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Prolog..

 

„Tod im Schmugglertunnel“

 

„Erfurt, Hauptstadt von Thüringen, im Institut für Rechtsmedizin.. Der Kopf war fein säuberlich abgetrennt worden, fast wie ein chirurgischer Schnitt, könnte man meinen, auf den ersten Blick. Aber ein Gerichtsmediziner schaut nicht nur einmal hin und für ihn stand fest, dass dies nicht die Tat eines Chirurgen, Arztes oder sonst irgendwie beruflich geschulten Killers sei, dafür sei es doch zu ungenau. Als Tatwaffe käme eine scharfkantige Axt in Frage oder auch ein Säbel, es muss auf jeden Fall sehr schnell und mit großer Wucht passiert sein. Post mortem, das heißt, das Opfer war bereits tot, als sein Schädel vom Körper entfernt wurde. Das beruhigte mich ein wenig, obwohl ich noch nicht wusste, was davor mit ihm geschehen war. Der tote Mann, Mitte 60, Frührentner und alleinstehend, wurde erstochen, mit gut 20 Messerstichen, dies war also die Todesursache. Der Tod trat auch leider nicht schnell ein, denn die Stiche erzählten ihr eigene Geschichte und die konnte der Pathologe äußerst präzise und ebenso äußerst direkt wiedergeben. Als hätten die Wunden mit ihm gesprochen. Der Ermordete war ganz langsam verblutet. Die meisten Stiche fanden sich in der Genitalgegend, wodurch auch eine sexuell motivierte Tat nicht auszuschliessen war. Schreckliche Vorstellung, dachte ich mir, allein stehend, alt, wahrscheinlich nicht gerade reich, als Frührentner. Und dann auch noch so ein perfides und grausames Lebensende. Was muss wohl im Kopf eines solchen Menschen alles passieren, damit er hingeht und einfach einem anderen Menschen das Leben nimmt? Dies sollte nun also mein erster Fall werden, tätig in der Abteilung für ungelöste Mordfälle, am LKA in Erfurt. Aber was hatte nun dieser Fall mit einer alten Tatakte zu tun, dieser war doch ganz aktuell? Die Antwort stand in der Akte, die mein Vorgesetzter mir gab, dort fanden sich mehrere männliche Opfer, aus den Jahren 1992 bis 1996, allesamt ähnlich verübt, mit dem gleichen Opferprofil. Alles Männer, die meisten um die 60 Jahre alt. Bis auf die ersten zwei Opfer, bei denen es anders war. Sie wurden erschossen, beide mit derselben Waffe.
Beim zweiten Opfer fand man ein paar zusätzliche Stichverletzungen, alle post mortem zugefügt. Beiden Männern wurde der Schädel nicht abgetrennt. Jedoch deuteten die Spuren von damals bereits auf ein und denselben Täter, wie auch heute, nach über 4 Jahren scheinbarer Ruhe, eine Zeit jedenfalls, in der der Täter offenbar still zu halten schien. Vielleicht keine Lust mehr am Töten hatte, bis zu jenem Tag, als sein offensichtlich kranker Geist wieder zuschlug, keine Ruhe mehr gab; nach frischer Bluttat verlangte. Denn kann man sich überhaupt vorstellen, dass ein Mensch, der eine solche Handlung erst einmal begangen hat, jemals wieder einfach so damit aufhören kann? Bei diesen Taten kann man regelrecht spüren, dass es in ihm ein inneres Verlangen gegeben haben muss, ein morbides Verlangen nach tot machen, Menschen tot machen. Ich glaube, wer erst einmal diese Grenze zwischen gut und böse, zwischen Menschsein und Monstersein überschritten hat und dieses dunkle Tal betritt, der kann nie wieder zurück, jedenfalls nicht gänzlich. Das erste Opfer war gerade einmal Anfang dreißig, ein junger Mann also, groß, sportlich und gut aussehend. Er war erschossen worden und es fanden sich keine weiteren Gewaltspuren an seinem leblosen Körper. Offenbar steigerte sich der Mörder also in der Ausführung seiner Taten, von Opfer zu Opfer wurden sie grausamer.. Aufgefunden hatte man ihn im Jahre 1992, in einem Tunnel, um genau zu sein ein ehemaliger Schmugglertunnel, aus der Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges. Gelegen an der späteren und jetzt ehemaligen Ost-West-Grenze zwischen Ellrich und Walkenried. Ein Tunnel, der die beiden Orte durch eine Bahnschiene miteinander verbindet. Die sogenannte Südharzstrecke. Zu DDR-Zeiten durfte man Ellrich nur mit einem gültigen Passierschein betreten, da dieses Städtchen in der Sperrzone lag, direkt am Grenzzaun. Damals gab es mehrere Fluchtversuche aus der DDR über den Tunnel, in Richtung Walkenried. Seit der Wende ist es nun kein Problem mehr wieder die ganze Fahrt von Osten nach Westen aufzunehmen. Aber auch in der erwähnten Nachkriegszeit spielten sich dort dramatische bisweilen sogar grausige Geschehnisse ab. Viele Menschen hatten kaum etwas zu Essen und kein Einkommen. So waren sie darauf angewiesen selten gewordene Waren zu schmuggeln, um sich damit ein wenig Geld zu verdienen. In dieser dunklen Zeit blieb damit die Kriminalität unter den Menschen nicht aus. Es kam mehrfach zu Diebstählen, Raubüberfällen und schließlich sogar zu Mord. Vieles davon spielte sich auf der Ostseite ab, also in Ellrich, eine Kleinstadt, mit heute etwa 5000 Einwohnern. Diese Stadt musste schon viele schreckliche Zeiten durchleben. Sogar ein Konzentrationslager im zweiten Weltkrieg, genannt „Ellrich-Juliushütte“ hat es dort gegeben. Heute berichten Gedenksteine und Tafeln von den Opfern, deren noch lebende Angehörige bis jetzt regelmäßig Blumen und Kränze niederlegen. Ich kenne Ellrich persönlich, auch deshalb ist dieser Fall eine ganz besondere Herausforderung für mich. Ich bin dort aufgewachsen, ein hübsches Städtchen, im wunderschönen Südharz gelegen. Umgeben von saftig grünen Wiesen und eingebettet von wunderbar dichten Wäldern. In diesen Wäldern habe ich mich oft herum getrieben, als Kind und später als junges Mädchen. Ich liebe es wandern zu gehen und meine große Naturverbundenheit hat sicher nicht zuletzt mit den unzähligen Wochenendausflügen ins Grüne samt der ganzen Familie zu tun. Damals entwickelte sich dieses große Interesse an den Lebewesen, zu den Pflanzen und den Tieren. Vielleicht hat gerade diese Sympathie für das Leben und das Lebendige dazu geführt, dass ich schließlich, wenn auch auf einigen Umwegen, Kriminalpsychologin geworden bin. Heute kann ich mir keinen anderen Beruf mehr vorstellen und dabei stehe ich doch gerade erst am Beginn meiner Arbeit. Mit meinem allerersten Fall. Und diesen soll ich auch nicht alleine lösen, denn als Kriminalpsychologe arbeitet man fast immer in einem größeren Team, mindestens aber zu zweit. Und so sollte es schließlich auch kommen. Erst einmal schickte man mich nach Nordhausen, an die dortige Kriminalpolizeiabteilung, da Ellrich zum Landkreis von Nordhausen zählt. An meine Seite stellte man mir oder eher umgekehrt stellte man mich an seine Seite, einen alternden und sehr erfahrenen Kriminalkommissar, kurz vor dem Ruhestand.

 

..Vermutlich sein letzter Fall dachte ich, als ich ihn sah. Gebrechliche, grau gesichtige Erscheinung, die alles andere als gesund aussah. Da würde ich wohl richtig viel Eigenverantwortung übernehmen dürfen, so erhoffte ich es mir jedenfalls. Doch es sollte anders kommen, wie so oft im Leben. Aber auch dieses "anders kommen“ würde sich früher oder später ganz sicher noch als nützlich erweisen.."

 

 

1.Kapitel

 

 

„Hallo, ich heiße Walter Knopf, wie der Knopf zum annähen, verstehen Sie?“ Ich musste schmunzeln, klar verstand ich, ist doch schließlich nur ein Name. Aber offenbar wollte er mir damit von vornherein den berühmten Wind aus den Segeln nehmen. “Ja, ich verstehe, antwortete ich „und mein Name ist Karola Kübel, Karola mit K und Kübel, wie der Blumenkübel oder was Sie wollen. Ich mache mir nichts aus Namen, verstehen Sie?“ „Ah so, ok.“ Antwortete er sichtlich verwirrt. Offenbar war ich ein wenig zu forsch gewesen, mit meiner Antwort. Und so war ich nun mal, forsch, selbstbewusst und direkt, manche Menschen nennen das vorlaut, frech oder sogar arrogant. Ist mir egal, mittlerweile bin ich wer ich bin, endlich. Und immerhin auch „schon“ 35 Jahre alt. Und darauf bilde ich mir wirklich etwas ein. Finde ich irgendwie spannend, so eine Zahl mit einer 3 vorne, jedenfalls spannender als mit einer 2. Dieser Walter, denke ich, ist hoffentlich kein Kautz, einer, der immer alles besser weiß und sich dauerhaft auf seine wegen des fortgeschrittenen Alters ebenso fortgeschrittene Lebenserfahrung beruft. Wenn ich auch dazu so meine eigenen Ansichten habe.. Nun, wir werden sehen, wie sich alles entwickelt. Jedenfalls bemerkte ich ziemlich schnell, dass dieser Walter nahezu jeden Satz mit der Frage „Verstehen Sie?“ zu beenden schien. Wohl so ein Tick, dachte ich mir, vielleicht um sich damit etwas sicherer zu fühlen, sich besser verstanden zu wissen. Ist ja auch nicht immer so einfach, mit dem Verständnis, zwischen den Menschen, zwischen Alt und Jung und schon gar nicht zwischen Frau und Mann, hier verbanden sich gleiche beide Schwierigkeiten. Schwierigkeiten sind für mich glücklicherweise stets willkommene Herausforderungen. Und so konnte ich nun kaum noch meine Neugierde verbergen, die ich bezüglich des Falles hatte. Der erste Kriminalfall meines Lebens, eine große und lang ersehnte Verantwortung lag vor mir. Es wird wohl leider immer das Böse in Menschengestalt geben und irgendjemand muss diese Menschen ja aufhalten oder? Deshalb bin ich Spezialistin für ungelöste Fälle geworden, habe sogar ein paar Zusatzausbildungen absolviert, Erstellen von Täterprofilen und Tatortanalyse. Ein weiterer großer Wunsch ist eine Weiterbildung beim FBI in den USA; man muss ja schließlich auch Träume haben.

 

„Ok, was sollen wir jetzt als erstes tun?“ fragte ich Walter, der mich noch immer neugierig musterte. Mittlerweile seit einigen Minuten. Ich fing gleich mit dem „wir“ an, um die gemeinsame Arbeit zu erleichtern. „ICH werde Sie jetzt erst einmal der Belegschaft unserer Abteilung vorstellen, damit auch alle wissen, dass ich ab jetzt nicht mehr alleine für den Fall verantwortlich bin, danach wird man sehen. Und dann würde ich sehr gerne mit Ihnen einen Kaffee trinken gehen, in der Kantine.

Dabei können Sie mir Fragen zum Inhalt der Akte stellen, falls Sie etwas nicht verstanden haben, verstehen Sie?“ Ja, sehr gern“, antwortete ich, nun selbst etwas verwirrt. Ich war überrascht von seinem Selbstbewusstsein, das hätte ich nicht erwartet, aber so kann man sich täuschen, wenn man vom äußeren Erscheinungsbild auf den Charakter schließt. In der Kantine roch es nach gebratenem Kohl und allerlei anderen Köstlichkeiten, der herrliche Geruch von frischem Kaffee kroch mir regelrecht in die Nase. Ich sog ihn tief ein. Ich hatte Hunger; großen Hunger, denn lange kann ich nicht ohne Essen sein, sonst werde ich zu einer echt unausstehlichen Kreatur. Mit leerem Magen wünsche ich keinem eine längere Unterhaltung mit mir, um es ein wenig zu übertreiben.. Und wenn ich erst einmal sauer oder frustriert bin, dann esse ich auch genauso. Dann vergesse ich schon mal meine Selbstdisziplin und ärgere mich hinterher. Gut das ich soviel Sport mache.. Beim gemeinsamen Essen mit Walter gingen mir noch immer die Bilder der anderen durch den Kopf, der Mitarbeiter der Kriminaldienststelle, die mir mein neuer Kollege gerade vorgestellt hatte. Ich dachte an ihre neugierigen Gesichter, die mich aufmerksam musterten und genau auf jedes meiner Worte zu achten schienen. Zumindest war es mir so vorgekommen. Aber wahrscheinlich bin ich den anderen genauso skeptisch und neugierig erschienen. Nett und höflich waren sie auf jeden Fall und das war mir erst einmal das wichtigste. Ich wählte Kohlrouladen und einen Salat (wider nichts mit meinem Vegetariervorsatz..) und dazu eine große Tasse Milchkaffee. Walter schien auch ziemlich großen Appetit zu haben, denn er nahm sich ein tellergroßes Schnitzel und dazu eine riesige Portion Pommefrites, mit noch mehr Ketchup UND Majo. Und einen Kaffee, schwarz und ohne Zucker. Wir legten los, doch so mampfen wie ich gern wollte, konnte ich nicht, da ich dies nie vor anderen tat, mit Ausnahme meines Freundes, der musste da durch, der Arme. So besann ich mich auf meine Fragen zum Fall und begann auch gleich damit loszulegen. „Haben Sie neue Informationen, die nicht in der Akte stehen?“ fragte ich Walter. Ich siezte ihn, er hatte mir nicht das Du angeboten und darüber war ich ganz froh. Blieb doch so eine gesunde Distanz zwischen uns bestehen, wie ich fand.

 

„Was wollen Sie denn genau wissen, Frau Kübel? Ich werde Ihnen gern alles sagen, was ich zu diesem Fall bis jetzt weiß.“ „Also hat man sich mittlerweile auf eine Tatwaffe geeinigt oder ist dies in diesem Fall nicht möglich? Der Gerichtsmediziner sprach von einer Axt oder einem Säbel?“ „Ja, das hat man; wir gehen mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Säbel aus; eine antike Waffe also. Benutzt ja heute niemand mehr.“ „Gab es noch weitere Verdächtige außer die in der Akte erwähnte Person?“ „Nein, gab es nicht, die Spur führte zu diesem Mann aus Ellrich, auf den man nur aufgrund des Phantombildes gekommen war. Es gab Zeugen, Wanderer, die in dem betreffenden Waldstück über dem Tunnel mehrmals dieselbe Person gesehen hatten. Doch man konnte ihm nichts nachweisen, keine Fingerabdrücke, keine Gewebespuren, nichts. Außerdem gab ihm seine Ehefrau ein stichfestes Alibi. So verschwand er wieder aus dem Fokus der Polizei und weitere Spuren gibt es bisher nicht, verstehen Sie?“ „Das scheint ein komplizierter Fall zu sein, wahrscheinlich liegt es daran, dass der Täter kompliziert denkt.“ fiel mir dazu gerade ein. „ Wie meinen Sie das?“ fragte mich Walter. „Nun, aus meinem Studium weiß ich, dass Täter, die bei der Ausführung der Tat so gezielt vorgehen und selten Spuren hinterlassen, meist intelligente Menschen sind, die genau nachdenken, bevor sie eine Tat planen und schließlich dann begehen. Diese bedachte Vorgehensweise macht natürlich einen Fall nicht einfach sondern kompliziert. Ist doch klar.“

„Aa, klar ist das also“, meinte mein neuer Kollege. „Ich finde das nicht. Der Gesuchte ist tagelang herum gestreift und hat sich seine Opfer eher zufällig ausgewählt, bis auf Alter und Geschlecht. Aber sonst kann man doch nicht unbedingt von einem ausgefeilten Planen sprechen. Und wie man das auf einer Universität lernen soll, frage ich mich auch. Verstehen Sie?!“

 

Oh Gott, dachte, ich, das kann ja heiter werden, wie ich schon ahnte und es sich nun leider auch bestätigt, ist der gute Herr Knopf doch eher ein Gegner von wissenschaftlich fundiertem Kenntniserwerb. Ich kann es ja auch verstehen, er ist ein Praktiker und hat nie etwas anderes gemacht, jedenfalls weiß ich es nicht. Aber ich war immer schon ein Mensch des goldenen Mittelwegs, wie man so sagt. Ich mag keine Einseitigkeiten und finde es deshalb gut, wenn man die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit der Praxis in Einklang bringt.

„Ja, ja versteh schon, was Sie meinen, Herr Knopf, dennoch teile ich Ihre Meinung nicht. Auch wenn der Täter teilweise lange herum streift, bevor er tötet, so gehört dies doch zur Vorbereitung seiner Tat, er sucht sich ja die Opfer nach bestimmten Kriterien aus und hält an seiner Vorgehensweise fest, so wie ein festes Ritual eben. Und von der Handlungsweise auf das mögliche geistig-seelische Profil zu schließen, ja, so was kann man auf einer Uni erlernen. Aber natürlich kann einem das sicher in gewisser Weise auch das Leben bzw. der Beruf selbst lehren. Deshalb finde ich es ja auch so spannend, endlich in die Praxis zu kommen und dabei mit einem so erfahrenen Polizisten wie Ihnen arbeiten zu dürfen.“

Das saß, Walter war so verblüfft über meine Antwort, dass er eine kleine Weile schwieg und nachdachte, so sah es zumindest aus. Sein Mund stand ihm auch ein wenig offen, ein kleinerer Schwarm Fliegen hätte jedenfalls getrost hinein gepasst. Ich amüsierte mich innerlich über diesen Anblick, ließ mir aber natürlich nichts anmerken. Schließlich zog er eine Augenbraue nach oben, guckte misstrauisch und benetzte seine Lippen kurz mit der Zunge, wie eine kleine Eidechse, die zu lange in der Sonne lag und nun langsam wieder zu sich kommt. „Vielen Dank, Frau Kollegin“, gab er noch immer halb erstarrt

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 02.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5169-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meinen Eltern und den Menschen, denen ich mich in besonderer Weise verbunden fühle.

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