»Ich kan aber dis es nit glauben...«
Gerresheim 1737/38
Der letzte Hexenprozess
am Niederrhein
von Peter Stegt
Peter Stegt: „Ich kan aber dises nit glauben...“ Gerresheim 1737/38 - Der letzte Hexenprozess am Niederrhein.
Nähere Informationen finden Sie unter www.projekt-gerresheim.de
Layout/Design: Linnéa Nöth
Dieser Aufsatz ist bereits 2013 mit ausführlichem, wissenschaftlichem Anmerkungsapparat erschienen in:
Jörg Engelbrecht, Simone Frank, u.a. (Hrsg.): Rhein-Maas. Geschichte, Sprache und Kultur.
Band 4: Glaube und Aberglaube.
Institut für niederrheinische Kulturgeschichte und Regionalentwicklung (InKuR) der Universität Duisburg-Essen, Oberhausen 2013
Der letzte Hexenprozess Westdeutschlands, der das Landstädtchen Gerresheim für kurze Zeit aus der Bedeutungslosigkeit herausholt, ist längst noch nicht abschließend aufgearbeitet. Ist die Quellenlage ohnehin beschränkt, so provozieren auch die überlieferten Dokumente widerstreitende Auffassungen genug. Nicht zuletzt die Bewertung der handelnden Vertreter des Rechts sind weiter umstritten. In diesem Beitrag soll deshalb nicht nur der Ablauf des Prozesses so genau wie möglich beschrieben, sondern auch ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der beiden Juristen vor dem Hintergrund der beginnenden Aufklärung gelegt werden. Hierzu hat der Autor erstmals alle vorhandenen Quellen vollständig erschlossen und neu transkribiert, d.h. in die heutige Schrift übertragen.
Der letzte Hexenprozess am Niederrhein
Erwürgte man Helene Mechthild Curtens aus christlicher Nächstenliebe oder wurde ihr zunächst der Kopf abgeschlagen, um ihr die Pein des Verbrennens bei lebendigem Leibe zu mildern? Bekam Agnes Olmans ein Säckchen voll Pulver um den Hals gehängt, um den unvermeidlichen Tod durch das Feuer wenigstens zu beschleunigen? Beantworten lassen sich diese Fragen nicht, da Quellen hierzu fehlen. Sicher ist jedoch, dass die beiden Frauen am 19. August 1738 auf dem Gallberg (Galgenberg) auf dem Scheiterhaufen starben. Sie hatten ihr Leben verwirkt. Sie waren nach damaliger Auffassung durchaus der Hexerei schuldig.
„Ich kan aber dises nit glauben.“ Der dies zu einem der Vorwürfe gegenüber der vermeintlichen Hexe Helene Mechtild Curtens an den Rand eines Verfahrens-Protokolls notiert, ist Richter. Das lässt aufhorchen, denn: Der Autor ist wahrlich kein Hexenfreund. Lange Zeit galt Johann Wyrich Sigismundt Schwarz den Historikern als verblendeter Jurist, der sich gegen das Gedankengut der Aufklärung stellte und einem strengen Katholizismus verhaftet war. Der Geschichtsforscher Friedrich Lau nannte ihn 1921 „grausam und geistesbeschränkt“. Erst in jüngster Zeit hat ein Umdenken in der Bewertung des umstrittenen Richters eingesetzt.
Dabei zeigt sein Kommentar, wie kritisch sich der Leiter der Voruntersuchung in diesem Fall mit den Vorwürfen auseinandergesetzt hat. Immer wieder stellt er in seinem Bericht die Behauptungen der Helene Curtens, die im Verlauf des ersten Verhörs auch ihre Nachbarin Agnes Olmans beschuldigt, in Frage. Am Ende aber bleiben seine Zweifel ohne Folgen. Das Geständnis der Curtens, die Aussagen von fast 30 Zeugen, dazu mysteriöse Vorkommnisse während der Haft und Beweisstücke scheinen den Verdacht zu bestätigen. Am Ende seiner Untersuchungen ist auch Schwarz von der Schuld der beiden Frauen überzeugt und rät in seinem Bericht an das Hofgericht in Düsseldorf, den Prozess durchzuführen.
Dort übernimmt der Leiter der Hauptuntersuchung, Hofrat Eckarth, die Geschäfte. Der rigorose Befürworter von Hexenprozessen prüft die Vorwürfe und Aussagen und empfiehlt im Sommer 1738 die Hinrichtung der Angeklagten.
Für uns Zeitgenossen ist die Juristen-Logik des 18. Jahrhunderts schwer nachzuvollziehen, die Mehrzahl der Menschen dieser Zeit war aber von der realen Existenz von Teufel und Hexerei überzeugt. Dass die Magie auch in der Rechtsprechung als anerkanntes Verbrechen galt, erschien nicht als anstößig. Aber was war denn eigentlich überhaupt Unerhörtes geschehen?
Die Quellenlage
Nur wenige Quellen sind zum Prozess von 1737/38 erhalten. Hierzu zählen Bruchstücke zweier Berichte des Richters Johann Weyrich Sigismundt Schwarz vom 8. Mai und 29. Juni 1737. Das erste Bruchstück befand sich offenbar Ende des 19. Jahrhunderts im Privatbesitz des Friedensrichters Anton Fahne. Dieser hatte 1878 eine teilweise fehler- und lückenhafte Transkription des Textes veröffentlicht.
Durch die Streichungen und Randbemerkungen ist zu vermuten, dass es sich um einen Entwurf des Richters handelt, der in Reinform an den Düsseldorfer Hofrat Eckarth zur Fortführung des Prozesses gesandt wurde. Ob es sich bei manchen Randbemerkungen, wie Anton Fahne vermutete, wirklich um eine fremde Hand handelt, ist nicht gesichert.
Weiterhin gibt es zwei Gutachten des Hofrates Eckarth, eines undatiert aus dem Frühjahr, das andere vom 24. Juli 1738. Bei der Beurteilung der Quellen ist zu berücksichtigen, dass sie nicht den originalgetreuen Wortlaut der Aussagen beinhalten, sondern eine zusammenfassende Wiedergabe durch die beiden Juristen darstellen. Die Intention solcher Berichte und Gutachten, die in der Regel an eine übergeordnete Instanz gerichtet waren, liegt nicht nur in der Information, sondern auch in der Darstellung eines korrekt durchgeführten Verfahrens zur rechtlichen Absicherung gegen Einsprüche. Zeugenaussagen und Geständnisse entstanden zudem stets „unter dem spezifischen Druck einer Gerichtssituation […], meistens jedoch unter Androhung massiver körperlicher und seelischer Gewalt.“
Erika Münster-Schröer veröffentlichte 2009 die Transkription einer Brüchtenrechnung des Richters Schwarz für das Jahr 1737, aus der hervorgeht, dass die verdächtigten Frauen noch Ende des genannten Jahres in Gerresheim, sehr wahrscheinlich im Gefängnisturm, inhaftiert waren. Zugleich gibt sie Aufschluss über andere laufende Untersuchungen durch Richter Schwarz im Amt Mettmann, zu denen Delikte wie Mord und Kindstötung gehörten.
Die Recherche in verschiedenen Archiven, unter anderem auch in München, nach dem Urteil des Landesherrn
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 16.04.2021
ISBN: 978-3-7487-8046-5
Alle Rechte vorbehalten