mich doch geschlagen gebe. Etwas in mir trät aber auch diesen Stolz, der andere gerne wissen lässt, wozu man fähig ist. 

Seufzend ziehe ich mir die Bluse wieder aus. In der Mitte des doch eher engen Raumes mache ich, so gut es mit einer Jeans geht, eine Radwende und einen Flickflack.
Alleine die Richternote hierfür hätte mich einen ganze Medallie gekostet - im übertragenen Sinne 

Ein paar Mädchen applaudieren, andere geben ein "wow" oder Pfiff von sich. Und im gleichen Augenblick beginnt die Schulglocke zu leuten. 

"Sam, ich hab jetzt Chemie. Kannst du mir sagen wo das ist?"

"Das ist-"

"Du kannst mit uns kommen. Hailey und ich haben auch Chemie", mischt sich Mona eiskalt ein und gibt Sam einen Abschiedskuss auf die Wange. Beim Hinausgehen verabschieden sich alle fröhlich und munter und gehen zur nächsten Stunde.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.03.2014

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