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Der Weihnachtsengel

 

 

 

 

 

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

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Ein Engel! Lange, blonde Haare flossen in weichen Wellen über seine Schultern und wurden locker von einem Band im Nacken zusammengehalten. Ein schmales Gesicht mit großen, dunklen, durch einen Lidstrich betonten Augen, schmale Schultern steckten in einem weißen, verspielten Hemd, enge schwarze Jeans schmiegten sich an lange Beine. Ein warmes Lächeln umspielte seinen sinnlichen Mund. Ein solch wundervolles Geschöpf konnte nicht von dieser Welt sein.

Im Schaufenster des großen Kaufhauses sah ich ihn zum ersten Mal. Zusammen mit einer Kollegin dekorierte er die Auslage für das Weihnachtsgeschäft. Kuschelige Teddybären wurden für begehrliche Kinderaugen in einer verschneiten Winterlandschaft drapiert. Die beiden hatten anscheinend viel Spaß dabei. Normalerweise blieb das Schaufenster verborgen, während dekoriert wurde, diesmal sollten die Vorbeigehenden jedoch das Entstehen der weißen Wunderwelt sehen. Den Sessellift, der den Eisbären und den Braunbären mit Skiern an den Füßen den Berg hinauffuhr, die Bärenkinder, die auf einem modernen Schlitten den Berg hinabrutschten und einen rot gekleideten Weihnachtsbären, halb verborgen im Tannenwald.

Das Fenster war fast fertig und der Engel (so ungefähr stellte ich mir meinen persönlichen Schutzengel vor, der wohlwollend über mein Schicksal wachte) richtete die letzten Schneeflocken. Spürte er mein Starren? Er sah auf und unsere Blicke begegneten sich, ich verlor mich in der dunklen Tiefe dieser Augen.

Trotz der langen Haare, der betonten Augen, sogar der ringgeschmückten Finger wirkte er nicht feminin. Bestenfalls androgyn. Ein solcher Mann würde nie Interesse an einem durchschnittlichen Kerl wie mir haben. Ich bin genau der Typ Mann, dem man keinen zweiten Blick zuwirft. Der Kerl, dessen Namen sie auch beim fünften Treffen im Flur nicht kennen, sich aber sicher sind, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben. Wenn ich kriminelle Energie hätte, wären das hervorragende Voraussetzungen; kein Zeuge könnte mich beschreiben, weil niemand mich wirklich wahrnahm.

Der Engel wandte sich um, nahm einen Teddyschneemann aus den Händen seiner Kollegin und stellte ihn in die Landschaft. Bevor er das Schaufenster verließ, hob er noch einmal den Blick und wieder begegnete ich seinen Augen. Fast konnte ich mir einbilden, er suchte mich und dieses Lächeln gälte mir. Wunderschön sah er aus! Die Tür schloss sich, die Teddywinterlandschaft war fertig und mein Engel verschwunden. Seufzend setzte ich meinen Weg fort.

 

Das Weihnachtsgeschäft begann, wie jedes Jahr, mit dem Öffnen des Weihnachtsmarktes und in der Buchhandlung, in der ich arbeitete, herrschte in den nächsten vier Wochen der Wahnsinn. Wie schon im Vorjahr stand ich tagelang am Packtisch und wickelte die Geschenke der Kunden in buntes Geschenkpapier ein. An manchen Tagen kam dies einer Akkordarbeit gleich. Der Tisch, der gedrängt in einer Ecke stand und überquoll von Verpackungsmaterial, wurde zeitweise von Käufern belagert. Wenn ich und meine Kollegin die Augen hoben, sahen wir eine Heerschar ungeduldiger Kunden, die uns murrend ihre Einkäufe entgegenstreckten.

An diesem Tag jedoch arbeitete ich in der Kinderbuchabteilung. Hier war ich gerne. Vor allem, wenn meine Kundschaft wirklich Kinder waren, nicht hektische Eltern, die erwarteten, nach zwei Sätzen das ideale Buch für ihre Kinder in die Hand gedrückt zu bekommen.

Während der Weihnachtszeit kam einmal die Woche ein Weihnachtsmann, Nikolaus, Weihnachtsengel oder ein Hirte mit Schaf hierher und las den Kindern eine Geschichte vor. An diesem Nachmittag kam der Nikolaus zusammen mit einem Weihnachtswichtel, um den rund dreißig Kindern – mehr passten nicht in dem abgetrennten Bereich der Kinder- und Jugendbuchabteilung – eine Geschichte vorzulesen. Die Geschichte eines kleinen Waisenjungen, der sein liebstes Stofftier an einen anderen, sehr einsamen Jungen verschenkte und an diesem Weihnachtsfest seinen größten Wunsch erfüllt bekam, indem er endlich eine liebevolle Familie fand, die ihn adoptierte.

Wenn das Leben nur in diesem Maße gerecht wäre!

Im Anschluss verteilte der Weihnachtswichtel kleine Geschenktüten an die Kinder, in denen neben einem kleinen Buch und einem Schokoladenweihnachtsmann ein Gutschein von fünf Euro verpackt war. Die Aktion sollte ja letztlich den Umsatz ankurbeln.

Um 20:00 Uhr schlossen die Ladentüren und eine halbe Stunde später stand ich mit Sandra, einer befreundeten Kollegin, vor der Tür und wir entschlossen uns ganz spontan zu einem Bummel über den Weihnachtsmarkt. Einen Glühwein hatten wir uns nach diesem Tag verdient.

 

Schubsend und drängelnd schafften wir es endlich, mit einem lauwarmen, zuckersüßen Glühwein an einer zugigen Ecke zu stehen. Grinsend prosteten wir uns zu und betrachteten die zum Teil schon stark angeheiterten Menschen, die an uns vorbeiströmten.

Gerade wollte ich etwas zu Sandra sagen, da sah ich ihn: den Engel. In einem taillierten, schwarzen Parka mit einer Kapuzenumrandung aus hellem Fellimitat ging er, in eine Unterhaltung mit einem großen, älteren Mann vertieft, wenige Meter entfernt an uns vorbei. Mein Herz blieb stehen, bevor es wild schlagend wieder einsetzte. Erneut schien er meinen Blick zu spüren und sah auf, begegnete meinen Augen, wurde weitergeschoben und verschwand in der Menge.

„Erde an Josh, bist du da?“, fragte Sandra und stupste mich in die Seite.

„Nein“, antwortete ich abwesend und starrte immer noch in die Richtung, in die er verschwunden war.

„Das merke ich. Was ist los?“

Sandra war eine gute Freundin und ich erzählte ihr von meinem Engel, schwärmte ihr von ihm vor.

„Joshi, du musst dir unbedingt einen Freund suchen. Einem Engel hinterher zu träumen bringt dich nicht weiter. Es gibt viele nette Jungs.“

Das meinte sie ernst, sie hatte jedoch keine Ahnung. Klar gab es nette Jungs, sogar welche, die ebenfalls schwul waren, diese bemerkten allerdings meine Gegenwart kaum. Für sie war ich wie die Luft: einfach da, ohne dass man sie sah. – Ja, ich weiß, das klingt ziemlich depressiv und das war es zu diesem Zeitpunkt auch. Nach nichts sehnte ich mich mehr als einem Menschen, zu dem ich gehörte – oder treffender: mit dem ich zusammengehörte. Jemanden zum Lachen, Weinen, Weggehen, Kuscheln, Einkaufen, Streiten und natürlich auch für Sex.

Auf eine Diskussion mit Sandra hatte ich keine Lust, also nickte ich brav. Besser, das Thema nicht zu vertiefen.

 

Der Rest der Woche verlief ereignislos. Abends kam ich erschlagen nach Hause und schlief entsprechend schnell ein. Nachts träumte ich von meinem Engel. Auch im Wachen beherrschte er mein Denken. Immer wieder fantasierte ich von ihm, von seinen Augen, in denen ich versinken wollte.

Samstag beschloss ich in die kleine, verrückte Szenekneipe „Zu Charlie“ zu gehen. Hier trafen sich Schwule, Lesben, Transen, einfach jeder, der sein wollte, wie und was er war. Einmal im Monat gab es einen Karaoke-Abende und eine Motto-Feier. Manchmal traten Livebands auf der kleinen Bühne auf. Um diese Jahreszeit und an einem Samstag war in allen Lokalitäten, auch hier, die Hölle los. Weihnachtsmannmützen, wohin man schaute. An ihrem Stammtisch entdeckte ich Toby und Hartmut, der heute Abend Josephine war. Hartmut war ein extrem schöner Mann, sein Aussehen als Frau jedoch unglaublich. Toby, sein Mann, wirkte neben ihm fast unscheinbar.

Außerdem saßen Luis und Peter mit an dem Tisch. Josephine strahlte mich an, als ich neben sie trat. „Schätzchen, endlich sieht man dich auch mal wieder“, schnurrte sie und rutschte zur Seite, damit ich mich neben sie setzen konnte. Besitzergreifend legte sie ihren Arm um mich und sah mir in die Augen. „Erzähl mir von deinen Abenteuern, mein Held.“

Ich musste lachen. Josephine schaffte es immer, mich in Sekundenschnelle aus jedem Tief zu reißen.

„Nun lass den Kleinen erst einmal ankommen“, brummte Peter, ein Mann mit der Statur einer Eiche. „Du musst nicht jeden gleich überfallen.“

„Halt du dich mal raus, mein Lieber“, erwiderte Josephine und schon waren sie am Kabbeln. Schön, hier zu sein.

Später am Abend kam Lutz dazu, der Einzige, mit dem ich vor zwei Jahren mal kurzfristig so etwas wie eine Affäre hatte. Er war dunkelhaarig, schlank und voller Energie. Leider ging es über eine einzige Nacht nicht hinaus. Toby erklärte mir später, dass es bei Lutz nie eine zweite Nacht gäbe. Er wollte keine Gefühle. – Ich schon. Nichts wünschte ich mir sehnlicher. Augenblicklich wanderten meine Gedanken wieder zu dem Engel und wie wunderbar es wäre, mit einem Mann wie ihm zusammen zu sein. Mit offenen Augen träumte ich davon, von seinen langen Haaren wie von einem Vorhang eingehüllt zu werden, wenn er sich über mich beugte und zärtlich küsste. Seine samtige, bestimmt haarlose Haut unter meinen Fingerspitzen, sein Mund, der mich eroberte …

„Und wo bist du gerade?“, fragte mich Luis spöttisch und ich errötete. Alle lachten und Josephine drückte mich an sich.

„Hör auf zu träumen, Schätzchen, handle“, raunte sie mir ins Ohr. Nichts lieber würde ich tun, wenn sich mir eine Gelegenheit böte.

 

Am nächsten Wochenende fand die jährliche Motto-Party statt: Weihnachten. Sehr originell …

Wie jedes Jahr um Nikolaus herum, eine äußerst

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Gabriele Oscuro
Bildmaterialien: Pixabay bearbeitet von Samjira
Lektorat: Bernd Frielingsdorf / C. Rathke
Tag der Veröffentlichung: 26.12.2016
ISBN: 978-3-7396-9044-5

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