Der Winter war nur widerwillig gewichen. Lange hatten Kälte und Eis den Norden Allragösts unter ihr Joch gezwungen. Sogar das graue Meer war in frostigen Wellen erstarrt. Erst vor vier Vekjas hatte Soelgrud ein Einsehen mit dem Menschen und schickte die Sonne, die seitdem mit ihren wärmenden Strahlen dafür sorgte, dass der Frühling die verlorene Zeit aufzuholen suchte.
An diesem warmen Frühlingsmorgen durfte Livlia zum ersten Mal ihre Mutter Odna auf den Sklavenmarkt begleiten. Zweimal im Skappgrud cykla kamen die Sklavenhändler von überall her hoch in den Norden nach Skjaja, um ihre menschlichen Waren anzubieten: Landarbeiter, Küchenmädchen, Pferdeknechte – und Svjardvalsten, jene Männern, die in Kämpfen auf Leben und Tod gegeneinander antraten.
Nur die reichsten Männer Allragösts konnten sich den Luxus der Svjardvalsten leisten. Die Kämpfer waren ein Zeichen ihres Reichtums. In regelmäßig veranstalteten Wettkämpfen ließen sie ihre Svjardvalsten in der Arena gegeneinander antreten und wetteten auf den Ausgang. Jeder Sieg erhöhte die Ehre ihres Herrn.
Livlias Vater Thordas war der reichste Händler Skjajas und ganz Allragösts, dementsprechen groß war die Zahl seiner Svjardvalsten.
Manchmal, wenn sie es ihr gelang, ihren langweiligen, weiblichen Pflichten und ihrer Mutter zu entwischen, beobachtete Livlia die beeindruckenden Männer bei ihrem täglichen Training.
Gleich hinter den Pferdeställen lag neben dem langen Schlafhaus der Svjardvalsten die gemauerte Arena. Oben auf der Tribüne sitzend sah sie den Männern zu, die mit Schilden, Schwertern und der Bukula gegeneinander kämpften. Die Bukula war eine Schlag- und Wurfwaffe. Sie bestand aus mehreren hühnereigroßen Metallkugeln, die durch Lederbänder sternförmig miteinander verbunden waren. Der Kämpfer fasste sie an einer dieser Kugeln und schwang sie über seinem Kopf, mit den restlichen Kugeln konnte er nach seinem Gegner schlagen oder die Bukula werfen. Wenn ein Svjardvalster die Wurftechnik richtig beherrschte, wickelten sich die Bänder aus ihrer Rotation heraus um die Beine oder den Hals des Gegners und beeinträchtigten ihn im Kampf. – Im besten Fall konnten sie ihn sogar töten.
Stundenlang hockte Livlia dort auf der Tribüne und starrte in die Arena, auf die glänzenden Körper, die sich schwitzend im Kampf übten. Das Metall der Schwerter schlug laut gegen das Metall der Schilde, der Helme oder dumpf gegen das Leder der Armschienen und Brustpanzer. Maknas, der Wächter der Svjardvalsten, ließ die Männer nur mit stumpfen Schwertern üben, trotzdem kam es oft zu Verletzungen, die Noamis, der Bader und Heiler, unter wüsten Flüchen versorgen musste.
Livlia wünschte sich, sie wäre ein Mann und könnte dort unten in der Arena kämpfen! Das Schwert wollte sie führen, seine Kraft und Macht spüren, wenn es durch die Luft sauste und krachend auf dem Schild des Gegners landete.
Doch selbst ihr Bruder Jandris durfte nicht in der Arena kämpfen. Ihr Vater würde es niemals zulassen, immerhin war Jandris sein einziger Sohn und Erbe, doch sie… als Viertgeborene… wäre sie als Mann geboren, würde sie sich das Kämpfen nicht verbieten lassen!
Heute jedoch genoss sie die Tatsache, dass sie sich mit ihrer Mutter Odna und deren Gefolge auf dem Weg zum Sklavenmarkt am südlichen Hafen befand. Menschen aus dem ganzen Norden kamen in der Vekja des Sklavenmarktes nach Skjaja. Neben den Sklavenhändlern versuchten Handwerker, fliegende Händler und Gaukler ihren Teil vom Gewinn abzuschöpfen.
Durch die engen Straßen der Stadt quälte sich ein beständiger Strom Menschen, der in den verschiedensten Zungen redete. Livlia war begeistert, viel zu selten wurde ihr zugestanden das Haus ihres Vaters zu verlassen. Immer nur in Begleitung ihrer Mutter und einer Heerschar von Dienern und Wachen, sowie mindestens zwei Anstandsdamen. Meist waren es langweilige Ausflüge zu den Stoffhändlern oder in das Haus ihrer Tante Tulla.
Vor zwei Mondzyklen hatte ihr sechzehnter Sommer begonnen und ihre Welt war um zwei Ausflüge reicher geworden. Endlich durfte sie die Sklavenmärkte besuchen! Das dahinter die Absicht stand, sie für ihr späteres Dasein als Ehefrau und Herrin eines Hauses vorzubereiten, vergaß sie lieber. Der Gedanke an Heirat war ihr viel zu unwirklich. Im Gegensatz zu Eilliana und Millia, ihren Schwestern, die über nichts anderes als Männer zu reden schienen, interessierte sie sich für Männer nur in Form der Svjardvalsten. Mit einem Mann das Bett – oder ihr Leben – zu teilen, schien ihr nicht besonders verlockend.
An diesem Tage wollte ihre Mutter Ausschau halten nach fleißigen, arbeitsamen Händen für die Waschküche und den Gemüsegarten, sowie nach zwei Stalljungen. Aus diesem Grund begleitete sie auch Bryas, der Herr der Pferde. Ein kleiner, stämmiger Mann mit einer großen, fast blauen Nase, die an eine reife Pflaume erinnerte und starken, geröteten Händen. Seine Beine waren krumm wie Säbel. Immer roch er nach Pferd und Stall. Seine Stimme brummte tief und ruhig, war bestens geeignet, die wildesten Pferde zu zähmen.
Fremd klingende Musik tanzte durch die Luft, es roch nach süßen Waffeln und vielen Menschen, nach ihrem Schweiß, ihren Körpern, nach fremden Gewürzen und warmen Druvla, dem traditionellen Gewürzwein. Überall waren farbenfrohe Gewänder zu sehen, die mit leuchtenden Bändern verziert waren; Gaukler mit klingenden Schellen; ein großer Mann mit einem grauen, geflochten Bart führte einen zottigen Bären an einem Nasenring über den Marktplatz, ließ ihn auf die Hinterbeine steigen und tanzen. Eine Frau mit roten Haaren, bunte Perlen in unzählige Zöpfe geflochten, griff nach den Händen der Vorbeigehenden und las ihnen für wenige Mynth die Zukunft daraus. Livlia starrte all die fremden Menschen an: die blondhaarigen, hellhäutigen Menschen der Küstenregion, die rot- oder braunhaarigen Menschen der Ebenen mit ihrer sandfarbenen Haut und die Bergvölker mit ihren dunkelblonden Haaren und sturmgrauen Augen, deren Haut von Wind und Wetter gegerbt war. Es herrschte eine andere Stimmung als an Soelstyn. Heute ging es um Geschäfte und nicht um die Feierlichkeiten zu Ehren eines Gottes.
Endlich erreichten sie die Stände der Sklavenhändler, die vor ihren Zelten Bühnen errichtet hatten, um ihre Ware zu präsentieren. Der heutige Tag war den Frauen vorbehalten, heute würden nicht die Svjardvalsten angeboten werden, sondern nur die Knechte, die Diener und die Mägde.
Ihre Mutter suchte Sakkio auf, einen dickbäuchigen, gemütlich wirkenden Mann mit gelblicher Haut und kleinen, braunen Augen, deren harter Blick sein gemütliches Äußeres Lügen bezichtigte. Bei ihm kaufte ihre Familie schon über viele Märkte hinweg ihre Sklaven. Nachdem Sakkio ihnen zehn junge Frauen vorgeführt und angepriesen hatte, langweiten Livlia Sakkios anpreisende Worte von kräftigen Händen oder starken Armen und sie begann sich umzusehen. Langsam und unauffällig entfernte sie sich von ihrer Mutter und deren Gefolge. Sobald sie sich sicher war, dass niemand auf sie achtete, drückte sie sich zwischen den Zeltplanen hindurch hinter die Bühne. Keiner der Männer, die für die Sklaven verantwortlich waren und geschäftig hin und her eilten, achtete auf das gut gekleidete Mädchen, das sich neugierig zwischen ihnen bewegte. Für die kostbare Ware stellte sie keine Gefahr dar.
Livlia sah, wie die Frauen aus einem Zelt geholt und hinter der Bühne noch schnell ein wenig hergerichtet wurden. Vorsichtig warf sie einen Blick in das Zelt, als einer von Sakkios Männern den Eingang öffnete. Ungefähr dreißig Frauen waren in dem kleinen Zelt zusammengepfercht. Bei dem Geruch, der aus dem Zeltinneren drang, schüttelte Livlia sich. Schnell schob sie sich weiter, ging den hin und her hastenden Männern aus dem Weg.
Immer tiefer drang sie in das Lager des Sklavenhändlers ein, betrachtete staunend das Treiben. In einem Zelt entdeckte sie Knaben, die zwischen sechs und zwölf Sommer alt waren. Ein junger Mann ölte den Körper eins blond gelockten Jungen ein und sie fragte sich, wofür diese Knaben dienten, da sie offensichtlich nicht als Knechte verkauft werden sollten. Das Zelt sah prächtiger aus als die anderen und überall waren weiche Liegen und Kissen verteilt. Während sie dort am Eingang stand, wendete einer der Junge sich zu ihr um und sie erschrak über die traurige Leere in seinem Blick. Schnellen Schrittes ging sie weiter.
Weit hinten, außerhalb der Zelte und des Trubels, entdeckte sie drei Käfige und fragte sich, was für Tiere der Sklavenhändler wohl verkaufe. Vorsichtig schlich sie näher heran. Zwei von ihnen waren leer. Ihr Herz schlug schneller, als sie sich dem dritten Käfig näherte. Es war ein Mensch, der dort innerhalb der Stäbe gefangen gehalten wurde.
Der Käfig war so klein, dass er sich nicht aufrichten konnte. Um seine Hände und Knöchel lagen eiserne Fesseln, die mit kurzen Ketten an den Stäben befestigt waren. Sakkio schein große Angst vor dem Verlust dieses Sklaven zu haben.
In der Enge des Käfigs berührten seine Knie fast die Gitterstäbe. Livlia vermutete, dass es sich um einen Mann handelte, der dort gefangen gehalten wurde. Die schlanken Beine steckten in schwarzen Lederhosen. Langes Haar, so schwarz wie die Federn eines Raben, versteckten das Gesicht. Noch nie hatte Livlia so dunkle schimmernde Haare gesehen. Langsam und vorsichtig bewegte sie sich auf den Käfig zu, beobachtete, wie der Rücken des Mannes sich im Takt seines Atems bewegte. Hatte er sie wahrgenommen? Im einfallenden Licht sah sie den ungewöhnlich braunen, fast roten Ton seiner Haut. Auf seinen Armen konnte sie schwarze Zeichnungen sehen, die ihr unbekannt waren, Wellen, offene Kreise mit Punkten oder ohne. Die Brust und der Rücken wurden von den Resten eines schwarzen, völlig zerrissenen Hemdes verhüllt. Große blaue Flecke bedeckten den sichtbaren Teil seines Körpers. Aus welcher Region stammte der Mann, der so aufregend fremd aussah? Er konnte nicht in Allragöst geboren sein.
Jederzeit zum Rückzug bereit, näherte sie sich, angezogen von dem fremden Wesen, mit klopfendem Herzen den Gitterstäben. Davor ging sie in die Hocke. Gerne würde sie sein Gesicht sehen. Ob es auch so ungewöhnlich aussah wie der Rest des Mannes? Sie roch Schweiß und noch etwas anderes, etwas wildes und herbes.
Behutsam umfasste sie einen der kühlen Gitterstäbe. Unter ihrer Haut fühlte sich das Metall rau an. Nur ein kleines Stück müsste sie ihre Hand ausstrecken, dann könnte sie das Knie des Mannes berühren. Die Luft anhaltend löste sie ihre Finger und schoben diese durch das Gitter. Ihr Herz schlug an ihre Rippen und sie wusste, dass sie ihn besser nicht berühren sollte, nicht berühren durfte, der Käfig und die Ketten hatten einen Grund… magisch zog er sie jedoch an. Immer weiter wagte sie sich vor, schon war ihre Hand innerhalb des Käfigs.
Der Kopf des Mannes fuhr hoch, bevor sie ihn berühren konnte, die schwarzen Strähnen fielen zur Seite und bernsteinfarbene Augen, umrahmt von dichten, schwarzen Augenbrauen, funkelten sie aus einem hageren Gesicht an. Die schmalen Wagen wurde von einem schwarzen Bart betont. Wild und ungezähmt, wie ein Raubtier, dachte Livlia und doch machte er ihr keine Angst. Ihre Augen hielten seinem Blick stand.
„Wer bist du?“, fragte sie leise.
„Djamyr“, antwortete eine raue, singende Stimme, die in ein Husten überging. Erst jetzt sah Livlia, dass ein Lederband seinen Hals eng umschloss. Es war eins der Bänder, die Bjark, der Herr der Wachen, für die Hunde verwendete. Wenn man daran zog, verengte sich das Band und schnürte dem Tier die Luft ab. Wenn der Mann sich bewegen würde, würde dasselbe geschehen und seine gefesselten Hände würden es ihm unmöglich machen, das Band wieder aufzuziehen. – Und wenn er einschlief und sein Kopf nach vorne fiel?
„Warum bist du hier eingesperrt?“ Mitleidig sah sie ihn an.
„Weil er eine wilde Bestie ist, schnell und gefährlich“, sagte Sakkio hinter ihr. „Edles Fräulein, Ihr habt hier nichts zu suchen.“
Kurz vollendete Livlias Hand ihre Bewegung und berührte Djamyrs Bein, dann erhob sie sich und funkelte den Sklavenhändler mit der ganzen Arroganz der Tochter des reichsten Händlers Allragösts an. „Ich will ihn kaufen“, sagte sie und ihre blauen Augen glänzten wie das eisige Wintermeer.
„Verzeiht, er ist nicht zu verkaufen“, antwortete Sakkio mit einer schmierig unterwürfigen, jedoch ablehnenden Geste.
„Alles ist zu kaufen, Händler“, wiederholte sie den Lieblingssatz ihres Vaters. „Nennt mir nur den Preis.“
„Nein, er nicht!“ Stur schüttelte Sakkio seinen runden Kopf. „Er wird sich mir beugen oder in diesem Käfig sterben.“
„Ihr seid ein Narr!“ Livlias Mund wurde zu einem schmalen Strich. „Ich biete euch alles, was ihr wollt für einen Sklaven, den ihr nirgends anders loswerdet und ihr wollt ihn lieber sterben sehen?“ Sie wusste, dass es für den Mann im Käfig keine Option war, sich zu beugen, er würde sterben, wenn Sakkio ihn ihr nicht verkaufen würde. Qualvoll langsam, das konnte sie in Sakkios Augen lesen.
„Was wollt ihr mit dieser wilden Bestie? Euer Vater würde mich umbringen, wenn ich euch euren Mörder verkaufte.“ Entschlossen schüttelte Sakkio erneut seinen Kopf.
„Er wird mir danken, wenn ich ihm einen unbesiegbaren Svjardvalster bringe.“
„Niemals wird er für euren Vater kämpfen! Er ist ein Steppenkrieger, stolz und unbeugsam.“ Sakkio lachte verächtlich. „Sein Stolz wird ihn töten. – Ich werde ihn für seinen Stolz töten!“
„Dann werdet ihr keine Geschäfte mehr mit unserem Haus machen!“ Livlia spürte heiße Wut in sich aufsteigen.
„Was geht hier vor, Livlia?“ Ihre Mutter war erschienen und mit ihr das gesamte Gefolge. Jetzt musste sie es schaffen, Odna zu überzeugen und Djamyr zu retten.
„Mutter, ich…“ Ihre Gedanken sprangen. „Ich will diesen Kämpfer!“
Odna zog den dünnen Augenbrauenstrich über den warmen grau-blauen Augen in die Höhe.
„Wohlgeborene Herrin, dieser Mann ist kein Kämpfer, er ist ein Nichts. Unbedeutender als eine Sandviper und genauso tödlich. – Kein Spielzeug für ein Kind“, fügte er mit einem Blick auf Livlia hinzu.
„Er ist einer vom Steppenvolk, ein tödlicher Reiter“, wandte Livlia ein. Kaurus, der Lehrer Jandris‘ hatte Legenden von ihnen erzählt. Das Steppenvolk bestand aus hervorragenden Reitern und Kämpfern. Ihre kleinen, zähen Pferde gehorchtem jedem wortlosen Befehl ihres Reiters. Da die Steppe weit fort und schwer zu erreichen war, rankten sich viele Geschichten um dieses Volk. „Bitte, Mutter, ich habe noch einen so großen Wunsch geäußert, doch diesen zukünftigen Svjardvalsten möchte ich haben. – Ich verspreche dir, er wird keinen Zweikampf meiden und keinen verlieren. Er wird die Ehre des Hauses Thordas‘ erhöhen.“
Der Blick ihrer Mutter glitt über ihr Gesicht und wanderte dann über das Gesicht des Mannes im Käfig.
Die Worte wurden schnell gesprochen, ihr harter Klang machte es Djamyr schwer, Emotionen aus ihnen zu lesen. Freundlichkeit klang in der Sprache dieser Menschen genauso kalt wie Zorn und Hass. Verstehen konnte er nur Bruchstücke des Gesagten, zu schnell flogen die Worte aus den Mündern der Menschen vor dem Käfig. Seit sie ihn gefangen und diesen Männern ausgeliefert hatten, versuchte er ihre Sprache zu lernen. Einfach war es ihm, Sakkios tödlichen Hass zu erkennen. Was wollte das Mädchen? Ihr Blick war mitfühlend an diesem Ort des Hasses und der all gegenwärtigen Qualen. Ihre Stimme war warm wie der Djamnor, der Steppenwind, der ihm seinen Namen gegeben hatte. Wenn er die Bruchstücke richtig zusammensetzte, wollte sie ihn kaufen. Sakkio würde ihn niemals verkaufen, zu hoch waren schon die Verluste, die er durch ihn erlitten hatte. Zu viele Leben von Kämpfern und Wachen hatte er genommen. Wenn sie diesen Markt verließen, würde er ihn zu Tode prügeln, denn er würde sich dem Mann niemals beugen.
Das Mädchen kniete sich wieder vor ihn, sah ihn mit ihren hellblauen Augen durchdringend an. „Wirst du für mich kämpfen, Djamyr, wenn ich dich aus diesem Käfig hole?“, fragte ihre Stimme leise, suchend kroch der Blick über sein Gesicht, fand seine Augen. Ihr Blick verhakte sich in seinem und ein Strom von Gefühlen traf ihn, ihre Wünsche, Träume und ihre Ehrlichkeit, ihre Treue, für die Menschen, für die sie sich entschieden hatte. Langsam nickte er. „Dschuriare“, antwortete er. Ich schwöre.
Mit einem Lächeln stand Livlia auf. Obwohl sie das Wort nicht kannte, hatte sie seinen Sinn erfasst. „Er wird für mich kämpfen. Wenn er es nicht tut, kannst du ihn töten.“
Sakkio sah das Mädchen an. Konnte das sein? „Wenn er für dich kämpft, hier und heute, dann schenke ich ihn dir. Wenn er nicht kämpft, sondern wieder versucht zu fliehen, dann töte ich ihn.“
„Abgemacht!“, sagte das Mädchen, bevor ihre Mutter reagieren konnte, und streckte ihm die Hand hin.
Die Mutter nickte und Sakkio schlug ein. Niemals würde dieser kleine, dreckige Steppenfuchs für jemanden kämpfen. Den Tag, an dem er ihn von Grienth gekauft hatte, verfluchte er bitter. Schon oft hatte er zähe, kriegerische Männer brechen müssen, doch dieser Mann hatte sich nicht gebeugt. Statt zu kämpfen, versuchte er zu fliehen, hatte Wachen getötet, andere Sklaven verletzt, die versuchten ihn aufzuhalten.
„Hinter den Zelten ist die Arena für die Kämpfe der Svjardvalsten aufgebaut, dort soll er beweisen, dass er für euch kämpft. Wenn er gewinn, dann könnt ihr ihn haben.“ Sakkio deutete auf eine kleine Arena hinter den Sklavenwagen.
Wieder hockte sich das Mädchen vor den Käfig. „Djamyr, du musst für mich kämpfen und gewinnen, dann wird Sakkio dich mir schenken. Kämpfst du nicht, wird er dich töten. Deine Wahl.“
„Meine Waffen“, sagte Djamyr mit dieser rauen, singenden Stimme und Livlia nickte lächelnd.
„Gebt ihm seine Waffen und er wird kämpfen“, verkündete sie und sah Sakkio herausfordernd an.
„Gut. – Babbra bring ihn und seine Waffen in die Arena. Aber lass ihn erst los, wenn ich es sage!“, wies Sakkio einen Mann an, der mit gebeugtem Rücke hinter ihm gestanden hatte. „Du weißt, wie gefährlich der Steppenfuchs ist.“
Babbra nickte, er hatte schon Bekanntschaft mit dem Schwert des Mannes gemacht und noch einmal würde er den kleineren Mann nicht unterschätzen.
Die Arena war um vieles kleiner, als die ihres Vaters. Sie bestand aus schlichten leichten Brettern und hatte nur einen Sitzkreis für die wohlhabenden Kunden, die hier die Schaukämpfe der Svjardvalsten ansahen. Nicht viele Männer konnten sich dieses teure Vergnügen leisten.
Fünf bewaffnete Männer führten Djamyr, der von Babbra mit einem Strick an dem Lederband gehalten wurde, in die Arena. Sein Gang war schleppend, seine Beine und sein Rücken waren noch taub von dem langen verkrümmten Sitzen in dem Käfig. In der Mitte ließen sie ihn stehen, entfernten sich ein paar Schritte, lange Speere auf seine Körper gerichtet. Mit einem spöttischen Blick bedachte er Babbra, der ihm gegenüber stand und ihn anfunkelte. Vorsichtig begann er seinen Körper zu strecken und dehnen.
Entgegen dem Befehl ihrer Mutter folgte Livlia den Männern in die Arena. Sakkio hatte eine Truhe geholt und stellte sie vor das Mädchen in den Sand. „Dies sind die Waffen des Steppenfuchses. Er soll wählen, dann wähle ich seinen Gegner.“
Das Mädchen nickte, öffnete die Truhe. Auf einem schwarzen Tuch gebettet lagen in einer ledernen Scheide leicht gebogene Zwillingsschwerter, daneben zwei lange dünne Klingen sowie zwei kleinere breitere Dolche in Lederscheiden. Ein kleiner Bogen mit einer Handvoll Pfeile. Lederne Armschienen.
Livlia ging zu dem Mann, dessen Stand sich verfestigt hatte. Er war nicht viel größer als sie selbst, sodass sie kaum den Kopf heben musste, um in seine ungewöhnlichen Augen zu sehen. „Womit willst du kämpfen?“, fragte sie.
„Spadja – die Schwerter“, antwortete er leise und sie nickte.
„Die Schwerter“, verkündete sie und lächelte Sakkio an, der das mit einer kurzen Verneigung quittierte. Er drehte sich zu Babbra um. „Hol Kattio“, befahl er kurz und Babbra verschwand in Richtung der Wagen.
Odna und ihr Gefolge hatten auf den Bänken Platz genommen. Livlia warf ihrer Mutter einen Blick zu und machte sich kurz Sorgen über die Konsequenzen ihres Handelns. Ihre Mutter würde sie sicher bestrafen, sobald sie zu Hause wären. Zumindest war es das, was ihr schmaler Mund und ihr zorniger Blick versprachen.
Das Tor öffnete sich und ein Mann groß wie das Gebirge Lyndrom betrat die Arena. Sein Körper war über und über mit roten, gezackten Zeichen bedeckt, sie sahen aus, als seien sie mit einem Messer in seine Haut geritzt worden. Sein Kopf war kahlrasiert und ebenfalls mit roten Zeichen bedeckt. Stumpfe, graue Augen betrachteten die Menschen in der Arena mit einem gefühllosen Ausdruck.
„Nimm unserem Steppenfuchs das Halsband ab“, sagte Sakkio zu Babbra. „Wenn du versuchst zu fliehen, werden sie dich sofort töten“, knurrte Sakkio, trat an Djamyr heran und starrte ihm in die Augen. „Entweder tötet Kattio dich im Kampf oder die Wachen, wenn du fliehst“, raunte er Djamyr zu und erntete einen spöttischen Blick.
„Sakkio, guadjaniare“, flüsterte Djamyr, „dschuriare.“ Sakkio lachte nur abfällig.
Auf den fragenden Blick Livlias flüsterte er zu ihr: „Ich schwöre ihm zu gewinnen. – Ich gewinne für dich.“
Babbra trat an ihn heran. „Halt still, Bastard, oder gib mir einen Grund, dir die Kehle durchzuschneiden.“
Djamyr fixierte ihn mit seinen zu Schlitzen verengten Augen, die Livlia jetzt noch mehr an die Augen eines Raubtieres erinnerten. Das Band wurde gelöst und langsam traten die Männer mit ihren erhobenen Speeren zurück. Die Angst vor dem Mann war deutlich spürbar.
Mit bedächtigen Bewegungen ging er zu der Truhe und nahm die Zwillingsschwerter aus ihrer Scheide. Erst jetzt drehte er sich zu seinem Gegner um, ließ seinen Blick über ihn gleiten, nahm die Zeichen wahr, las die Geschichte, die sie erzählten. Dann streifte er die zerrissenen Reste seines Hemdes ab, ließ seinen Gegner und die Zuschauer die schwarzen Zeichen, die seine Geschichten auf seinem Körper erzählten, sehen. Gut eineinhalb Köpfe kleiner als Kattio, war seine Gestalt ausgeprägt und gut definiert. Muskeln und Sehnen zeichneten sich unter der rötlich braunen Haut deutlich ab.
„Nastschjur“, sagte Djamyr zu Livlia und machte ein Zeichen, als wenn er seine Haare umwickeln wollte. Einen Moment sah sie ihn fragend an, dann verstand sie und zog eins ihrer Lederbänder aus ihren Haaren, reichte es ihm. Mit schnellen Bewegungen, fasste er mit dem Band seine Haare zusammen. So konnten sie ihm im Kampf nicht ins Gesicht fallen.
„Kommt, wir sollten die Kämpfer jetzt allein lassen“, sagte Sakkio und reichte Livlia den Arm. Ein letztes Mal berührte sie Djamyr, dann folgte sie dem Sklavenhändler auf die Tribüne.
Keines Blickes würdigte ihre Mutter sie, als sie sich neben sie setzte. Nur ein Blick auf das regungslose Gesicht sagte ihr, was sie noch erwartete. Sie würde es ertragen, wenn Djamyr dafür leben würde.
Still standen sich beide Männer in der Arena gegenüber. Kattio wirkte wie ein aus grauem Fels geschlagenes, rot gezeichnetes Monster, Djamyr wie ein schwarzer Schatten. Die wuchtige Hand Kattios hielt ein glänzendes Langschwert, das ein normaler Kämpfer mit beiden Händen hätte führen müssen. Djamyr ließ die beiden gekrümmten Schwerter an seiner Seite hängen, er wirkte entspannt und locker. Livlia, die ihn genau beobachtete, sah die gespannte Konzentration in seinen Nackenmuskeln.
In der Enge der Arena begannen sie sich zu umrunden.
Bei den Wettkämpfen auf Leben und Tod durften Frauen und Kinder den Svjardvalsten nicht zusehen. An hohen Feiertagen jedoch durften sie an der Seite ihres Mannes oder Vaters jenen Kämpfen beiwohnen, die normalerweise nicht mit dem Tod eines der Svjardvalsten endeten.
Der Zweikampf im Staub der Arena wurde um Djamyrs Leben ausgetragen. Würde er verlieren, würde er vielleicht nicht in der Arena auf jeden Fall aber durch Sakkios Hand sterben.
Kattio beendete das Umkreisen plötzlich und schlug ansatzlos mit dem schweren Schwert zu. Spielerisch wich Djamyr dem tödlichen Schlag aus. Der gnadenlosen Kraft hatte er nichts entgegenzusetzen, er musste versuchen, den Kampf durch seine Schnelligkeit und Beweglichkeit zu gewinnen.
Immer wieder wich er den harten Schlägen aus, die sich neben ihm in den weichen Sand oder zweimal in das Holz der Arena bohrten, ohne selber anzugreifen.
„Der Steppenfuchs ist im Zweikampf ein Feigling“, grollte Sakkio.
Djamyr fing den nächsten harten Schlag mit gekreuzten Schwertern ab. Livlia sah die Erschütterung, die der Aufprall in die Muskulatur seiner Schultern brachte. Nach seiner Gefangenschaft, eingesperrt in dem winzigen Käfig, ohne Training – und ausreichender Nahrung – konnte er einen Kampf mit dem stoisch auf ihn einschlagenden Riesen nicht lange durchstehen. Oft würde die Kraft seiner Muskeln das Langschwert nicht aufhalten können.
Immer wieder ließ er sich treiben, wich dem Schwert scheinbar schwerfällig und in letzter Sekunde aus. Sakkio lachte hämisch. „Ich denke, der Fuchs hat in Gefangenschaft seine Zähne verloren“, höhnte er.
Livlia antwortete ihm nicht, beobachtete jede Bewegung der Kämpfer. Auch Kattio wurde selbstsicherer, überheblicher. Mit schnellen, harten Schlägen verfolgte er den zurückweichenden Djamyr. Mit gebleckten Zähnen erhob er immer wieder das Schwert und schlug zu. Metall klirrte, wenn Bahn des Langschwerts in letzter Sekunde von Djamyrs Klinge verändert wurde. Den immer wieder zurückweichenden Mann nahm Kattio als Gegner nicht mehr ernst, erwartete jeden Augenblick den kampfbeendenden Schlag. Spätestens, wenn dem Feigling die Kraft zum Weglaufen ausginge.
Mit einem kraftvollen Schlag von links nach rechts durchschnitt die schwere Klinge sirrend die Luft, so dicht vor dem schlanken, dunklen Körper, dass nicht zu entscheiden war, ob Djamyr getroffen war oder nicht. Livlia hörte ihre Mutter neben sich laut die Luft einsaugen und Sakkio ein siegesgewisses Schnauben von sich geben. Den Atem anhaltend sah sie, wie der schlanke Körper scheinbar von der Kraft des Schlages herumgewirbelt wurde. Die Klingen hoben sich in der Bewegung, nutzten die offene Deckung des Riesen. Das rechte Schwert durchtrennte aus der Drehung heraus die Sehnen und Muskeln von Kattios Arm, das Schwert fiel aus der augenblicklich kraftlosen Hand. Das linke Schwert flog hoch und die Spitze berührte die Kehle des verblüfften Kämpfers, der den Schmerz – und die Niederlage – noch nicht wahrgenommen hatte. Schweratmend drehte Djamyr den Kopf zu den Zuschauern.
Sakkio erhob sich, den Blick auf das Blut gerichtet, dass aus Kattios Wunde tropfte. „Du hast gewonnen“, sagte er, ohne es wirklich zu begreifen. „Der Steppenmann gehört euch“, fügte er mit einer Verbeugung zu Odna und Livlia hinzu.
Djamyr trat zurück von Kattio, wischte die blutige Klinge an dessen Hose ab. Der große Mann betrachtete seinen Arm, aus dem das Blut in kleinen Stößen gepumpt wurde. Mit einem leisen Stöhnen fasst er an die Wunde und sank auf die Knie. Fast zeitgleich öffnete sich das Tor und ein Heiler eilte zu Kattio und kümmerte sich um seine Wunde.
Kurz darauf betrat Sakkio mit Livlia und Odna die Arena. Livlia konnte sich nicht zurückhalten und lief zu Djamyr, der vor ihr niederkniete und den Kopf senkte. Verwundert blieb sie stehen.
„Mia eschenzja cholpiare tia. – Dir schulde ich mein Leben“, sagte Djamyr, griff ihre Hand und legte seine Stirn dagegen. „Restiare mia cholpjar pagjaria.“ Er suchte nach den richtigen Worten in der fremden harten Sprache. „Ich bleibe, bis meine Schuld – fort ist.“
Unsicher sah Livlia ihre Mutter an, die nur nickte und sich an Sakkio wandte. „Hat der Steppenmann außer seinen Waffen Eigentum?“, fragte sie.
„Nein“, antwortete Sakkio, der immer noch nicht fassen konnte, dass Kattio gegen den kleineren, geschwächten Mann verloren hatte, schnell.
„Ja“, widersprach Djamyr. „Zajuma. Mein Equjanu – Pferd.“ Er sprang auf die Füße und stand mit wenigen Schritten vor Sakkio.
Livlia fragte sich, wie die Klingen so schnell wieder in seine Hände gekommen waren.
„Ein Steppenpferd?“, fragte Odna. Djamyr nickte. „Sakkio, bevor wir uns wieder den Geschäften widmen, gebt dem Steppenmann sein Eigentum.“ Ihr Lächeln war Drohung genug und mit einem gequälten Lächeln beugte sich Sakkio.
„Hol dich der Teufel“, fluchte er in Richtung Djamyr.
„Und ihr, Bryas, kümmert euch um den Mann, seine Waffen und das Pferd, während Livlia sich wieder ihrer Geburt und ihres Standes erinnert.“ Mit einem Blick auf ihre Tochter, der jeden Widerspruch unterband, verließ sie die Arena.
Bryas folgte widerwillig dem dunkelhaarigen Mann aus der Steppe, der mit schnellen Schritten in Richtung der provisorischen Pferdekoppeln ging. Was ging bloß in dem Kopf dieses Mädchens vor? Wie konnte sie ihre Mutter um den Kauf dieses Barbaren bitten? Was wollte dieses zarte Wesen mit einem Svjardvalsten? Dieser fremdländische Mann würde für Ärger sorgen, da war Bryas sich ganz sicher.
In der zu engen Koppel drängten sich unzählige Pferde schnaubend aneinander. Der suchende Blick des Mannes wanderte über ihre Körper. Dann stieß er einen leisen Pfiff aus. In der Mitte entstand Unruhe und eins von ihnen drängte sich durch.
Bryas staunte, eine Stute, das glänzende Fell so dunkelbraun, das es fast ebenso schwarz wie die Mähne aussah, schob sich nach vorne. Ihre großen dunkeln Augen suchten und fanden Djamyr. Ihr Kopf schoss vor, seiner Hand entgegen, die sich zwischen ihre Nüstern legte. Leise flüsterte der Mann in ihr Ohr, verbarg sein Gesicht in ihre Mähne. Das Pferd schnaubende zur Antwort. Das innige Verhältnis zwischen Pferd und Mann war nicht zu übersehen.
„Ist sie deine Stute?“ Ein kleines, sehr schmutziges Mädchen war neben dem Mann und seinem Pferd aufgetaucht.
„Ja“, sagte er und blickte auf, seine Augen weiteten sich. „Dschermana?“
Verständnislos sah sie ihn an.
„Bist du aus der weiten Steppe?“, fragte er sie und Bryas musste zugeben, dass sie mit ihren schwarzen, verfilzten Haaren und dem rotbraunen Ton ihrer Haut Djamyr ähnlich sah.
„Nein… oder ich weiß es nicht“, antwortete das Mädchen mit einem Kopfschütteln. Sie war dicht herangetreten und streckte ihre Hand nach dem Pferd aus, das erst an ihrer Hand roch und sich dann von ihr streicheln ließ. „Sie hat sich nur von mir versorgen lassen“, sagte sie und Djamyr nickte leicht.
„Dschermana, Schwester“, wiederholte er und berührte ihre Hand.
Bryas beobachtete, wie nicht nur die Stute des Steppenmannes, sondern auch die anderen Pferde auf das Mädchen reagierten. Als sie die Stangen öffnete, um die Stute herauszulassen, ließen sich die Pferde mit einfachen leisen Worten und ihren erhoben Händen beruhigen, blieben friedlich in der Koppel stehen. Emblia sagte leise etwas und die Pferde wichen zurück, nicht ängstlich, sondern als hätten sie ihren Befehl verstanden. Eine ungewöhnliche Beziehung schien zwischen dem Mädchen und den Pferden zu bestehen. Wenn sie wirklich Blut des Steppenvolkes in ihren Adern hatte, dann floß dort auch Pferdeblut.
Bryas fragte sich, ob sie angesichts der vielen sehr jungen Pferde, die Thordas von den letzten Reisen mitgebracht hatte, nicht sehr nützlich wäre? Ein Mädchen wie sie, könnte auch nicht sehr teuer sein. Bisher hatte er noch keinen geeigneten Pferdeknecht entdeckt.
„Ich habe dir ein Hemd besorgt.“ Livlia trat an die Koppel und reichte Djamyr ein beiges Leinenhemd, das dieser abfällig betrachtete, bevor er es über seinen Kopf zog.
Neugierig betrachtete Livlia das Mädchen, das von der Statur etwas kleiner als sie selber war, aber bestimmt nicht jünger. Haare und Haut hatten die gleiche Farbe wie Djamyrs, ihre Augen jedoch waren dunkelbraun. Ein samtiges, warmes Braun, das ihr unter die Haut ging. „Wer bist du?“, fragte sie leise.
„Emblia“, antwortete sie schüchtern.
„Sie scheint viel Ahnung von Pferden zu haben und wirkt beruhigend auf sie. Eine Eigenschaft, die wir gerade mit den vielen jungen Pferden, die Euer Vater von der letzten Reise mitgebracht hat, gut gebrauchen könnten“, mischte sich Bryas ein. „Vielleicht wäre es gut, wenn wir sie mitnehmen könnten.“ Mit der Hand strich er nachdenklich über sein Kinn.
Livlia warf ihm einen Blick zu und nickte, dann griff sie die Hand des Mädchens. „Komm.“ Der Griff der Hand war warm und trocken, sie fühlte sich gut, richtig, in Livlias Hand an. Der Gedanke verwirrte Livlia. Sie warf dem Mädchen einen Seitenblick zu, begegnete dem dunklen Blick und fühlte, dass etwas seltsames zwischen ihnen vorging.
Djamyr sagte ein paar leise Worte in das Ohr des Pferdes, das ihm bereitwillig wie ein Hund folgte, während er seine Waffen anlegte.
Vor der Bühne wurde gefeilscht. Odna und Sakkio spielten das Spiel der Basare. Sie verhandelten um jeden Mynth. Drei kräftige Frauen und ein junger, blasser Mann standen an der Seite und betrachteten mit gemischten Gefühlen den Handel.
„Werte Mutter“, sprach Livlia Odna an und erntete einen ungehaltenen, kühlen Blick. „Dies ist Emblia. Bryas hat sie gefunden und meint, sie könnte ganz nützlich sein, da sie das Steppenpferd in den letzten Vekjas versorgt hat.“
Ihre Mutter betrachtete kurz das schmutzige Mädchen, sah Bryas mit hochgezogenen Augenbrauen an, der die Aussage ihrer Tochter mit einem Nicken bestätigte, und wandte sich wieder Sakkio zu. „Ich schlage zu deinem unverschämten Preis ein, Sakkio, wenn du mir diese schmutzige, kleine Katze dazu überlässt.“
Sakkio warf einen abschätzenden Blick auf das ungepflegte Mädchen, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte, und hob an zu lamentieren, über die Verluste, die er bei diesem Geschäft machte. Bestimmt würde er es bereuen, so weichherzig zu sein, dann schlug er ein.
Zajuma ging hinter ihm, er konnte ihren warmen, vertrauten Atem in seinem Rücken spüren. Das Mädchen Emblia ging neben ihm, betrachtete die vielen Menschen in einer Mischung aus Neugier und Angst. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie die Sklavenwagen verlassen. Djamyr war sich sicher, dass ihre Wurzeln in der weiten Steppen Djistesteras lag. Sehnsüchtig dachte er an das offene weite Land, keine Häuser, keine Menschen, so weit das Auge blicken konnte. Wie anders, beengter und bedrohlicher war die Welt hier. Sein suchender Blick fand Livlia und er überlegte, warum das Mädchen ihn gerettet hatte. Wollte sie ihn ihrem Vater, dem reichen Kaufmann überlassen? Was konnte ein Mädchen mit einem Svjardvalsten anfangen? Dann wanderten seine Gedanken zu dem ab, was Frauen mit Männern anfangen konnten und er errötete. Sie war doch noch ein Kind…
Ein Kind mit einem eigenen Willen. Livlia weigerte sich, den Steppenkrieger ihrem Vater zu schenken. Nein, der Kämpfer gehörte ihr, sie hatte ihn gewonnen und sie würde ihn behalten. Immerhin hatte er geschworen, bei ihr zu bleiben, bis seine Schuld abgetragen war, nicht bei ihrem Vater.
„Er wird meine persönliche Wache und mein Kämpfer. Wenn ich mag, dann lasse ich ihn gegen deine Svjardvalsten kämpfen, sonst nicht! Er schuldet mir ein Leben, diese Schuld kann er nicht in deiner Arena begleichen“, fauchte sie ihren Vater an. Zornig schob sie die schmalen Augenbrauen über ihren blauen Augen zusammen. Mit erhobenem Kinn trotze sie seinem Blick.
Thordas war ein beeindruckend großer Mann, dessen löwenmähnige, dunkelblonde Haare von den ersten grauen Strähnen durchsetzt wurden. Seine Gestalt war geschmeidig und schlank. Die Hände auf dem Rücken verschränkt sah er seine dickköpfige Tochter an.
„Es gehört sich nicht für eine heranwachsende Frau, sich mit den Kämpfen der Svjardvalsten abzugeben. Frauen sollen liebliche Geschöpfe sein, die den Männern die Zeit vertreiben und das Leben angenehm gestalten“, sagte er streng.
„Du selbst sagst, der schönste Zeitvertreib sind die Svjardvalstenkämpfe. Also bin ich doch eine sehr gute Frau, wenn ich einen eigenen Kämpfer besitze, dann können wir viel mehr Zeit miteinander verbringen“, argumentierte sie mit einem feinen Lächeln.
Thordas seufzte ergeben. Seiner jüngsten Tochter hatte er nichts entgegenzusetzen. Er liebte sie abgöttisch und wenn ihr Glück von diesem Kämpfer abhing, dann sollte sie ihn erst einmal behalten.
„Ich gebe ihm eine Woche, dann will ich ihn kämpfen sehen“, sagte er abschließend und entließ seine Tochter mit einem Kuss auf ihren Scheitel. „Bring deinen Steppenmann zu Maknas und hol dir die Strafe deiner Mutter ab.“
Lachend hüpfte Livlia aus dem Zimmer. Kopfschüttelnd sah Thordas ihr hinterher.
Auf dem Hof des Hauses herrschte geschäftiges Treiben. Djamyr stand abseits neben Zajuma und betrachtete die Menschen. Seit er vor etlichen Monden von Myram an den Sklavenhändler verkauft worden war, war er eingesperrt gewesen. Erst in einem dieser überfüllten, stinkenden Schiffe mit unzähligen anderen Männern, dann alleine mit zwei Männern in einem engen Wagen. Irgendwann, als er sich nicht dem Willen dieses verfluchten Sakkio unterwarf in dem Käfig. Vor ein paar Tagen, als er eine der Wache, die ihm Wasser bringen wollte, verletzt hatte und fast aus diesen verfluchten Gitterstäben entkommen wäre, hatte er ihm dieses Band angelegt. Djamyr hatte gewusst, dass er bei der nächsten Gelegenheit, wenn sie diesen Sklavenmarkt verlassen hätten, gestorben wäre. Dann hätte Sakkio das mörderische Tier, das in ihm wohnte, freigelassen und ihn zu Tode geprügelt. In den ganzen Wochen hatte er immer gehofft, ihn verkaufen zu können, und hatte sogar seine gezeichnete Haut geschont, von der er sich einen höheren Preis erhoffte. – Nicht, dass ein geschickter Mann nicht schlagen und prügeln konnte, ohne die Haut zu verletzten. Die verschiedenen Verfärbungen seiner Haut erzählten ihre eigene Geschichte.
Emblia stand fast völlig verborgen hinter ihm. Die Hände ineinander verknotet, verfolgte sie ängstlich und neugierig zugleich die Menschen um sie herum. Djamyr konnte ihre Aufregung mit Händen greifen. Bryas hatte sie vorhin mit zu den Ställen nehmen wollen, doch sie hatte sich so voller Angst an Zajuma geklammert, dass er gebrummt hatte, sie solle zusammen mit dem Pferd in den Stall kommen.
Die Menschen in diesem Land waren blass, Haare und Haut hell, ihre Sprache war laut und hart, ihre Bewegungen oft plump und träge.
„Djamyr?“
Livlia war vor ihm aufgetaucht und er sah sie an. Etwas in diesem Mädchen schien ihm vertraut – oder vertrauenswürdig. Vorstellen konnte er sich nicht, dass sie den Mann in ihm sah und ihn als solchen wollte. Sie war anders als die Menschen um sie herum und sie hatte sein Leben gerettet, ihm die Hoffnung gegeben, in das Weite Land zurückzukehren. Ergeben neigte er den Kopf.
„Mein Vater gab mir die Erlaubnis, dich zu behalten…“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Na ja, du darfst bleiben. Ich habe ihm gesagt, dass du ab jetzt über mich wachst…“ Unsicher sah sie ihn an, sie wusste nicht, ob sie nicht zu weit gegangen war, doch er neigte erneut zustimmend den Kopf und lächelte leicht. „…und als Svjardvalster kämpfst. Du weißt, was das bedeutet?“
„Sie kämpfen um ihr Leben, wenn ihr Herr – oder ihre Herrin – es fordert“, sagte er. Kämpfen um seine Kräfte zu messen war gut, das tat seine Sippe auch, doch zur Belustigung fremder Männer um sein Leben zu kämpfen war Verschwendung von Kampfkraft und völlig sinnlos.
Livlia errötete, sie spürte seine Abneigung gegen diese Art des Kampfes. „Mein Vater liebt diese Kämpfe, wenn ich dich – behalten – darf, dann musst du kämpfen. – Das erste Mal in einer Woche. Vater will wissen, wie gut du wirklich bist.“ Wieso bereitete es ihr auf einmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie daran dachte, ihn in die Arena zu schicken?
„Du bekommst eine Unterkunft bei den Wachen, nicht im Haus der Svjardvalsten, da du in erster Linie mich schützen sollst.“ Wieder wartete sie, bis er genickt hatte. „Komm, ich zeige dir deine Unterkunft, den Stall, in dem du dein Pferd unterbringen kannst und die Arena.“
Die Unterkunft war ein kleines Zimmer mit einem schmalen Bett, einem Schrank und einem Stuhl. Es gab ein winziges Fenster, von dem aus man in den Hof sehen konnte. Noch nie hatte Djamyr in einem Zimmer geschlafen, noch nie in einem Bett. In Djistestera schliefen sie in Rundzelten auf dem Boden. Den Geruch des Landes und der Freiheit beständig in der Nase. Hier stank es nach Menschen, Tieren und ihren Abfällen. Doch er lebte und leben versprach die Möglichkeit der Rückkehr.
Emblia schlich die ganze Zeit hinter ihm her und erschrak jedes Mal, wenn Livlia sie anlächelte.
Da Djamyr nicht mehr hatte, als das, was er am Leibe trug, musste er nichts in dem Zimmer lassen, als sie weitergingen. Livlia führte sie eine enge Wendeltreppe mit ausgetretenen Stufen hinunter in die riesige Küche.
Eine kleine, dicke Frau in einem weißen Leinenkleid mit einem roten Überwurf stand neben einem langen, sehr dünnen Mann in dunkelbraunen Hosen und hellbraunem Hemd. Ihr Gesicht war freundlich und die Falten um ihre Augen sprachen von ihrer Lust am Lachen.
„Ereik, Annia, das ist Djamyr, meine persönliche Wache. Ich möchte, dass er etwas ordentliches zum Anziehen bekommt. Ereik, du zeigst ihm nachher das Badehaus. Ihr beide seid für sein Wohlbefinden verantwortlich.“ Von der Frau sah sie zum Mann. Beide senkten ergeben und zustimmend ihre Köpfe. Livlia nickte und drehte sich um. „Jetzt zeige ich euch den Stall.“
Bryas nahm sie vor dem Stall in Empfang. „Livlia, schön, dass Ihr selbst euch die Mühe macht den Fremden und sein Pferd…“, bei diesen Worten glitt sein Blick begehrlich über die Stute, „hierher zu geleiten.“
„Zajuma lässt sich von niemandem reiten, außer von mir. Ihr werdet nicht wagen, Hand an sie zu legen“, knurrte Djamyr. „Sie würde euch töten. – Emblia hat Zajuma schon im Sklavenlager versorgt, überlasst ihr die Sorge.“ Es war keine Bitte, es war ein Befehl und er sah, wie Livlia einen Moment überlegte, ihn in seine Schranken zu weisen, doch dann schwieg sie. Sie schien zu fühlen, dass es ihm um Zajuma ging, nicht darum Befehle zu erteilen.
„Du hast gehört, Bryas, niemand außer Djamyr oder Emblia fassen das Pferd an.“ Doch Livlia lächelte bei diesen Worten leicht, um ihnen die Schärfe zu nehmen. Immerhin war Bryas seit sie denken konnte der Wächter der Pferde. Ergeben nickte der Mann, nicht ohne einen verärgerten Blick auf den abgerissen aussehenden Fremden zu werfen, der sich erdreistete, ihm in seinem Stall Befehle zu erteilen.
Die Arena war größer, aus Stein erbaut und beeindruckender als die des Sakkio. Das Training war für den Tag beendet und der Sandboden leer. Als sie vor der Arena standen, kam ein großer, sehr hellhäutiger, völlig haarloser Mann mit dunklen Augen zu ihnen. Ehrerbietig verbeugte er sich vor Livlia und betrachtete Djamyr abschätzend. Emblia war bei Zajuma geblieben. Die Stute hatte das Mädchen akzeptiert und ließ sich von ihr beruhigen.
„Maknas, dies ist Djamyr. Ich habe ihn heute auf dem Sklavenmarkt gewonnen. Er wird meine persönliche Wache, doch Thordas wünscht ihn auch als Svjardvalsten in deiner Arena zu sehen. In einer Woche will er ihn kämpfen sehen“ , informierte ihn Livlia.
Die dunklen Augen wanderten über seinen Körper und Djamyr konnte sich vorstellen, wie er Größe und Gewicht einschätzte und ihn lächelnd als ungeeignet bewertete.
„Livlia, ich kenne Eure Leidenschaft für die Svjardvalsten, doch dieser Mann wird in der Arena nicht überleben. – Er besitzt nicht eine Eigenschaft, die die Kämpfer Eures Vaters so unbesiegbar machen. Er ist ein Grashüpfer zwischen meinen Kämpfern“. Die Stimme des Mannes war tief und rau, wie der Winterwind über den Ebenen.
„Maknas, ich habe ihn heute einen Mann besiegen sehen, der zwei Köpfe größer und mindestens doppelt so schwer war. Gib ihm morgenfrüh eine Chance. Wenn er versagt, dann musst du dich mit diesem “Grashüpfer“ nicht weiter abgeben.“ Mit diesen Worten streckte sie dem großen Mann die Hand hin. Nach einem weiteren Blick auf Djamyr, den er ohne Regung ertrug, schlug er ein.
„Seid aber nicht zu enttäuscht, wenn ich ihn nicht trainiere.“
Mit einem unergründlichen Lächeln verabschiedete sich Livlia von dem Mann und Djamyr folgte ihr.
„Dieser Mann ist so arrogant. Schon lange trainiert er die Svjardvalsten und noch nie hat er etwas in ihrem Training verändert. Sie sind sture Kämpfer, die sich nur auf ihre Größe und ihre Stärke verlassen. – Djamyr, erteil ihm morgen eine Lektion.“
„Wenn sie kämpfen wie Kattio…“, sagte er, dann blieb er stehen und sah sie an. „Ich muss Zajuma heute noch reiten. Seit – ich weiß nicht wie lange wir dort waren – ist sie nicht mehr gelaufen, richtig gelaufen. – Erteilst du mir die Erlaubnis?“
Die Worte kamen langsam, Djamyr musste sie suchen oder durch ihm bekannte, passende Worte ersetzten. Mit seiner rauen, singenden Stimme klangen sie fremd und anders.
„Wenn ich dir zusehen darf“, antwortete Livlia und er nickte.
Djamyr verzichtete auf den Sattel, er musste Zajuma spüren, ihre Kraft, ihren Lebenswillen. Sie sollte frei und ungehindert laufen. Nur das Zaumzeug legte er ihr an, spürte ihre Ungeduld, führte sie hinaus. Hinter den Ställen stieg er auf, Livlia und Emblia, die aus den Tiefen des Stalles bei ihnen aufgetaucht war, sahen ihn an. Er schenkte ihnen ein Lächeln, das aus dem Gefühl der Kraft und Freiheit geboren war.
Nach ein paar Schritten, außerhalb der gedrängten Gebäude, eine Wiese vor sich, ließ er ihr die Zügel und Zajuma gab sich dem Wind hin. Sie folgte ihm, jagte ihn, fing ihn und floh vor ihm. Djamyr, auf ihren Rücken geschmiegt, genoss diesen Moment der Freiheit. Wie lange würde es dauern, bis sie beide wieder frei wären? Würde der Moment jemals kommen? Würde er seine Heimat je wiedersehen? Seine Sippe? Das weite Land, mit dem ewigen Wind und seinem Lied von Freiheit?
Das Badehaus war eine Einrichtung dieser Menschen, mit der er sich durchaus anfreunden konnte. Ein Zuber voller warmen Wassers, Seife und Öle, die angenehm dufteten und die geschundene Haut pflegten. Ereik hatte ihm erzählt, dass dies der Teil des Badehauses für das Gesinde sei und wenig genutzt werde. Eine Seite sei für die Männer und eine für die Frauen. Die Herrschaft hatten hinter einer Tür, ihren Teil des Badehauses, in dem ihnen Diener zu Verfügung standen, sie zu waschen, zu ölen, ihre Haare zu entfernen – und was sie sonst noch wünschten, fügte er mit einem vielsagenden Lächeln hinzu.
Die einzigen Haare, die Djamyr dringend loswerden wollte, waren die Haare in seinem Gesicht. Er hasste diesen kratzenden Bart. Herrlich das Gefühl, diese endlich zu verlieren. Seine Haare kürzte er ein Stück und band sie ordentlich mit dem Lederband, das ihm Livlia gegeben hatte.
Ereik hatte ihm frische Wäsche gebracht und so fühlte sich Djamyr zum ersten Mal seit er in die Hände der Sklavenhändler gefallen war, wie ein menschliches Wesen.
So dankbar er Livlia dafür war, dass sie ihn gerettet hatte, so wenig wusste er, was sie von ihm erwartete. Er schuldete ihr ein Leben und er würde bleiben, bis er diese Schuld beglichen hatte oder bei dem Versuch gestorben war. – Sterben war vielleicht nicht so schwer in einem Land, das Kämpfer zum Spaß in einer Arena um ihr Leben kämpfen ließen…
Doch er hatte keine Wahl und dies hier war besser, als von Sakkio wie ein räudiger Hund zu Tode geprügelt zu werden. Hier hatte er immerhin eine Chance sein eigenes Leben zu verteidigen. Und wie sagte Resahym, der Schamane: ‚Nichts geschieht ohne Grund und wir müssen unser Bestes tun, diesen Grund zu erkennen und unserer Bestimmung zu folgen‘. Wenn seine Bestimmung in diesem Land lag, würde er sie annehmen und ihr folgen.
Der folgende Tag begann sonnig. Djamyr bändigte sein Haar mit dem Lederband und legte die ledernen Armschienen an. In den Kleidungsstücken, unter denen Ereik ihn am Abend hatte aussuchen lassen, hatte er ein schwarzes Hemd gefunden. Dazu eine schwarze Hose und die weichen Lederstiefel. Er legte alle Klingen an, wusste nicht genau, was heute in der Arena von ihm erwartet wurde.
Auf das Frühstück hatte er verzichtet, sollte er den Kampf überstehen, wäre es früh genug, etwas zu essen.
Livlia wartet auf ihn. Mit angezogenen Beinen saß sie vor seinem Zimmer auf dem Flur. Ihrer Mutter würde ein solches Verhalten bestimmt nicht gutheißen. Und überhaupt nicht würde ihr gefallen, dass sie hier war, statt brav im Nähzimmer zu sitzen, wie ihre Mutter es für die nächsten Tage als Strafe befohlen hatte. Nach diesem Kampf würde sie gehorchen, wenn sie wusste, dass Djamyr sich bei den Svjardvalsten bewährt hatte.
Ungeduldig sah sie ihn an, staunte dann über das rasierte Gesicht, das die bernsteinfarbenen Augen noch mehr betonte.
„Annia sagte, dass du heute noch nicht gegessen hast. Wir müssen bald in der Arena sein…“
„Ich esse erst hinterher. – Was erwartet mich? Ein Kampf wie gestern gegen Kattio? Geht es um mein Leben?“, erwiderte Djamyr.
„Nein, ein Übungskampf. Ich nehme an, Maknas wird Baddra, den Bären, gegen dich kämpfen lassen. Baddra ist einer der besten Svjardvalster, den er hat. Er ist nicht ganz so groß wie Kattio, doch viel schneller. Am liebsten kämpft er mit der Bukula und einer Kampfaxt“, erklärte Livlia, während sie neben Djamyr herlief.
„Bukula?“, fragte Djamyr.
„Acht Metallkugeln verbunden durch Lederschnüre. Der Kämpfer nimmt eine der Kugeln in die Hand, setzt die Bukula in kreisende Bewegungen und kann dann damit schlagen oder werfen. Beherrscht er – wie Baddra – die Technik des Werfens, wickelte die Bukula sich um die Beine, Arme oder den Hals eines unaufmerksamen Gegners“, erläuterte sie mit Worten und Gesten, während sie versuchte, mit Djamyr Schritt zu halten.
„Woran sehe ich, wenn er wirft?“
Livlia stockte kurz. „Seine Augen. Er zieht die Augenbrauen vorher ein wenig zusammen, wenn er sein Ziel ein letztes Mal anvisiert“, antwortete sie schließlich.
Djamyr nickte, sie hatten die Arena erreicht und Maknas nahm sie vor der Tür in Empfang. Abschätzend glitt sein Blick über Djamyr und ein Lächeln zeigte sich in seinen Mundwinkeln.
„Baddra wartet auf dich, Grashüpfer“, sagte er und Djamyr knurrte leise.
„Ihr kennt die Regel, Livlia, keine Frauen in der Arena“, sagte Maknas zu Livlia, die mit einer Grimasse nickte und auf die Tribüne ging.
„Bist du bereit für eine Niederlage, Grashüpfer?“, fragte Maknas ihn.
„Nenn mich nicht Grashüpfer“, knurrte Djamyr und folgte in die Arena.
Baddra war nicht so groß wie Kattio, aber mit seinen kurzen, stachligen Haaren, dem breiten Stiernacken und seinem massigen Körper voller Narben sah er mindestens genauso beeindruckend aus. Seine grauen Augen musterten Djamyr ausdruckslos.
„Dies ist ein Übungskampf. Stumpfe Waffen und beide Kämpfer überleben. – Baddra, der Grashüpfer gehört Livlia, lass ihn heile.“ Maknas lächelte über Djamyrs erneutes Knurren. „Deine Waffen kannst du hier lassen, du bekommst zwei Übungsschwerter. Baddra nimmt die Bukula und die Kampfaxt. – Einverstanden?“ Baddras nickte kurz, ebenso wie Djamyr. „Dann können die Spiele beginnen.“ Maknas öffnete das Tor zur Arena. Baddra betrat den sandigen Kampfboden vor ihm. Djamyr sammelte seinen Gedanken, seine Emotionen und seine Kraft, versuchte den Punkt in sich selber zu finden, der es ihm ermöglichte all seine Stärke zu beherrschen und einzusetzen. In diesem Kampf würde er alles brauchen, alle Kraft und Beherrschung, die er hatte.
Und das war nicht viel. In den Wochen ohne Training hatte er viel Kraft und Ausdauer verloren, genauso wie durch die mangelhafte Nahrung und die verkrampfte Haltung seines Körpers in dem engen Käfig. Würde er diesem Mann genug entgegenzusetzen haben? Er musste, es gab keine Alternative. Auch, wenn er in dieser Arena nicht sterben würde, ging es um sein Leben. Thordas würde es sich sicher überlegen, einen Mann zu behalten, den er nicht einmal in seine Arena schicken konnte.
Die Hälfte der Arena lag im Schatten und Baddra versuchte ihn so zu treiben, dass er geblendet würde. Die Sonne war jedoch nicht sein Problem. Baddra schlug im gleichbleibenden Takt mit der Kampfaxt kraftvoll zu, während über seinem Kopf die Bukula kreiste. Die Schläge waren zu machtvoll, um sie auf Dauer aufzuhalten, er musste ihnen ausweichen, ohne die Bukula und die Augen des großen Mannes aus dem Blick zu verlieren. Wieder einmal warf er sich herum, die halbmondförmige Axt sauste neben ihm in den Sand, der leise prasselnd gegen seine Hose spritzte.
Ihm fehlten Kraft und Ausdauer, um es lange mit dem Mann aufzunehmen. Leider war dieser Kämpfer nicht so dumm wie Kattio, sondern schien seine Taktik zu ahnen. Zweimal hätte ihn die Bukula fast eingefangen, als Baddra seine Manöver voraussah. Lange würde dieses Spiel nicht mehr dauern. Die Klinge sauste diagonal von oben auf ihn zu und nur ein Sprung nach hinten rettet ihn. Im selben Moment als er den Kopf hob, sah er, wie sich die Augenbrauen Baddras zusammenzogen, er hörte das Sirren der Bukula und riss die Klinge hoch. Die Lederschnüre wickelten sich getrieben von der Rotation der Kugeln um die Klinge. Mit einer fließenden Bewegung schleuderte er Schwert und Bukula so weit fort, dass sie nicht zu erreichen waren.
Die Kampfaxt sauste erneut auf ihn zu, viele Möglichkeiten hatte er nicht mehr: hinter ihm die Steinmauer, vor ihm der Bär, der wütend über den Verlust der Bukula noch vehementer mit der Axt durch die Luft pflügte, ihm keinen Spielraum mehr ließ, vorbeizukommen. Es gab nur noch einen Weg. Ohne weiter darüber nachzudenken, nutzte Djamyr den letzten Rest Platz und rutschte zwischen den baumlangen Beinen des Svjardvalsten hindurch. Blitzschnell sprang er hinter dem Mann vom Boden auf, fuhr herum und warf sich dem schwereren Baddra in den Rücken. Der Schwung reichte, um den Mann nach vorne zu werfen und ins Straucheln zu bringen. Er fiel nicht, doch er musste sich mit der freien Hand an der Wand abstützen. Djamyr nutzte die mangelnde Standfestigkeit seines Gegners und trat ihm in die Kniekehlen. Baddra knickten die Beine unter dem schweren Körper weg und er fiel auf die Knie. Schnell griff er in die kurzen Haare und riss den riesigen Kopf nach hinten. Bevor Baddra anfangen konnte sich zu wehren, legte er die Schwertklinge an den entblößten Hals des Mannes. Schweratmend sah er hinauf zu der Tribüne. Livlia lächelte ihm begeistert zu. Dicht hinter ihr saß ein junger Mann mit so hellen Haaren wie das Fell des Sappiovolje, des Sandfuchses.
Maknas war in die Arena gekommen und zu ihnen getreten. Mit einer leichten Verbeugung wandte er sich an Djamyr, der die Klinge von Baddras Hals nahm.
„Gut gekämpft, Grashüpfer“, sagte Maknas und lächelte angesichts Djamyrs grimmigen Gesichts. „Wenn du willst, kannst du mit den Svjardvalsten trainieren.“ Seine Hand, groß wie eine Pranke streckte er Djamyr entgegen. Einen Augenblick sah er den Mann nur an, dann nahm er die Hand. Wieder einen Kampf überstanden, dachte er, wie viele würden in diesem Land noch folgen?
„Das ist also der Steppenmann, wegen dem hier alle in heller Aufregung sind.“
Mit einem Aufschrei fiel Livlia ihrem Bruder um den Hals. „Jandris, wo kommst du her? Warum bist du da? Papa sagte, du würdest frühestens in einer Woche nach Hause kommen, wie schön, dass du es eher geschafft hast. – Ja, das ist Djamyr und gerade hat er gegen Baddra gewonnen.“
„Ich habe es gesehen, er kämpft ungewöhnlich“, sagte Jandris und betrachtete den zwischen Baddra und Maknas klein aussehenden Mann mit der dunkeln Haut und den schwarzen Haaren.
„Welche Chance hätte er gegen einen Mann wie Baddra sonst? Aber ich wusste, dass er das kann.“ Livlia strahlte ihn an. „Komm ich stell ihn dir vor.“ Und schon hüpfte sie die Stufen hinunter. Mit einem Lächeln folgte Jandris ihr. Drei Schwestern hatte er, doch mit Livlia verband ihn am meisten. Er liebte ihre wilde Art, sie ließ sich nicht einschüchtern, auch nicht von ihrem dominanten, strengen Vater. Immer setzte sie ihren Kopf durch, so wie mit diesem Steppenmann.
Livlia durfte als Frau die Arena nicht betreten, eine der wenigen Regeln, an die sie sich freiwillig hielt. Jandris vermutete, weil Maknas sie bei einem Verstoß ganz aus der Arena verbannen würde.
Von einem Fuß auf den anderen zappelnd wartete sie vor dem Tor, während er sie mit einem warmen Gefühl betrachtete. Was würde geschehen, wenn Thordas sie als Pfand für seine Geschäfte verheiraten würde? Ein Schicksal, das Eilliana, seiner ältesten Schwester, in zwei Menjad bevorstand. Thordas hatte sie mit Andris, dem Sohn eines reichen Kaufmannes aus Wignana, der den Seehandel mit den Bergvölkern der Kralionen über das östliche Meer beherrschte, verlobt. Fast ein Monopol, da es kaum Schiffe gab, die das raue Nordmeer überwinden konnten. Eilliana würde ihren Ehemann erst am Tage ihre Hochzeit treffen. – Und er wusste von seinem Vater, dass er auch für Millia schon einen geeigneten Ehemann gefunden hatte. Beide Frauen hatten sich, wie es sich für gute Töchter gehörte, mit diesem Schicksal abgefunden. Jandris bezweifelte jedoch, dass sich Livlia so einfach in dieses Los fügen würde.
Das Tor öffnete sich und lenkte Jandris von diesen Gedanken ab. Maknas ging vor Baddra, der wütend knurrte, dahinter folgte Djamyr und Jandris stockte der Atem. Der Mann war fast einen Kopf kleiner als er selber, seine Haare waren wirklich schwarz wie die Federn eines Raben, die kräftigen Arme, die unter dem Hemd zu sehen waren, waren mit schwarzen Mustern gezeichnet. Der Körper verjüngte sich von den breiten Schultern hinunter zu den schmalen Hüften, die in schlanken muskulösen Beinen endeten, welche in eng anliegenden Hosen steckten. Das wirklich atemberaubende waren jedoch die bernsteinfarbenen Augen, die ihn zu fixieren schienen. Noch nie hatte er Augen in dieser Farbe gesehen, den Augen eines Raubtieres gleich. Sie dominierten das schmale Gesicht, mit den geschwungen Augenbrauen und Lippen. Hohe Wangenknochen, gezeichnet mit einer geschwungenen Linie aus kleinen, schwarzen Tropfen. Der Mann stockte und ihre Blicke verfingen sich. Etwas geschah, doch Jandris konnte es nicht mit Worten fassen, er fühlte nur, es war etwas wichtiges, besonderes war.
Die Augen hatten die Farbe des Sees Oschijo, samtiges, tiefes Blau. Oschijo hieß Auge und genauso sah der See eingebettet zwischen den flachen Hügeln Canjemontes aus, wie das Auge eines Riesen.
Das Gesicht des Mannes vor ihm war voller grader Linien: grade Nase, ein grader Mund, mit leicht geschwungener Unterlippe, grade Augenbrauen über den Seen der Augen, klare Linien zeichneten das Gesicht, abgeschlossen durch die sandfarbenen Haare. Ein aufgerichteter Mann, schlanker Gestalt.
Djamyr wusste in dem Moment, in dem sich ihre Augen trafen, dass dieser Mann sein Schicksal war. Er wusste nicht, was das bedeuten würde, nur, dass ihre Wege verbunden waren und vor seinem Schicksal konnte man nicht fliehen.
„Jandris, das ist Djamyr“, sagte Livlia und zeigte auf ihn. „Djamyr, das ist mein Bruder Jandris.“
Beide Männer zögerten, ehe Jandris die Hand ausstreckte. Vorsichtig, als könnte sie ihn beißen, nahm Djamyr die Hand. Jandris wunderte sich etwas über sich selber, es war nicht üblich, einen Svjardvalsten die Hand zu geben. Sie standen im Haushalt kaum höher als die Haussklaven. Für Jandris war es jedoch richtig gewesen, auch wenn er nicht wusste warum. Ein wenig ängstigte ihn diese Gewissheit.
„Du brauchst einen Namen, Grashüpfer“, sagte Maknas und drehte sich zu Djamyr um. „Vielleicht sollten wir dich Vöxloppa, Grashüpfer, nennen.“ Er grinste ihn an und ignorierte Djamyrs Zorn.
„Ich habe einen Namen. Ich heiße Djamyr“, sagte er und starrte Maknas an, den dieser Blick überhaupt nicht beeindruckte.
„Jeder Svjardvalsten braucht einen Namen in der Arena“, sagte Maknas und sah Livlia an.
„Ich bin kein Svjardvalsten, ich schulde mein Leben Livlia und wenn sie es verlangt, kämpfe ich“, sagte Djamyr leise.
„Wenn du kämpfst, brauchst du in der Arena einen Namen“, beharrte Maknas.
„Dann suche ich einen Namen aus“, sagte Livlia plötzlich. „Stappvarg, Steppenwolf.“
Djamyr sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, Jandris lachte auf. „Ja, Schwesterchen, das passt.“ Er erntete einen zornigen Blick von Djamyr, einen Blick, der ihn mitten in sein Herz traf. Was für Augen, in ihrem Zorn schienen sie Blitze zu schleudern.
„Ja, Grashüpfer wäre zwar passender, aber Stappvarg geht auch“, lachte Maknas dröhnend, schlug Djamyr so stark auf die Schulter, dass er leicht zusammenzuckte. „Morgenfrüh bei Sonnenaufgang beginnt dein Training, Steppenwolf.“ Immer noch lachend ging Maknas weiter.
„Mein Bruder liebt Pferde, Djamyr, vielleicht könntest du ihm Zajuma zeigen, wenn du dich ein wenig frisch gemacht hast“, sagte Livlia zu Djamyr. Mit einem Nicken verschwand er.
„Ein komischer Grashüpfer“, sagte Jandris und sah der mit hochgerecktem Kopf fortschreitenden Gestalt nach.
„Hör auf, Jandris, er ist kein Grashüpfer! Er kann jeden von Vaters Svjardvalsten besiegen“, sagte Livia. „Immerhin ist Baddra Vaters bester Svjardvalster!“
„Na ja, vielleicht. – Aber ehrlich, Livlia, was willst du mit diesem Mann aus der Steppe? Du bist eine Frau, du kannst dir keinen Svjardvalsten halten.“
„Du klingst wie Vater. – Aber Djamyr ist kein Svjardvalsten, er ist meine persönliche Wache, er schuldet mir ein Leben.“ Livlia drehte sich zu Jandris um. „Hätte ich ihn sterben lassen sollen?“ Mit großen, blauen Augen sah sie ihn unschuldig an.
„Lass das, Livlia, dieser Blick zieht bei mir nicht. – Du hättest dich gar nicht alleine auf dem Sklavenmarkt umsehen dürfen, dann hättest du den Grashüpfer gar nicht gefunden. Mama hat dich mitgenommen, damit du lernst, Sklaven für den Haushalt zu kaufen, nicht damit du dir einen Kämpfer – oder eine persönliche Wache kaufst.“
„Ich habe ihn nicht gekauft, ich habe um ihn gewettet, er hat den entscheidenden Kampf gewonnen. – Jandris, ich dachte, du bist mein Freund und nicht wie unser Vater…“
„Ja, kleine Schwester, doch du weißt, dass wir als Kinder des Händlers Thordas nicht machen können, was wir wollen.“
„Ja, das weiß ich und ich werde Vater nicht blamieren, aber lass mir das bisschen Freiheit, dass ich habe. Und lass mir Djamyr“, flehend sah sie ihn an.
Mit einem Lächeln nahm er sie in den Arm. „Livlia, ich will, dass du glücklich bist und von mir aus kannst du Djamyr behalten. – Mach nur keine Dummheiten.“
„Niemals, Jandris, du kennst mich“, antwortete sie ernst.
Jandris sah sie an, sie erwiderte seinen Blick und beide begannen zu kichern, was sich schnell zu einem Lachen steigerte und bald mussten sie sich auf die Stufen der Treppen setzten.
Djamyr betrachte die Geschwister beim Näherkommen. Livlias Haare waren dunkler, ihre Augen heller, als die ihres Bruders. Die Münder und Nasen sahen sich ähnlich und wie sie beide dort saßen und lachten, konnten sie ihre Verwandtschaft nicht leugnen. Der junge Mann musste ungefähr so alt wie er sein, auch wenn er nicht genau wusste, wie alt das war. In der Sippe wurden die Sommer nicht genau gezählt. Geboren war er in einem langen Sommer, den der Djamnor besonders heiß beherrschte, ob das jedoch einundzwanzig oder dreiundzwanzig Sommer her war, wusste er nicht so genau.
Jetzt richteten sich die Augen der Geschwister auf ihn. Livlias offen und freundlich, Jandris zweifelnd und misstrauisch.
„Ich würde jetzt Zajuma bewegen, wenn du und dein Bruder mich begleiten wollt“, sagte er und schenkte Livlia ein Lächeln.
„Gerne“, antwortete sie und wandte sich an Jandris: „Du musst dir dieses Pferd ansehen, sie ist wunderschön.“
Jandris lächelte und nickte. „Gerne würde ich das Wunderpferdchen sehen.“
„Zajuma ist kein Pferdchen“, knurrte Djamyr ihn an. „Sie ist eine Freundin.“
Jandris sah Livlia an und hob fragend die Augenbraue. Livlia lächelte zurück und zuckte mit den Schultern.
Bevor sie die Weide erreichten, kam ihnen einer der Haussklaven entgegen, der Livlia mitteilte, dass ihre Mutter sie sofort zu sprechen wünsche.
„Oh, weh, jetzt muss ich in die Nähstube“, sagte sie und ließ den Kopf hängen, während sie dem Mann ergeben folgte.
Schweigend gingen Jandris und Djamyr weiter. An der Weide pfiff Djamyr und Zajuma kam auf sie zu gelaufen, bot ihnen den wunderschönen Anblick ihres kraftvollen Körpers mit ihren perfekten Bewegungen. Die schwarze Mähne flog, das seidige Fell glänzte in der Sonne. Kraft, Ausdauer und Schönheit. Djamyr sah, fühlte das Staunen des Mannes neben sich und es erfüllte ihn mit Stolz. Ein Nicken ihres Kopfes, ein fast zärtlich klingendes Schnauben, die Stute begrüßte ihn, ohne Jandris zu beachten.
„Sie ist wunderschön“, hauchte Jandris neben ihm. „Darf ich sie berühren?“
Djamyr sah ihn an, nahm seine Hand und hielt sie Zajuma hin, während er leise mit seiner singenden Stimme auf sie einsprach. Mit sanftem Pusten blies die Stute ihren warmen Atem über Jandris Haut, dann schnaubte sie mit einem Nicken.
„Du darfst sie streicheln“, sagte Djamyr und lächelte ihn an. Zum ersten Mal sah er den Mann lächeln und stellte fest, dass er jünger war, als es auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Bestimmt war er nicht viel älter als Jandris mit seinen einundzwanzig Jahren.
„Würdest du mit mir ausreiten? Ich würde sie gerne laufen sehen.“ Jandris sah in die bernsteinfarbenen Augen, noch nie hatte er Augen in dieser Farbe gesehen. – Oder eine Haut in diesem Rotbraun. – Oder schwarze Haare.
Das Lächeln wurde breiter und Djamyr nickte.
Jandris wusste, dass er ein guter, aber kein überragender Reiter war, zu viel seiner Zeit wurde von den Aufgaben seines Vaters beansprucht. Dabei liebte er Yuris, den Wallach mit der ungewöhnlichen Fellfarbe. Er war ein Schecke mit wilden schwarzen Flecken, einer schwarzen Mähne und schwarzen Schweif.
Als sie auf den Sattelplatz kamen, erschien sofort Emblia mit Djamyrs Sattel. Der Sattel war leicht und kleiner als die in Allragöst gebräuchlichen Sättel. Statt Steigbügel gab es Lederschlingen, in die die Füße geschoben wurden. Diese endeten höher, als die metallenen Steigbügel der einheimischen Sättel.
Bryas selber brachte Yuris und begrüßte Jandris überschwänglich, Djamyr etwas verwundert.
Bewundernd sah Djamyr den großen Wallach an, ging um ihn herum und strich über seine Beine, Fesseln, seine Flanken und streichelte die weiche Stelle zwischen seinen Nüstern. Leise redete er dabei in dem gleichen weichen Singsang auf das Pferd ein, dass er auch bei seiner Stute benutzte. Die gespitzten Ohren folgten seinem Weg und als er sich hinterher an Jandris wendete, stupste ihn Yuris von hinten leicht in den Rücken, als fordere er mehr Aufmerksamkeit.
„Er ist schön und bestimmt schnell, du reitest ihn jedoch nicht oft genug. Er braucht mehr Auslauf“, sagte er zu Jandris.
„Da ich oft abwesend bin und ihn nicht immer mitnehmen kann, wird er häufig von einem der Stallknechte geritten“, erklärte Jandris entschuldigend, obwohl er gar nicht wusste, warum er sich entschuldigen musste.
„Es sind Sklaven, die ihr von einem Sklavenhändler gekauft habt. Sie arbeiten hier, ohne Rechte zu besitzen. Was glaubst du, bedeutet ihnen dein Pferd?“ Die Bernsteinaugen sahen ihn herausfordernd an. „Sie reiten ihn, weil sie müssen, doch sie zerren an seinem weichen Maul, sie lassen ihn nicht laufen, weil er zu viel Kraft dabei entwickelt und sie nicht wissen, ob sie ihn halten können. Du solltest dein Pferd niemanden anderes reiten lassen.“
Schwungvoll stieg Djamyr auf Zajuma und wendete sich an Jandris. „Lass uns sehen, was dein Pferd kann.“
„Vergiss es, ich kann mich nicht mit dir messen. Du bist aus der Steppe, dem Land wo die Leute auf einem Pferd geboren und mit einem Pferd begraben werden. Ich reite nur, um von einem Ort zu einem anderen zu kommen. Gerne sehe ich zu, wie du dein Pferd beherrscht“, erwiderte Jandris lachend.
Das Gras in diesem Land war leuchtend grün, anders als das magere, blassgrüne Gras der Steppe. Es gab hohe Bäume, der Blick reichte nur bis zum nächsten Wald. Der Boden war weicher, federte stärker als die harte, trockene Steppe und in der Luft lag ein erdiger, feuchter Duft.
Schweigend ritten sie über einen Weg an den Koppeln vorbei. Immer wieder spürte Djamyr Jandris Blick auf sich, doch er sagte nichts. Endlich ließen sie die eingezäunten Koppeln hinter sich und Djamyr warf Jandris einen auffordernden Blick zu.
„Lass ihn laufen, er braucht das“, rief er und zu Zajuma gewandt: „Leschtjo corrjare, Zajuma.“ Mit dem Befehl schnell zu laufen gab er ihr die Zügel frei und die Stute fiel in Galopp, jagte pfeilschnell über die freie Wiese vor ihr. Djamyr schmiegte seine Körper an den Pferdleib, verschmolz fast mit ihm. Yuris schnaubte ungeduldig und Jandris zuckte mit den Achseln. „Na, los, Yuris, jag ihnen hinterher“, sagte er zu dem Pferd, das sofort Tempo aufnahm.
Sie hatten keine Chance und eigentlich wollte Jandris nicht mithalten, er wollte das Schauspiel beobachten, das Pferd und Reiter abgaben. Die schwarze Mähne wurde eins mit Djamyrs schwarzen Haaren. Und als die Stute wendete, fragte sich Jandris, ob sie einen Befehl von Djamyr erhalten hatte oder ob sie aus eigenem Antrieb die Richtung gewechselt hatte. Sie ritten einen Kreis um ihn und Yuris, den Jandris gezügelt hatte. Auch Zajuma wurde ein wenig langsamer und fiel neben ihm in leichten Trab.
„Auf was hört sie? Es sieht so leicht aus, wie du sie führst.“ Jandris sah in das leuchtende, lebendige Gesicht Djamyrs.
„Sie muss auf alles reagieren, meine Stimme, meine Beine, die Zügel. Wenn ich von ihrem Rücken aus jage, brauche ich meine Hände, dann muss ich mich darauf verlassen können, dass sie jedem Befehl von mir gehorcht. Und sei es nur ein Druck meiner Schenkel.“
„Wie jagt ihr?“, fragte Jandris.
„Mit Pfeil und Bogen.“ Djamyr trieb Zajuma wieder etwas an, stellte sich in den Steigbügeln auf. Lachend brachte er die Stute zum Umdrehen, ohne die Zügel zu benutzen. Jandris hatte Yuris zum Stehen gebracht und starrte ihn an.
„Und wenn die Beute erlegt ist, dann hebst du sie einfach vom Boden auf“, rief Djamyr und ließ sich im Galopp auf der rechten Seite Zajumas runterhängen und hob eine imaginäre Beute vom Boden auf. Wieder im Sattel hielt er neben Jandris, der ihn immer noch anstarrte.
„Der einzige Grund, warum dieser verdammte Sklavenhändler mein Pferd mitgeschleppt hat, ist der, dass Myram ihm gesagt hat, dass ein solch abgerichtetes Pferd einen hohen Wert hat. – Hat es, wenn man es reiten kann. Zajuma reitet keiner außer mir.“
„Das ist unglaublich, ich habe noch nie jemanden so reiten sehen wie dich.“ Mit fast ehrfürchtigem Staunen sah er ihn an.
„Das kann bei uns jedes Kind“, antwortete Djamyr wegwerfend. Vielleicht war es etwas übertrieben, doch er wollte nicht mit seinem Können angeben. – Obwohl es ihm gefiel, dass Jandris ihn bewundernd ansah.
„Kannst du das allen Pferden beibringen?“
„Ich weiß nicht, ich habe es noch nicht versucht. Dies ist erst mein zweites eigenes Pferd.“ Mit den Achseln zuckend sah Djamyr ihn an. „Es geht nur mit jungen Tieren, sie müssen von Anfang an die Befehle und die Art sie übermittelt zubekommen gewöhnt werden. Dein Wallach wäre zu alt dazu. – Aber… - Lass mich ihn reiten.“ Djamyr sprang von Zajuma und bestieg Yuris. Im Sattel beugte er sich weit vor und flüsterte in die Ohren des Pferdes, das gespannt zuzuhörend die spitzen Ohren nach hinten legte. Dann ließ er ihn laufen und Jandris musste bewundern, wie es Djamyr schaffte, auch mit Yuris wie eine Einheit zu wirken.
„Er ist gut und hat Potenzial. Du solltest dich besser um ihn kümmern“, sagte Djamyr, nachdem er abgestiegen war.
„Wie soll ich das machen? Mein Vater schickt mich häufig geschäftlich weg, wie soll ich die Zeit finden Yuris zu reiten?“ Dass er sich oft wünschte, weniger Zeit mit Geschäften und mehr Zeit mit Pferden – oder anderen Dingen – zu verbringen, sagte er nicht. Warum über etwas jammern, das sich nicht ändern ließ.
„Lass mich ihn reiten. – Ich meine, wenn du nichts dagegen hast, dann könnte ich ihn…“ War er zu weit gegangen? Er wusste nichts von den Regeln dieses Hauses, dieser Welt. Bisher waren Livlia und Jandris freundlich, freundschaftlich mit ihm umgegangen, doch seine Stellung war eine andere, erinnerte er sich selbst.
„Das würdest du tun? Das wäre – ich meine, ich würde es zu schätzen wissen, wenn du dich um Yuris kümmern würdest“, endete er etwas förmlich. Djamyr war kein Freund, er war Livlias persönliche Wache und ihr Svjardvalster. – Auch wenn er das manchmal vergaß. „Lass uns noch ein Stück reiten.“ Eigentlich wollte er nicht darüber nachdenken, dass er zu freundlich zu einem Mann war, den sein Vater ohne Gnade in der Arena sterben lassen würde, wenn er verlöre. Wie hasste er die Spiele der Svjardvalsten! Die Kämpfe auf Leben und Tod waren in seinen Augen unmenschlich. Gnadenlos töteten sie, wenn der Herr es befahl. Leider zwang sein Vater ihn regelmäßig, bei den Wettkämpfen anwesend zu sein, und Thordas war ein harter Besitzer der Svjardvalsten, verlor sein Kämpfer, starb er.
Es gab andere, wie den Stoffhändler Sondras, der seine Kämpfer leben ließ und sie zu seinen Wachen schickte, wenn sie als Svjardvalsten versagt hatten. Auf die Frage von Thordas warum er einen Verlierer leben ließe, antwortete Sondras, dass er zu viel Geld in diesen Mann gesteckt habe, um ihn so zu vergeuden. Doch auch über dieses, in Jandris Augen gute Argument, hatte sein Vater nur gelacht. „Die anderen kämpfen härter, wenn sie wissen, dass der Tod sie erwartet“, hatte er gesagt und Sondras auf die Schulter geklopft.
Die Pferde verlangsamten ihr Tempo und Jandris bemerkte, dass sie den Fluss Ormalv erreicht hatten, der durch das Land seines Vaters floss.
Das Anwesen seines Vaters lag nicht weit vor den Toren Skjajas und war das größte seiner Art. Das hohe dreistöckige Haupthaus aus dem groben, grauen Stein von dem Wachen erstreckten. Dem gegenüber lag das Badehaus. Das Karree des Hofes wurde durch das Gesindehaus abgeschlossen. Im Innenhof lag der Brunnen, von dem seit drei Jahren sowohl ein pumpenbetriebener Zulauf zu dem Badehaus und in die Küche führte, der das Schleppen der Wassereimer unnötig machte. In großen Kesseln wurde das Wasser im Badehaus über Feuerstellen erwärmt und direkt in die Badezuber gelassen.
Schräg hinter diesem Gebäudekarree lagen die Stallungen, der reiche Kaufmann besaß neben vielen Svjardvalsten viele Pferde, mit denen er zweimal im Jahr bei den großen Rennen in Skjaja und Troos sowie diversen kleinen privaten Rennen antrat. Hinter den Stallungen lagen die Koppeln und die Trainingsrennstrecke der Pferde. Dann, etwas abseits das Reich der Svjardvalsten. Und hinter all diesen Gebäuden erstreckte sich Thordas‘ Besitz bis weit hinter diesen Fluss. Zwei Tage konnte man reiten, ohne das Gebiet Thordas zu verlassen.
Jandris und Djamyr ließen sich von den Pferden gleiten, damit diese trinken konnten.
„Kannst du schwimmen?“ Jandris sah ihn herausfordernd an. Djamyr nickte. Beide begannen ihre Sachen abzulegen. Djamyr legte die Waffen unter seiner Kleidung dicht bei Zajuma ab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die Pferde hatten begonnen zu grasen. Dann folgte er Jandris in den Fluss. Das Wasser war kalt, viel kälter als das Wasser des Oschijo, doch es war klar und erfrischend. Sie schwammen um die Wette zu einem Felsen, der in der Mitte des Flusses aus dem Wasser ragte. Gegen Jandris konnte er nicht gewinnen, er war schon froh in diesem fließenden Gewässer nicht abzutreiben. Bereitwillig nahm er Jandris Hand und ließ sich hinaufhelfen. Wobei er vermied, den Körper vor sich anzusehen. Ausweichen konnte er jedoch nicht, Jandris männlichem Geruch. Die Menschen in diesem Land rochen anders, als die Menschen in der Steppe. Trotz des Badehauses gab es einen hohen Anteil an Menschen in diesem Haushalt, die offensichtlich nichts von den Annehmlichkeiten des Waschens wussten und ihre Mitmenschen mit ihrem Gestank belästigten. In seiner Sippe wäre ein dermaßen stinkendes Mitglied von der ganzen Sippe öffentlich gewaschen worden. Hier schien sich keiner an dem Gestank zu stören. Dabei war es nicht nur eine Belästigung der Nase, diese mangelnde Reinlichkeit führte auch zu mehr Ungeziefer und durch diese zu Krankheiten. Resahym hatte ihnen in seinem Unterricht alles dazu beigebracht, auch die Pflege der Zähne, denn ein Mann ohne Zähne konnte das Fleisch nicht mehr kauen und wurde von dem sterbenden Zähnen krank.
Jandris jedoch roch gut, herb und würzig zugleich. Djamyr wusste nicht, wie in diesem Land über das Zusammenliegen zweier Männer gedacht wurde. In seiner Sippe war das kein Problem, solange man ein nützliches Mitglied der Sippe war, seine Aufgaben erfüllte, war es egal, mit wem man das Lager teilte. Kurz wanderte sein Blick über Jandris, der neben ihm auf dem Felsen saß. Die Haut des Mannes war hell, mit feinen sandfarbenen Haaren bedeckt. Nicht der austrainierte Körper eines Kriegers, eher schlank und sehnig. Ein Mann, der trainierte, um sich verteidigen zu können. Den Blick auf die Körpermitte des anderen untersagte er sich, da er auch so schon spürte, wie sein Blut sich erhitzte. Er warf einen Blick in das Gesicht, das Jandris mit geschlossenen Augen in die Sonne streckte. Von graden Linien geprägt, sah die Haut samtig weich aus und das unerwünschte Bedürfnis, diese zarte Haut zu berühren, machte sich in ihm breit.
Lange war es her, dass er einen anderen Mann berührt hatte – und dass dieser ihn berührt hatte. Die Nacht vor seiner Entführung, bevor Myram ihn hinterrücks und ehrlos hatte verschleppen lassen. Seit einiger Zeit hatte er sein Lager mit Hymal geteilt, Hymal mit den geschickten Händen… Schnell unterband er diese Erinnerung, konzentrierte sich auf den Fluss zu seinen Füßen, auf die Kälte, die er ausstrahlte, versuchte, die Kälte über sein erhitztes Gemüt auszubreiten.
Noch einmal warf er Jandris einen Seitenblick zu und erschrak fast, als er dem Blau der Augen begegnete. Für einen Moment glaubte er, die Antwort auf seine Gedanken dort zu lesen, doch dann verschloss sich der Blick und Djamyr war sich nicht sicher, ob er sich es sich nicht nur eingebildet hatte. Wahrscheinlich teilte Jandris sein Lager nur mit Frauen, die Mehrzahl der Männer tat das und solange er nicht wusste, wie in diesem Land mit dieser Frage umgegangen wurde, würde er kaum riskieren, sein Leben wegen eines Versuches bei Jandris zu opfern. Vielleicht war das Zusammenliegen zweier Männer hier verboten und wurde mit Verbannung oder Tod bestraft. – Bestimmt war es sowieso verboten, wenn sich Sklaven der Herrschaft näherten, dachte Djamyr bitter. In den Sippen gab es zwar den Testajo, der für den Weg und die Sicherheit der Sippe verantwortlich war, doch alle Mitglieder der Sippe waren einander gleich. Keiner stand über dem anderen, keiner arbeitete für den anderen. Nur wenn alle ihre Pflichten erfüllten, ging es der Sippe gut. Hier ging es nur wenigen gut, während die anderen dafür arbeiten mussten.
Trotz des Gedankens, dass Jandris sein Lager nur mit Frauen teilte und er für einen Versuch bei diesem bestraft werden könnte, breitete sich die Hitze in ihm aus. Zu nah war der andere – der Mann, bei dem er spürte, dass er sein Schicksal war. Mit jeder Faser seines Körpers wusste er, dass ihn mit Jandris etwas verband, etwas sehr viel bedeutender war, als Begehren.
„Lass uns zurückschwimmen“, sagte er und sprang in die kalten Fluten, bevor Jandris vielleicht noch erkennen konnte, wie es um ihn stand.
Am liebsten hätte er den Körper mit den fremden, schönen Zeichen ausgiebig betrachtet, doch dann hätte er nicht verbergen können, wie ihn dieser Mann anzog. Djamyrs dunkle Haut, über die das Wasser perlend lief, die Muskeln, die sich darunter abzeichneten, die schwarzen Haare, die das schmale Gesicht einrahmten, die Bartschatten, die sich auf den Wangen zeigten, alles erregte ihn. Er wusste schon lange, dass auch Männer ihn ansprachen, doch das war ein schweres Vergehen, eine Sünde und für den Sohn des Händlers Thordas undenkbar. Der Tod war die Strafe und ein Schandmal würde die Familie und alle anderen ewig an diese Sünde im Hause erinnern. – Obwohl sein Vater sicher reich genug wäre, sich von dem Schandmal freizukaufen. Wenn sogar Graphias, der Pferdehändler, dies gekonnt hatte, nachdem sein Sohn in einer stinkenden Hafenkneipe mit einem Jüngling erwischt worden war. Sie hatten Miklias, den Sohn, an dem Schandpfahl sterben lassen, doch durch die Zahlung einer unglaublich hohen Summe hatte Graphias verhindert, dass sein Haus mit dem Schandmal gezeichnet wurde. Zwar wusste jeder von der Sünde, doch sie durfte nicht mehr öffentlich angesprochen werden.
Thordas konnte sich dies sicher auch leisten. Nur ärmere Leute trugen das Schandmal wirklich, verloren damit ihre Würde und einen Teil ihrer Bürgerrechte in Skjaja.
Jandris ließ sich ins Wasser gleiten, wollte nicht, dass jemand, am Ende noch Djamyr, seine Erregung sah. Das kalte Wasser wäre jetzt genau das richtige…
Fast hätte Jandris ihn noch eingeholt, der Mann war ein hervorragender Schwimmer. Lachend lief er an Land und ließ sich auf den Rücken fallen. Jandris legte sich neben ihn und holte die Luft. „Nicht schlecht für einen Stappvarg“, lachte er und Djamyr versuchte ihn wütend anzusehen, doch er fühlte sich wohl, zum ersten Mal, seit er verschleppt wurde.
„Sappiovolje“, antwortete Djamyr lachend und drehte sich zur Seite, bereute es aber gleich wieder, als er Jandris schlanken Körper sah. Kleine Tropfen glitzerten in den hellen Härchen, die Bauchmuskeln bewegten sich im Rhythmus der beschleunigten Atmung.
„Was heißt das?“, fragte Jandris und wandte sich zu ihm zu. Ihre Augen begegneten sich, hielten sich fest.
„Sandfuchs, deine Haare sind so hell wie das Fell des Sandfuchses, der am Canjemonte rund um den Oschijo lebt“, antwortete Djamyr – und das Blau deiner Augen ist so samtig wie das Blau des Sees, fügte er in Gedanken hinzu.
Jandris lächelte, zu mehr war er nicht in der Lage, fasziniert starrte er in die Bernsteinaugen. Er wollte die Hand ausstrecken und durch die schwarzen Haare fahren, fühlen, ob sie so weich waren, wie die lockigen Strähnen aussahen.
Mit einer geschmeidigen Bewegung stand Djamyr auf und ging zu seinen Kleidern, langsam folgte Jandris ihm.
„Wenn haben wir denn da?“ Die höhnische Stimme gehörte zu einem großen, rothaarigen Mann, der mit drei anderen Männern wenige Schritte von ihnen stand und sie abfällig betrachtete. „Kann das sein, dass wir hier den arroganten Sohn des reichen Thordas haben?“
Jandris stand neben seinen Kleidern und errötete, Djamyr konnte nicht sehen, ob vor Scham oder Wut. Er selber kniete neben seinen Kleidern. Die vier Männer konzentrierten sich auf Jandris, ihre Wut auf ihn war fast zu greifen. Langsam bewegte er sich, schob seine Hand unter die Kleider, dorthin, wo seine Waffen lagen. Zajuma war näher an ihn heran gerückt.
„Wie schön, dich wiederzusehen, du dreckiger, kleiner Feigling.“ Der Mann zog sein Schwert und bewegte sich auf Jandris zu.
„Was willst du, Hardras?“, fragte Jandris mit kalter Stimme.
„Rache, Jandris, Rache. – Und heute bekomme ich sie.“ Er lächelte dreckig, mit einem Nicken deutete er auf Djamyr. „Was für einen räudigen Hund führst du mit dir? Wo hast du ihn gefunden? Im Dreck hinter der Latrine?“
„Lass Djamyr aus dem Spiel. Er hat nichts damit zu tun, genauso wenig wie deine “Freunde“.“ Abfällig deutete er auf die drei Männer hinter Hardras, die ebenfalls ihre Waffen gezogen hatten und ihn stumpf anstarrten.
„Oh, ich weiß, wie gut du bist und ich denke nicht daran, eine neue Niederlage einzustecken.“ Hardras lachte auf. „Ich will keinen Kampf mit dir, sondern meine Rache und heute bekomme ich sie, auch wenn niemand davon erfahren wird, da es so aussehen wird, als seist du ein Opfer von Wegelagerern geworden.“
Vor einiger Zeit hatte er bei einem Zweikampf mit Jandris von diesem einen Schwerthieb einstecken müssen. Neben seinem Körper hatte dieser Treffer vor allem seinen Stolz verletzt, da mehrer andere Söhne einflussreicher Bürger Allragösts anwesend waren, sowie das Mädchen, dass sein Vater ihm auserkoren hatte. Diesmal würde Jandris keine Gelegenheit haben, sein Schwert zu ziehen. Er hob die Waffe, die bisher locker an seiner Seite gehangen hatte.
Jandris trat einen Schritt zurück, er kannte Hardras und wusste, dass dieser keine Ehre besaß. Er traute sich nicht, einen Blick auf Djamyr zu werfen, und hätte ihm doch gerne gesagt, dass es ihm leidtat, ihn in diese Lage gebracht zu haben…
„Bereite dich auf deine Reise nach Skratti Rykri vor“, sagte Hardras und hob sein Schwert.
Metall, das auf Metall schlug sandte einen singenden Ton aus. Hardras‘ Klinge wurde von den gekreuzten Schwertern Djamyrs aufgehalten. Seine schattengleiche Bewegung zwischen sie, überraschte sowohl Hardras als auch Jandris. Schwungvoll schlug er das Schwert zur Seite, stand mit gesenktem Kopf zwischen Jandris und seinem Angreifer. Jandris erwartete fast ein Knurren von ihm zu hören.
Hardras trat einen Schritt zurück und betrachtete den nackten, entschlossenen Mann vor sich.
„Halt dich raus, Fremdling, das geht dich nichts an“, sagte er beruhigend. „Wir lassen dich gehen, wenn du jetzt die Waffen niederlegst.“ Er warf einen bedeutsamen Blick auf seine Begleiter.
„Ich warne dich, basjo cordarjo, dreckiger Feigling, noch könnt ihr gehen“, sagte Djamyr leise, seine Augen fixierten den Mann. Unbehagen war einen Moment lang in Hardras Gesicht zu erkennen, mit einem Blick auf seine Begleiter, die abfällig grinsten, wurde er wieder sicherer.
„Was willst du dreckiger Bastard von mir? Meinst du so ein mickriger Hund wie du macht mir Angst?“, fragte er spöttisch.
„Ich habe dich gewarnt“, sagte Djamyr mit einem kalten Lächeln, dann griff er an. Schnörkellos und direkt, wissend, dass er zwar skrupellose Mörder, aber keine erfahrenen Kämpfer vor sich hatte.
Jandris starrte auf Djamyr, der wie ein dunkler Wirbelwind wirkte, als er die vier Männer angriff. Einen Moment war er nicht in der Lage, sich zu bewegen und sein eigenes Schwert zu greifen, um Djamyr zur Seite zu eilen. Aus seiner Erstarrung erwachend, sah er, dass Djamyr es schon zu Ende gebracht hatte.
Hardras lag mit einer tiefen Wunde in seinem Schwertarm auf dem Boden und schrie. So viel Glück hatten zwei seiner Begleiter nicht, Blut sprudelte aus ihren durchtrennten Kehlen, der dritte hatte seine Waffe weggeworfen und kniete mit erhobenen Händen vor Djamyr, der die blutigen Schwerter gesenkt hatte.
„Bitte, bitte, ich…“, flehte der Mann, die Augen weit aufgerissen, starrte er Djamyr wie den leibhaftigen Teufel an.
„Scapjare, basjo cordarjo“, flüsterte Djamyr und unterstrich seine Worte mit einer herrischen Bewegung. „Lauf weg, dreckiger Feigling!“ Vorsichtig erhob sich der Mann, gebannt seinen Blick auf Djamyr gerichtet, stolperte er rückwärts, drehte sich um und lief hakenschlagend weg.
Langsam drehte sich Djamyr um, Blut klebte überall auf seinem Körper, und ging zu Hardras, der seinen Arm umklammerte und ihn angsterfüllt ansah. Er hatte aufgehört zu schreien, doch sein Atem ging hektisch und stoßweise.
Djamyr ließ sich neben ihm auf die Knie und sah sich die Wunde an, dann schnitt er ein Stück Stoff aus dem Hemd des Mannes und band den Arm über der Wunde ab.
„Wenn du überleben willst, brauchst du einen Heiler, bastardjo“, sagte er zu ihm und stand auf. Erst jetzt wandte er sich Jandris zu, der ihn anstarrte.
Der intensive Blick verunsicherte ihn, was dachte Jandris von ihm? Sein Blick wanderte an seinem Körper herunter und sah das Blut darauf. Er musste abstoßend blutrünstig aussehen. Langsam ging er an Jandris vorbei zum Wasser.
„Das war unglaublich“, sagte Jandris und legte die Hand auf seine Schulter. „Du hast mein Leben gerettet“ Ein Lächeln breitete sich auf Jandris Gesicht aus. „Livlia hat recht, du kannst jeden Svjardvalsten besiegen.“
„In meiner Sippe war ich mitverantwortlich für die Jagd und die Sicherheit. Wir lernen zu kämpfen, zu töten, um unsere Sippe zu schützen“, sagte Djamyr, versank in dem Blau, das ihn so bewundernd ansah. Auf einmal erwachte die Lust in ihm, er wollte Leben spüren, jetzt sofort, hart und brutal. Was der Kampf nicht geschafft hatte, schaffte Jandris Berührung, sein Herz schlug schneller und seine Atmung wurde flacher. Sein Blut strömte in seine Körpermitte und er wünschte sich, seine Hand in Jandris Nacken zu legen und ihn zu küssen. Da er nicht wusste, wie lange er diesem Verlangen widerstehen konnte, streifte er schnell die Hand ab und ging hinunter zum Fluss und ohne Zögern hinein in das kalte Wasser, tauchte seinen erhitzten Körper unter.
Er hatte sie gefühlt, er hatte sie gesehen, die Erregung Djamyrs und sofort antwortete sein Körper, wollte diesen Mann berühren, anfassen, atmen. Es ging etwas animalisches von diesem blutgezeichneten Körper aus, das ihn erregte und ihm das Blut in die Körpermitte trieb.
Ein Stöhnen zwang ihn, seinen Blick Hardras zuzuwenden, der versuchte sich aufzusetzen. Der Schmerz hatte ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Mit fiebrigen Augen sah er Jandris an. „Wer ist der Teufel?“, fragte er heiser.
„Du lebst, trau dich, ihn zu fragen“, sagte Jandris und folgte Djamyr in das Wasser.
„Wir können ihn nicht hier liegen lassen“, sagte Jandris. Djamyrs hochgezogenen Augenbrauen schienen ihm zu widersprechen.
„Und wie nehmen wir ihn mit? Bestimmt nicht auf Zajuma“, sagte Djamyr mit einem angewiderten Blick auf Hardras.
„Wenn wir ihn liegen lassen, dann hättest du ihn auch gleich töten können“, bemerkte Jandris und half dem Verletzten auf Yuris‘ Rücken.
„Er wollte dich töten, gnadenlos abschlachten zusammen mit seinen drei Freunden, mich wundert, dass du Mitleid mit ihm haben kannst.“ Djamyr schwang sich auf Zajumas Rücken.
„Ich habe kein Mitleid, es gibt nur keinen Grund ihn zu töten“, antwortete Jandris und schwang sich hinter den stöhnenden Mann auf Yuris.
Djamyr zuckte mit den Achseln, sicher konnte er Jandris verstehen, doch es schien ihm merkwürdig, dass in der Arena auf Handzeichen ein Mann getötet wurde, sich hier aber Jandris Gedanken über einen skrupellosen Meuchelmörder machte.
Die Svjardvalsten betrachteten ihn in einer Mischung aus Neugier und Verachtung. Alle elf Männer überragten ihn mindestens um einen halben Kopf und waren kräftiger, muskulöser und von ihrer Überlegenheit überzeugt. Einzig Baddra sah ihn mit ein wenig mehr Respekt an. Es war ihm egal, er wollte mit diesen Männern keine Freundschaft schließen, aber er musste trainieren und ihr Training war hart, auf Kraft und Ausdauer ausgelegt. Am Ende des Tages ließ Maknas ihn gegen Tyrau antreten, einen großen, am ganzen Körper dunkel behaarten Svjardvalsten, er ihn lächelnd betrachtete.
„Komm, Sandfloh, zeig mir, wie weit du springen kannst“, höhnte er und ging mit der Bukula auf ihn los. In der anderen Hand trug er ein gebogenes Kurzschwert. Seine Bewegungen waren kurz und schnörkellos, zielten nur darauf ab, den Gegner zu verletzten, zu töten. Der Kampf forderte seine volle Aufmerksamkeit und ein unkonzentrierter Moment brachte ihm einen Schlag mit der Bukula ein. Die Metallkugeln hinterließen mehrere schmerzhaften Stellen auf seinem Oberarm. Es gelang ihm zweimal dem Schlag der Bukula auszuweichen, doch er kriegte sie nicht zu fassen, da Tyrau ihn mit brutalen Schwerthieben fernhielt. Die kurzen, harten Schläge waren so unerbittlich, dass Djamyr sie nur schwer mit den Zwillingsschwertern aufhalten konnte. Wieder blieb ihm nur zurückzuweichen, sich eine Technik suchend, die gegen den Koloss Erfolg haben konnte, die ihm den Sieg bringen konnte. Wenn er eine Verwundung akzeptieren würde, könnte er gewinnen. Noch zwei Schläge lang beobachtete er Tyrau, versuchte, sich auf die Schläge einzustellen, und gab sich unaufmerksam. Der seitlich ausgeführte Schlag der Bukula traf ihn schmerzhaft auf der Brust, er ließ das rechte Schwert fallen, hielt die Kugeln fest, drehte sich mit der Kraft des Schlages auf den Koloss zu. Tyrau holte zu einem weiteren Hieb aus und Djamyr fing das Kurzschwert mit seiner Klinge ab. Er konnte es nicht ganz aufhalten, nur ablenken. Die Schwertschneide glitt aus dem Bereich seines Körpers, seines Herzens, auf das Tyrau gezielt hatte, traf schmerzhaft sein Oberschenkel, während seine Schwertspitze kurz vor der Kehle des Svjardvalsten stoppte.
„Auseinander“, knurrte Maknas und löste die Klinge von Tyraus Hals. „Du bist verrückt, Grashüpfer, wenn Tyraus Klinge scharf gewesen wäre, hätte sie dir den Oberschenkel aufgeschlitzt.“
„Einen Schnitt an der Außenseite. Nicht tödlich, doch er wäre tot gewesen.“ Djamyrs Stimme klang so kalt wie seine Augen funkelten. „Wer gewinnen will, muss das Risiko abwägen.“ Die Übungsschwerter legte er zurück auf den Waffentisch. „Wenn ich um Leben und Tod kämpfe, geht es nicht um Schönheit, dann zählt nur mein Überleben!“
„Es geht darum, den reichen Herren einen guten Kampf zu liefern, damit er seinen Daumen nicht senkt, wenn du unterliegst – und keiner gewinnt immer, Grashüpfer“, sagte Maknas, betrachtete den Zorn, den er in den verkrampften Schultern des Mannes sehen konnte.
„Wie oft lässt Thordas einen Verlierer überleben?“
Stille trat in der Arena ein, die gerade noch die Gespräche der Svjardvalsten, der Helfer und Zuschauer gefüllt hatte.
Djamyr sah einen nach dem anderen der Kämpfer an. Ihre behaarten, gezeichneten oder völlig haarlosen von Wunden übersäten Körper, ihre Augen, die sich auf ihn gerichtet hatten. „Keinen, habe ich recht? Thordas lässt keinen Verlierer die Arena verlassen.“ Seine Stimme senkte sich, wie sein Kopf. Jeder Kampf würde über sein Leben entscheiden, egal, wie gut er war, ein einziger Fehler würde seinen Tod bedeuten.
„Thordas entscheidet nicht über dein Leben, Djamyr“, Livlias Stimme kam von der Tribüne. „Ich habe dich gewonnen, du bist mein Kämpfer. Ich alleine habe das Recht über dein Leben zu entscheiden.“
Machte das einen Unterschied, fragte er sich, doch er neigte den Kopf vor ihr. Würde sie widersprechen, wenn ihr Vater seinen Tod für eine Niederlage forderte? Vielleicht würde sie versuchen, sich zu widersetzen, doch letztlich war sie eine Frau – und Frauen durften in diesem Land sicher keine Kämpfer besitzen.
Dann durchfuhr ihn ein anderer Gedanke, würde sie verlangen, dass er einen besiegten Mann tötete? – Nein, der Herr dieses Kämpfers würde es verlangen – und er musste es erfüllen! Übelkeit stieg in ihm auf, einen Mann im Kampf zu töten war eins, ihn nach seiner Niederlage wehrlos wie eine Ziege zu schlachten, war etwas ganz anderes. Er würde es nicht können. – Und dann?
Nachdenklich trat er aus der Arena, wo Livia ihn schon erwartete. „Du warst unglaublich. Ich wusste es! Ich wusste es!“ Hüpfend umrundete sie ihn, dann stand sie still und ihre hellblauen Augen sahen ihn an. „Danke, Djamyr, danke für Jandris Leben. – Ich habe mit ihm gesprochen und wir sind uns einig, dass du deine Schuld erfüllt hast.“
Die Worte kamen nur langsam bei ihm an und es dauerte, bis er ihren Sinn begriff, dann wollte sein Herz zerspringen. Schnell jedoch hatte ihn die Realität wieder, Jandris Leben war nicht Livlias Leben und konnte ihn nicht von seiner Schuld befreien, darum schüttelte er den Kopf. „Das ist ein großzügiges Angebot, Livlia, doch ich schulde dir ein Leben, nicht deinem Bruder. – Außerdem ist nicht sicher, was ohne mein Eingreifen geschehen wäre. Vielleicht hätte dein Bruder Hardras alleine besiegt. Die drei anderen waren eh nur cordarjos, Feiglinge. – Nein, meine Schuld ist nicht beglichen“, sagte er und schüttelte den Kopf.
„Und wenn ich sage, sie sei beglichen? Wenn mir das Leben meines Bruders so viel bedeutet, wie meins?“ Livlia stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn finster an.
„Nein, du kannst über meine Schuld nicht entscheiden!“
„Wenn du in meiner Schuld stehst, dann steht Jandris in deiner. Muss er nicht jetzt jeden Kampf neben dir stehen und dich beschützen?“, fragte Livlia.
„Nein, wie ich dir gerade schon sagte, ist es nicht sicher, was ohne mein Eingreifen geschehen wäre. Ich habe ja nicht die Klinge von seiner Brust gestoßen. Jandris schuldet mir nichts.“
„Hm, wenn er das genauso sieht…“ Auf einmal kippte Livlias Stimmung und sie grinste. „Ich darf morgen mit Jandris zu den Lagerhäusern unseres Vaters reiten und du musst mich begleiten! Immerhin musst du über mein Leben wachen und die Gegend um den Hafen gilt nicht gerade als sicher. Dort gibt es Hurenhäuser, Diebesbanden und der Pranger steht dort. – Wenn wir Glück haben, steht morgen jemand an dem Pranger…“
In ihren Worten steckte unschuldige Freude, doch diese aus der Tatsache zu gewinnen, dass ein anderer Mensch am Pranger stand, ließ ihn erschauern. Auch im Lager von Sakkio gab es einen Pranger, er war für Wachen, die ihre Aufgabe schlecht erfüllten und Sklaven, die den Befehlen des Herren nicht nachkamen. Zweimal hatten Wachen an dem Pranger gestanden, weil es ihm fast gelungen war auszubrechen. Ihn selbst hatte Sakkio nicht gewagt an den Pranger zu stellen, da er fürchtete, ihm könnte von dem Pfahl in der Erde die Flucht gelingen.
„Warum hoffst du, einen anderen Menschen wehrlos an diesen Ort der Schande gefesselt zu sehen?“, fragte er.
„Gefesselt? – Das kommt darauf an, was er verbrochen hat. Manchmal schlagen sie auch sein Ohr an den Pranger oder seine Hand.“ Ein Lächeln, das ihm Angst machte, zeigte sich auf Livlias Gesicht.
„Und worin besteht die Freude, dies zu sehen?“
„Gibt es das bei euch nicht?“
„Nein, eine Schuld wird durch eine Strafe beglichen, dann ist es vorbei. Danach muss die Sippe mit dem Vergehen abgeschlossen haben. Häme und Scham sind nicht dazu geeignet, die Schuld zu sühnen. Sie kränken den Stolz, fordern heraus zur Rache. – Die einzigen Ausnahmen sind der Verrat an der Sippe oder der Missbrauch Schwächerer, hier muss der Schuldige die Sippe verlassen. Vorher wird er durch eine Gasse getrieben, die die ganze Sippe bildet. Er darf geschlagen und bespuckt werden, dann wird er alleine, ohne Pferd und Waffen, der Steppe überlassen. – Und bevor du fragst, es kommt einem Todesurteil gleich.“ Djamyr sah sie an. „Doch in meinem ganzen Leben habe ich nur einmal erlebt, dass diese Strafe ausgesprochen wurde. Ein Mann hatte sich an einem Mädchen vergangen, dass noch nicht geblutet hatte, damit noch nicht reif war.“
„Und wenn sie schon geblutet hätte, dann wäre es egal gewesen?“, fragte ihn Livlia nun ihrerseits empört.
Djamyr lachte leise. „Nein, dann hätte das Mädchen selber entscheiden dürfen.“
Nachdenklich sah Livlia ihn an. „Euer Leben scheint sich ziemlich von unserem zu unterscheiden!“
„Ja, das kann man wohl sagen“, bestätigte Djamyr nickend.
„Jandris wollte dir gestern noch danken, doch er sagte, nachdem er Hardras zu Noamis gebracht hatte, warst du verschwunden.“ Livlia sah ihn fragend an.
„Ich habe Zajuma in den Stall gebracht und bin schlafen gegangen. Das Training beginnt mit Sonnenaufgang“, erklärte Djamyr. Dass er es für besser gehalten hatte, Jandris nicht mehr zu sehen, da er sich nicht sicher war, wie er sich dem anderen gegenüber verhalten sollte, behielt er für sich. Immer wieder musste er darüber nachdenken, warum er dieses intensive Gefühl hatte, ihre Schicksale seien miteinanderverwoben. Was bedeutete dies? Und was bedeutete das hier in diesem Land?
Am Abend hatte er sich mit Mattio, einem der Pferdeknechte, unterhalten. Mattio hatte ihm gesagt, dass in Allragöst das Zusammenliegen zweier Männer mit dem Tod bestraft wurde. Darauf waren sie gekommen, weil er sich gewundert hatte, dass die Svjardvalsten fast wie Gefangene in dem Schlafhaus gehalten wurden. Nach Sonnenuntergang wurde das Tor geschlossen und Wachen nahmen davor Aufstellung.
Mattio hatte ihm erklärt, dass Maknas einmal im Monat Frauen für die Svjardvalsten kommen ließ, die die ganze Nacht in dem Schlafhaus blieben. Er wusste aber, dass dies einigen der Männer nicht reichte und sie sich anders vergnügten. Jeder wusste das, doch würde man darüber laut reden, müssten alle Svjardvalsten des Hauses mit dem Tod rechnen.
„Manchen Abend, nach den Kämpfen, treiben sie es wie die Tiere. Wenn du dich an das Schlafhaus heranschleichst, dann kannst du sie hören – und sehen“, sagte Mattio und grinste anzüglich. „Ich habe gesehen, dass Tyraus Körper noch voller Blut von seinem letzten Gegner war und er mit wilder Brutalität Nauros gefickt hat. – Einfach wie die Tiere, ekelhaft.“
Djamyr sah ihn an und schwieg. Er spürte, die Faszination, die den Jungen angezogen hatte und die im Widerspruch zu dem Ekel vor der Szene stand, den er empfinden gelernt hatte. Mattio hatte der Anblick erregt und er schämte sich dafür, versuchte es vor ihm zu überspielen.
Dem Töten folgt oft die Lust, er hätte ihm das erklären können. Beide Leidenschaften waren miteinander verwandt und oft kam die eine mit der anderen. Das Leben nehmen weckte das Bedürfnis, das Leben zu spüren, animalisch und zügellos. Erst gestern hatte er es gespürt, dieses Verlangen sich lebendig zu fühlen in dem man liebte…
„Du hast Jandris beeindruckt. Sowohl auf Zajuma als auch mit dem Schwert. Seit gestern glaubt er, dass du jeden Svjardvalsten schlagen kannst.“ Livlia riss ihn aus den Gedanken. „Mal sehen, was Thordas zu dir sagt.“
Was für ein Mann mochte Thordas sein, der sich ein Haus voller Kämpfer um ihr Leben hielt; der so reich war, dass er sich dieses Haus leisten konnte; der jeden Svjardvalsten, der verlor, töten ließ. – Gab es überhaupt eine Möglichkeit in Thordas Dienst als Kämpfer zu überleben? Irgendwann verlor jeder einen Kampf…
„Heute ist Jandris mit Vater bei der Versammlung der Händler. So etwas Langweiliges, sie reden, reden, reden immer nur. – Bald ist das Fest des Soelstyn, der Sonnenwende, dann feiern sie auch mal. Am Soelstyn finden die großen Svjardvalsten-Spiele statt, die Versammlung der Händler richtet das Fest und die Spiele aus. Die Feierlichkeiten gehen eine ganze Woche und am letzten Tag treten die beiden besten Svjardvalsten gegeneinander an. Die ganze Woche sind es unblutige Kämpfe, na ja, Kämpfe bei denen keiner stirb, darum dürfe auch die Frauen und Kinder zusehen, außer an diesem letzten Tag, der letzte Kampf ist ein Kampf auf Leben oder Tod.“
„Zum Höhepunkt der Feierlichkeiten stirbt ein Mensch, was für ein Fest!“ Sarkastisch lächelte Djamyr sie an.
„Es…“, doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Bisher hatte sie sich immer auf die Soelstyn gefreut, sie bewunderte die Svjardvalsten und ihre Kämpfe. Auch wenn sie noch nie einen Mann hatte in der Arena sterben sehen…
Djamyrs Worte trafen sie und brachten sie zum Nachdenken.
„Es wird Zeit, die Pferde brauchen Auslauf“, Djamyr drehte sich um und ging in Richtung der Stallungen davon.
„Was wenn er kämpft und in die letzte Arena muss? Bei dem letzten Kampf gibt es keine Entscheidung, nur Leben oder Tod. – Er darf gar nicht erst bei den Spielen antreten!“ Livlia ging neben Jandris durch die Halle. Aufgeregt redete sie auf ihn ein. „Wenn Vater ihn nächste Woche kämpfen sieht, wird er erwarten, dass ich ihn zu den Spielen schicke – und dann wird er gewinnen…“
„Dann lass ihn nicht kämpfen, denk dir was aus. – Oder lass ihn kämpfen und irgendwann verletzt er sich zu stark, um weitere Kämpfe zu bestreiten“, schlug Jandris vor.
„Ich soll Djamyr vorschlagen, so zu tun, als habe er eine Verletzung, die er nicht hat? Meinst du er würde das tun?“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Dann muss dir etwas anderes einfallen. Ich gebe dir recht, du kannst ihn nicht in die letzte Arena schicken. Wir wissen beiden, dass Farfax, wie jedes Jahr, in den letzten Kampf kommt. Und egal, wie gut dein Steppenwolf ist, Farfax ist er nicht gewachsen!“ Jandris blieb stehen und sah sie an. „Vielleicht solltest du ihn gar nicht mehr kämpfen lassen. Er ist nicht wie die anderen Svjardvalsten, er ist anders, als jeder Mensch, den ich kenne. Es kommt mir vor wie Frevel, ihn in die Arena zu schicken.“
„Hör auf mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich werde mir etwas einfallen lassen.“ Livlia zog ihn weiter. „Heute will ich den Ausflug genießen.“
„Du benimmst dich ausnahmsweise einmal, kleine Schwester, der Hafen ist kein Platz für junge Frauen. Du darfst dir die Stoffe ansehen und dann gehen wir wieder nach Hause“, sagte Jandris und sah sie ernst an. Obwohl sie lächelnd nickte und ja sagte, glaubte er ihr kein Wort. Viel zu gierig war sie auf jeden Ausflug.
An den Stallungen erwartete Djamyr sie schon mit den gesattelten Pferden. Am Stadttor würden sie die Pferde den Wachen überlassen und sich zu Fuß durch die engen Straßen bewegen. Pferde waren innerhalb der Stadtmauern von Skjaja nicht erlaubt. Waren wurden mit Handkarren befördert. Die Stadt war alt und planlos gewachsen, viel zu viele Menschen wohnten in dem Gebiet, dessen Grenzen durch die geographischen Gegebenheiten festgelegt waren. Auf der einen Seite begrenzte sie das Nordmeer, auf einer die nicht hohen, aber steilen Felsen des Oelkruzvaeg auf der anderen Seite der tückischen Fluss Morhasflodd, hinter dem das Sumpfgebiet begann. Alle Versuche, dort zu siedeln, die Stadt auszuweiten waren bisher gescheitert. Zu sumpfig und beweglich war der Untergrund.
Irgendwann musste der Rat der Stadt Pferde im Stadtinneren verbieten, um die Menschen nicht zu gefährden. – Manche sagten, um die Pferde nicht zu gefährden.
Thordas‘ Lagerhallen befanden am östlichen Hafen. Große Hallen, die mit den verschiedensten Gütern gefüllt waren. Ihr Weg führte sie vorbei an dem Richtplatz, unterhalb der Felsenwand, auf dem auch der Pranger stand.
An diesem Tage bauten die Wachen neben dem Pranger einen zweiten, viel dünneren Pfahl auf, der von einem schmalen, hölzernen Laufsteg umgeben wurde. Als Livlia diesen sah, bedeckte sie mit einem Aufschrei ihren Mund. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf den oben angespitzten Pfahl.
„Was ist das?“, fragte Djamyr hinter ihnen.
„Der Schandpfahl“, flüsterte Livlia und konnte ihre Augen nicht davon nehmen.
„Wenn ich deine Reaktion richtig verstehe, dann ist der Schandpfahl nicht das Gleiche wie der Pranger. Während der Pranger dich amüsierte, macht der Schandpfahl dir Angst“, sagte Djamyr und betrachtete Livlia mit seinen Bernsteinaugen.
„An dem Schandpfahl stirbt man“, antwortete Jandris für sie.
„Nein, nicht “man“, sondern Horek“, flüstert Livlia. Mit großen Augen sah sie ihren Bruder an. „Jandris, Horek wird morgenfrüh hier sterben.“
„Wer ist Horek und warum stirbt er?“, fragte Djamyr, starrte dabei den Schandpfahl an.
„Er war ein Pferdeknecht bei uns, bis…“ Livlia sah ihn an und kämpfte gegen die Tränen. „Bis sie… ihn…“, stotterte sie weiter. „Vor drei Wochen haben sie ihn zum Tod verurteilt.“
„Wie stirbt Horek am Schandpfahl?“, fragte Djamyr und wandte sich diesmal an Jandris.
„Der – Verurteilte wird – gepfählt.“ Jandris war blass geworden.
Djamyr sah ihn ungläubig an. „Du meinst, sie treiben diesen Pfahl durch den Körper dieses Mannes?“
„Von unten nach oben“, bestätigte Jandris.
„Was hat er getan?“, fragte Djamyr und seine Augen funkelten.
„Er… hat… Mattio… hat gesagt…“, wieder stotterte Livlia.
Jandris suchte den Bernsteinblick. „Er soll Unzucht getrieben haben.“
„Und das heißt?“
„Er soll mit Männern…“ Und noch immer hielt der blaue Blick den bernsteinfarbenen fest.
Die Augen funkelten kalt, wie die Augen eines Raubtieres. „Streja omijid“, flüsterte Djamyr. „Verdammte Mörder.“
„Nicht ich habe den Mann verurteilt“, sagte Jandris, konnte seine Augen nicht von dem Mann vor sich lösen.
„Nein, aber deine Leute, dein Volk“, antwortete Djamyr und für einen Augenblick schlich sich der Schatten der Trauer in seine Augen. „Wann wird das Urteil vollstreckt?“
„Morgenfrüh, bei Sonnenaufgang.“ Jandris riss seinen Blick los und drehte sich um. „Jetzt sollten wir weitergehen, du wolltest dir doch die Stoffe ansehen.“ Sanft fasste er Livlia am Arm und führte sie weiter. Djamyr folgte ihn mit verschlossenem Gesicht.
Abends lag er auf dem immer noch ungewohnten Bett und starrte auf das winzige Fenster. Was für ein Land! Was für Menschen! Das Schicksal des Mannes ging ihm nicht aus dem Kopf – und Jandris. Viel zu oft kreisten seine Gedanken um den jungen Mann, seine blauen Augen, seine schlanken Hände…
Es gab also noch eine Art, wie er in diesem Land sterben konnte: aufgespießt auf dem Schandpfahl.
Der Schlaf floh ihn und seine Gedanken jagten sich durch seinen Kopf. Djamyr stand auf und ging hinunter in die Stallungen. Geräuschlos, um die Pferde nicht zu erschrecken, ging er im Schatten zwischen den Boxen entlang, hörte hier und da ein leises Schnauben oder das Scharren von Hufen über den strohbedeckten Boden. Kurz bevor er Zajumas Box erreichte, hörte er Flüstern. Leise schlich er weiter, in Yuris Box stand Jandris, sprach leise auf den Hengst ein, während er ihn streichelte.
Als der Wallach ihn witterte, schnaubte er und Jandris hob den Kopf. Djamyr trat aus dem Schatten an die Box.
„Was tust du hier?“, fragte Jandris, offensichtlich verärgert darüber, dass Djamyr ihn hier überrascht hatte.
„Ich denke, dasselbe wie du“, antwortete Djamyr und sah ihn weiter an.
„Ich…“ Jandris seufzte. „Ich konnte nicht schlafen und wollte hier…“ Sein Blick senkte sich auf Yuris.
„…deinen Frieden finden“, vollendete Djamyr und nickte. Er betrat die Box, ließ Yuris an seiner Hand riechen, bevor er über die weiche Haut an den Nüstern des Pferdes strich. „Wie findet man in diesem Land Frieden? In einem Land, in dem es so viele Möglichkeiten zu sterben gibt?“
„Für dich muss es so aussehen, als wäre dies ein Land voller Tod und Gewalt.“ Jandris sah ihn über den Widerrist des Pferdes hinweg an.
„Bisher habe ich nur Gewalt und Tod gesehen“, antwortete Djamyr. „Außer der Ritt mit dir…“
„Auch der endete in Gewalt und Tod“, sagte Jandris bitter. „Wenn ich könnte, würde ich dich gehen lassen.“ Spontan legte er seine Hand auf Djamyrs. „Du gehörst nicht hierher…“
Von der Hand breitete sich Wärme aus, kroch durch seinen Körper. „Kein Mensch gehört hierher“, erwiderte Djamyr. „Hat Mattio Horek verraten?“
„Ja.“ Nach einer Pause schluckte er schwer. „Ich muss meinen Vater morgen zum Richtplatz begleiten. Thordas ist einer der elf Richter und hat Horek verurteilt. – Ich weiß nicht, ob ich es ertrage.“ Selbst in dem schattenreichen Dunkel, das sie umgab, konnte Djamyr Jandris‘ Gesichtsausdruck erkennen. Sanft schob er sich an Yuris vorbei.
„Ich werde dich begleiten“, sagte er.
„Nein! Du musst dir das nicht antun – und du bist nicht meine Leibwache, sondern Livlias.“ Jandris sah ihn die Augen, deren ungewöhnliche Farbe er nur erahnen konnte.
„Ich werde dich begleiten“, wiederholte er stur. „Livlia wird nichts dagegen haben.“
„Nein, wahrscheinlich nicht, aber wie soll ich es Thordas erklären?“ In der Enge der Box konnte er Djamyr riechen. Mühsam widerstand er dem Drang, diesen Geruch tief einzuatmen.
„Denk dir was aus.“
Djamyr würde ihn begleiten, egal, was er jetzt noch sagen würde. Der Entschluss war so präsent zu spüren, wie der Mann selber. Obwohl Djamyr ihn nicht berührte, hatte Jandris das Gefühl, in seine Gegenwart eingehüllt zu sein. Er durfte die Gedanken, die diesem Gefühl folgten, nicht haben. Sich umdrehen und weggehen er konnte jedoch auch nicht, zu stark hielt ihn Djamyrs Präsenz gefangen.
„Was ist die Strafe deines Volkes, wenn zwei Männer…“, fragte er, wusste nicht einmal genau, warum er fragte.
„Es gibt keine Strafe, wenn ein Mann sein Lager mit einem Mann teilt.“
Die dunkle, singende Stimme beschwor mit diesen wenigen Worten Bilder, die er nicht sehen durfte, nicht wünschen durfte. Das Lager teilen… Sein Blut strömte in seine Körpermitte. Wie wäre es, sein Lager mit dem Mann vor sich zu teilen? Seinen Geruch tief einzuatmen, mit den Fingern den ungewöhnlichen Zeichnungen des Körpers zu folgen… Entschlossen schob er sich an Djamyr vorbei, raus aus dieser Enge, weg von dem Mann, der so fremd und anziehend war. Es war wie ein Schlag, der seinen ganzen Körper traf, als er Djamyr berührte. Er wollte ihn an die Stallwand drücken, seinen Körper spüren, seinen Mund erobern… Schnell entfernte er sich von ihm, räusperte sich. „Wenn du darauf bestehst, dann musst du vor Sonnenaufgang mit Zajuma fertig sein“, sagte er, drehte sich um und ging grußlos, sicher, den Rest der Nacht wach zu liegen und an Djamyr zu denken.
Deutete er die Zeichen richtig? Fühlte sich Jandris genauso zu ihm hingezogen, wie er sich zu ihm? Er spürte jede Berührung tief in sich, wusste, dass er sein Lager gerne mit Jandris teilen würde – und dass er das niemals durfte. Dieses Land drohte ihm nicht nur ständig mit dem Tod, sondern ließ ihm nicht einmal die Möglichkeit sein Lager mit einem Mann zu teilen. Er verließ Yuris‘ Box, ging weiter zu Zajuma. Die Stute begrüßte ihn mit einem sanften Schnauben. Sein Gesicht tief in ihrer schwarzen Mähne vergrabend dachte er an Zuhause, an die Freiheit der Steppe und das klare Leben in der Sippe. War ihm das Leben jemals langweilig und beengt vorgekommen? Was für ein Narr war er gewesen! Gerne würde er jetzt auf Zajuma über die weite Steppe jagen, den Wind in den Haaren und die Freiheit in seinem Herzen…
Schritte auf dem Gang, Djamyr schob sich tief in den Schatten der Box. Ein großer Mann mit schweren Schritten ging vorbei. Auf die Schritte lauschend blieb er stehen. Die Schritte verstummten, leise Stimmen sprachen, zu weit entfernt, als dass er sie verstehen konnte. Die eine Stimme könnte Mattio gehören, doch die andere kannte er nicht. Was taten die beiden Männer um diese Zeit in dem Stall? Kein langes Gespräch, bevor er sich aus der Box entfernen konnte, ging der Mann schon wieder an ihm vorbei. Einen Augenblick wartete er noch in der Dunkelheit, dann ging er zurück in sein Zimmer.
Vor Sonnenaufgang stand er mit Zajuma im Hof. Jandris kam, ließ sich Yuris bringen, einige Wachen sammelten sich, zuletzt betrat Thordas den Hof und sah sich um. Sein Blick fiel auf Djamyr. Der Mann aus Djistestera, dem Steppenland. Seine Haare waren schwarz wie seine Kleidung. Auf dem Rücken in der Doppelscheide die Zwillingsschwerter. Maknas hatte ihm erzählt, wie geschickt der Steppenwolf damit umging. Er war gespannt auf den Kampf, der in ein paar Tagen stattfinden würde.
Doch warum war er hier? Livlia wusste, dass er nicht wünschte, dass seine Töchter an diesem Spektakel teilnahmen. Nur Frauen des gewöhnlichen Volkes sahen sich das Sterben auf dem Richtplatz an.
Vor dem Mann, der den Blick senkte, blieb er stehen. „Was tust du hier, Steppenmann?“, fragte er mit herrischer Stimme. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er Untergebenen von Anfang an zeigen musste, wer der Herr war.
„Livlia hat mich gebeten, ihn mitzunehmen, Vater“, antwortete Jandris statt seiner. „Sie sorgte sich um unsere Sicherheit an einem solchen Tag.“
„Himmel, nicht genug, dass sie sich diesen – Kämpfer hält…“
Djamyr zuckte zusammen und hob den Blick, bis er den graublauen Augen begegnete.
„…sorgt sie sich auch noch um die Sicherheit ihres Bruders?“ Thordas ignorierte den brennenden Blick scheinbar, doch die Raubtieraugen beeindruckten ihn. „Gut, Stappvarg, beschütze meinen Sohn, wenn es deine Herrin wünscht.“ Oh, ja, er freute sich das Raubtier kämpfen zu sehen, das sogar die Svjardvalsten inzwischen mit Respekt betrachteten.
Djamyr hielt sich hinter Jandris und unterdrückte die Wut, die Thordas in ihm auslöste. Leider würde er diesem Mann niemals in der Arena gegenüberstehen.
Der Richtplatz war mit Menschen gefüllt, alte und junge, Männer und Frauen, sogar Kinder sah Djamyr zwischen den Erwachsenen. Ein Treiben wie an einem Markttag. Es war noch nicht hell, der Himmel streifte die Dunkelheit eben erst ab. Doch nicht mehr lange und die Sonne würde den Horizont verfärben.
Ein Horn wurde geblasen, Stille trat ein. Thordas stand mit den anderen Richtern nur wenige Schritte vom Schandpfahl entfernt. Einen Schritt hinter ihm Jandris, dessen Gesicht sehr blass geworden war. Djamyr stand noch einen Schritt weiter hinter Jandris, die Arme verschränkt, bemüht um eine unbeteiligte Miene.
Über dem Schandpfahl war im Laufe des gestrigen Tages eine Art Galgen errichtet worden, von dem eine Schlinge direkt über dem Pfahl hing.
Ein Mann trat vor, sein Gesicht wurde durch eine lederne Maske verdeckt. „Das Verbrechen:“ Der Schlag einer Glocke ertönte. „Unzucht mit Männern. Das Urteil:“ Ein weiterer hohl klingender Schlag. „Der Schandpfahl. Die Vollstreckung:“ Ein dritter Schlag in der vollkommenen Stille. „Am heutigen Tage.“ Eine Folge von fünf Glockenschlägen. „Dem von elf Richtern im Namen des Volkes von Allragöst gesprochene Urteil gemäß, wird der Verurteilte Horek heute bei Sonnenaufgang auf dem Schandpfahl den Tod erleiden“, sagte der in Leder gekleidete Mann mit wohltönender Stimme.
Zwei Glockenschläge und ein Karren wurde vor den Schandpfahl gezogen. Der Mann darauf war so blass, dass seine Haut durchscheinend wirkte. Seine Augen waren geschlossen, er kniete mit gesenktem Kopf in der Mitte des Wagens. Nachdem der Karren vor dem Schandpfahl anhielt, sprangen zwei Wachen hinauf und zogen den jungen Mann brutal herunter. Krampfhaft hielt er die Augen geschlossen, sein Atem ging schnell und stoßweise. Neben dem Schandpfahl brachten sie ihn zum Stehen und Djamyr konnte das Zittern seiner Beine sehen. Sicher wäre er zusammengebrochen, wenn die beiden Männer ihn nicht festgehalten hätten. Der Henker trat vor ihn.
„Horek, du bist für deine widernatürlich begangene Unzucht zum Tod an dem Schandpfahl verurteilt. Dein Körper wird für sieben Tage zum Zwecke der Abschreckung aller Menschen mit unzüchtigen Gedanken auf diesem Platz belassen.“ Noch einmal schlug die Glocke. Auf dieses Zeichen rissen die Wachen dem inzwischen am ganzen Körper bebenden Mann die Kleider vom Leib. Die Menge schwieg, ein grausiges Schweigen, das Djamyr eine Gänsehaut bereitete.
Die Wachen griffen den jungen Mann an seinen Armen und Beinen und bestiegen mit ihm den hölzernen Laufsteg. Die Schlinge wurde unter seinen Armen um seine Brust gelegt und mithilfe des, über eine Rolle laufenden, Seils, wurde er hoch über den Schandpfahl gezogen. Ein Lachen kam aus der Menge.
Zwei Wachen spreizten seine Beine, der Henker trat hinter ihn und versenkte die Spitze des Pfahls in der natürlichen Körperöffnung. Djamyr spürte Übelkeit in sich hochsteigen, verzweifelt suchte sein Geist nach einem Gedanken, an dem er sich festhalten konnte, während die Wachen den Mann losließen und sein Gewicht ihn auf den Schandpfahl senkte. Sein Schreien, während der hölzerne Pfahl stückchenweise in ihn eindrang, übertönte jedes andere Geräusch. Damit das Schauspiel auch nicht zu schnell ging, befand sich am anderen Ende des Seils ein Gewicht, das das zu schnelle Absenken des Körpers verhinderte.
Wie lange dauerte es? Djamyr hatte jedes Zeitgefühl verloren, immer wieder kämpfte er gegen den Drang sich die Ohren zuzuhalten. Blut floss, die Geräusche, die der reißende Körper unter all dem herausgeschrien Schmerz von sich gab, lösten immer wieder neue Übelkeit in ihm aus. Verwundert sah er Menschen, die sich von einem herumgehenden Händler Kakala kauften, kleine Kuchen mit Honig, und diese im Angesicht des schreienden Mannes aßen. Kinder, die im Dreck spielten und lachten. Ripujanza, was für monströse Scheusale. Mit verschränkten Armen stand er äußerlich ungerührt dort, betrachtete Jandris Rücken und versuchte nicht an das Geschehen vor sich zu denken, nicht den Blick zu heben.
Jandris Schultern waren verkrampft, seine Hände zu Fäusten geballt, deutlich konnte Djamyr seinen Ekel sehen, wenn immer wieder Schauer durch seinen Körper liefen. Thordas dagegen stand ruhig und emotionslos in der Reihe der Richter und betrachtete das Schauspiel.
Erst als die Sonne den Zenit schon überschritten hatte, verstummten die schwächer gewordenen Schreie, die Richter wenden sich von dem Körper ab und Thordas drehte sich zu seinem Sohn um. „Lass uns gehen“, sagte er nur und schritt erhobenen Hauptes durch die Menge. Jandris drehte sich zu Djamyr um, seine Augen brannten. „Wie kann er nur?“, flüsterte er heiser, Tränen standen in den Augen.
„Er sieht einen Schuldigen sterben, kein Opfer, keinen Menschen, der ein Recht auf Leben und…“ Die Bernsteinaugen bohrten sich in Jandris. „…ein Recht auf seine eigene Liebe hat.“
Jandris wollte etwas entgegnen, doch eine ungeduldige Bewegung von Djamyr ließ ihn verstummen, er drehte sich um und folgte seinem Vater.
In den Schatten ahnte er die Bedrohung, straffte den Körper, sah sich um, erkannte er die Bewegung, es waren mindestens drei Personen, wie von selber lagen die Zwillingsschwerter in seinen Händen. Bevor die Wachen reagierten, drängten sich von beiden Seiten Personen mit halb unter ihrer Kleidung verborgenen Waffen in Thordas‘ und Jandris‘ Richtung. Alles lief von selber ab, tausendmal geübte Bewegungen, ohne zu denken, nur um jene zu schützen, die ihm anvertraut. Die Schwerter glitten gut geschärft durch Fleisch, Blut spritzte und Stimmen schrien, doch nichts drang zu ihm durch. Djamyr spürte einen Schlag an der Seite, doch in diesem Moment fühlte er nichts, folgte nur seinem Instinkt. Er musste Jandris schützen, ohne darüber nachzudenken, warum.
Das Schwert drang in weiches Fleisch, dann war es vorbei. Die Geräusche kehrten zurück, er hörte, wie jemand seinen Namen sagte, und drehte den Kopf. Jandris blauen Augen sahen ihn beunruhigt an.
„Du blutest“, sagte sein Mund und er sah an sich hinunter. Ja, an seiner Seite war das Hemd zerschnitten und Blut lief warm an ihm herunter. Er wollte aufstehen, doch seine Beine wollten ihn nicht tragen. Jandris griff zu, fasste seinen Arm. „Langsam, Djamyr, ich helfe dir.“
Nein, wollte er sagen, doch die Worte wollten seine Lippen nicht verlassen. Schwindel erfasste ihn und er war dankbar für die Hand, die ihn stützte.
„Bringt ihn zu Noamis, er soll sich um ihn kümmern. Schnell, beeilt euch.“ Thordas Stimme drang nur leise zu ihm durch. Seine Sinne schwanden und er hefte seinen Blick an den blauen Augen fest, die ihn beruhigend ansahen. „Es wird alles gut, alles wird gut.“
Und er wollte den Worten, der Stimme glauben, seine Hände legten sich über die Hand, die ihn hielt und dann wurde es dunkel. Semia tenjeba, die ewige Dunkelheit, das Ende alles Seins und Werdens. Es gab viele Wege in diesem kalten Land zu sterben…
Schmerzen, alles bestand aus dumpfen Schmerzen. Sein Kopf schien auseinanderzubrechen und seine Seite brannte. Sein Mund war trocken, staubtrocken. Seine Augenlider waren schwer, viel zu schwer. Mühsam zwang er sie, sich ein Stück zu öffnen, doch das Licht, das wie Feuer brannte, brachte ihn dazu, sie gleich wieder zu schließen.
„Wie geht es ihm?“ Livlias Stimme.
„Besser, das Fieber ist gesunken. Die Wunde sieht gut aus. Ich denke, Ihr werdet Euren Svjardvalsten behalten.“ Die Stimme des Heilers Naomis. „Und mit etwas Glück kann er auch wieder kämpfen.“
Ein Schatten fiel auf sein Gesicht. Langsam öffnete er die Augen und sah in Livlias Gesicht. Besorgte hellblaue Augen sahen ihn an, dann strahlte Livlia. „Hallo, Stappvarg, wieder unter den Lebenden?“
„Livlia“, sagte Djamyr heiser und hustete trocken. Schnell nahm Livlia einen Becher Wasser, der neben dem Bett stand und hielt es ihm an den Mund. Er schluckte und etwas von der kühlen Flüssigkeit lief an seinem Kinn herab. Mit einem Tuch tupfte sie das Wasser weg. Djamyr griff nach ihrer Hand, zuckte zusammen, als der Schmerz in seiner Seite aufflammte.
„Immer langsam, Djamyr, es wird noch etwas dauern, bis du dich wieder schmerzfrei bewegen kannst.“ Beruhigend legte sie die Hand auf seine Schulter, beugte sich zu ihm herunter. „Danke.“
„Wofür?“
„Das Leben meines Bruders und meines Vaters. – Sag jetzt nicht, dass du noch immer in meiner Schuld stehst…“ Sanft strich sie ihm durch das Gesicht.
„Ich habe noch immer nicht dein Leben gerettet, Livlia, solange bleibe ich in deiner Schuld“, sagte er leise.“Außerdem ist es die Pflicht eines Wächters, das Leben zu schützen.“
„Djamyr! Und wenn du nie mein Leben rettest? Ich bin eine Frau und zu dem langweiligen Leben einer Frau verurteilt, wer sollte mein Leben bedrohen?“
„Dann sterbe ich in deinem Land, in deiner Schuld“, antwortete er schlicht und versuchte ein Lächeln. „Wie geht es Zajuma?“
„Emblia kümmert sich um sie. Zwar kann sie sie nicht reiten, doch sie lässt sich von ihr füttern, striegeln und auf die Weide führen.“
„Pijollo Dschermana“, flüsterte er. Nach einem Blick in Livlias fragendes Gesicht erklärte er nach einem Moment des Nachdenkens: „Kleine Schwester. Sie muss aus dem Weiten Land stammen… - oder ihre Eltern.“
„Ja, sie ähnelt dir“, sagte Livlia mit einem verträumten Lächeln.
„Wie lange liege ich hier?“ So schwach wie er sich fühlte, mussten es Tage sein.
„Seit fast einer Vekja. Dein Fieber wollte nicht gehen.“ Ihre Augen spiegelten ihre Sorge um ihn.
„Ist Jandris bei dem Überfall etwas passiert?“
„Nein, dank dir nicht. Es waren der Vater, die beiden Brüder und die Mutter von Horek. – Nicht, dass ich ihre Wut auf die Richter nicht verstehe, doch kann ein Verbrechen den ein anderes ausgleichen?“
„Nein!“ Djamyr bewegte vorsichtig den Kopf. „Rache sorgt nie für Gerechtigkeit. Doch die eigenen Schuld verlangt eine Bestrafung.“
„Aber welche Schuld trägt denn Horeks Familie? Welche Schuld könnte die Bestrafung verlangen?“ Verständnislos sah sie ihn an.
„Sie haben ihm nicht helfen können. Sie liebten ihn und er starb trotzdem, weil sie es nicht verhindern konnten. – Auch wenn es keine Möglichkeit für sie gab, dies zu verhindern, bleibt tief im Inneren diese Schuld. Um diese Schuld zum Schweigen zu bringen, mussten sie versuchen Horek rächen…“ Seine Stimme versagte und er hustete.
„Schluss, Livlia, Eure Leibwache braucht Ruhe. Ihr könnt ihn morgen wieder besuchen.“ Noamis trat an das Bett. „Und du, mein dunkler Freund, wirst jetzt essen, damit dein Körper auch die Kraft hat, gesund zu werden.“
Djamyr sah ihn aus schmalen Augen an, doch das schien den kleinen, schmächtigen Mann nicht zu beeindrucken. Seufzend ergab er sich seinem Schicksal und aß die Suppe, mit der der Heiler ihn fütterte.
Gerne hätte er Livlia gebeten Jandris zu grüßen, doch er wusste nicht, ob das nicht unangemessen wäre. Nach der Suppe war er so erschöpft, dass er umgehend wieder einschlief. Wie lange es wohl dauern würde, bis er wieder auf Zajumas Rücke über das Land reiten konnte?
Das nächste Mal, als er die Augen aufschlug, war es dunkel in dem Zimmer. Es war nicht seine Kammer, dieser Raum war nicht so beengt. Hier war alles größer, auch das Bett, in dem er lag. Djamyr drehte den Kopf und sah einen wuchtigen Stuhl mit Lehnen neben seinem Bett stehen. Eine Gestalt schlief in unbequem wirkender Position in eine Decke gehüllt. – Der Heiler? Oder ein Gehilfe? Ging es ihm so schlecht, dass er einen Wächter für sein Leben brauchte? Egal, wer es war, er musste dringend aus diesem Bett. Langsam rutschte er den Schmerz ignorierend an den Bettrand. Schob die Beine über die Kante und ließ sie baumeln. Dann stemmte er vorsichtig seinen Oberkörper hoch und der Schmerz schoss erneut brennend durch seine linke Körperhälfte. Schwer atmend blieb er sitzen, ihm war schwindelig und er fragte sich, ob seine Beine ihn tragen würden.
„Verdammt, was tust du da?“
Djamyrs Kopf schnellte herum und er bekam von seiner Seite schmerzvoll gezeigt, dass dies keine gute Idee war. „Jandris, was tust du hier?“, fragte er und bemühte sich, das gerade gefundene Gleichgewicht zu halten.
„Aufpassen, was der dickköpfige Steppenwolf so anstellt. Noamis sagte, du musst noch einige Tage liegenbleiben.“ Jandris war aufgestanden und kam zu ihm.
„Ich werde mich auch wieder hinlegen, wenn ich…“ Vielsagend sah er Jandris an, der lachte leise. „Entweder hilfst du mir oder du gehst“, knurrte Djamyr und rutschte weiter nach vorne, bis seine Füße den Boden berührten. Eisig fühlten sich die Steinfliesen unter seinen Fußsohlen an.
„Warte, natürlich helfe ich dir, Turskall!“ Jandris Arm stützte ihn, bevor er fallen konnte. „Dickkopf!“ Langsam begleitete er Djamyr zu einer der kleinen Kammern, die den menschlichen Bedürfnissen dienten.
Als Djamyr endlich wieder in seinem Bett lag, war er erschöpft, wie nach einem ganzen Tag in der Arena.
„Verflucht, warum fühle ich mich so schwach“, murmelte er, mit geschlossenen Augen im Bett liegend.
„Die Klinge hat dich unglücklich getroffen, du hast viel Blut verloren. Noamis befürchtete, dass es zu viel war und er dich nicht mehr retten könnte, inzwischen hat er jedoch die Hoffnung, dass alles so wird, wie es mal war. – Oder besser….“ Sein Grinsen konnte Djamyr nicht sehen, der schon wieder die Augen geschlossen hatte.
„Warum bist du hier?“, fragte er mit müder Stimme und blinzelte Jandris an, der noch auf der Kante des Bettes saß.
„Ich…“ Sollte er Djamyr sagen, dass er jede Nacht an diesem Bett verbracht hatte? Nein, was für einen Eindruck würde das auf den anderen Mann machen! „Ich muss morgen nach Wignana. Die letzten Verhandlungen über die Eheschließung von Eilliana und Andris führen.“
Noamis hatte Djamyrs lange Haare gekürzt, sodass sie besser zu pflegen waren, während er im Fieber lag. Eine Locke fiel schweißnass in das schmale Gesicht und Jandris hatte das Bedürfnis diese zurückzustreichen. Wie verletzlich er aussah.
„Du verhandelst, mit wem deine Schwester das Lager teilt? Was bekommst du für deine Schwester?“ Djamyr sah ihn spöttisch an.
„Nein, ich verkaufe sie nicht!“ Empört richtete Jandris sich auf. „Die Ehe hat mein Vater mit Andris‘ Vater vereinbart.“
„Und wenn deine Schwester mit diesem Mann nicht das Lager teilen will?“, fragte Djamyr.
Wie sollte er ihm klarmachen, dass sich in diesem Land keiner Gedanken darüber machte? Die Eltern entschieden über eine Eheschließung, sie suchten die beste – und sicher auch lohnendste – Verbindung. Auch er würde eine Frau heiraten müssen, die sein Vater für ihn aussuchte. Und er wusste, dass Thordas sich schon die entsprechenden Gedanken machte.
„Unsere Sitten sind anders, hier treffen die Eltern die Entscheidung über eine Eheschließung. – Entspricht den unsere Eheschließung dem, was ihr das Lager teilen nennt.“
„Ehe bedeutete Ewigkeit?“
Jandris nickte.
„Das gibt es bei uns auch. Semja djoabijia, wenn zwei beschließen, für immer das Lager zu teilen. Ansonsten dürfen Männer und Frauen ihr Lager teilen mit wem sie wollen – und so lange sie wollen.“ Djamyr lächelte leicht. „Wenn man seinen djijiba…“ Er überlegte einen Moment. „Gefährten gefunden hat, dann geht man das semja djoabijia ein.“
„Hast du deinen djijiba gefunden?“ Die Frage war raus, bevor er darüber nachgedacht hatte. Zurücknehmen ging jetzt nicht mehr.
Die Bernsteinaugen sahen ihn unverwandt an. „Nein, auch wenn ich mein Lager geteilt habe, habe ich noch nicht meinen djijiba gefunden.“ Dann schlossen sich die Augen kurz und Jandris sah die Müdigkeit in Djamyrs Gesicht, die Schatten unter seine Augen zeichnete. Was bedeuteten die kleinen Zeichen auf seinen Wangenknochen?
„Und wenn deine Schwester sein Lager nicht teilen will?“, fragte Djamyr trotzdem erneut.
„Ich glaube nicht, dass sie daran denkt. Von Geburt an wissen wir, was uns erwartet“, antwortete Jandris.
„Dich auch?“ Wieder sahen ihn die bernsteinfarbenen Augen so unergründlich an.
„Ja, irgendwann“, antwortete Jandris schulterzuckend.
Einen Moment schienen die Augen etwas in seinem Gesicht zu suchen, dann fielen sie wieder zu. „Und wenn du dein Lager mit ihr nicht teilen willst?“, fragte Djamyr leise mit geschlossenen Augen.
„Ich weiß es nicht…“ Jandris beugte sich über das schmale Gesicht. Livlia hatte Djamyr vor zwei Tagen rasiert, nur ein leichter Schatten lag auf den eingefallenen Wangen. Sanft strich er die Locke aus der Stirn, folgte mit seinem Finger den geschwungenen Linien des Gesichts. Noch einmal öffneten sich die Augen, bevor er sich zurückziehen konnte, lag eine Hand in seinem Nacken, zog seinen Kopf herunter und mit einem Mal berührten seine Lippen Djamyrs. Eine sanfte, unglaublich süße Berührung, die sich wie ein Fieber in seinen Körper ausbreitete. Dauerte sie einen Wimpernschlag oder eine Ewigkeit? Hatte er schon einmal ähnliches gespürt? Hatte jemals ein einfacher Kuss ihn so aufgewühlt und mitgenommen. Lag es an Djamyr – oder daran, dass er ein Mann war? Niemals zuvor hatte er einen Mann geküsst!
Nach einem letzten Blick schloss Djamyr seine Augen mit einem Lächeln und ließ sich in den Schlaf gleiten.
Jandris sah ihn weiter an und fühlte sich überfordert von den Gefühlen, die in seiner Brust tobten. Gerne hätte er die weichen Lippen noch einmal geküsst, sich in diesem Gefühl verloren… Doch es war unmöglich! Egal, was er gerade gefühlt hatte, Djamyr war ein Mann und damit tabu. Nie wieder durfte das passieren!
Mitten in diese Unordnung in seinen Gefühlen fiel ihm ein, dass er sich noch gar nicht bei Djamyr bedankt hatte, immerhin hatte der Mann ihm das zweite Mal das Leben gerettet. Noch einmal beugte er sich über Djamyr.
„Danke, Djamyr, inzwischen schulde ich dir zwei Leben…“, flüsterte er dem Schlafenden ins Ohr. „Wie soll ich die jemals wieder ausgleichen?“
„Kehr zurück“, raunten die Lippen unter ihm und er musste lächeln. Bevor er wusste, was er tat, küsste er noch einmal den verlockenden Mund. Genoss die Antwort, strich mit der seiner Zungenspitze über die geschwungene Unterlippe. Er war verrückt, doch dieses Gefühl war zu schön, zu unglaublich.
Djamyr legte die Hand auf seine, hielt sie fest und schien nicht bereit, sie loszulassen. Er streckte sich neben Djamyr aus und verschränkte seine Finger mit Djamyrs. Es war völlig verrückt!
„Jandris, wach auf!“
Erschrocken fuhr er hoch, sah in Livlias Gesicht, das sich lächelnd über ihn beugte. Djamyr knurrte leise neben ihm und drehte sich aus seinem Arm… knurrte erneut, diesmal wegen des Schmerzes in seiner Wunde.
Aus seinem Arm? Jandris starrte von Livlia auf Djamyr und sprang aus dem Bett. Was musste seine Schwester von ihm denken? Doch sie saß nur auf dem Sessel und strahlte ihn an.
„Ich wusste, dass du ihn magst“, sagte sie und grinste breit. „Warum solltest du auch sonst jede Nacht auf diesem unbequemen Sessel schlafen.“
„Was? Nein, es ist nicht so, wie es aussieht…“ Mit beiden Händen fuhr er hektisch durch sein Haar.
„Nein? Gut.“ Ihr Grinsen sagte ihm, dass sie das nicht wirklich glaubte. „Vater wartet oben auf dich. – Zum Glück hat er dich nicht so gefunden.“
„Hör auf, Livlia, es ist…“
„Hör du auf und geh.“ Mit der Hand wedelnd deutete sie an, dass er gehen sollte. Jandris warf einen letzten Blick auf Djamyr, der noch schlief. Für ein winziges Gefühl lang gab er vor sich selber zu, dass es genauso war, wie es ausgesehen hatte. Gerne hätte er dem schlafenden Djamyr noch einmal durch das Gesicht gestrichen, doch unter Livlias Blicken drehte er sich um und verließ das Zimmer.
„Wie lange wird seine Reise dauern?“, fragte Djamyr, kaum dass die Tür hinter Jandris ins Schloss gefallen war.
„Die Hinreise dauerte ungefähr zehn bis zwölf Tage, dann werden die Verhandlungen fünf bis sieben Tage dauern und zurück wieder zehn bis zwölf Tage. – Ich denke, in fünfundzwanzig bis dreißig Tagen ist er wieder da.“ Lächelnd setzte sie sich neben ihn auf das Bett. „Rechtzeitig zu Soelstyn wird er wieder zurück sein. – Djamyr, bei euch wäre – das – kein Problem, oder?“
„Nein“, antwortete er, genau wissend, was sie meinte.
„Dürfen sich Frauen auch ihr Lager mit Frauen teilen?“, fragte sie, vermied es ihn anzusehen und zupfte einen Faden aus der Bettdecke.
„Ja, es ist völlig egal, mit wem man sein Lager teilt. Eine Frau kann sich auch eine Frau als Gefährtin, djijiba, nehmen. – Manchmal teilen sie sich dann beide für eine Zeit ihr Lager mit einem Mann. – Um für den Fortbestand der Sippe zu sorgen.“ Djamyr setzte sich auf. „Wie gefährlich ist die Reise?“
„Nicht besonders gefährlich. Jandris reist mit mehreren Wachen über eine vielgenutzte Handelsstraße.“ Schulterzuckend sah sie ihn an. „Jetzt hol ich dir etwas zu essen, du musst wieder zu Kräften kommen.“
Noamis ließ ihn erst nach einer Vekja hinuntergehen zu Zajuma. Zum ersten Mal seit er in diesem Haus war, begegneten ihm die Menschen nicht nur mit einer Mischung aus Furcht und Ablehnung, sondern mit Respekt. Immerhin hatte er die Leben ihrer Herren geschützt. Wären Thordas und Jandris gestorben, wären alle Sklaven des Hauses verkauft worden. Familien wären dabei unter Umständen getrennt worden und keiner hätte sagen können, ob ihr Schicksal nicht schlimmer gewesen wäre.
Die Töchter hätten zu entfernten Verwandten ziehen müssen und ein Großteil des Vermögens wäre an die Gemeinschaft gefallen. Frauen durften kein Vermögen besitzen und auch keinen Handel treiben. Noamis hatte ihm das erzählt. Wie furchtbar in diesem Land eine Frau zu sein!
Zajuma war auf der Weide, auf seinen Pfiff kam sie zu ihm. In ihren schwarzen Augen konnte er den Vorwurf lesen, sie schon wieder so lange vernachlässigt zu haben, und den Wunsch, über die Weite zu galoppieren, den Wind zu jagen. Sanft streichelte er ihren Hals, wünschte sich, mit ihr über die Wiesen reiten zu können. Von den Weiten der Steppe wagte er nicht zu träumen.
„Ich habe mich gut um sie gekümmert.“ Emblia war neben ihm aufgetaucht. Ihre Haare waren ordentlich geflochten, ihr Gesicht und ihre Hände sauber. Sie trug frische Kleider und roch nach Seife. Statt des langen Kleides der Mägde trug sie Hosen. Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete er sie von oben bis unten.
„Du bist eine Frau, in diesem Land sollte es dir doch unmöglich sein, Hosen zu tragen“, sagte er lächelnd.
„Wenn ich im Stall arbeite, bin ich keine Frau, da bin ich “die Dunkle“ und sie haben Angst vor mir. Manchmal machen die Stalljungen das Zeichen gegen Malekkio. Bryas sagt, sie glauben, ich könnte sie verzaubern. Darum lässt Bryas mich tragen, was ich will. Hauptsache, die Pferde sind gut versorgt.“ Sie grinste ihn an und präsentierte ihm erstaunlich weiße Zähne, die in ihrem dunklen Gesicht zu leuchten schienen. Die Augen dominierten das schmale Gesicht, sie waren so dunkelbraun, dass sie fast schwarz aussahen.
„Oschcura, die Dunkle, ein passender Name für dich“, sagte er nickend und sie lächelte. „Kannst du reiten, Oschcura?“ Mit einem bedauernden Gesichtsausdruck schüttelte sie den Kopf.
„Nein, ich darf die Pferde nur pflegen“, sagte sie traurig.
„Ich werde dir das Reiten beibringen. – Ist Yuris mit Jandris fort?“ Sein Blick schweifte suchend über die Weide. Das ungewöhnliche Pferd war nicht zu sehen.
„Ja, er wollte ihn nicht hierlassen, da du ihn nicht reiten kannst“, antwortete Livlia, die zu ihnen getreten war, und stützte sich neben Emblia auf den Zaun. „Die Idee, dass ihn wieder die Stallknechte reiten, schien ihm nicht zu gefallen.“ An dem Mädchen zwischen ihnen vorbei lächelte sie ihn an. „Tragen die Frauen bei euch Röcke?“
Djamyr lachte, er drehte sich um und Zajuma streckte den Kopf über seine Schulter. „Nein, es ist sehr unpraktisch, mit einem Rock auf einem Pferd zu sitzen. Oft reiten wir viele Tage.“
„Das Leben bei euch klingt so viel einfacher als bei uns“, seufzte Livlia. „Ihr dürft euer Lager teilen, mit wem ihr wollt.“
Aus den Augenwinkeln sah er den Blick, den Livlia und Emblia tauschten.
„Frauen tragen Hosen und leben nicht in den Häusern ihrer Väter oder Männer eingesperrt“, fuhr sie fort.
„Unsere Regeln sind vielleicht einfacher, doch nicht unser Leben. Wir sind immer unterwegs, keine Häuser, nur Zelte, in denen man schläft. Das heißt, keine Felder, keine Ernte. Das tägliche Essen muss gejagt werden und von dem kommen, was die Natur uns freiwillig gibt. Wenn du Pech hast, dann findest du tagelang nicht genügend Wild und musst ein paar von den Ziegen schlachten, die mitgeführt werden. Oder eine andere Sippe ist in dem Gebiet und du musst darum kämpfen, jagen zu können. Wenn der Winter kommt, regnet es oft tagelang und genauso lange fühlst du dich nur nass und kalt. An diesen Tagen ist die einzige Wärme, die du bekommst, oft nur die des Menschen, mit dem du dein Lager teilst. Schnee ist selten, meist herrscht im Winter ein eisiger Wind, der über die Steppe fegt. Die Zelte sind kaum in der Lage ihn abzuhalten. Und wenn du etwas brauchst, was die Natur dir nicht bietet, musst du mit Fellen handeln.“ Seine Wange lag an Zajumas Hals, während er die Stute zärtlich streichelte.
„Aber es ist doch nicht nur so hart? Sonst würdest du dich nicht zurücksehnen“, sagte Livlia.
„Nein, wenn du über die Steppe jagst und der Boden unter den Hufen vibriert, der Wind an deinen Haaren zieht und du die Freiheit spürst, dann ist es Zuhause. Die Sonne, die dort so anders aussieht als hier; der Fluss Serpenja, der sich gleich einer Schlange durch die Steppe zieht; der Geruch, der das Land erfüllt; die endlose Weite der Steppe, in der man tage- manchmal wochenlang keinem begegnest… das ist orijino, Heimat.“ Sein Blick war in die Ferne gewandert und die beiden jungen Frauen konnten die Sehnsucht darin erkennen.
„Ich würde es gerne einmal sehen“, sagte Emblia. „Allein die Weite, nicht umgeben von Zäunen, Wänden und Mauern. Immer eingesperrt.“
Betroffen legte Livlia ihr die Hand auf den Arm. „Du bist nicht eingesperrt.“
„Doch, ich bin eine Sklavin, die als Pferdemagd arbeitet. Gekauft von deiner Mutter, um eure Pferde zu versorgen. Ohne Rechte, nur mit Pflichten. Ich habe nicht das Recht, irgendwohin zu gehen, ohne das es mir erlaubt oder befohlen wurde.“ Wütend entzog sie Livlia ihren Arm und rannte weg.
Djamyr legte seine Hand auf Livlias Arm und hielt sie davon ab, hinter dem Mädchen herzulaufen. „Sie hat recht. Kaum einer ist hier frei. Ihr kauft billige Sklaven, die nur Unterkunft und Essen brauchen. Wie viele der Menschen, die für deinen Vater arbeiten, bekommen Geld für ihre Arbeit, können gehen wohin sie wollen und sind nicht sein Eigentum?“
„Ich… ich weiß nicht.“ Betroffen sah sie ihn an. „Eigentlich habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht. Die Menschen sind hier, sie arbeiten und…“
„Ja, sie arbeiten und vielmehr haben sie in ihrem Leben nicht. Wenn sie Glück haben, finden sie einen Gefährten bei dem Herrn, dem sie dienen, und dürfen mit ihm – mit der Erlaubnis ihres Herrn – zusammenleben.“ Seine Augen suchten ihren Blick. „Wusstest du, dass ihre Kinder deinem Vater gehören? Sie haben kein Recht auf ihre eigenen Kinder. Es sind nicht ihre Kinder, es sind Thordas‘ Sklaven!“
„Das ist nicht wahr. Jondra und Rikei haben ein Kind, Yumiri, das lebt bei ihnen. Sie sind eine Familie.“
„Weil dein Vater es ihnen erlaubt. Wenn er aber beschließt, Yumiri zu verkaufen, dann können sie nichts dagegen tun.“
„Das ist eine Lüge!“ Sie wollte sich losreißen.
„Nein, ich habe mich in den letzten Tagen mit Noamis unterhalten, der selber auch nicht frei ist. Er hat mir erklärt, welche Rechte ich – oder die anderen – haben: keine!“
„Du kannst gehen. Du bist frei“, schrie sie.
„Nein, du kannst mich nicht gehen lassen, weil ich dir nicht gehöre. Frauen dürfen keinen Besitz haben. Dein Vater lässt dich mit mir spielen, aber ich gehöre ihm!“ Er ließ ihren Arm los. „Nur er kann einen Sklaven freigeben.“
Mit ungläubigen Augen sah sie ihn an, dann drehte sie sich um und rannte weg. Thordas hatte ihr nie gesagt, wie das Leben wirklich aussah. Livlia selber war fast genauso unfrei, wie er. Die Tochter war solange Eigentum des Vaters, bis sie in das Eigentum eines Ehemannes überging. Thordas hielt seine Töchter in großen, goldenen Käfigen, deren Stäbe sie selten spürten, aber es waren Käfige. Seufzend drehte er sich um und verbarg sein Gesicht an Zajumas Hals, saugte ihren Geruch ein, so wie es aussah, würde er das weite Land nie wieder sehen.
In den nächsten Tagen war alles, was Noamis ihm erlaubte, sich zu bewegen, keine Ausritte, kein Training. Jeden Tag verbrachte er mit Emblia, die er nur noch Oschcura nannte, und brachte ihr das Reiten bei. Livlia hatten sie beide in den letzten Tagen nicht zu Gesicht bekommen.
Die Vorbereitungen für Soelstyn hatte begonnen. Gäste aus dem ganzen Land würden in die Stadt kommen. Einige würden ihr Quartier in dem Haus Thordas‘ nehmen. Reiche Händler mit ihren Frauen, Kindern und ihrem Gefolge.
Die Waschmägde waren die ganze Zeit ebenso beschäftigt, wie die Küchenmägde, die Knechte und Diener.
„Wie gut, dass ich nicht im Haus arbeite“, sagte Oschcura und sah ihn an. „Drei befreundete, sehr reiche Händler werden mit ihren Familien hier wohnen. Es gibt kaum genug Zimmer für alle. Annia erzählt, dass diese Familien eingeladen wurden, weil ihre Töchter passende Frauen für Jandris wären.“ Vielsagend sah sie ihn an. „Im Grunde verschachert er seine Kinder genauso wie Sklaven.“
Djamyr antwortete nicht, was sollte er auch sagen? Oschcura hatte recht. Jandris würde eine Frau heiraten, die ihm sein Vater aussuchte, eine, die in Thordas‘ Pläne passte und seinen, Thordas‘, Reichtum oder Einfluss vermehren würde. Genauso würde es Livlia gehen, wenn die Zeit dafür reif wäre.
„Reite eine Runde um die Weide.“ Er wollte nicht darüber nachdenken. Nicht über Livlia und schon gar nicht über Jandris.
Oschcura nickte und übte leichten Druck mit ihren Schenkeln aus. Djamyr betrachtete sie. Sie war geboren zum Reiten.
„Sie ist gut, oder?“ Livlia war neben ihm aufgetaucht, lehnte sich auf den Zaun. Ihre Augen folgten Pferd und Reiterin.
„Ja, sie ist gut, sehr gut. Das Reiten liegt ihr im Blut.“, sprach er seinen Gedanken aus und lächelte sie an.
„Weil sie Dschermana ist?“, fragte Livlia und aus ihrem Mund klang das Wort so fremd, dass er erneut lächeln musste.
„Ja, ich vermute es“, antwortete er.
Livlias Augen folgten Emblias Ritt. „Du hattest recht. Ich darf nichts besitzen und bin nichts, außer einem weiteren Unterpfand für eine Geschäftsbeziehung.“
„Hast du mit deinem Vater gesprochen?“
„Nein, mit Kaurus, Jandris Lehrer. Er ist ein ehemaliger Sklave, da aber Sklaven keine Lehrer sein dürfen, hat Vater ihn freigelassen – unter der Bedingung, dass er sich verpflichtet, bis zu seinem Lebensende als Lehrer hier zu arbeiten.“ Sie schnaubte. „Eine freiwillige Sklaverei. – Als Lohn bekommt er Unterkunft, Kleider und Nahrung. – Dasselbe wie vorher. – Ich schäme mich.“
„Wofür? Dass du geglaubt hast, was er dich hat glauben lassen? Du bist nicht schuld, du brauchst dich nicht zu schämen.“ Mit den Schultern zuckend sah er sie an.
„Nein, selbst wenn du mein Leben retten würdest, könnte ich dich nicht freilassen.“ Er sah die Trauer in ihren Augen.
„Wenn meine Schuld getilgt wäre, würde ich nicht bleiben. – Lieber würde ich bei dem Versuch, frei zu sein, sterben, als hier zu bleiben.“
Erschrocken sah sie ihn an. „Das darfst du nicht sagen. Das sind die Reden der Upvirag.“ Schnell warf sie einen Blick über ihre Schulter.
„Die Upvirag?“, fragte Emblia, die das Pferd vor ihnen zügelte.
„Ehemalige Sklaven. Geächtete. Sie sind aus den Häusern ihrer Herren geflohen, haben Wachen getötet und gestohlen. Sie fordern ein freies Leben“, antwortete Livlia.
„Ich kann sie verstehen“, sage Emblia. „Ich wäre auch gern frei.“ Schwungvoll stieg sie vom Pferd. „Und wenn ich nur frei wäre zu lieben, wen ich wollte.“ Der Blick, den sie Livlia zuwarf, war ebenso eindeutig, wie Livlias Erröten.
„Und warum sind eine Handvoll Sklaven so gefährlich?“, fragte Djamyr, ohne die Blicke zwischen den beiden Frauen zu beachten.
„Weil sich in den letzten Monden immer mehr Sklaven ihnen angeschlossen haben. Auch wenn einige bei dem Versuch ihre Herren zu verlassen gestorben sind, auch wenn einige von den Soldaten aufgegriffene Upvirag hingerichtet wurden, ist ihre Zahl immer größer geworden“, antwortete Livlia. „Es wurden gerade erst hohe Kopfgelder auf die Anführer, Skolja und Zlaviak, ausgesetzt.“
„Keine Ausritte oder Ausflüge ohne mich, Livlia.“ Djamyr sah sie ernst an. „Ich will nicht, dass dich einer der Verrückten tötet.“
„Dann könntest du deine Schuld nicht mehr begleichen“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.
„Ja, auch wenn das nicht der Grund ist.“ – „Nein?“ – „Nein, ich will einfach nicht, dass dir etwas geschieht.“ Zweifelnd sah sie ihn einen Augenblick an, dann lächelte sie. „Gut, ich werde ohne dich nirgendwohin gehen.“
Nach endlosen zwanzig Tagen durfte er reiten und leichte Übungen machen. Endlich konnte er mit Zajuma hinaus auf die Weide und den Wind jagen. Den Kopf an ihren Hals geschmiegt überließ er ihr Tempo und Strecke. Sehnsucht durchflutete ihn, nach orijino, der Heimat. Dem warmen Wind, der jetzt über die Steppe wehte; dem hellen Gras, das sich im Wind bog; dem Geräusch, das Zajumas Hufe auf dem Boden erzeugten; den geschichtenerzählenden Liedern am Feuer; den Nächten unter freiem Himmel, weil es zu warm war, um im Zelt zu schlafen – oder die Nähe der anderen die Nähe zu dem einen störte.
Doch der eine, an den sein Geist dachte, war nicht Hymal, sondern Jandris, die sandfarbenen Haare, die blauen Augen, der Mund, der sich so vielversprechend angefühlt hatte auf seinen Lippen…
Djamyr ließ Zajuma einen weiten Bogen laufen, bewegte sie langsam zurück zu den Weiden. In einer Woche war Soelstyn, die Sonnenwende. Glücklicherweise musste er nicht in der Arena um sein Leben kämpfen. Diesmal nicht. Würde Jandris bis zur Soelstyn wieder in Skjaja ankommen? War der Weg wirklich sicher oder würden die Upvirag nicht gerade diese scheinbar sicheren Reiserouten nutzen, um… - Was taten sie eigentlich? Töteten sie die reichen Händler? Entführten sie sie? Ging es um Lösegeld oder nur um den Kampf gegen die Herren?
Djamyr stellte fest, dass er nichts über die Upvirag wusste. Zeit, dass zu ändern, da es wichtig sein konnte, zu wissen, was für einem Feind man gegenüberstand. Er musste wissen, ob sie kämpfen konnten oder nur unkontrolliert angriffen. Wenn Svjardvalsten in ihren Reihen kämpften, war das etwas völlig anderes als nur Stallknechte oder Küchenmägde.
Die Dämmerung hatte eingesetzt, als er Zajuma in den Stall brachte. Der Ausritt hatte ihn erschöpft und er wollte nur noch Zajuma striegeln und ins Bett fallen.
Im Stall war es ruhig, die Pferde waren schon versorgt und die Knechte und Mägde zum Essen in ihren Unterkünften. Der Tag auf dem Besitz begann früh.
Seine Seite schmerzte und er ließ sich Zeit, versuchte so viel wie möglich mit dem anderen Arm zu tun. Endlich stand Zajuma im Stall und er war so müde, dass er im Stehen an ihrer Seite hätte einschlafen können. Einen Moment lehnte er sich an ihren Hals, gab sich den Erinnerungen hin, die ihr Geruch weckte…
„Leise.“
Djamyr hob den Kopf, war er tatsächlich eingeschlafen? Zajuma schnaubte leise. Die Sonne war untergegangen und Dunkelheit umgab ihn.
„Warte, ich sehe nichts.“ Livlia!
„Gib mir deine Hand, ich führe dich.“ Die Stimme von Oschcura überraschte ihn jetzt nicht mehr.
Eine Tür öffnete sich, wurde leise wieder zugeschoben. Leises Lachen und raschelndes Stroh.
„Was sagt Djamyr immer zu dir?“, fragte Livlia. Sie mussten in der Box nebenan sein.
„Oschcura. Das heißt die Dunkle.“
„Das passt zu deiner samtigen, dunklen Haut“, raunte Livlias Stimme heiser. „Zu deinen Haaren und deinen wunderbaren Augen. Oschcura. – Ich möchte dich auch so nennen: Oschcura.“ Das zweite Mal klang es wie eine Liebkosung.
Leise bewegte Djamyr sich zur Tür, verließ die Box.
„Liv, bitte… Wir dürfen nicht…“, flüsterte Oschcura und Djamyr wusste, dass sie schon verloren hatte.
Dem bisschen Helligkeit, das von außen durch die Fenster fiel, ausweichend, schlich er weiter. Ein weiteres Geräusch ließ ihn verharren. Nur ein Scharren im Stroh, ein wenig zu laut für eine Maus. Noch jemand war in dem Stall! Schnell schlüpfte er in die nächste Box, lauschte in die Dunkelheit. Weit entfernt hörte er das laute Atmen und die leise geflüsterten Worte der beiden Frauen. Mit Augen und Ohren versuchte er festzustellen, wo der andere sich aufhielt. Nach einem Moment erahnte er die Bewegung im Schatten. Jemand schlich durch den Gang, in Richtung der Box, aus der die Geräusche eindeutiger wurden. Djamyr schlich hinter ihm her, blieb im Schatten und versuchte zu erkennen, um wen es sich handelte. Kurz vor der Box sah er den Mann, Mattio! Er sah das gehässige Grinsen in dessen Gesicht und zog die kurze Klinge aus ihrer Scheide. Bevor der Mann die Box erreichte, fasste er zu. Umschloss den Mund und zerrte ihn leise nach hinten. Die Klinge schmiegte sich an die entblößte Kehle. „Wag es nicht, ein Wort darüber zu verlieren, oder du bist tot. Kommt mir eine einzige Andeutung zu Ohren, werde ich dich umbringen. – Hast du mich verstanden?“
Mattio roch nach Schweiß und Angst. Mit weit aufgerissenen Augen nickte er. „Ein Wort und ich bin bei dir.“ Der kalte Stahl drückte sich noch einmal gegen die Kehle, ein winziger Tropfen Blut quoll hervor, dann ließ er den Mann los. „Verschwinde. Geräuschlos.“ Und Djamyr musste an eine Ratte denken, so wie der Mann aus dem Stall huschte. Starben Frauen auch auf dem Schandpfahl, wenn sie “Unzucht“ miteinander trieben?
Djamyr verließ den Stall. Er hatte sich einen Feind geschaffen und er wusste nicht, wie gefährlich dieser war. Eine weitere Möglichkeit in diesem Land zu sterben: von einem Feind hinterrücks erstochen zu werden. Doch egal, wie groß diese Gefahr war, in dieser Nacht schlief er sofort ein.
In zwei Tagen würde die Soelstyn Vekja beginnen. Jandris war bisher noch nicht zurückgekehrt und Djamyr begann sich Sorgen zu machen. Was wenn eine Gruppe der Upvirag sie überfallen hatte? Doch mit dieser Sorge schien er allein dazustehen, Thordas schickte keinen Wachen, die seinem Sohn entgegen ritten. Seine Sorge galt ganz allein der bevorstehenden Festwoche.
„Stappmakka, Steppenmann.“ Er hasste diese Anrede, erkannte jedoch die Stimme Thordas hinter sich und drehte sich um. „Ich höre, deine Wunde ist gut verheilt.“ Djamyr neigte leicht den Kopf, wusste nicht, was der Händler von ihm wollte.
„Ich habe dir noch nicht gedankt. Es war eine unglaubliche Freude, deine Schnelligkeit zu bewundern. – Ich möchte dich um etwas bitten: Meine Wachen hätten den ganzen Überfall verschlafen, darum zeig du ihnen, wie man eine gute Wache wird.“ Thordas sah ihn an, als erwarte er, dass er ihm vor Freude um den Hals fiele.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, antwortete er abwartend.
„Warum nicht? Bring ihnen bei, so schnell und tödlich zu sein, wie du. Lehre sie, einen Überfall rechtzeitig zu erkennen. Das kann doch nicht so schwer sein.“ Thordas sah ihn ungeduldig an.
„Was sagt Eure Tochter dazu?“, fragte er und hielt dem Blick des Mannes stand.
„Livlia? Sie beugt sich jedem Wunsch ihres Vaters. Sie ist eine gute Tochter. – Und außerdem brauchtest du nicht in der Arena zu kämpfen, solange du die Wachen ausbildest“, sagte Thordas mit einem Grinsen. „Und das wird ihr bestimmt gefallen, da sie Angst hat, dich zu verlieren.“ Der Händler richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf. „Wenn Noamis es gestattet, beginnst du damit, meine Wachen auszubilden.“ Und ohne auf eine Antwort zu warten, ging er davon.
Djamyr fiel auf, dass er sich auch jetzt nicht für sein Leben bedankt hatte.
„Er hat recht, ich will nicht, dass du dein Leben in der Arena riskierst.“ Nebeneinander standen sie am Weidezaun und sahen Oschcura zu. „Ich dachte, es würde dir auch besser gefallen…“ Fragend sah sie ihn von der Seite an.
„Und wer sagt den Wachen, dass sie auf einen Fremden, einen Stappmakka“, er spuckte das Wort hinaus, „hören müssen? Sie mögen mich nicht, noch weniger als die anderen – Sklaven – deines Vaters.“
„Die Wachen sind keine Sklaven, sie sind ehemalige Soldaten. Er bezahlt sie und Bjark ist für sie verantwortlich. Ihm folgen sie aufs Wort.“ Livlia lächelte ihn an. „Komm schon, besser als in der Arena kämpfen, oder?“
„Das weiß ich noch nicht“, antwortete Djamyr und wandte sich Oschcura zu, die den kleinen roten Wallach vor ihnen zum Stehen gebracht hatte.
„Worüber streitet ihr?“, fragte sie und sah von einem zum anderen.
„Nur über die neue Aufgabe Djamyrs. – Thordas hat ihn gebeten, die Wachen auszubilden, damit sie genauso gut sind wie er“, antwortete Livlia ihr.
„Nein, er hat mich nicht gebeten. Thordas bittet nie. Er hat mir befohlen, auch wenn es wie eine Bitte klang“, warf Djamyr dazwischen. „Wie soll ich ihnen beibringen, auf die Schatten zu achten? Auf Hände und Gesichter, auf verstohlene Bewegungen, das Nichts, das alles sein kann? Diese Männer haben auf Schlachtfeldern gekämpft, sie trainieren tagtäglich, körperlich ist mir jeder von ihnen genauso überlegen, wie die Svjardvalsten. – Was soll ich tun? Sie in einem Zweikampf demütigen? Ich will sie nicht besiegen, wie die Svjardvalsten, ich…“ Sein Blick verlor sich in der Ferne. „Gibt mir die Erlaubnis nach Skjaja zu gehen“, bat er Livlia auf einmal.
„Was hat das mit der Bitte meines Vaters zu tun?“, fragte sie und sah ihn verwirrt an.
„Bitte, Livlia, gib mir die Möglichkeit alleine nach Skjaja zu gehen.“ Eindringlich sah er sie an.
„Gut, ich besorge dir eine Erlaubnis von Thordas, auch wenn ich den Sinn nicht verstehe“, sagte sie mit einem Seitenblick, doch Djamyr hatte sich Oschcura zugewandt.
Ein Siegel des Händlers erlaubte ihm, sich frei zu bewegen, und einen Moment spielte er mit dem Gedanken, nie wieder zurückzukehren in Thordas Haushalt, doch er hatte eine Schuld zu begleichen.
Die Stadt war voll, am nächsten Tag würden die Feierlichkeiten beginnen. Obwohl Skjaja nicht die Hauptstadt von Allragöst war, sondern nur eine der beiden größten Handelshäfen des Landes, war es, wie Livlia ihm erklärt hatte, das Zentrum der Feierlichkeiten. In Skjaja stand der Haupttempel des Sonnengottes Soelgrud, dem die Feierlichkeiten geweiht waren. Eine Enge, wie die in den Straßen von Skjaja, lockte viel Gesindel an: Betrüger, Diebe und Huren. Offenbar war die Unzucht mit anderen Frauen außer der eigenen nicht verboten.
Trotz der Vielfalt an Menschen aus dem ganzen Land fiel Djamyr mit seiner gezeichneten rotbraunen Haut und den schwarzen Haaren auf. Viele wussten, wer er war und betrachteten ihn mit einem gewissen ängstlichen Respekt. Wie immer, wenn Geschichten von Ohr zu Ohr weitergegeben wurden, hatten sich seine Gegner ebenso vervielfacht, wie seine Verletzungen.
Von der Menge ließ er sich auf den Marktplatz tragen, lauschte den Gesprächen der Menschen. Er aß in einer kleinen Kakalabäckerei und trank Druvla in einer Schenke. Der Gewürzwein war gut und die Schenke voll. Verschiedene Dialekte machten es ihm schwer den Gesprächen zu folgen. Nach einer Weile trat ein großgewachsener Mann mit einer Schwertwunde auf der linken Wange an seinen Tisch und setzte sich zu ihm.
„Du bist der Mann aus der Steppe“, stellte er fest. Sein rotbraunes Haar wurde von silbernen Fäden durchzogen, er trug einen dichten Bart, der mehr silbern als rotbraun war. Scheinbar unbesorgt saß er vor Djamyr am Tisch, unter seinen Kleidern trug er jedoch ein Kurzschwert, in der Armschiene verborgen einen Dolch.
„Ja“, antwortete er, auch wenn es keine Frage, sondern eine Feststellung des Fremden gewesen war.
„Mein Name ist Svarius. Darf ich dich auf einen Druvla einladen?“ Immer noch war die Haltung des Mannes von versteckter Vorsicht geprägt.
Djamyr nickte mit einem Lächeln und wartete. Irgendetwas wollte Svarius von ihm und er konnte warten, bis dieser bereit war zu reden. Eine hübsche, blonde Schankmagd, deren helles Haar ihn an Jandris erinnerte, brachte ihnen zwei Tonkrüge mit dem lauwarmen Getränk. In den kalten Monaten wurde es kochend heiß serviert, jetzt, wenn die warmen Monde kamen, wurde der Druvla nur lauwarm ausgeschenkt. Seine Gewürze waren milder, nicht so scharf und wärmend.
Über den Rand seines Bechers hinweg betrachtete er den Mann, der ihn seinerseits aus braunen Augen musterte.
„Es gibt viele Geschichten über dich“, begann er. „Sie sind wie alle Geschichten voller Übertreibungen und die Lücken sind mit Lügen gefüllt. Erzähl mir, wie du in dieses Land gekommen bist.“
Djamyr lächelte ihn an. Eine unverschämte Forderung und wenn er nicht angenommen hätte, dass der Mann genau das war, was er suchte, dann hätte er ihm niemals geantwortet. Viele geflüsterte Worte hatte er gehört über die Aufständischen, ihren Kampf gegen die Reichen, die verhassten Herren. Die Bewunderung und Hoffnung war deutlich gewesen, die Menschen waren ihres Lebens und seiner Ungerechtigkeit müde. Dieser selbstbewusste Mann sah aus, als wüsste er mehr darüber zu erzählen.
„Ich wurde als Sklave an den Händler Sakkio verkauft, der hoffte, mit mir ein gutes Geschäft in Allragöst zu machen. Er glaubte, er könne mich hier als Svjardvalsten verkaufen“, sagte er und ließ den Mann nicht aus den Augen. „Livlia, die Tochter Thordas, rettete mir das Leben, so kam ich in den Haushalt des Händlers. Als Leibwache des Mädchens.“
„Warum hast du dann hundert Mann getötet und ein eigenes Leben riskiert, um Thordas und seinen Erben zu beschützen? Das Mädchen war an dem Tag nicht auf dem Richtplatz, die Frauen der Reichen dürfen dieses Spektakel nicht besuchen.“ Svarius Ton war anmaßend, unterstellte ihm Loyalität zu Thordas, den er selber, Svarius, verachtete.
„Ich war als Wache des Sohns dort, auf Bitten seiner Schwester“, erläuterte er, auch wenn es den Mann nichts anging. „Und ich tötete drei Männer und verletzte eine Frau.“
„Hatten sie kein Recht den Mann anzugreifen, der ihren Bruder und Sohn aufgrund einer Verleugnung hatte töten lassen?“, fragte Svarius.
„Rache ist kein Recht, Gerechtigkeit ist das Recht“, sagte Djamyr in das lächelnde Gesicht. „Und Rache ist nie Gerechtigkeit.“
„Oh, du bist ein Philosoph, Djamyr, Mann aus der Steppe. Was ist denn Gerechtigkeit? Wenn der Herr seinen Sklaven aufgrund einer Lüge auf den Schandpfahl schickt?“
„Was interessiert dich meine Meinung? Bei uns ist Gerechtigkeit etwas anderes als bei euch“, antwortete er.
„Was ist Gerechtigkeit in der Steppe?“ Der Mann kam näher, schien etwas in seinen Augen zu suchen.
„Darüber bestimmt die Sippe. Eine Strafe muss dem Vergehen angemessen sein, wenn du einen Bruder bestiehlst, dann wird dir etwas genommen. – Doch das ist selten, da wir nicht viel Besitz haben, der sich zu stehlen lohnt. Höchstens eine gute Waffe. Doch in einer kleinen Gemeinschaft fällt ein solcher Besitzwechsel schnell auf.“ Er sah in den dunkelroten Wein, „Nach der Strafe muss die Sippe wieder zusammenleben können. Die Tat ist gesühnt und vergessen.“
„Und wenn du dein Lager mit einem Mann teilst, was ist dann die Strafe?“, fragte die Stimme auf einmal weich und die große Hand mit den rötlichbraunen Haaren darauf schloss sich um sein Handgelenk. Ihre Blicke trafen sich und er sah Verlangen. Ein Kribbeln ging von der Hand aus, zog sich durch seinen Körper. Wie lange war es her?
„Das wird bei uns nicht bestraft, es ist egal, mit wem man sein Lager teilt“, antwortete er und fragte sich, wie sich die rauen Hände des Mannes anfühlen würden.
„Haltet ihr Sklaven, Djamyr?“ Die Hand blieb auf seinem Arm und die Stimme wurde dunkler, wie die Augen. Seinen Namen sprach er fremd und heiser.
„Nein, keine Sklaven, keine Herren. Was wir tun, tun wir für die Sippe“, erwiderte er und sein Blut sammelte sich in seiner Körpermitte. In einer unauffälligen Geste, strich der Daumen des Mannes über seine Haut und nur diese Berührung ließ ihn erschaudern.
„Ihr seid ein weises Volk. Ein solches Leben wünschen sich viele von uns. Doch wir wären schon mit der Chance auf ein freies Leben zufrieden. Das Recht der Ehe, des Besitzes und der Freiheit, seinen Aufenthaltsort selber zu wählen.“ Noch einmal streichelte ihn der Daumen und seine Nerven sirrten.
Der große Mann stand auf. „Komm“, sagte er einfach und ging voraus.
Und auch wenn etwas ihn zur Vorsicht mahnte, wollte er nicht auf das verzichten, was die Augen ihm versprochen hatten. Wenn es ein Fehler war, würde er sterben, entweder durch die Hand des Mannes oder auf dem Schandpfahl. Doch im Moment konnte ihn weder die eine noch die andere Möglichkeit abhalten. Den Gedanken an Jandris verbannte er völlig aus seinem Kopf, an den Sandfuchs wollte er jetzt bestimmt nicht denken.
Sie gingen durch die Schenke, keiner schenkte ihnen besondere Beachtung, erklommen eine Treppe, die vom Hinterhof zu Zimmern in der ersten Etage führten.
Schweigend folgte er Svarius in eins der Zimmer, sein Herz klopfte hart gegen seine Rippen. Kaum war die Tür geschlossen, drehte sich der Mann zu ihm um, presste ihn an die Tür und küsste ihn. Hart forderte er Einlass und seine Zunge eroberte seinen Mund. Einen Moment ergab er sich, dann schob er den anderen Mann von sich. Sie sahen sich an, dann legte er die Hand in die Mähne des Mannes und zog ihn in einen ebenso harten Kuss. Seine Hände erkundeten den muskulösen Körper, fanden schnell ihren Weg zwischen die Beine des Mannes. Es ging hier nicht um Zärtlichkeit, es ging um die Befriedigung eines Bedürfnisses. Svarius Hand fand seine Härte genauso schnell, begann ihn zu reiben und entlockte ihm ein Keuchen. Zu lange war es her, zu groß sein Verlangen.
Mit einem heiseren Lachen griff Svarius in sein Haar, bog seinen Kopf zurück, leckte über seinen Hals. „Du brennst ja. Soll ich dein Feuer kühlen?“, flüsterte er in sein Ohr, seine Hand rieb ihn etwas stärker und ließ ihn erneut keuchen. Eine Antwort sparte er sich, drückte sich der Hand entgegen. Svarius schob sein Bein zischen Djamyrs Beine, gab ihm die Möglichkeit sich an ihm zu reiben, während seine Hände anfingen ihn auszuziehen. Als die rauen Fingerspitzen seine Brust erkundeten, stöhnte er.
„Leise, mein Hübscher, leise“, flüsterte ihm Svarius ins Ohr, streifte sein Hemd ab, öffnete die Hose und ging vor ihm auf die Knie. Zart strichen die Finger über die frische Narbe an seiner linken Seite, bevor sich der warme, feuchte Mund um ihn schloss und allein das brachte ihn an den Rand seiner Beherrschung. Sein Atem ging schnell und stoßweise, seine Hände vergruben sich in der Mähne des Mannes und er wusste nicht, wie er die Laute, die aus ihm aufstiegen zurückhalten sollte, presste die Kiefer aufeinander.
Svarius schien zu spüren, was er brauchte, denn er zögerte nichts hinaus und gab ihm schnell und hart die erste Befriedigung.
„Das war aber notwendig, was mein Hübscher? Komm.“ Svarius führte ihn zu dem schmalen Bett, das neben einem zerkratzten Tisch und zwei wackeligen Stühlen das einzige Möbelstück in diesem Zimmer war, zog ihn ganz aus, bevor er sich selber auszog. Im einfallenden Licht sah Djamyr die grauen Haare auf der breiten Brust, die durch Narben gezeichnet war. Narben einer Peitsche vermutete er, solche Narben hatte er auf dem Sklavenmarkt öfter gesehen. In die Schnüre der mehrendigen Lederpeitschen waren kleine Gewichte mit Widerhaken eingeflochten, die diese furchtbaren Spuren hinterließen. Dank der Zeichnungen auf seiner Haut, die Sakkio unbedingt erhalten wollte, da er sich einen höheren Kaufpreis davon versprach, war er nie damit ausgepeitscht worden.
Der Schaft des Mannes steckte sich ihm begehrlich entgegen. Lächelnd streckte er seine Hand aus. „Es ist noch mehr notwendig“, sagte er rau und Svarius lachte leise.
Er ließ sich Zeit, den Narben mit den Fingerspitzen zu folgen, berührte mit seinem Mund die Brustwarzen, die wie durch ein Wunder – oder die hohe Kunst des Folterknechts – unverletzt waren. Svarius roch nach Wein und Leder. Seine Hand erreichte den Schaft, aus dessen geröteter Eichel die ersten Lusttropfen quollen. Sanft, fast spielerisch begann er ihn zu streicheln, bekam ein lang gezogenes, verhaltenes Stöhnen. Sein Mund saugte an den Brustwarzen, seine Zunge leckte über den Hals, er biss in das Ohr, küsste den Mund zwischen den kratzenden Barthaaren.
„Komm, mein Hübscher, gib mir, was ich brauche“, keuchte Svarius in sein Ohr und er ließ ein paar Striche lang seine Hand mehr Druck ausüben, führte ihn an den Rand, ließ ihn aber nicht hinübergehen. Frustriertes Stöhnen. Sein Mund wanderte über die breite Brust, durch das dichte Haar und schloss sich um den prallen Schaft. Das Becken stieß ihm entgegen. Seine Hand legte sich um die Hoden, massierten sie und wenige Augenblicke später ergoss sich Svarius, sein Stöhnen mit der Hand zurückhaltend.
„Gerne würde ich mich in dir versenken, aber das wirst du nicht zulassen, mein Hübscher“, flüsterte Svarius ihm zu, als er neben ihm lag und Djamyr die krausen Haare auf der starken Brust durchwühlte.
„Niemals“, antwortete Djamyr lächelnd. Sein eigener Körper war fast haarlos. Keiner aus seinem Volk hatte eine starke Körperbehaarung. Bartwuchs, Haupthaar, ja, aber kaum etwas auf dem Körper. Das dichte Haar des Mannes neben ihm war neu und erregend. Er schmiegte seinen Körper gegen Svarius und genoss das sanfte Kratzen. Wie gut einen anderen Mann zu spüren.
„Du bist ein Upvirag“, sagte Djamyr und sah den Mann an. „Du willst etwas von mir, das nichts mit unserem “Zwischenspiel“ zu tun hat.“
Der Brustkorb vibrierte unter Svarius Lachen. „Ja, ich wollte wissen, wo du stehst. Ob du deinen Herren verteidigst, dich gegen ihn stellst oder ob du dich heraushalten wirst, wenn die Aufstände beginnen sollten.“
„Aufstände?“, fragte Djamyr, streichelte das raue Haar dabei weiter.
„Ja, es sind viele, die die Bedingungen der Herren“, er spuckte dieses Wort aus, „nicht mehr hinnehmen wollen. Wir wollen Freiheit. Die Freiheit, selber über unser Leben zu bestimmen, über unsere Frauen und Kinder. Wir sind kein Vieh, keine Ware, sondern Menschen, Djamyr, Menschen mit Wünschen, Träumen und Hoffnungen.“ Svarius rollte sich über ihn, sah ihn mit brennenden Augen an. „Hast du Träume, einen Wunsche, eine einzige Hoffnung?“
„Ja“, antwortete er und zog den anderen in einen Kuss. Hart pressten sich die Lippen auf seinen, fordernd drang die Zunge in seinen Mund, erkundete ihn.
„Dann musst du auf unserer Seite kämpfen, Djamyr, dann musst du uns helfen“, sagte Svarius keuchend in eine Pause, in der sich ihre Lippen nicht begegneten. Ein Oberschenkel schob sich zwischen seine Beine, gab ihm Reibungsfläche. Zeitgleich spürte er die Härte, die sich an ihm rieb.
„Ich habe eine Schuld abzutragen, ein Leben für ein Leben, solange kann ich nicht fort.“ Eine Hand umschloss ihn hart und ein Daumen rieb über die empfindliche Spitze. Sein Körper presste sich der Hand entgegen.
„Wem schuldest du ein Leben? Thordas?“ Svarius leckte seine Kehle, biss in seine Schulter. Seine suchende Hand fand die fremde Härte, umschloss sie genauso unnachgiebig.
„Nein, Livlia. – Und Jandris.“ Würde dies die beiden schützen können? Würde seine Bitte um ihre Leben, die Upvirag zurückhalten können, wenn der Blutrausch des Aufstandes sie durch die Straßen trieb?
Eine große Hand legte sich auf seinen Rücken, zog ihn dicht an Svarius, der ihrer beider Härten mit seiner großen Hand umschloss und sie gemeinsam rieb.
„Wirst du gegen uns kämpfen, Djamyr?“
„Nein, nur für diese beiden Leben“, antwortete er und klammerte sich an den breiten Rücken vor ihm.
„Du wirst uns nicht verraten?“ – „Zweifelst du daran?“ – „Nein, mein Hübscher, nein!“
Die Hand presste ihre Härten zusammen, steigerte ihr Tempo, während der Mund ihn küsste, heiß, verzehrend. Sein Stöhnen traf auf Svarius‘ Stöhnen, gefangen zwischen ihren Mündern, als sie sich fast zeitgleich ergossen. Keuchend bleiben sie nebeneinander liegen.
„Schön, mit dir Verhandlungen zu führen“, lachte Svarius leise. „Ich hoffe, nie gegen dich kämpfen zu müssen.“
„Ja, das hoffe ich auch. Ich möchte dich nicht töten müssen“, erwiderte Djamyr und Svarius wusste, dass es ihm ernst war; genauso, wie er wusste, dass er in einem Zweikampf unterliegen würde. – Und dass Djamyr im Zweifel keine Rücksicht auf ihn nehmen würde. – Könnte er auch so hart sein? Nachdenklich streichelte er Djamyr über den Rücken, besser, es käme gar nicht dazu.
Das Erste, was er sah, war Yuris, der vor dem Haus stand. Sein Herz machte einen Satz, es war nichts geschehen und Jandris war wieder da! – Auch wenn er nicht wusste, ob das gut oder schlecht war, dass ihn das berührte.
Jandris musste gerade erst angekommen sein, da die Pferde sich noch vor dem Haus befanden. Die Pferdeknechte waren dabei, sie zu den Ställen zu führen, unter ihnen sah er Oschcura.
Gern würde er Jandris sehen, doch ihm war bewusst, wie er riechen musste, nach Svarius und ihrem Zusammenliegen. Zwar hatte er sich gesäubert, doch er brauchte das Badehaus, um sich wieder wirklich sauber zu fühlen, den Anderen von seiner Haut zu waschen. Mit diesem Geruch konnte er nicht Jandris unter die Augen treten.
„Djamyr!“, rief Oschcura ihn und er drehte sich zu ihr um. „Thordas hat dich gesucht. Er befahl, dir zu sagen, dass du umgehend in die Bibliothek kommen sollst.“ Sie zeigte auf das Haupthaus. „Irgendwo in diesem.. Haus.“ Ihre Miene verriet, wie wenig sie von diesem Gebäude hielt. Djamyr wusste, dass sie nur im Stall bei den Pferden schlief. Nickend ging er zu dem großen Gebäude, zum ersten Mal betrat er es durch die kunstvoll beschlagene Eingangstür und die prächtige Eingangshalle.
Auf dem Boden stellte ein eindrucksvolles Mosaik Skappgrud Cykla dar. Von der Neugeburt des Jahres bis zu seinem winterlichen Ende. Die goldenen Steine der Sonne spiegelten funkelnd das Licht der unzähligen Kerzen, die die Halle erhellten. Wie mussten sie erst glänzen, wenn das Sonnenlicht sie durch das große, dem Eingang gegenüberliegenden Fenster traf? Dort war die Sonnenseite. Die Strahlen wanderten den ganzen Tag über den Boden.
Der einzige Raum im Haupthaus, den er bisher betreten hatte, war die Küche und die auch nur über durch die rückwärtige Treppe für die Sklaven und Wächter.
Die Halle war riesig, rechts führte eine breite, ebenfalls mosaikverzierte Treppe hinauf in den ersten Stock. Vor der Treppe stehend hatte er den Eindruck, Wasser fließe glitzernd die Stufen hinab.
Dienstboten liefen geschäftig durch die Halle, ignorierten ihn. Wo war die Bibliothek? Djamyr hatte von dem Raum voller Bücher gehört, konnte sich darunter aber nichts vorstellen. Annia, die lesen und schreiben konnte, hatte ihm gezeigt, wie geschriebene Worte aussahen und erklärt, dass in den Büchern alles stand, was die Menschen wussten, was sie bewahren und weitergeben wollten. In der Steppe gab es keine geschriebenen Worte, Wissen wurde durch Geschichten weitergegeben und durch die Lehren der Schamanen.
„Djamyr!“, Livlia rief ihn von der Treppe aus und er ging zu ihr. „Jandris ist endlich wieder da!“ Ihre Wangen waren gerötet.
„Ich soll zu Thordas kommen, in die Bibliothek“, sagte er und an seinem Blick schien sie zu sehen, dass er nicht wusste, wohin er gehen sollte.
„Komm, ich bring dich hin.“ Sie griff seine Hand und zog ihn mit in die erste Etage. Ohne zu klopfen, riss sie eine Seite der Doppeltür auf und stürmte herein.
Thordas und Jandris, die nebeneinander über den Schreibtisch gebeugt standen, wandten sich um. Mit einem Schrei sprang sie ihrem Bruder in den Arm, der es gerade noch schaffte, sie aufzufangen und sein Gleichgewicht zu halten. Ihr Vater betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen kritisch, dann wanderte sein Blick zu Djamyr, der sich in dem Raum umsah.
Die ganzen Wände waren mit dem gefüllt, was die Menschen in diesem Land Bücher nannten. In dem Zimmer roch es nach Leder und altem Staub. Der Schreibtisch aus dunklem Holz stand vor dem Fenster. Eine Menge Wissen, das bewahrt werden musste.
„Stappmakka, wie schön dich zu sehen“ Thordas trat mit einem Lächeln, das wie immer nicht seine Augen erreichte, an ihn heran. „Jandris kommt gerade aus Wignana zurück. Nachdem die Geschäfte geregelt sind, ist es nun an der Zeit, die Hochzeit von Eilliana und Andris zu planen.“
Djamyr warf Livlia, die neben Jandris stand, einen Blick zu. In ihrem Gesicht konnte er Unbehagen lesen.
„Jandris sieht Probleme mit den Upvirag auf uns zukommen…“ Seine hochgezogenen Augenbrauen wandten sich Jandris zu. „Er erzählt von Gerüchten über Aufständische, die sich sammelten.“
„Ja, Vater, die Straßen sind voll mit diesen Gerüchten. Immer dreister werden die Überfälle der Upvirag.“ Empörung stand in Jandris Gesicht. „Sie rauben und morden. Immer wieder werden Händler von ihnen überfallen und getötet.“
„Ihr wollt eure Tochter nach Wignana schicken? Über die Handelsstraße?“, fragte Djamyr und hielt sich bewusst von Jandris fern. Er wollte nicht, dass er den Geruch des anderen Mannes an ihm wahrnahm.
„Ja, das ist der sicherste, da viel bereiste Weg. – Livlia sagte, du wolltest heute nach Skjaja. Warum?“ Die sturmgrauen Augen erfassten ihn, als Thordas so unvermutet das Thema wechselte.
„Ich wollte mich umhören. Wissen, was auf der Straße gesprochen wird“, antwortete er mit einem Schulterzucken.
„Und was wird auf der Straße gesprochen?“ Ein tückisches kleines Lächeln lag in Thordas Mundwinkel und Djamyr fragte sich, ob der Mann wusste, mit wem er am Nachmittag gesprochen hatte. – Und nicht nur gesprochen…
„Die Straße ist unruhig, wie Jandris es sagt. Die Zahl der Unzufriedenen ist groß. Eine gute Grundlage für die Upvirag Hass zu säen.“ Offene begegnete er Thordas Blick. „Morgen beginnt euer Fest und Livlia will in den Tempel. Ich wollte wissen, worauf ich mich einstellen muss, wenn ich sie begleite.“ Seine Miene blieb dabei ausdruckslos.
„Und, Stappmakka, kann ich meine Tochter morgen unbesorgt in den Tempel gehen lassen?“, fragte Thordas.
„Wenn Ihr es nicht könntet, würde ich Euch abraten, sie gehen zulassen“, antwortete Djamyr.
„Und wenn ich morgen in den Tempel gehen will, was sagst du dazu?“ Thordas umrundete ihn wie ein Raubtier die Beute.
„Ihr seid ein verlockenderes Ziel, als Eure Tochter“, antwortete er.
„Woher hast du deine Informationen, Stappmakka? Deine Lippen sind zerbissen. Welchem Raubtier hast du deine Informationen entlockt?“ Thordas strich abfällig mit seinem Daumen über Djamyrs Lippen. Nur mit Mühe konnte er sich von einer Reaktion abhalten. Wut brandete in ihm hoch. „War es eine der Huren am Hafen? Oder ein Schankmädchen, dass von dem Raubtier in deinen Augen angelockt wurde? Oder eins der jungen Mädchen auf den Hinterhöfen, die alles für ein paar Mynth machen?“ Wieder berührte er Djamyrs Lippen. „Nach welchem Körper verlangt es dich, Steppenmann?“ Thordas‘ Atem streifte sein Gesicht, die Augen fixierten ihn und Djamyrs Hände ballten sich zu Fäusten, sein Nacken versteifte sich.
„Vater!“ Jandris trat einen Schritt vor und funkelte Thordas an. „Es geht uns nichts an.“ Kurz huschten seine Augen zu Djamyr. „Und das ist auch nicht das, worüber Ihr mit ihm reden wolltet.“
Was dachte Jandris? Diese Frage kreiste gerade in seinem Kopf. Er hatte nicht gewollt, dass Jandris wusste, was er getan hatte, auch wenn es zwischen ihnen nie zu mehr als diesen beiden Küssen kommen würde.
„Nein. Ich will, dass du meine Tochter sicher nach Wignana bringst. Du bekommst so viele Wachen wie du brauchst, aber bring sie und unsere Geschenke heil zu ihrem zukünftigen Ehemann.“ Thordas musterte ihn mit seinen grauen Augen. „Ach ja, Livlia und Jandris werden dich ebenfalls begleiten. Du bewachst kostbare Fracht, bring sie unversehrt an ihr Ziel.“
„Ich will aber nicht nach Wignana! – Und wann überhaupt? – Was soll ich dort?“ Livlia war empört vorgetreten.
„Du und Jandris vertretet die Familie. – Und hör auf dich wie ein kleines Kind zu gebärden, du bist eine junge Frau, die selber bald in den Stand der Ehe treten kann.“
Thordas‘ Worte verschlugen Livlia für einen Moment die Sprache, während ihr Vater weiterredete: „Und auch morgen birgst du mit deinem eigenen Leben für Jandris und Livlia. Wenn einem von ihnen etwas zustößt, dann würdest du dir wünschen, auf dem Schandpfahl zu sterben.“ Mit diesen Worten verließ er die Bibliothek.
Livlia schnauft. „Selbst bald in den Stand der Ehe eintreten? Niemals begebe ich mich in so eine Abhängigkeit, lasse mein Leben von einem anderen bestimmen, der mir sagt, was ich wann und wo zu tun habe.“
Djamyr sah sie an und fragte sich, ob sie erkannte, was sie da gerade sagte.
„Hör auf, Livlia, fast alle Menschen in deiner Umgebung leben so“, sagte Jandris und warf einen Blick auf Djamyr. Einen Moment blieben seine Augen an den Lippen hängen, auf die sein Vater eben alle Aufmerksamkeit gelenkt hatte. Wen hatte Djamyr so geküsst, dass man es jetzt noch sah? War er wirklich bei einer der Huren gewesen? Doch Huren küssten nicht…
Oder war er in den Tiefen der Stadt gewesen, wo man alles bekam, auch Männer, die es mit Männern taten? Oder gab es jemanden, der sein Leben auch ohne Gegenleistung für Djamyr riskierte? Sicher gab es jemanden. Er selber würde zu gern seine Hände in dem schwarzen Haar vergraben und…
Schnell verdrängte er den Gedanken. Das war unmöglich. Das wäre eine Sünde. – Und warum war es dann bei Djamyrs Sippe möglich? Warum wurde ein Volk, das in einer solch schwerwiegenden Sünde lebte, nicht verdammt? Kamen die Toten der Steppe für ihr sündiges Leben in Skrattri Rykri, dem Ort, an dem die Qualen nie endeten?
„Djamyr, was passiert mit den Seelen deiner Sippe, wenn ihr sterbt?“, fragte er und erntete, angesichts der ungewöhnlichen Frage, erstaunte Blicke von Livlia und Djamyr.
„Wenn wir sterben, dann erwartet uns das djivinjo rejami. – Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll… Eine ewige Steppe, in der statt des Windes ein Lied geht, in der du nie Hunger, Durst oder Kälte spürst und mit tiefer Zufriedenheit erfüllt bist.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„Und die Sünder, wo kommen die hin?“
„Sünder? Du meinst jene, die die Sippe in die Steppe schickt, zur Strafe für ihr Vergehen? – Sie kommen auch in das djivinjo rejami. Sie haben für ihr Vergehen – wie sagt ihr – gesühnt?“
„Und wenn man fortwährend sündigt? Wenn man etwas tut, was eine Gottheit als Sünde verdammt, aber es nicht gesühnt wurde?“, fragte Jandris nach.
„Wir kennen nur einen Schöpfer: djivinjo. Er hat uns erschaffen, er gab uns die Steppe und nimmt uns in sein Reich, wenn wir sterben. Er verdammt nicht. Es gibt nur die Regeln der Sippe und nur gegen diese kann man verstoßen. Sie sind notwendig, um zusammen leben zu können“, antwortete Djamyr mit gerunzelter Stirn. „Was passiert mit euch, wenn ihr gegen die Gebote eurer Gottheit verstoßt?“
„Wir haben vier Gottheiten: Soelgrud, den Sonnengott, Sjoergrud, der Gott der Meere, Skrattri, den Gott der Unterwelt und Skappgrud, den Schöpfer“, erklärte Livlia. „Und alle haben ihre Gebote und wenn du gegen eins verstößt, dann endest du in Skrattri Rykri, dem Ort der ewigen Qualen. Ewigen Schmerz und endlose Sehnsucht nach Erlösung.“
„Und Horek ist trotz der Qualen, die er erlitten hat, an diesem Ort und wird für alle Ewigkeit bestraft? – Ihr habt harte Götter.“ Djamyr sah Jandris an. „Habt ihr nie genug gelitten? Zählen Entsagungen und Qualen während des Lebens nicht?“
„Wenn du stirbst, ohne gesündigt zu haben, dann kommst in Skappgrud Rykri, einem Ort, der eurem djivinjo rejami sehr ähnlich ist“, antwortete wieder Livlia.
„Und einen Menschen zu töten ist für eure Götter keine Sünde?“, fragte Djamyr.
„Doch, wenn du einen Menschen aus Habgier, Eifersucht oder im Streit tötest, dann hast du gesündigt.“ Livlia betrachtete die beiden Männer, sah die Blicke und seufzte leise. Beide sahen sie an und sie lächelte.
„Wenn du den Daumen in der Arena senkst und der Svjardvalsten tötet seinen Gegner, ist das keine Sünde?“, fragte Djamyr sie.
„Nein, den Svjardvalsten sind…“ Livlia biss sich auf die Lippe.
„…keine Menschen im Sinne eurer Götter. Falsjo djivo, verlogene Götter!“ Djamyr spuckte die Wörter aus und Livlia zuckte zusammen.
„Hört auf. Unser Glaube ist anders als eurer…“, begann Jandris.
„Aber ihr zwingt mich unter euren Göttern und ihren Geboten zu leben!“, unterbrach ihn Djamyr.
„Ja, aber bestraft werden nicht Sünden, sondern Verstöße gegen Allragösts Gesetze. Horek starb, weil er gegen ein Gesetz und nicht weil er gegen ein Gebot Skappgruds verstoßen hat.“ Jandris war vor Djamyr stehengeblieben, sah ihn an und hatte sofort das Bedürfnis, in den bernsteinfarbenen Augen zu versinken, Götter und Gesetze zu vergessen. Ein Schmerz durchzuckte ihn, als er daran dachte, wer diese Lippen wohl heute geküsst hatte. Kein Mensch sollte ihn berühren dürfen, diese Lippen in Besitz nehmen…
„Djamyr, steht Zajuma noch auf dem Sattelplatz?“, fragte Livlia und unterbrach seine Gedanken. „Du solltest sie absatteln. – Warte ich begleite dich in den Stall.“
Nachdem er Zajuma abgesattelt und gestriegelt hatte, ging Djamyr ins Badehaus. Endlich würde er dazu kommen, den Geruch Svarius von seiner Haut zu waschen. Nicht, dass ihm unangenehm war, was sie gemacht hatten, nein, das war gut und notwendig gewesen. Doch den Geruch des anderen wollte er loswerden. Der Zuber mit warmem Wasser war eine Wohltat. Entspannt legte er den Kopf auf den Rand, schloss die Augen und ließ seine Gedanken treiben. So gut es mit Svarius gewesen war, lieber hätte er das Lager mit Jandris geteilt. Die langen, schlanken Finger auf seinem Körper gespürt, die Lippen geküsst, probiert, wie süß er schmeckte… Das Blau der Augen, wenn ihn das Verlangen überrollte…
Eine Hand griff in seine Haare, zog seinen Kopf ruckartig zurück, sodass seine Kehle entblößt vor dem Angreifer lag. Djamyr riss die Augen auf, verfluchte seine Unaufmerksamkeit und erwartete eine Klinge an seinem Hals zu spüren, doch er blickte nur in Jandris blaue Augen über sich. In seinem Atem konnte er Saedsaev, einen bitteren Getreideschnaps, riechen. Wut loderte in dem Blau.
„Bei wem warst du heute Nachmittag?“, flüsterte er und die Wut war in jedem Wort, in jedem Buchstaben zu hören.
„Was geht dich das an?“, fragte Djamyr zurück. Eine ernsthafte Bedrohung war Jandris im Moment nicht. Das änderte sich, als er ihm eine Klinge an den Hals legte.
„Ich spaße nicht. Ich will wissen, bei wem du heute warst“, knurrte er in sein Ohr.
„Warum willst du das wissen?“, fragte Djamyr, verlagerte sein Gewicht vorsichtig.
„Das ist egal, sag mir einfach, bei wem du warst“, forderte Jandris, sein Atem strich über Djamyrs Gesicht.
Er würde es Jandris bestimmt nicht sagen, er wollte ihn aber auch nicht verletzen – oder selber verletzt werden. Langsam nahm er die Hand aus dem Wasser und fasste sanft in Jandris Haar.
„Willst du wissen, wo ich gerne gewesen wäre? In wessen Armen ich lieber gelegen hätte?“ Die Klinge lag so an seinem Hals, dass eine einzige Bewegung genügen würde, um seine Ader zu durchtrennen und sein Leben zu beenden. Er zog Jandris Gesicht näher, berührte seine Lippen. Der Druck der Klinge ließ nach und er zog Jandris in einen Kuss, das Messer fiel auf den Boden. Eine geschmeidige Bewegung brachte ihn aus dem Wasser und im nächsten Augenblick auf Jandris, die eigene Klinge an dem Hals des anderen.
„Nie wieder, legst du eine Klinge an meinen Hals!“, knurrte er und sah in Jandris überrascht aufgerissenen Augen. Das Wasser tropfte von seinem Körper auf den Mann unter ihm. „Wenn du etwas wissen willst, frag. Wenn du etwas haben willst, sag es. Doch bring nie wieder eine Waffe zwischen dich und mich, außer, du willst sterben.“ Vorsichtig erhob er sich, spürte einen leichten stechenden Schmerz in der Seite. Von einem Stapel nahm er ein Badelaken, wickelte sich ein und streckte Jandris die Hand hin.
Mit einer wütenden Bewegung schlug Jandris sie weg. Schwerfällig vom Alkohol stand er auf und fixierte ihn. „Wag das nie wieder, außer du willst am Pranger landen. – Ein Sklave hat seine Hand nicht gegen seinen Herrn zu erheben. Für deine Frechheit müsstest du 20 Hiebe mit der Pikka erhalten.“
Djamyr starrte ihn an, bemühte sich, seine Wut zu zügeln. Ohne Jandris weiter zu beachten, begann er sich anzuziehen.
„Bei wem warst du?“ Jandris Hand riss ihn herum. Eisige Wut in dem blauen See seiner Augen. Schweigend hielt er dem Blick stand. „Ich warne dich, ich lasse dich auspeitschen, wenn du weiter schweigst.“
„Du willst es unbedingt wissen? – Ich war bei einem Mann. Einem Liebhaber, der mir mit seinen großen, rauen Händen das gegeben hat, was ich brauchte. Dessen Mund mein Verlangen stillte. Dessen…“
Mit der flachen Hand schlug Jandris ihm hart ins Gesicht. „Du bist… Du gehörst an den Schandpfahl“, flüsterte er bleich im Gesicht und verließ den Raum so schnell, als sei er auf der Flucht.
Djamyr zog sich an und verließ das Badehaus. Wie lange würde es dauern, bis die Wachen kämen, wenn Jandris ihn wirklich verraten hatte? Auch, wenn er das nicht glauben konnte, glauben wollte. Nichts zog ihn zu seiner Kammer, er ging in den Stall, setzte sich neben Zajuma ins Stroh. Sanft knabberte sie an seiner Schulter, er streichelte ihre weichen Nüstern. „Mia dschemma“, flüsterte er in ihn Ohr, sie schnaubte leise zur Antwort. „bramjiare seschondo orijino.“ (Mein Juwel, ich sehne mich nach der Heimat.) Sanft, tröstend, schnaubte sie ihm ins Gesicht, drehte sich um und zupfte am Heu.
Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Völlige Stile umgab ihn, als er aufwachte, nur das Mondlicht, das durch die Fenster hereinfiel, erhellte den Stall. Ein leises Stöhnen aus der Box neben ihm erklang und Djamyr erhob sich. Ein Blick durch die Stäbe zeigte ihm, dass es Livlia und Oschcura waren. Livlias Körper sah weiß wie vergossene Milch im Mondlicht aus. Genau so musste auch Jandris Haut aussehen. Dunkel hob sich Oschcuras rotbraune Haut dagegen ab. Die schwarzen Haare breiteten sich wie eine Decke über Livlias Bauch aus, während Oschcura ihr zwischen den weit geöffneten Beinen Lust verschaffte. Livlias Hände krallten sich in die schwarzen Locken und sie stöhnte leise den Namen der Geliebten.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, zog er sich zurück. Es war Vollmond und der Hof wurde in das gelbliche Licht getaucht, die Wagen und der Brunnen warfen tiefschwarze Schatten. Eine Katze lief geduckt über den Hof, sonst lag er unberührt und still. Vorsichtig überquerte er den Platz, schlich sich die Treppe hoch und ging in sein Zimmer. Keine Wachen, dachte er. Das Licht, das durch das schmale Fenster in seine Kammer fiel, erhellte einen Streifen der Fußbodendielen. Er tastete nach dem Feuerstein, um die Kerze zu entzünden.
„Lass es aus, bitte“, flüsterte Jandris Stimme aus der Dunkelheit, in die sein Bett gehüllt war. Erschrocken fuhr er herum. Seine Sinne versagten vollkommen bei Jandris.
„Seit einer Ewigkeit warte ich auf dich“, sagte Jandris leise. „Ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut. – Ich wollte dir nicht drohen.“
„Was willst du – Herr“, fragte Djamyr rau. Die Drohung mit dem Schandpfahl war eins, die Zurechtweisung auf seine Stellung, etwas ganz anderes.
„Hör auf, Djamyr, es tut mir Leid.“ Jandris erhob sich und trat in den schmalen Lichtstreifen. „Du weißt, dass ich dich nicht als Sklaven sehe.“
„Wie großmütig, ich bin jedoch nur ein Sklave in diesem Haushalt. Wenn es Euch passt, könnt Ihr mich peitschen lassen – oder verkaufen – oder töten. Ihr braucht nicht einmal einen Grund dafür.“ Er wich der Hand aus, die sich nach ihm ausstreckte. „Wenn es Euch recht ist, Herr, würde ich mich gerne zur Ruhe begeben.“
„Djamyr, bitte“, flehte Jandris.
„Ihr hattet Recht, mich an meinen Platz in diesem Haus zu erinnern. Ich habe Eurer Freundlichkeiten viel zu ernst genommen.“ Es fiel ihm nicht leicht, doch er musste eine Grenze zwischen sich und Jandris ziehen. Viel zu sehr war er schon in den Gefühlen für diesen Mann verstrickt.
„Alles war ernst, Djamyr. Ich will keine Sklaven in dir sehen, ich will einen Freund in dir sehen“, Jandris trat einen Schritt auf ihn zu, ließ ihm in der Enge des Raumes, zwischen Tisch und Wand keine Möglichkeit auszuweichen.
„Nur, dass es keine Freundschaft zwischen Sklave und Herrn geben kann. Ich werde immer das Eigentum deines Vaters sein. Die niederste Stufe in diesem Haushalt. Ohne Rechte, nur mit Pflichten. – Wie ihr glauben könnt, das Sklaven loyal sind, verstehe ich nicht.“ Er wollte sich wegdrehen, doch Jandris packte ihn und drückte ihn an die Wand. Ihre Gesichter berührten sich fast.
„Hör endlich auf, Djamyr. Du weißt, dass ich keinen Sklaven in dir sehe. Meine Worte waren dumm.“
„Deine Worte sind wahr und darum gehst du jetzt besser. Du bist der Erbe dieses Hauses und ich ein Sklave. Da ist kein Platz für mehr.“ Jandris schlanker Körper drückte sich gegen seinen und er spürte, wie ihm warm wurde. Kraftvoll schob er Jandris von sich. „Lass es dabei und vergiss alles andere. Es ist besser so.“ Er öffnete die Tür und Jandris ging an ihm vorbei. In dem schönen Gesicht konnte er die Trauer sehen. Ohne noch etwas zu sagen, schloss er die Tür.
Am nächsten Morgen strebten alle zu dem Tempel des Soelgrud, der in zentraler Lage in Skjaja auf der einzigen natürlichen Erhöhung errichtet worden war. Erbaut aus schneeweißen Steine mit einem vergoldeten Kuppeldach, das das Licht der aufgehenden Sonne so stark reflektierte, dass die Ankommenden gezwungen waren, ihren Blick zu senken. Die Gäste des Hauses, ihre unzähligen Wachen, Jandris und seine Schwestern hatten sich auf den Weg zu den Feierlichkeiten gemacht. Djamyr ritt hinter Jandris und Livlia und beobachtete die Gegend, auch wenn er nicht mit Schwierigkeiten rechnete. Jandris Blicke, die er ihm von Zeit zu Zeit über die Schulter zuwarf, ignorierte er.
Vor dem Stadttor mussten sie ihre Pferde in den Stallungen zurücklassen und gingen zu Fuß durch die engen Straßen der Stadt. Djamyr beobachtete Taschendiebe, die geschickt Geldbörsen und Schmuck stahlen, ohne dass die Besitzer in dem Gedränge etwas davon mitbekamen. Wie sehr vermisste er in dieser Enge die Weite der Steppe. Die vielen Menschen machten es fast unmöglich Gefahren rechtzeitig zu erkennen.
Im Tempel war es noch schlimmer. Die Menge schob und drückte in den begrenzten Raum, bis die Priester, in hellblauen, bodenlangen Mänteln gekleidete Männer mit goldenen Sonnenmasken, die großen Tore schlossen. Djamyr fühlte sich unwohl, dies war kein Gott an den er glaubte, doch der schwere Geruch, der von den Kerzen ausging, die überall ringsum abgebrannt wurden und die merkwürdigen, eintönigen Gesänge, die durch die Halle zogen, deren Decke sich hellblau und sehr hoch über ihnen wölbte, machten ihn unruhig. Immer wieder suchten seine Blicke die Umgebung ab.
Vier Priester, die alle gleich aussahen, betraten den erhöhten Altarraum. In der Mitte befand sich ein steinerner, vergoldeter Altar. Hellblau und Gold waren die vorherrschenden Farben im Tempel, eine Sonne am Morgenhimmel.
Die Priester erhoben ihre Stimmen, wandten ihre Gesichter zu der riesigen, golden, sonnenförmigen Maske, die über dem Altar hing und das Geschehen aus ihren leeren Augen betrachtete, der Gott Soelgrud. Mit hohen Stimmen in einer Sprache, die Djamyr noch nie gehört hatte, riefen sie ihren Gott an.
Livlia sah seinen irritierten Blick und beugte sich zu ihm. „Die Sprache der Götter, nur die Priester lernen und sprechen sie. Soelgrud versteht sie und ihre Anrufungen. Sie bitten ihn um seine Hilfe, eine gute Ernte, Fruchtbarkeit und ein gutes Jahr.“
Eine Sprache, die nur die Priester sprechen konnten? Die Menschen konnten nicht direkt mit ihren Göttern reden? Woher wollten sie wissen, was die Priester dort sagten, worum sie den mächtigen Sonnengott baten?
„Spricht der Gott auch mit ihnen?“, fragte er flüsternd Livlia. Sie nickte. „Wenn Soelgrud uns etwas zu sagen hat, dann spricht er durch Skjare, den obersten Priester. Dieser sagt uns dann, was Soelgrud von uns wünscht, welchen Geboten wir folgen müssen. – Schon mehrer Cykla hat er jedoch nicht mehr mit dem Skjare gesprochen“, antwortete sie ebenso leise.
Djamyr fand diese Götter und ihr Verhalten sehr undurchsichtig.
Nach den Gesängen brachten Diener eine schneeweiße Stute in den Altarraum. Ihr Kopf und ihre Augen waren mit einer Lederkappe bedeckt, sie konnte nichts sehen und tänzelte ängstlich schnaubend. Ein wunderschönes Tier, dessen Muskeln unter dem gestriegelten Fell gut zu erkennen waren. Djamyr bewunderte ihre schmalen Fesseln, sie war bestimmt eine hervorragende Läuferin, schnell und ausdauernd.
Bevor er realisierte, was geschah, schnitt einer der Priester der Stute die Kehle durch, Blut begann aus den Wunden zu pulsieren. Ein zweiter Priester schlang ein Seil um die Hinterläufe des Tieres und mit einer Winde wurde es hochgezogen, die ganze Zeit pumpte das Blut aus ihr heraus, bespritzte die Priester und die Menschen in den ersten Reihen vor dem Altar. Mithilfe der Winde wurde das Pferd über den Altarstein gehoben. Einer der Priester trat vor und öffnete dem Bauch der Stute, Eingeweide fielen auf den Altar.
Djamyr hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Die Priester untersuchten die Eingeweide, redeten dabei leise miteinander.
„Was tun sie da?“, fragte er tonlos Livlia.
„Sie lesen aus den Eingeweiden wie das nächste Jahr für Allragöst wird. Ob die Ernten gut werden oder Unwetter sie zerschlagen. Ob das Meer lange frei bleibt oder das Eis frühzeitig den Handel unmöglich macht. Ob es zu schweren Epidemien kommt. Alles steht in den Eingeweide dieser Pferde, die nur für diese Opferungen in dem Tempel gezüchtet werden, und ermöglichen so Allragöst vorzubeugen. Die Speicher für einen harten Winter zu füllen, genügend Medizin durch die Heiler vorbereiten lassen oder sich auf einen möglichen Krieg vorzubereiten“, antwortete sie.
„Und das steht in den Eingeweiden dieses Pferdes?“ Djamyr schüttelte ungläubig den Kopf! Was für ein Volk. In der Sippe wäre es fast einem Mord gleichgekommen ein solches Tier zu töten. Ihre Pferde waren Teil der Sippe.
Es gab noch mehr Gesänge, noch mehr Opfer für den Gott. Der Tempel stank nach Blut und Tod. Schmerzen breiteten sich in seinem Kopf aus. Endlich wurden die Tore wieder geöffnet und die Menge schob sich wieder ins Freie.
„Jetzt gehen wir auf den Marktplatz“, verkündete Livlia und lachte. „Dort sind die Gaukler und Zauberer.“ Jandris und Djamyr hatten es schwer, ihr durch die Menge zu folgen. Immer wieder spürte er Jandris Blick auf sich ruhen, fühlte, dass der andere etwas sagen wollte, doch er ignorierte ihn, so gut er konnte, ohne seine Pflicht zu vernachlässigen.
Auf dem Marktplatz tummelten sich die verschiedensten Gaukler, sie tanzten, jonglierten, spukten Feuer oder verbogen ihre Körper. Ein kleiner, stämmiger Mann mit braunen Haaren auf seinem Körper und keinen auf seinem Kopf, führte Zauberkunststücke vor.
Zweimal musste er fremde Hände aus Livlias Taschen entfernen. Und einmal fremde Finger von Jandris Geldbörse. Die beiden bemerkten es gar nicht. Sie waren gefangen von den bunten, lauten und fremdartigen Menschen, ließen sich mitreißen von der Menge und dem Jubel. Einmal dachte Djamyr, dass er Svarius Gesicht in der Menge gesehen hätte, doch es verschwand so schnell, dass er sich nicht sicher war.
Am Mittag führte Jandris seine Schwester in eine Kakalabäckerei. Die kleine Bäckerei war gut besucht und an den vielen kleinen Tischen kein Platz mehr frei. Der Besitzer, ein großer, dürrer Mann mit langen rötlichen Haare, die über der Stirn schon etwas dünner wurden, entdeckte die beiden und machte ihnen einen Tisch frei, indem er zwei alte Frauen bat, ihre Kakala woanders zu essen. Ungläubig betrachtete Djamyr diesen Vorgang.
„Setz dich zu uns“, sagte Livlia und lächelte ihn an.
„Nein“, antwortete er und beobachtete weiter die Umgebung. Jandris und Livlia nahmen die Handlung des Wirtes wie selbstverständlich hin, obwohl beide, im Gegensatz zu den alten Frauen, sehr wohl in der Lage waren, ihre Kakala im Stehen zu essen. Ehrfurcht vor dem Alter schien den Menschen hier auch fremd zu sein. Gab es etwas anderes als ihre Mynth, dass für sie von Wert war?
„Was für eine Laus ist dir über die Leber gelaufen?“, fragte Livlia und biss herzhaft in ein dampfendes Kakala, dessen Honigfüllung sofort ihren Duft verbreitete. „Es ist ein herrlicher Tag, herrliches Wetter und die Priester haben ein gutes Jahr vorausgesagt. Und bisher keine Gefahr weit und breit.“
Keine Gefahr? Er sah die Blicke, die Verachtung und den Hass, der immer wieder in den Augen, Gesichtern der Menschen auftauchten. Jener Menschen, die als Sklaven ihren Herren auf diese Festlichkeiten folgten. Auch die Verkäufer und kleinen Ladenbesitzer schienen keine Freunde der reichen Händler – und ihrer Kinder – zu sein. Wenn die Bedrohung im Moment noch gering war, dann lag das an den unzähligen Wachen, die sich durch die Straßen schoben und ihre Herren bewachten.
„Djamyr scheint nicht deiner Meinung zu sein“, bemerkte Jandris und sah zu ihm hoch. „Gibt es eine Gefahr, Djamyr?“
„Glaubt Ihr, ich würde Euch und Eure Schwester hier sitzen lassen, wenn ich eine direkte Gefahr sehen würde?“, fragte er zurück. Livlia sah ihn erstaunt an, noch nie hatte er Jandris so förmlich distanziert angesprochen. Sie fragte sich, was zwischen den beiden Männern vorgefallen war. Verstehen konnte sie es nicht, denn sie wusste, dass sich Jandris zu Djamyr ebenso hingezogen fühlte, wie Djamyr zu Jandris. Warum bauten sie Mauren zwischen sich auf? Sicher, es war verboten, doch wenn sie diskret waren, so wie Oschcura und sie, dann brauchten sie nichts befürchten.
„Nein, ich wollte dich nicht infrage stellen“, antwortete Jandris. Wie sehr hasste er Djamyrs Förmlichkeit, seine kalten, abweisenden Blicke. – Auch wenn er sie verdiente. Doch nur der Gedanke, dass andere Hände, große, raue Hände, Djamyr angefasst hatten, brachte ihn um den Verstand.
Und das Schlimmste daran war, dass er selber wohl niemals den wundervollen Zeichnungen auf diesem Körper folgen würde…
Nach dem Essen gingen sie zum Hafen, an dem einige neue, große Handelsschiffe bereitstanden gesegnet und ins Wasser gelassen zu werden. Jeden Tag würde ein Schiff von den Priestern gesegnet werden. Heute war die ‘Sjöbrued‘, die Meeresbraut, ein großes, dickbäuchiges Schiff, dran. Der Handel lief erfolgreich und die Handelsflotte musste dringend vergrößert werden. Das Gedränge nahm kein Ende, Menschen schubsten, schoben und drückten. Ein junger Mann fiel von der Kaimauer in das schmutzige Wasser und musste unter dem Gelächter der Umstehenden herausgezogen werden.
Diesmal schlachteten die Priester kein Tier, sondern segneten das Schiff mit heiligem Wasser aus dem Tempel. Der Schmerz in seinem Kopf wurde immer schlimmer.
„Jetzt zu den Kämpfen der Svjardvalsten“, rief Livlia und rannte wieder vor ihnen her. Die Kämpfe fanden in der großen Arena mitten in der Stadt statt. Die Mauern waren mit den bunten Bannern der Herren geschmückt. Hier hatte Thordas für seine Familie eine Loge reserviert. Aufgeregt setzte sich Livlia in die erste Reihe. Djamyr blieb hinter ihrem Stuhl stehen, ließ seinen Blick über die Menge gleiten. Wie viele Menschen gekommen waren, um die Svjardvalsten kämpfen zu sehen. Djamyr war froh, dass es Kämpfe ohne die Entscheidung Tod oder Leben waren. – Und das er nicht dort unten kämpfen musste.
Es war dunkel, bevor sie wieder zurückkehrten. Vor dem Haus drehte ein riesiger Ochse am Spieß, Bänke und Tische waren aufgestellt worden. Würziger Duft lag in der Luft und Djamyr, der das Letzte am Morgen gegessen hatte, knurrte der Magen.
„Du kannst jetzt gehen, Stappmakka, hier sind die beiden sicher“, sagte Thordas spöttisch zu ihm. Djamyr nickte und entfernte sich, ohne etwas zu sagen.
„Vater! Warum kann Djamyr nicht erst etwas essen? Den ganzen Tag ist er nicht dazu gekommen“, sagte Livlia.
„Er kann mit den anderen Wachen essen. – Livlia, ich weiß nicht, was du dir denkst, aber er ist ein Sklave, kein Freund“, wies Thordas sie zurecht. Jandris sah ihn an, die Worte, die er Djamyr gegenüber auch verwendet hatte. Sklave. Zweimal hatte Djamyr sein Leben für ihn aufs Spiel gesetzt, ohne, dass jemand ihn gezwungen hätte.
„Und wenn er sich zu den Wachen gesellen darf, dann ist das viel für einen Sklaven.“ Thordas wendete sich Nikros einem befreundeten Händler zu.
„Er ist kein Sklave!“ Livlia sah ihrem Vater hinterher, dann wandte sie sich Jandris zu. „Oder glaubst du, dass irgendein Sklave zweimal sein Leben für dich riskiert hätte?“
„Nein, kleine Schwester, nein. Keiner – und wofür auch? Wir sehen ja, wie Vater es dankt, dass Djamyr auch sein Leben gerettet hat. – Ich habe noch etwas richtigzustellen.“ Mit einem kleinen Lächeln zu Livlia ging er in Richtung der Ställe. Djamyr war bestimmt nicht bei den Wachen, er würde sich um Zajuma kümmern.
Es herrschte geschäftiges Treiben im Stall, doch weder Djamyr noch Zajuma waren zu sehen. Unruhe überfiel Jandris, was, wenn er gegangen war? Wenn die Schuld gegenüber Livlia nicht schwerer wog als all die Demütigungen, die er hier ertragen musste.
Jandris ging hinaus zu den Koppeln, die im Dunkel lagen. Da war Djamyr – und Zajuma. Er sah, wie sich sein Schatten über die Stute beugte, etwas in ihr zuckendes Ohr flüsterte, dann gab er sie frei und wie der Wind galoppierte sie los. Die meisten Pferde waren über Nacht in den Ställen, zu hoch ihr Wert, um sie allein hier draußen zu lassen. Die Koppel war frei für ihre Runden. Im Schatten des Stalles blieb er stehen und betrachtete Pferd und Reiter. Nach einigen Runden zügelte Djamyr Zajuma und brachte sie zum Stehen.
„Ich liebe es, dir zuzusehen“, sagte Oschcura plötzlich. Sie war aus dem Stall getreten und öffnete jetzt das Gatter, um Pferd und Reiter durchzulassen. „Ich bringe sie in den Stall. Dein Tag war lang.“
„Oschcura?“ – „Ja?“ – „Ihr müsst vorsichtiger sein. Sucht euch einen stilleren Ort. Ich will niemanden auf dem Schandpfahl sterben sehen, den ich kenne“, sagte Djamyr sanft.
„Oh, du hast uns – gesehen?“, fragte das Mädchen verunsichert.
„Ja, und nicht nur ich. Auch Mattio hat euch gesehen.“
Ein leises Stöhnen.
„Keine Angst, er wird schweigen, solange er Angst vor mir hat, doch wenn ihr weiter so unvorsichtig seid, wird euch jemand anders entdecken und verraten.“
„Danke, Djamyr, ich spreche mit Livlia.“ Oschcura nahm Zajuma und führte die Stute in den Stall.
Einen Moment sah Djamyr den beiden nach, dann drehte er sich um.
„Djamyr.“
Er konnte sehen, wie sich die Schultern versteiften.
„Bitte, hör mich an.“
„Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat, was gibt es da noch zu sagen?“, fragte die Stimme rau.
„Ich bin ein Idiot, Djamyr, und ich habe mich wie einer aufgeführt.“ Mit wenigen Schritten stand er hinter ihm. „Ich war – bin – rasend eifersüchtig auf den Mann, der dich berührt hat. Nur der Gedanke macht mich krank vor Eifersucht. – Ich…“ Vorsichtig legte er seine Hände auf Djamyrs Schultern. „Ich möchte der Einzige sein, der ein Recht darauf hat.“ Die Schultern unter seinen Händen wurden nachgiebig, der Körper lehnte sich leicht zurück. Jandris vergrub sein Gesicht in dem dichten Haar. „Ich will dich berühren, den Zeichnungen auf deinem Körper folgen, jede Narbe von dir kennen…“ Sanft biss er in den Nacken, dicht unter Djamyrs Ohr.
„Nein, Jandris, auch wenn es nichts gäbe, was ich lieber möchte, geht es nicht. Du bist der Erbe dieses Hauses, du wirst heiraten müssen, du wirst wie dein Vater werden müssen, um das alles zu erhalten. Sklaven, Svjardvalsten, Hochmut und Stolz.“ Djamyr atmete tief durch, straffte die Schultern. „Wie stellst du es dir vor? Du stiehlst dir die Zeit, um dir mit mir – ja, wo eigentlich – die Zeit zu vertreiben. Es geht nicht im Haus, nicht im Stall und schon gar nicht in einem Zimmer mit Bett, vielleicht irgendwo da draußen, bei einem Ausritt. Aber auch nur, wenn nicht Freunde – oder Feinde – von dir vorbei kommen. Du lebst mit dem Risiko auf dem Schandpfahl zu sterben.“ Djamyr drehte sich um. Weit entfernt hörten sie die Geräusche der Feiernden, ganz in der Nähe zirpte eine Grille. Er legte die Hand in Jandris Nacken und zog seinen Kopf ganz dicht heran. „Ich würde nichts lieber tun, als mit dir mein Lager teilen. Deine Körper erkunden, bis ich ihn kenne, wie meinen eigenen. Ich will dich keuchen und meinen Namen stöhnen hören, wenn du kommst. Ich will dich nehmen und von dir genommen werden. Deinen Namen auf meinem Körper tragen. Ich will dich fühlen, riechen und schmecken… - Doch ich werde nichts dergleichen tun, weil dein Leben ein anderes ist. Du bist nicht frei zu tun, was du möchtest und mit wem du es möchtest. Du darfst dein Lager nicht mit mir teilen. – Und ich kann nicht im Schatten deines Lebens auf dich warten.“ Mit einer harten Bewegung zog er Jandris zu sich heran und küsste ihn, ausgiebig und zärtlich, mit der Zunge über die Zähne streichend, jeden Winkel erobernd. Die Zeit schien in diesem Kuss stehenzubleiben. „Wären wir bei meiner Sippe, in der Weiten Steppe, dann würde ich dich bitten, mein djijiba zu sein, denn ich weiß, du bist mein Schicksal. Was das in deiner Welt bedeutet, das vermag ich nicht zu sagen.“ Er ließ Jandris los, drehte sich um und ging.
Konnte ein Kuss so viel und zeitgleich so wenig sein? So viel, dass es ihm das Herz zerriss, zu wenig für ein ganzes Leben. Jandris stand da und starrte Djamyr hinterher, auch als der schon lange nicht mehr zu sehen war. Ja, er hatte Recht, es gab hier keine Zukunft für sie beide, das sagte sein Verstand, doch sein Herz, seine Seele, schrien nach Djamyr. – Ja, und auch sein Körper schrie nach Djamyr. Wie sollte er so leben, überleben können?
Die Feierlichkeiten gingen sieben Tage lang. Am siebten Tag wurde das Fest mit einer Feier im Tempel und dem letzten Kampf der Svjardvalsten beendet. Frauen und Kinder durften an diesem Abend die Arena nicht betreten. In diesem letzten Kampf trat Farfax gegen Aurus, dem besten Svjardvalsten Thordas‘ neben Baddra an. Djamyr stand einen Schritt hinter Jandris. Seit jenem ersten Abend des Festes hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.
Der Kampf war hart, die Schwerter klirrten aufeinander, die beiden Svjardvalsten schlugen sich blutige Wunden, ohne dass einer deutliche Vorteile hatte. Dann gelang es Farfax Oberhand zu gewinnen. Ein schneller, harter Ausfall brachte Aurus zum Stolpern. Farfax setzte mit unbarmherzigen Schlägen nach und schlug seinem Gegner die Waffe aus der Hand. Ein lautes “Oh“ ging durch die Menge. Stille. Dann stieß Farfax mit einem Schrei sein Schwert bis zum Heft in Aurus Brust. Djamyr schloss die Augen. „Benje vijadscho eta semja pajiere“, flüsterte er leise. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Jandris Blick auf sich ruhen. Schnell senkte er die Augen.
„Was hast du gesagt?“, fragte Jandris ihn auf dem Rückweg. Thordas fluchte lautstark über die Niederlage seines Svjardvalsten und das verlorene Geld, das er auf dessen Sieg gesetzt hatte.
„Gute Reise und ewigen Frieden“, antwortete Djamyr. „So schicken wir die Seelen der Verstorbenen in das djivinjo rejami.“
„Sag es noch einmal.“
„Benje vijadscho eta semja pajiere“, wiederholte er.
Sie ritten etwas hinter den anderen. „Und was hast du damals zu mir gesagt?“
„Sappiovolje, Sandfuchs“, antwortete er leise. „Weil dein Haar so hell ist wie das Fell des Sandfuchses.“
„Wie sagt ihr: ich liebe dich?“, fragte Jandris flüsternd.
„Amjiare tia“, antwortete Djamyr genauso leise.
„Das klingt schön. - Djamyr, ich muss mit dir reden. Heute Abend in meinem Zimmer, im ersten Stock, ganz hinten links, wenn alle beim Essen sind“, sagte Jandris.
„Ist das ein Befehl?“
„Wenn du sonst nicht kommst, ja.“
„Wozu, Jandris, es ist alles gesagt“ Djamyr sah ihn zweifelnd an.
„Das sage ich dir dann.“ Damit war das Thema für Jandris beendet und er ritt nach vorne zu seinem Vater.
Wieder briet ein Ochse vor dem Haus. Die Gäste waren gut gelaunt, lachend setzten sie sich an die Tische, die aufgebaut waren. Djamyr bewunderte die Mägde und Knechte, die den ganzen Tag dafür gearbeitet hatten. Keiner würde es ihnen danken, ihnen den Respekt erweisen, den sie dafür verdienten.
Auch in den Ställen herrschte buntes Treiben, heute würden auch die Knechte, Mägde, Svjardvalsten und all jene Wachen feiern, die nicht im Dienst waren. Die Herren hatten Druvla austeilen lassen, entsprechend ausgelassen war die Stimmung.
Djamyr sattelte Zajuma ab, striegelt sie und brachte sie in ihre Box. Einen Moment blieb er bei ihr stehen, redete beruhigend auf sie ein. Der Trubel machte sie nervös.
Dann ging er durch die Küche ins Haus. Während in der Küche noch gearbeitet wurde und alle konzentriert ihren Aufgaben nachgingen, war das Haus leer. Djamyr begegnete keinem Menschen, als er die Treppe hochstieg und zu Jandris‘ Zimmer ging.
Unsinnigerweise schlug sein Herz viel zu schnell und sein Körper schien zu sirren. Sollte er klopfen? Er entschied sich dagegen und öffnete die Tür. Ein großer Raum, ein großes Bett. Trotz des milden Wetters der letzten Tage brannte ein Feuer in dem Kamin. Die dicken Steinmauern ließen die Wärme nicht ins Haus. Ein Schreibtisch, ein Stuhl davor, eine Kleidertruhe, ein Schrank. Djamyr trat einen Schritt weiter in das Zimmer. Die Tür schloss sich hinter ihm, ein Schlüssel wurde gedreht und als er sich umwandte, sah er Jandris ins Gesicht.
Bevor er etwas sagen konnte, trat Jandris vor und schloss seinen Mund mit einem Kuss. Er wollte sich befreien, doch Jandris Arme umschlossen ihn. Energisch schob er den anderen fort.
„Was soll das, Jandris? Ich habe dir gesagt, dass ich nicht dein Geliebter werde, der darauf wartet, dass du Zeit hast und mich an einem sicheren Ort triffst.“
„Ich weiß, was du gesagt hast und du hast recht. Ich werde nicht von dir erwarten, dass du so lebst.“ Vorsichtig zog er Djamyr wieder näher. „Ich möchte dich um etwas anderes bitten: Gib mir diese eine Nacht. Eine Nacht für den Rest meines Lebens.“
„Jandris, ich kann das nicht. Eine Nacht und dann nie wieder? Und jeden Tag, den ich dich sehe, an diese eine Nacht denken? Wünschen, dass es anders wäre? – Das ist keine gute Idee.“ Doch er löste sich nicht aus den Armen, die ihn hielten.
„Mein Vater hat beschlossen, dass ich in einem Jahr, zur nächsten Soelstyn, Ellia die Tochter von Nikros, dem Händler, heiraten soll. Gerade jetzt besiegeln sie das Geschäft. – Ich will nicht heiraten, ohne einmal…“ Wieder küsste er Djamyr. „Eine Nacht, ich gehe dir hinterher aus dem Weg, ich werde dich nie wieder fragen, bitte, Djamyr, diese eine Nacht. Heute fällt keinem auf, wenn ich oder du nicht da sind. Sie feiern und trinken, bis sie in die Betten fallen.“
Djamyr sah ihn an und er verlor sich in den Bernsteinaugen. Er wollte bitten und flehen, doch Djamyr zog ihn zu sich und küsste ihn. „Sag mir, wie ich es ertragen soll, wenn du hier mit deiner Frau hier wohnst – und schläfst; wenn du ihr ein Kind schenkst und ihr eine glückliche Familie seid, während ich mich nach dir verzehre? Auch wenn ich es nicht wahrhaben will und wenn es nie so sein wird, wie es sein sollte, bist du mein djijiba, mein Gefährte, mein Schicksal.“
„Lass uns diese eine Nacht so tun, als sei alles so, wie es sein sollte.“ Lange und sanft küsste er Djamyr. „Amjiare tia“, flüsterte er leise gegen die Lippen. Der Körper in seinen Armen erschauderte und er wusste, er hatte gewonnen.
Wie war er durch das Zimmer auf das Bett gekommen? Und wann auf dem Weg hatte Jandris ihn ausgezogen? Doch eigentlich spielte das alles keine Rolle. Mit geschickten Fingern öffnete er Jandris Hose, sie rutschte herunter und Jandris stieg aus ihr heraus auf das Bett.
„Du bist so wunderschön“, flüsterte Jandris in sein Ohr und seine Finger folgten den Mustern auf seiner Haut. „Was bedeuten diese Zeichen?“
„Wir kennen keine Schrift, wie ihr sie in eure Bücher schreibt. Wir kennen nur diese Zeichen, jedes Zeichen steht für etwas. Hier“, er deutete auf zwei nebeneinanderliegende geschwungene Linien, mit der eine Zeichenreihe begann, „das steht für Djamnor, den Steppenwind, von ihm habe ich meinen Namen. Dies hier steht für dajinio, ein – ich weiß nicht, wie ihr es nett, es ähnelt eurem Hirsch - ich habe dieses Zeichen bekommen, nachdem ich den ersten dajinio erlegte.“ Er deutete auf ein nach oben geöffnetes Zeichen mit zwei kleinen Punkten dazwischen. Dann auf zwei offene Bögen, die sich berührten. „Der erste Kampf um Jagdgebiet, an dem ich teilgenommen habe.“
„Du trägst deine Geschichte an deinem Körper. So kann sie dir nie verloren gehen.“ Jandris fuhr mit der Zungenspitze den Formen der Symbolen nach, atmete tief ein. „Du riechst so gut.“
Djamyr lachte leise. „Nicht nur meine Geschichte. Auch die Geschichte meiner Sippe und ihrer Entstehung. Von der Weiten Steppe und warum wir dort leben.“
Die Fingerspitze war tiefer geglitten, berührte seine Leiste. Er spürte Jandris‘ Zögern.
„Fass mich an“, flüsterte er in Jandris sandfarbenes Haar.
Ganz vorsichtig berührte der Finger den Schaft, strich an der Unterseite entlang, hoch zur empfindlichen Spitze, umfasste den ganzen Schaft, ließ die Hand über die ganze Länge streichen. Djamyr stöhnte leise. Jandris wiederholte die Bewegung und er konnte wieder nur stöhnen.
Jandris leckte über seine Brustwarzen, an seinem Hals entlang und küsste seinen Mund, während seine Hand immer wieder auf und ab strich. „Es klingt so wunderschön“, flüsterte Jandris in den Kuss. „Ich will dich die ganze Nacht hören.“
Djamyr rollte sich über ihn. „Langsam“, raunte er in Jandris Ohr, küsste den Hals hinab bis zur Brust, saugte sanft an den Brustwarzen, bis sie hart waren und biss leicht hinein. Jandris‘ Hände fassten in seine Haare, er keuchte leise, während Djamyr mit seiner Hand über die Bauchmuskeln strich, bis er Jandris‘ Schaft erreichte und umschloss. Das Becken bog sich ihm entgegen, das Keuchen wurde schneller. Sein Mund folgte seiner Hand, seine Lippen legten sich um die geschwollene Eichel und er nahm ihn in seinen Mund.
„Djamyr“, stöhnte Jandris, seine Hände wühlten sich tief in das schwarze Haar.
„Leise, amjaro“, flüstert Djamyr und küsste ihn, bevor er sich wieder dem harten Schaft widmete. Er saugte, leckte und benutzte vorsichtig seine Zähne, genoss das Keuchen, das unterdrückte Stöhnen; folgte dem Lauf der Adern, blies auf die feuchte Spitze und nahm die ganze Länge auf. Lange konnte Jandris ihm nicht widerstehen und er ergoss sich, unterdrückte sein Stöhnen indem er in seine Hand biss.
Zärtlich nahm er Jandris in den Arm, küsste ihn. Die blauen Augen funkelten ihn an, Jandris Arme umschlangen ihn. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, flüsterte er in Djamyrs Ohr. „Danke.“
„Das ist erst der Anfang, amjaro.“ Djamyr lächelte ihn an. „Die Nacht ist noch lang.“
Jandris rollte sich wieder über ihn und küsste ihn fordern, während seine Hand ihren Weg zwischen Djamyrs Beine fand.
Keinen Moment ließ er Djamyrs Gesicht aus den Augen, beobachtete jede Reaktion, auf seine Berührungen. Die Augen, die sich verengten, das Atmen, das schneller und tiefer wurde, der Rücken der sich durchbog und das Becken, das sich ihm entgegen schob. Djamyrs Hände krallten sich in seinen Rücken. Jandris konnte erkennen, wie er jeden Laut unterdrückte – jene Laute, die er hören wollte, die ihn erregten.
„Bitte, amjaro“, flehte Djamyr heiser und er kam dem Wunsch nach, den Blick gebannt auf Djamyrs Gesicht gerichtet. Das leise Knurren, der tief aus Djamyrs Kehle kam, das Zucken, das den ganzen Körper durchlief – das ganze Gesicht im Moment des Höhepunkts, war wunderschön.
Unter zärtlichen Küssen wurde der Atem ruhiger. Jandris sah in Djamyrs funkelnde Bernsteinaugen, wie die Augen der Wölfe der Berge, die in langen Winter manchmal ihren Weg in die Ebenen fanden und zur Bedrohung von Mensch und Tier wurden. Schön und gefährlich.
Lautes Lachen drang durch die geschlossenen Fenster. Mit seinem Mund begann er Djamyrs Körper zu erkunden. Wanderte und suchte jene Punkte, die erregten, Verlangen weckten und Keuchen erzeugten. Die Küsse wurden rauer, fordernder, seine Finger erkundeten jeden Zentimeter der samtweichen Haut. Seine Vorstellungen waren theoretisch, noch nie hatte er einen Mann so berührt.
Djamyr übernahm die Führung, erforschten ihn, öffnete seine Beine, strich mit dem Finger über jenen Ort, dessen Eroberung ihn so ängstigte und die er doch ungeduldig ersehnte.
„Hier.“ Er schob Djamyr ein Fläschchen mit Öl in die Hände, errötete unter dem wissenden Blick und verkrampfte sich, als das warme Öl seinen Körper berührte. Djamyrs Mund schloss sich um seinen Schaft, während sein Finger in die kleine Öffnung vordrang. Einen Moment lang wollte er ihn wegstoßen, das Gefühl beenden, dann war der Widerstand überwunden und eine unbekannte Lust ließ seinen Unterleib kribbeln. Die Anspannung ließ nach, die Reize überwogen – und dann berührte Djamyr einen Punkt in seinem Inneren, der ihm unbekannte Lust schenkte. Er konnte das Stöhnen nicht unterdrücken. Ein Kuss dämpfte es, Djamyr schien überall zu sein auf seinem Körper, in seinem Körper… entfachte eine Brand, der sich durch seine Adern fraß und ihm den Verstand raubte.
Als die Finger, diese wunderbar erregende Berührung in ihm, verschwand, hätte er schreien können, doch dann war Djamyr zwischen seine Beine, schob sie auseinander und ersetzte dieses Gefühl.
Angst packte ihn, das würde nicht funktionieren… doch die Hand, die sich ölig warm um seine Härte gelegt hatte, verdrängte die Angst durch Erregung und er entspannte seinen Körper. Dann war Djamyr über ihm, er sah in die funkelnden Augen unter all den dunkeln Strähnen, hörte das angestrengt, erregte Stöhnen und krallte sich in die Laken, bog sich der Bewegung entgegen und stöhnte leise flehend Djamyrs Name.
Alle Lust schien sich in seinem Unterleib zu sammeln, kribbelte in seinem Rücken, zog sich dort mitten in seinem Körper zusammen, um dann von diesem einen Punkt aus seinen ganzen Körper, seinen Geist und sein gesamtes Sein zu überfluten. Immer wieder zuckte sein Körper nach oben, hinterließ er eine klebrige Spur zwischen ihren Körpern. Doch das war alles egal…
Erst als er keuchend wieder in seinen Körper zurückkehrte, stellte er fest, dass er sich in Djamyrs Schulter verbissen hatte…
Schwer lag Djamyr auf ihm, doch er wollte dieses Gefühl der Nähe nicht verlieren, noch nicht verlieren. Seine Hände streichelten den verschwitzen Rücken und er lauschte auf den keuchenden Atem, der sich nur langsam normalisierte.
„Amjiare tia, amjaro“, sagte die raue Stimme leise in sein Ohr und Jandris hatte das Gefühl, nie schönere Laute gehört zu haben. „Ich liebe dich, Djamyr“, flüsterte er seine Antwort in das schwarze Haar.
Djamyr sah in die samtig blauen Augen, prägte sich jede Linie des Gesichts an. Diese eine Nacht, wenige Stunden… zu wenige Stunden… Zärtlich küsste er die Stelle zwischen den Augenbrauen, die Schläfen, die Mundwinkel, den Mund…
„Wie kann ich schon wieder…“, flüsterte Jandris zwischen den Küssen. gerade erst hatte sich sein Atem beruhigt.
„Ist das wichtig?“ Er biss in Jandris Unterlippe, das Kinn, leckte seine Kehle.
„Nein, nicht wirklich“, lachte Jandris und rollte sich über ihn, sah in die bernsteinfarbenen Augen. „Nichts ist wichtig – nur du.“ Und er begann erneut Djamyrs Körper mit seinen Lippen zu erkunden. Er saugte die Haut ein, hinterließ Male überall, biss und streichelte die warme Haut, schmeckte den Schweiß, die Reste ihres Liebesspiels. Es berauschte ihn, trieb ihn immer weiter. In dieser einen Nacht, wollte er alle Grenzen überschreiten, alles nehmen, was er bekam.
Mit seiner Zunge liebkoste er den harten Schaft, leckte den Tropfen ab, der aus der Spitze quoll. Sein Mund wanderte tiefer, er saugte die Hoden ein, die sich zusammenzogen, schob die Beine hoch, nahm das Öl und wärmte es in seinen Händen an, bevor er durch die Spalte glitt und eindrang.
„Komm, amjaro“, flüsterte Djamyr.
Jandris rollte ihn auf den Bauch, kniete sich zwischen seine Beine und biss besitzergreifend in seinen Nacken. Bereitwillig schob Djamyr seine Knie weit auseinander und Jandris drang in ihn ein. Das Gefühl von Djamyr umschlossen zu sein, war unglaublich und raubte ihm fast den Verstand. Er wagte nicht, sich zu bewegen, verharrte. Ungeduldig bewegte Djamyr sich unter ihm und er stöhnte, verlor die Beherrschung. Beide Hände neben Djamyr aufstützend bewegte er sich hart und schnell. Djamyrs keuchender Atem trieb ihn höher.
Jandris kniete sich hin, zog Djamyr hoch auf seine Oberschenkel, legte seinen linken Arm um seine Brust und seine rechte Hand um seinen Schaft. Jeder Stoß brachte ihn fast um den Verstand, gierig saugte er sich an Djamyrs Nacken fest, als er sich in den Körper ergoss, der über ihm zuckend kam.
Völlig erschöpft ließen sie sich auf das Bett fallen, nach Atem ringend, zu erschöpft, um zu reden, nur die Nähe des anderen genießend, bis sie der Schlaf übermannte.
Die Sonne weckte ihn. Wie spät war es? Seine Hand taste durch das Bett, doch es war leer. Jandris stützte sich auf, sah sich um, weder Djamyr noch seine Sachen waren im Zimmer. Die Nacht war vorbei und er war allein. – Würde es bleiben… Das war ihre Nacht gewesen. Eine Nacht für den Rest ihres Lebens. – Was für eine Nacht! Lächelnd ließ er sich in die Kissen fallen. Was für eine wunderbare Nacht. Er spürte jede Faser seines Körpers, spürte Djamyr auf seiner Haut, roch nach ihm. Würde er wirklich damit leben können, nie wieder Djamyr zu berühren, zu fühlen, zu küssen? Gab es nicht doch einen Weg, wie sie zusammen sein konnten? Seufzend stand er auf. Nein, niemals würde Djamyr mit dem zufrieden sein, was er ihm bieten konnte. Mit schweren, unwilligen Schritten ging er zum Waschtisch. Er hatte gewusst, worauf er sich einließ, jetzt musste er mit den Konsequenzen leben.
Die Wachen machten es ihm nicht leichter, als die Svjardvalsten. Wieder musste er sich die Anerkennung der Männer erkämpfen, ihnen zeigen, warum sie ihm folgen sollten. Über einen Zeitraum von sechs Vekja rang er nun schon um jedes Stück Respekt und die Zeit lief ihm weg. Nur noch zwei Vekja, dann sollte er Eilliana, Livlia und Jandris unbeschadet nach Wignana bringen, dann mussten die Männer, die er dafür aussuchte, ihm blind folgen.
Eine schwere Aufgabe, solange Druska, ein stämmiger, ständig wütender kralionischer Söldner, der über das Nordmeer nach Wignana und von da nach Skjaja gekommen war, ihn nicht akzeptierte.
Die Kralionen waren ein Bergvolk, das in den schwierigsten Bedingungen überlebt. Die karge Landschaft bot ihnen kaum Nahrung, sie waren Jäger, doch das einzige Tier, das ihnen in Allragöst Gewinn brachte, da sein Fell bei den reichen Händlern und besonders bei ihren Frauen begehrt war, war der Fjaellejonet, ein seltenes, großes Raubtier, dessen helles, glänzendes Fell eine schimmernden Musterung besaß. Darum verließen viele die Männer ihre Heimat und verpflichteten sich als Söldner. Wenn sie genügend Mynth verdient hatten, kehrten sie zurück in die Berge.
Die vier Söldner, die diesem Volk angehörten, waren sture und zähe Kämpfer. Druska war ihr Anführer und nicht bereit sich Djamyr zu beugen. Das musste ein Ende haben, darum würde er ihn heute herausfordern. Zweimal hatte er es schon vorgehabt, doch es hatte sich nie so ergeben, da Druska häufig Thordas begleitete. An diesem Tag jedoch war er auf dem Exerzierplatz.
Einfach würde die Aufgabe nicht werden. Druska war ein hervorragender Kämpfer, der sowohl seinen Körper, als auch seinen Kopf im Zweikampf einsetzte. Wie bei allen Wachen war sein Kampfstil körperlich geprägt. Die Ausbildung, das tägliche Training der Wachen, war auf Kraft ausgelegt. Bjark, der für die Ausbildung und das Training bisher alleine zuständig war, hatte sie ähnlich trainiert, wie Maknas die Svjardvalsten: Stärker sein als der Gegner bringt den Sieg.
Auf dem Exerzierplatz sah er sich um, der Großteil der Wachen trainierte mit Bjark den Schwertkampf. Ein Teil übte sich im Ringen. Einige standen herum und redeten. Unter ihnen Druska, der es wagte, angeordnetes Training zu verweigern. Da er schon einmal das Leben des Händlers gerettet hatte, nahm er sich alles heraus, sicher, dass Thordas ihn schützen würde.
Entweder wollte Thordas gute Wachen oder eigensinnige Einzelkämpfer. Einmal noch holte er tief Luft, dann ging er zu Druska. Die Schultern des Mannes waren eckig, scheinbar halslos saß ein großer ebenso eckiger Kopf darauf. Die hellen Haare nicht mehr als Stoppeln, die breite Stirn trat wulstig vor und die blassblauen Augen darunter waren kalt wie Eis. Der Mund, ein breiter Schlitz, der aussah, als habe ihn jemand mit einem Messer in das Gesicht geschnitten, befand sich unter einer breiten, knubbligen Nase. Über das hässliche Kinn zog sich eine lange, dünne Narbe. Die muskulösen Arme waren zu lang für den stämmigen Körper und die Beine so krumm, dass man ein Fass hätte dadurch schieben könnte. Mit verschränkten Armen blieb er vor dem Mann stehen und starrte ihn an.
„Was willst du, Stappmakka?“, bellte Druska mit seiner rauen Stimme. „Geh und spiel mit den Männern, die deine Albernheiten Training nennen.“
„Wir kämpfen und wenn ich gewinne, ordnest du dich unter“, sagte Djamyr zu ihm.
„Und wenn ich gewinne, nimmst du den Platz ein, der dir zusteht: als Stiefelputzer“, dröhnte Druska.
„Das wird nicht passieren. Du kannst nicht gewinnen, Druska“, erwiderte er kalt und starrte weiter in das hässliche Gesicht. Ein Knurren drang aus der Kehle des Mannes.
„Du bist frech und überheblich, Stappmakka. Zeit dir eine Lektion zu erteilen“, sagte Druska mit einem Lächeln, das mehr einem Zähnefletschen glich. „Wähl deine Waffen.“
„Die Schwerter“, antwortete Djamyr.
„Aber keine albernen Übungsschwerter. Mein Sverre wird dir zeigen, wo du stehst, Stappmakka.“ Liebevoll strich er über den Griff seines Schwertes. Das Sverre war kürzer als die Einhandschwerter der anderen Wachen. Sein Griff war mit schwarzem Leder umwickelt und endete in dem gehörnten Kopf Sverres, das Haupt des Kampfgottes der Kralionen. Die Schneide war breiter und verjüngte sich stark zur Spitze. Druska kämpfte mit der linken Hand in der rechten führte er eine lange Dolchklinge.
Djamyr nickte. „Wie du wünscht.“
„Ich wünsche, dass du im Dreck liegst, wo du hingehörst, Stappmakka“, antwortete Druska knurrend und zog seine Waffen.
Die umstehenden Männer bildeten augenblicklich einen Kreis um die beiden Kämpfer und auch die anderen beendeten ihre Übungen und traten neugierig näher.
Djamyr zog die Zwillingsschwerter, blieb stehen und drehte sich um seine eigene Achse, während Druska ihn leicht geduckt umrundete. In den ganzen Wochen hatte er jeden Tag, den Druska trainierte, genutzt, diesen zu beobachten. Jetzt wartete er auf die Zeichen, die ihm sagen würden, dass der erste Schlag zu erwarten war. Das Anspannen eines Muskels, das leichte Heben des Dolches, das fast unmerkliche Sichern seines Standes. Wie immer erfolgten die ersten Schläge in schneller Abfolge durch Sverre, dann kam die Neigung des Körpers, eine leichte Drehung und ein Stoß mit dem Dolch. Djamyr ließ sich zurückdrängen, blockte die Schläge, bevor er sich mit einer schnellen Drehung aus dem Bereich des Schwertes drehte und einen fast zärtlichen Schnitt auf Druskas Oberarm setzte.
Der Kralione fletschte wie ein wütender Hund die Zähne, verstärkte seine Schläge. Das Geräusch der klirrenden Schwerter und das schweres Atmen der beiden Kontrahenten war alles, was zu hören war. Noch einmal gelang es Djamyr, Druska zu überraschen und ihm einen Hieb zu versetzen.
Das wütende Brüllen des Mannes dröhnte über den Hof, während er seinen Kopf senkte und Djamyr mit einem überraschenden Angriff seines Körpers irritierte. Statt seine Waffen zu nutzen, warf er sein ganzes Gewicht in den Angriff, stieß ihn wie ein Stier mit seinem Schädel vor die Brust, warf ihn auf den Boden, um sofort mit seinem Schwert auf ihn einzuschlagen.
Djamyr konnte sich nur mit zwei, drei schnellen Drehungen im Staub in Sicherheit bringen. Es gelang ihm, sich aus der Position in den Stand zu katapultieren. Zwei kleinere Verletzungen durch Druskas Dolch von der überraschenden Attacke davontragend. Mit einem weiteren Schrei versuchte Druska ihn erneut anzugreifen, diesmal konnte er ausweichen und stattdessen Druska eine weitere Treffer zufügen.
Jede Wunde machte den Kralionen wütender, rasender. Die Gewalt seiner Schläge spürte Djamyr tief in seinen Schultern. Und trotz seiner Raserei wurde es nicht leichter, Treffer zu setzen. Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung zwischen den Männern, die sie umringten. Jandris drängte sich durch die Menge nach vorne. Einen winzigen Moment war seine Konzentration gestört und Druska streifte mit dem Schwert seine Hüfte, warm spürte er das Blut fließen. Alles verdrängend konzentrierte er sich wieder nur auf den Mann, der ihn demütigen wollte. Lange würde er der Gewalt der Schläge nicht widerstehen könne, Zeit dem Mann zu zeigen, das harte Schwertschläge nicht die einzige Art war ein Kampf zu gewinnen. Er wehrte die nächsten Schläge ab, schlug seinerseits zurück, dann fing er Sverre mit den gekreuzten Klingen ab, verharrte kurz, in dieser scheinbaren Unaufmerksamkeit zielte Druska mit dem Dolch auf seinen Körper, die Klinge streifte seinen Bauch in einem oberflächlichen Schnitt von links nach rechts, da er dem erwarteten Manöver nach hinten ausgewichen war. Druska grinste ihn an, wollte nachsetzten, noch einmal mit dem Dolch zustechen.
Die Zwillingsschwerter rutschten tief an dem Schwert hinab, dabei drückte Djamyr Sverre mit seinem rechten Schwert seitwärts aus dem Bereich seines Körpers, nutzte den freien Raum vor dem Mann und ließ die linke Klinge an Druskas Kehle schnellen. „Noch eine Bewegung und du stirbst.“ Die Waffen verharrten, die rechte Hand mit dem Dolch in ausholender Geste. Für einen Moment wägte Druska ab, ob er den Stoß vollenden sollte, doch ihm war bewusst, dass er sterben würde, bevor sein Dolch Djamyrs Herz erreichen konnte.
Das alles waren Sekunden, die Bewegungen von den Umstehenden kaum zu folgen. Alle starrten auf Djamyr, der sich aufrichtete und die Klinge von Druskas Hals nahm. Beide Männer maßen sich mit Blicken, bevor Druska das Knie beugte vor Djamyr. „Befiehl, ich gehorche.“
Djamyr reichte ihm die Hand. „Keiner soll vor mir knien, ich will deine Treue, nicht deine Demut. Ich brauche deinen Stolz, nicht deine Unterwerfung.“
Druska griff die Hand. „Ich werde dir folgen, mit Stolz und Achtung.“
Sie lösten ihren Griff und Djamyr entfernte sich von dem Exerzierplatz in Richtung Stall. Die Schnitte brannten, doch er wusste, er durfte sich keine Blöße geben vor diesen Männern. Ungeachtet der Schmerzen ging er aufrecht und mit gemessenen Schritten. Erst hinter dem Stall ließ er die Luft aus den Lungen und zog das Hemd hoch. Der Schnitt war nicht tief, aber er musste behandelt werden, ebenso wie die Verletzung an seiner Hüfte.
„Du wirst dich so noch einmal umbringen.“ Jandris stand mit einem Mal neben ihm. Seit jener Nacht, all die vielen vergangenen Tage, hatte er den anderen gemieden, war ihm aus dem Weg gegangen und hatte nicht mit ihm gesprochen. Jetzt sah er in die besorgten blauen Augen.
Mit den Schultern zuckend wandte er sich ab, ging zu der Tränke, zog sein Hemd aus und wusch die Wunde aus. „Das ist nichts, woran ich sterben würde, dafür habe ich jetzt Druska auf meiner Seite.“ Bewusst vermied er es, in die Augen zu blicken, das Gesicht anzusehen, zu dicht unter der Oberfläche lauerten alle Gefühle für diesen Mann.
Jandris trat hinter ihn, er spürte seine Gegenwart körperlich, sein Herz begann schneller zu schlagen.
„Ich… ich vermisse dich“, flüsterte Jandris leise in seinen Nacken.
Djamyr trat einen Schritt zur Seite, bevor er sich umdrehte. „Wir hatten eine Vereinbarung. – Geh jetzt bitte“, sagte er und wandte sich selber um. Fast befürchtete er Jandris würde die Hand ausstrecken, ihn berühren… Das wäre mehr, als er ertragen könnte, zu sehr sehnte er sich nach ihm. Doch weder Jandris Stimme noch seine Hand hielten ihn auf.
„Djamyr!“ Es war Livlias Stimme, die ihn zurückhielt. Sie kam lächelnd auf ihn zugelaufen, dann sah sie das Blut und schlug die Hand vor den Mund. „Djamyr, was ist geschehen?“
„Nichts“, antwortete er und winkte ab.
Ihre Miene machte deutlich, dass sie nicht überzeugt war. „Das Siegel“, sagte sie und reichte ihm das Zeichen ihres Vaters, damit er in die Stadt reiten konnte.
„Danke, Livlia.“ Er nahm das Siegel aus ihrer Hand und ging.
„Warum will er in die Stadt?“, fragte Jandris und trat neben Livlia.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Er hat mich gestern darum gebeten und ich habe ihn nicht gefragt.“ Jetzt sah sie ihren Bruder an. „Hast du seine neue Zeichnung gesehen? Emblia hat sie gestochen“, sagte sie. In der Öffentlichkeit nannte sie Oschcura immer nur Emblia, das schien ihr unverdächtiger.
„Ja, auf seinem linken Unterarm. – Weißt du, was es bedeutet?“ Die beiden Halbkreise, einer nach links, einer nach rechts offen, mit der geschwungenen Linie um die beiden geöffneten Seiten, waren ihm sofort aufgefallen. Seine Schwester schüttelte den Kopf.
„Sie werden gestochen?“, fragte er weiter.
„Ja, mit einer kleinen Nadel und einer Farbe, die Djamyr angerührt hatte. Er hat ihr gesagt, was er haben wollte und sie hat kleine Stiche in seine Haut gesetzt und diese mit der Farbe gefüllt. – Er hat ihr dafür das Zeichen seiner Sippe auf den Nacken gestochen: Zwei offene Bögen mit einer Welle darüber, rechts ein Punkt, links zwei Punkte daneben. Seine Sippe würde sie jetzt anerkennen und aufnehmen.“ Livlia sah zum Stall hinüber. „Er bringt ihr auch seine Sprache bei…“
„Vielleicht, damit sie sich beide nicht so einsam hier fühlen“, sagte Jandris.
„Vielleicht, weil er sie mitnehmen will, wenn er geht“, erwiderte Livlia.
„Er muss erst seine Schuld begleichen, vorher geht er nicht.“
„Ja, aber was, wenn er sie auf der Reise zu Eillianas Hochzeit begleicht? Dann kann er hinterher gehen, wohin er will.“
„Wenn Vater ihm einen Freienbrief gibt.“
„Nein, er wird auch ohne gehen. – Kennst du ihn wirklich so schlecht? Er ist unglücklich, voller Sehnsucht nach der weiten Steppe. Glaubst du wirklich das Leben hier kann ihn halten?“ Ihre Augen erfassten ihn. „Das einzige, was ihn halten könnte, wärst du.“
Jandris errötete. „Nein, das ist unmöglich.“
„Ja, und darum wird er gehen. – Die einzige Hoffnung ist, dass er nie seine Schuld begleichen kann.“ Livlia drehte sich mit einem letzten Blick auf den Stall um und ging zurück ins Haupthaus.
Der Verdacht nagte an ihm, gab keine Ruhe und trieb ihn letztlich dazu, Djamyr zu folgen. Sollte der sich mit einem Mann treffen, dann brauchte er sich keine Gedanken mehr über das Begleichen seiner Schuld und eine Rückkehr in die Steppe machen. Jeden Schritt sah er fremde, raue Hände, die über Djamyrs Körper strichen, ihn zum Stöhnen brachten… Seine Brust, sein Magen, alles schien zu zerreißen, füllte sich mit Wut und Schmerz. Er trieb Yuris zur Eile an, um Djamyr nicht aus den Augen zu verlieren. Doch schon bald sah er von der kleinen Stute und ihrem Herrn nichts mehr.
Fluchend blieb er stehen. Wie schnell waren die beiden? Konnte er es nicht erwarten, in die Arme des anderen Mannes zu kommen?
Bevor er Yuris wieder antreiben konnte, wurden dessen Zügel gegriffen und erschrocken sah er in Djamyrs Augen. Wo kam er her?
„Du solltest vorsichtiger sein, Jandris“, sagte Djamyr und ein kleines Lächeln lag um seinen Mundwinkel.
Jandris sprang vom Pferd, immer noch voller Wut. „Wo willst du hin?“
„Was geht dich das an?“, fragte Djamyr zurück.
„Gibt mir das Siegel! Du reitest nirgendwo hin!“
„Was soll das, Jandris?“
„Du willst dich mit ihm treffen!“, schleuderte er ihm entgegen. Verständnislos sah Djamyr ihn an, dann lachte er.
„Du denkst, ich treffe mich mit einem Mann? – Ja, das stimmt sogar, doch nicht um mir mit ihm das Lager zu teilen, sondern weil ich etwas von ihm brauche.“
„Was brauchst du von ihm? Was kann nur er dir geben?“
„Hör auf, dich so aufzuführen. – Selbst wenn ich mit ihm das Lager teilen wollte, ginge dich das nichts an.“ Die Bernsteinaugen funkelten ihn an.
„Ich habe recht, nicht wahr, du willst…“ Bevor er wusste, wie ihm geschah, presste ihn Djamyr gegen das Pferd.
„Was ich will, kann ich nicht bekommen“, knurrte Djamyr und küsste ihn hart. Seine Lippen wurden gegen seine Zähne gepresst. Flammen breiteten sich sofort in seinem Körper aus, seine Arme schlangen sich um Djamyr und er zog in noch näher an sich heran, damit er den anderen Körper spüren konnte, Djamyr griff in seine Haare, hielt ihn fest, während er seine Zunge zwischen Jandris Zähne schob. Die Flammen konzentrierten sich auf seinen Unterleib und er wollte mehr, so viel mehr.
Mit einem Mal löste sich Djamyr von ihm und er hätte schreien können.
„Du reitest zurück, ich reite in die Stadt“, sagte Djamyr.
„Nein, wenn du das Lager nicht mit ihm teilen willst, dann kann ich ja mitkommen“, sagte Jandris und erwiderte den bernsteinfarbenen Blick ungerührt. „Ich folge dir, du kannst machen, was du willst.“
„Das ist kindisch, Jandris. Der Ort, zu dem ich gehe, ist kein Ort für dich. Weder wärst du erwünscht, noch wärst du sicher dort“, erwiderte Djamyr.
„Warum habe ich nur das Gefühl, dass es doch nur darum geht, dass du und…“
Auf einmal schaute Djamyr auf, nahm Yuris am Zügel und griff Jandris Kragen, zog ihn hinterher. „Komm, streja corschutjo“, knurrte er, als Jandris widersprechen wollte. Er zog ihn in den Wald hinein hinter die Bäume. Kaum waren sie außer Sicht, hörten sie eine Schar Reiter vorbeigaloppieren.
Djamyr sah ihm in die Augen. „Du verdammter Dickkopf!“, fluchte er und zog ihn weiter, tiefer in den Wald, bis zu einer kleinen Lichtung. Zajuma stand friedlich grasend im Sonnenlicht.
„Sag mir, was du dir vorstellst, wie es weitergeht?“, fragte Djamyr. „Willst du mir jetzt immer hinterherkommen, wenn ich in die Stadt reite?“
„Ja, wenn es sein muss“, entgegnete Jandris stur.
„Verdammt, Jandris, ich…“ Djamyr raufte sich die Haare, dann trat er einen Schritt nach vorne und zog ihn in seine Arme. „Streja corschutjo!“ Er küsste ihn wieder. Mit fahrigen Fingern begann er seine Finger unter Jandris Hemd zu schieben, streichelte die weiche Haut, drängte unter den Hosenbund. „Hatten wir nicht eine Vereinbarung? Eine Nacht, nicht mehr!“ Sein Oberschenkel schob sich zwischen Jandris‘ Beine.
„Ich kann das nicht, Djamyr“, stöhnte er und legte seine Hände um Djamyrs Hüften. Nahm die Hand weg, als Djamyr zusammenzuckte, die Wunde vom Morgen. „Ich will dich! Ich brauche dich!“
„Nein!“ Djamyr schubste ihn unsanft in das hohe Gras, schob Jandris Hemd hoch und küsste die Haut, biss leicht hinein. Jandris konnte nur stöhnen, seine Hände in den schwarzen Haaren vergraben. Das Lederband löste sich, die Haare kitzelten sanft auf seiner Haut. Der Mund saugte an den Brustwarzen, leckte über die Brust, den Hals und küsste endlich wieder Jandris Mund.
Djamyr streifte Jandris das Hemd über den Kopf, setzte sich auf seine Hüfte. Beugte sich vor, schob die Hände über Jandris Kopf und küsste ihn, biss in seine Unterlippe.
„Djamyr“, flüsterte Jandris.
„Diese eine Mal, amjaro, breche ich die Regel“, flüsterte Djamyr in Jandris Mund und rieb seinen Unterleib am ihn. „Ein einziges Mal.“
Er ließ Jandris Hände los, streifte sein Hemd über den Kopf. Jandris musste ihn berühren, seine Haut spüren, legte seine Hände auf Djamyrs Bauch, streichelte die dunklen Muster, glitt hinunter und öffnete die Hose. Seine Hände fanden, was sie suchten, er umfasste die Härte und streichelten die samtig weiche Haut. Er liebte dieses heisere Stöhnen, dass aus Djamyrs Kehle drang.
Jandris setzte sich auf, schob Djamyr so herunter, dass er zwischen seinen Beinen saß, die Oberschenkel über Jandris‘ Oberschenkel gelegt. Sie küssten sich, nicht sicher, ob sie schnelle Befriedung wollten oder endloses Auskosten. Ihre Zungen trafen sich, umschlangen sich, erforschten den Mund des anderen. Jandris legte eine Hand in Djamyrs Nacken, während eine wieder seinen Schaft umschloss.
Mit geschickten Händen befreite Djamyr auch Jandris Schaft, rutschte so dicht an ihn heran, dass sie sich berührten, und umfasste beide mit seiner Hand. Langsam begann er sie zu bewegen. Jandris legte beide Hände um Djamyrs Hüften zog ihn so nah er konnte, stöhnte in den Mund, der ihn immer noch küsste.
Djamyr erhöhte den Druck seiner Hand und die Geschwindigkeit. Jandris fühlte, wie die Flammen über seine Wirbelsäule hinunterwanderten, dorthin wo Djamyrs Hand sich so unglaublich gut anfühlte, es war als zöge sich jedes Gefühl dort hin, um dann wie die Lava des Berges Eldafialla, sich rasend schnell in seinem Körper zu verteilen und ihn aus seinem Körper hinauszuschleudern.
„Ich…“ Er wollte tausend Dinge zu Djamyr sagen, doch der legte ihm den Finger auf den Mund und schüttelte den Kopf.
„Nein, bitte, nichts sagen“, flüsterte er und küsste ihn zärtlich. Sie lagen nebeneinander im hohen Gras, Yuris und Zajuma grasten friedvoll neben ihnen. Von Zeit zu Zeit küssten sie sich, streichelten ihre Körper.
„Was bedeutet das neue Zeichen auf deinem Arm?“, fragte Jandris leise und beugte sich über Djamyr.
„Das sage ich dir, wenn ich bekomme, was ich will“, antwortete Djamyr lächelnd.
Also nie, wollte Jandris sagen, doch diese Worte, die die Endgültigkeit bestätigten, wollten nicht über seine Lippen.
„Oschcura hat es gestochen“, fuhr Jandris fort.
„Ja.“
„Und dafür hast du ihr auch ein Zeichen gestochen.“
„Hm.“
„Ist das schmerzhaft?“
„Warum, willst du auch ein Zeichen?“ Aufmerksam sah Djamyr ihn auf einmal an.
„Dürfte ich den eins tragen?“ Jandris wusste nicht, ob dies vielleicht den Mitgliedern der Sippe vorbehalten war.
„Natürlich“, antwortete Djamyr und nickte.
„Ich würde gern dein Zeichen tragen.“ War das dumm? Vielleicht durfte man nicht fremde Zeichen tragen?
„Mein Zeichen? Das Zeichen für meinen Namen?“ Djamyr zeigte auf die geschwungene Linie, in deren unterem Schwung ein schwarzer Punkt gezeichnet war. – Jandris nickte.
Djamyr beugte sich über ihn. „Und wo würdest du es trage wollen? Es dürfte keiner sehen, da es sofort Verdacht erregen würde.“
Jandris konnte in seinen Augen sehen, dass ihm der Gedanke gefiel. „Hm, so viel meines Körpers sehen die meisten nicht“, antwortete er.
„Es dürfte niemand sehen.“ Sanft glitt Djamyrs Zeigefinger über seine Haut, auf der sich sofort eine Gänsehaut bildete. „Auch nicht, wenn du dein Hemd abstreifst. – Vielleicht hier.“ Der Finger stoppte auf seiner Leiste. „Dort dürfte es unter normalen Umständen niemand sehen.“ Die Bernsteinaugen funkelten ihn an.
„Wann tust du es?“, fragte er bloß.
„Heute Abend, weil die Regel nur heute nicht gilt. Im Stall, im Sattelraum, dort dürfte nach Einbruch der Dunkelheit keiner mehr sein.“ Djamyrs Mund küsste die Stelle, an der eben noch sein Finger gelegen hatte. Ein Schauer lief über seine Haut, das Blut strömte in Richtung dieses Punktes, sein Atem ging schneller.
„Djamyr, bitte… ich will, dass du…“ Jandris spürte das Rot in seine Wangen fließen.
Der Mund war von der Leiste weitergewandert, zu seinem Schaft, der sich ihm schon wieder hart entgegenstreckte. „Was soll ich?“, fragte Djamyr ihn mit dunkler Stimme, während er immer wieder sanft mit der Zunge über die Spitze strich.
„Ich will, dass du mich…“ Die Worte auszusprechen fiel ihm schwer.
„Ich denke, ich weiß, was du willst“, sagte Djamyr und rutschte zwischen seine Beine. „Ich habe nur nichts hier, um es dir zu erleichtern…“ Sein Mund schloss sich um die Spitze, glitt langsam über die gesamte Länge nach unten. Jandris stöhnte, das war zu gut.
„Nimm Spucke, es ist mir egal, ich will dich spüren“, flüsterte er stöhnend in die nächste Bewegung Djamyrs.
Djamyr schob sich so nah, dass Jandris‘ Beine auf seinen Oberschenkeln ruhten. Während seine eine Hand zärtlich den harten Schaft massierte, drang sein von seinem Speichel befeuchteter Finger in Jandris ein. Für einen Moment wollte er wieder zurückweisen, ihn fortstoßen, bis der Finger ganz eingedrungen war und den Punkt fand, der ihn in den Wahnsinn trieb. Sein Mund stöhnte, ohne, dass er kontrollieren konnte, was herauskam. Als sich Djamyrs Mund wieder um ihn legte, befürchtete er, sofort die Kontrolle zu verlieren. Seine Hände krallten sich in Djamyrs Haaren fest.
Die Finger (wann waren es mehr als einer geworden?) zogen sich aus ihm zurück um gleich darauf durch eine feuchte Spitze ersetzt zu werden. Seine Beine öffneten sich weit, Djamyr drang langsam in ihn ein, beobachtete sein Gesicht, reagierte auf seine Mimik. Endlich war er in ihm, begann sich langsam in kurzen Stößen zu bewegen.
Jandris vergaß alles, die Wiese, auf der er lag, die Pferde, sie neben ihnen standen und grasten, die Zukunft, die Vergangenheit…
Mit jeder Bewegung reizt Djamyr den Punkt, der die Spannung in ihm wachsen ließ, der alles in seinem Unterleib zusammenzog, sein Keuchen in Stöhnen verwandelte und ihn leise Djamyrs Namen flehen ließ. Die Bewegungen wurden schneller und alles wurde zu dem Flammenmeer in seinem Inneren. Er kam, ergoss sich zwischen ihre Körper, die Flammen jagten durch seinen Geist, verbrannten alles und ließen ihn neugeboren und erschöpft zurück.
Keuchender Atem in seinem Ohr, er streichelte die warme Haut unter seinen Fingern, liebte diesen Mann, liebte das, was er mit ihm tat.
„Ich liebe dich, mehr als alles andere“, flüsterte er mit geschlossenen Augen.
Stumm streichelte Djamyr weiter seine Haut.
„Ich will nicht, dass es…“
Djamyr legte seinen Finger aus Jandris Lippen. „Sprich es nicht aus. Sagt nicht, was du möchtest, es geht nicht. – Bitte, versprich mir, dass du dich daran hältst: Es gibt keine Zukunft für uns. Keine heimlichen Treffen, kein verlogenes Verhältnis. – Ich…“ Djamyr schlang seine Arme um ihn, zog ihn ganz dicht ans sich heran und flüsterte leise in sein Ohr: „Amjiare tia pudjo mia eschenzja, amjaro.“
„Was heißt das?“
„Dass ich dich mehr liebe als mein Leben – und es bedeutet, dass ich nur überlebe, wenn ich auf dich verzichte.“
„Du nimmst mir nicht übel, wenn ich das nicht verstehe. Wenn du mich wirklich liebst, wie kannst du dann verzichten?“ Jandris sah ihn an.
„Ich verzichte auf deinen Körper, weil ich nicht alles von dir haben kann. Ich liebe alles und nicht nur deinen Körper, nicht nur das Lager mit dir zu teilen. Ich will, zu dir gehören, mein Leben mit dir teilen. Nur das Lager mit dir zu teilen, würde mich auf Dauer zerstören. – Spätestens, wenn du dieser Frau semja djoabija, das ewige Zusammensein, schwörst. Bis dahin muss ich eine Mauer zwischen dir und mir errichten.“ Lächelnd strich Djamyr ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Aber wenn du wirklich willst, steche ich dir heute Abend mein Zeichen.“
„Ja, das will ich“, sagte Jandris und küsste Djamyr.
Es war fast dunkel, als sie zurückkamen. Jandris war vorgeritten, um nicht Gerüchte aufkommen zu lassen. Djamyr kehrte erst später zurück, brachte Zajuma in den Stall. Oschcura war gerade dabei, Yuris zu striegeln.
„Du warst in Skjaja?“, fragte sie, während er den Sattel von Zajumas Rücken nahm.
„Ja“, antwortete er einsilbig.
„Stimmt es, dass die Upvirag immer mehr Anhänger bekommen? Es heißt, dass nicht nur Sklaven sich den Aufständischen anschließen, sondern auch die kleineren, freien Händler, die Handwerker, die alle mit ihrer harten Arbeit kaum genug für ihr tägliches Leben verdienen. Sie alle sind gegen die großen Herren, wie Thordas.“ Fragend sah sie ihn über den Pferderücken an.
„Keine Ahnung. Glaubst du, ich habe Verbindungen zu Upvirag?“, fragte Djamyr spöttisch.
„Ich weiß nicht. Aber ich dachte, du hast vielleicht etwas gehört in Skjaja.“
„Nein, nichts.“ Er konnte ihr wohl kaum sagen, wo er gewesen war und mit wem.
Nachdem er Zajuma versorgt hatte, ging er ins Badehaus, in dem an diesem Abend Gedränge herrschte. Auf seine Frage antwortete Urias, dass Bjark heute die Frauen bringen würde.
„Du weißt schon, große Euter, dicke Hintern und immer bereit“, sagte er lachend.
„Bjark bringt euch Frauen? Seid ihr nicht frei?“, fragte Djamyr irritiert.
„Halb frei, wenn du so willst, aber keiner von uns hat die Zeit, sich eine Frau zu suchen. Einige, wie Varrel haben eine Frau und Kinder, aber er sieht sie nur alle drei Monate. Eine verdammt lange Zeit für einen Mann.“ Mit einem weiteren Lachen schlug er Djamyr auf die Schulter. „Normalerweise holt Bjark die Frauen alle zehn Tage, doch seit den Soelstyn, ist es nicht mehr dazu gekommen. Wissen die Götter, wie viel Druck hier herrscht.“ Mit einem weiteren Schlag auf seine Schulter und einem lauten Lachen verließ Urias den Raum. „Beeil dich, Djamyr, sonst bleiben nur die dicken und hässlichen über“, rief er noch, bevor die Tür zufiel.
Mit einem Lächeln zog Djamyr sich aus, froh nicht auf die Dienste der Frauen angewiesen zu sein. Er hatte bei Sakkio miterlebt, wie es war, wenn ausgehungerte Männer auf Frauen stießen. – Die meisten Frauen bei Sakkio hatten es nicht gewollt, anders als die Huren, die Bjark bezahlte, aber die Gier und Rücksichtslosigkeit der Männer würde die gleiche sein. Nicht, dass er sie nicht verstand, er war auch ein Mann, aber dieses rücksichtslose Befriedigen der eigenen Lust, war nichts im Vergleich mit gemeinsam genossener Lust. Er ließ seine Gedanken zu Jandris wandern.
Sollte er Jandris wirklich sein Zeichen stechen? Es würde ihn für immer als ihm zugehörig kennzeichnen. Normalerweise ließen sich nur Gefährten das Zeichen ihres Partners stechen, die sich sicher waren, den Rest ihres Lebens zusammen zu verbringen. Es war eine Möglichkeit, semja djoabija zu zeigen. – Oder sie verbanden beide Zeichen auf ihrem Körper und schufen ein neues für ihre Beziehung. Wie er es auf seinem Arm getan hatte. Er hatte das Zeichen für seinen Namen mit dem Zeichen für Sandfuchs, Sappiovolje vermischt. Jandris hat viel Ähnlichkeit mit einem Sandfuchs und das waren nicht nur die blonden Haare. Auch der Dickkopf und die Sturheit, die dem kleinen Raubtier nachgesagt wurde.
Sollte er ihm sagen, was sein Zeichen bedeutete? Dass es ihn immer mit ihm, Jandris, verband? Doch er wusste, es würde schon so schwer werden, den Sturkopf davon zu überzeugen, dass er an einer rein körperlichen Beziehung zugrunde gehen würde. Jandris sah es nicht ein, er stellte sich vor, dass es ein Leben als Jandris, der Sohn von Thordas gab und eins als Jandris, der Geliebte von Djamyr. Doch so konnte er nicht leben, so wollte er nicht leben. Allein die Vorstellung, wenn Jandris im nächsten Sommer sein Bett mit Ellia teilen würde. Bis dahin musste er einen eisernen Ring um sein Herz legen, damit es nicht brach.
Im Schlafhaus herrschte reges Leben, Frauen liefen ausgelassen kreischend vor den Männern fort, um sich juchzend fangen zu lassen. Alkohol floss in Strömen und ohne Scheu vor Zuschauern, vergnügten sich einzelne Paare auf den Fluren. Die Frauen starrten ihn an. Manche ängstlich, manche neugierig und einige lüstern. Die letzten waren es, die den Mut hatten, ihn anzusprechen und sich ihm offen anzubieten. Sein kalter Blick reichte meistens, um sie auf Distanz zu halten. Nur direkt vor seiner Tür musste er bei einer von ihnen, die unbedingt mit in sein Zimmer wollte, grob werden.
Er nahm die Nadel und die Farbe, ging hinüber in den Stall, in dem es nach dem Trubel wunderbar still war. Vorsichtshalber warf er einen Blick in alle Boxen, doch außer den Pferden war niemand dort. Hinten in dem Sattelraum war es dunkel und Djamyr entzündete eine Kerze, hielt die Nadel in das Feuer. So wäre sie sauber, wenn er sie gleich benützen müsste. – Wenn Jandris käme. Vielleicht hatte er es sich aber auch anders überlegt und erschien gar nicht…
Die Tür öffnete sich leise, Jandris blonde Haare zeigten sich. Als er Djamyr sah, lächelte er und schloss die Tür, legte den Riegel davor.
„Ich habe gehört, dass Bjark die Frauen ins Haus geholt hat… Wird keine ruhige Nacht heute im Schlafhaus“, sagte er grinsend.
„Nein, wohl nicht. Im Moment klingt es, wie in einem Hurenhaus.“ Djamyr grinste ihn an. „Ich bin froh, dass ich nichts von diesen Frauen brauche.“
„Hast du etwas gegen Frauen?“
„Nein, ich mag nur die Vorstellung nicht, wie viele Männer allein heute Nacht ihre Körper besitzen.“
„Die meisten von ihnen tun das, was sie tun nicht, weil sie es mögen. Sie müssen so ihre Familien ernähren“, sagte Jandris.
„Ja, das weiß ich. Und ich würde mir wünschen, dass es weniger Menschen mit viel Mynth geben würde und dafür alle Menschen genügend Mynth hätten. Doch nur weil ich sie verstehe und Mitleid mit ihnen habe, muss ich mir doch nicht wünschen über ihre Körper zu steigen.“ Dann ließ er seine Augen an Jandris herabwandern. „Bist du dir sicher?“ Er hob die Nadel in das Kerzenlicht.
„Ja“, antwortete Jandris schlicht und öffnete seine Hose, ließ sie über seine Hüften gleiten und setzte sich vor Djamyr. „Ich hoffe, es tut nicht zu sehr weh.“
Djamyr lächelte nur. „Leg dich hin, sonst kann ich nicht sauber stechen.“
Jandris legte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Der erste Stich, ließ ihn zusammenzucken. Dann waren es unendlich viele schnelle kleine Stiche. Djamyrs Atem streifte seine Leiste. Wie lange würde es dauern?
Irgendwann hatte er das Gefühl, er könne es nicht mehr aushalten. Doch er sagte nichts, ballte nur die Hände. Diese dauernden kleinen Stiche waren schmerzhaft und zehrten an seinen Nerven. Zwischen den Stichen wischte Djamyr immer wieder die Farbe hinein. Nach einiger Zeit dachte Jandris, er würde gleich schreien, es solle endlich vorbei sein. Wie hatte Djamyr nur diese unendliche Zahl von Zeichnungen ertragen? Oder gewöhnte sich der Körper an dieses Gefühl?
Dann rieb Djamyr über die Stelle, es wurde nass und Jandris öffnete die Augen. Djamyr wusch vorsichtig die Zeichnung mit einer Flüssigkeit ab, dann sah er ihn lächelnd an. „Fertig.“
Es war die geschwungene Linie mit dem Punkt, Djamyr hatte sie dicht neben den gelockten Haaren gestochen. Die schwarze Zeichnung hob sich von seiner hellen Haut noch deutlicher ab, als von Djamyrs dunkler Haut.
„Sie ist wunderschön“, flüsterte er und zog Djamyrs Kopf zu sich. Fragend küsste er ihn und bekam die erhoffte Antwort, als sich Djamyrs Zunge in seinen Mund schob.
Wie sollte er es schaffen, seine Finger von Jandris zu lassen? Er hatte ihm sein Zeichen gegeben, hatte sich an Jandris und Jandris an sich gebunden. War er verrückt?
Natürlich hatte er seine Finger nicht von Jandris lassen können, zu gut war das Gefühl ihn zu berühren, zu spüren, zu schmecken…
Er war verrückt!
Die nächsten Wochen musste er Jandris aus dem Weg gehen. Auf dem Weg nach Wignana würde das schwer genug werden. – Und er musste vorher versuchen Svarius noch einmal zu treffen. Nach Möglichkeit, ohne dass Jandris ihm folgte. Was würden die Upvirag tun, wenn der Sohn des reichsten Händlers der Stadt – und des reichsten Händlers Allragöst – sich zu ihnen verirrte? Djamyr bezweifelte, dass er dann sein Leben würde retten können.
Wie furchtbar kompliziert war dieses Land! All die Fragen, über man sich hier Gedanken machen musste. Wenn er Zuhause wäre, würde er sich mit Jandris das Lager teilen und alles wäre gut. Keiner würde versuchen sie deswegen umzubringen – oder hassen – oder verachten.
Eine Frau quietschte ein paar Räume weiter und brach kurz darauf in wildes Gelächter aus. Hurerei gab es bei ihnen auch nicht. Wenn zwei Menschen zusammen sein wollten, konnten sie das. Die einzige Ausnahme war, wenn man semja djoabija eingegangen war und der Partner etwas dagegen hatte. Doch auch ewige Gefährten teilte ihr Lager mit anderen, zum Beispiel, wenn der Nachwuchs in der Sippe ausblieb oder sich die Zahl der Kinder durch Krankheit gesunken war. Nachwuchs war das wichtigste Gut der Sippe. Wer sollte später das Wild jagen, wenn es keine Kinder gab? Oder die Jagdgebiete verteidigen? Oder all die Dinge tun, die alte Arme und Beine nicht mehr tun konnten? Darum gehörten Kinder auch immer der Gemeinschaft. Ihre Sicherheit, ihre Unterrichtung und ihre Ernährung waren die Aufgaben aller. Manch ein Kind wusste nicht, wer sein Vater war, doch alle wussten, wer ihre Mutter war. Die Mütter waren fast so wichtig für die Sippe wie die Kinder. Ohne Mütter gäbe es keine Kinder. Es reichte theoretisch ein einziger Mann, um eine Sippe zu gründen, doch eine Mutter reichte dafür niemals.
Und dann waren da noch die Alten, die ihren Teil schon getragen hatten. Die gejagt, geliebt und Kinder bekommen hatten. Sie waren mit Respekt zu behandeln. Ihr Wissen, ihre Geschichten waren die Grundlage für die Erziehung der Kinder. Wenn die Eltern ihren Aufgaben für die Sippe nachgingen, waren die Kinder in ihrer Obhut.
Wenn die Zeit des letzten Abschiedes kam, dann blieben immer zwei der Sippe als Dschapjiron, als letzte Begleiter, bei ihnen. Auch wenn die Sippe dem Gesetzt der Steppe folgte und weiterzog.
Und hier? Hier gab es reiche und arme Menschen, freie und versklavte Menschen, Menschen mit vielen, mit wenigen und keinen Rechten. Der Wert der Menschen war in Mynth messbar und nur wer genügend Wert besaß, wurde am Leben erhalten. Wer unwürdig war oder gegen die undurchsichtigen Regeln dieser tjippo, Menschen, verstieß, verlor sein Leben.
Djamyr drehte sich auf den Rücken, starrte zur Decke. Wieder hörte er laute Gelächter, irgendetwas fiel scheppernd auf den Boden und das tiefe brüllende Lachen eines Mannes war entfernt zu hören. Leise im Hintergrund füllte die ganze Zeit wollüstiges Stöhnen und Keuchen das Haus.
Wenn Jandris ihn nicht aufgehalten hätte, hätte er mit Svarius wieder zusammengelegen? – Ja, wahrscheinlich. Mit dem Upvirag verband ihn nichts und ihre Berührungen dienten nur der Befriedigung. Sein Innerstes, curaji, war nicht beteiligt. Nicht wie bei Jandris, wo jeder Blick sein curaji berührte. Mit Svarius war es einfach und klar. Mit Jandris war es verworren und schwierig.
Natürlich konnte er Jandris verstehen. Er selber ertrug den Gedanken nicht, dass diese Frau, Ellia, Jandris anfassen würde. Dass sie ein Recht auf ihn hatte und Jandris verpflichtet war, sein Lager mit ihr zu teilen. – Nachwuchs zu zeugen. Allen diese Gedanken schmerzten ihn zutiefst, mitten in seinem curaji.
Wie stand Jandris eigentlich zu Frauen? Hatten sie schon darüber gesprochen? Lag er bei Frauen und würde es, wie viele Männer, als unproblematisch sehen, da es für ihn zwei völlig unterschiedliche Dinge waren.
Djamyr konnte das nicht unproblematisch sehen. Entweder man gehörte zusammen oder nicht. Einzig für die Frage des Nachwuchses würde er jemanden in sein Lager aufnehmen. Obwohl er nicht wusste, wie er reagieren würde, wenn sein Partner sich lustvoll neben ihm mit einer Frau vergnügte…
Doch er war nicht Zuhause. Nachwuchs war hier nicht das Problem. Hier gab es genug Kinder und sie wurden alle schlecht behandelt. Außer der Vater hieß Thordas oder Nikros, dann wurden sie mehr als gut behandelt.
Andere Kinder lebten wie ihre Eltern oder schlechter. Wer Sklave war, durfte sich keine Sorgen um seine Kinder machen, denn sie gehören dem Herrn und allein er entschied über ihr Schicksal. Die Kinder der kleineren Händler, Schankwirt oder Gerber kannten nichts anderes als Arbeit. Von dem Tag an, an dem sie laufen konnten, gab es etwas, das sie tun konnten. Wenn mehr als ein Kind es schaffte das Erwachsenenalter zu erreichen, gab es Probleme, da nur der älteste Sohn das Gewerbe erben konnte und Mädchen taugten nur zum Dienen. Sie durften nichts besitzen, wurden verheiratet und wer keinen Mann fand endete meist als Hure auf der Straße.
Die Kinder in den Straßen von Skjaja waren schmutzig, dauernd hungrig und viele von ihnen starben früh. Dieses Volk scherte sich nicht um seine Kinder…
Im Raum neben dem seinen fiel etwas krachend um und zersprang klirrend auf dem Boden. Ein klatschendes Geräusch und der Schmerzensschrei einer Frau folgte.
„Verdammte, dreckige Hure“, schrie Yussu, der das Zimmer neben ihm hatte. Erneut klatschende Schläge.
Djamyr sprang aus dem Bett. Yussu war ein Berg von einem Mann, er kam aus dem gleichen Land wie Kattio und seine Schläge waren immer voller brutaler Härte. Mit wenigen Schritten war er aus seinem Zimmer heraus und stand in Yussus Zimmer. Die Frau lag leise jammernd zusammengerollt auf dem Bett und versuchte, ihr Gesicht vor den Schlägen zu schützen. „Du Miststück“, schrie Yussu, der Djamyrs Anwesenheit noch gar nicht gemerkt hatte. Die Wirkung des Alkohols stand in seinen glasigen Augen. Blutflecken auf dem Bett machten deutlich, dass die Frau verletzt war. Djamyr fing den nächsten Schlag ab. „Beruhig dich, Freund“, sagte er leise, mit der Stimme, die er auch bei aufgeregten, nervösen Pferden benutzte.
Yussus Kopf drehte sich langsam zu ihm. Die Wut wich und die Hand senkte sich. „Die Hure hat den Druvla umgestoßen“, sagte er mit einem Blick auf den zerbrochenen Krug, der neben einem umgefallen Stuhl am Boden lag. Aus der geringen Menge des roten Gewürzweins, der sich auf dem Boden gesammelt hatte, schloss Djamyr, dass kaum noch Druvla in diesem Krug gewesen war.
„Es ist gut, wenn du willst, besorge ich dir neuen Druvla“, sagte er und setzte den Riesen auf das Bett. „Bleib einfach hier sitzen und warte.“ Yussu nickte und starrte stumpf auf den zerbrochenen Krug.
„Sie hat ihn einfach umgeschmissen“, wiederholte er dumpf.
Djamyr wandte sich der Frau zu, die leise schluchzte und sich ganz in die Ecke des Bettes drängte. „Komm her.“ Immer noch in dem beruhigenden Ton sprechend streckte er ihr eine Hand entgegen. Ängstlich warf sie einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter auf Yussu. „Er wird dir nichts mehr tun. Komm her“, lockte er leise. „Ich bringe dich zu einem Heiler.“ Ganz langsam und vorsichtig, den Blick wie gebannt auf Yussu gerichtet, rutschte sie zu Djamyr, bis sie seine Hand greifen konnte. Sanft zog er sie herunter, ihr Gesicht erschreckte ihn, ein Auge war dunkelrot und zugeschwollen, die andere Wange war ebenso rot und aus dem Mundwinkel tropfte Blut. Ihr ganzer nackter Körper war mit den roten Zeugnissen der Schläge bedeckt. Als sie vor ihm auf dem Boden stand, sah er erst, wie klein sie war. Sie ging ihm kaum bis zum Kinn. Neben Yussu wirkte sie wie ein kleines Kind. Ihr Kleid lag auf dem Boden und Djamyr hob es auf und legte es um ihre Schultern, bevor er sie aus dem Zimmer führte.
„Vergiss den Druvla nicht, Stappmakka“, rief ihm Yussu hinterher, als er die Tür schloss.
„Komm, ich bringe dich zu Noamis, dem Heiler“, sagte Djamyr.
„Nein! Kein Heiler, den kann ich mir nicht leisten“, flüsterte sie und begann ihr Kleid über zuziehen. An ihrem schmerzverzerrten Gesicht konnte er sehen, wie schwer ihr das fiel.
„Er wird nichts von dir verlangen“, sagte Djamyr und zog sie hinter sich her.
„Und wenn doch? Ich habe nur wenig Geld und in den nächsten Tagen kann ich nicht arbeiten…“ Nur widerwillig folgte sie ihm.
„Ich verspreche es dir.“
Noamis war in seiner Kammer und zum Glück allein. Erschrocken sah er Djamyr an, als dieser mit der jungen Frau vor ihm stand. „Warst du das?“, fragte er geschockt.
Djamyr warf ihm nur einen finsteren Blick zu. „Kannst du ihr helfen?“
„Natürlich“, sagte der Heiler empört und öffnete seine Tür. Er hatte ein großes Zimmer, da er bei all seinen Salben, Tränken und merkwürdigen Apparaturen schlief. Djamyr führte die junge Frau, die sich ängstlich umsah, in das Zimmer und setzte sie auf einen Stuhl.
„Wer war es?“, fragte Noamis, während er verschiedene Dinge auf den Tisch neben dem Stuhl zusammensuchte.
„Yussu“, antwortete Djamyr.
„Dieser Bär und diese Elfe?“, fragte der Heiler mit einem zweifelnden Blick auf das Mädchen. Djamyr zuckte mit den Schultern.
Zuletzt brachte Noamis eine Schale mit Wasser, in die er etwas hineingoss, dann setzte er sich vor das Mädchen. „Zieh dein Kleid aus!“
Sie gehorchte, nachdem sie Djamyr angesehen und ein Nicken bekommen hatte. Ihre Augen blieben bei Djamyr, während die Hände des Heilers ihre Wunden mit dem Wasser abwuschen. Noamis brabbelte leise unverständlich vor sich hin und seine langen, dünnen Finger tasteten den Körper ab.
„Sie hat Glück, der Riese hat ihr nichts gebrochen. Ein Zahn weniger und ein paar Tage bis die Flecke wieder fort sind…“, sagte Noamis über die Schulter zu Djamyr. Seine Hände verteilten ungeachtet der Schmerzlaute der jungen Frau Salbe auf einigen Stellen. „Zieh dich an.“ Damit stand er auf und ging an seinen Arbeitstisch, auf dem sich unglaublich viele Dinge auftürmten. Verborgen durch seinen Rücken hantierte er klappernd auf dem Tisch herum.
Nachdem sie ihr Kleid angezogen hatte, stand das Mädchen wieder auf und sah Djamyr unsicher an. Bevor er etwas sagen konnte, drehte sich Noamis um und reichte ihr einen kleinen Tiegel.
„Salbe deine Wunden damit, dann heilen sie schneller. Wenn sie abgeheilt sind, schmeiß den Rest weg.“ Dann wandte er sich wieder Djamyr zu: „Kann ich jetzt vielleicht noch ein bisschen schlafen, bevor der neue Tag anbricht?“
Mit einem Lächeln zog er die Frau aus dem Zimmer des Heilers, der die Tür hinter ihnen schloss und das „Danke“ der Frau schon nicht mehr hörte. Nervös warf sie Djamyr von unten Blicke zu. „Was passiert jetzt? Wird dein Freund sich bei Myklas beschweren?“, fragte sie und knetete den Zipfel ihres Kleides.
„Er ist nicht mein Freund. – Ich weiß nicht, was er tut. Doch du hast doch nichts falsch gemacht, ein Krug ist zerbrochen, der fast leer war. Was soll dir deswegen geschehen?“, fragte er.
„Wenn sich ein Mann beschwert, dann behält Myklas mehr als sonst von dem Geld“, erklärte sie mit leiser Stimme.
Er starrte sie einen Moment an, ihr geschundenes Gesicht, ihren verletzten Körper und atmete durch. „Er wird sich nicht beschweren.“
„Gut, sonst würde das Geld auch nicht reichen, bis ich wieder…“ Ihre Augen waren groß und braun wie die Augen eines dajinio. Sie wirkte genauso gehetzt wie ein in die Enge getriebenes Jungtier. „Ich habe eine Tochter und…“ Dann senkte sie die Augen. „Es tut mir leid, das ist nicht dein Problem. – Sag mir wo ich warten kann, bis Myklas uns wieder abholt.“
„Komm“, sagte er und streckte die Hand aus. Ihre kleine Hand legte sich schüchtern hinein. Unterwegs besorgte er noch einen neuen Krug Druvla.
Zuerst brachte er das Mädchen, dessen Namen er noch immer nicht wusste – und auch gar nicht wissen wollte – in sein Zimmer. „Leg dich hin und schlaf“, sagte er, dann ging er zu Yussu, der immer noch auf seinem Bett saß und den zerbrochenen Krug anstarrte. Die blutunterlaufenen, glasigen Augen wandten sich ihm zu. „Hast du Druvla?“
Djamyr stellte den Krug vor dem Mann ab.
„Die kleine Schlampe“, sagte Yussu, nahm den Krug und trank einen großen Schluck. „Ich werde Myklas sagen, was ich von seiner Ware halte.“
Djamyr schupste den Riesen hart auf sein Bett. Mit einer Bewegung saß er auf ihm und hielt ihm eine der langen, dünnen Klingen an den Hals. „Du wirst dem Mann gar nichts sagen. Du hast das Mädchen halb totgeschlagen für einen fast leeren Krug Druvla. Wenn du nicht Bekanntschaft mit dieser Klinge machen möchtest, dann wirst du dein verdammtes Maul halten.“ Ganz leicht ritzte die Klinge die Haut. Yussus Augen sahen ihn wütend an. „Das wirst du bereuen, Stappmakka“, keuchte er.
„Kein Wort, Yussu, sonst wirst du es bereuen“, sagte er mit einem kalten Lächeln und stieg von dem Bett.
In seinem Zimmer saß das Mädchen auf dem Bett und sah ihn ängstlich an, als er das Zimmer betrat.
„Leg dich hin und schlaf“, sagte er. „Ich wecke dich, wenn dieser Myklas kommt.“
Vorsichtig legte sie sich auf das Bett, bedacht darauf, es nicht mit ihren Wunden zu berühren. „Danke“, flüsterte sie leise.
„Schlaf“, antwortete er und stellte sich an das Fenster.
Nachdem sie eingeschlafen war, verließ er das Zimmer und wanderte durch das Haus. Nicht mehr lange und die Sonne würde aufgehen. In dem Haus war es ruhig geworden. Es stank nach Druvla, Schweiß, ungewaschenen Körpern und all den Körperflüssigkeiten, die ein solch wildes Zusammenliegen hervorbrachte. Schnell suchte er das Freie, setzte sich vor das Haus und wartete auf den Mann, der mit Frauen handelte.
„Was tust du hier? Hast du nicht mit den anderen Wachen die Nacht der Weiber gefeiert?“
Erschrocken sah er auf und in Oschcuras dunkel Augen, die ihn anfunkelten. „Sicher, kleine Schwester, das gehört genau zu den Dingen, die ich brauche“, antwortete er lächelnd.
„Die anderen Tiere brauchen das“, sagte sie und spuckte vor dem Haus aus.
„Die anderen werden wie Tiere gehalten. Sie haben keine Frauen, keine Familien und wenn, dann sehen sie sie alle drei Monate. Sie sind Männer, sie haben Bedürfnisse, die sie normalerweise nur alle zehn Tage ausleben dürfen. – Wie oft hast du in den letzten zehn Tagen mit Livlia zusammengelegen?“
Oschcura errötete und wandte den Blick ab. „Trotzdem dürfen sie die Frauen nicht wie Vieh behandeln“, sagte sie leise.
„Nein, da hast du recht.“ Ein Karren kam um die Ecke des Schlafhauses gefahren. „Da scheint Myklas zu kommen, der Frauenhändler.“
Der Karren hielt vor der Tür und ein junger, kräftiger und erstaunlich gut aussehender Mann sprang herab. „Einen wunderschönen guten Morgen“, sagte er mit einem breiten Lächeln und einem taxierenden Blick auf Oschcura.
„Einen sonnigen Tag“, sagte Djamyr und lächelte, als der Blick des Mannes auf ihn fiel.
„Du musst der Mann aus der Steppe sein. – Ich habe von dir gehört. Ein Freund von mir, Svarius, hat mir von dir erzählt.“ Jetzt war sein Blick nicht taxierend, sondern herausfordernd. Ein Mann der mit Frauen handelte und mit Männern zusammenlag? Djamyr lächelte.
„Eine der Frauen wurde verletzt, weil einer der Männer sich nicht beherrschen konnte und die Kontrolle verloren hat. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen und ich wäre dir verbunden, wenn du sie nicht strafen würdest.“
Der Mund des Mannes zuckte leicht belustigt. „Wenn du mich das nächste Mal aufsuchst, wenn du in Skjaja bist, dann könnte ich von einer Bestrafung absehen“, sagte er.
„Ich glaube nicht, dass du dir einen Besuch von mir wünscht, wenn du sie bestrafst“, entgegnete Djamyr.
Myklas lachte laut. „Vielleicht kommst du vorbei und überzeugst dich, dass ich sie nicht bestraft habe. – Auch wenn ich sehr gut im Bestrafen bin.“ Seine Augen strichen über Djamyrs Körper.
„Das bin ich selber. Pass einfach gut auf sie auf.“ Djamyr erhob sich. „Ich werde sie jetzt holen.“ Er zwinkerte Oschcura zu, die dem Wortwechsel staunend gefolgt war.
Als er eine kurze Zeit später mit der jungen Frau auf den Hof trat, war Oschcura verschwunden und Myklas saß mit geschlossenen Augen auf der Bank. Auf dem Karren hatten schon die ersten Frauen Platz genommen.
Vor der Bank blieben sie stehen und Myklas öffnete die Augen. „Hallinia“, rief er aus und das Mädchen zuckte zusammen. Seine Augen musterten sie und dann wechselte er einen Blick mit Djamyr. „Steig auf den Wagen, Mädchen.“ Mit gesenktem Kopf kam sie der Aufforderung nach.
Die beiden Männer maßen sich mit Blicken. Immer mehr Frauen kamen aus dem Haus. Einige von ihnen sahen sehr mitgenommen aus und ließen sich nur noch auf den Karren fallen. Endlich waren alle versammelt und Myklas löste seinen Blick von Djamyr. „Keine Strafe“, raunte er und stieg auf den Karren. „Svarius ist noch zwei Wochen in der Stadt, dann geht es in die Berge“, sagte er und trieb die beiden riesigen Pferde an, die den Karren zogen. „Vielleicht solltest du ihn noch einmal aufsuchen.“
Die Kutschen waren beladen, die Wachen, die sie begleiten würden, ausgesucht. In zwei Tagen würden sie aufbrechen, darum hatte Djamyr Livlia um ein Siegel für einen Ritt nach Skjaja gebeten. Der Tag war günstig, da Jandris am frühen Morgen ausgeritten war, er wollte mit Freunden auf die Jagd.
Ungeduldig wartete er zur der Zeit, als die Sonne am Höchsten stand, im Stall auf Livlia.
„Ich bekomme kein Siegel“, sagte Livlia, als sie den Stall mit bekümmertem Gesicht betrat. Im Stillen verfluchte er Jandris, der dafür verantwortlich war.
„Vater sagt, es sei nicht notwendig und du sollst dich um die Vorbereitungen für die Reise kümmern“, führte sie aus.
Der verdammte Bastard! Djamyr schlug wütend gegen den nächstgelegenen Balken.
„Es tut mir Leid.“ Deprimiert ließ sie die Schultern hängen.
„Vergiss es.“ Ohne Siegel kam er nicht mal von diesem verdammten Grundstück…
„Warum so wütend?“, fragte Jandris plötzlich neben ihnen. Er führte Yuris am Zügel in den Stall und gab ihn Oschcura, die schnell herbeigeeilt kam. Mit einem Lächeln im Gesicht schlug er sich den Staub von der Kleidung.
„Ich muss nach Skjaja und bekomme kein Siegel. – Auch wenn ich nicht glaube, dass dich das erstaunt“, antwortete Djamyr ihm und Jandris Grinsen gab ihm recht.
„Jandris, es geht um die Sicherheit deiner Schwestern. Die kann dir doch nicht gleichgültig sein?“ Wütend funkelte er den anderen an.
„Die Sicherheit meiner Schwestern geht mir über alles“, knurrte Jandris zurück.
„Das besorg mir das verdammte Siegel“, fuhr Djamyr ihn an.
„Nein. – Aber du kannst mit mir nach Skjaja reiten“, bot ihm der andere an.
„Streja corschutjo“, fluchte Djamyr und wandte sich ab.
„Egal, was du mir an den Kopf wirfst, wenn du nach Skjaja willst, dann nur mit mir!“ Jandris Augen funkelten ihn blau an.
„Gut, dann komm mit.“ Djamyr ging zu Zajumas Box. „Wenn dein Glück davon abhängt, dann komm mit. – Aber nur, wenn du dich meinen Regeln unterwirfst und genau das machst, was ich sage.“
„Und das heißt?“
„Das wirst du dann sehen. – Verpflichtest du dich, alles zu tun, was ich sage? Egal, was ich von dir verlange, du tust es?“
„Ja, ich werde alles tun, was du von mir verlangst.“
Ein wirklich verführerisches Angebot, dachte Djamyr lächelnd, bezweifelt jedoch, dass Jandris sich nachher widerstandslos fügen würde.
Sie waren den halben Weg geritten, als Djamyr Zajuma zügelte. „Du kannst nicht als Jandris, der Sohn des Händlers Thordas mit mir kommen.“ Von oben bis unten sah er Jandris an. „Darum wirst du als Janni, der Sklaven mitkommen, der seinem Herrn bestellte Weine aus Skjaja mitbringen und auf den ich aufpassen muss.“
„Wovon redest du?“ Misstrauisch sah Jandris ihn an.
„Das du jetzt deine Kleider wechselst und dich wie ein Sklave und nicht wie ein Herr verhalten wirst.“ Djamyr schmiss ihm ein Bündel Kleider zu. „Du kannst dich dort hinter den Bäumen umziehen. Zum Glück lassen wir die Pferde vor der Stadt, sonst würde sich noch jemand wundern, warum ein Sklave das Pferd seines Herren reitet.“
„Das ist nicht dein Ernst.“ Ungläubig starrte Jandris auf das Bündel in seinem Arm.
„Doch und wir diskutieren nicht darüber. Wenn ich dich mitnehme, dann nur so.“ Unerbittlich sah er Jandris an. „Wenn du es nicht willst, dann gib mir ein Siegel und reite zurück.“
„Niemals!“ Jandris sprang von Yuris und verschwand zwischen den Bäumen. Hoffentlich würde er sich an die Geschichte halten können. Djamyr stieg ebenfalls ab und ließ die beiden Pferde ein wenig am Wegesrand grasen. Nach kurzer Zeit kam Jandris wieder. In den braunen, weiten Hosen der Haussklaven mit dem beigen, etwas schmutzigen Wickeloberteil, darüber eine braune Weste und schlichte hellbraune Schuhe, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. Djamyr lächelte ihn an. „Fast perfekt“, sagte er und trat näher. Mit den Händen zerwühlte er Jandris Haare und schmierte mit dem Daumen ein Hauch Schmutz auf die Wange des anderen. „Ich hoffe, du hast ein Siegel mit, denn so glaubt dir keiner, dass du ein Herr bist.“
„Ja, natürlich“, knurrte Jandris.
„Sehr gut, Janni“, sagte Djamyr, rollte Jandris‘ Kleider in einer Decke zusammen und befestigte dieses Bündel an seinem Sattel. „Denk daran, du bist ein Sklave, nicht deine Augen heben, wenn die Stadtwachen mit dir sprechen. Demut zeigen.“
„Und du denkst, das ist notwendig?“, fragte Jandris und zeigte auf seine Aussehen. Djamyr trat ein Stück an ihn heran. „Ja, und wenn wir unbeschadet dort herauskommen, dann werde ich vielleicht doch noch einmal die Regel brechen.“ Er zog Jandris in einen heftigen Kuss. „Aber erst hinterher.“
„Du wirst nicht mit dem Kerl verschwinden. Wenn ich dich und ihn nur zwei Herzschläge lang nicht sehe, bringe ich ihn um“, versprach Jandris heiser.
„Ich werde nicht mit ihm verschwinden und du hältst den Mund. Gib dich schüchtern und antworte nur, wenn es unbedingt sein muss.“ Sanft strich Djamyr ihm durch das Gesicht. „Ich will nicht, dass dir etwas geschieht, also höre auf mich.“
Die Schenke war voll und laut. Von Svarius war nichts zu sehen und Djamyr führte Jandris, der gehorsam den Kopf gesenkt hielt, an einen Tisch. Bei der gleichen blonden Schankmagd wie das letzte Mal bestellte er zwei Becher Druvla. Schweigend tranken sie, nachdem die Magd die beiden tönernen Becher auf den Tisch gestellt hatte.
„Wer ist der Junge? Musst du Verstärkung mitbringen?“ Eine große Hand legte sich schwer auf seine Schulter.
„Nein, ich spiele den Aufpasser für den Burschen. Der Herr hat ihn zu Trysus, dem Weinhändler geschickt um Weine abzuholen und ich darf die Fässer und ihn bewachen“, antwortete Djamyr und deutete auf den freien Platz am Tisch. „Setz dich zu uns.“
Der große Mann mit dem Bart ließ sich auf den freien Stuhl fallen und sah Jandris an. „Warum schickt er nicht Ereik?“
„Hast du nicht gehört, dass das Haus Thordas die Abreise der ältesten Tochter vorbereitet. Eilliana wird heiraten und alle Bediensteten sind beschäftigt ihr Zeug zu richten. Zudem soll er den Wein nur abholen.“ Djamyr zeigte auf Jandris und zuckte mit den Schultern. „Du weißt, wie das ist, der Herr entscheidet, wer, mit wem, wohin geht.“
„Ja, das weiß ich wohl“, antwortete Svarius und strich über seine Brust, die unter seinem Hemd von Peitschennarben gezeichnet war. „Kann ich dich unter vier Augen sprechen?“ Die große Hand legte sich auf Djamyrs Arm. Er konnte Jandris scharfes Einatmen hören und hoffte, Svarius würde nicht nachfragen.
„Nein, ich darf den Jungen nicht aus den Augen lassen, aber lass uns zur dort hinübergehen, dort kann ich ihn sehen und wir sind ungestört.“ Er zeigte auf eine kleine Nische, in der gerade der Tisch frei wurde. Svarius nickte und schob einen anderen Mann, der sich auf den Platz setzen wollte, einfach fort. „Such dir einen anderen Platz“, knurrte er zwischen den Zähnen hervor und setzte sich.
„Was willst du hier, Djamyr?“, fragte Svarius und musterte ihn.
„Ich wollte dich sprechen und dies war die einzige Chance, in die Stadt zu kommen“, antwortete er und warf Jandris einen Blick zu, der sie unverhohlen beobachtete.
„Und was willst du von mir? – Denn, dass was ich will, wird heute wohl nichts“, sagte Svarius und legte seine Hand vertraulich auf Djamyrs Oberschenkel, sicher, dass es unter der Tischplatte niemand sehen konnte.
„Ich begleite die Hochzeitsgesellschaft nach Wignana und wollte wissen, ob mich ein friedlicher Weg erwartet“, sagte Djamyr lächelnd. Die Wärme der kräftigen Hand drang durch den Stoff und er hoffte, dass Jandris die vertrauliche Geste nicht sehen konnte.
„Eine schöne Route. Wer reist mit dir?“
„Eilliana, die Braut und ihr Bruder Jandris sowie ihre Schwester Livlia“, antwortete Djamyr und versuchte, die Hand zu ignorieren, die höher rutschte.
„Welche Gesellschaft. Warum begleitest du sie?“ Svarius fixierte ihn.
„Thordas hat mich bestimmt, ihm gefällt meine Art zu kämpfen“, erwiderte Djamyr und zuckte mit den Schultern.
„Und willst du für ihn kämpfen?“ Seine Hand hatte sich hochgeschoben bis zwischen Djamyrs Beine.
„Du kennst die Antwort.“ Djamyr versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch die warme Hand, die sanft Druck ausübte, ließ ihn nicht kalt.
„Für jene die dich begleiten, wirst du kämpfen“, stellte Svarius fest und Djamyr nickte.
„Ich denke, es wird eine ruhige Reise, mein Hübscher“, sagte Svarius lächelnd. „Immerhin würde ich dich hinterher gerne hier wiedersehen. – Ohne deinen kleinen Begleiter, der mich anstarrt, als wolle er mir das Herz herausschneiden.“ Svarius lachte dröhnend. „Steht der kleine Sklave auch auf dich? Verübeln könnte ich es ihm nicht. – Vielleicht sollte ich ihm anbieten, mit uns beiden auf das Zimmer zu gehen?“ Mit einem Zwinkern sah er Jandris an, der errötend den Blick senkte.
„Lass ihn, Svarius, er ist zu schüchtern, um nur ein Wort zu sprechen.“ Djamyr winkte ab. „Es war ein stiller Ritt hierher.“
„Nun ja, dann lass uns hoffen, dass du das nächste Mal ohne ihn kommst. – Gerne würde ich noch einmal das Raubtier in dir wecken“, flüsterte er ihm mit einem Lächeln zu und verstärkte noch einmal den Druck seiner Hand.
„Ich werde es versuche.“ Djamyr schob sich der Hand kurz entgegen, ehe er sich ihr entzog.
„Dann bitte ich Soelgrud, der auch der Gott der Reisenden ist, um einen sicheren Weg und eine baldige Heimkehr.“ Svarius stand auf und beugte sich noch einmal zu Djamyr. „Und bring den Sohn des Händlers, der dir so viel bedeutet, wieder heil in das Haus seines Vaters zurück.“ Mit einem Grinsen nahm er Djamyrs erstaunten Blick wahr, erhob sich, nickte Jandris zu und ging.
Djamyr ging nachdenklich zu Jandris zurück, der ihn anstarrte. „Lass uns gehen“, sagte er und trank den Druvla aus, ohne sich wieder zu setzten. Jandris nickte und stand auf, sein Becher war schon leer.
Schweigend gingen sie durch die Straßen, durch das Stadttor und zu ihren Pferden. Immer wieder warf Jandris ihm fragende Blicke zu, die Djamyr jedoch ignorierte. Als sie ein gutes Stück von der Stadt entfernt waren, fing es an zu regnen. In nur wenigen Augenblicken waren sie von Kopf bis Fuß durchnässt.
„Den ganzen Tag habe ich gehört, was du gesagt hast, jetzt folgst du mir“, sagte Jandris und verließ den Weg, folgte einem schmalen, offensichtlich lange nicht mehr benutzten Weg durch den Wald bis zu einer kleinen, windschiefen Hütte.
Das Wasser tropfte ihnen aus den Haaren, klebte die Kleidung an ihre Körper. Im Inneren der Hütte schien es wenigstens trocken.
In der Hütte hatten offensichtlich Menschen und Tiere nebeneinander gelebt. Eine Art kleiner Stall befand sich direkt neben der verrußten Feuerstelle. Tisch, Stühle, ein umgeschmissener Bottich, ein Schrank, dessen Tür schief in der Angel hing und ein Bett an der Wand, war die alte, verlassene Einrichtung.
Die Pferde rieben sie mit dem Stroh ab, ehe sie sich genauer umsahen.
„Können wir es wagen, Feuer zu entzünden?“, fragte Djamyr mit klappernden Zähnen.
„Warum nicht? Wir sind nicht auf der Flucht“, antwortete Jandris und stapelte Holz in der Feuerstelle. Mit einem zurückgebliebenen Feuerstein entzündeten sie Stroh und bald darauf knisterte ein wärmendes Feuer.
„Hoffen wir, dass kein Vogel mit seinem Nest den Schornstein verstopft hat“, sagte Jandris und streifte sein Hemd ab.
Er griff nach Djamyr und zog ihn heran. „Zieh dich aus“, flüsterte er ihm ins Ohr und rieb seine Nase an seinem Hals.
Ohne Widerspruch folgte er der Anweisung, breitete die Kleider über zwei Stühlen vor dem Feuer aus. Jandris tat es ihm gleich, dann trat er hinter ihn. „Er hat dich angefasst“, flüsterte Jandris heiser in sein Ohr. „Ich hätte ihn umbringen können.“ Sanft streichelten Jandris Hände über seinen Körper. Er lehnte den Kopf zurück, gab sich dem hin. „Er wollte dich! Wollte dich anfassen, streicheln, dein Stöhnen hören…“ Leichte Bisse in seinen Nacken, Jandris Härte an seinem Rücken, zwischen seine Pobacken, rieb sich an ihm. Ein Ton zwischen Brummen und Schnurren entkam ihm. „Wolltest du ihn auch? Seine großen, schwieligen Hände?“ Die Zunge leckte rau über seinen Hals, ein Biss in sein Ohrläppchen, Fingerspitzen, die über seine Brustwarzen rieben. Die Hände glitten über seine Seite, folgten der Leiste. „Wolltest du, dass er dich so anfasst?“ Und eine Hand legte sich um seinen harten Schaft, eine fasste tiefer.
Er stöhnte auf, streckte die Arme über den Kopf, umfasste Jandris Nacken, hielt sich fest, während er seinen Körper Jandris Händen überließ.
„Sollte er dich reiben?“ Seine Hand tat es und Djamyr stöhnte wieder. „Und massieren?“ Die andere Hand folgte den Worten. „Sollte er dich nehmen?“, fragte Jandris rau vor Verlangen sein Ohr.
„Nein, nicht er, nur du“, antwortete Djamyr keuchend und Jandris schob ihn auf das Bett. Bereitwillig kniete er sich hin, bot sich dar und Jandris nahm es gierig an. Mit Speichel befeuchtet drang er in den dargebotenen Körper, dessen Anblick alleine ihn fast kommen ließ.
Das Gefühl der totalen Nähe, der Enge und der Hitze nahmen ihm fast den Verstand und er zog Djamyr hoch in seine Arme. Umfasste ihn und ließ seiner Lust freien Lauf. An den keuchenden, stöhnenden und verlangenden Worten konnte er hören, dass Djamyr ihn ebenso sehr wollte, wie er ihn. Viel zu schnell überflutete sie ihr Orgasmus, riss sie mit und ließ sie erschöpft auf dem alten Bett zurück. Eng schmiegten sie sich aneinander unter die alte mottenzerfressene Decke.
„Ware es dir lieber gewesen, ich wäre er?“, fragte Jandris.
„Skodjino“, flüsterte Djamyr. „Idiot“, übersetzte er dann. „Amjiare tia, amjaro.“
„Aber du hättest mit ihm zusammengelegen, wenn ich nicht dabei gewesen wäre“, beharrte Jandris.
„Ja, und es wäre nichts anderes gewesen, als die Befriedigung eines Bedürfnisses. Wie essen oder trinken. Aber mit dir…“ Djamyr stützte sich auf und sah ihn an. „Mit dir ist es etwas völlig anderes. Es berührt mein curaji, meine… Seele? mein Herz? – Ich weiß nicht genau, wie ihr es bezeichnet. Jedes Mal macht es für mich schwerer, am nächsten Tag nichts als den Herrn in dir zu sehen.“
„Ich bin nicht dein Herr“, widersprach Jandris.
„Doch, das bist du und anders wird es in dieser Welt niemals zwischen uns sein.“ Traurig sah Djamyr ihn an. „Egal, wie sehr ich es mir wünsche. – Darum muss es das letzte Mal sein, dass wir dies hier tun, die Regel brechen.“ Zärtlich küsste er Jandris. „Auch, wenn ich nicht weiß, wie ich es durchhalten soll.“
„Ich weiß genau, dass ich nicht durchhalte. – Djamyr, ich kann nicht auf dich verzichten.“
„Du musst, amjaro“, flüsterte Djamyr ihm ins Ohr. „Es kann so nicht weitergehen.“
„Warum, Djamyr? Warum können wir nicht weitermachen?“, fragte Jandris verzweifelt.
„Weil ich es nicht ertrage. Weil ich es jetzt schon kaum ertrage“, antwortete Djamyr und küsste ihn. „Lass uns nicht die Zeit vergeuden.“
Jandris schlang seine Arme um ihn und erwiderte seinen Kuss. Nie würde er auf diesen Mann verzichten können…
Es war fast dunkel, ehe sie die Pferde in den Stall brachten. Stille lag über dem Anwesen, Grillen zirpten leise und entfernt heulte einsam ein Wolf. Die Pferde schnaubten leise.
„Was hat er dir gesagt, was so wichtig war?“, fragte Jandris. Sie standen im Schatten des Stalles, sahen über die Weide. „Der Mann war Svarius, ein ehemaliger Svjardvalsten. Ich habe ihn kämpfen gesehen. Sein Herr, der Reeder Plauras, hat ihm vor Jahre die Freiheit versprochen, wenn er die Soelstyn gewinnt. Er musste im letzten Kampf Syxtyn besiegen, den Plauras erst kurz zuvor bei einer Wette an den Händler Arvys verloren hatte. Die Svjardvalsten erzählen, dass Svarius und Syxtyn gute Freunde waren. Nun standen sie sich im Soelstyn in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber. Welch grausames Schicksal: Einen Freund töten, um frei zu sein.“ Jandris machte eine Pause. „Syxtyn wusste von dem Versprechen Plauras, er wusste auch, dass er selber nie frei sein würde – und das Svarius ihn nie töten würde. – Sie kämpften lange und zäh. Einander kennend wussten sie, was für Finten und Fallen der andere stellte. Doch auch Männern wie Svarius oder Syxtyn ermüden irgendwann. – Die Legende, die sich die Svjardvalsten seit jenem Soelstyn erzählen, sagt, dass Syxtyn dafür gesorgt hat, das Svarius diesen Kampf gewann. Baddra erzählt, dass Syxtyn sich geschickt im Kampf in das Schwert Svarius‘ fallen ließ. – Auf jeden Fall ist Svarius seitdem frei und hasst die Herren der Svjardvalsten aus tiefster Seele. – Ich habe gehört, dass ihn einige verdächtigen, den Upvirag anzugehören.“
„Du hörst eine Menge Gerüchte. Vergiss sie einfach“, sagte Djamyr und hob seinen Kopf. Im Dunkel konnte Jandris ihn nicht erkennen. „Es wird Zeit. – Wir sehen uns morgen.“ Dann drehte er sich um und ging, verschwand nach wenigen Schritten im Dunkel.
Wie sollte er die Reise neben Djamyr aushalten, ohne ihn zu berühren? Jedes Zeichen auf der dunklen Haut schien ihm zu sagen, berühre mich, spür mir nach…
Resigniert ging er durch den Stall. Solange Djamyr da war, gab es Hoffnung. Erst wenn er den Rückweg in die Steppe antreten sollte, dann war alle Hoffnung verloren.
Zwei Tage später in aller Frühe brachen sie auf. Livlia und ihre Schwester Eilliana reisten in der Kutsche, eine zweite Kutsche war gefüllt mit den Kleidern von Eilliana und den Geschenken für ihre Hochzeit und die Familie ihres zukünftigen Ehemanns. Die beiden Kutschen würde die Dauer ihrer Reise erhöhen, statt sieben Tagen würde es mindestens zehn Tage dauern. Djamyr und Zajuma ritten hinter dem Tross, überholten ihn, ritten vorweg… waren dauernd in Bewegung.
Jandris beobachtete ihn, in den letzten beiden Tagen hatten sie nicht miteinander gesprochen und auch heute mied Djamyr ihn. Entgegen der üblichen Kleidung der Wachen war Djamyr ganz in schwarz gekleidet. Jandris fragte sich, wo er die schwarzen Kleider her hatte und warum sein Vater diese duldete. Der fremdländische und gefährliche Eindruck, den Djamyr machte, wurde durch das Schwarz betont. Seine schwarzen Haare, mit einem Lederband ordentlich zusammengehalten bis auf ein paar Strähnen, die zu kurz waren und um sein Gesicht fielen, und die funkelnden bernsteinfarbenen Raubtieraugen, ließen ihn wild, ungebändigt wirken. Die Zwillingsschwerter auf seinem Rücken taten das ihre.
Gerade ritt er neben der Kutsche und sprach mit Livlia, die Arme gekreuzt vor sich, schien er völlig entspannt zu sein. Was hatte Svarius zu ihm gesagt? Lag seine Ruhe daran? Hatten die Gerüchte recht und Svarius war ein Upvirag? Und hatte er Djamyr zugesagt, dass auf ihrem Weg nichts geschehen würde?
Djamyr lachte und streckte die Hand aus. Livlia stieg vom Wagen aus hinter ihn auf Zajuma. Gemeinsam ritten sie an dem Tross vorbei an die Spitze. Warum sollte Svarius ihm das zusagen? Für einen gemeinsamen Nachmittag? Gab es mehr zwischen ihnen?
Jandris seufzte. Er war dabei verrückt zu werden! Krampfhaft versuchte er, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
Gegen Mittag hielte sie an einem kleinen Gasthaus. Jandris ging mit seinen beiden Schwestern hinein, während Djamyr sich um die Wagen und die Wachen kümmerte. Livlia, die noch nie eine so weite Reise gemacht hatte, war aufgeregt und redete die ganze Zeit. Ihre Schwester, die zwar auch noch nie solch eine Fahrt unternommen hatte, war still und in sich gekehrt. Jandris nahm an, dass ihr jetzt erst bewusst wurde, dass sich ihr Leben in den nächsten Wochen total verändern würde. Wenn ihr Geschwister nach der Hochzeit Wignana wieder verlassen würden, wäre sie alleine dort. Weit weg von ihrer eigenen Familie bei einem Mann, den sie nicht kannte und der über ihr weiteres Leben bestimmen konnte.
Jandris sah aus dem Fenster und beobachtete Djamyr, der sich mit Druska unterhielt. Djamyr sagte etwas zu dem Mann mit dem eckigen Kopf und dem eckigen Wesen, dieser lachte laut auf. Druska trug dunkelbraune Hosen, halbhohe braune Stiefel, ein beiges Hemd mit dunkler hoch zugeknöpfter Weste darüber. Sein Sverre hing in der verzierten Lederscheide an seiner Seite und er trug die hohen braunen Armschienen der Wachen. Der Mann sah eckig und kantig aus und sein kurzes, helles Haar betonte dies. Sein derbes Äußeres betonte Djamyrs dunkles, raubtierhaft geschmeidiges Aussehen.
„Jandris, hörst du überhaupt zu?“, fragte Livlia ungeduldig.
„Natürlich“, antwortete er und lächelte sie an.
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an, während Eilliana verträumt vor sich hin starrte.
Jandris versuchte Livlias Geplapper zu folgen, während seine Augen immer wieder Djamyr durch das Fenster suchten. Das schwarze Haar schimmerte wie Rabenfedern in der untergehenden Sonne. Wie weich es sich zwischen seinen Fingern anfühlte, wenn er seine Hände darin vergrub…
„Jetzt reicht es aber, Jandris!“ Livlia schlug ihn leicht auf den Arm. „Ich rede und rede und du hörst nicht zu!“
„Verzeih, kleine Schwester, ich werde mich bessern…“, sagte er lächelnd und zwang sich ihr seine Aufmerksamkeit zu widmen.
Auch, wenn Djamyr keinen Angriff der Upvirag erwartete, gab es genug andere Gefahren, mit denen sie rechnen mussten. Der Tag forderte seine Aufmerksamkeit, so musste er sie nicht Jandris schenken, konnte ihn aus seinen Gedanken drängen.
Auch an diesem Abend hatten sie Glück und erreichten mit dem schwerfälligen Tross vor der Dunkelheit einen Gasthof. Kurz vor dem Ziel setzte der Regen ein und durchnässt sie. Jandris ging mit seinen Schwestern in den Gasthof, während er sich um die Wagen und die Menschen kümmerte. Neben den Wachen waren noch drei Sklavinnen zu Eillianas Begleitung mitgekommen. Sie würden das Schicksal ihrer Herrin teilen und mit ihr in Wignana bleiben.
Tylma war Eillianas langjährige Zofe und sollte sich während der Reise um Eilliana und Livlia kümmern, er schickte sie zu ihrer Herrin. Die beiden anderen brachte er, nach Rücksprache mit einem gutmütigen, dickbäuchigen und freundlichen Wirt, in einem kleinen Zimmer in dem Gasthof unter.
Die beiden waren Schwestern, Fryja und Syllia, beide noch sehr jung, mit kindlich runden Gesichtern und fraulich runden Körpern. Die Männer während der ganzen Reise von ihnen fernzuhalten, würde anstrengend werden.
Jene Wachen, die nicht eingeteilt waren, gingen in das Gasthaus essen. Schlafen würden sie im Stall bei ihren Pferden und Wagen.
Erst spät folgte Djamyr ihnen in die Gaststube. Sofort wurde es leiser, misstrauische Blicke folgten ihm zu dem Tisch, um den die Männer saßen.
„Djarvul“, flüsterten mehrere Stimmen leise.
„Sie haben Angst vor dir, Djamyr“, sagte Druska mit seiner dröhnenden Stimme. „Sie glauben, du seist Djarvul, der Schwarze, das Böse.“ Er lachte laut. „Djarvul ist der Diener Skratti, er stiehlt den Menschen ihr Kaemra.“ Dabei legte er seine Hand auf seine Brust. „Ihre Seele, weil er selber keine hat. Er verlor sie bei einer Wette an Skratti. Doch Djarvul kann die Seelen nicht halten, auch sie gehen zu Skratti, darum braucht er immer neue Seelen, bis in alle Ewigkeit.“
„Lass sie glauben, was sie wollen, Hauptsache, ich bekomme etwas zu essen und zu trinken“, antwortete er.
Die Schankmagd war jung, ihre Augen wollten ihr fast aus dem Kopf fallen, als sie an den Tisch trat. Ängstlich starrte sie Djamyr an und nahm seine Bestellungen auf.
Nach dem Essen blieb Djamyr nicht lange bei den anderen sitzen. Die Luft war schlecht, da einige der Gäste lange Pfeifen rauchten und die Fenster geschlossen blieben. Djamyr bezweifelte, dass man diese Fenster überhaupt noch öffnen konnte.
Bevor er den Raum verlassen konnte, verstellte ein großer, breitschultriger Mann ihm den Weg. Djamyr hob den Kopf und blickte in ein hübsches Gesicht, dessen Anmut durch den von Hochmut geprägten Ausdruck geschmälert wurde. Die blonden Haare lagen in langen Locken um das schmale Gesicht mit den großen schlammbraunen Augen. Der Mann mit der großen, kantigen Figur war vielleicht zehn Sommer älter als er.
„Wer ist dein Herr?“, fragte eine Stimme, die so gar nicht zu der Gestalt des Mannes passen wollte. Sie war hoch und schrill.
Djamyr hatte nicht vor, ihm zu antworten. Reglos erwiderte er den Blick.
„Hörst du nicht, Sklave, wer ist dein Herr?“, fragte der Mann ungehalten.
Die aufsteigende Wut ließ ihn weiter schweigen. Besser, als ihr Worte zu geben.
„Willst du die Peitsche spüren, Sklave? Du hast zu antworten, wenn dir ein Herr eine Frage stellt!“ Die hohe Stimme überschlug sich fast. Der Mann war nicht gewohnt, dass seine Befehle missachtet wurden. Einige Gäste in der Schankstube drehten sich um.
„Er ist kein Sklave. Er ist der Leibwächter meiner Schwester“, sagte Jandris neben ihm. Das Blut rauschte wütend durch Djamyrs Adern und sein Blick bohrte sich in die Augen, deren Farbe ihn an Dreck erinnerte.
„Wie kann ein solcher Fremdling kein Sklave sein? Allein sein Blick! Ihr solltet ihm ein Halsband anlegen!“, sagte der Fremde mit einem vor Abscheu verzogenen Gesicht zu Jandris. „Die Leute haben recht, er sieht aus wie Djarvul.“
Jandris Hand legte sich schnell und warnend auf seinen Arm. „Ich weiß nicht, wie es in Eurem Haushalt gehandhabt wird, aber es obliegt mir nicht, einem Freien ein Halsband anzulegen“, sagte Jandris kalt.
„Was wollt ihr für ihn haben? Ein wildes Tier wie er, fehlt mir noch.“ Der Mann schien weder Jandris Worte zu hören, noch ihren Sinn zu verstehen.
„Er ist nicht zu verkaufen.“
„Jeder ist zu verkaufen, es ist nur eine Frage des Preises!“ Der Mann, der es bisher nicht einmal für nötig befunden hatte, seinen Namen zu nennen, streckte den Arm aus und griff nach Djamyrs Arm. „Zeig mir die Zeichen auf deiner Haut.“
Mit einer Bewegung zog Jandris ihn zurück und stellte sich zwischen ihn und den Mann. Djamyrs Wut war kalt geworden. Wenn er ihn anfasste, würde er es bereuen.
„Dieser Mann ist frei. Er entscheidet, wohin er geht oder nicht. Genauso, wer ihn berührt oder nicht“, sagte Jandris scharf. „Bei uns wird kein freier Mann mit Gewalt gezwungen.“
„Bis du nicht der Sohn des Thordas? Für deinen Vater ist alles eine Ware und alles verkäuflich. – Wie frei ist dein Leibwächter? Kann er deinen Dienst verlassen?“ Unverschämt duzte der Mann Jandris nun einfach. Djamyr hätte ihm gerne Manieren beigebracht. Seine Körperspannung war hoch, bereit sich auf den Mann zu stürzen.
„Ja, der bin ich und dieser Mann ist frei, zu gehen, wohin er will.“
„Gut, Djarvul, dann kommst du zu mir, ich zahle dir jeden Betrag“, dröhnte der Mann. „Du musst leider einen anderen Leibwächter für deine Schwester suchen.“
„Streja bastardjo“, fluchte Djamyr und die Hände gingen von selber an die Zwillingsschwerter. Jandris hob vor ihm beruhigend die Hände, um ihn zurückzuhalten.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass Euer Angebot angenommen wird“, sagte Jandris freundlich.
„Das glaube ich nicht. Versteht er mich überhaupt?“ Zweifelnd sah er Djamyr an. „Hör zu! Du – bekommst – alles – was – du – willst.“
„Ich würde eher sterben, als in Eure Dienste zu treten“, sagte Djamyr gefährlich leise.
Einen Augenblick sah der Mann ihn überrascht an, dann lachte er dröhnend. „Du bist eigenwillig, das ist gut! Ich glaube, ich muss einmal mit deinem Herren Thordas sprechen, vielleicht kann er dich “überzeugen“, schwarzer Teufel. – Wenn du nicht in meinen Dienst kommen willst, gewähre mir einen Blick auf deine Körperbilder. Ich habe gehört, ihr tragt Bilder auf eurer Haut, die Geschichten erzählen. – Du bekommst dafür, was du willst.“
„Chai!“, Djamyr spuckte ihm die Ablehnung förmlich vor die Füße.
„Du brauchst nicht zu übersetzen“, sagte der Mann mit einem düsteren Blick auf Jandris, der gerade ansetzte, etwas zu sagen. Dann beugte er sich vor und flüsterte: „Ich bekomme immer, was sich will, Djarvul, immer! Wir sehen uns wieder. – Verlass dich darauf!“ Dann drehte er sich um und ging.
„Allby, ein reicher Händler aus Troos, eine Handelsstadt im Süden Allragösts. Wir haben schon öfter mit ihm Geschäfte abgeschlossen. Ein unangenehmer Mann“, sagte Jandris, als er sich zu Djamyr umdrehte.
„Unangenehm? Dijustia!“ Er spuckte auf den Boden. Seine Wut wollte diesem überheblichen Bastard zeigen, was geschehen würde, wenn er ihm zu nahe käme.
„Ja! – Auch wenn ich nicht weiß, was es bedeutet. – Allerdings befürchte ich, wir werden ihm in nächster Zeit öfter begegnen, da er auch zur Hochzeit eingeladen ist.“ Jandris warf Djamyr einen Blick zu. „Lass dich nicht von ihm provozieren. Er ist es nicht wert.“
„Und wenn er von deinem Vater erfährt, dass ich nicht frei bin? Wird dein Vater mich ihm verkaufen? – Er wird sich doch so ein Geschäft nicht entgehen lassen!“ Djamyrs Stimme kratzte vor Wut, sein Akzent war deutlicher. „Detesjiare vostro mondo!“
„Was bedeutet das?“, fragte Jandris.
„Ich hasse euer – Leben… eure Art zu leben. Eure Verachtung und Respektlosigkeit.“ Djamyr sah ihn mit seinen funkelnden Augen an. „Er ist nichts, er kann nicht alleine überleben, er kann sich nicht alleine ernähren oder Wasser finden. Er hat keinen Wert für die Gemeinschaft. Ich könnte ihn schneller töten, als er um Gnade betteln kann. – Und doch ist er ein Herr und ich ein Sklave. – Sag mir, dass dies richtig ist.“
„Unsere Gesellschaft hat andere Regeln…“, sagte Jandris lahm.
Djamyr hob die Hand und unterbrach ihn. „Ja, das weiß ich. – Zeit, schlafen zu gehen.“ Mit einer kurzen Verbeugung drehte sich Djamyr um und ging mit schnellen Schritten weg. Er wollte nicht mehr mit Jandris über diesen Mann und seine Drohung sprechen. Jandris war in dieser Welt aufgewachsen, für ihn war es normal, dass Männer wie Allby Herren waren.
Als sie am nächsten Morgen aufbrechen wollten, trat Allby an Jandris heran und schlug ihm vor, gemeinsam zu Reisen. So wären sie durch die doppelte Anzahl Wachen geschützt. Gerne hätte er abgelehnt, doch er konnte nicht. Allby war ein wichtiger Handelspartner und wie sollte er begründen, nicht mit ihm zu reisen, wenn sie das gleiche Ziel hatten? Also stimmte er zu.
Djamyr war wütend über diese Begleitung, auch wenn er verstand, dass Jandris keine andere Wahl hatte.
Die Wachen waren genauso arrogant wie ihr Herr und ihr Ledda Viggius wollte sofort auch die Wachen Thordas befehligen. Djamyr betrat den Stall, um nach den Pferden zu sehen, und fand Viggius im Streit mit Druska.
„Ihr übernehmt die Nachhut, wir reiten vorweg. Seit zehn Jahren bin ich Ledda bei den Wachen Allbys und für die Sicherheit meines Herren verantwortlich“, zischte der etwas kleinere aber sehr kräftige Viggius Druska zu.
„Und ich bin für die Sicherheit meines Herren und seiner Schwestern verantwortlich und ich werde ihr Leben nicht auf das Spiel setzten, weil ich irgendeinem Ledda der sich selbst überschätzt, die Führung überlasse.“ Djamyr war zu den beiden getreten und blickte in das Gesicht des Mannes, das von Narben gezeichnet war. Kleine runde Narben verteilten sich überall auf seiner Haut. Wütend zogen sich die grauen Augen zu Schlitzen zusammen.
„Wer bist du? Ein Sklave? Wagst du es, mich anzusprechen?“ Viggius wendete sich augenblicklich Djamyr zu.
„Ich bin verantwortlich für die Wachen, für die Sicherheit dieses Trosses. Dein Herr will meinen begleiten, also ordnet ihr euch unter – oder beschwer dich bei deinem Herrn.“ Nie im Leben würde er sich von diesem Mann Befehle erteilen lassen.
Druska hob die Hände, bevor Viggius wütend antworten konnte. „Hört auf zu streiten, so kommen wir nie nach Wignana. – Wie wäre es, wenn ihr zusammen überlegt, wie wir am sichersten dorthin gelangen.“
Die beiden sahen sich an, beide nicht begeistert, doch es war ihnen bewusst, dass sie aufgrund des Entschlusses ihrer Herren keine andere Möglichkeit hatten.
„Gut“, sagte Viggius, „dann lass uns überlegen, wie wir unsere Herren am besten schützen.“ Seine Haltung entspannte sich und seine Augen sahen Djamyr offen an. Schöne Augen, stellte der erstaunt fest. Das dunkle Grau wurde durch einen schwarzen Ring vom Weiß getrennt.
„Einverstanden“, sagte Djamyr und reichte ihm die Hand. Der Handschlag des Mannes war fest und trocken, sein Blick offen und ehrlich. Blieb die Frage, ob auch er es war.
Die nächsten Tage verliefen ruhig, auch wenn Allbys Blick ihm dauernd folgte. Mit Viggius kam er aus, selbst wenn sie nicht immer einer Meinung waren. Am fünften Tag fing es an zu regnen und hörte erst am achten Tag wieder auf. Die Laune der Reisenden und ihrer Beschützer sank rapide. Die Straßen waren matschig und die Räder der Kutschen blieben häufig stecken. Nur langsam kamen sie vorwärts. Die Zelte waren nass, die Kleider waren nass und die Menschen froren. Livlia erkältete sich und musste dauernd niesen.
Djamyr ertrug es mit Ruhe. Auch in der Steppe gab es nach langen Dürreperioden die Tage des Regens. Und manchmal regnete es zehn, zwölf Tage ohne Unterbrechung. Dies hier war dagegen harmlos.
Am neunten Tag war es dann endlich trocken und die Sonne schien. Alle wollten reiten, selbst Eilliana, die es sonst vermied, auf ein Pferd zu steigen, wollte die Sonne spüren. An diesem Abend erreichten sie zum ersten Mal, seit sie zusammen reisten, wieder ein Gasthaus. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich Wignana näherten. Obwohl gut besucht, bekamen sie genügend Zimmer.
Die ganzen neun Tage war Djamyr Jandris aus dem Weg gegangen. Beobachtete ihn nur aus dem Augenwinkel. Gerne hätte er mit ihm gesprochen, doch er traute sich selber nicht. Zu groß war das Bedürfnis ihm nah zu sein, ihn zu berühren.
Aufgrund des schlechten Wetters würden sie Wignana erst in drei Tagen erreichen. – Und das nur, wenn es nicht wieder anfing, zu regnen. Nachdem er mit Viggius über den nächsten Tag gesprochen hatte und sicher war, dass die Wagen, Pferde und Wachen gut untergebracht waren, machte er sich auf den Weg zu einem kleinen – jetzt durch den Regen verstärkten – Flusslauf, der sie den ganzen Tag begleitet hatte. Er brauchte Ruhe und Wasser, endlich den Schweiß, den Dreck und die Wut der letzten Tage von seinem Körper und aus seinem Geist spülen. Allby hatte ihn zwar nicht mehr angesprochen, doch Djamyr spürte ständig seine Blicke. Wie sehr er diesen Mann inzwischen verabscheute. In seinen aufdringlichen Blicken konnte er lesen, dass er mehr wollte, als seine Zeichnungen lesen, er wollte sie berühren, er wollte ihn berühren. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er würde ihn umbringen, wenn er versuchen sollte, ihn anzufassen.
An einer ruhigen flachen Stelle zog er sich aus, ging ins Wasser. Es war kalt, nicht eisig, aber doch erfrischend. Zuerst wusch er seine Kleider, die vor Schlamm starrten, dann löste er das Band und wusch seine Haare, genoss das klare saubere Gefühl des Wassers, das den Schmutz mit der Seife aus seinen Haaren, von seinem Kopf spülte.
Was hatte ihn aufmerksam gemacht? Ein Gefühl? Eine Bewegung im Augenwinkel? Egal, er spürte, dass er nicht mehr alleine war. Jemand war in der Nähe, beobachtete ihn. Ohne zu zögern wusch er sich weiter, jetzt jedoch die Aufmerksamkeit auf die Umgebung gerichtet, auch wenn das einem Beobachter kaum aufgefallen wäre. Dort, im Schatten eines Baumes mit tief hängenden Ästen, war er. Freund oder Feind? Djamyr hoffte Freund, doch warum sollte ein Freund sich anschleichen?
Bedächtig spülte er die Seife von seinem Körper, trat langsam aus dem Wasser, schüttelte seine Haare und versuchte unauffällig den Schatten im Auge zu behalten, wer wusste, was der Beobachter vor hatte…
Der fast volle Mond erhellte die Umgebung, zeichnete die Schatten schwarz. Was sah der heimliche Beobachter? Seinen feuchten Körper im Mondlicht, die Zeichnungen als schwarze Ornamente auf seinem Körper. Mit der linken Hand berührte er das Zeichen in seinem Nacken. Zwei geschwungene Linien nebeneinander und eine geschwungene darüber, rechts einen, links zwei Punkte. Das Zeichen der Sippe. Der Fluss, die Hügel und die Menschen: dschuomo dai disteja teranjo, Menschen aus dem weiten Land.
Langsam ging er zu den trockenen Sachen, die er mitgebracht hatte, hockte sich daneben, scheinbar unaufmerksam, während sein Geist die ganze Zeit auf den Schatten achtete, auf Bewegungen.
Das Schwert lag in seiner Hand, als sich die Schritte vorsichtig näherten.
„Djamyr?“
„Was tust du hier?“
„Ich bin dir gefolgt.“
„Das sehe ich. Warum?“
Noch immer hockte er neben seinen Kleidern. Jandris kniete sich vor ihn. „Weißt du das nicht?“
„Doch, aber du kennst die Antwort. Geh!“ Trotz dieser Aufforderung streckte Jandris die Hand aus und berührte Djamyrs Brust. Eine federleichte Berührung nur. Sanft folgte er einem Zeichen, dann dem nächsten. Dann beugte er sich vor und küsste leicht Djamyrs Lippen, strich mit der Zunge auffordernd über die Unterlippe.
Djamyr schubste ihn auf den Rücken und war sofort über ihm. Er sah in die blauen Augen, die in der Dunkelheit schwarz zu sein schienen.
„Warum kannst du nicht hören?“, fragte er leise.
„Weil ich es ohne dich nicht aushalte“, antwortete Jandris, währen seine Hände über Djamyrs Körper streichelten. Djamyr beugte sich über ihn und küsste ihn hart, wütend und voller Leidenschaft.
„Weißt du, wie gefährlich das hier ist? Wenn uns eine von Allbys Wachen hier überrascht? Oder Allby selber?“ Er versuchte, wütend zu bleiben, doch die streichelnden Hände und das Blut, das in seinen Unterleib strömte, machten es ihm nicht leicht.
„Ja, doch ich konnte nicht warten. Wer weiß, ob sich noch einmal eine solche Gelegenheit bietet.“ Jandris legte die Hand in seinen Nacken und zog hin herunter zu sich, küsste ihn sanft, sein Unterleib an Djamyr reibend.
Er musste sich lösen, Jandris fortschicken, es beenden… doch stattdessen gab er sich dem Kuss hin, zerrte Jandris‘ Hemd aus der Hose und streichelte die weiche Haut. Als er über die Brustwarzen strich, stöhnte Jandris leise in seinen Mund. Was für wunderbare Töne, die ihren Weg direkt in seinen Unterleib fanden. Er zog das Hemd über Jandris Kopf, küsste die harten Perlen, biss sanft hinein, bekam noch mehr leises Stöhnen. Mit Jandris Unterstützung befreite er ihn aus der Hose, zog ihn eng an sich heran und schickte ein letztes Gebet in den Himmel, dass keiner sie überraschen möge, bevor sein Lust jeden klaren Gedanken aus seinem Hirn fegte. Küssten sie sich? Biss sie sich? Liebten sie sich oder kämpften sie auf der Wiese? Es war egal, Lust, Angst, Wut und tagelanges Versagen dieser Begegnung trieb sie an, brachte einen schnellen Höhepunkt und ließ sie keuchend zurück.
„Du bist verrückt“, flüstert er in Jandris Ohr, der keuchend unter ihm lag.
Statt zu antworten, zog dieser ihn in einen Kuss. Sanft diesmal. Djamyr streichelte ihn zärtlich. „Wir müssen damit aufhören“, flüsterte er, als sich ihre Lippen trennten.
„Ja“, sagte Jandris und küsste ihn wieder.
Endlose Küsse, ohne Anfang oder Ende, mal sanft, mal verlangend, mal neckend, mal schüchtern. So lange, bis sich das Verlangen wieder gewann, ihre Küsse wieder fordernder wurden.
„Ich will dich spüren“, flüsterte Jandris in sein Ohr und allein die Bilder, die diese Worte in ihm auslösten, ließen ihn stöhnen. Er rollte sich herum, zog Jandris auf sich und öffnete die Beine.
„Komm“, flüsterte er heiser zurück und spürte den Schauer, der Jandris überlief.
Jandris Mund wanderte über seinen Körper, saugt an seine Brustwarzen, folgte seinen Bauchmuskeln, legte seinen Mund um seinen harten Schaft. Djamyr stöhnte, bog sich ihm entgegen. Jandris Mund wanderte weiter, saugte sachte die beiden harten Bälle ein, umspielte sie in seinem Mund, wanderte weiter, bis er den Muskelring fand und begann ihn zu dehnen und zu befeuchten.
Djamyr spürte die Finger, die eindrangen und ihn lustvoll vorbereiteten. Endlich spürte er Jandris, seine Härte, die langsam in ihn eindrang. Rau und ein wenig schmerzhaft, stärker war jedoch die Lust, das Verlangen Jandris ganz in sich zu spüren.
Eingedrungen verharrte Jandris, beugte sich vor. Ein Bein Djamyrs hatte er in der Kniekehle über seine Schulter gelegt, das andere war zur Seite gefallen. Zärtlich küsste er seinen Mund, gab ihm Zeit sich zu gewöhnen, dann bewegte Jandris sich sachte. Drang tief ein, strich über den Punkt, der Djamyr stöhnen ließ.
Jandris Hand umschloss seine Härte, streichelte sie, erst leicht, doch mit jedem Stoß etwas mehr, bis beide Bewegungen schnell und verlangend waren.
Alles zog sich über seinen Rücken hinab in seinen Unterleib, ballte sich dort, ließ ihn schnell und kurz atmen, das Gefühl steigerte sich, bis es nicht mehr zu ertragen war, dann durchflutete der Orgasmus jede Faser seines Körpers, warm verteilte sich sein Sperma zwischen ihnen und zeitgleich spürte er das Zucken von Jandris, die Wärme, die sich in ihm ausbreitete und er wünschte sich, dass es immer so sein könnte. Dass sie für immer Djijibi sein könnten… dass er ihn lieben durfte…
„Wir müssen zurück, ehe noch einer von uns vermisst und gesucht wird“, sagte Djamyr, löste sich von Jandris und setzte sich auf. In dem Mondlicht konnte er Djamyrs Gesicht nicht erkennen, da die Haare es in Schatten tauchten. War er wütend? Er wollte fragen, tat es jedoch nicht. Djamyr stand auf und ging zum Fluss, wusch sich. Langsam erhob er sich und folgte ihm. Bevor sie wieder zurückgingen, hielt er Djamyr fest.
„Ich kann auf dich nicht verzichten. Ich habe es versucht, doch all meine Gedanken drehen sich nur um dich“, sagte er leise. Fast befürchtete er, Djamyr würde ohne ein Wort an ihm vorbei gehen, da dieser so lange schwieg.
„Meinst du, mir fällt es leicht?“ Djamyr legte die Hand in seinen Nacken und zog seinen Kopf heran, sodass sie sich an der Stirn berührten. „Noch nie bedeutete mir jemand so viel, wie du. Wir leben jedoch in deiner Welt und die verbietet mir, dich zu lieben.“ Jandris wollte etwas sagen, doch Djamyrs Finger legte sich auf seinen Mund. „Ich kann damit leben, nicht frei zu sein, keine Rechte zu haben, Männer wie Allby respektieren zu müssen, aber ich kann es nicht ertragen, dich nicht lieben zu dürfen. – Und doch muss ich es, weil unsere Liebe deinen Tod bedeuten könnte.“ Sanft küsste er Jandris. „Mach es mir nicht immer wieder so schwer, amjaro.“ Dann ließ er ihn los und ging aus dem Wasser, trocknete sich ab und zog sich an. Nur widerwillig folgte Jandris ihm. Es musste doch eine Lösung geben?
Schweigend gingen sie zurück. Kurz vor dem Gasthaus blieb Djamyr stehen. „Geh du hinein, ich komme später.“ Und schon war er zur Seite verschwunden. Mit müden Beinen ging Jandris langsam die letzten Schritte zum Gasthaus. Kurz bevor er das Haupthaus betrat, trat eine Gestalt aus dem Schatten: Allby.
„So spät noch unterwegs?“, fragte er mit dieser furchtbaren Stimme.
„Ja, ich brauchte einen klaren Kopf“, antwortete Jandris und wollte sich an ihm vorbei schieben.
„Viggius sagt, euer Fremdling sei gut. Die anderen Wachen folgen seinen Befehlen widerspruchslos – und das, obwohl er so ganz anders ist, als wir.“
Anders als wir? Anders als du bestimmt, dachte Jandris, doch er sagte nichts.
„Habt ihr noch einmal über mein Angebot nachgedacht? Ich gebe euch, was ihr wollt, wenn ihr mir diesen Mann überlasst“, sagte Allby und Jandris konnte aus dem verlangenden Unterton heraushören, was der Mann eigentlich von Djamyr wollte. Sein Magen drehte sich um.
„Ich sagte Euch schon, dass er kein Sklave ist und nicht von mir verkauft werden kann“, sagte Jandris und sah dem Händler in die Augen. Der Gedanke, dass dieser Mann mit seinen Händen über Djamyrs Körper streichen könnte, löste Ekel in ihm aus.
„Na ja, es müsste ja keiner erfahren, dass ihr ihn mir überlassen habt. Ich will ihn nicht offen herumstolzieren lassen, ich brauche ihn eher für meine - “Privatsammlung“. Eine kleine Sammlung von besonderen Menschen aus allen Regionen. Wenn ihr mir den Mann überlasst, dann zeige ich sie euch. Vielleicht wollt ihr auch mit ihnen spielen.“ Allby lachte leise und schrill. „Ihr stimmt zu, bekommt das, was ihr wollt von mir und euer Fremdling wird auf der Reise verloren gehen.“
Mit einem Mal lehnte Jandris sich vor, packte den Mann am Kragen. „Wenn ihr es wagt, Djamyr auch nur schief anzusehen, werdet ihr es bereuen. Dieser Mann gehört zu Thordas Haushalt und ist kein Sklave, der verkauft werden kann.“ Den Kragen des Mannes wieder loslassend trat er einen Schritt zurück. „Sollte einer meiner Wachen nur das Geringste geschehen, dann ziehe ich Euch zur Verantwortung, Allby.“ Er drehte sich um und ging in das Gasthaus. Was bildete sich dieser Mensch bloß ein? Dass alles und jeder zu kaufen sei? – Doch war das nicht auch die Philosophie seines Vaters? Allby hatte recht, auch Thordas glaubte daran, dass mit Geld alles zu kaufen sein. – Und wie bestimmte Djamyr den Wert eines Menschen? An seinem Nutzen für die Sippe. Wenn dieses Volk eine Art großer Sippe war, dann würden eine Menge Menschen darin keinen Wert haben, da sie nichts für die Gemeinschaft taten, sondern immer nur nahmen.
In seinem Zimmer ließ Jandris sich auf sein Bett fallen. Er wusste, dass Djamyr recht hatte; er wusste, dass er ihr Leben gefährdete; doch er wusste auch, dass er nicht ohne Djamyr sein wollte.
Seufzend drehte er sich um, es würde ihn alle Kraft der Welt kosten, jeden Tag Djamyr zu sehen und ihn nie wieder haben zu dürfen. Wenn ihm nur irgendeine Lösung einfallen würde…
Wignana war anders als Skjaja. Nicht größer, sondern prächtiger. Eine weiße Mauer, unterbrochen von hohen Zinnen, umschloss die Stadt. Große, hölzerne Tore mit schweren Beschlägen standen offen, bereit bei drohender Gefahr geschlossen und mit einem schweren Eichenbalken gesichert zu werden. Die Hereinkommenden wurden von Wachen in weinroten Uniformen mit goldenem Besatz kontrolliert.
Die Straßen waren breit und mit Steinen ausgelegt. Schmutzwasser floss in den straßenbegleitenden Gossen. Hier durften sie auf den Pferden die Stadt betreten. Auf dem Weg, den sie nahmen, schienen sich die Häuser an Pracht gegenseitig zu überbieten. Alle waren sie weiß, groß und von Mauern umgeben. Sie sahen Sklaven auf den Straßen in der üblichen braun-beigen Kleidung. An ihren Ärmeln trugen sie Bänder in den Farben der Häuser ihrer Herren. Wenn es in dieser Stadt die gleiche Armut und den gleichen Dreck gab wie in Skjaja, verbarg er sich ihren Augen.
Das Haus von Sopherus, dem Vater von Eillianas zukünftigem Ehemann Andris, stach noch aus den prächtigen Häusern hervor, es war noch größer und glanzvoller als die anderen Häuser. Seine weiße Fassade blendete die ankommende Gesellschaft in der Mittagssonne. Noch ein Händler mit viel Geld, dachte Djamyr, als er durch das große, vergoldete Tor ritt. Was konnten einem all diese Dinge bedeuten? Warum war dieses Haus, war all diese Pracht für die Menschen hier so wichtig?
Eine wahre Heerschar von Sklaven erwarteten die Gäste. Andris selber, ein großer, schlanker Mann, der seine braunen Haare kurz trug, empfing seine zukünftige Frau und ihre Familie mit sichtbarer Freuden. Die Erleichterung über seine hübsche Braut war ihm anzusehen. Sein Vater, Sopherus, war ein gebeugter, grauhaariger und sehr verkniffen dreinblickender älterer Mann, der Eilliana mit einem abschätzenden Blick begrüßte. Es fehlte nur noch, dass er ihr den Mund öffnete und ihr Gebiss kontrollierte, dacht Djamyr, der die Begrüßung aus der Ferne beobachtete.
Die Stallungen waren groß und für die Gäste einige Boxen freigehalten worden. Bemühte Sklaven in blauen Gewändern mit silbernen Knöpfen tauchten auf, boten sich an, die Pferde zu übernehmen. Ein kleiner, strohblonder Junge kam zu ihm und fragte, ob er sich um Zajuma kümmern sollte.
„Nein. Sie würde es nicht zulassen“, antwortete er und streichelte dem Jungen über die Haare.
„Lasst es mich versuche. Ihr könnt ja dabei bleiben und zusehen“, sagte der Junge bittend. „Wenn ich es schlecht mache, dürft ihr mich strafen.“
„Ich strafe nicht. – Gut, komm mit, du kannst mir helfen.“ Am Zügel führte er Zajuma in den Stall. „Ich muss dich ihr erst vorstellen“, sagte Djamyr. „Gib mir deine Hand.“ Behutsam auf Zajuma einredend hob er die Hand vor ihre Nüstern. Sie schnupperte und schnaubte leise.
„Du darfst sie anfassen, aber vorsichtig, sie ist immer noch sehr eigen. Wenn du zu weit gehst, kann sie dich beißen. – Beim ersten Mal zwickt sie aber eigentlich nur.“ Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie behutsam der Junge über Zajumas Nüstern streichelte.
„Danke, dass ich dich berühren darf“, flüsterte er leise und Djamyr zog die Augenbrauen hoch.
„Woher weißt du, dass du dich bei ihr bedanken musst?“, fragte er den Jungen, als sie beide Zajuma von ihrem Schweiß befreiten und sie abrieben.
„Die Pferde spüren das, sie sind viel freundlicher zu mir, wenn ich mich bei ihnen bedanke und sie mit Respekt behandele“, antwortete der Junge und zuckte mit den Schultern.
„Das ist sehr weise. Jedes Tier will angesprochen werden“, sagte Djamyr. „Wenn du magst, kannst du ihr einen Apfel geben.“
Der Jungen nahm einen Apfel aus einem bereitstehenden Korb und hielt ihn Zajuma hin. Vorsichtig nahm sie ihn von seiner Hand, schnaubte leise.
„Sie bedankt sich auch“, sagte der Junge und lächelte ihn an.
„Wie heißt du?“, fragte Djamyr, während er den Sattel von Zajumas Rücken hob.
„Myrros, Herr“, antwortete der Junge.
„Ich bin kein Herr. Mein Name ist Djamyr. – Wie alt bist du, Myrros?“
„Ich glaube, zehn Sommer.“ Unsicher sah er ihn an. „Vielleicht sind es aber auch schon elf. – Ich weiß das nicht so genau.“ Entschuldigend hob er die Schultern. „Seit vier Sommern bin ich hier. Ekkro, der mit seinen Schiffen das Nordmeer durchquert, hat mich hier gelassen, weil ich an Bord krank geworden bin.“
„Und deine Eltern?“, fragte Djamyr, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben.
„Ich weiß nicht… Ich kann mich nicht erinnern. Ich kann mich nur an das Schiff erinnern und die See…“ Mit großen Augen sah er ihn an. „Und an Kronos“, fügte er flüsternd an.
„Wer ist Kronos?“, fragte Djamyr. Angst spiegelte sich in dem Gesicht des Jungen.
„Ich“, sagte eine dröhnende Stimme hinter ihm. „Los, Kröte, geh an die Arbeit.“ Er schlug dem Jungen mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, dann wandte er sich Djamyr zu. „Ein Stappmakka!“ Seine ganze Verachtung lag in diesem Wort und Djamyr spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. „Lass deine Nase aus meinem Stall. Lass deine Finger von unseren Frauen und geh mir am besten aus dem Weg“, knurrte er.
„Deine Pferde interessieren mich genauso wenig, wie deine Frauen. Und es dürfte mir nicht schwerfallen, dir aus dem Weg zu gehen, da ich dich schon von Weitem rieche.“
Bevor Kronos ihn berührte, lag die lange, dünne Dolchklinge an seinem Hals. „Wag es nicht. Rührst du mein Pferd an, bist du tot. Kommst du mir zu nah, könnte es genauso kommen.“ Der Druck der Klinge hinterließ einen roten Streifen auf dem Hals, ehe er sie wegnahm, sich umdrehte und wegging. Im Gehen hörte er die wilden Verwünschungen, die Kronos ausstieß.
Nachdem er sich um die Unterkunft der Wachen gekümmert hatte, machte er sich auf die Suche nach Livlia. Dieses Haus schien ihm kein geeigneter Ort, ein Mädchen in Livlias Alter allein zu lassen. Zu viele Männer strömten durch das Haus und irgendetwas lag in der Luft, das ihm nicht gefiel. Einem Diener, der ihn aufhielt, knurrte er an, dass er die Leibwache Livlias sei und fragte nach dem Weg zu ihrem Zimmer. Der Mann zeigte auf eine Treppe und ließ ihn mit einem misstrauischen Blick weitergehen.
Livlia öffnete ihm die Tür und strahlte ihn an. Sie trug ein neues weinrotes Kleid mit goldenen Bändern. „Sieh, mein Kleid für den Ball heute Abend.“ Sie drehte sich einmal um sich selber. „Ist es nicht schön?“
Djamyr lächelte sie an. „Wunderschön, fatjiana“, sagte er lachend.
Fragend sah sie ihn an.
„Fatjiana, weibliche Naturgeister, ein Kosewort für hübsche Mädchen“, erklärte er und sah sie an. „Passend für dich.“
Errötend lachte sie und drehte sich um. „Darfst du mich als Leibwache begleiten?“
„Wer sollte mich aufhalten? Mir gefällt dieses Haus nicht, ich werde dich hier nicht allein lassen“, antwortete Djamyr ernst.
„Sopherus könnte es dir verbieten.“ Livlia ging zu einem Spiegel und betrachtete sich. „Doch ich muss dir gestehen, dass es mir lieber wäre, wenn du in der Nähe wärst.“ Über die Schulter warf sie ihm einen Blick zu. „Es gibt so viele Gerüchte über die Feiern in Sopherus Haus.“
„Was für Gerüchte?“
„Es – würde hier – sehr zügellos zugehen…“, sagte Livlia, ohne Djamyr anzusehen. „Und es sind nur Gerüchte… - vielleicht stimmt es gar nicht.“
„Ich werde dich nicht alleine lassen und auf dich aufpassen“, erwiderte Djamyr.
„Danke“, sagte sie, lächelte ihn an und begann Bänder in ihr Haar zu flechten.
Der Saal war voll. In einem riesigen U waren die Tische aufgestellt. Djamyr stellte fest, dass er nicht die einzige Leibwache war, die hinter dem Stuhl ihrer Herrin oder ihres Herren stand. Vor ihm saß Livlia, Jandris gegenüber, zwischen zwei hübschen, jungen Frauen. Die eine mit goldblonden, die andere mit kastanienbraunen Haaren. Mit beiden unterhielt er sich abwechselnd und brachte sie zum Lachen. Die Blonde hatte ein helles, klingendes, die Kastanienbraune ein tiefes Lachen. Sie berührten seinen Arm, beugten sich vor, um ihre üppig gefüllten Ausschnitte ins rechte Licht zu setzen.
Seine Hände verkrampften sich hinter seinem Rücken, während sein Blick versuchte, nicht wie gebannt an Jandris zu hängen.
Sklaven in dunkelblauen Uniformen trugen das Essen auf goldenen Platten auf. Kleine gebratene Schweine, dekorativ hergerichtet auf silbernen Platten, Gänse und Enten, Igel in Ton gebacken. Dazu verschiedene Sorten Brot.
Roter Wein wurde ausgeschenkt und die Schankmädchen, liefen beständig mit ihren Krügen um die Tische und füllten die mit funkelnden Steinen besetzten Becher nach.
Als die Sklaven die Schalen und Platten abgestellt hatten, betraten zehn junge Frauen den freien Raum zwischen den Tischen. Eine Gruppe Musiker spielte leise und die Frauen tanzten. Leichte und lustige Tänze.
Seine Augen konnten nicht von Jandris lassen. Eine der Frauen schob ihre Hand unter den Tisch und sein Körper versteifte sich. – Erst als Jandris die Hand entschlossen zurückwies, entspannte er sich.
Ihre Blicke begegneten sich über den Raum hinweg und seine Sehnsucht nach Jandris schmerzte in jeder Faser seines Körpers.
Nach dem Essen kamen junge Männer mit kleinen Krügen und verteilten in kleinen Bechern ein grünes Getränk unter den Gästen.
Sopherus stand auf, begrüßte noch einmal seine zukünftige Schwiegertochter und hob den kleinen Becher um auf seinen Sohn und seine Braut anzustoßen.
„Ihr solltet aufpassen, dass eure junge Herrin nicht zu viel davon trinkt“, raunte ihm eine Stimme zu und er warf einen Blick auf einen hübschen Jungen, der mit einem der Krüge neben ihm stand. „Es ist ein starker Brand, der mit Kräutern versetzt ist, die“, dunkle Augen sahen ihn bedeutungsvoll an, „gewisse Lüste wecken. – Wenn Ihr versteht…“
Gewisse Lüste? Livlia hatte nur an dem Becher genippt, Djamyr konnte sehen, dass er noch fast voll war. Sein Blick suchte Jandris, der sich offensichtlich einen zweiten Becher einschenken ließ.
Djamyr beobachtete die Gäste, sah wie ihre Augen glasig wurden und wie sich Sitznachbarn auf einmal berührten. Ein Blick zum Tisch des Hausherren zeigte ihm, dass Andris und Eilliana fort waren, aber Sopherus seine Gäste mit neugierigen Augen betrachtete.
Das Schauspiel der immer lauter lachenden Gäste, die anfingen bei ihren Sitznachbarn Körperkontakt zu suchen, schien dem alten Mann zu gefallen. Djamyr beugte sich zu Livlia. „Du solltest das nicht trinken. Vielleicht ist es Zeit, dass du dich zurückziehst“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Die Kastanienbraune beugte sich zu Jandris, flüsterte etwas in sein Ohr und biss dann hinein.
Eifersüchtige Wut ballte sich in seinem Magen, auch, wenn er kein Recht dazu hatte.
„Ich denke, du hast recht. – Begleitest du mich in mein Zimmer?“, fragte Livlia ihn und lenkte so seine Aufmerksamkeit von dem Geschehen gegenüber ab.
Mit einem Nicken zog er den Stuhl zurück, damit sie aufstehen konnte, versuchte, den Blick nicht wieder zu heben, und folgte ihr aus dem Saal.
„All die Gerüchte… Ich habe sie von den Zofen gehört.“ In ihrem Zimmer sah sich Livlia unruhig um. „Es gibt Gerüchte über ein Gift, dass die Händler über das Meer nach Wignana bringen und das die Menschen… beeinflusst.“ Besorgt sah sie ihn an. „Es sind die Gäste seines Hauses, gekommen um die Heirat seines Sohnes zu feiern…“
„Ich denke, es ist besser, wenn du heute in deinem Zimmer bleibst“, sagte er zu Livlia. „Schließ die Tür und lass niemanden herein. Nur mich.“
Sie nickte. „Holst du Jandris? Bitte.“ Unruhig legte sie ihm die Hand auf den Arm. „Ich ertrage die Vorstellung nicht, dass er dort bleibt. Mit diesem – Getränk.“ Ein Schauer schüttelte sie.
„Ich kann es nur versuchen. Mit Gewalt kann ich ihn nicht aus dem Saal schleppen“, sagte er, nicht sicher, ob er es nicht trotzdem tun würde.
„Du kannst das“, sagte sie und lächelte ihm zu. „Du weißt das.“
Djamyr holte tief Luft, deutete eine Verbeugung an und ging.
Wie lange war er fort gewesen? Gelächter, Gekicher und sogar erregtes Keuchen war zu hören, als er den Saal betrat. Sopherus saß noch immer auf seinem erhöhten Platz und betrachtete lächelnd die Menschen, die dabei waren sich gehen zu lassen.
Eine der Frauen saß bei Jandris auf dem Schoß und Djamyr war klar, dass er ihn hier herausholen musste, wollte er je wieder ruhig schlafen können. Den Tisch weit umkreisend ging er auf die andere Seite. Schob sich an den Tisch heran und beugte sich zu Jandris Ohr, in das die Frau gerade kicherte. Hatte er schon einmal so dringend das Bedürfnis gehabt, einem Menschen wehzutun?
„Livlia geht es nicht gut, sie verlangt nach dir“, flüsterte er in das Ohr und hoffte, dass es nicht taub wurde von dem Gekicher der Frau.
Die blauen Augen sahen ihn an, doch er hatte das Gefühl, ein Schleier lag auf ihnen. Verwirrt blickte Jandris in sein Gesicht. „Livlia, deine Schwester. Es geht ihr nicht gut. Sie verlangt nach dir.“ Und wenn du nicht mit mir kommst, erwürge ich dich, fügte er in Gedanken zu, als er sah, wie die Hände der Kastanienbraunen Jandris Hemd öffneten und über seine Brust streichelten.
„Livlia?“
„Ja, bitte, beeil dich“, sagte er und dachte: ‚Oder ich erwürge dich gleich hier‘.
„Ja, ich – komme“, sagte er und löste damit einen Heiterkeitsanfall der Frau auf seinem Schoss aus. Sein Versuch, sie von seinem Schoß zu schieben, misslang. Djamyr sah sich gezwungen, einzugreifen und die Frau einfach von Jandris Schoß zu pflücken und auf ihren Stuhl zu setzen. Ehe sie etwas sagen konnte, zog Djamyr Jandris vom Stuhl. „Lass uns gehen, deine Schwester wartet.“ Energisch schob er ihn aus dem Raum.
„Janni, du kannst doch nicht gehen…“, rief die Frau und streckte die Arme nach Jandris aus, der seinen Kopf wendete.
Bevor Jandris etwas sagen konnte, zog Djamyr ihn weiter, hinaus in den Flur. Widerstandslos folgte er ihm. Zwei Wachen sahen ihnen hinterher.
Jandris war unsicher auf den Beinen, leise kichernd ging er vor Djamyr. Oben an der Treppe drehte er sich plötzlich um, schlang die Arme um Djamyr und küsste ihn.
„Hör auf!“, knurrte er ihn an und schob ihn weg.
„Du hast so unglaublich schöne Augen“, flüsterte Jandris und wollte ihn wieder küssen.
Djamyr seufzte, zog ihn weiter zu seinem Zimmer. Endlich hatte er ihn hineingeschoben, ohne dass sie jemandem begegnet waren. Kaum war die Tür zu, zog Jandris ihn in die Arme und küsste ihn.
Energisch schob er ihn fort. „Ich habe gesagt…“ Weiter kam er nicht, schon hatte Jandris ihn wieder an sich gezogen.
„Ich brauche dich, Djamyr“, flüsterte Jandris leise in sein Ohr. „Aelskjar, bitte, ich will dich spüren.“ Und sein Körper presste sich gegen Djamyr, die Erregung deutlich spürbar. Sein Körper reagierte sofort, sein Blut pulsierte und er küsste Jandris.
Würde er es je schaffen, seine Finger von Jandris zu lassen? Die Frage ging durch seinen Kopf, dann spülte sein Verlangen sie weg. Sie landeten auf dem Bett, zerrten, rissen an ihren Kleidern, küssten sich mit steigendem Verlangen.
„Öl… in dem Beutel… auf dem Tisch…“, keuchte Jandris und Djamyr tastete auf dem kleinen Tisch neben dem Bett, bis er einen Lederbeutel zu fassen bekam. Die kleine Ampulle ließ er auf seine Hand gleiten und zog den Korken mit seinen Zähnen. Ein paar Tropfen fielen auf seine Hand, er verteilte sie auf seiner Hand und widmete sich dem ungeduldigen Jandris. Keuchend, fordernd drängte der sich ihm entgegen.
„Bitte, Djamyr“, flüsterte er heiser und er kniete sich hinter Jandris, der ihm bereitwillig entgegenkam. Eisern hielt er Jandris an den Hüften fest, der begann sich stöhnend zu bewegen.
„Langsam, amjaro“, sagte er leise und begann sich langsam zu bewegen.
„Bitte, Aelskjar, ich brauche das“, flehte Jandris stöhnend.
Der Körper unter seinen Händen schien zu glühen und Djamyr fragte sich, wie die Kräuter in dem grünen Getränk wohl wirkten. Er bewegte sich schneller und Jandris warf sich ihm entgegen. Als er seine Hand um Jandris harten Schaft legte, schien der Körper unter ihm die Kontrolle über sich zu verlieren. Stöhnend und flehend bewege Jandris sich auf der Suche nach Erlösung, die Djamyr ihm gab. Er selbst konnte sich nicht gehen lassen, zu sehr beunruhigte ihn Jandris Verhalten.
Keuchend mit verschwitzten Haaren lag er unter ihm, doch der Körper wirkte nicht entspannt, gelöst. Immer noch war seine Haut heiß und ein kalter Schweißfilm lag darauf. Schon begann sein Körper sich wieder zu bewegen, Djamyr entgegen. Der Schaft in seiner Hand immer noch hart. „Mehr, Djamyr, viel mehr“, flüsterte Jandris Stimme mit einem drängenden, fiebrigen Unterton. Er konnte den Rausch spüren, der Jandris in seinem Griff hatte und ihn in diesem Zustand hielt. Kaum bewegte er sich sacht, kam Jandris seinen Bewegungen ungeduldig entgegen, voller brennendem, unstillbarem Verlangen.
Lange hatte er Jandris Körper nichts entgegenzusetzen und er kam, Jandris ergoss sich mit ihm zum zweiten Mal. Doch die Unruhe in dem Körper neben ihm blieb, das unnatürliche Verlangen. Ein Feuer, das ihn schmerzhaft verzehrte.
„Djamyr, Aelskjar“, flüsterte Jandris in sein Ohr und küsste ihn. Doch es war ein anderer Kuss, geboren aus dem Verlangen des Getränks, der Kräuter. Für einen Moment hatte er das Bedürfnis Jandris wegzuschieben und zu gehen, doch er konnte ihn jetzt nicht alleinlassen. Er blieb und gab ihm, was er brauchte, anschließend schlief Jandris völlig erschöpft neben ihm ein.
Wut auf den alten Mann, Sopherus, machte sich in ihm breit. Wie konnte er seinen Gästen dieses Gift verabreichen? Der Körper neben ihm war immer noch heiß und er strich eine verschwitzte Strähne aus dem Gesicht. Die Gäste waren zu Hochzeit seines Sohnes gekommen und er gab ihnen zu seinem eigenen Vergnügen dieses Gebräu? Er erinnerte sich an den belustigten und gierigen Ausdruck in Sopherus‘ Augen. Was wäre gewesen, wenn der Junge ihn nicht gewarnt hätte und auch Livlia davon getrunken hätte?
Würde Sopherus dieses Spiel jeden Abend mit seinen Gästen veranstalten? Und wie würde Jandris damit umgehen?
Jandris stöhnte leise im Schlaf, doch es war ein schmerzliches Stöhnen. Sanft zog er den Anderen in seine Arme und ließ sich in den Schlaf gleiten.
Kurz vor Sonnenaufgang, der Horizont war schon rosa verfärbt, wachte er auf. Zeit das Zimmer zu verlassen, ehe das Haus zu Leben erwachte. Vorsichtig, um Jandris nicht zu wecken, drehte er sich um und sah in die blauen Augen, die ihn still beobachteten. Wie sehr liebte er es, neben diesem Mann zu erwachen! Noch zu sehr im Schlaf verfangen, um darüber nachzudenken, zog er Jandris zu sich heran und küsste ihn. Diesmal war es ein Kuss, wie er sein sollte, nicht das erzwungene Verlangen des Giftes.
„Ich muss gehen“, flüsterte er leise, als sich ihre Lippen trennten.
„Es tut mir Leid, Djamyr“, sagte Jandris und sein Blick war traurig. „Ich weiß nicht, was gestern über mich gekommen ist. Es war fürchterlich, ich hatte keine Kontrolle mehr.“
Sanft strich er ihm durch das Gesicht. „Zum Glück war ich da, amjaro“, erwiderte Djamyr mit einem Lächeln. „Es war dieses grünliche Getränk. Einer der Schankjungen warnte mich wegen Livlia davor und ich ahnte, was passieren würde. – Auch wenn nicht in welchem Ausmaß.“
„Du meinst, es war Absicht?“
„Sopherus lässt es untermischen. Ich habe gesehen, wie er seine Gäste beobachtet hat. Es gefällt ihm, ihnen in diesem Zustand zuzusehen. – Jandris, du darfst das nicht mehr trinken. Nichts, von dem du nicht weißt, was es ist.“
„Eigentlich kann es dir doch egal sein. Du sagst, du liebst mich, aber willst dich von mir fernhalten. Warum soll ich mich dann nicht mit anderen vergnügen?“ Jandris wusste selber nicht genau, warum er das jetzt sagte. Er sah den Schmerz in Djamyrs Augen, bevor sie zu harten Bernsteinen gefroren.
„Darum wachst du heute Morgen auch neben mir auf. – Aber vielleicht hast du Recht und ich sollte dich deinem Vergnügen überlassen.“ Wütend wollte Djamyr sich aus dem Bett rollen, doch Jandris hielt ihn fest.
„Verzeih mir“, flüsterte er in den starrten Nacken und das schwarze Haar. „Ich bin froh, neben dir zu erwachen, und der Wunsch, es jeden Morgen zu tun ist so groß, wie der Schmerz, es nicht zu können. Es gibt niemanden, neben dem ich lieber erwachen wollte, neben dem ich einschlafen wollte und dessen Körper ich spüren wollte. – Das Wissen, es nie haben zu können und dein Entschluss, uns nicht einmal die kleinsten Momente zu gönnen, macht mich hilflos und wütend.“
Djamyr rollte sich über ihn, sah ihm in die Augen. „Amjiare tia pudjo mia eschenzja, amjaro“, flüsterte er rau und küsste ihn. „Und weil ich dich mehr als mein Leben liebe, muss ich von dir lassen. Ich will jeden Abend neben dir liegen, mein Leben mit dir teilen, doch in deiner Welt ist das unmöglich. Als ich gestern gesehen habe, wie sie dich berührt, deine Lust weckt, raste mein Blut und ich hätte sie töten können. Wie soll ich damit leben, dass du dir eine Frau nimmst? Dein Lager, dein Leben mit ihr teilst? – Das kann ich nicht. Darum muss ich es bis dahin geschafft haben, eine Mauer um mein Herz zuziehen.“ Noch einmal küsste Djamyr ihn und dann rollte er sich aus dem Bett. So gern würde er ihm sagen, dass sie ihr Leben teilen könnten, doch das war nicht denkbar. Und ihm war bewusst, dass er von Djamyr nicht verlangen konnte, als Geliebter neben ihm zu leben, wenn er eine Frau hatte. – Er selber hätte es auch nicht gekonnt. Doch zu erkennen, was richtig war, machte es nicht einfacher, es zu tun. Sein Blick folgte Djamyr, der sich anzog und seine Haare mit dem Lederband zusammennahm. Anschließend die Waffen anlegte.
„Versprich mir, dich von diesem Getränk fernzuhalten. Noch bin ich nicht in der Lage, zu ertragen, wenn du eine Frau nimmst“, sagte Djamyr, als er sich zu ihm beugte.
„Ich verspreche es dir“, flüsterte er und genoss noch einmal die Lippen.
„Wenn ich dich hier mit einer Frau finde, bringe ich dich um!“ Und Djamyrs Ton klang tödlich ernst, dann richtete er sich auf und verließ das Zimmer.
Jandris sah noch eine ganze Zeit auf die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hatte, fühlte dem Schmerz in seinem Inneren nach. Wieso konnte Liebe solche Wunden reißen? Würden sie je heilen? Oder würden sie bleiben? Seufzend stand er auf, es hatte keinen Zweck, über etwas zu jammern, was sich nicht ändern ließ. Er sollte versuchen, Djamyr aus seinem Herzen und seinem Kopf zu bekommen. Immerhin würde er in ein paar Monaten eine Frau nehmen…
Allein der Gedanke machte ihn wütend. Sein Vater hatte gewählt und er musste folgen. Wie sehr er das alles hasste! Wie sehr er dieses Leben hasste!
Die Welt nahm ihren Lauf und scherte sich nicht um ihn. Sein Schmerz war der Welt genauso egal, wie Thordas Freude über eine gelungenen Handel – und die bei dieser Gelegenheit angebahnte Hochzeit seiner jüngsten Tochter.
Auch Livlias Schmerz würde die Welt nicht zum Halten bringen – und ihr Schmerz würde tosend und laut sein, nicht wie seiner leise und tief verborgen.
Vor drei Monaten waren sie von Eillianas Hochzeit zurückgekehrt und Djamyr ging ihm konsequent aus dem Weg. Kein Wort, keine Geste, nicht einmal ein warmer Blick. Fiel es ihm so leicht, alles aus seinem Herzen zu verbannen? War er überhaupt in seinem Herzen gewesen?
Yuris verlor den Tritt in einer kleinen Senke und Jandris hob den Kopf, sah auf denn breiten Rücken seines Vaters. Sie waren bei Xerxus, einem reichen Weinhändler in den Bergen Fialkdai gewesen. Nachdem die Geschäfte abgeschlossenen waren, hatte Thordas dem reichen Mann offen seine jüngste Tochter, im Tausch für zukünftig gute Geschäfte, angeboten. Auch, wenn Xerxus ein gut aussehender Mann war, war er zehn Sommer älter als Livlia und kein geeigneter Ehemann für das freiheitsliebende Mädchen. Xerxus ar ein traditionsgebundener Mann der Berge, der von seiner Frau genauso bedingungslosen Gehorsam erwartete, wie von seinen Sklaven. Livlia wäre hier unglücklich und auch die wunderschöne Landschaft oder das vornehme Gut, würden nichts daran ändern.
Und es war ein wunderschönes Gut, voller Sklaven, die für alle Annehmlichkeiten gesorgt hatten. – Zum ersten Mal seit sie aus Wignana zurückgekehrt waren, er hatte sich diesen Annehmlichkeiten hingegeben. Zwei junge Frauen, die ihn gebadet und geölt und anschließend mit ihren Händen und Mündern verwöhnt hatten. Doch es war nur das Stillen eines körperlichen Bedürfnisses und obwohl angenehm es gewesen war, war es nicht mit dem Zusammenliegen mit Djamyr zu vergleichen. Ein Seufzer entkam ihm bei dem Gedanken an Djamyr.
„In drei Tagen werden wir Troos erreichen. Ich hoffe auf gute Geschäfte mit Allby“, sagte sein Vater und drehte sich zu ihm um. „Ich bin mir sicher, auch Allby wird erlesene Frauen zu deinem Vergnügen haben.“ Verschwörerisch zwinkerte er ihm zu.
Dieser Teil der Reise lag ihm schwer auf dem Magen und er war froh, dass Djamyr nicht mitgekommen war. Unbedingt musste er verhindern, dass sein Vater auf die Idee kam, Djamyr an Allby zu verkaufen. Schon allein der Gedanke daran drehte ihm den Magen um.
„Sicher, Vater“, sagte er trotz seines schlechten Gefühls mit einem Lächeln zu Thordas und wünschte sich weit fort.
Allbys Haus war äußerlich ein schlichter grauer Koloss, gebaut um dem unbeständigen Wetter und möglichen Feinden zu trotzen. Im Inneren hingegen war es mit allen Spielereien eingerichtet, die sich ein Mensch wünschen konnte.
Als einer der reichsten Händler Allragösts liebte es Allby, seinen Reichtum zu demonstrieren und seine Gäste zu beeindrucken. Gleich einem König empfing er seine Gäste in einer großen Halle. Das glänzende, dunkle Parkett war mit goldenen Einlegearbeiten verziert, großflächig waren die Wände mit golddurchwirkten Teppichen verziert und Allby selbst erwartete sie auf einem goldenen, hochlehnigen Thron sitzend. Jandris wusste, dass dieses Verhalten seinem Vater nicht behagte, der sich nicht gern als Bittsteller vor einem Überlegenen fühlen wollte. Dazu war er sich seiner eigenen hohen Stellung in Allragöst viel zu bewusst.
Dicke Ringe und Ketten schmückten den athletischen Leib des Händlers, der von seinem Thron herabstieg und ihnen die letzten Schritte entgegenkam.
„Thordas, mein Freund, seid willkommen in meinem bescheidenen Haus.“ Die Arme zu einer einladenden Geste geöffnet. „Fühlt Euch wie Zuhause und genießt die Annehmlichkeiten meines Haushaltes.“
Thordas antwortete mit derselben überschwänglichen Höflichkeit, während Jandris sich in dem Raum umsah. All die Pracht, all das Gold…
Kein Raum, in dem nicht der Reichtum des Händlers demonstriert wurde. Gold, Silber, teure Stoffe und unzählige in Rot und Silber gekleidete Diener.
Sowohl er, als auch Thordas bekamen eine Dienerin, die nur ihren Wünschen erfüllen sollte, von einem heißen Bad bis zu einer Massage.
„Oder ist euch ein Diener lieber?“, flüsterte ihm Allby zu, während sie seinem Vater in ein anderes Zimmer folgten. „Ich habe einen schönen, dunklen Knaben hier…“ Mit einem wissenden Lächeln sah er ihn an. Am liebsten hätte er ihm in das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen.
„Nein, alles bestens. Vielen Dank“, antwortete er möglichst neutral.
„Wenn nicht, meldet euch, wir erfüllen Euch jeden Wunsch“, sagte Allby mit einem schmutzigen Grinsen.
Anschließend ging es um Geschäfte. Allby war ein harter Geschäftspartner, der genau wusste, was er wollte und wie er es erreichte.
Erst gegen Abend trennten sie sich, ohne sich geeinigt zu haben, und zogen sich für das fürstliche Essen um, das Allby ihnen versprochen hatte.
Seit dem Erlebnis bei Eillianas Hochzeit trank Jandris nur Wasser bei den Händlern. Immer noch ging ihm der Kontrollverlust nah und er hatte keine Lust dies zu wiederholen, ohne dass Djamyr in seiner Nähe wäre. – Auch dann nicht, denn es war nicht seine schönste Erinnerung an das Zusammenliegen mit Djamyr war.
Thordas sprach mit Allby dem Wein zu. Jandris ließ sich zu Beginn des Essens wie immer ein Becher einschenken, trank diesen aber nicht, drehte ihn nur von Zeit zu Zeit in seiner Hand. Je länger das Essen dauerte, das sich über mehrere Gänge hinzog, desto entspannter wurden die beiden anderen Männer. Ihr Humor wurde, wie ihre Späße, immer derber.
„Sagt, Thordas, was wollt ihr für den Stappmakka in euren Besitz?“, fragte Allby plötzlich und Jandris hatte das Gefühl, sein Herz müsse stehenbleiben.
„Der ist nicht zu verkaufen, Allby. Das schrieb ich euch schon“, erwiderte sein Vater etwas ungehalten.
„Hört auf, Thordas! Ihr seid ein Händler wie ich, alles ist zu verkaufen!“, rief Allby aus.
„Ja, mein Freund, grundsätzlich habt Ihr recht, doch der Stappmakka ist ein Teil der Mitgift für Livlia und geht mit ihr zu Xerxus.“
„Was will der Weinhändler mit einem Mann aus der Steppe?“, fragte Allby voller Enttäuschung.
„Er ist ein hervorragender Leibwächter und ein großartiger Reiter. Wenn Xerxus klug ist, wird er ihn seine Wachen leiten lassen“, antwortete Thordas.
„Wenn er so hervorragend ist, warum gebt Ihr ihn dann weg?“
„Weil ich weiß, dass meine dickköpfige Tochter mit ihm leichter zu überzeugen ist, als ohne ihn. Sie hat einen Narren an dem Mann gefressen. – Und dabei begehrt sie ihn nicht einmal. Er ist ihr Vergnügen, das besondere Spielzeug. – Ihr habt keine Tochter, Allby, ihr könnt nicht wissen, wovon ich rede. – Livlia ist mein Liebling und wenn ich sie fortgeben muss, dann soll sie wenigstens glücklich gehen.“
„Gut, dann gebt mir Gelegenheit, seine Zeichen zu sehen. Ich zahle euch alles, was ihr wollt, doch eine Nacht will ich seine Haut unter meinen Händen“, sagte Allby und der gierige Blick ließ den letzten Gang in Jandris wieder aufsteigen.
„Einverstanden. Ihr seid im nächsten Jahr zu Soelstyn bei uns, dann heiratet Jandris und ihr bekommt eine Nacht mit dem Stappmakka. – Aber seid Euch gewiss, das wird Euch etwas kosten“, sagte Thordas lachend und streckte Allby seine Hand entgegen. Es kostete Jandris seine ganze Selbstbeherrschung, beide Männer nicht anzuschreien. – Egal, was geschah, Djamyr musste das Haus vor Soelstyn verlassen. Niemals würde der stolze Mann ertragen, von diesem Mann angefasst zu werden. – Eine Weigerung würde ihn aber sein Leben kosten. – Oder sie würden ihn mit Gewalt zwingen. In Jandris Kopf entstanden Bilder von einem in Ketten liegenden Djamyr, der von Allby schamlos angefasst und benutzt wurde. Er selber könnte es nicht ertragen und er würde den Mann umbringen, bevor seine Hand auch nur ein Zeichen berührt hätte.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine Wut heruntergewürgt hatte und dem Gespräch der beiden Händler wieder folgen konnte, das sich inzwischen anderen Dingen zugewandt hatte.
Nach dem Essen führte Allby sie in den Keller des Hauses. Mit großen Worten kündigte er ihnen seine Privatsammlung an. Jandris erinnerte sich, dass er auch Djamyr hierher bringen wollte.
Die Privatsammlung bestand aus Menschen der unterschiedlichsten Regionen der Welt. Allby erzählte ihnen, dass er die Sklavenhändler beauftragte, ihm die seltensten und exotischsten Wesen mitzubringen. Nicht nur, wenn sie aus anderen Ländern kamen, auch wenn sie andere Besonderheiten besaßen: Kleinwüchsige, verwachsene oder entstellte Wesen.
Die in Zellen gefangengehaltenen Menschen schockierten Jandris zutiefst, während Thordas neben Allby ging und sich die Geschichten der Menschen interessiert anhörte.
„Ich habe einen Stappmakka, aber einen in Gefangenschaft geborenen. Seiner Haut fehlen die Zeichnungen. So selten sind sie auf den Märkten nicht, geboren in Gefangenschaft. Offensichtlich ein Volk, das sich schnell vermehrt. – Aber die gezeichneten Männer, bekommt man nie. – Außerdem hat Euer die ungewöhnlichsten Augen, denen ich je begegnet bin. Allein dafür gehört er schon in meine Sammlung.“ Mit fiebrigem Blick sah er Thordas an.
„Es tut mir Leid, aber er geht mit zu Xerxus. Vielleicht versucht Ihr ihm, den Stappmakka abzukaufen. Vielleicht wollt Ihr ihn auch gar nicht mehr haben, wenn ihr erst seine Zeichen berührt habt.“ Thordas zuckte mit den Schultern und blieb vor einer Zelle stehen. „Was ist das für ein Wesen?“
Von dem Mensch waren nicht viel mehr als lange, fast weiße Haare zu sehen, die den gesamten Körper einhüllten.
„Oh, eine Frau aus Leyros. Wie Ihr sicher wisst, sind die Menschen in Leyros eigentlich dunkelhaarig und –äugig. Bei diesem Wesen sind die Haare fast weiß und die Augen so hell wie Quellwasser. Ihre Haut ist durchscheinend und so zart wie Schmetterlingsflügel. Laute Worte und Geräusche tun in ihre Ohren weh, genauso wie zu viel Helligkeit ihren Augen. Ihre Stimme ist wie das Flüstern eines Gebirgsquells. – Wollt ihr sie kosten? Sie schmeckt wie ein frischer Pfirsich.“ Allby sah Thordas an. „Wenn Ihr sie wollt, wird Vraun sie Euch in euer Bett bringen.“
„Sie sieht ein wenig zart aus, ich will sie nicht zerbrechen“, sagte Thordas und lachte laut. „Habt Ihr nicht etwas Robusteres in Eurer Sammlung?“
„Hm, doch, kommt“, sagte Allby und winkte sie weiter. Vor einer anderen Zelle hielt er wieder an. „Dies ist eine Smyrtha, eine Frau aus der Wüste.“
Rotbraune Haare umrahmten ein schmales Gesicht. Traurige grüne Augen sahen sie an, der Körper war kräftig und schön, die Färbung ihrer Haut wie Honig.
„Ja, sie ist eine Schönheit. – Ist sie willig oder muss sie gezähmt werden?“, fragte Thordas.
„So willig, wie Ihr sie wünscht“, erwiderte Allby und beide Männer grinsten sich an. Jandris wünschte sich nur raus aus diesem Keller, der mindestens genauso grausam war, wie jeder öffentliche Kerker. Nur würden die Insassen hier nie ihre Strafe absitzen oder durch die Vollstreckung eines Urteils erlöst.
„Und Ihr, Jandris, welches Wesen könnte Euch Vergnügen bereiten?“, fragte Allby und sah ihn hämisch grinsend an.
„Keins Eurer Wesen, Allby. Ich bevorzuge es, wenn sie sich mir freiwillig hingeben“, antwortete er. In diesem Haus würde er niemanden in sein Bett lassen.
„Sie kommen alle freiwillig. Ihr Widerstand ist schon lange gebrochen und es gibt Mittel, um sie gefügig, ja geradezu ungeduldig zu machen. Ein wenig davon und sie gegen sich euch verlangend hin.“
„Ja, aber er ist in ihrem Inneren noch vorhanden, als Abneigung und Ekel.“ Jandris schüttelte den Kopf. „Lieber schlafe ich allein.“
„Dann bist du ein Narr“, sagte sein Vater. „Was weißt du, von den Gefühlen dieser Wesen? – Und was interessieren sie dich? Du glaubst doch nicht, dass ihre Gefühle irgendeine Rolle in diesem Leben spielen? Sie sind so egal wie der Wind auf der Steppe.“
„Ich kann so nicht denken.“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Verzeiht mir, wenn ich mich jetzt zurückziehe.“ Und mit einer Verbeugung zu den beiden Männern verließ er den Keller. Was für ein grauenvoller Gedanke, dass Allby auch nur eine Hand an Djamyr legen könnte.
Sieben Tage blieben sie in Allbys Haus und sein Vater schien den Aufenthalt zu genießen, während Jandris sich mit jedem Tag mehr nach der Abreise sehnte.
Von Troos dauerte die Reise noch einmal fünf Tage, dann waren sie endlich wieder in Skjaja.
Das Zajuma weder auf der Weide noch im Stall stand fiel ihm sofort auf. Oschcura war damit beschäftigt Zaumzeug in der Sattelkammer zu fetten, als er hereintrat. Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht, als sie seine Miene sah.
„Er ist in Skjaja“, beantwortete sie seine Frage, bevor er sie gestellt hatte. Mit einem Nicken verließ er den Stall. Sicher könnte er ihm hinterher reiten. Auch die Schenke würde er wiederfinden, doch zum Einen hatte Djamyr Recht, dass er dort nicht willkommen wäre und zum Anderen, hatte er kein Recht eifersüchtig zu sein. Vier Monde waren vergangen und Djamyr würde das Verlangen genauso quälen wie ihn. – Oder war es mehr, das ihn zu dem kräftigen Svarius zog? Er erinnerte sich an den großen Mann, mit seinen rauen Händen.
Eifersucht toste durch seinen Körper und er hätte schreien können. Diese Hände würden Djamyrs Körper jetzt streicheln, ihn stöhnen lassen und ihm dann endlich die Erlösung geben, die er brauchte. – Würde er mit seiner rauen Stimme darum bitten?
Die Wut, die ihn zu ersticken drohte, musste heraus. Jandris rannte in sein Zimmer und holte seine Waffen, Zeit für ein paar harte Übungsgänge.
Da Thordas und Jandris nicht im Haus waren, konnte Millia ihm das Siegel überlassen. Eine Nachricht hatte ihn erreicht, der kleine Knecht, der immer mit dem Fuhrmann kam, um Klafter Holz zu liefern, hatte ihn aufgesucht und ihm gesagt, dass ein Freund ihn sehen wollte. Was immer das auch bedeutete. – War es vielleicht eine Falle? Doch welche Alternative hatte er? Wenn er nicht ging und etwas geschah, würde er sich das nicht verzeihen können.
Millia gab ihm das Siegel, ohne nachzufragen, warum. Sie war die stillste und unauffälligste der Schwestern.
Skjaja lag ruhig in der Mittagssonne. Der ungewöhnlich heiße Herbst ließ die Stadt über Mittag in einen Ruhezustand fallen. – Obwohl es hier nicht so warm war, wie in der Steppe. Dort brachte der Wind oft sehr warme Luft mit. Anders als hier roch es dort nach Freiheit und nicht nach stinkenden Abfällen und anderem Unrat.
Die Schenke war bis auf einen Tisch, an dem drei Männer würfelten, leer. Djamyr bestellte sich einen Druval und ging an einen Tisch an der Rückwand der Schenke.
„Schön dich wiederzusehen“, sagte eine Stimme, die nicht Svarius gehörte. Der Mann, der sich mit einem Becher neben ihn setzte war Myklas, der Frauenhändler.
„Hast du mir die Nachricht geschickt?“, fragte er etwas enttäuscht.
„Ja und nein. Eigentlich will Svarius dich sehen, doch er kommt später. – Er bat mich, dir die Zeit zu vertreiben, bis er kommt.“ Myklas lächelte ihn an. „Du sagtest, du seist gut im Strafen…“ Die grüngrauen Augen funkelten ihn an.
„Wolltest du das feststellen, am eigenen Leib?“
Myklas‘ Augen zogen sich zusammen und die Hand schloss sich fester um den Becher. „Ist das ein Angebot?“, fragte Myklas leise.
„Nein, ich bereite nicht gerne Schmerzen“, antwortete Djamyr.
„Ich rede nicht von Schmerzen, ich rede von Lust.“ Die Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. „Davon sich jemandem auszuliefern, dem man vertraut. Von einer Strafe, die einen in den höchsten Himmel bringt. – Svarius weiß, wovon ich rede, er ist großartig darin.“
„Worin bin ich großartig?“, fragte die tiefe Stimme und setzte sich auf Djamyrs andere Seite.
„Du weißt, wie man richtig bestraft“, sagte Myklas lächelnd.
„Wie man dich richtig bestraft vielleicht. – Aber Djamyr ist nicht hier, um über Strafen zu reden.“ Die große Hand legte sich begehrlich auf seinen Oberschenkel. Sein Blick bohrte sich in Djamyrs. „Lass uns gehen, mein Hübscher“, flüsterte er leise und stand auf.
„Du bekommst deinen Spaß und ich?“, fragte Myklas und sah von einem zum anderen.
„Du bekommst später, was du brauchst“, versprach Svarius.
Wieder stiegen sie die Treppe hoch und gingen in das kleine Zimmer. Svarius drehte sich zu ihm um. „Oder wolltest du, dass er uns begleitet?“
Djamyr schüttelte den Kopf und ließ sich in Svarius‘ Arme ziehen. „Gut, denn so gern ich Myklas habe, so ungern würde ich dich teilen, mein Hübscher“, sagte er und küsste ihn hart. „Auch wenn dein Herz dem jungen Sohn des Händlers gehört.“
„Hör auf, zu reden“, knurrte Djamyr und schob ihn zum Bett. Der letzte Mensch, an den er jetzt denken wollte, war Jandris.
Svarius lachte heiser und schubste ihn auf das Bett. „Nein, reden werden wir später.“ Er kniete sich zwischen Djamyrs Beine und streichelte über die Oberschenkel, bis seine Hände in der Mitte zusammentrafen. Seine braunen Augen betrachteten Djamyr während seine Hände die Hose öffnete. „Na, mein Raubtier, du bist wieder ausgehungert.“ Seine Zunge leckte über die Unterseite des Schaftes, der ihm bereitwillig entgegenkam. Djamyr konnte ein Stöhnen nicht zurückhalten. „Gerne würde ich einmal all die Töne hören, die du von dir gibst, wenn du dich nicht beherrschen musst“, flüsterte Svarius und schloss seinen Mund um ihn. Seine Hände krallten sich in die dünnen Bettlaken, sein Unterleib bog sich dem Mund entgegen, keuchend gab er sich der feuchten Wärme hin. Wie beim ersten Mal quälte Svarius ihn nicht lange, gab ihm, was er brauchte und rutschte dann neben ihm auf das Bett.
„Wenn es Sinn hätte, würde ich dich bitten, das Haus des Thordas zu verlassen und mit mir zu kommen“, flüsterte Svarius in sein Ohr. „Doch da ich weiß, dass dein Herz Jandris gehört, werde ich dich nicht fragen.“ Seine Hände zogen Djamyr vollständig aus. Sanft fuhren seine Finger über die Zeichnungen. „Du gehörst nicht in dieses Haus, zu diesen Menschen. Es wird dich zerbrechen.“ Sein Mund wanderte über die Zeichnungen und Djamyr gab sich den Zärtlichkeiten hin. Er wollte nicht denken, sich nicht mit irgendetwas auseinandersetzen, das mit Thordas und seiner Familie zu tun hatte.
„Ich kann nicht fort. Wenn ich könnte, würde ich gehen“, sagte er und rollte sich über Svarius. Er zog den anderen aus, küsste seine Haut, saugte an seinen Brustwarzen und arbeitete sich tiefer. Als er seinen Mund über Svarius‘ Schaft schob, hörte er unterdrücktes Stöhnen. Langsam leckte er über die erwachte Erektion, folgte den ausgeprägten Adern, fuhr mit der Zungenspitze durch die kleine Spalte, wanderte tiefer, saugte an den Hoden und ließ seine Finger tiefer wandern. Bereitwillig öffnete Svarius sich ihm. Ließ zu, dass er den Eingang sanft dehnte.
„Warte“, keuchte er und drehte sich ein Stück, dann schob er Djamyr eine kleine Ampulle in die Hand. „Damit geht es leichter“, sagte er mit einem Lächeln.
Djamyr rutschte zwischen seine Beine und während sein Mund sich um die Härte legte, begannen seine Finger, den Mann vorzubereiten. Wenig später drehte er den willigen Svarius auf den Bauch und schob sich näher an ihn heran. Verhalten in ein Kissen stöhnend kniete Svarius sich hin, kam ihm entgegen. Kaum hatte er die erste Enge überwunden, kam ihm der Körper ungeduldig entgegen. „Gib mir mehr“, forderte Svarius keuchend und er bewegte sich mit kurzen, harten Stöße in dem Mann, der seine Hände in das Kissen krallte, in dem sich sein Gesicht verbarg. Ohne, dass er ihn weiter berührt hätte, spürte er, wie Svarius kam, sich unter ihm ergoss. Er wartete, ließ ihm Zeit, streichelte den schweißfeuchten Rücken.
„Hör nicht auf. Ich brauche viel mehr“, stöhnte die Stimme rau aus dem Kissen und er kam dem Wunsch nach. Mühsam beherrschte er sich, bis er spürte, dass Svarius wieder soweit war, dann gab er sich seiner eigenen Lust hin, jedes Geräusch, das aus seiner Kehle steigen wollte, leise knurrend unterdrückend. Schweißnass und müde lagen sie hinterher in dem kleinen Bett.
„Du bist wahrlich ein Raubtier, Djamyr“, keuchte Svarius in seine Haare.
„Aber ich jage nur die Beute, die erlegt werden will“, antwortete er und zog den anderen in einen sanften Kuss. „Erzähl mir etwas über die Aufstände.“
„Hm, bist du ein Spitzel?“, fragte Svarius lachend. „Es gibt nicht viel zu sagen. Es ist noch nicht so weit. – Aber du wirst es rechtzeitig erfahren.“
„Dann hast du mich zu deinem Vergnügen gerufen?“, fragte Djamyr.
„Ich hoffe, auch zu deinem Vergnügen“, sagte Svarius und strich eine Strähne aus Djamyrs Gesicht. „Ich wusste, das Thordas und sein Sohn in Troos bei Allby sind.“
„Sie sind bei Allby? – Ich hasse diesen Mann!“, entfuhr es ihm.
„Nicht nur du. Es gibt Gerüchte über einen Keller in seinem Haus, in dem er Menschen gefangen hält. Menschen aus fernen Ländern, besondere und entstellte Menschen. – Jemanden wie dich würde er nur zu gerne dort einsperren.“ Zärtlich fuhren die Finger über die schwarzen Zeichnungen. „Pass gut auf dich auf, mein Hübscher. Ich würde dich gerne wiedersehen.“
„Millia wird zu – wie nennt ihr es – Skappgrud tiddsföriv heiraten. Ich werde sie begleiten.“ Djamyr richtete sich auf und sah Svarius an. „Ich weiß nicht, wer von der Familie uns nach Nyra begleitet.“
„Zu Skappgrud tiddsföriv nach Nyra? Keine schöne Reise. Aber auch eine ungefährliche. Im Winter wird das Reisen allgemein ungefährlicher.“ Svarius rollte sich wieder über Djamyr. „Und jetzt lass uns nicht wertvolle Zeit verschwenden.“
Erst kurz vor der Dunkelheit führte Djamyr Zajuma in den Stall. Eine angenehme Trägheit hatte sich in ihm breitgemacht und ließ auch seine Gedanken nur zäh fließen. Erst als er Zajuma in ihre Box führte, sah er Yuris ungewöhnlichen Kopf über die Tür blicken. Träge, wie er selbst sich fühlte, kaute der Wallach an etwas Heu. In Erwartung dessen, was folgen würde, ging er hinüber und streichelte die weichen Nüstern des Tieres. Wider Erwarten blieb es still, kein Vorwurf, keine Frage, kein Jandris… Und – auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte – traf es ihn, dass Jandris nicht zu ihm kam, um ihm Vorhaltungen zu machen oder ihn anders seine Eifersucht spüren zu lassen. Vielleicht war es ihm nach vier Monden aber auch egal, was er tat. Mit Schritten, die sich jetzt noch schwerer anfühlten, ging er zum Haus der Wachen.
„Du liebst ihn“, stellte Livlia fest, als sie zu ihm auf den Dachvorsprung kletterte und sich neben ihn auf den schmalen Rand setzte.
„Und wenn, welchen Wert hätte das?“, fragte Jandris zurück und nahm einen Schluck aus der Weinflasche. Schweigend betrachteten sie beide Djamyrs von hier oben so winzig aussehende Gestalt, die über den Hof ging.
„Ich weiß nicht, welchen Wert hat Liebe?“, fragte sie und nahm ihm die Flasche aus der Hand, trank einen Schluck.
Seit sie Kinder waren, kamen sie hierher. Nur sie beide, Eilliana und Millia hatten viel zu viel Angst vor der Höhe. Hier konnten sie nachdenken oder reden, sicher, dass keiner sie belauschte. Hier oben suchte sie nicht einmal einer.
„Das ist nicht die Frage. – Oder doch, in Allragöst hat sie keinen Wert, hier zählen ganz andere Dinge. – Livlia, du musst Djamyr vor dem nächsten Soelstyn weit fortschicken.“ Er wandte sich ihr zu. „Vater hat Allby zugesagt, er dürfte Djamyrs Zeichen an Soelstyn berühren. Eine Nacht lang darf er sie – und damit ihn – anfassen. Kannst du dir vorstellen, dass er sich von Allby freiwillig anfassen lässt? Vater wird sein Versprechen halten und ihn Allby in Ketten ausliefern. – Das darf nie passieren!“ Immer wieder, wenn er daran dachte, überkam ihm echte Panik.
„Wie soll ich das machen? Wenn ich ihn fortschicke, wird Vater ahnen warum. Wo sollte ich ihn auch hinschicken? – Nein, er muss gehen, endgültig gehen.“ Unglücklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. „Ich wollte einen Svjardvalsten und habe nie darüber nachgedacht, dass auch Svjardvalsten Menschen mit Gefühlen sind. – Wie kann ich ihn davon überzeugen, zu gehen?“
„Ich weiß nicht wie, ich weiß nur, er muss bis Soelstyn fort!“ Und wenn er ihn irgendwo einsperren musste. – Oder mit Svarius reden musste. Wenn Djamyr nicht gehen wollte, würde er mit Svarius reden, dann musste der ihn holen!
„Ist dir etwas eingefallen?“, fragte Livlia und sah ihn hoffnungsvoll an.
„Ja, vielleicht. Zumindest hoffe ich das“, antwortete Jandris und starrte auf das Fenster, von dem er wusste, dass Djamyr dahinter sein würde.
Eine Reise im Winter war kein Vergnügen, Schnee bedeckte seit vier Wochen das Land. Diesmal begleitete ihn nur Livlia, Thordas war erkrankt und Jandris musste sich um die Geschäfte kümmern. Statt der üblichen Kutschen reisten sie mit zwei Schlitten. Millia und Livlia saßen in warmen Fellen eingehüllt in einem geschlossenen Schlitten, auf dem anderen türmte sich das Gepäck.
Zweimal schon waren sie auf Wegelagerer gestoßen, hungrige, abgezehrte Gestalten, die keine wirkliche Bedrohung für die Reisenden darstellten. Am fünften Tag der Reise hatte es leise angefangen zu schneien. Was die beiden Mädchen in der Kutsche erfreute. Laut lachend hatten sie den Schlitten angehalten und waren ausgestiegen, um Schneeflocken zu fangen. Am siebten Tag mussten sie sich Unterschlupf suchen, da ein Schneesturm sie erwischte. Endlich nach neun Tagen erreichten sie Nyra und das Haus des Illios‘.
Millia war eine stille Schönheit. Mit ihren langen geflochtenen, honigblonden Haaren, den gleichen geraden Linien im Gesicht, wie ihr Bruder und der schönen weiblichen Figur, war sie der Traum vieler Männer, dazu ihr stilles und liebenswertes Wesen, verdiente sie einen guten Ehemann.
Illios war mehr als doppelt so alt wie seine Braut. Seine Gestalt war klein und gedrungen, sein Rücken wölbte sich in einem Buckel. Er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf oder Zähne in seinem Mund. Beim Sprechen sprühten Spucke aus seinem Mund.
Djamyr konnte den Schock sowohl in Millias als auch in Livlias Augen sehen. Was für ein Vater gab seine Tochter an so einen Mann?
Vier Tage später verließen sie eine unglücklich weinende Millia. Auf dem Rückweg saß Livlia stumm und nachdenklich in dem Schlitten.
Djamyr konnte sich vorstellen, wie sie darüber nachdachte, was für einen Mann ihr Vater ihr wohl zugedacht hatte. Xerxus war sein Name, doch wie er aussah oder was sie erwartete, darüber wusste sie nichts.
„Willst du reden?“, fragte er sie nach drei Tagen.
„Was soll ich darüber reden? Das Schicksal meiner Schwester ist meins“, antwortete sie leise.
„Weißt du, wie alt dein zukünftiger Mann ist, wie er aussieht?“ Djamyr stieg von Zajuma und kletterte neben sie in die Kutsche.
„Nein, ich habe mich noch nicht getraut, zu fragen. – Was mache ich, wenn Jandris sagt, er sei noch schlimmer als Illios?“ Panisch sah sie ihn an. „Dann bringe ich mich um. Ich heirate kein solches Monster!“
„Vielleicht ist er ja auch jung und gut aussehend wie Andris. – Sprich erst einmal mit Jandris, der hat diesen Xerxus doch kennengelernt.“
„Wenn ich mich traue…“, sagte sie und sah ihn verzweifelt an. Für einen Moment überlegte sie, ob sie ihm erzählen sollte, dass er zu ihrer Mitgift zählte – oder von der Bedrohung durch Allby, da rief ihn Druska. Schnell kletterte er zurück auf Zajuma, die neben dem Schlitten hergelaufen war, und ritt nach vorne zu Druska.
Das Schlimmste war jedoch, dass sie sich nicht vorstellen konnte überhaupt einen Mann zu heiraten, da sie Oschcura liebte. Niemals würde sie gehen können und die Geliebte zurücklassen! In die Kissen der Kutsche zurückgelehnt dachte sie darüber nach, wie einfach ihr Leben doch in Djamyrs Sippe wäre…
Es war sein erster Winter mit so viel Schnee und er hasste den Schnee jetzt schon. Seit zwei Wochen fielen jeden Tag große Mengen Schnee, sie konnte das Haus kaum verlassen, hüfthoch lag der Schnee und er kam kaum bis zum Stall.
Die Stimmung im Haus der Wachen war entsprechend angespannt und immer wieder gerieten die Männer aneinander.
Überall war es kalt und ständig fror er. Dazu kam die Langeweile. Kein Ausreiten, keine Übungen, nichts nur warten, dass der Schnee irgendwann wieder verschwand.
Der Weg ins Badehaus war kalt und nass, doch dort gab es wenigstens für eine kurze Zeit Wärme.
Da der Weg kürzer war, ging er durch den hintern, den der Herrschaft vorbehaltenen Teil. Wenn ihn keiner sah, würde es auch keinen stören können.
Hier schien jemand den gleichen Gedanken wie er zu haben, er hörte Stimmen. Leise schlich er sich durch den Gang.
Ein Lachen traf ihn bis ins Mark. Jandris. Wie von selber ging er auf die Tür zu, hinter der er das Lachen gehört hatte. Lauschend blieb er davor stehen. Stimmen die redeten, es klang zum Glück nicht, wie… - Er wollte nicht einmal darüber nachdenken.
Sein Kopf sagte ihn, er solle weitergehen, seine Hände taten, was sie wollten und öffneten die Tür leise. Jandris lag auf einer Bank und ließ sich von einem älteren, grauhaarigen Mann den Rücken massieren. Er konnte seinen Blick nicht abwenden, wollte mehr von dem Mann sehen, der ewig sein Herz besitzen würde. Bevor der Schmerz zu groß werden und ihn erdrücken konnte, schloss er leise die Tür und ging weiter. Jede Faser seines Körpers sehnte sich nach Jandris. Egal, wie lange er nicht mit ihm sprach, ihm aus dem Weg ging oder ihn aus seinem Denken drängte, war er immer da. Nachts in seinen Träumen oder tagsüber in jedem unkontrollierten Gedanken.
Das Badehaus war leer. Djamyr feuerte den Kessel an und wartete darauf, dass das Wasser heiß wurde, ehe er es in den Zuber laufen ließ. Endlich konnte er sich in das heiße Wasser gleiten lassen. Zum ersten Mal seit Tagen hatte er das Gefühl, dass seine Knochen warm wurden. Im Haus der Wachen gab es nur in dem gemeinschaftlichen Essraum einen Ofen. Die Zimmer waren kalt. Keine Decke warm genug bei diesem Wetter, inzwischen schlief er in allem, was er besaß, um nicht auszukühlen. Was fehlte, war ein warmer Körper neben ihm, der ihn wärmte und die innere, wie äußere Kälte vertrieb.
In dem warmen Wasser döste er ein, der Schlaf in seinem kalten Zimmer, in dem er seinen eigenen Atem sehen konnte, war nicht sehr erholsam. Hier in der wunderbaren Wärme des Wassers entspannte sich auch sein Kopf zum ersten Mal seit Langem.
„Irgendwann wird das Wasser kalt. Du darfst den Kessel nicht ausgehen lassen, dann kannst du warmes Wasser nachfüllen.“
Dies waren keine Worte, die zu seinem Traum passten, also musste jemand in dem Raum sein. Langsam und nur widerwillig öffnete er die Augen. Niemand zu sehen. Hatte er doch nur geträumt?
Dann tauchten die sandfarbenen Haare und die blauen Augen über dem Rand des Zubers auf. Er hatte nicht geträumt!
„Ich habe den Kessel noch einmal angefeuert“, sagte Jandris und lächelte ihn an.
Vielleicht war es doch ein Traum, eine Halluzination seines verlangenden Geistes…
„Hast du die Sprache in den letzten Monden verloren?“
„Ich frage mich, was du hier machst“, sagte er matt und wünschte sich, Jandris würde nicht mit ihm reden, sondern seine Kleider abstreifen und zu ihm in den Zuber steigen.
„Ich suchte die Wärme“, antwortete Jandris und folgte seinem unausgesprochenen Wunsch, streifte sein Hemd ab. Die Hose folgte und Jandris kletterte über den Rand in das warme Wasser.
„Wenn jemand hereinkommt?“, fragte er und ließ sich in Jandris Arm ziehen.
„Draußen tobt ein Schneesturm, keiner kommt freiwillig hierher“, antwortete Jandris und schob sich zwischen seine Beine. „Wir sind ganz alleine, Aelskjar“, raunte er heiser in Djamyrs Ohr. Sein Mund küsste sich vom Ohr hinunter zu seinem Hals, wieder hinauf zu seinem Mundwinkel.
Djamyr schlang seine Arme und Beine um ihn, gab sich dem Gefühl und seinem Verlangen hin. Wie lange war es her…
Jandris Hände streichelten seine Seite hoch, über seine Brust, die empfindsamen Brustwarzen hinunter zwischen seine Beine. Djamyr stöhnte leise, fasste in Jandris Haar und zog seinen Kopf heran, um ihn zu küssen. Mehr, er wollte viel mehr.
„Komm, amjaro, ich brauche dich“, flüsterte er und öffnete sich Jandris Fingern, die begannen ihn zu massieren. Das Wasser erleichterte Jandris das Eindringen, schon bald spürte Djamyr, wie die Finger ihn verließen und ersetzt wurden von Jandris Härte. Langsam drang er in ihn ein. Djamyr küsste Jandris, sanft und fragend erkundete seine Zunge den langvermissten, köstlichen Mund. Mit sachten Bewegungen ritt er Jandris, der den Kopf auf den Rand des Zubers gelegt hatte und sich ihm hingab.
Irgendwann wurden Djamyrs Bewegungen fordernder, reichte es nicht mehr, wollte er alles. Jandris fasste zwischen ihre Körper, umschloss Djamyr und entlockte ihm mit den ersten Strichen ein aus Verlangen geborenes Geräusch zwischen knurren und keuchen.
„Wie sehr ich dich liebe, Aelskjar“, flüsterte Jandris in sein Ohr. „Wie sehr ich diese Geräusche liebe.“ Sanft streichelte er ihn weiter und Djamyr keuchte erneut, bewegte sich schneller, küsste Jandris fordernd, bis sie beide von ihrem Höhepunkt mitgerissen wurden.
„Amjiare tia, amjaro“, flüsterte Djamyr, fuhr durch das sandfarbene Haar und küsste ihn liebevoll.
„Lange nicht mehr in Skjaja gewesen“, sagte Jandris, der nicht damit rechnete, was diese Worte auslösten. Djamyr fuhr hoch, die Bernsteinaugen funkelten ihn an.
„Was willst du damit sagen?“, knurrte er.
„He, beruhig dich…“
„Was willst du damit sagen?“, unterbrach ihn Djamyr und stand auf, stieg aus dem Zuber. „Dass ich mit dir zusammenliege, weil ich nicht bei Svarius war? Denkst du das? Dass ich an dir nur mein Bedürfnis stille.“ Fahrig trocknete er sich ab.
„Nein, Djamyr, beruhig dich…“ Jandris streckte die Hand nach ihm aus, verstand nicht, was los war, während Djamyr seine Sachen überstreifte. „Ich…“
„Vergiss es“, sagte Djamyr, wütend fuhr er herum. „Meinst du wirklich, ich wüsste nichts von Malei? Dass sie nachts in dein Zimmer kommt? Dschemjo!“ Vor Wut schienen Funken um ihn zu sprühen. Laut die Tür schlagend ging er aus dem Raum. Jandris starrte ihm hinterher.
Seine Haare gefroren auf dem Weg über den Hof und er wusste, er würde bitterlich frieren, doch es war der einzige Weg Jandris sofort wieder von sich zu stoßen. Und seine Wut war echt, wenn auch nicht über die Frage, sondern über Malei, die hübsche, blonde Magd. Glaubte Jandris wirklich, er würde es nicht erfahren?
In seinem Zimmer war es kalt und all die angenehme Wärme des Bades war nicht mehr als eine wage Erinnerung. Wie er war, kroch er unter das Fell, rollte sich zusammen und verfluchte zum tausendsten Mal diese Welt.
Ein Geräusch weckte ihn, es war noch dunkel, angestrengt lauschte er in die Dunkelheit, hielt den kurzen Dolch in der Hand, bereit sich zu wehren. Noch ein Schritt, eindeutig, dicht an seinem Bett, die Tür zum Flur war zu. Mit dem nächsten Schritt war er aus dem Bett, drückte den Unbekannten an die Wand und hielt ihm das Messer an die Kehle.
„Bist du verrückt? Willst du sterben?“, fuhr er Jandris an, als er den vertrauten Geruch wahrnahm.
„Ich wollte niemanden wecken“, erwiderte Jandris.
„Du hast dich geirrt, die Mägde findest du hinter der Küche im Gesindehaus“, fauchte er und trat zurück.
„Djamyr, hör auf, bitte“, flüsterte Jandris in der Dunkelheit, berührte ihn mit einer ausgestreckten Hand.
„Was willst du hier?“, fragte Djamyr.
„Ich konnte dich so nicht gehen lassen. Ich war… Verflucht, ich liebe dich“, sagte Jandris, seine Hand griff ihn und zog ihn ruppig heran. Eine Hand legte sich in seinen Nacken und Jandris Mund küsste ihn.
„Das musst du vergessen“, sagte Djamyr und löste sich von ihm.
„Und wenn ich es nicht kann?“
„Wir haben keine Wahl. Kein Mensch interessiert, was du oder ich fühlen. Für dein Volk ist das, was wir empfinden Sünde, krank und wir verdienen den Tod. Es kann hier kein wir oder ähnliches geben. Du gehörst dort drüben hin und ich gehöre hier hin. – Nein, eigentlich gehöre ich weit weg.“ Seine Stimme klang dunkel. „Wenn ich es ändern könnte, amjaro…“ Er legte seine Hand in Jandris‘ Nacken und zog ihn heran, dass sich ihre Köpfe berührten‘. „Ich würde mein Leben mit dir verbringen wollen.“ Einen Moment standen sie in der vollkommenen Dunkelheit und Stille, dann hustete Yussus im Zimmer neben an. „Du musst gehen.“ Widerwillig löste er sich von Jandris. „Es wäre nicht gut, wenn dich jemand hier sehen würde. Das Gerede wäre groß.“
„Djamyr, egal, was kommt, ich liebe dich und wenn ich die Wahl hätte, würde ich mein Leben nur mit dir teilen wollen. – Amjiare tia.“ Die Tür öffnete sich und das Zimmer war wieder leer. Müde setzte Djamyr sich auf den Rand seines Bettes und wünschte dieser Welt den Untergang.
Der Winter verschwand von heute auf morgen. Tauwetter setzte ein, der Schnee schmolz und der Ormalv trat über die Ufer. Endlich konnten sie die Häuser wieder verlassen und Djamyr fühlte sich zum ersten Mal seit Langem glücklich, als er mit Zajuma über die Weide galoppierte. Die Luft roch nach Frühling und zaghaft wagte sich erstes Grün an das Licht. Die Zeit der Erneuerung und der Liebe. Er zügelte Zajuma und betrachtete ein Vogelpaar beim Schnäbeln. In zwei Menjad war Soelstyn und Jandris würde Ellia heiraten. Seit jenem Abend im Badehaus hatte er Jandris nur von Weitem gesehen, hatte nicht mit ihm gesprochen und schaffte es trotzdem nicht, eine Mauer um sein curaji zu ziehen. Allein der Gedanke, dass Malei mindestens einmal in dieser Zeit bei ihm gelegen hatte, löste Wut und Schmerz in ihm aus. In zwei Tagen würde Jandris mit Thordas nach Troos und Wignana reiten, dann würde er sich ein Siegel von Livlia holen und nach Skjaja reiten. Zumindest sein Körper brauchte Erlösung, auch wenn das Begehren seines curaji niemals erfüllt würde.
In leichtem Trab ritt er zurück. Schon beim Näherkommen sah er Livlia und Jandris am Gatter stehen. Sie sahen ihm entgegen und er spürte, dass etwas nicht stimmte.
Auf der anderen Seite des Gatters stieg er ab, sah von Livlia zu Jandris, sah, dass sie ihm etwas sagen wollten.
„Du musst uns verlassen, Djamyr“, sagte Livlia und sah ihn an. „Du musst bis Soelstyn das Haus, den Hof und am besten Allragöst verlassen haben.“
„Was ist geschehen?“, fragte er und suchte Jandris Blick. Das herrliche Blau war dunkel, traurig.
„Wenn du an Soelstyn hier bist, wird Vater dich für eine Nacht Allby überlassen“, sagte Jandris und allein die Worte schienen ihm körperliche Schmerzen zu bereiten.
„Überlassen?“ Djamyr hatte das Gefühl, nicht zu verstehen – nein, nicht glauben zu können, was die Worte bedeuteten.
„Ja, er hat versprochen, dass Allby eine Nacht lang deine Zeichen lesen darf. – Und Thordas hält, was er verspricht.“ Jandris schlug gegen die Gatterstange und wandte den Blick ab.
„Du meinst, er würde mich ihm mit Gewalt ausliefern?“ Sein Magen zog sich zusammen, als er an den Blick des Mannes dachte.
„Er würde dich in Ketten legen und in Allbys Zimmer schleifen lassen. Er hat sein Wort gegeben und wenn du dich auf eins verlassen kannst, dann ist das Thordas‘ Wort.“ Der Ekel vor diesem Versprechen war Jandris anzusehen. „Bitte, Djamyr, geh. Verlass Allragöst, kehr zurück in die Steppe.“
Livlia lief eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich konnte Allby noch nie leiden. Seine merkwürdige Schönheit, die so gar nicht zu seiner Stimme und seinem Inneren passt…“, schluchzte sie leise. „Djamyr, ich wollte, dass du lebst, das du frei bist, darum geh jetzt. Bring dich in Sicherheit. Bitte!“
Benommen von ihren Worten, seinen Gefühlen, führte Djamyr Zajuma durch das Gatter und führte sie Richtung Stall. Eine Nacht Allby ausgeliefert? Die Finger auf seiner Haut?
Jandris legte seine Hand auf Djamyrs Oberarm. „Bitte, Aelskjar, geh“, flüsterte er rau. Djamyr nickte und ging an ihm vorbei. Sein Kopf begann zu arbeiten. Er musste Zajuma mitnehmen und er würde zu Svarius gehen. Dass er Allragöst verließ, solange die Gefahr eines Aufstandes, die Gefahr für das Leben von Jandris und Livlia – und damit auch Oschcura bestand, war ausgeschlossen. Aber er musste irgendwo untertauchen – und das war mit seinem auffälligen Äußeren in Allragöst ohne Hilfe unmöglich. Wenn es sein musste, würde er sich den Upvirag anschließen.
Als er in den Stall ging, sah er Mattio, der Stroh in die Boxen schaufelte. – Hatte er gehört, was die Geschwister zu ihm gesagt hatten? Was würde geschehen, wenn er Thordas davon erzählte? Doch der Stallknecht schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Oschcura kam lächelnd auf ihn zu. „Zajuma wird froh sein, wieder hinaus und laufen zu können. – Auch wenn sie hier nicht die weiten Ebenen der Steppe erwarten.“
„Morgen nehmen wir den Unterricht wieder auf, Oschcura“, sagte er lächelnd. „Dann bekommst auch du eine Ahnung von Freiheit in den engen Grenzen der Gatter.“ Mit geübten Handgriffen sattelte er Zajuma ab, während Oschcura dem Pferd das Zaumzeug abstreifte. Dann rieben sie das Pferd ab und führten es in seine Box.
„Du bist schweigsam, Djamyr“, sagte Oschcura und hielt Zajuma einen schrumpeligen Apfel hin. Es würde noch dauern, bis es frische Äpfel gäbe.
„Es gibt Tage, die eignen sich nicht zum Reden“, sagte er und lächelte ihr zu, dann verließ er den Stall.
Die Freude war Yussus anzusehen, als er ihn am frühen Morgen aus dem Bett schleifte und in die kleine Arrestzelle steckte, in der normalerweise die Wachen eingesperrt wurden, die gegen die Regeln verstießen. Zu denken, dass Mattio nicht gelauscht hatte, war ein Fehler gewesen, das wurde Djamyr klar, als die Zellentür krachend hinter ihm ins Schloss fiel. Wahrscheinlich hatte er sofort weitergegeben, dass die Gefahr bestand, dass er einfach verschwinden würde. Mit angezogenen Beinen setzte er sich auf die schmale Pritsche und wartete. Irgendjemand musste sich ja dazu herablassen, mit ihm zu sprechen.
Sicher hatte Mattio auch Jandris und Livlia verraten. Was für Strafen würden sie erwarten? Thordas war kein Mann, der sich hintergehen ließ…
„Wir brechen heute noch nach Troos auf“, sagte Thordas mit einem unterkühlten Blick auf seine Kinder beim Frühstück.
„Warum diese Eile, Vater?“, fragte Jandris. Die letzte Nacht hatte er schlecht geschlafen und ihm war klar, dass er erst wieder besser schlafen würde, wenn er wusste, dass Djamyr in Sicherheit wäre.
„Wir werden eine Kutsche mitnehmen und etwas länger brauchen“, antwortete Thordas.
„Eine Kutsche? Warum?“
„Wir bringen Allby ein kleines Geschenk mit“, sagte Thordas und der Blick, den er Jandris zuwarf, jagte diesem einen kalten Schauer über den Rücken.
„Was für ein Geschenk braucht eine Kutsche?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon ahnte.
„Ich habe ein Geschäft mit ihm geschlossen und ich dachte, ich mache ihm eine Freude und bringe ihm meinen Teil der Abmachung bei unserem Besuch gleich mit“, entgegnete sein Vater mit einem Grinsen, bei dem Jandris aller Appetit verging. „Nicht, dass es verloren geht, bevor Allby es in den Händen hält.“
Ein Seitenblick zu Livlia verriet ihm, dass auch sie wusste, wovon Thordas redete. Offensichtlich gelang es ihr zu unterdrücken, was sich in ihrem Gesicht so deutlich zeigte: Abscheu und Wut.
Jandris erhob sich vom Tisch. „Ich muss dann noch etwas vorbereiten“, sagte er wage auf Thordas fragenden Blick. Niemals würde er es ertragen, dass Thordas Djamyr auch nur einen Herzschlag Allby überließ. Es musste ihm etwas einfallen, dies zu verhindern. – Die Frage war nur: was würde Thordas aufhalten?
Die Tür schwang knirschend auf. Djamyr sah hoch und blickte Thordas in die grauen Augen.
„Ich habe gehört, dass du uns überstürzt verlassen wolltest, Stappmakka“, sagte Thordas.
„Wo haben Eure Wachen mich gefunden, - Herr?“, fragte Djamyr, seine Augen funkelten.
„Oh, das will nichts heißen… - Ich weiß aus sicherer Quelle, dass du in den nächsten zwei Menjad vor Soelstyn fliehen wolltest.“ Thordas sah ihn mit einem Grinsen an.
„Der gleiche Mann, der Euch verraten hat, dass Horek Unzucht mit Männern trieb“, stellte Djamyr fest.
Thordas zog eine Augenbraue hoch und lächelte nur. „Du wirst uns begleiten, Stappmakka. Wir fahren nach Troos.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Wir besuchen einen guten Freund, der dich unbedingt wiedersehen, die Zeichen auf deiner Haut betrachten will – und ich habe ihm versprochen, dass er das eine Nacht lang darf.“
Djamyr funkelte ihn nur an, sagte nichts.
„Ich würde dich bei ihm lassen, wenn Livlia nicht wäre. Meine Tochter hat einen Narren an dir gefressen, Stappmakka, und ich werde ihr trotz allem nicht das Herz brechen…“ Thordas lehnte sich vor und sah ihm in die Augen. „Solltest du versuchen zu fliehen oder auf dem Weg irgendwelche Schwierigkeiten machen, werde ich mich daran erinnern, wer dir gesagt hat, dass du gehen sollst. – Und dann müsste ich mich um diese Verräter kümmern.“ Noch ein Stück näher kam sein Gesicht. „Wenn du dich fügst, dann kannst du hinterher wieder mit den Wachen trainieren, bis du mit Livlia zu ihrem Mann gehst. – Du siehst, bist du kooperativ, dann wird alles gut.“
Wut und Hass überspülten ihn. Den anderen nicht zu töten, kostete ihn fast unmenschliche Anstrengung.
„Ja, ich kann all deinen Hass sehen. Glaub nicht, dass ich ihn nicht verstehe, doch du wirst dich fügen. Für Livlia – und für Jandris. – Was ist schon eine Nacht mit Allby für das Leben, das Glück dieser beiden.“ Die grauen Augen glitzerten.
„Sie sind deine Kinder“, sagte Djamyr ungläubig.
„Ja, aber ehren sie mich? Sie verraten mich, in dem sie dich warnen. – Verdienen solche Kinder meine Liebe? – Du kannst dafür sorgen, dass alles bleibt, wie es ist. Dann sind sie auch weiterhin meine wunderbaren und glücklichen Kinder.“ Er lachte leise. „Auch wenn ich sie mit meiner Entscheidung kurzfristig unglücklich mache…“
Thordas streckte seine Hand aus und für einen Moment befürchtete Djamyr, er würde ihn anfassen. Sollte die Hand ihn berühren, wären alle Konsequenzen egal, dann würde er ihn töten.
Vielleicht sah Thordas die tödliche Gefahr, denn er ließ die Hand wieder sinken. „Auch wenn ich nicht weiß, was Allby von dir will…“
„Das weißt du genauso gut, wie ich“, unterbrach ihn Djamyr knurrend.
„Ja, da hast du recht, doch ich denke, ich will es nicht wissen. – Wie dem auch sei, du kannst dir überlegen in der Kutsche zu reisen – oder auf deinem wunderschönen Pferd.“
„Du willst mich reiten lassen?“
„Ja, wenn du mir dein Wort gibst, dass du gehorchst“, sagte Thordas lächelnd. „Ich bin bereit dir zu vertrauen. – Also entscheide dich: eingesperrt wie ein Tier und in Ketten ausgeliefert oder du gibst mir dein Wort.“ Mit einem Lächeln, das seine Gewissheit deutlich machte, streckte er Djamyr die Hand hin. „Überleg nicht zu lange. Weißt du, was mit Verrätern geschieht? Als Erstes werden ihnen die Zungen herausgerissen, dann werden sie ausgepeitscht und zwei Tage am Pranger stehen gelassen. Letztlich werden sie, nachdem ihnen die Haut abgezogen wurde, gevierteilt. – Hast du das schon einmal gesehen, Stappmakka?“
Würde er es seinen eigenen Kindern antun? – Die Antwort in den grauen Augen war ja. Für einen Moment schloss er die Augen.
„Du kannst deinen Platz unter den Wachen einnehmen. Keiner wird wissen, warum du hier unten warst. – Bjark und Yussus denken, dass du dich anmaßend benommen hast, sie werden nicht fragen. Dann wissen nur du, ich – sowie Livlia und Jandris von deiner geplanten Flucht. – Und die beiden werden um deinetwillen schweigen.“
Die beiden wussten auch, warum er mitkam. Langsam öffnete er seine Augen. Der Tag würde kommen, an dem er Thordas töten würde. Bevor er dieses Land verließ, bevor er zurückkehren konnte in das Weite Land, würde er ihn töten. Genauso langsam nahm er Thordas‘ Hand, innerlich einen Schwur ablegend. Dieser Unmensch musste sterben!
Djamyrs Gesicht glich einer Maske, als er neben Thordas auf den Hof trat. Verwundert sah Jandris die Zwillingsschwerter auf seinem Rücken. Oschcura brachte Zajuma und Djamyr saß auf. Weder Livlia, die von der Treppe ihre Abreise beobachtete, noch Jandris würdigte er eines Blickes. Was war geschehen? Was hatte sein Vater getan?
Jandris wechselte einen Blick mit Livlia, sah die Tränen in ihren Augen, aber auch das gleiche Unverständnis, das ihn befallen hatte. Verwirrt zuckte sie mit den Schultern.
„Es wird Zeit. – Djamyr begleitet uns, ich würde nur ungern auf seine Talente verzichten“, sagte Thordas und warf Jandris einen Blick zu, den dieser nicht deuten konnte. Einen letzten Blick auf Livlia werfend folgte er seinem Vater.
Den ganzen Tag war Djamyr immer da, wo er nicht war. Es gab nicht eine Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Überhaupt wirkte Djamyr in sich gekehrt und still.
Warum, um alles in der Welt, ritt er freiwillig mit? Warum saß er nicht angekettet in einer Kutsche?
Seinen Vater konnte er nicht fragen und Djamyr wich ihm geschickt aus. Frustriert ritt er langsam hinter seinem Vater her, der aussah, als könnte er kein Wässerchen trüben. Von Zeit zu Zeit versuchte Thordas, mit ihm ein Gespräch zu beginnen, doch er wollte nicht reden, nicht über die Nichtigkeiten, die Thordas ihn fragte oder ihm erzählte.
Am Mittag fasste Thordas ihn hart am Arm und zerrte ihn zur Seite, außerhalb der Hörweite der Wachen.
„Nimm dich zusammen!“, fuhr Thordas ihn an. „Eurem Steppenmann wird nichts passieren. Livlia bekommt ihr Spielzeug zurück. – Welches Interesse du daran hast, möchte ich gar nicht wissen. – Mir reicht das, was ich von dir weiß völlig.“ Seine eisigen grauen Augen sahen Jandris kalt an. „Wenn ich dich und deine Schwester nicht zur Rechenschaft ziehe, dann habe ich meine Gründe dafür, das heißt aber nicht, dass ich den Verrat vergesse oder euch verzeihe.“ Mit einem Ruck drehte er sich um und ging zurück zu den Wachen.
Dann habe ich meine Gründe dafür? Jandris sah zu Djamyr, der abseits stand und für einen winzigen Moment begegneten sich ihre Augen. Ihm wurde klar, dass Djamyr sie nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen hatte. Und ihm wurde bewusst, mit wie viel unterdrücktem Hass die Bernsteinaugen immer wieder auf seinem Vater lagen.
Thordas verwendete ihn und Livlia gegen Djamyr! Der Grund, warum Thordas ihren Verrat nicht strafte, war Djamyr. Was hatte er dem stolzen Mann abgerungen? Er nahm ihn bewaffnet auf seinem eigenen Pferd mit. Er war sich sicher, dass Djamyr nicht fliehen würde, das hieß weiter, dass er sich auch Allby ausliefern würde!
Jandris schloss die Augen, erinnerte sich an seine Begegnung mit Allby und dem Verlangen, dass er in dessen Augen gesehen hatte. – Und an Djamyrs Abneigung, seinen Hass auf diesen Mann.
Und nun wollte er sich dem Mann für eine Nacht ausliefern? – Nein, er wollte es natürlich nicht, aber er würde es tun. Für Livlia und ihn. Sein Magen hob sich und er konnte nur mit Mühe verhindern, sich zu übergeben.
Unbedingt musste er mit Djamyr sprechen, ihm sagen, dass weder er noch Livlia ein solches Opfer annehmen würden. Wie sollte er Djamyr jemals wieder in die Augen sehen können, wenn…
Mit schnellen Schritten ging er durch die Männer auf Djamyr zu. Er sah, dass dieser überlegte, wie er ihm entkommen konnte, doch bevor er sich erhoben hatte, stand er vor ihm. Ihre Augen begegneten sich. Es war, als hätte Djamyr seine Augen vor ihm verschlossen, so ausdruckslos sah er ihn an. Er ging in die Hocke. „Das kannst du nicht tun!“, flüsterte er.
„Geh, Jandris. Kümmere dich um deine Angelegenheiten“, sagte Djamyr genauso ausdruckslos, wie seine Augen ihn musterten.
„Ich will dein Opfer nicht. – Und wenn du Livlia fragen würdest, dann will sie es bestimmt auch nicht.“ Das dringende Bedürfnis, Djamyr an den Schultern zu fassen und zu schütteln, überkam ihn.
„Du unterschätzt ihn. Er kennt keine Gnade. Weder mit dir, noch mit Livlia. Er kennt nur Vorteil und Nutzen.“ Djamyrs Blick öffnete sich einen Moment und er sah die Besorgnis, den Kummer. „Er würde keinen von euch schonen. Und könntest du damit leben? Könntest du damit leben, dass er es Livlia antut? – Thordas hat kein curaji und dafür wird er letztlich sterben!“ Und jetzt sah er den tödlichen Hass, das stumme Versprechen.
„Ich kann es nicht ertragen“, flüsterte er.
„Wenn ich es kann, dann kannst du es auch“, antwortete Djamyr und sein Blick zog sich wieder völlig zu. Doch Jandris konnte die Angst spüren, die sich dahinter verbarg. Die Angst vor dem, was Allby von ihm wollte, ihm antun würde. Noch einmal hob sich der bernsteinfarbene Blick. „Geh, amjaro, bitte.“
Hatte er seinen Vater je geliebt? – Vielleicht früher einmal. In den letzten Jahren war es eine Mischung aus Respekt und Bewunderung für seinen Erfolg gewesen, die er ihm gegenüber empfand. Aber jetzt blieb nur noch Hass übrig. Langsam erhob Jandris sich, ging durch die Männer, die ihn anstarrten und ließ sich an der anderen Seite des Lagers nieder. Er durfte nicht an das denken, was Djamyr erwartete, sonst würde er verrückt werden, also würde er all seine Gedanken auf den Hass verwenden. Nie wieder würde er für Thordas etwas anderes empfinden als Hass.
Die Reise dauerte fünf Tage. Am letzten Abend vor ihrer Ankunft saß Jandris am Feuer in der Nähe der Wachen. Er versuchte, Thordas zu meiden und lehnte im Schatten einer Eiche.
„Warum hat Thordas Djamyr mitgenommen?“, fragte Varrel leise.
„Ich weiß es nicht, aber es gefällt mir nicht“, antwortete Druska.
„Was meinst du? Dass es unnötig war ihn mitzunehmen?“, fragte Urias nach.
„Nein, dass hier etwas vorgeht, was mir nicht gefällt. – Wir alle kennen die Gerüchte, die im Haus des Allby ihre Runde machen. Seine sehr speziellen Neigungen.“ Druska spuckte neben sich auf die Erde. „Seine Sammlung. Wenn ich mir dann Djamyr ansehe, dann muss ich nicht lange überlegen, was ein Kerl wie Allby denkt.“
„Du meinst…“ Varrel klang ungläubig. „Der Herr würde Djamyr bei Allby lassen?“
Druska zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht, aber irgendwas stimmt da nicht. Erst will er Djamyr nicht mitnehmen, dann zwingt er ihn.“
„Mit was zwingt er ihn denn?“ Urias‘ Stimme klang ungläubig.
„Ich weiß nur, dass er ihn mitten in der Nacht aus seinem Bett reißen lässt und ihn einsperrt. Jetzt kommt er auf einmal mit, doch sieh ihn dir an… Er sieht nicht so aus, als würde er sich sonderlich wohlfühlen auf dieser Reise. Ich kenne ihn nun schon ein paar Tage und er ist sonst nie so still und zurückhaltend.“
„Ich kann das nicht glauben. – Und der junge Herr? Er scheint Djamyr doch zu mögen, warum sollte er es dulden?“
„Meinst du wirklich, außer Thordas hat hier irgendwer etwas zu sagen? – Außerdem ist auch der junge Herr anders, stiller als sonst. – Nein, ich denke, hier geht etwas vor und es ist etwas, dass mir überhaupt nicht gefällt.“ Druska zog die Schultern hoch. „Ich würde keinen Mann, den ich schätze, in die Hände dieses widerlichen Allbys geben.“
Was würden diese Männer denken, wenn er ihnen die volle Wahrheit über ihren Herren sagen würde? Über seine Skrupellosigkeit, seine Herzlosigkeit? Doch was sollte es ändern? Sie alle waren abhängig von dem Mann, der nicht nur reich, sondern auch einflussreich in Allragöst war.
Vor seinem inneren Auge sah er die Gier in den Augen Allbys. Und in seinem Kopf formten sich Bilder von den Dingen, die er mit Djamyr tun würde. Krampfhaft versuchte er, diese Bilder zu verdrängen, nicht daran zu denken, doch es gelang ihm nicht. Hilflosigkeit und Schmerz breiteten sich in ihm aus. Würde es etwas ändern, wenn er Allby einfach töten würde? Nahe genug würde er an ihn herankommen…
„Denk nicht einmal daran“, flüsterte Djamyrs Stimme neben ihm.
„Was meinst du?“, fragte er und stellte sich unwissend.
„Du wirst Allby nichts tun. Du wirst Thordas nichts tun. Du wirst ein guter Sohn sein.“ Djamyrs Atem streifte seinen Hals.
„Ich ertrage den Gedanken jetzt schon nicht, wie soll ich es schaffen, wenn ich weiß, dass du bei ihm bist?“
Eine Hand berührte ihn, legte sich auf seine Schulter. „Nichts von dem, was dort geschieht, hat etwas mit uns zu tun“, raunte die Stimme dunkel in sein Ohr. „Es hat nichts mit mir zu tun, denn er kann mich nicht berühren. Alles andere, Wunden oder Verletzungen, heilen wieder. Meine Seele, curaji, gehört dir und sie kann er nicht verletzen, denn sie wird bei dir sein.“ Ein Kuss in seinen Nacken. „Versprich mir, nichts zu tun.“
Unfähig zu antworten schwieg er.
„Versprich es mir“, forderte Djamyr drängend.
„Ich verspreche es dir“, sagte er widerwillig.
„Amjiare tia, amjaro“, flüsterte Djamyr und küsste noch einmal seinen Nacken, dann war er in den Schatten verschwunden.
Wie sollte er es schaffen, dieses Versprechen zu halten?
Am folgenden Mittag erreichten sie ihr Ziel. Allby kam ihnen entgegen und Jandris konnte sein erstauntes Zögern sehen, als sein Blick auf Djamyr fiel. Dann leuchtete die Gier darin auf und der Händler lächelte Thordas entgegen. „Habt Ihr es euch überlegt? Wollt ihr doch ein Geschäft mit mir machen?“, fragte mit einem Grinsen.
„Nur, was wir vereinbarten“, antwortete Thordas lachend, „aber ich dachte mir, hier habt Ihr mehr Muße für Euer Vergnügen, als an Soelstyn in meinem Haus.“
Wenn es einen Gott gab, einen einzigen Gott, der für Gerechtigkeit sorgte, so musst er doch Feuer und Verderben über die beiden Männer schicken. Jandris versuchte, ein unbewegtes Gesicht zu bewahren, doch sein Hass fraß sich tief in seine Seele.
„Für Eure Weitsicht dürft Ihr die heutige Nacht mit meiner Sammlung verbringen.“ Allby sah Jandris über Thordas Schulter an und ein grausam genugtuendes Lächeln lag in seinem Gesicht. „Werde ich Gewalt anwenden müssen?“
„Oh, nein, ich versprach Euch eine Nacht und Ihr bekommt sie. Keine Kämpfe, keine Gegenwehr“, erklärte Thordas großspurig. „Friedlich wie ein Lamm wird der Stappmakka zu Euch kommen.“
Jandris sah eine Bewegung im Augenwinkel. Erst dachte er, es sei Djamyr, doch dann sah er Druska, der seinen Herren voller ungläubiger Verachtung ansah. Ihre Augen begegneten sich und Druska spuckte aus, bevor er sich umdrehte, um sein Pferd in den Stall zu führen. Wieder sah er zu Allby. Nicht nur Druska verachtete ihn, er selber verachtete sich ebenso, weil er Djamyr diesem Scheusal überließ.
Er konnte nichts essen und zum Glück ignorierte Thordas diesen Umstand. Statt zu essen, trank er viel zu viel Druvla, während er den beiden Händlern zuhörte. Sein Gehirn war zu keinem anderen Gedanken mehr fähig, als dem Versuch, eine Lösung zu finden. Immer wieder überlege er, wie er Djamyr schützen konnte. Doch es gab keinen Weg. Es gab keine Lösung. Den Rest seines Lebens würde er mit dieser Schuld leben müssen. Schuldig, den Mann, den er liebte, verraten und diesem Monster überlassen zu haben. Einen Mann, der ihm zweimal das Leben gerettet hatte. Ohne sich der Etikette gemäß zu entschuldigen, ohne überhaupt etwas zu sagen, stand er auf und verließ den Salon. Es gab keine Entschuldigung für sein Versagen. Auf dem Weg in sein Zimmer begegnete er einem Diener, und bat ihn, ihm eine Flasche Saedsaev zu bringen. Vielleicht würde der Alkohol sein Gehirn für eine Zeit am Denken hindern.
Djamyr war bei Zajuma, er versuchte sich zu konzentrieren, sich ganz auf sich selber, sein curaji zu konzentrieren.
„Stappmakka, der Herr erwartet dich“, sagte eine Stimme und Djamyr sah einen Mann, der ihn mit ausdrucksloser Miene ansah. Schweigend folgte er ihm in das Haus. Sie stiegen eine gewundene Treppe hinab in den Keller, gingen durch einen langen, schmalen Gang, bis zu einer schweren Tür. Der Diener klopfte und ein anderer Diener öffnete. Dieser trug eine lederne Maske, die sein Gesicht zur Hälfte bedeckte und eine enge, braune Lederhose. Sonst nichts. Mit einer Geste deutete er auf das Innere und Djamyr trat ein.
Allby befand sich in dem Raum, gehüllt in einen roten Mantel saß er auf einem Stuhl, der hochlehnig viel Ähnlichkeit mit einem Thron hatte. Der Raum selber war eher spärlich eingerichtet. Der Stuhl und ein kleiner, schmaler Tisch waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Ein riesiger Kamin verbreitete ungeheure Wärme in dem Zimmer. Das Auffälligste waren die Ketten, die von der Decke in der Mitte des Raumes hingen. Nur mühsam konnte er ein Schaudern unterdrücken.
„Ah, du kommst wirklich freiwillig. Ich hatte meine Zweifel, bei all dem Stolz, der in deinen Augen steht“, sagte Allby und stand auf. Der Mantel öffnete sich und Djamyr sah, dass der Händler nichts darunter trug. Langsam kam er näher. „Ich möchte dir etwas zu trinken anbieten“, sagte er und auf einen Wink reichte ihm der Diener zwei Gläser. Sie enthielten eine grünliche Flüssigkeit und Djamyr ahnte, um was es sich handelte.
„Trink, mein Freund, es wird es für uns beide angenehmer machen. – Entgegen allem, was du von mir denken magst, will ich dir nicht Gewalt antun. Ich will dich ausgeliefert, doch nicht geprügelt und verletzt.“ Allbys Augen sahen ihn lauernd an. „Thordas hat gesagt, du gehorchst.“ Widerwillig nahm er das Glas und leerte es unter Allbys Blick. „Brav, Stappmakka, sehr brav. – Zieh dich aus.“ Allby nahm ihm das Glas aus der Hand und Djamyr dachte an Zajuma, die Steppe und das Geräusch ihrer Hufen auf dem harten Boden, während er sich unter Allbys gierigem Blick auszog.
„Geh zu den Ketten“, befahl Allby, dessen Atem sich beschleunigt hatte. „Vraun, leg ihm die Ketten an, aber verursache keine Wunde“, sagte er zu seinem Diener, der bloß nickte.
Ketten an die Arme, die nach oben gezogen wurden und Ketten um seine Knöchel. Hilflos ausgeliefert, doch er verdrängte den Gedanken, bemühte sich, mit seinen Gedanken außerhalb dieses Kellers – Kerkers zu sein. Ein Tuch legte sich um seine Augen.
„Du wirst mir nicht verraten, was die Zeichen auf deiner Haut bedeuten und weil Thordas dich unbeschädigt zurückhaben will, muss ich deine Zeichen abmalen lassen, um sie zu bekommen. Würdest du mir gehören, würde ich sie aus deiner Haut schneiden.“ Der Mann stand hinter ihm, er konnte ihn spüren. Doch das nahm er nur am Rande wahr, den er war weit weg.
Eine Hand berührte seinen Hals, fing an, die Zeichen nach zu fahren. Das grüne Gift breitete sich in dem gleichen Tempo in ihm aus, wie die Hand ihn erkundete. Erstaunlich sanft streichelte sie über seine Haut. Ein Mund berührte seinen Nacken, saugte und biss, Hände wanderten am Rippenbogen entlang zu seinen Brustwarzen, strichen darüber.
Seine Gedanken wanderten ab, stellten sich vor, dass es Jandris Hände waren, die ihn berührten. Dass es Jandris Mund war, der seinen Nacken küsste. Und dass es seine Hände waren, die jetzt an seiner Seite entlangfuhren und über seine Leisten streichelten.
„Ich will dich nicht mit Gewalt, ich will dich dein Verlangen. Deinen Körper, der es will, der es braucht.“ Und eine Hand schloss sich um seinen Schaft, der Djamyrs ablehnenden Geist ignorierte und auf das sanfte Streicheln reagierte. Doch es war nicht Allby, der ihn berührte, es war Jandris. Solange es ihm gelang, diesen Gedanke zu behalten, würde er es ertragen, auch wenn ihm kein Ton über die Lippen kommen würde.
Seine Gedanken blieben bei Jandris, hielten sich an dem Geliebten fest, daran, dass es seinen Finger, seine Hände, sein Mund und seine Härte war, die er ihn eroberte, das Fieber in seinem Inneren löschte, das nach immer mehr verlangte.
Wie lange dauerte es? Zeit hatte keine Bedeutung, nichts hatte eine Bedeutung, nur sein Gedanken an Jandris. – Nur Jandris. Jandris…
„Jandris, Herr, wacht auf“, rief eine Stimme unterstrichen von lautem Klopfen.
Er brummte und drehte sich um. Saedsaev rauschte durch sein Kopf.
„Herr, bitte, es geht um Djamyr“, rief die Stimme drängend.
Djamyr? Langsam sickerten die Worte in seinen Geist, der träge im Saedsaev schwamm. Müde ließ er sich aus dem Bett rollen und ging zur Tür. Druska stand davor und sah ihn besorgt an.
„Was ist passiert?“
„Djamyr, Herr, ein Diener hat ihn – gebracht.“ Druska stockte und er senkte seinen Blick. „Ich glaube, er ist sehr krank.“
Jandris sah ihn an und Besorgnis verdunkelte das kantige Gesicht.
„Wo ist er?“, fragte Jandris, versuchte, sich mit einer ungeduldigen Bewegung die Müdigkeit aus dem Gesicht zu wischen, und trat vor die Tür.
„Folgt mir.“ Druska ging mit schnellen Schritten durch den Flur. Verwirrt und noch nicht ganz wach, folgte Jandris ihm.
Sie gingen hinunter in den Stall, dorthin, wo die Wachen ihre Lager hatten. Auf einem Strohlager lag die Djamyr und bewegte sich unruhig. Urias kniete neben ihm und tupfte seine Stirn mit einem feuchten Lappen ab. Beunruhigt sah er auf und Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit, als er Jandris erkannte.
Jandris schob ihn zur Seite und nahm seinen Platz ein. Sanft legte er die Hand auf Djamyrs Stirn, die glühend heiß unter seiner Hand war. Die Augen öffneten sich und er sah das brennende Fieber in den Bernsteinaugen.
„Jandris“, flüsterte die heisere Stimme und fiebrig legte sich Djamyrs Hand auf seine.
„Druska, hol den Heiler“, sagte Jandris, ohne sich umzusehen. „Urias, hilf mir, wir bringen ihn in mein Zimmer.“
Sanft schob er seine Arme unter den Körper und hob ihn hoch. Erschreckend leicht fühlte sich Djamyr in seinen Armen an. Die Hitze, die er abstrahlte, drang durch die Kleider zu ihm durch. Urias ging vor ihm und öffnete ihm die Türen. Oben legte er Djamyr auf sein Bett. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, die Augen zuckten unruhig unter den geschlossenen Lidern. Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Urias, der nervös neben der Tür stand, öffnete diese und Druska führte einen großen, hageren, grauhaarigen Mann in das Zimmer.
„Dies ist Huru, der Heiler Allbys“, stellte Druska den Mann vor.
„Kommt bitte her, Huru. Der Mann ist krank“, sagte Jandris und trat zur Seite. Ohne ein Wort zu sagen, trat der Heiler neben ihn und legte seine Hand auf Djamyrs Stirn.
„Was ist geschehen?“, fragte Huru mit einer tiefen, melodischen Stimme, während seine langen Finger Djamyrs Hemd öffneten.
Jandris sah Druska auffordernd an.
„Allbys Diener brachten ihn ohne Bewusstsein und fiebrig in den Stall“, erzählte Druska mit gesenktem Kopf.
Huru sah von Jandris zu den Druska und Urias. „Gehen Sie, bitte, und lassen Sie mich mit dem Mann aus der Steppe allein“, sagte er und wandte sich wieder dem Bett zu. Auf eine Geste von Jandris gingen Druska und Urias aus dem Raum.
„Ich wäre gern mit ihm allein“, sagte Huru zu Jandris.
„Nein, ich bleibe“, sagte Jandris und stellte sich mit verschränkten Armen auf die andere Seite des Bettes.
Huru zuckte mit den Schultern und begann, ohne ihn weiter zu beachten, Djamyr die Sachen auszuziehen. Seine Hände tasteten den Körper ab, drehten ihn um und untersuchen ihn vollständig. Djamyr stöhnte mit geschlossenen Augen leise.
„Allby hat – er war mit ihm zusammen“, stellte der Heiler fest.
„Ja“, antwortet Jandris leise, obwohl es keine Frage war.
„Dann hat er ihm Karldryk gegeben!“, sagte Huru. „Männer aus dem Weiten Land vertragen dessen Gift nicht. – Und Allby lässt es immer extra stark mischen.“ Huru machte ein ernstes Gesicht. „Ich werde ihm Bottemeddel mischen. Das müsst ihr ihm fünfmal am Tag geben.“
„Woher wisst Ihr, was die Männer aus dem Weiten Land vertragen? Es gibt doch hier kaum Männer aus der Steppe.“ Fragend sah Jandris den Heiler an.
„Ich bin weit rumgekommen“, sagte der Heiler mit einem undurchdringlichen Lächeln. „Und eigentlich vertragen viele Menschen Karldryk nicht. Die Wirkung ist nur selten so verheerend, wie bei den Männern aus dem Weiten Land. Ihre Frauen vertragen es übrigens viel besser…“
„Wie lange wird es dauern?“
„Wenn er es überlebt, ungefähr drei Tage.“
„Wenn? Ihr meint, er könnte auch daran sterben?“ Jandris wurde übel.
„Ja“, erwiderte der Heiler ruhig. „Auf jeden Fall müsst ihr dafür sorgen, dass er seine Medizin nimmt und sich ausruht.“ Huru ging zur Tür. „Ich werde euch einen meiner Diener schicken, der euch die Medizin bringt. Und lasst seinen Körper regelmäßig zweimal täglich mit kaltem Wasser abwaschen. Zehn Tropfen dieser Flüssigkeit gebt dazu.“ Damit reichte er Jandris eine kleine Flasche, die er aus der Tasche seines langen bestickten Mantels zog und drehte sich um.
„Huru, wisst Ihr, was er ihm getan hat?“, fragte Jandris leise.
„Glaubt mir, Jandris, ihr wollt es nicht genau wissen.“ Mit einer Verbeugung verließ Huru das Zimmer.
„Mach die Augen auf, Stappmakka. Ich will, dass du mich ansiehst. Du sollst dich erinnern, für immer an mich erinnern.“ Zusammen mit der schrillen, verhassten Stimme kam der Schmerz, der ihn zurück in die Gegenwart katapultierte. Er wollte nicht zurückkommen, wollte nicht hier sein, doch der körperliche Schmerz ließ ihm keine Wahl. Das Brennen auf seiner Haut hatte ihn in die Gegenwart zurückgeholt und er hatte das Wüten des Fiebers in seinen Adern gespürt, zeitgleich waren Übelkeit und Kopfschmerz da. Ein Zittern überlief seine Haut und er wusste, dass er krank war. Alle Kraft hatte ihn verlassen, er spürte den fremden Körper, viel zu nah… wollte Allby nicht sehen, wollte bei Jandris bleiben …
„Djamyr?“, fragte Jandris‘ Stimme leise. Konnte das sein? Er spürte immer noch das Fieber, jedoch hatte das Brennen in seinem Blut nachgelassen. Mühsam öffnete er die Augen und sah in samtig blauen Augen.
„Jandris?“, fragte er mit erschöpfter Stimme.
„Ja, Aelskjar, ich bin es“, sagte Jandris und streichelte ihm sanft durch das Gesicht. „Alles ist gut. Du bist bei mir.“
„Wie komme ich hierher?“, fragte er und versuchte sich aufzusetzen, doch ihm fehlte die Kraft, sich aus den Kissen hochzudrücken.
„Druska hat mich geholt, weil es dir schlecht ging. Du hattest hohes Fieber und konntest nicht im Stall bleiben, darum haben wir dich hergebracht.“ Entschieden hielt er ihn fest. „Bleib liegen. Es ist das Karldryk, jene Drogen, die auch Sopherus seinen Gästen gibt. Nur, dass Allby sie dir in einer viel höheren Dosis gegeben hat. – Dazu kommt, dass du – wie alle Männer des Weiten Landes – sie nicht verträgst. Wenn Huru dir nicht geholfen hätte, hättest du daran sterben können.“
„Ich weiß nicht, ob das nicht besser gewesen wäre“, sagte Djamyr und gab den Versuch sich hochzustemmen auf. Erinnerungsfetzen tauchten in seinem Kopf auf: die Ketten, die Hände, sein Abtauchen und dann der glühende Schmerz…
„Hör auf so etwas zu sagen“, fuhr Jandris ihn an.
„Warum? Hättest du mich sterben lassen, wäre ich frei gewesen.“ Djamyr drehte sich auf die Seite, weg von Jandris.
Jandris starrte auf Djamyrs Rücken. Was sollte er dazu sagen? Dass er ihn liebte und ihn nicht sterben lassen konnte? Und dann? Ihre Liebe war in dieser Welt die furchtbarste Sache, die ihnen geschehen konnte…
„Wie geht es unserem Stappmakka?“ Thordas betrat ohne zu klopfen das Zimmer und stellte sich vor das Bett. „Wann können wir Troos verlassen?“
„Wenn der Heiler es gestattet, Vater“, sagte Jandris mit einem kalten Unterton.
„Ich habe nicht ewig Zeit, auf die Befindlichkeiten eines einzigen Leibwächters Rücksicht zu nehmen.“
„Wir können morgen aufbrechen“, sagte Djamyr und drehte sich um. „Ihr müsst meinetwegen keine weitere Verzögerung hinnehmen, Herr.“ Sein Ton war kurz davor unverschämt zu klingen.
„Sehr schön, Stappmakka“, Thordas lächelte ihn an, ohne dass dieses Lächeln die grauen Augen erreichte. „Dann reiten wir morgenfrüh bei Sonnenaufgang los.“ Er warf Djamyr einen letzten Blick zu und verließ das Zimmer.
„Du bist verrückt, Djamyr. Erst seit heute sind wir uns sicher, dass du überlebst und du willst auf ein Pferd steigen?“
„Nein, ich will ihm keinen Grund geben, mich hierzulassen“, antwortete Djamyr und schloss die Augen. „Ich sollte versuchen, bis morgenfrüh Kraft zu sammeln.“
Jandris betrachtete das Gesicht, dass mit dem Bartansatz und den dunklen Schatten unter den Augen. Als er aufstehen wollte, griff Djamyr nach seiner Hand und hielt sie fest. Er legte sich neben Djamyr, hielt die Hand fest und hoffte, dass es Djamyr bis morgen wirklich entscheidend besser ging.
„Ihr könnt nicht fünf Tage auf einem Pferd reiten. Ihr könnt nicht einen Tag auf einem Pferd reiten. – Djamyr, ihr seid von dem Gift geschwächt und haltet die Reise nicht durch.“ Huru, von Jandris gerufen, stand an Djamyrs Bett und betrachtete ihn kopfschüttelnd.
„Ich muss! – Unter gar keinen Umständen bleibe ich alleine hier.“ Djamyr schüttelte stur ebenfalls den Kopf. „Gebt mir etwas, das mir hilft durchzuhalten.“
„Ich bin Heiler, kein Hexer. – Aber ich werde sehen, was ich für euch tun kann.“ Huru verbeugte sich und verließ das Zimmer.
„Wenn du nicht reisen kannst, bleibe ich mit dir hier“, sagte Jandris.
„Du bist verrückt, nicht ich. Ein Wunder, dass Thordas zulässt, dass ich hier, in deinem Zimmer bin. Niemals würde er zulassen, dass du mit mir hier… Es könnte der Eindruck entstehen, dass uns etwas verbindet, das…“
„Als wenn er das nicht weiß!“, unterbrach Jandris ihn schnaubend.
„Natürlich weiß er – und auch Allby, aber wenn du mit mir hierbleiben würdest, würde auch der Dümmste seine Schlüsse daraus ziehen und das kann er nicht ignorieren.“ Djamyr saß im Bett und betrachtete Jandris der vor ihm auf und ab ging.
„Aber wenn du es nicht durchhältst?“ Jandris blieb stehen und sah ihn an.
„Dann kann er mich irgendwo zurücklassen. Ich werde nur nicht in diesem Haus bleiben.“ Allein der Gedanke an Allby ließ ihn schaudern. Niemals wieder würde der Mann ihm zu nahe kommen. Niemals!
Jandris war stehen geblieben, beobachtete ihn. Mit wenigen Schritten war er um das Bett gegangen und setzte sich neben Djamyr. „Djamyr, ich… es tut…“
„Hör auf!“, fuhr Djamyr ihn an. „Sag nichts. Nicht ein Wort. Keine Entschuldigung, kein Bedauern. – Bitte“, fügte er etwas sanfter hinzu. Jandris nahm seine Hand und sah ihn an. Er konnte den Schmerz und die Scham in den blauen Augen sehen.
„Jandris, es gibt nichts…“
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Jandris stand auf und öffnete. Ein schlanker, dunkelhaariger Diener stand vor der Tür und hielt Jandris ein kleines Stoffsäckchen hin. „Mein Herr Huru sagt, dein Leibwächter soll jeden Morgen, vor dem Aufstehen, eins dieser Fläschchen trinken. Vielleicht würde er so den Weg überstehen.“ Der Blick der braunen Augen wanderte über Jandris Schulter und betrachtete die Gestalt in seinem Bett. Mitleid lag in den braunen Augen. Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann verbeugte er sich und ging.
Neben ihm liegend hielt Jandris seine Hand und betrachtete ihn. Er konnte seinen Blick trotz der geschlossenen Lider spüren. Die Augen öffnend drehte er sich um und erwiderte den Blick. Es war dunkel, nur das zuckende Licht einer Kerze erhellte das Zimmer, warf Schatten auf Jandris Gesicht, machte es ihm unmöglich, den Ausdruck zu erkennen. Sachte zog er die geraden Linien mit einer Fingerspitze nach, strich über die geschwungene Unterlippe. Dann beugte er sich vor und küsste den Mund sanft. Für einen Moment versteifte sich Jandris, dann kam er ihm entgegen. Aus dem zärtlichen Kuss wurde mehr, sein Körper rutschte dichter an Jandris‘, er schlang seine Arme um ihn und zog in an sich heran.
Plötzlich wich Jandris zurück. „Djamyr, was… wir können nicht… du bist so…“ Die Sätze schienen sich nicht vollständig formen zu wollen, vielleicht weil Djamyr ihn wieder an sich heranzog.
„Still, amjaro“, flüsterte er in Jandris‘ Ohr, küsste die zarte Haut darunter, folgte der Kontur des Kiefer und küsste ihn wieder. Seine Hände hatten sich unter das Hemd geschoben, streichelte die weiche Haut. „Nicht reden. Ich brauche dich. Ich will die Erinnerung an deine Hände, deinen Mund, dein…“ Und seine Hand wanderte zwischen Jandris Beine. „Und deinen Geruch in meiner Nase. Bitte.“
Jandris konnte weder die Bitte, noch die Hände auf seinem Körper oder den Mund auf seinem ignorieren. Er half Djamyrs Hände, die begannen ihn auszuziehen und streifte seinerseits das raue Leinenhemd von Djamyrs Körper.
Viel schmaler erschien ihm die Gestalt in seinen Armen. Kraftvoll, muskulös und doch konnte er jeden Knochen spüren. Zärtlich streichelte er über die dunkle Haut, die Zeichen und sah angewidert auf das kleine Brandmal, dass Allby auf die Haut gesetzt hatte. Ein geschwungenes A in einem Kreis, wie es auf Allbys Siegelring.
Hatte Djamyr Erinnerungen daran? Es war schnell verheilt unter der Salbe, die Huru gleich darauf verteilt hatte. Gesagt hatte er nichts…
Djamyr zog ihn in einen Kuss und er verdrängte den Gedanken an Allby und was er dem Körper neben ihm alles angetan hatte, konzentrierte sich nur auf das Hier und Jetzt. Auf das leise Stöhnen, das aus dem Mund dran, als er seine Hand um den harten Schaft legte. Er bis sanft in den Hals, der sich ihm darbot und leckte über Brustwarzen, die sich hart zusammenzogen. Dann schob er sich zwischen Djamyrs Beine, ließ seinen Mund über die angespannten Bauchmuskeln tiefer wandern und legte sie letztlich um die Härte, die sich ihm verführerisch entgegenstreckte. Djamyrs unterdrücktes Stöhnen genießend nahm er sich der Aufgabe mit Hingabe an. Erst als er merkte, dass Djamyr kurz davor war, hörte er auf, wanderte weiter, das unwillige Knurren ignorierend.
Djamyrs Beine hochschiebend begann er alles mit seinem Mund zu erkunden, bis er ein leises ‚bitte‘ hörte und sich aufrichtete, Djamyr küsste und das Öl auf dem Tisch neben dem Bett ertastete.
Auf gar keinen Fall wollte er Djamyr wehtun, deshalb nahm er sich Zeit, bereitete sein Vordringen sanft vor, bis Djamyr ihn hochzog und er selbst in dem schwachen Licht, das brennende Verlangen sehen konnte. „Komm“, stieß Djamyr heiser hervor und Jandris folgte dem Wunsch. Die langsamen Bewegungen kosteten ihn alle Selbstbeherrschung, doch er wollte es bis zum Ende auskosten, es für Djamyr zu einer Erinnerung machen, die Allby aus seinem Kopf verdrängte. Immer wieder stoppte er seine Bewegungen, küsste nur den wunderschönen Mund, sah in die Augen, die ihn festhielten, nicht bereit waren, seinen Blick nur einen Moment loszulassen, so als müsse Djamyr sich versichern, dass er, Jandris, es war und nicht…
Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, sein Körper übernahm die Führung und er versuchte, ihr Stöhnen in Küssen einzufangen.
Wie sehr liebte er Djamyr! Dieser Gedanke schoss ihm zusammen mit den heißen Welle der Erlösung durch den Kopf.
Mit geschlossenen Augen genoss er die Finger, die zärtlich durch sein Haar und über seinen Nacken streichelten.
Nur noch wenige Stunden, bis sie aufbrechen würden. Möge Skratti, der auch der Gott der Rache war, dieses Haus dem Erdboden gleiche machen und den Herren des Hauses mit Sjukka moeggle schlagen. Dieser Krankheit, bei der der Körper des Erkrankten qualvoll langsam von innen verfaulte, wäre für jemanden wie Allby die angemessene Strafe.
„Warum seufzt du?“, fragte Djamyr leise. Jandris war es nicht bewusst gewesen, dass er geseufzt hatte.
„Hm, kein Gedanke, den ich jetzt aussprechen möchte“, antwortete er. „Nicht in deinen Armen, nicht in einem der wenigen Momente, die wir haben.“ Er wusste, er brachte damit die Realität in dieses Zimmer. Ein wenig hatte er Angst vor Djamyrs Reaktion.
„Der letzte Moment, den wir haben“, sagte dieser jedoch und ein tiefer Schmerz durchfuhr Jandris.
„Nein, sag das nicht“, murmelte er und rutschte hoch, bis er Djamyrs Gesicht sehen konnte.
„Doch, amjaro, es ist so. Bald wirst du heiraten und Livlia wird das Haus verlassen. Thordas wird mich mit ihr fortschicken.“ Mit einem traurigen Lächeln sah Djamyr ihn an. „Wir wissen es beide, Jandris, es ist besser es zu akzeptieren und es jetzt zu beenden.“
„Aber…“
„Nein. Kein Aber, es ist vorbei. Ich will nicht, dass dein Vater noch etwas gegen dich in der Hand hat. Du und ich würden nur zu unserem Untergang führen. Das wissen wir beide schon länger.“ Djamyr rollte sich über ihn. „Lass uns die Zeit nicht verschwenden.“ Er küsste Jandris, der sich bereitwillig von seinem Verlangen mitreißen ließ.
Still beobachteten die anderen Wachen, wie Djamyr am Morgen auf Zajuma stieg. Sein Gedicht sah schmal und blass aus, die Lippen fest aufeinander gepresst. Lange Zeit mussten sie auf den unruhig stampfenden Pferden warten, bis Thordas das Haus verließ. Jandris und Allby folgten ihm, während er seinen Blick über die Männer streifen ließ.
„Sehr schön, alle anwesend. – Allby, mein Freund, ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft.“ Die beiden Händler tauschten eine Umarmung, dann stieg er auf den schwarzen Hengst und setzte sich an die Spitze des Zuges. In leichtem Trab verließen sie das Anwesen des Händlers Allby.
Jandris sah die Blicke der anderen Männer, immer ritt einer von ihnen neben Djamyr und als es gegen Mittag einmal so aussah, als würde er den Halt verlieren, war sofort eine ausgestreckte Hand da, um ihn zu halten.
Ihm entgingen auch nicht die hasserfüllten Blicke, die die Männer Thordas zuwarfen. Ganz offensichtlich waren sie mit seinem Verhalten nicht zufrieden.
Am Abend fiel Djamyr mehr vom Pferd, als dass er abstieg, doch die anderen Männer kamen ihm zur Hilfe, waren da und kümmerten sich. Jandris war es egal, was sein Vater denken würde, er versorgte Zajuma, die keinen der anderen Männer an sich heran ließ. Druska sorgte dafür, dass Djamyr ein Lager bekam, Urias kümmerte sich um das Essen, auch wenn Djamyr kaum etwas von dem Fleisch anrührte, dass er an das Lager brachte. Müde schlief er sofort ein.
„Es gab Zeiten, da war ich stolz darauf, zum Hause des Thordas zu gehören, heute kann ich mich nur selber für diese Gefühle verachten.“ Druska saß am Feuer und spuckte auf den Boden. Urias nickte zustimmend.
„Ich hätte mich für ihn zerreißen lassen, früher – heute würde ich keinen Finger für ihn rühren“, flüsterte Varrel und wiederholte Druskas Geste.
„Er liefert einen der unseren, einen Mann, der sein Leben gerettet hat, einfach an Allby aus. Was wird er dem nächsten antun? Ihn töten, weil es Sopherus von ihm verlangt?“ Urias sah die anderen Männer an. „Ich habe noch nie etwas von Aufständen und Gewalt gehalten. aber in den letzten Wochen finde ich die Gedanken der Upvirag bei weitem nicht so verrückt, wie zu Anfang.“
Einstimmiges Nicken. Den Männern schien es völlig egal zu sein, dass Jandris neben ihnen saß. Vielleicht spürten sie, dass er nicht wie sein Vater war. Vielleicht dachten sie auch, dass seine Gefühle für Djamyr ihn von Dummheiten abhielten. Er war sich bewusst darüber, dass die Männer wussten – oder zumindest ahnten – was er für Djamyr empfand. Immerhin hatten sie Djamyr auch zum ihm gebracht, sicher, dass er ihm helfen würde.
Ihm helfen würde… Konnte man jemanden, den man liebte noch mehr verraten, als er das getan hatte? In schwermütigem Grübeln versunken blieb er neben den Männern sitzen, statt zu seinem Vater in das Gasthaus zu gehen.
Der nächste Tag war nicht viel besser. Eine erste Hitzewelle hatte das Land im Griff. Ungewöhnlich so früh im Jahr. Schweiß lief über ihre Gesichter und Körper, ließ die Kleider an ihnen kleben. Für Djamyrs geschwächten Körper musste es eine Tortur sein, doch mit unbewegtem Gesicht überstand er auch diesen Tag. Jandris wusste, dass es sein Wille war, der ihn morgens auf Zajuma aufsteigen und ihn den ganzen Tag auf ihrem Rücken bleiben ließ. Freiwillig würde er vor Thordas keine Schwäche zeigen. So sehr er sich Sorgen um ihn machte, so sehr bewunderte er ihn – und hasste Thordas dafür. Er hasste sich selber dafür, dass er nicht für Djamyr sorgte, so wie es die anderen Wachen machten. Dass er ihn vor diesem Ritt nicht bewahrte…
Erst spät ließ Thordas sie eine Rast einlegen. Jandris sah seine Blicke auf Djamyr, er betrachtete ihn genau, schien darauf zu warten, dass er zusammenbrach. Doch Djamyr stieg alleine vom Pferd und ging an Thordas vorbei in den Schatten. Druska kam und reichte ihm Wasser. Nachdem er ein wenig getrunken hatte, schloss er die Augen und lehnte den Kopf an. Thordas trat vor ihn, sah von oben auf ihn herab. Jandris sah die Anspannung, die alle Männer durchlief.
„Wie sieht es aus, Stappmakka, ich habe gehört, dass Steppenmänner wie du, von ihren Pferden jagen können. Ich würde das gerne einmal sehen“, sagte er und stieß mit seiner Fußspitze an Djamyrs Bein. Ein unwilliges Raunen ging durch die Männer.
„Es reicht, Vater“, sagte er und stellte sich vor Thordas. „Du siehst, dass Djamyr krank ist, lass ihn zufrieden.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Thordas ihn an. „Was interessiert dich der Steppenmann, mein Sohn? Muss ich mir Sorgen um dich machen?“
„Nein, du solltest dir Sorgen um deine Männer machen.“ Das konnte Thordas jetzt so oder so verstehen. „Was für einen Nutzen hast du, wenn du ihn umbringst? Und hast du Livlia nicht versprochen, dass du ihn ihr wieder mitbringst?“
„Du hast Recht, ich habe ihn Xerxus als Mitgift versprochen, es wäre ärgerlich, wenn er Ersatz verlangen würde.“ Thordas warf Djamyr einen letzten, bedauernden Blick zu. „Esst und trinkt, wir reiten bald weiter“, sagte er zu den Männern, die sich alle um sie versammelt hatten, dann drehte er sich um und suchte sich selber etwas abseits einen schattigen Platz.
Jandris hockte sich neben Djamyr und reichte ihm noch einmal den Schlauch. „Trink!“, sagte er nachdrücklich. „Huru hat gesagt, du musst viel trinken.“
„Danke“, sagte Djamyr und nahm ihm den Schlauch aus der Hand. „Ich hätte es heute nicht gekonnt.“
„Er ist so… - Er ist mein Vater und ich hasse ihn!“, sagte Jandris leise.
„Er ist ein ripujanza, ein – Scheusal“, sagte Djamyr. Seine Augenlider flackerten.
„Schlaf ein bisschen“, flüsterte Jandris und strich ihm vorsichtig über den Handrücken. Wie gerne würde er sich vorbeugen und die schwarze Locke aus dem Gesicht streichen. Doch schon allein diese Geste war nicht möglich, ohne Gefahr zu laufen, dass jemand sich berufen fühlte, sie zu verraten.
Lange Pause gewährte Thordas ihnen nicht. Rücksichtslos trieb er sie bald wieder auf die Pferde und weiter bis die Sonne unterging. Wieder beobachteten die eisgrauen Augen Djamyr, seinen Weg vom Pferd zum Lager.
Jandris nahm Zajuma und wollte sie mit Yuris zum Wasser führen, als Thordas‘ Stimme hinter ihm ertönte: „Stappmakka, kümmere dich selber um dein Pferd. Mein Sohn ist kein Pferdeknecht.“
Ein Raunen ging durch die Männer. Djamyr hob den Blick und in seinen Augen stand so viel Hass, dass Jandris fast befürchtete, er würde sich auf Thordas stürzen. Langsam stand er auf und sie alle sahen das Zittern, das seinen Körper schüttelte. Ohne ein Wort zu sagen, ging er langsam zu Zajuma.
„Vater…“
„Halt den Mund! Seit Tagen sehe ich mir an, wie du dich zum Diener für diesen Sklaven machst. Jetzt ist Schluss damit. – Mach deine Arbeit, Stappmakka, oder bleib hier zurück!“
Einen Moment spürte er den Willen der Männer sich auf Thordas zu stürzen, doch die Jahre des Gehorchens hatten ihre Spuren in den Männern hinterlassen, die vor dem entscheidenden Schritt der Auflehnung zurückschreckten.
Djamyr flüsterte Zajuma leise etwas zu, das die Stute schnaubte ließ. Ohne, dass er sie berührte, folgte sie ihm zu dem kleinen Wasserlauf in ihrer Nähe. Alle Augen starrten ihm nach, es war ihm, als könne er die unterschiedlichen Gefühle spüren. Den Hass von Thordas, das Mitgefühl der anderen Wachen und das Schuldgefühl von Jandris. Mit wenigen Griffen löste er den Sattel und die Stute senkte sofort ihren Kopf zum kühlenden Wasser.
„Er wird erst aufhören, wenn du deine Schwäche zugegeben hast“, sagte Druska, der seinen Wallach ebenfalls zum Wasser führte.
Djamyr zuckte nur mit den Achseln. „Wenn es sich für ihn lohnt, darauf zu warten…“
„Ich bewundere dich für deinen Willen.“ Druska warf einen Blick über Djamyrs Schulter auf Thordas. „Aber er ist sehr hartnäckig.“
„Wenn ich aufgebe, bin ich tot“, erwiderte Djamyr. „Niemals werde ich vor ihm eine Schwäche gestehen, niemals um Gnade winseln.“
„Der Weg bis Wignana ist weit, Djamyr, und Thordas wird sich noch die eine oder andere Gemeinheit ausdenken. Sei auf alle gefasst.“ Kurz legte Druska ihm die Hand auf die Schulter.
Djamyr nickte. Ja, er wusste, dass der Weg lang und schwer werden würde.
Dank Hurus Medizin ging es ihm jeden Tag ein wenig besser, ein Umstand, der Thordas nicht zu gefallen schien. Jeden Tag wurden die Strecken länger und mit zunehmender Hitze für alle unerträglich. Spät erst ließ Thordas sie ihr Lager aufschlagen. Gereiztheit hatte sich im Lager breitgemacht. Ein Donnergrollen zeigte an, dass der großen Hitze bald der Regen folgen würde.
Djamyr hatte das Gefühl, das Fieber sei zurückgekehrt. Sein Körper schien zu verglühen und ein unerträglicher Durst beherrschte ihn. Er war froh, endlich ruhen zu können, als er jedoch Thordas auf sich zukommen sah, wusste er, dass ihm Ärger bevor stand.
„Ich weiß, jeder denkt, du bist krank und kannst nicht deine Pflicht erfüllen, darum bemitleiden sie dich und übernehmen deine Wachen.“ Thordas Augen funkelten. „Nachdem du dich jetzt tagelang ausgeruht hast, kannst du heute die dritte und vierte Wache übernehmen.“ Einen Moment kreuzten sich ihre Blicke.
„Sicher, Herr“, antwortete er und wandte sich wieder Zajuma zu.
Gleich nachdem er etwas gegessen hatte, legte er sich hin, versuchte zu schlafen. Er war so müde und wusste, es würde ihm schwerfallen, zwei Wachen hintereinander durchzuhalten. Warum hasste Thordas ihn so sehr? Warum wollte er ihn brechen? Mit geschlossenen Augen lauschte er Urias, der mit tiefer Stimme die rauen Weisen seiner Heimat sang, während er seinen Gedanken nachhing.
Die Städte Wignana, Troos und Skjaja bildeten geografisch ein Dreieck im Herzen Allragöst, das weder über einen König noch einen anderen absoluten Herrscher verfügte. Sie waren die drei einflussreichsten Handelsstätte.
Allragöst zog sich von der Küste des Nordmeers weit hinunter in den Süden, bis an die Ufer des Graenfloedd an dessen anderem Ufer das Reich Brukkrak lag. Brukkrak war ein Königreich, dessen Herrscher, König Vikka, Handel mit dem Küstenstaat führte. Im Osten lag Leyros, ein raues und wildes Gebirge, das von dem Volk der Ley besiedelt war, die sich mit der unwirtlichen Umgebung arrangiert hatten. Leyros zu überqueren war nur mit dem Einverständnis und der Führung der Ley möglich. Im Westen lag die Wüste Smyrth. In ihr lebten die Smyrtha, ein stolzes Nomadenvolk, das die Händlerkarawanen durch die Hitze der Wüste nach Salalla, der großen Stadt an der Einmündung des Graenfloedd ins Westmeer, führte. Nördlich von Smyrth, jenseits des Graenfloedd lag das nicht sehr hohe, doch sehr lang gezogene Kryrk – Gebirge. Dahinter lag das Weite Land: Djistesteras.
Die politischen Entscheidungen in Allragöst traf ein Gremium, der hohe Rat, das aus den reichsten Handelsherren, den Richtern, der drei großen Städte bestand, das einmal im Jahr in voller Stärke zusammentrat. Die restliche Zeit wurde es von den abgesandten Vertrauten der Richter im Sinne der Gremiumsentscheidungen verwaltet.
In Skjaja war Thordas, als reichster Händler Allragöst, der höchste der elf Richter, die die Stadt in dem hohen Rat vertraten.
Alle dieser Richter waren Händler, dementsprechend trafen sie jede Entscheidung aus wirtschaftlicher Sicht. Unbeachtet blieben dabei die menschlichen Aspekte.
Die Städte waren voller Menschen, die von dem, was sie verdienten, kaum ausreichend leben konnten, während einige reiche Händler im Überfluss lebten. Dazu kamen die Sklaven, die gar nichts besitzen durften, die weniger wert waren, als die Pferde ihrer Herren. Rechte hatten nur die Wohlhabenden – und wenn sie nicht im Recht waren, kauften sie es sich.
Unzufriedenheit und Neid, Hunger und Not, schürten Hass, den Nährboden für die Upvirag.
Die Reichen reagierten auf die Bedrohung durch die Upvirag mit dem einzigen, was ihnen sinnvoll schien: sie verstärkten ihre Wachen, erhöhten den Schutz, zur Verteidigung ihrer Güter.
Immer wieder kam es zu Übergriffen dieser Wachen auf Unschuldige, die in ihren Augen schuldig ausgesehen hatten, sich zu lange dem Eigentum eines Händlers genähert oder es auch nur betrachtet hatten. Die Sklaven oder Besitzlose hatten keine Chance, sich gegen diese Behandlung zu wehren. Ein Sklave durfte nicht nur nach Belieben seines Herren geschlagen werden, er durfte verstümmelt oder getötet werden.
Wenn Thordas wollte, könnte er Djamyr töten, zurzeit jedoch wollte er ihn demütigen, ihn zwingen, seine Schwäche zu zeigen. Niemals! Nicht vor Thordas! Lieber sterben, als sich vor dem verhassten Mann beugen.
Wie konnte sich ein Mann als Herr über andere Männer fühlen? Ein Mann konnte stärker, schneller, geschickter bei der Jagd oder erfolgreicher bei dem Finden eines Gefährten sein, aber er konnte nicht Herr, Gebieter über andere Männer sein. Ein Mann – und auch eine Frau – wurde an seinem oder ihrem Wert für die Gemeinschaft beurteilt. Keiner durfte über andere entscheiden, ihren Gehorsam erzwingen oder sie aus reinem Vergnügen demütigen oder quälen. – In der Sippe musste ein Mann, der für die Jagd verantwortlich war, beweisen, dass er der beste, geschickteste cadjatio, Jäger, war. Wollte jemand sie in einen Kampf führen, musste er beweisen, dass er nicht nur der tapferste, sondern auch der weiseste djurejio, Anführer im Kampf, war. Und nur wer zeigte, dass er langfristig planen konnte, konnte Testajo werden.
Und hier? Hier herrschte der Mynth, bestimmte das Denken, das Handeln und teilte die Menschen in Herrscher und Beherrschte. Er hasste diese Welt mit ihren unverständlichen Regeln!
Trotz seiner Erschöpfung gelang es ihm erst spät einzuschlafen, zu viele Gedanken gingen durch seinen Kopf. Zu viel Hass auf Thordas glühte in seinen Adern.
Ein unsanfter Tritt gegen seinen Fuß weckte ihn und Djamyr schreckte hoch. Einen Moment dauerte es, bevor er Thordas erkannte, der vor ihm stand.
„Deine Wache, Stappmakka“, sagte er, drehte sich um und ging weg. Sein Kopf war schwer und müde, doch er stand sofort auf und ging aus dem Schein des Feuers, wo Varrel im tiefen Schatten saß. Wortlos tauschten sie die Plätze und Djamyr lehnte sich gegen denn Baum. Schon nach kürzester Zeit kämpfte er gegen den Schlaf, die Erschöpfung, die ihm immer wieder die Augen schließen wollte. Die Anstrengung des Tages lastete auf ihm ebenso wie das Gift, das seinen Körper immer noch nicht vollständig verlassen hatte.
„Schlaf“, flüsterte plötzlich leise Druska neben ihm. „Ich halte Wache.“
Djamyr wusste, reden konnten sie jetzt nicht, da Thordas sie nicht hören durfte, sonst würde er sie beide bestrafen. Dankbar schloss er die Augen und ließ sich in den Schlaf gleiten. Der Horizont färbte sich schon leicht, als ihn ein sanftes Schütteln weckte. Djamyr sah in Jandris‘ Gesicht, das sich dicht vor seinem befand.
„Die zweite Wache ist fast vorbei, du kannst Urias wecken, er übernimmt jetzt“, flüsterte Jandris und strich ihm leicht durch das Gesicht.
„Hast du Wache für mich gehalten?“, fragte Djamyr und Jandris nickte nur kurz, dann verschwand er mit einem Lächeln.
Die Reise von Troos nach Wignana dauerte 10 Tage. Jeden Tag forderte Thordas Djamyr. Egal, ob er doppelte Wache halten musste oder nach fünf Tagen für die Jagd verantwortlich war. Die erste Jagd beobachtete Thordas genau. Sie rasteten den ersten Tag in der Ebene Slaedd, die sie vier Tage lang überqueren würden. Eine Grasebene, die an das Weite Land erinnerte. Am Mittag war Thordas zu ihm gekommen und hatte verlangt, dass er ihm zwei Hasen, die es in ausreichendem Maße auf der Ebene geben sollte, jagen sollte.
„Ich will die Technik der Stappmakka sehen“, sagte er und grinste ihn an. Wie immer seit Beginn der Reise lag ein gefährliches Funkeln in seinen Augen. „Du jagst sie vom Pferd, tötest sie und bringst sie mir, ohne vom Pferd zu steigen.“
Statt zu antworten senkte Djamyr nur den Kopf. Dies war, vorausgesetzt es gab genügend Hasen, keine Herausforderung.
Alles so vertraut: der Bogen in seiner Hand, Zajuma, die dem Druck seiner Oberschenkel gehorchte, der Geruch von Gras und Weite. Leicht trabte Zajuma an und er ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen, da sah er den braunen Körper im Gras, der sich eng an den Boden schmiegte. Djamyr wusste, dass ein Pfeil reichen würde, ohne dass der Hase fliehen konnte, doch das war nicht das, was Thordas sehen wollte. Er würde den Hasen aufscheuchen und ihn auf der Flucht töten müssen. Mit leichtem Druck lenkte er Zajuma auf den Hasen zu, der schnell die Gefahr erkannte und mit weitem Hakenschlagen floh. Zajuma reagierte sofort und sie jagten ihm ein Stück hinterher, Djamyr hob den Bogen, verfolgte kurz das Ziel über den Pfeil hinweg und entließ ihn sirrend aus dem Bogen. Im Sprung wurde der Hase getroffen, herumgewirbelt und blieb auf der Seite liegen. Als Djamyr sich dem Tier näherte, schoss ein zweiter Hase aus dem Gras und versuchte seinem Schicksal zu entgehen, der umgehend geschickte Pfeil traf ihn jedoch, bevor er überhaupt einen Haken schlagen konnte.
Da er wusste, was Thordas sehen wollte, ritt er mit Zajuma einen Bogen und ließ sie schneller werden, dann beugte er sich aus dem Sattel und sammelte die beiden Hasen ein. Langsam trabte er zu Thordas, der ihm mit ausdrucksloser Miene entgegen sah.
„Wenn wir zurück sind, Stappmakka, wirst du meine Pferde trainieren und meine Wachen. Ich will, dass sie mit Pfeil und Bogen töten können, ohne ihr Pferd zu verlassen und dieses auch im Galopp noch beherrschen.“ Er drehte sich um und ging zu seinem Lagerplatz.
Djamyr ließ sich von Zajuma gleiten und gab die beiden Hasen Novias, der für das Kochen zuständig war, dann führte er Zajuma zu den anderen Pferden.
„Das war großartig, Djamyr“, sagte Urias und schlug ihm leicht auf die Schulter.
„Ja“, sagte Druska. „Ich habe mich immer schon gefragt, warum dein Sattel anders ist als unsere. Mit unseren wäre das stehend reiten schwierig und das seitwärts herunterhängen eigentlich nicht möglich.“
Djamyr lächelte. „Da es Thordas‘ Wunsch ist, dass seine Wachen ebenso jagen können, werdet ihr bestimmt geeignete Sattel bekommen“, sagte er zu Druska.
„Wir sollen deine Art zu reiten lernen?“
„Meine Art vom Pferd zu töten“, korrigierte Djamyr.
Am Nachmittag begann der Regen, dessen dunkelgraue Wolken schon seit geraumer Zeit am Horizont gedroht hatten. Ein Sturm mit Blitz und Donner zog über das Land und durchnässte sie in kürzester Zeit bis auf die Haut. Unbeirrt und gegen jeden Ratschlag, trieb Thordas sie weiter. Sie seien schon nass, was solle ihnen also noch passieren, erklärte er gegen das Rauschen des Regens schreiend. Das Gras war rutschig, in der Dunkelheit der fast schwarzen Gewitterwolken waren die Unwägbarkeiten nicht zu erkennen. Mehrmals kamen Pferde ins Rutschen, glitten weg und stolperten in Senken. Ein Wunder, dass sich kein Pferd ein Bein brach. Erst, als sie an der Furt eines normalerweise schmalen Flusslaufes ankamen, der sich verdoppelt hatte und nicht zu überqueren war, ließ Thordas sie halten. Weit und breit kein Schutz. Im ohne Unterlass strömenden Regen bauten sie Zelte auf.
„Stappmakka, du übernimmst die ersten beiden Wachen“, befahl Thordas, ungeachtet der Blicke der anderen Männer. Djamyr nickte nur. In ein Cape eingehüllt setzte er sich an den Rand des Lagers. Thordas saß im Eingang seines Zeltes und beobachtete ihn unverwandt. Hatte er Verdacht geschöpft, dass die anderen ihm bei den letzten Wachen abgelöst hatten? Doch heute war das nicht nötig, es ging ihm besser und er würde seine Pflicht erfüllen. Jede Pflicht, die ihm Thordas aufzuerlegen gedacht. Solange, bis es Zeit wurde, diese Rechnung zu begleichen…
Es war wie ein Geruch, wie eine Witterung in der Luft, die ihn aufmerksam machte. Der Regen prasselte laut, Djamyr streifte die Kapuze ab, lauschte, legte dann das Cape zur Seite und verschwand in der Dunkelheit, um festzustellen, ob ihnen Gefahr drohte.
Langsam bewegte er sich um das Lager herum, immer tief zwischen den Bäumen bleibend. Eine Veränderung des Schattens vor ihm, hielt ihn gerade noch davon ab, in einen schwarz gewandeten Mann zu laufen, der an einen Baum gelehnt stand und das Lager beobachtete. Von seinem Standort aus, konnte der Mann das Zelt der Wachen sehen, die es geschafft hatten, ein kleines Feuer zu entzünden. Im Widerschein erkannte Djamyr, genau wie der Beobachter, ihre Silhouetten.
Mit vorsichtigen Bewegungen schlug er einen Bogen, bewegte sich weiter und stieß auf zwei weiter Männer, die sich im Schatten verbargen. Vermutlich waren es mehrere, die sich in einem Halbkreis um das Lager postiert hatten. Hinter dem Lager befand sich das Wasser des Flusses. Keine Möglichkeit um zu entkommen.
Djamyr befand sich jetzt fast am Ufer des Flusses. Der Mann hier musste der letzte auf der linken Seite sein. Leise näherte er sich und bevor der Mann reagieren konnte, hatte er ihm die Kehle durchgeschnitten. Hier ging es nicht um Kampf, um Gerechtigkeit, hier ging es um das Leben der Männer im Lager, des Mannes, der sein Schicksal war. Selbst wenn er sie warnen würde, wären ihre Chancen gering. Wenn allein in diesem kleinen Abschnitt drei Männer waren, wie viele mochten es insgesamt sein?
Leise schlich er weiter, musste so viele von ihnen töten, wie ihm möglich war. Es blieb ihm noch Zeit, da sie erst angreifen würden, wenn sie sicher waren, dass die Männer schliefen.
Der nächste Mann war groß und muskulös. Im Tod fiel er jedoch genauso lautlos zusammen, wie die Anderen.
Wer waren diese Männer? Wegelagerer, die nur ihr Leben und die Mynth ihres Herren wollten? Oder Upvirag, die hier einen ihrer Kämpfe führten. – Würden sie alle Wachen gnadenlos töten?
Der dritte war einfach, er war unaufmerksam und hockte neben seinem Baum. Die nächsten musste er erst in den Schatten finden. Vier und fünf stellten keine großen Probleme dar. Sechs hatte er gerade in den Schatten entdeckt, da hörte er von der linken Seite einen Schrei.
„Verrat, Silius ist tot. Silius ist tot.“
Ohne darüber nachzudenken tötete er den Mann vor sich und rannte zum Lager, stieß einen schrillen Pfiff auf und sah Zajuma auf sich zu kommen. Druska trat vollbewaffnet aus dem Zelt.
„Schnell, es sind viele, die meisten kommen von rechts“, rief er und schwang sich ohne Sattel auf Zajumas Rücken, jagte den Gestalten entgegen, die aus dem Wald auf sie zu stürmten, dabei die Zwillingsschwerter aus ihren Scheiden ziehend.
Was für ein Anblick musste Djamyr den Angreifern bieten? Die Schwerter blitzten, er jagte schwarz wie Djarvul auf sie zu. Jandris, der mit den Wachen vor das Zelt getreten war, sah wie er auf die aus dem Wald stürmenden Angreifer zu ritt und das Blitzen der Klinge. Es ging schnell und die meisten Angreifer, flohen, bevor sie das Lager erreicht hatten. In der finsteren Nacht und dem tosenden Sturm, der jetzt wieder die Szene mit grellen Blitzen erhellte, sah Djamyr furchteinflößend aus. Zwei Angreifer wurden von Druska abgefangen und einem brach Urias mit den bloßen Händen das Genick. In kürzester Zeit war der Spuk vorbei und nur die Leichen blieben zurück.
Jandris lief Djamyr entgegen, als er auf Zajuma zurück zum Lager kam. Hielt ihn kurz fest, als er vom Rücken des Pferdes rutschte. Sah das Zusammenzucken und dann die Wunde an Djamyrs Oberschenkel. Eine Schwertwunde, das Blut war auf der dunklen Hose und im strömenden Regen nicht zu erkennen. Schnell brachte er ihn in das Zelt der Wachen. Novias trat zu ihm und sah sich die Verletzung an. Auch wenn er kein Heiler war, nahm er unterwegs dessen Aufgaben wahr.
„Du hast Glück, Djamyr, nicht mehr als ein Kratzer“, sagte er und lächelte ihn an.
„Ich weiß“, antwortete Djamyr und ließ sich von ihm die Wunde verbinden, nachdem er die nasse Hose abgestreift hatte.
„Du hast unser Leben gerettet“, sagte Druska, der neben ihn getreten war.
„Dafür sind Wachen da, mein Freund, um das Lebend der anderen zu schützen“, entgegnete Djamyr.
Jandris saß immer noch dicht neben ihm, berührte ihn an der Schulter und er war im Moment für die kleinste Berührung dankbar, die Erschöpfung kehrte zurück, überrollte ihn.
Nach und nach kamen alle Wachen zurück in das Zelt, setzten sich im Halbkreis um Djamyr und tranken schweigend Druval, während sie ihren Gedanke nachhingen. Nur Thordas ließ sich nicht blicken. Urias wusste zu sagen, dass es ihm gut ginge und er sein Zelt verschlossen hätte. Offensichtlich wollte er nicht gestört werden.
„Wir werden morgenfrüh die Leichen verbrennen, bevor wir unseren Weg weiter fortsetzen“, sagte Druska und alle nickten.
„Ihr übergebt sie dem Feuer, auch wenn sie Mörder waren, die euch töten wollten?“, fragte Djamyr ungläubig. „Wir würde sie den Wölfen und Schakalen überlassen!“
„Gibt es auch bei euch solche Wegelagerer?“, fragte Jandris.
„Ja“, sagte Djamyr und nickte. „Ausgestoßene, die sich zusammenschließen oder manchmal Gruppen aus Brukkrak, die über den Lyndrom kommen. Manchmal Sklavenfänger, die über Salalla und Kryrk kommen.“
„Haben dich diese Sklavenfänger hergebracht?“, fragte Druska.
„Ja, aber sie haben mich nicht eingefangen, sondern Myram, der testajo, einer anderen Sippe hat mich und Zajuma an eine Gruppe von Sklavenfängern verkauft“, antwortete Djamyr mit einem traurigen Lächeln.
„Und wieso konnte er das?“, fragte Urias.
„Wir hatten einen Kampf um das Jagdgebiet. Der Winter war hart, zu wenig Beute für zu viele Sippen. Wir waren uns zu nahe gekommen und hatten schon mehrmals um die Beute gerungen. Doch mich hat er nicht im Kampf besiegt, sondern hinterrücks beim Tränken der Pferde überwältigt. Zusammen mit Shalym, der mit mir an diesem Tag für die Tiere verantwortlich war. Ich habe keine Ahnung, was sie mit Shalym taten, ob sie ihn auch dem Sklavenhändler übergaben, ihn töteten oder… Ich weiß es nicht. Nur, dass ich zusammen mit Zajuma an diesen Sakkio verkauft wurde und in Salalla auf ein Schiff verladen wurde, dass uns nach Wignana zum Sklavenmarkt brachte. Von dort ging es nach Troos und dann nach Skjaja.“
„Warum hat Allby dich nicht gekauft?“, fragte Urias.
Djamyr lachte bitter auf. „Weil Sakkio mich nicht angeboten hat. Er wollte mich brechen, bevor er mich einem reichen Händler verkaufte. In Skjaja war ihm klar geworden, dass er das nicht schafft und darum hätte er mich getötet, wenn wir die Stadt verlassen hätten.“
„Zum Glück war Livlia da und hat dich gerettet“, sagte Jandris leise.
„Manchmal frage ich mich, ob das wirklich ein Glück war“, sagte Djamyr und warf Jandris einen traurigen Blick zu.
„Warum sitzt ihr alle im Zelt? Meint ihr, heute Nacht brauchen wir keine Wache mehr?“ Thordas‘ Stimme ließ sie zusammenfahren. Mit in die Hüfte gestemmten Händen stand er im Zelteingang. „Wer vernachlässigt seine Wache?“
„Ich, Herr“, sagte Djamyr und ihre Blicke begegneten sich durch das Zelt. „Wenn Ihr darauf besteht, Herr, werde ich die Wache wieder aufnehmen.“
Thordas sah von einem zum anderen, schien die Reaktion der anderen abzuschätzen und wandte sich dann an Urias. „Geh und übernimm die Wache!“ Damit drehte er sich um und ging.
„Irgendwann wird er diesen Bogen überspannen“, sagte Druska grollend. „Wieder hast du sein – unserer aller Leben gerettet und er kann es dir nicht danken!“
„Er hasst mich, auch wenn ich nicht weiß, warum.“ Nachdenklich starrte Djamyr auf den Zelteingang.
„Er hasst dich nicht“, flüsterte Jandris, so leise, dass nur Djamyr es verstehen konnte. „Ich wollte es nicht sehen, doch gerade ist es mir klar geworden. Er muss beobachtet haben, was Allby…“ Jandris warf einen Seitenblick auf Djamyr, sah wie sich sein Gesicht verschloss. „Er begehrt dich, will dich und will genau das nicht. – Ich habe es schon einmal erlebt. Ein Svjardvalsten, Persio, er kam aus dem Süden Brukkrak, mit dunkler, samtiger Haut und rotbraunen Haaren. Er hat ihn in jeden Kampf geschickt, hat ihn hart von Maknas trainieren lassen. Immer härter, immer unbarmherziger. Zuletzt hat er ihn Soelstyn kämpfen lassen…“ Jandris schwieg, er erinnerte sich auf einmal an den jungen Mann, mit den ungewöhnlichen rotbraunen Haaren. Das war viele Jahre her und er selber war noch sehr jung gewesen. Es war der erste Finalkampf der Soelstyn, zudem sein Vater ihn mitgenommen hatte. Die Arena war ausverkauft, die Stimmung laut und aufgeheizt. Thordas hatte neben ihm in der Loge gesessen und die beiden Kämpfer fixiert. Zum ersten Mal nach so vielen Jahren dachte er an diesen Kampf, der so blutig und brutal gewesen war, wie kaum ein anderer. Er hörte das Schreien, als der Gegner Persio die Hand abschlug. Danach wurde es ein Gemetzel. Statt seinen Gegner ehrenvoll zu töten, hatte der andere Svjardvalsten ihn verstümmelt und erst ganz zum Schluss getötet. In der Arena war es still geworden. Keiner der Anwesenden hatte so etwas bisher erlebt. Er selber hatte sich an seinem Vater festgeklammert und geweint. Er kannte den fröhlichen und immer lächelnden Persio, der dort untern in Stücke geschlagen in der Arena lag. Als er es realisiert hatte, hatte er sich neben seinen Sitz erbrochen. Sein Vater jedoch war aufgestanden und hatte begonnen zu klatschen.
Später in der Kutsche, die sie zurück auf das Anwesen brachte, hatte er geweint. In der Annahme, Jandris schliefe neben ihm und hatte er seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Erst hatte Jandris nicht verstanden, warum Thordas weinte, dann sah er die Armschiene des Persio in seiner Hand. Mit braunen Blutflecken, doch unverkennbar mit dem eingebrannten Adler. Persio hat diese Armschiene immer getragen und jetzt durchnässten Thordas Tränen sie. – Genauso war es jetzt bei Djamyr, er begehrte ihn und wollte ihn dafür brechen und vernichten.
„Du musst fort“, flüsterte er heiser, tausend Bilder schossen ihm durch den Kopf. Wie konnte er so blind sein?
„Nein, noch nicht.“
„Doch, er wird dich töten. Er ist besessen von dir und dies endet erst mit deinem Tod!“ Jandris hatte die Stimme erhoben, die anderen Männer hoben den Blick und er schwieg, biss sich auf die Unterlippe. Wie gerne würde er mehr sagen, Djamyr erklären, warum er unbedingt fort musste. Doch das ging nicht hier, vor den Augen und Ohren der anderen Männer.
Am nächsten Morgen verbrannte sie die Leichen der Männer. Zwölf tote Männer, die meisten davon durch Djamyrs Hand gestorben. Sie alle wussten, was passiert wäre, wenn die Männer über sie hergefallen wären, wenn zwölf hier tot lagen, waren bestimmt ebenso viele vor dem furchteinflössenden Anblick Djamyrs geflohen. Wenn sie vierundzwanzig bewaffnete Männer im Schlaf überrascht hätten, dann hätte keiner von ihnen überlebt. – Und Thordas hatte es riskiert, in dem er einen kranken, geschwächten Mann zur Wache, zur Doppelwache einteilte. Was, wenn Djamyr den Schatten nicht gesehen hätte? Eingeschlafen wäre vor Erschöpfung und dank des Giftes, das Allby ihm mit Erlaubnis ihres Herren Thordas eingeflößt hatte? Die Unzufriedenheit, der Unwille gegen Thordas nahm mit jedem Tag zu. Alle kamen ihren Pflichten nach, doch keiner war mehr mit dem Herzen bei seiner Aufgabe.
Immer öfter stellte sich Jandris vor die Männer, vor Djamyr, stellte sich der Wut und dem Ärger seines Vaters. Kurz vor Wignana stritten sich Vater und Sohn lautstark. Alle Männer saßen angespannt im Halbkreis um das Feuer und lauschten, doch die Worte konnten sie nicht hören.
„Ich werde nicht zulassen, dass es ihm ergeht wie Persio“, waren die ersten Worte, die sie verstanden. Ein lautes Klatschen war die Antwort, dann Stille. Djamyr war aufgesprungen, bereit einzugreifen. Angestrengt lauschten sie, doch es war nichts zu hören. Langsam begann Djamyr sich dem Zelt zu nähern. Er hatte es fast erreicht, da hörte er Jandris. „Das tust du nie wieder. Wag es nicht Djamyr noch einmal anzurühren. Du hast Persio damals für deine Gefühle getötet, das wirst du diesmal nicht tun! – Sonst werde ich dich töten!“ Die eisige Kälte der Worte war Versprechen genug. Die Zeltbahnen öffneten sich und Jandris trat heraus. Fast lief er in Djamyr, der ihn anstarrte. Mit einem leichten Kopfschütteln deutete Jandris an, dass er jetzt keine Fragen stellen sollte und ging weiter, weg von dem Lager.
Djamyr sah zum Feuer, demonstrativ drehten sich alle Köpfe weg, mit einem kurzen Lächeln folgte er Jandris. Ein kleiner Wasserlauf, nicht mehr als ein Rinnsal führte dicht an dem Lager vorbei. Ein paar Agroen weiter wurde daraus ein reißender Fluss.
Jandris stand an dem Rinnsal und starrte in das dunkle Wasser.
„Djamyr, du musst von ihm fort.“ Jandris fuhr herum und legte seine Hände auf Djamyrs Schultern.
„Nein, du weißt, dass ich nicht gehe. Was könnte Thordas mir jetzt noch antun?“ Er legte seine Hände auf Jandris‘.
„Er wird erst Ruhe geben, wenn du tot bist“, flüsterte Jandris. „Er tötete Persio, weil dieser das gleiche Begehren in ihm weckte, wie du. Er will dich und das kann er nicht zulassen. Du musst für sein Verlangen sterben. – Und ich kann das nicht zulassen. Bitte, Djamyr, geh.“ Im Widerspruch zu seinen Worten zog er ihn an sich heran. In der Dunkelheit konnten sie einander nur erahnen. „Du weißt, dass ich dich liebe, Aelskjar. Ich würde alles für dich tun.“ Zart drückte er seine Lippen auf Djamyrs Stirn. „Ich kann nicht zusehen, wie er dich tötet.“
„Ich werde nicht gehen, Jandris. Du weißt, dass ich noch eine Schuld zu begleichen habe. Erst dann kann ich gehen.“ Sein Körper schmiegte sich an Jandris, glücklich den geliebten Körper zu spüren, zeitgleich das Land und seine Regeln verdammend.
Eilliana war glücklich ihren Bruder zu sehen und er war froh, sie so zufrieden zu sehen. Ihr Bauch wölbte sich und in zweieinhalb Monaten sollte sie ihr erstes Kind bekommen. Aufgeregt versuchte sie, alles, was sie erlebt hatte, in wenigen Worten zu erzählen.
„Ruhig, Eiiliana, setzt dich erst einmal. Ich werde mir alles anhören, was du zu erzählen hast“, sagte Jandris mit einem Lächeln und zog sie neben sich auf einen Stuhl.
„Es ist nur so schön, jemanden von Zuhause zu sehen“, sagte sie und lächelte ihn an. „Die Menschen sind hier sind sehr gut zu mir, aber es ist nicht Zuhause!“
„Wie geht es Andris?“
„Gut, wenn Sopherus ihn nicht für seine Geschäfte benötigt“, sagte sie seufzend.
„Und das kommt oft vor“, stellte Jandris mit einem Blick auf seine Schwester fest, die den Kopf abwandte, damit er die Tränen in ihrem Gesicht nicht sah.
„Aber wenn er da ist, dann ist er … Er freut sich auf das Kind, wir lachen viel…“ Mit einem Lächeln sah sie ihn an. „Dann bin ich wirklich glücklich! – Sopherus ist freundlich zu mir, doch er macht mir – etwas Angst. Wenn wir alleine sind, weil er Andris fortgeschickt hat, dann betrachtet er mich oft so merkwürdig, dass ich eine Gänsehaut bekomme.“
„Ja, Sopherus ist ein merkwürdiger Mann“, sagte Jandris und dachte an das Karldryk, das er den Hochzeitsgästen nach dem Essen gegeben hatte.
Drei Tage blieben sie in Wignana und führten Verhandlungen mit Sopherus. Andris war dabei anwesend, doch er seine Meinung wurde von Sopherus nie eingeholt. Still saß er daneben und beobachtete das Gespräch.
Am letzten Abend, nachdem er sich eigentlich schon zur Nachtruhe verabschiedet hatte, ging Jandris noch einmal hinunter zu dem Zimmer, in dem Sopherus und Thordas zusammen saßen. Die Wachen hatten noch keine Anweisungen bezüglich ihres Aufbruches erhalten und er wollte Thordas fragen, wann er am nächsten Tag aufzubrechen gedachte.
Ins Gespräch vertieft hörten ihn die beiden Männer nicht eintreten. Die Köpfe zusammengesteckt redeten sie leise.
„Natürlich kann ich euch von dem Karldryk etwas verkaufen, doch das wird euch ein paar Mynth kosten“, sagte die kratzige Stimme Sopherus‘.
„Das ist egal, ich brauche es nach Soelstyn, wenn Jandris mit seiner Braut für einige Wochen das Land verlässt“, antwortete Thordas und Jandris konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Ich schicke die beiden zu meinem Bruder Larkos nach Hoggna, er ist der einzige, der die Erlaubnis hat, mit Brukkrak Handel zu treiben. Jandris kann bestimmt einiges von ihm lernen.“
„Es geht dir um den Stappmakka“, stellte Sopherus fest. „Der dunkle Mann fasziniert dich, doch Jandris soll nicht in der Nähe sein, wenn du ihn dir nimmst.“
Jandris hätte am liebsten geschrien, doch er blieb im Schatten stehen und lauschte weiter. Dieser grausame Mann war sein Vater?
„Ja, er und Livlia haben einen Narren an ihm gefressen. Immer wieder lehnt Jandris sich auf, wenn ich versuche, den Stappmakka an seine Grenzen zu bringen, wenn ich ihn fordere.“
„Es gibt etwas zwischen den beiden“, sagte Sopherus nachdenklich. „Ich habe es schon bei ihrem letzten Besuch gesehen. – Thordas, nimm einen Rat an und lass die Hände von dem Mann aus der Steppe.“
„Du meinst, ich soll mich von meinem Sohn und diesem Mann einschüchtern lassen? Niemals. Ich werde ihn besitzen und dann wird er verschwinden“, sagte Thordas und Jandris wusste, dass nichts ihn von diesem Vorhaben abhalten konnte.
Leise verließ Jandris das Zimmer. Unbedingt musste er mit Djamyr sprechen. Es gab keine andere Möglichkeit, er musste im Trubel von Soelstyn fliehen!
Immer wieder versuchte er auf dem Weg zurück nach Skjaja mit Djamyr zu reden, doch dieser wich ihm jedes Mal aus, vermied jede Gelegenheit, bei der sie unbeobachtet waren.
Thordas führte seine Schikane den ganzen Weg zurück weiter fort, ließ Djamyr mehr Wachen halten, als die anderen, gab ihm Sonderaufgaben und beachtete weder seine, Jandris‘, Einreden, noch die hasserfüllten Blicke der Männer um ihn herum.
Nach sieben weiteren Tagen kamen sie endlich wieder in Skjaja an. Zwanzig Tage noch bis Soelstyn.
ripujanza – Scheusal
djurejio - Anführer im Kampf
Wieder waren fünf Tage verstrichen und er hatte Djamyr nicht einmal zu Gesicht bekommen. Nur noch fünfzehn Tage bis Soelstyn, Jandris sah in den Spiegel, nur noch zweiundzwanzig Tage und er müsste Eillia heiraten. Eine Frau, die er nur einmal letztes Jahr beim Soelstyn gesehen hatte, mit der ihn nichts verband. Seufzend drehte er sich ab und sah aus dem Fenster. Weit hinten konnte er denn Übungsplatz der Wachen sehen. Er sah Djamyr, dunkel und kleiner als die anderen, bewegte er sich schnell und gewandt. Im Zweikampf mit Yussu sah es aus, als habe er keine Chance, so winzig wirkte er neben dem Koloss.
Oft in den letzten Tagen sah er Djamyr von Weitem, doch wenn er sich näherte, verschwand dieser immer wieder und wich der Begegnung aus. Doch er musste mit ihm sprechen, ihn warnen und fortschicken. Entschlossen stieß er sich vom Fenster ab. Wenn er sich beeilte, würde Djamyr noch auf dem Übungsplatz sein…
Noch zehn Tage bis Soelstyn und Djamyr begleitete mit einem kleinen Trupp Wachen Waren nach Roesthaver, einer kleinen Hafenstadt. Von dort wurden zwei bis dreimal im Jahr Waren zu der kleinen Insel Eldurfialla gebracht. Auf der Insel lebten ungefähr fünfzig Menschen, die das raue Leben am Hang des Vulkans Eldafialla ertrugen. Es gab nicht viel, was die Leute von Eldurfialla gegen die Waren der Händler tauschen konnten. Nur die geräucherten Blidden, ein schmackhafter Fisch, den es nur in der Nähe der Insel in größeren Schwärmen gab und die Felle der jungen Robben, die auf dem Nordstrand Eldurfiallas ihre Kolonie hatten, waren ihre Tauschobjekte. Thordas hatte Sorrio mit den Waren nach Roesthaver geschickt, sicher, dass dieser ehemalige Sklave, die besten Geschäfte für ihn abschließen würde. Sorrio war seinem Herrn fast hündisch ergeben.
Die Reise nach Roesthaver dauerte drei Tage, mindestens drei Tage würden die Tauschgeschäfte dauern, dann wieder drei Tage zurück. Vor vier Tagen waren sie aufgebrochen, also noch rund fünf Tage. Nach ihrer Rückkehr würden nur noch fünf Tage bis Soelstyn verbleiben … und er hatte immer noch keine Gelegenheit gehabt, mit Djamyr zu sprechen.
Jandris seufzte, er würde Livlia bitten müssen, mit Djamyr zu sprechen, auch wenn er ihr vorenthalten wollte, was ihr Vater geplant hatte.
Allein der Gedanke trieb kalte Wut durch seine Adern. Sein Vater hatte Horek auf dem Schandpfahl sterben lassen und plante kaltblütig einen Mann zu vergewaltigen.
Und nicht irgendeinen Mann, sondern den Mann, den er liebte. Mehr liebte, als sein Leben. Niemand würde jemals wieder Hand an Djamyr legen, schwor er sich, während er hinunter zum Stall ging. Er würde Yuri reiten und versuchen, seinen Zorn zu vergessen.
Müde ließ er sich von Zajumas Rücken gleiten, den anderen ging es nicht besser und leises Stöhnen und Murren war zu hören. Sorrio hatte sie die ganzen Tage angetrieben, damit sie noch rechtzeitig vor Soelstyn zurück in Skjaja wären. Alles nur, weil die Geschäfte sich länger hingezogen hatten, als geplant. Statt drei Tage hatte Sorrio fünf Tage für die Tauschgeschäfte benötigt. Jetzt waren sie drei Tage vor Soelstyn endlich wieder in Thordas‘ Haus. Djamyr war müde und sehnte sich nach einem heißen Bad und mehreren Stunden ununterbrochenem Schlaf. Doch Bjark erwartete ihn und benötigte seine Hilfe bei einigen Fragen hinsichtlich Schutz und Verteilung der Wachen bei den bevorstehenden Feiertagen – und der Hochzeit Jandris‘.
So war es dunkel, ehe er zurück in den Stall kehrte. Oschcura hatte sich um Zajuma gekümmert und es gab für ihn nicht mehr zu tun, als sich einen Moment an ihren Hals zu lehnen und sich fort von diesem Ort zu wünschen.
Bald wäre es soweit, Jandris würde sich auf ewig binden, an eine Frau, die ihm nichts bedeutete. Und er hatte es nicht geschafft, einen eisernen Ring um sein curaji zu legen, es schrie und schmerzte.
Als er aus dem Stall heraustrat, spürte er den Mann, der im Dunkel auf ihn wartete, ahnte die Bewegung im Schatten. Kurz vor dem Schatten blieb er stehen und wartete.
„Du hast mich gespürt? Kein Wunder, dass alle von Ehrfurcht über deine Sinne sprechen. Du spürst die Gefahr, bevor die anderen sie sehen.“ Svarius trat aus dem Dunkel und sah ihn lächelnd an.
„Du bist keine Gefahr für mich, aber du bist in Gefahr, wenn du hier bist. Was lässt dich so ein Risiko eingehen?“, fragte Djamyr und trat näher, schob den anderen wieder in den Schatten.
„Es ist so weit, Djamyr, an Soelstyn werden die Aufstände beginnen. Das Blut der Herren wird endlich fließen“, sagte Svarius mit einer heiser erregten Stimme.
„Wann an Soelstyn?“
„Gleich am ersten Tag, am Abend, wenn alle trunken sind und feiern. Einige von uns werden in die Häuser eindringen und …“
„Thordas gehört mir!“, sagte Djamyr mit harter Stimme. „Und Allby, der zu Soelstyn Gast in diesem Haus ist. – Sag das deinen Freunden, die beiden töte ich!“
„Dann sind die Gerüchte wahr? Thordas hat dich …“
„Schweig! – Versprich mir, dass kein anderer …“
„Ich verspreche es dir, Djamyr.“
„Und dann? Was werdet ihr tun, wenn die Herren getötet sind?“, fragte Djamyr nach einem Moment des Schweigens.
„Als Erstes werden die Sklaven befreit, dann werden wir uns um den Reichtum kümmern, der sehr einseitig verteilt ist in diesem Land.“ Svarius lachte leise. Mit einem Mal zog er Djamyr an sich heran, küsste ihn hart. „Ich würde dich gerne bitten, mit mir zu gehen, doch das wirst du nicht tun, darum gebe ich dir etwas …“ Genauso plötzlich schob er Djamyr wieder von sich und drückte ihm etwas in die Hand. „Das ist eine Armschiene, trag sie und wenn ihr auf Upvirag trefft, dann zeig sie vor, jeder kennt das Zeichen und lässt euch passieren.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte sich Svarius um und verschwand im Dunkel. Djamyr trat aus dem Schatten und betrachtete, was er in der Hand hielt. Es war eine lederne Armschiene mit einem eingebrannten Löwen. Die dunklen Flecke auf dem Leder waren bestimmt Blut. Djamyr vermutete, dass es sich um die Armschiene von Syxtin handelte. Langsam ging er weiter, wenn sein curaji nicht schon Jandris gehören würde, wäre er Svarius gefolgt.
„Wer war das?“
Djamyr schreckte hoch und lief fast in Jandris, der mit verschränkten Armen vor ihm stand. Bei Jandris versagte jeder seine Sinne.
„Ein Freund“, antwortete Djamyr und überlegte, wie er Jandris und Livlia schützen konnte, ohne Jandris die Wahrheit zu sagen. Er war sich nicht sicher, ob Jandris Svarius und den Aufstand nicht verraten würde, ob er es verstehen konnte …
„Ein Freund? Kommt Svarius jetzt schon auf unser Grund und Boden, um sich einen Kuss von seinem Liebhaber zu holen?“
Erst jetzt wurde Djamyr bewusst, dass Jandris betrunken war. Was immer er ihm sagen wollte, jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt.
„Lass mich durch“, sagte er und drängte sich an Jandris vorbei, der ihn mit hartem Griff festhielt.
„Mir gehst du aus dem Weg, doch diesen Kerl lässt du dich berühren“, knurrte er heiser und ehe Djamyr reagieren konnte, presste Jandris seine Lippen auf seinen Mund.
Egal, ob er gerade wütend auf Jandris war oder ob es besonders klug war, sein Körper reagierte und eine heiße Welle schoss durch seinen Körper. Augenblicklich schlang er seine Arme um Jandris und erwiderte den Kuss, bis sein Kopf wieder zu arbeiten begann und er Jandris energisch von sich schob.
„Hör auf!“, fuhr er ihn an.
„Warum? Küsst er besser? Weiß er besser, was dir gefällt?“ Wieder zog Jandris ihn an sich heran.
„Skodjino“, flüsterte Djamyr, „Idiot, lass mich gehen. Was, wenn uns jemand sieht?“
„Dann sterbe ich, doch sterbe ich nicht sowieso, wenn ich Eillia heirate? Eine Frau, die ich nicht liebe, nicht begehre, nicht an meiner Seite haben will“, sagte Jandris leise. „Und wofür? Um in Thordas‘ Fußstapfen zu treten, den ich hasse. Ich will das nicht, Djamyr, ich will dich!“ Ungestüm küsste er ihn und Djamyr drängte ihn tief in den Schatten.
„Du hast aber keine Wahl. Du bist der Sohn und Erbe Thordas.“
„Und wenn wir fortgehen? Aelskjar, nur du und ich?“, raunte Jandris ihm leise in das Ohr. „Wir könnten versuchen das Weite Land, Djistestera, zu erreichen.“
„Du bist betrunken und solltest ins Bett gehen“, sagte Djamyr und schob ihn ein Stück von sich. – Jandris wollte wirklich mit ihm fortgehen? Sein müder Kopf fühlte sich überfordert. Fast hätte er ihm gesagt, was in den nächsten Tagen geschehen würde und dass sie dann sowieso auf der Flucht wären.
„Djamyr, ich meine das ernst, auch wenn ich etwas zu viel getrunken habe, lass uns gehen.“ Er fasste in Djamyrs Haar, zog das Lederband aus den Locken und wühlte in dem schwarzen Haar. „Ich liebe dein Haar, es ist so schwarz wie die Feder eines Raben und fühlt sich so unglaublich an, wenn ich meine Hand darin vergrabe.“ Zärtlich zog er Djamyr wieder näher. „Lass uns gehen. Thordas will dich nehmen, genauso wie Allby dich genommen hat: mit Karldryk und Fesseln. Du musst weg und ich ertrage es nicht, ohne dich hierzubleiben.“
„Er will was?“, fragte Djamyr ungläubig. „Und das hat er dir gesagt?“
„Natürlich nicht! Er hat es Sopherus erzählt, als er Karldryk von ihm gekauft hat und das habe ich gehört. – Bitte, Djamyr, ich gebe alles für dich auf, nur lass uns Allragöst verlassen.“
„Wir werden gehen, Jandris“, sagte Djamyr und legte beide Hände an sein Gesicht. „Ich verspreche dir, dass wir gehen werden und das Thordas mich nicht berühren wird.“ Sanft küsste er Jandris und hoffte, dass sie keiner sah oder belauschte.
„Du versprichst es?“, murmelte Jandris ungläubig in seinen Kuss.
„Ja, wenn du geduldig bist. Nur ein paar Tage. – Bitte, amjaro, vertrau mir.“ Wie gern würde er Jandris geben, wonach sie beide verlangten. Nur ein paar Tage, dann wären sie fort, auf der Flucht, zusammen mit Oschcura und Livlia auf der Reise nach Djistestera.
„Du musst die Pferde vorbereiten. Zajuma und Yuris werden mit uns in Skjaja sein, unsere Sachen kommen daher auf ein fünftes Pferd. Ich werde dir die Sachen morgen Abend bringen.“ Djamyr sah Oschcura an. Nebeneinander standen sie am Zaun und betrachten die Pferde, so wie sie es oft taten.
„Und in dieser Nacht verlassen wir Skjaja?“, fragte Oschcura ungläubig. Weg von diesem Haus, weg von diesen Menschen. Zum einen wünschte sie sich das, zum anderen hatte sie Angst davor. Nach den Sklavenwagen war dies das einzige Zuhause, das sie kannte.
Djamyr nickte. „Wenn wir von den Kämpfen der Svjardvalsten zurückkommen, wenn alle anfangen, sich der Feier hinzugeben, dann werden wir das Haus des Thordas verlassen.“ Sein Blick streifte über die Pferde. Der Plan der Upvirag würde zu einem Blutbad führen, nicht nur Schuldige würden sterben, sondern ebenso Unschuldige. Wenn sie den Hass der Menschen so von der Leine ließen, würde alles im blutigen Chaos versinken. Hoffentlich würde es ihm gelingen, die, die er liebte, zu schützen.
„Du musst Livlia von dem Plan erzählen. Sie soll dir morgen ihre Sachen bringen. Mitnehmen können wir nur das Nötigste. So viel, wie die Pferde neben unserem Gewicht problemlos dauerhaft tragen können“, sagte er an Oschcura gewandt.
„Wo gehen wir hin?“, fragte sie und er konnte die Unsicherheit in ihrem Blick sehen.
„In das Weite Land“, antwortete er und spürte, die Wärme, die allein der Gedanke in ihm auslöste.
„Der Weg ist weit“, flüsterte sie unsicher.
„Ja, doch hier können wir nicht bleiben, hier wird nichts mehr so sein, wie es ist.“ Er wollte ihr nicht – noch nicht – von den Aufständen erzählen. Langsam drehte er sich um, sah Mattio, der am Stalltor stand und zu ihnen blickte, zu weit weg, um ihre Worte zu verstehen. „Sprich mit Livlia“, sagte er, ging langsam in Richtung des Stalls und mit einem freundlichen Lächeln an Mattio vorbei.
Es waren noch zwei Tage und Thordas war in Skjaja. Druska und zwei weitere Wachen begleiteten ihn. In der Küche herrschte reges Treiben, als Djamyr hindurchging. Annia lächelte ihm im Vorbeigehen freundlich zu. Das Haus selber war still, langsam ging Djamyr die Treppe hoch und zu Jandris‘ Zimmer. Noch immer war er sich nicht sicher, was er ihm sagen wollte, konnte. Der Aufstand bedeutete das Ende der Welt, so wie Jandris sie kannte. Würde er das einfach so hinnehmen können? Oder würde er für seine Welt kämpfen wollen?
Vor der Tür verharrte er einen Moment. Was wenn Jandris nicht alleine war? Wenn er sich Malei ins Bett geholt hatte? Vorsichtig legte er die Hand auf die Klinke und öffnete die Tür leise. Das Bett war leer und unberührt. Langsam öffnete Djamyr die Tür und schlüpfte ins Zimmer. Es dauerte einen Moment, ehe er Jandris entdeckte, der am Fenster stand und ihn ansah.
„Was tust du hier?“ Die Stimme klang schroff und abweisend.
„Ich will mit dir reden.“ Djamyr trat näher, stellte sich neben Jandris und sah die Vorbereitungen, die vor der Tür stattfanden. Ein Altar für Skappgrud, den Schöpfer, wurde aufgebaut. Der Altar, vor dem Jandris und Eillia vermählt werden sollten.
„Willst du immer noch mit mir fortgehen?“, fragte er leise, ohne Jandris anzusehen. Was würde er eigentlich tun, wenn Jandris nein sagte?
Er sah aus dem Augenwinkel, wie Jandris sich zu ihm umdrehte und ihn ansah. Langsam drehte er sich ebenfalls um, sodass sie sich in die Augen sahen. Ohne zu überlegen, legte er seine Hand in Jandris‘ Nacken und zog seinen Kopf zu sich heran. „Übermorgen Abend, wenn wir von den Kämpfen der Svjardvalsten zurückkehren, gehe ich fort“, flüsterte er heiser, suchte den blauen Blick, hielt ihn fest. „Ich gehe fort, wenn du mit mir gehst.“
Jandris antwortete nicht, sah ihn nur an. Unruhe machte sich in ihm breit. Vielleicht hatte Jandris es sich überlegt …
„Ich hatte Angst, du würdest nicht gehen wollen“, flüsterte Jandris plötzlich. „Oder du würdest ohne mich gehen.“
„Skodjino“, murmelte Djamyr und zog Jandris in einen Kuss. „Nirgendwo gehe ich ohne dich hin.“
Bald würde dieses Verstecken ein Ende haben. In Djistestera würde sich keiner an ihrem Zusammensein stören.
„Du musst mir mitgeben, was du unterwegs brauchst. Oschcura wird die Pferde vorbereiten.“ Jandris‘ fragender Blick veranlasste ihn, hinzuzufügen, dass Oschcura und Livlia sie begleiten würden.
„Warum wollen sich die beiden der Gefahr aussetzen?“
„Weil sie sich lieben und es hier nicht dürfen – und weil die Aufstände der Upvirag an Soelstyn beginnen.“
„Du meinst … - Darum war Svarius bei dir, weil er dich warnen wollte! Warum bist du nicht mit ihm gegangen?“ Jandris konnte nichts gegen die Eifersucht tun, die ihn bei dem Gedanken an Svarius packte.
„Hör auf damit! – Ich will mit dir gehen, weil du mein Schicksal bist und ich ohne dich keinen Grund hätte, irgendwohin zu gehen!“ Die Hand in Jandris‘ Nacken fasste härter zu, zog ihn noch näher, bis sich ihre Nasen berührten. „Amjiare tia, amjaro“, flüsterte Djamyr und küsste ihn mit fast brutaler Härte. „Aber, wenn du nicht mit mir gehen willst, dann bleiben wir und warten ab, was passiert.“
„Nein, verzeih, ich bin wahrscheinlich wirklich ein Idiot.“ Für einen Moment standen sie nur da und sahen sich in die Augen.
„Im Weiten Land wird nichts mehr zwischen uns stehen, amjaro. Da gibt es keine Zweifel mehr.“ Sanft küsste Djamyr noch einmal Jandris und löste dann seinen Griff. „Jetzt such zusammen, was du mitnehmen musst.“
Das Haus war geschmückt und schien vor Aufregung zu summen. Livlia ging durch die Räume, betrachtete die Blumensträuße, die die Mägde verteilt hatten. Heute würden die Gäste anreisen, unter ihnen Nikros und seine Tochter Eillia, die Braut ihres Bruders. Ihr Vater hatte angedeutet, dass sogar Xerxus dem Fest Soelstyn beiwohnen sollte. Xerxus, den sie im nächsten Frühjahr, wenn sie achtzehn Sommer alt wäre, heiraten sollte. Nichts von alle dem würde eintreten! Morgen Abend, wenn der erste Tag der Feierlichkeiten vorbei wäre, würde sie zusammen mit Oschcura dieses Haus verlassen.
Der Gedanke an Oschcura ließ sie lächeln und sie trat an ein Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Natürlich war von der schwarzhaarigen Schönheit nichts zu sehen, wie immer war sie bestimmt im Pferdestall. Nur wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, kam sie in die Nähe des Hauses. Wie würde es sein, wenn sie es schaffen würden Djistestera zu erreichen? Es gab dort keine Städte, keine Häuser, nur das weite Land, die Steppe und die Völker, die Sippen, die diese durchwanderten. Sie würden in Zelten schlafen, oft tagelang unterwegs sein und sich von dem ernähren, was das weite Land ihnen bot. Doch die Nächte würde sie neben der Frau verbringen, die sie liebte. Jeden Abend würde sie neben Oschcura einschlafen und jeden Morgen neben ihr aufwachen. Lächelnd strich sie über eine üppige Sonnenblume, die zusammen mit ihren leuchtenden Schwestern in einer Vase am Fenster stand. Jetzt schlich sie sich hinaus in den Stall, wenn sie Zeit mit Oschcura verbringen wollte. Sie mussten vorsichtig sein, da ein Verrat sie schnell an den Schandpfahl bringen konnte. Nur noch wenige Stunden, dann wäre es vorbei, dann wären sie zusammen mit Djamyr und Jandris auf der Flucht.
Eine Kutsche nach der nächsten traf auf dem Hof ein, wurde von den Dienern entladen, während sich die Knechte um die Pferde kümmerten. Am frühen Nachmittag kam Allby an, Djamyr nahm gerade mit Druska die ankommenden Wachen in Empfang und wies ihnen ihre Lagerstätten zu. Sein Blick begegnete den schlammbraunen Augen des Händlers. Mühsam bändigte er seinen Hass, schaffte es, sein Gesicht ausdruckslos zu lassen. Morgenabend würde der Mann, der ihn jetzt überheblich angrinste, endlich für das büßen, das er ihm angetan hatte.
Thordas trat zu dem äußerlich so attraktiven Mann und sie wechselten ein paar Worte, nach denen sie sich gemeinsam zu Djamyr umdrehten und auf eine Art lächelten, die ihn fast seinen Vorsatz vergessen ließ, bis morgen zu warten. Betont langsam drehte er ihnen den Rücken zu, beachtete die beiden Männer nicht länger.
Druska spuckte neben ihm auf den Boden. „Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden diese beiden in Skrattis Rykri enden.“
„Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, wird Djarvul ihren Seelen den Weg bereiten“, sagte Djamyr und begegnete kurz Druskas Blick.
Druska lächelte. Ein grausamer Anblick, der die Enden seines Mundes leicht nach oben bog. „Meine guten Wünsche werden Djarvul begleiten.“
Die Unterbringung der Wachen zu organisieren war anstrengend. Noch nie hatten so viele Wachen ihre Herren begleitet. Überall standen Zelte und brannten jetzt am Abend Lagerfeuer. Djamyr hielt sich vom Haupthaus fern. Jandris hatte er am Mittag kurz neben seinem Vater gesehen, als er mit diesem zusammen Nikros und Eillia begrüßte. Das Mädchen war jung, ihre langen hellbraunen Locken reichten bis zu ihren runden, vollen Brüsten und sie hatte einen sicherlich entzückenden, kleinen, runden, erdbeerroten Mund. Mit einem schüchternen Lächeln senkte sie den Blick ihrer haselnussbraunen Augen, ehe sie Jandris kurz scheu anlächelte. Auch wenn er Frauen nichts abgewinnen konnte, sah er, dass sie mit ihrem leichten Erröten eine bezaubernde Frau war. Als Jandris ihr den Arm reichte und sich zum Eingang umwandte, begegneten sich kurz ihre Blicke und ein Lächeln huschte über das Gesicht, die blauen Augen schienen zu blitzen. Nein, er brauchte sich keiner falschen Eifersucht hinzugeben. Morgen würden sie diesen Ort verlassen und nichts würde mehr zwischen ihnen stehen.
Jetzt war es lange nach Mitternacht und Djamyr näherte sich dem Stall. Er bewegte sich leise im Schatten, um nicht gesehen zu werden. Die Weide war voll, es gab nicht genügend Platz in den Ställen. Leises Schnaufen und ein sanftes Wiehern drangen zu ihm.
„Was willst du?“, hörte er Oschcura leise ängstlich fragen.
„Was hast du mir denn anzubieten, kleine Wildkatze? Wenn ich verrate, was ich gesehen habe, dann gibt es keine Gnade für dich und deine kleine Geliebte. Dann endet ihr auf dem Schandpfahl.“ Mattios Stimme klang gierig. „Ich will, dass du mich genauso gut bedienst wie diese Troelka, diese Hexe.“
Leise trat Djamyr an die Tür zum Sattelraum, blickte durch den schmalen Spalt. Mattio stand vor der knienden Oschcura und begann gerade seine Hose zu öffnen. Seinen Blick hatte er ganz auf die Frau zu seinen Füßen gerichtet. „Komm, zeig mir wie gut du das kannst. Du hast doch bestimmt bei den Sklaven gelernt, wie das geht.“
Der Raum wurde nur durch eine Laterne erhellt und Djamyr schob sich schnell durch die Tür in den Schatten, umrundet den Mann, der inzwischen seinen Schaft hervorgeholt hatte. Gerade als er wieder etwas zu Oschcura sagen wollte, legte er ihm von hinten den Arm um den Hals und die Klinge an die Kehle. „Du bist dumm, Mattio. Ich hatte dich gewarnt“, flüsterte er leise in das Ohr des anderen. Bevor Mattio reagieren konnte, durchtrennte die Klinge seinen Hals. Es gab keinen Grund den Mann am Leben zu lassen, aber viele Gründe ihn sofort zu töten.
Oschcura unterdrückte einen Schrei, indem sie ihre Hand auf ihren Mund presste. Mit großen Augen sah sie ihn an. Blut sprudelte aus der Wunde. Der Körper erschlaffte und sank zu Boden.
„Hilf mir, wir müssen ihn bis morgen irgendwo verstecken“, raunte er Oschcura zu, die immer noch bewegungslos auf dem Boden kniete. „Los, steh auf und hol eine Decke.“
Der harte Ton weckte sie aus ihrer Starre und sie sprang auf. Nach wenigen Augenblicken kam sie mit einer schweren Pferdedecke wieder. Gemeinsam schoben sie den toten Körper auf die Decke und rollten ihn ein.
„Wir können ihn hinter den Strohballen im Schober ablegen. Bis morgen wird ihn da keiner finden“, sagte Oschcura leise. Djamyr nickte nur. Gemeinsam brachten sie den schweren, schlaffen Körper in den Heuschober und versteckten ihn zwischen mehreren Ballen.
„Wir müssen das Blut beseitigen“, sagte Djamyr und nahm einen Eimer Wasser mit in den Sattelraum. Wortlos versuchten sie, den Boden so gut wie möglich zu reinigen. Es musste reichen, damit keiner morgen Verdacht schöpfte.
„Hast du alles vorbereitet?“, fragte Djamyr, als sie vor dem Stall standen. Oschcura nickte. „Gut, dann halt dich morgen bereit.“ Er drehte sich um und wollte gehen.
„Warte“, rief Oschcura und er drehte sich noch einmal um, sah in ihr Gesicht. „Danke, Djamyr. Ich konnte nichts mehr denken, nichts mehr tun, als er vor mir stand. Ich hatte nur noch Angst…“
„Es ist gut, Oschcura. Vergiss ihn. Er hätte dich und Livlia verraten, egal, was du getan hättest. Genauso wie er Horek verraten hat.“ Mit einem Lächeln trat er noch einmal zu ihr. „Vergiss ihn einfach. Morgen beginnt ein neues Leben, belaste es nicht mit Gedanken um einen Mann, der bekommen hat, was er verdient.“ Sanft streichelte er ihr durch das Gesicht.
„Was hätte deine Sippe mit einem Mann wie ihm getan?“
„Sein Verrat hat Mitgliedern der Sippe den Tod gebracht. Er wäre verbannt worden. Ohne Pferd, ohne Waffen und ohne Nahrung. Wenn man nicht besonderes Glück hat, bedeutet das den Tod in der Steppe. – Aber hier hatte ich keine andere Wahl, als es selber zu Ende zu bringen.“ Sanft strich er ihr durch das Gesicht.
„Ja, ich weiß“, erwiderte sie und lächelte leicht. „Ich bin froh, dass du ihn getötet hast.“
Sie küsste ihn leicht auf die Wange und lief zurück in den Stall. Djamyr seufzte und sah nach Osten, wo sich der Horizont zaghaft erhellte. Nicht mehr viel Zeit, bevor der erste Tag der Soelstyn begann …
Skjaja war berstend voll. Eillia ging vor ihm an Jandris‘ Arm, da hinter Livlia und Nikros. Es war eine andere Stimmung als im letzten Jahr, angespannter und aggressiver. Auf dem Marktplatz war Djamyr sich für einen Moment sicher, Svarius gesehen zu haben, doch angesichts der Menge der vorbeiziehenden Menschen, die sich über den Platz bewegten, konnte er das nicht genau sagen. Den ganzen Weg über spürte er Thordas Blick in seinem Rücken, der zusammen mit Allby hinter ihm ging. An jeder Seite gingen mehrere Wachen. Überhaupt waren überall Wachen in den Farben ihrer Herren zu sehen. Von dem Volk, das sonst die Straßen belebte, war nichts zu sehen. War es von den Stadtwachen in seine Häuser verband worden?
Die Gold beschlagenen Tore des Tempels standen weit offen und die Menschen strömten rein. Die Rituale des Vorjahres wiederholten sich, wieder starb eine weiße Stute auf dem Alter des Sonnengottes. Die Prognose für das kommende Jahr war sehr gut, es sollte reiche Ernte und einen milden Winter geben. So viel zu der Frage, ob der Gott die Reichen und Herrschenden zu warnen gedachte.
Nach dem Tempel gingen sie zum Marktplatz, sahen einem Trupp Gaukler zu. Livlia bewunderte einen Feuerschlucker und kaufte für fünf goldene Mynth einen schneeweißen Vogel, der in einem viel zu engen Käfig von einem Tierhändler feilgeboten wurde. Es war ein Raubvogel und sein starker, gebogener Schnabel leuchtete gelb. Sein Kopf steckte unter einer Lederkappe, die ihm die Sicht nahm. Dem Tier war es kaum möglich gestreckt in dem schmalen, oben abgerundeten Käfig zu sitzen. Nach Abschluss des Geschäftes reichte sie den Käfig Djamyr. „Bring ihn irgendwohin, wo er frei fortfliegen kann“, sagte sie leise und ihre Blicke begegneten sich. „Ich konnte es noch nie ertragen, wenn eine stolze Kreatur in engen Käfigen gehalten wurde“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.
Bevor er sich mit dem Käfig umdrehen konnte, legte Thordas seine Hand auf die Gitterstäbe und starrte seine Tochter an. „Du gibst so viele Mynth aus, um ihn fliegen zu lassen? Bist du verrückt? Dies ist ein Schneeadler aus den Bergen der Kralionen.“
„Es ist ein Vogel, der frei am Himmel fliegen sollte“, antwortete sie ruhig.
„Nein, ich werde nicht zulassen, dass du fünf goldene Mynth einfach fliegen lässt. Du bist meine Tochter und hast kein Recht, über mein Eigentum zu verfügen. Dieser Vogel geht in Abbras Obhut, er soll versuchen einen Jagdvogel aus ihm zu machen.“ Mit diesen Worten nahm er den Käfig aus Djamyrs Händen und gab ihn Eireik, der zwei Schritte hinter ihm ging.
„Vater…“, versuchte Livlia ihn umzustimmen.
„Nein, ich habe genug, von deinem Hang alles freilassen zu wollen. Manche Wesen gehören in Gefangenschaft. Der einzige Sinn ihres Daseins ist anderen auf die eine oder andere Weise nützlich zu sein“, sagte Thordas mit einem abfälligen Lächeln. „Nicht allen Kreaturen bekommt die Freiheit. Manche benötigen die starke Hand, um glücklich zu sein.“ Sein Blick blieb an Djamyr hängen. „Und manche müssen zu ihrem Glück gezwungen werden.“
Mühsam schaffte er es, keine Miene zu verziehen, keine Emotion zu zeigen, nur dem herausfordernden Blick standzuhalten. Es waren nur noch Stunden …
Die Arena, in der die Kämpfe der Svjardvalsten stattfanden, war ausverkauft. Still stand Djamyr hinter Jandris. Eillia klammerte sich an seinen Arm und schrie immer wieder erschrocken auf. Es waren die ersten Kämpfe, die sie sah. Von Zeit zu Zeit hob Jandris den Blick und ihre Augen begegneten sich für einen viel zu kurzen, endlosen Augenblick.
Die Sonne ging unter, als sie auf ihre Pferde stiegen und zurückritten. Eillia war die ganze Zeit aufgeregt am Plappern, sodass das Schweigen von Jandris und Livlia nicht weiter auffiel.
Vor dem Haus brannten die Feuer und ein Ochse drehte am Spieß. Diener, Knechte und Mägde kümmerten sich um die Ankommenden. Djamyr beobachtete Thordas, der von seinem Rappen abstieg und ins Haus ging.
„Nimm Livlia und geh zu Oschcura“, flüsterte er Jandris zu.
„Und du?“
„Ich komme gleich nach.“ Er folgte Thordas in das Haus. Schnell lief er die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Vor Thordas‘ Tür stand Urias und sah ihn an.
„Bjark sucht dich“, sagte Djamyr rau. Ihre Blicke begegneten sich und Djamyr sah, dass Urias wusste, wieso er hier war. Mit einem kurzen Nicken verließ er seinen Posten.
Einmal holte Djamyr tief Luft, dann öffnete er, ohne zu klopfen, die Tür. Erst sah er Thordas nicht, hörte nur seine Stimme. „Du meinst also, es lag nicht an dem Karldryk? Vielleicht kann ich Livlia ihr Spielzeug hinterher wiedergeben.“
Auf dem breiten Bett lag Allby ausgestreckt und beobachtete Thordas, der sein Hemd abgestreift hatte.
„Nein – und wenn? Er ist ein Sklave. Du solltest dir das nicht entgehen lassen. So ein Geschöpf bekommst du so schnell nicht wieder. Allein die Haut, dieser Ton und darauf die Zeichen …“
Thordas lachte. „Schon gut, wenn Soelstyn vorbei ist, werde ich von ihm kosten …“
„Wenn Soelstyn vorbei ist, wirst du nicht mehr leben“, sagte Djamyr laut und beide Köpfe drehten sich zu ihm.
„Verlass sofort mein Zimmer, Stappmakka! Was fällt dir ein?“ Wütend trat Thordas einen Schritt auf ihn zu, während Allby ihn nur interessiert ansah.
„Ich habe einen Schwur abgelegt: Bevor ich dieses Haus verlasse, werde ich dich töten und als Geschenk bekomme ich noch deinen dreckigen Freund dazu“, sagte Djamyr und lächelte beide an. Seine Hände nahmen die Zwillingsschwerter aus ihren Scheiden.
„Du vergisst dich, Sklave! Dies ist mein Haus, voll mit meinen Wachen“, schnaubte Thordas, nicht bereit, Djamyr ernst zu nehmen.
„Ruf deine Wachen, Herr, keiner wird kommen.“ Nur noch zwei kleine Schritte trennten ihn von Thordas. Allby hatte sich irritiert aufgesetzt und sah zur Tür.
„Wache!“, rief Thordas laut – und nichts geschah. Er wiederholte den Ruf, während er jetzt doch etwas zurückwich vor dem Funkeln der bernsteinfarbenen Augen.
„Ich töte keinen wehrlosen Mann. Nimm deine Waffen auf – Herr“, forderte Djamyr ihn auf und folgte ihm langsam durch den Raum. Währenddessen war Allby vom Bett aufgestanden, hielt den Blick starr auf die Tür und wollte sich dorthin bewegen.
„Wagt es nicht! Entweder ihr nehmt eine Waffe und kämpft, oder ich töte euch bei dem Versuch zu fliehen.“ Djamyrs Stimme ließ keinen Zweifel an dem Ernst seiner Aussage.
„Hör auf, Sklave. Du wirst sterben für deine Dreistigkeit.“ Thordas hatte sein Schwert aus der Scheide gezogen, in seinen Augen stand Unsicherheit und Angst. Er hatte Djamyr kämpfen sehen, gesehen, wie schnell er töten konnte.
Die Zwillingsschwerter, die bisher still an seiner Seite gehangen hatten, hoben sich. „Zeit zu sterben, Thordas“, flüsterte er, bevor er den Händler angriff. Nur ein Reflex ließ Thordas reagieren, die Schwerter trafen klirrend auf einander. Allby entfuhr ein Schrei, der denen Eillias in der Arena ähnelte. Verzweifelt griff der Händler aus Troos nach einem Schwert, das in seiner Scheide an der Wand hing und versuchte erneut, das Zimmer zu verlassen. Jedoch zögerte er und sah auf die beiden Männer, sah wie die Zwillingsschwerter durch die Luft fuhren und sah, wie Blutstropfen flogen. Dann stürzte Thordas mit einem Griff an seine Kehle zu Boden. Ehe Allby begriff, dass Thordas wirklich tot war, hörte er erneut das leise Sirren der Klingen, sah die Schwerter auf sich zu kommen und riss, in einem verzweifelten Versuch sich zu schützen, das Schwert hoch. Metall traf Metall und für eine irrige Sekunde glaubte Allby, den Angriff abgewehrt zu haben, dann schoss der Schmerz durch seinen Körper. Von seinem Unterleib ausgehend jagte er sämtliche Nervenbahnen entlang hoch zu seinem Gehirn. Er hörte einen Schrei und begriff erst dann, dass er selber schrie. Sein Blick senkte sich und Blut strömte an seinen Beinen hinab, stetig wie ein Fluss. Seine Augen hoben sich, sahen in die Raubtieraugen und er wusste, dass es vorbei war. Man konnte das Raubtier nicht unterwerfen, man konnte es kurzfristig unter sein Joch zwingen, doch es würde ausbrechen und töten, seinen Peiniger töten. Ihn töten. Die Gedanken verschwanden langsam im Rot des Schmerzes bis es Skrattis endgültiges Schwarz wurde …
Blut tropfte von seinen Klingen. Allbys Blick brach noch während er die Klingen an dem Hemd des Mannes säuberte.
„Djamyr!“
Jandris! Langsam drehte er sich um, hoffte, nicht Ablehnung oder Hass in den blauen Augen zu lesen; hatte Angst, dass Jandris dies nicht verstehen, nicht verzeihen konnte.
„Djamyr“, wiederholte Jandris und jetzt begegneten sich ihre Blicke. Angst lag in den blauen Augen, Sorge und Djamyr atmete ein.
„Du blutest“, sagte Jandris und trat rasch näher, schloss dabei die Tür hinter sich. „Dort an deinem Bein.“ Vorsichtig berührte Jandris ihn.
Djamyr sah an sich herab und sah die Wunde an seinem Oberschenkel. Thordas‘ Klinge, eigentlich sein eigener Fehler, weil er zu unbeherrscht war. Doch es war nicht schlimm, nur eine oberflächliche Wunde. Beruhigend schüttelte er den Kopf. „Nicht schlimm. Lass uns gehen“, sagte er und wollte an Jandris vorbei.
„Warte, du musst dich umziehen, überall klebt Blut an dir.“ Mit einer Hand auf seiner Schulter hielt Jandris ihn auf. „Was geschieht, wenn sie gefunden werden?“, fragte er leise. Sein Blick wanderte zu seinem Vater, der zusammengesunken in einer Blutlache lag. Er spürte nichts. Keine Trauer, keinen Schmerz, einfach nur nichts.
„In den Aufständen der Upvirag werden sie nur zwei tote, reiche Händler mehr sein. Keinen wird interessieren, wer sie getötet hat“, unterbrach Djamyr seine Gedanken.
„Du meinst, die Aufstände beginnen heute? Am Soelstyn, wenn die Menschen ausgelassen feiern?“, fragte Jandris ungläubig.
„Nur die feiern, die es sich leisten können. – Wenn alle heute feiern könnten, wenn es allen heute gut ginge, dann würde es keine Aufstände geben. – Lass uns gehen“, sagte er und legte seine Hand auf Jandris‘ Schulter. Über ihre Arme hinweg sahen sie sich an. „Dort wo wir hingehen, wird das alles keine Rolle mehr spielen. Dort gibt es keine Mynth, keine reichen Händler und keine Sklaven.“
Gemeinsam verließen sie den Raum, schlossen sorgfältig die Tür hinter sich. Urias kam die Treppe hoch, sagte nichts zu Djamyrs blutiger Kleidung, auch wenn es auf dem Schwarz kaum zu sehen war, oder den blutigen Flecken in seinem Gesicht.
„Thordas möchte nicht gestört werden“, sagte Jandris und Urias nickte nur, bezog seinen Posten vor der Tür des Händlers wieder.
In seinem Zimmer wechselte Djamyr noch einmal seine Kleider. Jandris stand am Fenster gelehnt und beobachtete ihn. Er spürte den Blick auf seinem Körper, wie er dem Verlauf seiner Muskeln folgte, die schwarzen Zeichnungen auf seiner Haut nachzog und an seinen Händen hängenblieb, die seine Hose öffneten. Ein tiefes Atmen, als er sie abstreifte und er spürte, wie sein Blut sich in seinem Unterleib sammelte. Der Tod, den er eben gebracht hatte, weckte die Lust, die Gier nach Leben in ihm. Er trat zu Jandris, sah in die weit geöffneten, blauen Augen und küsste ihn. Ein Schauer überlief Jandris, seine Arme schlossen sich um Djamyr und er erwiderte den Kuss hart.
„Wir haben keine Zeit“, flüsterte seine Stimme rau in Djamyrs Kuss, seine Hände jedoch hielten den schlanken Körper an sich gedrückt, ließen ihn nicht zurückweichen. Fahrig öffnete Djamyr sein Hemd, zog es aus der Hose und über seinen Kopf. Ihre Körper berührten sich und Djamyr konnte Jandris nicht nahe genug kommen. Seine Hände zerrten an der Hose, bis sie endlich zu Boden rutschte. Jandris griff zwischen sie, umfasste sie beide und begann sie mit langen fordernden Bewegungen zu streicheln. Es dauerte nicht lange und ihr Keuchen erstickten sie in ihren Küssen. Djamyr lehnte sich gegen Jandris, dankbar für die Hand, die ihn an den warmen Körper drückte, ihm Halt und Sicherheit gab. Dann löste er sich, nahm das blutige Hemd und riss ein sauberes Stück ab, um sie mit ein wenig Wasser aus dem Krug zu säubern.
Nachdem er die Wunde an seinem Oberschenkel mit einem Verband versehen hatte, zogen sie sich an und verließen das Haus. Nie wieder würde er einen Fuß in dieses Gebäude setzen, in irgendeinen Teil dieses verdammten Hauses.
Gemeinsam liefen sie hinüber zu den Ställen. Livlia und Oschcura erwarteten sie schon ungeduldig im Schatten hinter den Ställen.
„Wir müssen nach Wignana“, sagte Livlia bestimmt.
„Wir können nicht nach Wignana“, sagte Jandris.
„Wir müssen zu Mutter und Eilliana. Mellia ist auch bei ihr. Das Baby wird bald kommen, wir können sie nicht dort lassen, wenn die Aufstände der Upvirag beginnen.“ Herausfordernd sah Livlia ihn an. „Ihr könnt ja euren Weg gehen, aber ich lasse sie nicht so zurück!“
„Livlia, vielleicht sind sie tot, wenn wir dort ankommen. Wir brauchen mindestens fünf Tage, bis wir dort ankommen und die Aufstände beginnen heute im ganzen Land“, sagte Djamyr.
„Du willst damit sagen, dass sie auf jeden Fall tot sind?“, fragte Livlia.
„Nein, das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, wie schlimm es letztlich wird und wer wie gut gewappnet ist. Ich weiß nur, dass die Aufstände heute beginnen und wir fünf Tage brauchen. Wenn ihr es versuchen wollt, werden wir das tun.“ Er sah von Livlia zu Oschcura und zu Jandris.
„Wir müssen es versuchen. Sie sind schließlich eure Familie“, sagte Oschcura zu Jandris und er nickte.
„Ja, ihr habt recht. Wir müssen sehen, was mit ihnen geschehen ist und ob wir ihnen helfen können.“
„Gut, dann reiten wir jetzt nach Wignana und von dort über die Grenze in das Wüstenland Smyrth.“ Djamyr nahm Zajumas Zügel. „Nio andjia orijino, Zajuma“, flüsterte er leise in ihr Ohr. „Wir gehen nach Hause“, übersetze er, als er Jandris fragenden Blick sah. Endlich war es Zeit, nach Hause zurückzukehren!
Die Gäste feierten lautstark. Während sie ihre Pferde hinter den Gebäuden entlang führten, hörten sie das Singen und Lachen, den Klang der Trommeln und Pfeifen. Keinem von ihnen schien aufgefallen zu sein, dass der Gastgeber nicht mit ihnen feierte.
„Wir werden Skjaja in einem Bogen umgehen und uns erst einmal fern von den Straßen halten“, sagte Djamyr. Als er auf Zajumas Rücken stieg, spürte er einen leichten Schmerz, der von der Wunde ausging und verfluchte seine Unaufmerksamkeit.
„Ich reite vor“, sagte Jandris. „Ich denke, ich kenne mich am besten in den Wäldern rund um Skjaja aus.“
„Weil du dich früher mit den anderen Jungs hier herumtreiben durftest, während wir Mädchen den nächsten Wandbehang sticken durften“, entgegnete Livlia.
„Mädchen müssen andere Dinge lernen als Jungs“, antwortete Jandris und wich ihrem Schlag aus.
Die Dunkelheit machte es ihnen schwer, dem unebenen Weg zu folgen. Sie konnten die Pferde nur langsam gehen lassen, wenn sie vermeiden wollten, dass eins der Tiere in den Unebenheiten des Bodens stürzte und sich ein Bein brach.
Den Schein des Feuers vor dem Haus konnten sie noch lange als schwachen Schimmer erkennen. Plötzlich wurde der Himmel hell erleuchtet.
„Es brennt“, flüsterte Oschcura.
Rauchwolken stiegen in den nächtlichen Himmel, der von dem Widerschein eines riesigen Feuers erhellt wurde.
„Sie haben das Haupthaus angesteckt“, sagte Livlia und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sicher war sie froh, dieses Haus hinter sich zu lassen, doch es war auch das Haus, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte.
„Nicht umdrehen“, sagte Djamyr und fasste Livlias rötlicher Stute an den Zügel. „Alles, was war, liegt hinter dir. Alles, was kommt, liegt vor dir.“ Sanft führte er das Pferd vorwärts. Die anderen folgten ihnen. Schweigend ritten sie weiter.
Es dauerte nicht lange, dann sahen sie die unzähligen Feuer, die Skjaja erhellten. Von dem Weg, auf dem sie die Skjaja umgingen, konnten sie große Teile der Stadt überblicken, sahen brennende Häuser, Menschen, die versuchte durch die engen Straßen dem Unglück zu entgehen. Brennende Dächer stürzten herab, eins begrub eine Gruppe Frauen und Kinder unter sich.
„Oh, nein! Sind dies nicht die Menschen, denen die Upvirag helfen wollten? Jetzt zerstören sie alles und den Menschen geht es nicht besser als zuvor“, sagte Livlia traurig. „Ich kann verstehen, dass sie uns und unseren Reichtum hassen. Dass sie unsere Häuser verbrennen, doch da unten laufen jene Menschen, denen es durch den Aufstand besser gehen sollte.“
Schweigend standen sie nebeneinander und blickte auf das Drama, das sich vor ihnen abspielte und gnadenlos Leben und Existenzen zerstörte.
„Wir müssen weiter und vor Sonnenaufgang eine Stelle zum Lagern finden. Die ersten Tage der Aufstände sollten wir uns zurückhalten“, sagte Djamyr und trieb sein Pferd weiter den Weg entlang.
Im zarten Licht des erwachenden Tages betrachte Djamyr seine Begleiter, die in Decken gehüllt ruhten. Sie lagen im tiefen Schatten dichter Bäume, weit genug von der Straße entfernt, um nicht entdeckt zu werden. Livlia verbarg ihr Gesicht in den schwarzen Locken Oschcuras. Jandris hatte sich zusammengerollt, Djamyr bezweifelte jedoch, dass er schlief, auch wenn er ganz still lag. Gerne hätte er sich in seinen Arm geschmiegt, ihm Ruhe gegeben, doch sie mussten vorsichtig sein und Wache halten.
Angojio, die Verdammnis des Krieges war über das Land hereingebrochen und würde nicht unterscheiden zwischen Schuldigen und Unschuldigen, zwischen Tätern und Opfern. Raub, Mord und Plünderungen würden den Aufständen folgen und es würde lange dauern, bis diese Bestie wieder gebändigt wäre. Wobei sich erst einmal jemand finden musste, der die Bestie einfing. Er bezweifelte, dass die Upvirag die Richtigen dafür waren.
Der Boden vibrierte und Djamyr lauschte. Fünf Reiter, sie bewegten sich schnell, hatten keinen Blick für ihre Umgebung, sondern ein festes Ziel. Ein früher Vogel sang sein morgendliches Lied in den Zweigen über ihm. Tief atmete er die Luft ein, nahm die Gerüche wahr. Indjipendscha. Freiheit.
Er war frei. Zum ersten Mal seit Myrams Verrat war er frei. Und auf dem Weg nach Hause. Orijino. Für einen Moment schloss Djamyr die Augen, erinnerte sich an die Heimat. Die Gerüche, Geräusche, das Gefühl der Steppe unter Zajumas Hufen. Wenn sie es schafften, das Chaos, das über Allragöst hereinbrach, zu überleben, dann würden sie vielleicht bis zum Winter Djistestera erreichen.
Eine Kutsche mit fünf oder sechs Reitern kam den Weg entlang. Sie bewegten sich schnell, die Räder rumpelten über die Unebenheiten der Straße. Waren dort Menschen auf der Flucht oder schleppten Plünderer ihre Beute fort?
Ein rotbraunes Eichhörnchen kletterte geschickt von dem Baum und blieb dicht vor ihm stehen. Mit bebenden Härchen sah es sich misstrauisch um. Ein knackender Ast unter Yuris Huf trieb es mit wenigen Sprüngen wieder den Baum hoch. Wie friedlich schien die Welt hier, doch wenige Agroen weiter herrschte Angojio.
Mit einsetzender Dämmerung machten sie sich wieder auf den Weg. Livlia schmerzte der Hintern, doch sie nahm sich vor, nicht zu jammern. In Djistestera musste sie jeden Tag auf einem Pferderücken zubringen, bis dahin hatte sie Zeit sich daran zu gewöhnen. Der Schlaf über Tag war nicht so erholsam gewesen, es war zu hell und zu laut gewesen für ihre Begriffe. Jetzt war sie müde – und besorgt. In gebührendem Abstand ritten sie an einem Anwesen vorbei, das in Schutt und Asche lag. Nur ein paar Mauern und der hohe Schornstein erinnerten an die Größe des Hauses. Vor dem Tor waren Köpfe auf Pfähle gespießt worden, die Augen ausgestochen. Obwohl sie so weit weg waren, konnte sie die leeren Augenhöhlen sehen. Nur der Gedanke ließ ihren Magen rebellieren.
Während Jandris ebenfalls geschockt wirkte, wendete Djamyr nicht einmal den Kopf. War er so gleichgültig gegenüber diesen Menschen, die er überhaupt nicht kannte?
Am späten Abend erreichten sie einen Fluss, den sie überqueren mussten und hielten an seiner Furt.
Nur für ein wenig Essen und Trinken nahmen sie sich Zeit. Eine Weile würden sie noch weiterreiten, bevor sie ein Lager aufschlugen. Djamyr sah die Müdigkeit in den Augen der Frauen. Sie waren es nicht gewohnt, diese Strecken auf einem Pferderücken zurückzulegen. An der Art, wie sie ihrer Stute rutschte, sah er, dass Livlia Schmerzen hatte. Gerne hätte er ihr Zeit zur Erholung gegönnt, doch sie hatten keine Zeit.
Während Jandris sich um die Pferde kümmerte, ging er ein Stück am Fluss hinunter. Ein Schrei ließ ihn verharren. Lautlos tauchte umgehend Jandris neben ihm auf.
„Gefahr?“
„Ich weiß nicht.“
Nur ein Hauch, die Worte kamen nicht weiter, als bis zu ihren Ohren. Mit Handzeichen verständigten sie sich, gingen getrennt und vorsichtig weiter.
Ein weiterer Schrei. Eine Frau, dann das Weinen eines Kindes. Djamyr ging schneller. Vor ihm tauchte eine Hütte auf. Nicht groß, schlicht. Einfache Leute. Die folgenden lauten Worte kamen aus dem Inneren der Hütte.
„Sie ist doch noch ein Kind!“, schrie die heisere, angsterfüllte Stimme einer Frau.
Vor der Hütte, im fahlen Mondlicht gut zu erkennen, lag ein Mann. Die sich dunkel abhebende Fläche um ihn herum, ließ darauf schließen, dass er in seinem Blut lag. Djamyr sah kurz Jandris auf der anderen Seite der Hütte. Beide näherten sich dem Gebäude. Mit äußerster Vorsicht warf Djamyr einen Blick in den einzigen Raum der Hütte.
Drei bewaffnete Männer standen in der Hütte verteilt. Ein vierter hielt ein junges Mädchen an den Schultern gepackt, riss an ihrem Kleid. In der Ecke saß eine Frau, Blut im Gesicht, die Arme um zwei kleine Kinder geschlungen. Panisch sah sie von einem Mann zum nächsten. Lachend und grölend betrachteten die drei ihren Kameraden.
Djamyr schlich sich weiter, bis er zum Eingang kam und auf Jandris stieß. Mit den Fingern deutete er ihm erst die Anzahl der Männer an, dann ihre ungefähre Position. Jandris nickte und zog das Schwert. Djamyr legte die Hände an die Zwillingsschwerter.
Das kleine Mädchen schrie und es folgte ein klatschendes Geräusch. Beide Männer wechselten einen letzten Blick, dann betrat Djamyr als erster die Hütte.
„Djarvul!“ Der letzte der vier starb mit diesem Wort auf den Lippen und panischer Angst in seinem Blick. Danach war es still in der Hütte, bis ein kleiner Junge, an der Schulter seiner Mutter, zu schluchzen begann. Unsicher, ob sie dankbar sein sollte oder ob von den beiden Männern noch mehr Gefahr drohte, sah die Frau von Jandris zu Djamyr. Djarvul. Sie konnte dem Toten nur recht geben, der Fremde sah wie der Sklave Skrattis aus. Doch er hatte zusammen mit dem größeren, blonden Mann die Mörder getötet, die ihren Mann umgebracht und sich um ein Haar an ihrer kleinen Tochter vergangen hätten.
„Hab keine Angst.“ Der Blonde war auf sie zugetreten, seine blauen Augen sahen sie beruhigend an. „Wie heißt du?“
„Tuvla, Herr“, sagte sie und senkte die Augen.
„Ich bin nicht dein Herr. Mein Name ist Jandris – Und das ist Djamyr“, fügte er mit einem Blick auf diesen zu. Djamyr war zu dem kleinen Mädchen getreten und war vor ihm auf die Knie gegangen, damit er mit ihr auf Augenhöhe war. Mit großen, graublauen Augen sah sie ihn ängstlich an. Blutspritzer hatten sie getroffen, ein Tropfen lief über ihr blasses Gesicht. Langsam streckte er die Hand aus und wischte ihn fort.
„Nor paujar tia ajere“, sagte er mit leiser Stimme. „Hab keine Angst, pijolla. Mein Name ist Djamyr. Wie heißt du?“
„Einje“, flüsterte sie.
„Einje, ein sehr schöner Name.“ Er lächelte sie an. „Komm, Einje, wir gehen zu deiner Mutter.“ Er streckte ihr die Hand hin. Zögernd legte sie ihre hinein, warf einen Blick auf die Leiche des Mannes, der sie eben noch gepackt hatte.
„Er kann dir nichts mehr tun.“ Langsam zog er sie zu sich. Als sie direkt vor ihm stand, drehte er ihr Gesicht von dem Anblick weg. Tränen schwammen in ihren Augen. Auf einmal schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und presste schluchzend ihr Gesicht an seine Schulter. Mit dem federleichten Mädchen im Arm stand er auf und brachte sie zu ihrer Mutter, die sich inzwischen auch erhoben hatte. Zwischen den Falten ihres weiten Rockes verbargen sich zwei kleine Jungen, lugten schüchtern hervor.
„Ihr könnt nicht hierbleiben“, sagte Jandris. „Alleine und ohne Schutz.“
„Warum? Was ist passiert?“, fragte die Frau verzweifelt. „Diese Kerle kamen auf unseren Hof, ohne etwas zu sagen, stachen sie Filibo nieder, drängten uns in das Haus und …“ Sie verstummte mit einem Blick durch die Hütte.
„Im ganzen Land haben die Upvirag sich erhoben und Sklaven befreit. Es herrscht Chaos und Gewalt in den Städten. Diese hier“, er zeigte auf die Männer, „waren ihrem Äußeren nach ehemalige Sklaven. Und in der nächsten Zeit werden viele durch die Wälder streifen. Ihr seid hier nicht sicher.“
„Aber wo sollen wir den hingehen?“, fragte die Frau verzweifelt.
„Habt ihr keine sanjui … Menschen gleichen Blutes?“, fragte Djamyr, der mit Einje auf dem Arm an sie herangetreten war.
„Verwandte. Habt ihr Verwandtschaft, Tuvla?“, fragte Jandris.
Nachdenklich sah sie ihn an. „Filibo hat einen Bruder in Wignana. Aber ob der uns …“
„Wir sind auf dem Weg nach Wignana. Ihr könnt uns begleiten“, sagte Jandris. „Hier könnt ihr auf jeden Fall nicht alleine bleiben.“
Oschcura und Livlia sahen ihnen erstaunt entgegen, als sie mit Tuvla, den drei Kindern, die auf einem dicken Ackerpferd saßen, zurückkamen.
„Das sind Tuvla, Einje, Jukari und Jenno. Sie werden uns nach Wignana begleiten“, erklärte Jandris, ohne auf die Fragen in Livlias Gesicht einzugehen. „Heute Abend ziehen wir weiter.“
„Ich hatte gehofft, dass wir uns nicht weiter verstecken müssen“, grummelte Livlia leise.
„Sollen wir sie hierlassen?“, fragte Jandris ungeduldig. „Meinst du mir gefällt das?“
„Tuvla reitet auf Kanori, die Kinder bei uns.“ Djamyr war zu ihnen getreten. „Wir werden ein bis zwei Tage länger brauchen.“
„Und Eilliana? Mellia? Mutter?“, fragte Livlia.
„Keiner weiß, was in Wignana geschehen ist oder noch geschieht. Diese Familie braucht unsere Hilfe. Sollen wir sie ihrem Schicksal überlassen?“ Jandris sah seine Schwester an. „Fehlende Menschlichkeit hat uns dahin gebracht, wo wir jetzt sind.“
„Hört auf zu streiten.“ Djamyr berührte im Vorbeigehen Jandris kurz am Rücken. „Amjiare tia, amjaro“, flüsterte er in Jandris Ohr. Sie würden noch Geduld haben müssen.
Djamyr nahm Einje mit auf Zajuma, Jandris nahm Jukari mit auf Yuris und Jenno ritt bei Livlia mit. Tuvla war noch nie geritten und sie hatten für Kanori keinen Sattel. Deshalb nahm Tuvla die Schimmelstute von Oschcura und Oschcura ritt Kanori. Frühzeitig machten sie Rast, nachdem Jandris, der vorweg ritt, eine geeignete Stelle an einem Fluss fand.
Den Kindern zuliebe änderten sie ihren Rhythmus, ritten nun während des Tages und schliefen bei Nacht. Am dritten Tag erreichten sie den Gasthof, bei dem sie auch auf dem Weg zur Hochzeit Rast machten. Vor dem Gasthof standen Pferde und alles wirkte normal.
„Ich gehe hinein“, sagte Djamyr.
„Sie werden dich erkennen“, sagte Livlia.
„Ja, aber besser ich gehe als Jandris, der Sohn des reichen Händlers. Den werden sie bestimmt auch erkennen.“ Djamyr stieg von Zajuma und reichte Jandris die Zügel. „Vielleicht bekommen wir Zimmer für diese Nacht.“
Die Armschiene des Syxtyn am linken Arm trat er in den Gastraum. Die Gespräche an den Tischen verstummten, alle Augen wandten sich dem Eintretenden zu.
In dem Raum befanden sich ungefähr 20 Männer und Frauen. Keine Herren, wie beim letzten Mal, sondern ehemalige Sklaven, mindestens drei Svjardvalsten. Hinter der Theke stand derselbe rotwangige Mann und teilte Druvla aus.
Nachdem er ihn von oben bis unten angesehen hatte, sagte der Wirt: „Was wünschst du?“
„Wenn ihr habt drei Zimmer und etwas Anständiges zu essen.“ Langsam durchquerte Djamyr unter den misstrauischen Blicken der Svjardvalsten den Gastraum. „Wir sind seit Tagen unterwegs und haben Kinder dabei. Sie sind es ebenso wenig wie die Frauen gewohnt zu reiten.“
„Kannst du zahlen?“, fragte der Wirt und schenkte einen Becher Druvla ein. Djamyr nickte nur und legte einen Mynth auf das klebrige Holz der Theke. Der Becher wurde ihm zugeschoben und er nahm ihn in die linke Hand.
„Trink mit uns auf die Upvirag“, sagte einer der Svjardvalsten, ein breitschultriger Mann mit roten Haaren und hellgrünen Augen. Seine Nase war schief und eine gezackte Narbe zeichnete sein Gesicht.
„Gern“, antwortete Djamyr und hob den Becher. „Auf die Upvirag.“
Alle wiederholten die Worte und tranken von dem lauwarmen Druvla. Der Wein war gestreckt und wenig gewürzt.
„Oben links, ganz hinten, sind drei Zimmer. Eins ist ein wenig klein. Für diese Nacht könnt ihr sie haben. Eure Pferde könnt ihr im Stall unterbringen.“ Die Worte des Wirtes klangen, als täte er Djamyr einen Gefallen, doch diesen Mynth hätte er normalerweise für eine ganze Woche bekommen.
„Und etwas zu essen?“, fragte er nach.
„Meine Tochter bringt euch Brot und Suppe.“
Mit einem Nicken verließ Djamyr den Gastraum, spürte die immer noch misstrauischen Blicke der anderen Gäste.
„Du musst sehen, dass du zusammen mit den Kindern unerkannt in die Zimmer kommst“, sagte Djamyr zu Jandris. „Der Wirt erkennt dich bestimmt wieder. – Ich kümmere mich um die Pferde.“
„Ich kann dir helfen“, bot Oschcura an.
„Nein, ihr geht in die Zimmer, esst und versucht zu schlafen. Wenn wir schon über Nacht bleiben, dann sollten wir die Bequemlichkeit nutzen.“ Er nahm die sechs Pferde und führte sie in den Stall, während die anderen in dem Gasthof verschwanden.
„Du warst schon einmal hier, Djarvul“, sagte eine Stimme, während er Yuri bürstete. Die Anwesenheit des Mannes hatte er schon länger gespürt.
„Ja.“
„Mit der Hochzeitsgesellschaft, auf dem Weg nach Wignana. – Wohin seid ihr jetzt unterwegs?“
Djamyr drehte sich um, sah einen blassen Mann mit langen blonden Haaren. Dieser betrachtete ihn interessiert von oben bis unten. Wie schön wäre es, einmal nicht angestarrt zu werden.
„Ja, und wir haben dasselbe Ziel.“ Er wollte kein Gespräch mit diesem Kerl.
„Du bist ein Freund Svarius‘.“ Der Mann kam näher. „Ich bin Oshamu.“
Für einen Svjardvalsten war er zu dünn. Was wollte er von ihm?
„Du trägst die Armschiene Syxtyns. Es gibt dir Schutz vor den Upvirag.“ Seine Augen glitzerten. „Mit dieser Schiene könnte man überall hin.“
„Was willst du, Oshamu? Diese Armschiene? Svarius gab sie mir und er weiß, dass ich sie niemals freiwillig hergebe.“
„Svarius vielleicht, aber die anderen Upvirag nicht – und Svarius ist nicht überall.“ Einen Schritt vor Djamyr blieb er stehen.
„Du und dein Freund, der gerade versucht sich an mich heranzuschleichen, überleben wollt, dann geht. Wenn ihr versucht, diese Schiene zu bekommen, werdet ihr sterben.“ Der Mann in seinem Rücken war stehengeblieben. Ungefähr drei Schritte von ihm entfernt.
„Es wird genug gekämpft und gemordet. Geht und ich vergesse euch und euren Freund.“ Sie würden nicht hören. Djamyr konnte es in dem Gesicht des Blonden sehen. Sie glaubten, sie wären zu zweit und in der besseren Position. Wie dumm sie waren!
Sie griffen ihn zeitgleich an, ohne Überlegung, nur in der Hoffnung zu zweit stärker als er zu sein. Es war so einfach, nur einen Wimpernschlag später, war alles vorbei. Was für Narren! Er brauchte sie nicht einmal zu töten, sie waren Meuchelmörder und keine Kämpfer. Gewohnt aus dem Hinterhalt, unbemerkt zu töten. Woher kannten sie die Armeschiene des Syxtyn?
„In eurem Stall liegen zwei Männer, die ihr Handwerk nicht verstehen.“
„Was meint ihr?“, fragte der Wirt irritiert.
„Zwei Diebe und Mörder. Macht mit ihnen, was ihr üblicherweise mit ihrer Sorte tut, nur haltet sie von mir und meinen Begleitern fern.“
Verunsichert und gleichzeitig beflissentlich verbeugte der Wirt sich und rief, kaum, dass Djamyr außerhalb seiner Sicht war, nach einem Knecht.
Bevor er das erste Zimmer betrat, aus dem ihm die Stimmen der Kinder entgegen schallten, klopfte er. Nachdem er sich versichert hatte, dass Tuvla und den Kindern gut ging, bat er sie, ihre Tür über Nacht verschlossen zu halten, und ging zu Livlia und Oschcura, die es sich in dem Zimmer gegenüber bequem gemacht hatten. Jandris war nicht bei ihnen und er ging davon aus, ihn in dem letzten Zimmer zu finden.
Der kleine, dunkle Raum, in dem sich nur ein wackliger Tisch vor dem Fenster, ein kleiner Hocker und ein schmales Bett befanden, war mehr eine Kammer als ein Zimmer. Ein feuchter Geruch lag in der Luft, der nur von dem Duft der Suppe überlagert wurde.
Jandris stand am Fenster, betrachtete den kleinen Hof. „Du hast schon wieder für Aufregung gesorgt“, sagte er mit einem belustigten Blick auf Djamyr.
„Es gab zwei Interessenten für die Armschiene des Syxtyn“, erwiderte er schulterzuckend. „Sie waren so dumm, auf mein Angebot zu verschwinden, nicht einzugehen.“
„Na ja, jetzt brauchen sie sich wohl keine Sorgen mehr zu machen“, stellte Jandris fest, während er beobachtete, wie der Wirt und sein Knecht die beiden Körper aus dem Stall trugen.
„Als ich ging, lebten sie noch“, sagte Djamyr. „Wenn der Tod hier für Diebe und Mörder die übliche Strafe darstellt …“
Djamyr war neben Jandris getreten und sah auf den Hof. Gerade wurde der Körper des zweiten Mannes aus dem Stall getragen. „Hätte ich sie töten sollen? Die Entscheidung habe ich dem Herrn dieses Hauses überlassen.“
Jandris schlang die Arme um ihn. „Lass sie uns vergessen, Aelskjar. Wir müssen etwas essen und schlafen.“ Doch seine Hände wanderten über Djamyrs Brust, streichelten seinen Bauch. Eng schmiegte sich dieser an ihn, überließ es seinen Händen, sich einen Weg unter die Kleidung auf die nackte Haut zu suchen. „Ich darf dich sehen, doch nicht berühren. Es ist als hätte sich nichts geändert“, flüsterte Jandris sehnsüchtig.
„Jetzt sind wir allein, amjaro, gib mir, was ich brauche“, sagte Djamyr rau. Sofort stand Jandris in Flammen. Er senkte seinen Mund auf Djamyrs Nacken, biss sanft hinein. Djamyr keuchte auf, presste sich an Jandris. Schnell, fast ruppig, befreiten sie sich aus ihren Kleidern. Jandris schob Djamyr auf das Bett, sodass dieser vor ihm kniete. Der brennende Blick über die Schulter und das heiser geflüsterte: „Tomji, amjaro!“ – Komm, Geliebter! – war fast zu viel. Diese erste Vereinigung seit sie gegangen waren, war schnell und hart. Gab ihnen beiden, was sie in diesem Moment brauchten. Keuchend lagen sie hinterher auf dem Bett.
„Raubtier“, flüsterte Jandris.
„Sappiovolje“, antwortete Djamyr.
„Was bedeutet dieses Zeichen?“ Jandris nahm Djamyrs Arm und zeigte auf das Zeichen der beiden offenen Kreise mit der geschwungenen Linie darum.
„Es ist das Zeichen für Sappiovolje, den Sandfuchs, verbunden meinem Zeichen“, antwortete Djamyr.
„Und was bedeutet es?“
„Es bedeutet, dass du mein djijiba bist.“
„Dein Gefährte?“ Jandris beugte sich über ihn. „Du meinst …“
„Ja, ich liebe dich. Du bist mein Schicksal. Es gibt keinen anderen als dich.“ Djamyr umfasste sein Gesicht mit den Händen. „Ich gehöre zu dir, heißt dieses Zeichen.“
„Das heißt, dass die beiden offenen Kreise für Sappiovolje stehen?“
Djamyr nickte.
„Ich möchte, dass du mir dasselbe Zeichen stichst. – Ich will auf ewig mit dir verbunden sein.“
Djamyr küsste ihn. „Semja djoabija – Ewiges Zusammenleben?“, fragte er, spürte sein eigenes Herz hart schlagen.
„Ja.“, hauchte Jandris und legte seinerseits die Hände um Djamyrs Gesicht. „Ja!“ Und küsste ihn. Es war die Art von Küssen, die mehr sagte als alle Worte. Die Lippen bezeugen Liebe und versprachen Ewigkeit. Erst als Jandris Magen deutlich sagte, dass er nicht länger auf Nahrung verzichten konnte, trennten sie sich widerwillig.
„Heute noch, Aelskjar“, flüsterte Jandris, bevor er aus dem Bett stieg.
Konzentriert beugte Djamyr sich über Jandris‘ Arm und stach in die Haut. Jandris musste die Kerze halten. An dieser Stelle war die Prozedur nicht so schmerzhaft, wie in seiner Leiste. Djamyr begann ganz leise zu summen. Das hatte Jandris noch nie gehört. „Was summst du?“, flüsterte er, um den anderen nicht zu stören.
Djamyr schien darüber einen Moment nachdenken zu müssen. „Ein Lied für kleine Kinder.“ Entschuldigend lächelte er Djamyr an. „Ich habe es gar nicht gemerkt.“
„Das habe ich noch nie gehört. – Dass du summst.“ Das Gesicht des Geliebten wurde im Schein der Kerze von Licht und Schatten gezeichnet. Er war so unglaublich schön. So schön, dass es einen süßen Schmerz in seinem Herz auslöste, den er nicht verstand.
„Ich bin frei – und das ist ein gutes Gefühl“, erklärte Djamyr, während er im gleichbleibenden Rhythmus weiterhin in die Haut stach. „Vielleicht kam mir deshalb die Melodie in den Kopf. Es ist ein Lied über das Weite Land.“ Kurz hob er den Blick und lächelte. Jandris hatte das Gefühl, sein Herz würde schmelzen, einfach in seiner Brust zerfließen.
„Kannst du es mir vorsingen?“
„Nein, ich kann nicht singen“, entgegnete Djamyr sofort lächelnd.
„Bitte, keiner kann dich hören.“
Ergeben seufzte Djamyr und begann leise in dieser seltsam fremden Sprache zu singen. Auf einer fröhlichen, tänzelnden Melodie hüpften die Worte, die Jandris nicht verstand.
„Was bedeutet es?“, fragte er, als Djamyr endete.
„Das Lied erzählt von dem Steppenwind, Djamnor, der über das Weite Land weht, über das kurze Gras fährt und die Tiere ebenso berührt, wie die Menschen. Er - vesdajar – streichelt sein geliebtes Land.“
„Du hast deinen Namen von ihm“, erinnerte Jandris sich. Djamyr nickte, vorsichtig wischte er die Farbe von der Haut, betrachtete die Zeichnung, die von der hellen Haut Jandris‘ deutlich abstach.
„Fertig.“ Der dunkle Blick suchte seinen. „Semja djoabija. In meinem Land, in meiner Sippe, wird keiner mehr wagen, seine Hand an dich zu legen. Du gehörst zu mir, so wie ich zu dir.“
„Kein offenes Gelöbnis? Keine Feier? Keine Opfer an euren Gott?“ Jandris wusste nicht genau, ob er ein wenig enttäuscht sein sollte.
„Wir opfern nie unserem Gott. Er braucht keine Opfer von seinem Volk.“ Djamyr nahm seine Hände. „Wenn wir in der Sippe leben würden, dann würden wir es öffentlich erklären. Ich wollte jedoch nicht warten, bis wir das Weite Land erreichen.“ Zart küsste er Jandris‘ Handinnenflächen. „Gültigkeit hat es auch so.“
Jandris legte seine Hände um Djamyrs Gesicht, zog ihn näher, sah in die Augen, die im Kerzenlicht dunkel aussahen. „Ich liebe dich, Aelskjar, mehr als alles andere auf der Welt. Du – ergänzt mich.“ Sanft küsste er ihn. Seine Hände lösten das Lederband, gaben den Locken ihre Freiheit. Er legte sich auf den Rücken und zog Djamyr mit sich. „Liebe mich“, flüsterte er rau in den Kuss. Ein Schauer lief über Djamyrs Körper. Aus dem Kuss wurde eine Forderung, die Djamyr nur zu gern erfüllte. Sie ließen sich Zeit, die sie so schnell nicht wieder haben würden, erkundeten, erregten, suchten und fanden, nahmen und gaben, bis Djamyr sie über die Klippe brachte, sie gemeinsam hinüberstürzte und fliegen ließ. Müde und erschöpft schliefen sie hinterher nebeneinander ein.
Von der Pracht Wignanas war fünf Tage später, als sie endlich die Stadt erreichten, nichts mehr zu sehen. Viele der weißen Fassaden waren durch die Feuer der Upvirag geschwärzt. Wo zuvor Sauberkeit und Ordnung herrschten, regierte Schmutz und Dreck. An einer Straßenecke lag ein Mann mit durchgeschnittener Kehle im Rinnstein, keiner der vorbeieilenden Menschen kümmerte sich um ihn. Das Haus des Sopherus sah in der nachmittäglichen Sonne fast unbeschadet aus. Erst, als sie näherkamen, erkannten sie die Veränderungen. Fenster waren eingeschlagen, Statuen im Garten gestürzt. Niemand kamen ihnen entgegen.
„Ihr bleibt hier.“ Djamyr rutschte von Zajuma und ging auf das Haus zu. Im Inneren herrschte genauso großes Chaos wie draußen. Alles war zerstört, zerschlagen worden. Nichts deutete auf Leben hin. Vorsichtig durchsuchte er das Erdgeschoss, ging durch die Räume. In der Bibliothek waren die Bücher in der Mitte aufgestapelt und verbrannt worden. Ruß klebte an Decken und Wänden.
In der Küche herrschte Ordnung. Djamyr trat an den großen Herd, er wurde befeuert und strahlte Hitze aus. Über die hintere Treppe ging er in das Gesindehaus.
„Bleibt stehen. Keinen Schritt weiter!“, rief eine jugendliche Stimme von oben.
„Ich bin kein Feind“, antwortete Djamyr.
„Du bist der Fremde, Djamyr“, sagte die Stimme nach einer kleinen Pause.
„Ja.“ Er schob sich vorsichtig an der Wand entlang höher. Es war ein Knabe, ein junger Mann höchstens, der dort mit ihm sprach. Kein Kämpfer, keine Wache.
„Seid ihr allein?“, fragte nun eine helle Stimme. Millia erkannte er.
„Nein, euer Bruder Jandris und eure Schwester Livlia sind bei mir, Mellia.“
„Oh, Djamyr.“ Füße hüpften die Treppe herunter und mit einem Mal fiel ihm die zarte Gestalt schluchzend um den Hals. Beruhigend streichelte er über ihren Rücken.
Auf der Treppe erschien ein blonder Junge, Djamyr erinnerte sich an ihn: Myrros, der Pferdeknecht. In der Hand hielt er ein viel zu großes Schwert.
„Eilliana, ihr Baby will nicht kommen. Seit gestern quält sie sich“, weinte Mellia an seiner Schulter. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es gibt niemanden, nach dem ich schicken kann. Und Odna …“
„Mellia!“ Livlia war hinter ihm aufgetaucht.
„Livlia!“, schluchzend fiel Mellia ihr um den Hals. „Livlia, es ist so schrecklich! Mama, sie … sie ist tot.“
Jandris, der noch ein paar Stufen unter ihr stand, stieß einen würgenden Schrei aus und lief die Stufen hoch.
„Was ist passiert?“, fragte er und legte seine Arme um die beiden.
„Es war Ryoshi, ein Sklave“, schluchzte Mellia. „Odna wollte verhindern, dass er Eilliana schlug. Mutter hat sich dazwischen gestellt und ihn beschimpft. Er hat nicht gezögert und sie geschlagen, Mutter stürzte und fiel die Treppe herunter. Und … und …“
„Pscht“, flüsterte Jandris und zog sie an seine Schulter. Djamyr konnte die Trauer in seinen Augen sehen. Gerne hätte er ihm Trost gespendet, doch das konnte er hier und jetzt nicht. Ihre Blicke begegneten sich und er hoffte, dass Jandris sein Mitgefühl sehen konnte.
Djamyr ging zu dem kleinen Jungen, der ihm entgegen sah.
„Myrros. Der Junge, der weiß, wie man sich einem Pferd nähert.“
Das helle Gesicht errötete unter den blonden Haaren und die graublauen Augen senkten sich.
„Wo ist Eilliana, Myrros?“, fragte er und der Junge führte ihn in ein kleines Zimmer, vielleicht das Zimmer einer Zofe, vor den Aufständen. Die junge Frau sah ihn mit großen, schmerzgeweiteten Augen an. Ihr Bauch schien grotesk aufgebläht. Bevor er eintreten konnte, schob sich Tuvla an ihm vorbei.
„Geht. Ein Mann hat nichts in diesem Zimmer zu suchen.“ Mit winkenden Bewegungen scheuchte sie ihn aus dem Zimmer. „Oschcura. Du hilfst mir“, sagte sie bestimmt, fasst den Arm der jungen Frau, zog sie mit in das Zimmer und schloss die Tür vor Djamyr.
„In Allragöst dürfen nur Frauen das Zimmer einer Gebärenden betreten“, erklärte Livlia, die mit geröteten Augen zu ihm getreten war.
„Ich hoffe, dass die beiden wissen, was sie tun“, sagte Djamyr.
„Ich glaube, dass Tuvla nach drei Kindern, die sie alleine kriegen musste, weiß, was sie zu tun hat“, sagte Livlia und streichelte Millia, die sich immer noch an ihr festhielt, tröstend über den Rücken.
Zusammen mit Myrros versorgte Djamyr die Pferde, während Jandris bei Livlia und Mellia blieb, die sich um Truvlas Kinder kümmerten.
„Erzähl mir, was geschehen ist“, forderte Djamyr den Jungen auf.
„Es begann an Soelstyn“, begann Myrros zu erzählen. „Der Tag fing wie immer mit viel Arbeit an. Doch die Stimmung war anders. Unruhe herrschte, es wurde viel geflüstert und getuschelt. Die Herrschaft besucht zuerst den Sonnenplatz, auf dem der Priester das Opfer darbrachte und für ein gutes Jahr betete. Anschließend gingen sie zu den Svjardvalstenkämpfen. An diesem Abend sollte es eine große Feier geben, doch dann …“ Er schwieg, biss sich auf die Unterlippe. „Auf einmal ging es los. Sklaven, Wachen und vermummte Fremde griffen zu den Waffen, töteten Sopherus und alle, die sich ihnen entgegenstellten. – So wie die Mutter der Herrin. Der Herr, Andris, wurde verletzt, schaffte es jedoch, seine Frau und ihre Schwester ins Haus zu bringen. Zusammen mit der Mutter versteckten sie sich dort. Es war wie ein Fieber, wie Skratti Rykri. Überall wurde geschrien, gekämpft, Blut floss. Dann bekamen die Pferde Angst. Ich … ich versuchte, so viele wie möglich aus ihren Ställen zu befreien.“ Wieder schwieg er und Djamyr konnte den Schmerz in seinem Blick sehen. „Feuer brach aus, griff so schnell um sich. Die Decke stürzte ein.“ Mit riesigen Augen sah er Djamyr an. „Ich habe sie schreien gehört, konnte ihnen nicht helfen.“ Tröstend zog er den Jungen in seinen Arm. Die Tränen kamen, schluchzend hielt Myrros sich fest. „Sie haben so schrecklich geschrien. – Und keiner wollte helfen.“
„Und Andris?“, fragte Djamyr, nachdem Myrros sich beruhigt hatte.
„Sie haben ihn mitgenommen“, sagte Myrros leise. „Die Upvirag haben ihn mitgenommen. Er soll mit anderen morgen Abend gemeinsam öffentlich hingerichtet werden.“
„Hingerichtet?“ Jandris sah ihn fassungslos an.
„Ja, sie habe einige der reichen Händler festgenommen und wollen sie morgen auf dem Sonnenplatz hinrichten.“ Djamyr stand dicht neben ihm in der Bibliothek.
„Wie?“ – „Myrros sagt, sie haben Scheiterhaufen errichtet. Sie werden sie verbrennen.“ – „Verbrennen? Der Tod der Mörder. – Wir müssen etwas unternehmen. Wir können Andris doch nicht sterben lassen.“ Jandris drehte sich zu ihm um, legte die Hände auf seine Schultern, sah ihm in die Augen. „Was soll aus Eilliana und dem Kind werden?“
Eilliana hatte bei einsetzender Dunkelheit mit Tuvlas Hilfe ein kleines Mädchen, Vilja, geboren.
„Nein, Djamyr!“ Jandris sah ihn wütend an. „Du kannst nicht allein zu ihnen gehen! Selbst wenn sie Styxins Armschiene erkennen, kannst du nicht um das Leben eines rechen Kaufmannes bitten.“
„Ich will nicht um sein Leben bitten!“ Djamyr erwiderte den Blick ruhig an den großen Schreibtisch gelehnt. „Ich will wissen, wie es ihm geht. Vielleicht heißt leben, dass er nur noch für das Feuer am Leben erhalten wird, aber so schwer verletzt ist, dass es keine Rettung mehr für ihn gibt. Dann können wir nichts mehr für ihn tun.“
„Und wenn es ihm gut geht? Was können wir dann für ihn tun?“ Mit langen Schritten ging Jandris unruhig durch das Zimmer.
„Das weiß ich, wenn ich mir angesehen habe, wo er ist. Wo der Richtplatz ist und wie der Weg dahin aussieht.“
„Du denkst daran, ich zu befreien!“ Jandris blieb abrupt vor ihm stehen. „Aelskjar, das ist zu gefährlich.“ Hände legten sich um sein Gesicht. „Er ist Eillianas Mann, aber lieber stirbt er, als du!“
„Ich habe nicht vor zu sterben.“ Djamyr zog ihn heran und küsste ihn. „Keine Angst, amjaro, ich werde nicht mein Leben riskieren.“
Noch mehr aufgespießte Köpfe vor dem Tor des Gefängnisses, in dem die Upvirag die Händler und reichen Grundbesitzer inhaftiert hatten. Daneben zwei ehemaligen Svjardvalsten, die Djamyr grimmig entgegensahen. Als er das Tor erreicht traten sie nebeneinander und versperrten ihm den Weg.
„Ich möchte den Mann sprechen, der hier das Sagen hat.“ Djamyr blieb dicht vor ihm stehen und verschränkte die Arme. Sein Hemd schob sich hoch und die Männer konnten die Armschiene sehen.
Beide tauschten einen Blick, ehe sie zur Seite traten. „Frag nach Spyrius, Djarvul.“
Djamyr zog die Augenbrauen hoch und ging zwischen beiden Männern hindurch. Seine Nackenhaare richtenden sich auf. Wussten sie, wer er war? Waren sie eine Bedrohung? Für ihn – oder Jandris?
Blutgeruch lag in der Luft, als er den Innenhof durchquerte. Männer schmissen Leichen – oder vielmehr Leichenteile auf einen Karren. In Käfigen sprangen Hunde wütend bellend auf und ab, streckten ihre geifernden Schnauzen durch die Gitter. Blut befleckte ihr Fell und Djamyr wollte sich gar nicht vorstellen, was hier geschehen war.
Die Männer an den Karren verfolgten misstrauisch seinen Weg, bis er in dem Gebäude verschwand. Welche Chancen hätte er, wenn sie sich gegen ihn stellen würden? In gespannter Wachsamkeit ging er durch den Flur, nahm wahr, wo sich Türen und Fenster befanden, wo er Svjardvalsten und andere Männer sah. Türen waren eingetreten, Fenster zerschlagen, auch hier hatte violenjio, die Gewalt, geherrscht.
Eine Frau in zerrissenem Kleid und mit leerem Blick wusch mit einem Lappen Blut von einem Wandbild.
Ein Mann, offensichtlich ein Svjardvalster, trat in seinen Weg. „Wo willst du hin, Fremdling?“
„Zu Spyrius“, antwortete er und begegnete ruhig dem grimmigen Blick.
„Dann folg mir.“ Der Riese, er war bestimmt anderthalb Köpfe größer als Djamyr, drehte sich um und ging mit großen Schritten voraus.
Eine schwere Tür, die nur noch halb in den Angeln hing, offensichtlich war sie von einem Rammbock eingerissen worden, drückte der Mann vor ihm ganz auf.
„Du hast Besuch, Spyrius“, rief er schon beim Eintreten mit dröhnender Stimme.
Dieses war offensichtlich das Büro des Herren über dieses Gefängnisses gewesen. Djamyr vermutete, dass der Mann, der blutüberströmt, aber scheinbar noch lebendig, in Ketten an der Wand hing, dieser Herr war. Seine Aufmerksamkeit richtete er jedoch auf den Mann hinter dem Tisch.
Eine Schwertnarbe teilt die rechte Wange des Mannes in zwei Hälften. Seine Haare waren grau, die Augen darunter hellblau und eisig.
„Ich überlege, ob ich den Mann seine Eingeweide essen lassen soll? Was meinst du, Djarvul?“ Spyrius erhob sich von dem Stuhl auf dem er bis eben gesessen hatte und kam langsam um den Schreibtisch herum. „Wie sieht es aus, Djarvul, willst du ihm den feisten Bauch aufschneiden?“ Er zog einen an der Spitze leicht gekrümmten Dolch aus der Scheide, die an seinem Gürtel hing.
„Warum sollte ich das tun? Was hat er mir getan, dass ich ihn bestrafen sollte?“ Djamyr sah das Messer an, ohne sich zu bewegen.
„Er und seinesgleichen haben Menschen wie dich und mich geknechtet, gefoltert, in die Arenen geschickt um sich gegenseitig zu töten … und du hast keinen Grund ihn zu töten?“ Immer näher war das Gesicht und das Messer Djamyr gekommen.
„Spyrius, wenn du ihm noch näher kommst, dann bist du tot!“
Der Angesprochene trat zurück und Djamyr ließ die Klinge wieder in die Scheide gleiten bevor seinen Kopf Svarius zuwendete, der an den Türrahmen lehnte und sich jetzt abstieß und in den Raum trat. „Ich wusste, du würdest herkommen, Djamyr. – Lass uns alleine, Spyrius!“
Ohne zu zögern und seinen Blick auf Djamyr gerichtet, verließ der andere Mann den Raum.
„Du bist nicht alleine in der Stadt“, stellte der Upvirag fest und trat noch einen Schritt näher zu Djamyr. „Du hast deinen Geliebten dabei. – Schade, mein Hübscher.“
In Svarius Augen sah Djamyr etwas neues, mejalomajio, Besessenheit und Wahn. Nur ein Funke in den braunen Augen, der Beginn dieser Krankheit, die den Geist eines Mannes zerstören konnte.
„Du wusstest, dass ich mit ihm gehe!“
„Ja, aber es hätte ja sein können, dass ihm auf dem Weg etwas zustößt.“ Svarius sah ihn an und lachte. „Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an. Ich würde gerne noch einmal mein Lager mit dir teilen.“
Djamyr sagte nichts dazu. Svarius hätte es nicht verstanden.
„Du hast eine ganze Karawane mitgebracht. Frauen und Kinder.“ Langsam umkreiste er Djamyr. „Und du bist in das Haus des Sopherus eingekehrt.“
„Jandris‘ Schwestern sind dort, wie du weißt.“
„Ja, Thordas hat seine Kinder alle gut verschachert. – Du bist wegen Andris hier.“ Wieder vor Djamyr angekommen starrte er ihm in die Augen.
„Ja, ich wollte wissen, wie es ihm geht und was ihr mit ihm vorhabt.“ Mejalomajio ging mit Macht einher und zerfrass die Seelen der Menschen, die von ihr erfasst wurden. In Svarius Augen, auf seiner Seele hatte sie schon Spuren hinterlassen.
„Wir werden ihn töten. Wir werden sie alle töten, die Tyrannen und Mörder. Die Menschenhändler und Sklavenhalter.“
Von dem gefesselten Mann kam ein schwaches Husten, Blut floss aus seinem Mundwinkel. Svarius drehte sich um und schlug dem Wehrlosen in den Bauch. Blutstropfen flogen zur Seite, fielen auf den Boden und vereinigten sich mit den dort schon vorhandenen zu Pfützen. „Du wirst nicht so einfach sterben. Für dich wird es ewig dauern!“
Mit unbewegter Miene folgte Djamyr dem Schauspiel, bis Svarius sich ihm wieder zuwandte.
„Er war früher Wächter im Hause des Arvys und für die Bewachung der Svjardvalsten zuständig. Gnadenlos und brutal, so wie sein Herr es wünschte.“
Djamyr konnte die heiße Wut spüren, den Wunsch, den Mann jetzt sofort zu Tode zu prügeln. Dieser Wunsch kämpfte mit dem Bedürfnis, ihn so lange wie möglich leiden zu lassen. Svarius und Syxtyn waren Svjardvalsten im Hause Arvys gewesen.
„Lass mich mit ihm reden. Er ist heute Nacht Vater geworden. Lass ihn in dem Wissen sterben, dass seine Frau und seine Tochter leben.“ Djamyr streckte die Hand aus, berührte Svarius Arm. „Sei nicht wie er.“ Und mit einem Nicken zeigte er auf den Mann in den Ketten. „Sei keine Bestie.“
Lange sah der Upvirag ihn an, dann nickte er. „Geh und rede mit ihm. Versuchst du ihn zu befreien, werden sie alle sterben. Der Mann, den du liebst, seine Schwestern und jeder andere der dich begleitet. Ich werde dich und die dir folgen nicht aus den Augen lassen, Djamyr. Du wirst mir nicht entkommen.“
„Ich habe nicht vor, ihn zu befreien“, entgegnete Djamyr. Egal, was Jandris sagte, kein Mensch war es wert, dass er das Leben aller anderer auf das Spiel setzte.
„Oder du bleibst und er geht.“
Djamyr starrte ihn an. Svarius meinte das ernst.
„Bis morgenfrüh kannst du dich entscheiden, bleib bei mir und Andris lebt. Geh mit deinem Geliebten und er stirbt. – Und wenn du bleibst, mein Hübscher, dann für immer!“
Ein ehemaliger Svjardvalster führte Djamyr hinunter zu den Zellen. In dem Kerker roch es nach Blut, Urin, feuchten Wänden und Angst. Der fensterlose Keller gelegen wurden die Gänge und Zellen nur von dem zuckenden Licht der Fackeln erhellt.
Nur mühsam konnte er seinen Drang unterdrücken, diese Räume sofort wieder zu verlassen. Der Svjardvalster öffnete eine Zelle und wies hinein.
„Dort ist der Bastard, den du sprechen wolltest.“ Im Vorbeigehen nahm Djamyr eine Fackel aus ihrer Halterung und betrat die Zelle, wobei er seinen Kopf einziehen musste, da mit er ihn nicht an dem niedrigen Türsturz anstieß.
Die Enge und der Gestank erinnerten ihn an die Zeit bei Sakkio, dem Sklavenhändler. Eingesperrt in einen Käfig, geschlagen und erniedrigt. Sicher, dies nicht zu überleben … wie lange war das her?
In der Ecke der Zelle, mit kurzen Ketten um Hals und Handgelenke an die Wand gefesselt, saß ein Mann. Erst als er ihn im Schein der Fackel betrachtete, erkannte er Andris.
Die linke Seite des Gesichts war von Schlägen gezeichnet und zugeschwollen. Entzündete Brandwunden zeichneten den Hals und die Armen.
Djamyr ging vor der Gestalt in die Hocke. Die Augen öffneten sich, das linke nur zu einem Schlitz, betrachteten Djamyr. Blut klebte auf dem zerrissenen, ehemals weißen Hemd.
„Du bist der Fremde, der auf Jandris aufgepasst hat …“ Die Worte waren kaum zu verstehen und es folgte ein tiefes Husten. „Hast du ihn getötet?“
„Nein. – Ich komme aus deinem Haus. Du bist Vater geworden. Eilliana hat dir eine Tochter geboren: Vilja.“ Djamyr sah sich um, nahm einen Krug, der außerhalb der Reichweite Andris‘ stand und roch daran. Wasser, alt und abgestanden, aber anscheinend rein. Sich vorbeugend hielt er den Krug an die Lippen des Mannes, der ihn mit großen Augen anstarrte. „Trink.“
„Sie leben?“ Kaum war ein Teil der Flüssigkeit seine Kehle heruntergelaufen, musste er diese Frage stellen.
„Ja, und sie sind im Moment nicht in Gefahr.“
Ein Schrei, unmenschlich und keinem Geschlecht zuzuordnen, hallte dumpf durch den Kerker. Was für ein Schmerz mochte diesen ausgelöst haben? Djamyr wollte nicht darüber nachdenken.
„Gut!“ Der Körper sackte deutlich erleichtert zusammen. „Dann kann ich morgen auf dem Pfahl sterben.“
„Auf dem Pfahl?“ Myrros hatte erzählt, die Männer würden verbrannt.
„Ja, die Dienerschaften durften über die Todesart ihrer ehemaligen Herren bestimmen“, antwortete Andris mit leiser Stimme und hustete erneut. Djamyr flößte ihm erneut etwas Wasser ein.
Der Pfahl! Djamyr erinnerte sich gut. An die Geräusche. Das reißende Fleisch. Die Schreie. Den Geruch. Und die gleichgültigen Menschen, die in aller Ruhe Kakala aßen. Der Tod für gleichgeschlechtliche Liebe eigentlich.
„Warum haben sie es gefordert?“
„Sie durften frei wählen – und da mein Vater schon tot war, muss ich für ihn büßen.“ Er hob den Kopf und sah Djamyr in die Augen. „Sie haben nicht ganz unrecht. Ich hätte mich gegen ihn stellen müssen! Ich wusste, was er tat, doch mein ganzes Leben hatte ich Angst vor ihm. Er behandelte seine Familie nicht viel besser, als seine Sklaven.“ Ein Schluchzen entkam seiner Brust. „Ich habe Angst! Weniger vor dem Sterben … als vor den Qualen des Pfahls …“ Sein Blick wurde eindringlich. „Töte mich. Jetzt. Hier. Mit der Gewissheit, dass meine Frau, mein Kind – Vilja – leben.“ Tränen liefen aus seinen Augenwinkeln. „Bitte …“
Vor der Zelle stand der Svjardvalster und erwartete ihn. Kaum hatte Djamyr den Raum verlassen, betrat dieser ihn und überzeugte sich davon, dass Andris noch lebte.
Mit verschränkten Armen und eisig funkelnden Bernsteinaugen erwartete Djamyr ihn.
„Svarius befürchtete, du wolltest ihn töten“, rechtfertigte er sich unbehaglich unter dem kalten Blick, während er die Tür schloss.
Ohne ein Wort zu entgegnen, drehte sich Djamyr um und ging den Flur hinunter. Einmal kurz vor der Treppe musste er stoppen und zwei Männer durchlassen, die eine Leiche auf einer Bahre hinaustrugen. Weder Geschlecht noch Hautfarbe waren zu erkennen. Blaue Augen starrten in verstummtem Qualen blicklos ins Leere.
Ohne auf die Wache zu achten, der davor stand, ging Djamyr in den Raum, in dem er Svarius vermutete.
Auf dem Boden, vor dem angeketteten Mann, kniete eine Frau und versuchte mit ihren langen Haaren das Blut vom Boden zu wischen. Leise jammernde Töne entkamen ihr, die eher an ein Tier, den an einen Menschen erinnerten.
Sonst war niemand in dem Zimmer. Djamyr trat zu der Frau, deren zerrissenes Unterkleid nur notdürftig ihre Haut bedeckte. Als sie ihn bemerkte, duckte sie sich noch weiter, wurde fast zur Kugel und hob die Hände. Leise, kaum hörbar, stieß sie immer wieder „Nein. Nein.“ aus.
Vor ihr ging Djamyr in die Hocke und nach einem Moment der Stille hob sie ihren Blick. Die braunen Augen hatte er schon gesehen, er hatte diese Frau vor einigen Monaten von Jandris Schoss gepflückt, als beide vom Karldryk trunken und ihrer Sinne nicht Herr waren.
Jetzt war der Blick der Augen ängstlich, panisch und ihr hübsches Gesicht gezeichnet von Schlägen und Tränen.
„Sie ist die Tochter eines reichen Tuchhändlers gewesen. In dem Haus ihres Vaters wurden jedes Jahr mindestens fünf Sklavinnen von dem Herren des Hauses und seinem missratenen Sohn geschwängert. Die Kinder entweder an Sklavenhändler verkauft oder in dem Brunnen ersäuft.“ Svarius war eingetreten und sah ihn an. Langsam erhob Djamyr sich.
„Was wird aus einer gequälten Seele, wenn sie die Macht erhält, andere genauso zu quälen?“
„Hast du Mitleid mit ihnen?“ Svarius zeigte auf die Frau und den Mann, dessen Ketten leise klirrten. „Sie haben geschlagen, gefoltert oder – im Fall der Troelka – die Folter angeordnet. – Hast du Thordas leben lassen, als ihr geflohen seid?“
„Nein, aber ich habe ihn nicht gefoltert, ich tötete ihn wie einen Mann.“ Djamyr dachte an seinen Hass und das befriedigende Gefühl, Allby zu töten. Es hatte sich gut und richtig angefühlt. – Es war gut und richtig gewesen … anders als die Qualen, die diese junge Frau erleiden musste.
„Oh, das macht deine Tat besser als meine!“ Svarius fixierte ihn mit seinem Blick. „Sagtest du nicht, dass die Strafe der Tat entsprechen soll?“
„Ja, der Tod für den Tod. Aber nicht, wenn ich mich durch die Strafe auf die Stufe der Bestie begebe. Einen Vergewaltiger vergewaltigen?“ Djamyr nahm ein Glas vom Tisch und schenkte Wasser aus einem Krug ein. „Sich gleich einer Bestie zu verhalten, macht dich zu einer Bestie!“ Wieder ging er vor der Frau in die Hocke, hob vorsichtig ihr Gesicht und ließ das Wasser sachte in ihren Mund fließen.
Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie Svarius mit sich kämpfte, ihm den Becher aus der Hand zu schlagen.
„Du wirst nicht bei mir bleiben“, stellte Svarius fest.
„Es ist unmöglich, Svarius. Nicht nur, weil mein Herz gebunden ist, sondern auch, weil ich mit dem Mann, der du hier bist, nicht leben kann!“ Das Glas war geleert, die junge Frau sah ihn dankbar an und er schämte sich, sie mit so einer einfachen und menschlichen Geste zur Dankbarkeit gezwungen zu haben. Würde Svarius sie leiden lassen für das, was er getan hatte?
„Ich bin der gleiche Mensch wie vor einigen Menjad“, entgegnete dieser und wandte sich abrupt ab.
„Nein, du genießt das hier. Du bist wie sie geworden. – Warum lässt du zu, dass ein Mann wie Andris auf dem Pfahl sterben soll? Er ist vielleicht ein Schwächling, das Kind eines reichen, übermächtigen Vaters und vielleicht ist sein Verhalten Grund genug, ihn zu töten, doch der Pfahl?“ Djamyr schüttelte den Kopf. „Nein, Svarius, das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun!“
„Wie kannst du es wagen?“, knurrte Svarius, die Augen zu Schlitzen verengt. „Ich habe den Mann, den ich liebte, in der Arena getötet, weil sie es wollten. Zur Belustigung jener reichen Herren, wie auch Andris einer war. Sie alle sollen das Leid schmecken, das sie uns schlucken ließen!“
„Richte jene, die getötet haben. Lass sie an den Galgen der Stadt hängen, wenn ihre Schuld dies verlangt, doch töte nicht aus Spaß. Quäle nicht aus Genugtuung. Foltere nicht aus Rache! Werde kein … ripujanza, kein Ungeheuer wie sie!“ Djamyr hielt dem mörderischen Blick des Anderen stand. „Wenn du ein Land willst, in dem Gerechtigkeit herrscht, dann musst du gerecht handeln!“
„Gerechtigkeit kann es erst geben, wenn sie tot sind! – Verschwinde, Djamyr, geh zu deinem Geliebten, hoffe, dass ich es mir nicht noch anders überlege und ihn morgen auch auf dem Pfahl sterben lasse!“
Mit zwei Schritten stand Djamyr so dicht vor Svarius, dass sich ihre Nasen fast berührten. „Wag es nicht! Du würdest sterben – ohne jede Gerechtigkeit, ohne jedes Mitleid.“
„Verlasst die Stadt! Nimm dein Gefolge und verlass Wignana! Wer morgen Abend noch in dem Haus ist, wird sterben! Er wird mit dem Gebäude verbrennen!“ Svarius Augen funkelten.
„Das Morden von Unschuldigen wird deinen Hass nicht zähmen, Svarius. Wenn du nicht aufhörst, wird er dich verbrennen!“ Djamyr trat einen Schritt zurück. „Du hast Syxtyn nicht ermordet. Du musst dir verzeihen.“ Damit drehte er sich um und ging.
Die Sonne blendete Djamyr, als er das Gebäude verließ. Auf dem Hof wurden drei nackte Frauen unter dem Gejohle mehrer Männer an im Boden verankerte Pfählen gefesselt. Die Hunde in den Käfigen jaulten, ältere Kinder stießen mit langen Stöcken durch die Gitterstäbe nach ihnen, fachten ihre Wut an.
Djamyr sah zu den Frauen, sie alle waren gezeichnet von Schlägen, Tritten und Peitschenhieben. Eine von ihnen war fast noch ein Kind, ihr Körper zart und konturlos. Durch das Haar der ältesten zogen sich silberne Fäden. Ihre Gesichtszüge waren einander ähnlich. Eine Mutter mit ihren Töchtern?
Übelkeit stieg in Djamyr auf, als er an das grausame Schauspiel dachte, dass die Männer hier lachend vorbereiteten. Dies hatte nichts mit Gerechtigkeit zu tun! Dies war nur grausam, unmenschlich und verachtenswert! So schnell wie möglich mussten sie diese Stadt verlassen, in der das Feuer des Hasses tobte und sinnloses Morden zeugte.
In dem Haus herrschte völlige Ruhe und für einen furchbaren Moment befürchtete Djamyr, dass die Upvirag hier gewesen waren und alle mitgenommen hatten. Dann hörte er leises Kinderlachen und sein Herz beruhigte sich. In der Küche saßen Millia und Jandris, sahen den Kindern zu, die um Myrros gescharrt saßen, der ihnen leise Geschichten erzählte, während Tuvla am Herd stand und in einem großen Topf rührte.
Jandris drehte den Kopf, als spüre er Djamyrs Anwesenheit und lächelte. Glück breitete sich in seinem Herzen aus. Semja djijiba, sein ewiger Gefährte. Mit einer kleine Geste gab er ihm zu verstehen, dass sie reden mussten und Jandris erhob sich, folgte ihm.
„Wir müssen das Haus morgen mit Beginn des Tages verlassen. Svarius ist in der Stadt und sein Hass verzehrt seinen Geist. Er will alles niederbrennen, mit jeden darin, der bis morgen Abend nicht fort ist. – Und er wird es tun.“
Sie standen in der Bibliothek, in der nur der große Haufen Asche in der Mitte des Zimmers an die Bücher erinnerte, die hier einst standen.
„Das heißt, es gibt keine Chance für Andris?“, fragte Jandris und kannte die Antwort schon.
„Nein. Oh, Svarius hat mir angeboten, Andris gehen zu lassen, wenn ich bei ihm bliebe …“
„Du hast doch nicht einen Gedanken daran verschwendet, oder?“ Jandris packte seine Arme und zog ihn heran. „Ich liebe meine Schwester und gönne ihr alles Glück der Welt, doch …“
„Nein, amjaro, dies war nie eine Option.“ Djamyr schüttelte den Kopf. „Ich glaube auch nicht, dass er ernsthaft damit gerechnet hatte.“
„Gut! Ich hätte ihn sonst töten müssen!“ In Jandris‘ Augen funkelte die Wut.
„Ja, ich weiß.“ Djamyr zog ihn in einen kurzen Kuss. „Wie geht es Eilliana und Vilja? Gibt es eine Kutsche, in der die beiden reisen können? Auf einem Pferd können wir Eilliana sie nicht mitnehmen.“
„Eine kleine, schon ältere Kutsche ist nicht verbrannt, aber Pferde sind keine mehr da. Entweder sind sie im Feuer umgekommen oder voller Panik geflohen.“ Jandris legte seine Arme um Djamyr. „Ich hatte gehofft, wir hätten eine Nacht für uns, ehe wir weiterreiten müssen.“
„Ich auch, amjaro, doch wir müssen fort. Bevor wir nicht Djistestera erreichen, werden wir nicht zur Ruhe kommen.“ Noch einmal küsste er Jandris. „Ich träume von der ersten Nacht mit dir in einem Zelt. Alle werden wissen, was wir tun und keiner wird sich darum scheren.“
„Wenn ich solange warten muss, Aelskjar, werden sie es nicht nur wissen, sie werden es die ganze Nacht hören“, entgegnete Jandris und zog ihn in einen verlangenden Kuss.
„Jandris?“ Mellias Stimme riss sie auseinander. Schon stürmte Jandris‘ Schwester in das Zimmer. „Shinai ist zurückgekehrt, sie erzählt davon, dass die Upvirag das Haus abbrennen wollen!“ Panik ließ ihre Stimme schrill klingen.
„Beruhig dich, Mellia“, sagte Jandris streng. „Wir werden morgen Früh das Haus verlassen!“
„Das geht nicht! Eilliana ist noch viel zu geschwächt! Eine längere Reise wird sie nicht überleben!“ Mellia sah von Jandris zu Djamyr.
„Wenn sie hierbleibt, dann wird sie sterben, Mellia“, entgegnete Djamyr. „Wir reiten nur so weit, wie es nötig ist.“
„Und Andris?“, fragte sie tonlos.
„Er wird sterben. Wir können nichts für ihn tun, wir können nur seine Frau und seine Tochter retten.“
„Du bist herzlos, Djamyr!“
„Sei still, Mellia!“, fuhr Jandris sie an. „Sollen wir alle sterben? Sieh raus! Sieh, was geschieht, Mellia, da draußen herrscht Krieg!“
„Was ist mit Tuvla und den Kindern?“ Zusammen mit Jandris versuchte Djamyr kurze Zeit später festzustellen, ob die kleine Kutsche reisetüchtig und Kanori, das Ackerpferd, in der Lage war, sie zu ziehen. Es standen noch zwei weitere Pferde in den Überresten des Stalls, die nach Myrros‘ Aussage nicht in den Haushalt gehörten, sondern in der letzten Woche zugelaufen waren. Eines von ihnen war sehr alt und der Belastung der Reise nicht gewachsen, das andere war sehr jung und eigenwillig.
„Die Verwandten ihres Mannes sind nicht aufzufinden. Sie weiß nicht, wohin sie gehen soll“, erwiderte Jandris. Gemeinsam rollten sie die Kutsche aus dem Verschlag, in dem sie gestanden und den Mäusen als Schlafplatz gedient hatte. Die Polster waren zerfressen und mit Mäusekot verschmutzt.
„Du meinst, wir können sie nicht hierlassen“, stellte Djamyr fest.
„Kannst du dir vorstellen, was mit ihnen in dieser Stadt geschieht? – Außerdem kennt sie sich gut mit kleinen Kindern aus. Wenn wir sie mitnehmen, könnte sie sich um Eilliana und Vilja kümmern.“
„Du brauchst mich nicht zu überreden“, sagte Djamyr lachend und kam um den Wagen herum. „Wir werden niemanden hierlassen.“
Während Djamyr Kanori aus dem Stall holte, bemerkte er die zerlumpte Gestalt, die sich bemühte, unauffällig das Haus und den Hof im Blick zu behalten. Auf der anderen Seite der Straße trieben sich zwei ehemalige Svjardvalsten rum und die drei Wachen hinter dem Haus waren ihm auch nicht verborgen geblieben, auch wenn sie sie zur Tarnung dort in der Sonne vor einem Haus saßen und würfelten. Keine Krieger, keine Jäger, sie alle waren Kämpfer, die nur die Arena kannten.
Bald würde die Sonne untergehen. Kanori ließ sich bereitwillig einspannen und auch wenn er kein Kutschenpferd war, hatten die Jahre vor dem Pflug ihn an das Geschirr gewöhnt.
Livlia und Oschcura traten hinaus auf den Hof und halfen ihnen den Mäusedreck aus der Kutsche zu kehren und die Löcher in der Polsterung notdürftig zu flicken. Anschließend belud Tuvla den Stauraum unter der Bank mit Lebensmitteln.
„Was meinst du, lassen uns die Upvirag aus der Stadt?“ Die herannahende Dunkelheit ließ die Schatten verschwimmen.
„Ja, Svarius wird sein Wort halten.“ Djamyr starrte in die Dunkelheit und hoffte, dass er recht hatte. Sicher wären sie erst, wenn sie diesen Ort verlassen hätten.
Am frühen Morgen vor dem Sonnenaufgang waren sie bereit, Eilliana und Vilja reisten zusammen mit Millia in der Kutsche. Myrros würde auf dem Kutschbock sitzen.
Djamyr nahm Einje auf Zajuma und Jandris Jenno auf Yuris mit. Livlia ritt zusammen mit Jukari. Oschcura sollte das zugelaufene Pferd, das Myrros Naobri genannt hatte, reiten. Zu guter Letzt musste Tuvla versuchen mit Oschcuras Pferd zurechtzukommen.
Svjardvalsten trieben sich vor den Toren des Hauses herum, beobachteten ihre Abreise. In dieser Nacht schliefen sie nicht, verstauten so viel wie möglich in der Kutsche, verteilten es auf die Pferde.
Die Kinder waren unruhig, gerade den kleineren konnte man ihre Angst ansehen. Sie fühlten die Gefahr in den Vorbereitungen der Erwachsenen.
Bevor sie die Stadt über eine Rus geschwärzte Brücke verlassen konnten, versperrten ihnen Reiter den Weg. Die großen Svjardvalsten trugen schwarzen Masken verziert mit glänzenden Nieten vor den Gesichten und lederne Rüstungen.
Ohne ein Wort hinderten sie den kleinen Trupp am Überqueren der Brücke, die sie aus Wignana führen sollte.
„Was wollen sie?“, fragte Livlia leise Djamyr und Jandris.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mir nicht gefällt.“ Jandris schüttelte den Kopf, als versuche er, etwas aus seinem Kopf zu bekommen.
„Mir auch nicht.“ Djamyr betrachtete die zehn Männer, die sich gleich einer Wand vor ihnen aufgebaut hatten.
Nach einer Weile öffnete sich die Reihe und ein Pferd wurde durch die entstehende Lücke getrieben. Auf seinem Rücken ein gefesselter Mann, den Djamyr erst beim Näherkommen als Andris erkennen konnte. Sein Gesicht war geschwollen und Blut tropfte aus seinem Mundwinkel, aber er lebte. Wankend hielt er sich im Sattel, die Hände an den Sattelknauf gebunden.
Hinter ihm erschien Svarius auf einem schneeweißen Hengst.
„Dies ist der Mann, um den es dir ging, Djamyr. Ich schenke ihm sein lausiges Leben!“ Mit einer ausholenden Geste zeigte Svarius auf Andris. „Sieh ihn als Geschenk - oder als Gegenleistung.“
Djamyr schwieg und begegnete ruhig Svarius‘ Blick. Dachte der ehemalige Svjardvalsten, dass er sich von ihm provozieren lassen würde?
„Als Bezahlung.“
Aus dem Augenwinkel sah Djamyr, Yuris tänzeln, doch er wendete nicht den Blick. „Was immer dein Grund war, Andris leben zu lassen“, entgegnete er.
„Denkt dein Liebchen das auch?“ Svarius näherte sich weiter, bis er neben Djamyr den Hengst zum Stehen brachte. „Ist ihm egal, das ich deinen Körper kenne?“
„Ja, ist es ihm, da es mir egal ist.“ Djamyr sprach kurz und hart, ließ keine Zweifel daran, dass er nicht wünschte, dass sich Jandris einmischte.
Svarius ließ den Hengst um Zajuma herumgehen.
„Du meinst, du kannst dich hingeben, wem du willst und es stört ihn nicht? Jemand nimmt von dir Besitz und deinem Geliebten ist es egal?“
Das scharfe Einsaugen der Luft, das aus Richtung von Tuvla kam, machte Djamyr bewusst, dass jeder den Worten von Svarius lauschte.
„Du hast mich nicht besessen, Svarius.“ Djamyr sah geradeaus, doch er spürte die Bewegung von Pferd und Reiter. „Was willst du erreichen? Soll ich dich angreifen und du sperrst mich in deine Kerker, um mich von den Hunden zerfleischen zu lassen? - Oder willst du Jandris provozieren und ihn auf einem deiner Scheiterhaufen verbrennen?“
„Scheiterhaufen? Nein, der Pfahl.“ Svarius befand sich jetzt rechts neben ihm. „Aber ich werde es nicht tun. - Geht, verlasst Wignana und am besten ganz Allragöst.“ Mit einer ungeduldigen Bewegung trieb er das Pferd an, ritt zurück zwischen die Truppen. „Wer heute Abend noch in den Stadtmauern von Wignana ist, stirbt.“ Mit einer Handbewegung gab er den maskierten Reitern ein Zeichen ihm zu folgen und die Brücke frei zu geben.
„Was sollte das?“, fragte ihn Livlia.
Djamyr zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht und ich will es nicht wissen! - Lasst uns Andris in die Kutsche bringen.“
Eilliana war inzwischen aus der Kutsche gesprungen und half ihrem Mann gemeinsam mit Jandris vom Pferd.
Zusammen legten sie ihn auf den Boden. Andris stöhnte und schien Fieber zu haben.
„Ich kann ihm hier nicht helfen“, sagte Tuvla, dabei ließ sie Djamyr nicht aus dem Blick.
Innerlich seufzend richtete sich Djamyr auf eine unschöne Diskussion mit Tuvla ein.
„Lasst uns diese ungastliche Stadt verlassen“, sagte er und trieb Zajuma über die Brücke.
„Nicht nur diese Stadt. Lasst uns dieses furchtbare Land verlassen!“, fügte Oschcura hinzu.
Ratternd folgte ihnen die Kutsche über die Brücke und übertönte jedes Wort, dass noch zu sagen wäre.
Soelgrud – Sonnengott
Skappgrud cykla – Zyklus der Jahreszeiten
Soelstyn – Fest des Sonnengottes zur Sonnenwende
Vekja – Woche
Mynth – Währung in Geldstücken
Dschuriare – Ich schwöre
Spadja –Schwerter
Guadjaniare – Ich gewinne
Nastschjur - Schnur
Mia eschenzja cholpiare tia – Mein Leben schulde ich dir
Restiare mia cholpjar pagjaria – ich bleibe, bis meine Schuld beglichen ist
Equjanu - Pferd
Dschermana – Schwester
--
Bukula – Wurf- und Schlagwaffe
Menjad – ein Mondzyklus
Vöxloppa – Grashüpfer
Stappvarg – Steppenwolf
Leschtjo corrjare – lauf schnell
Skratti Rykri – Reich des Teufels/Unterwelt
basjo cordarjo – dreckiger Feigling
Scapjare – Lauf weg!
Bastardjo – Bastard/Mistkerl
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Streja omijid – Verdammte Mörder
Ripujanza – monströses Scheusal
Semia tenjeba – ewige Dunkelheit / Tod
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Pijollo Dschermana – kleine Schwester
Turskall – Dickkopf
Semja djoabijia – Ewige Gefährten
Djijiba – Gefährten
Malekkio – böser Blick
Oschcura – Die Dunkle
Orijino – Heimat
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Falsjo djivo - verlogene Götter
Benje vijadscho eta semja pajiere - Gute Reise und ewigen Frieden
Sappiovolje – Sandfuchs
Amjiare tia – Ich liebe dich
amjaro – Geliebter
dajinio – kleine Hirschart in der Steppe
--
streja corschutjo – verdammter Dickkopf
Amjiare tia pudjo mia eschenzja, amjaro – Ich liebe dich mehr als mein Leben, Geliebter
Dschapjiron - letzte Begleiter (der Sterbenden)
tjippo – Menschen
--
Skodjino – Idiot
curaji – Herz/Seele = das Innerste
Kaemra – Seele (Allragöst)
Streja bastardjo – verdammter Bastard
Detesjiare vostro mondo – Ich hasse euere Art zu leben
fatjiana – weiblicher Naturgeist
Aelskjar – Geliebter
Chai – Nein
dschuomo dai disteja teranjo – Menschen aus dem weiten Land
--
Dschemjo – Schimpfwort für einen Mann
--
ripujanza – Scheusal
djurejio - Anführer im Kampf
--
angojio - Verdammnis des Krieges
indjipendscha – Freiheit
sandjui - Sippe/Familie/Verwandte
vesdajar - streicheln
Texte: Gabriele Oscuro
Bildmaterialien: Rike
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2014
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