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Titel

Stephan Peters

 

Minty geht fremd!

 

3 verrückte Liebesgeschichten im weihnachtlichen Gerresheim

Inhaltsverzeichnis

Heiligabend mit Cher

  

Minty geht fremd!

  

Wie könn`t ich von dir gehen? DAS Gerresheimer Weihnachtsmärchen

Heiligabend mit Cher

Schnee, wohn man blickte, nichts als Schnee. Der Winter hatte Gerresheim voll im Griff, und ich steuerte einer Winterdepression entgegen. Die Flocken tanzten um die Basilika herum, scheinbar ohne zu fallen. Die Bänke am Gerricusplatz waren Weiß bedeckt, und ab und zu ragte noch ein Holzarm aus dem Begräbnis hervor. Krähen krächzten ihr finsteres Lied, und ich fröstelte in der Einsamkeit. Ein düsteres Nichts, gespenstisches Leben, die Welt in grauweißer Watte eingehüllt. Der Nebeldunst hing über dem Wald, der ebenfalls in Schnee verpackt war. Der eisige Wind heulte mir um die Ohren, die im scharfen Schmerz bereits brannten. Der Historische Brunnen war natürlich auch eingeschneit und ähnelte einem riesigen Leichenfinger, der auf mich zeigte. Meine Glieder waren gelähmt, und in den Kragen tropfte eiskaltes Wasser rein. Ich schauderte wieder. Dann kam noch der Todesmonat November hinzu, und ein einsames Weihnachtsfest wartete auf mich. Niemand leidet mehr als Männer, vor allem ich. Wir können im Selbstmitleid nur so baden.

 

Ich hatte noch mit dem Ende einer unglücklichen Beziehung zu kämpfen, und mir fiel ein, dass Liebe nicht darin besteht, zu zweit am Strand zu liegen um den südländischen Sonnenuntergang zu betrachten. Sondern Liebe war für mich, einfach zusammen auf der Couch zu liegen, in die Glotze zu gucken und sich gegenseitig die Spaghetti vom vergammelten T-Shirt zu zupfen. Mein Hang zur Melancholie wurde durch Sarkasmus einigermaßen wett gemacht, Ironie, die mich am Leben hielt. Bei meiner Chefredakteurin galt ich als schwierig und unkooperativ, labil und eigensinnig. Vor allem machte mir damals die Hektik in der Redaktion zu schaffen, und die meisten Themen interessierten mich nicht. Meine Chefin Katinka Dragomirow, oder wie sie hieß, nervte mich am meisten. Sie hatte einen Charme wie einer schwedischen Seeküste, wenn es Winter ist. Es ist schon ein paar Jahre her, aber manchmal bekomme ich noch Alpträume aus dieser Zeit.

 

Katinka kam aus Bulgarien, glaube ich und war in direkter Linie mit Iwan dem Schrecklichen verwandt. Sie sagte immer, dass sie mit einem Ölmagnet verwandt sei, wobei sie natürlich Ölmagnat meinte. Sie konnte einem das Leben zur Hölle machen. Hier ein Beispiel:

Chefin, ich habe ein großes Problem!

Katinka: Dann bist du so gut wie gefeuert! (Mein Blick war sprachlos). Weiter sagte sie: Markus, ich fange mit der Logik an, das Wort Logik kannst du ja mal googeln. (Ihr Blick war furchterregend!). Dein Problem, lieber Mark, war ja anfangs ganz klein, denke ich. (Ich nickte verzweifelt). Sie weiter: Wenn das Problem also klein war, warum hast du das dann nicht sofort gelöst? Du bist also nicht in der Lage, ein kleines Problem zu lösen, lässt es größer werden und fällst mir damit auf den Wecker! (Blitze in den Augen in meine Richtung). Mach ‘dich vom Acker!! Ich bekam Schnappatmung, knallte die Tür hinter mir zu und hörte den Aschenbecher dagegen knallen. Es war auch nicht viel besser, als ich ihr ein Hotel in Montevideo buchen sollte. Es stellte sich aber heraus, dass Katinka dachte, Montevideo liegt in Spanien und nicht in Uruguay. Sie hat mir das Leben zur Hölle gemacht, weil der Flug einfach nicht enden wollte. Ich schrieb einmal den Satz (war es für die WZ?): „Sie passten zwar nicht zusammen, aber sie kamen gut miteinander aus.“ Viele Leser, die kurz davor waren, sich scheiden zu lassen, waren begeistert! Danach trudelten Dutzende Dankesbriefe bei mir ein. Ich hatte Ehen gerettet, vor allem hat mein Satz vielen Lesern noch mehr Kosten und Nerven erspart. Diese Worte retteten mich zumindest vor dem sofortigen Rauswurf, aber so konnte es nicht weitergehen.

 

Auch mein Internist riet mir damals dringend, den Beruf zu wechseln oder zu einem kleineren Blatt zu gehen. „Herr Keller, was ist Ihnen lieber? Einen Nachruf auf Sie in ihrer eigenen Zeitung zu bekommen, oder halt kürzer zu treten? Wenn Sie so weitermachen, gebe ich Ihnen nur noch höchstens zwei Jahre.“ Vor Schreck überlegte ich, dass ich vorhin vollgetankt hatte, die Hälfte hätte vielleicht auch gereicht. Ich wartete nur noch darauf, dass er sagen würde: „Nehmen Sie sich für heute nichts mehr vor – es lohnt sich nicht mehr.“ Ich habe diese Welt schon immer verachtet, aber sie ist der einzige Ort, wo man Champignonschnitzel mit Pommes essen kann. Der Appetit darauf ist mir nach der Visite schnell vergangen. Der Arzt riet mir auch, keinerlei Alkohol mehr zu trinken, ich solle mich auf grünen Tee oder Ingwerdrinks beschränken. Was nützt mir ein längeres Leben, wenn ich laufend dieses Gesöff schlucken muss?

 

Ich entschied mich für Schlichtheit, und dafür, meinen Alkoholkonsum von täglich zehn Korn und acht Bier in Gerresheim auf zwei zu reduzieren. Ausgerechnet kurz vor Weihnachten stellte mir der Doktor diese niederschmetternde Diagnose. So kündigte ich meine gut dotierte Stelle und verdingte mich als Freiberufler. Uppss … Gar nicht so einfach. Aber wenn ich an mein erspartes Geld ranginge, könnte ich locker zwei Jahre davon Leben! Vorausgesetzt, mein Name ist Mahatma Ghandi und ich ernähre mich täglich von einer Handvoll Reis und abgestandenem Wasser. Dann hatte ich noch mein teures Loft auf der Pfeifferstraße im Nacken, dass ich schnellstmöglich loswerden musste. Voller Entsetzen sah ich mich von Makler zu Makler und von Wohnung zu Wohnung eilen – kurz vor Weihnachten!

 

Oh, wie war ich am Boden zerstört! Ich habe weder Eltern noch Freunde (alle lebten noch!), aber wenn Sie mich kennen würden, wüssten Sie, warum. Ich bin in mittleren Jahren, nicht gerade groß und sehe wie ein Bücherwurm aus. Dann ständig die gebeugte unzufriedene Haltung, die Hände in den Taschen, die Halbstiefel sind viel zu groß und dick und dann noch meine schreckliche dicke Hornbrille. Ich grübele gerne, meckere über alles und jeden, sehe niemanden (es sei denn, ich arbeite als Journalist), und alle machen einen Bogen um mich. Und wenn ich mich im Spiegel sehe, möchte ich losheulen. Ich suchte eine Imageberaterin auf, nur um mich aufzupeppen. Aber nach drei Tagen habe ich sie gefeuert, weil sie nicht attraktiv genug war. Es ist hoffnungslos mit mir!

 

Und nun standen die Feiertage bevor. Was tun? In Gerresheim gibt es ab neunzehn Uhr sowieso nur staatlich verordnete Langeweile, noch mehr zu Weihnachten, und das Chloroform wird gleich mitgeliefert.  Sex, Drugs und Rock `n Roll kann man nur im TV genießen. Oder man wartet auf den Schützenball im Frühjahr. Natürlich lieben wir unser wunderschönes Dörfchen, wie alle Gerresheimer, aber am frühen Abend ist es ruhig wie in einem Kurort.

 

Gegen fünfzehn Uhr wollte ich in die Basilika Sankt Margareta gehen – geschlossen. Nur die Orgel war zu hören, wahrscheinlich übte der Chorleiter, Herr Wallrath, schon mal die Festtagslieder für Heiligabend. Ich gehörte auch zum Chor, aber meine miesepetrige Stimmung zog alle Sänger und Sängerinnen in den Abgrund. Die Straßen waren menschenleer, sieht man von den ewigen Radfahrern ab, die in Höchstgeschwindigkeit urplötzlich an einem vorbeirasen. Lesen Sie mal im Alten Testament nach: Als Plagen werden Heuschrecken, Ameisen, Würmer und Fahrradfahrer genannt. Ach ja – auch die Laubbläser, die ganz vorne auf der Horrorliste der Bibel stehen.  Alle Wärme und alles Glück blieben in den berühmten vier Wänden eingeschlossen, und ich – ausgeschlossen. Ob mir ein Spaziergang gut tun würde? Da ich darin – wie in fast allem, ungeübt bin, wanderte ich die steile Serpentine hoch bis zum Rotthäuser Weg. Dorthin, wo die teuren Villen stehen. Der Blick ins Bachtal war atemberaubend, das musste ich schnaufend zugeben, denn die Strecke hatte mich, Ungeübten, einfach geschafft. Die Zigaretten taten ihr übriges, aber nachdem ein Bekannter von mir damit aufgehört hatte, weil er die Treppe nicht mehr hochsteigen konnte, ließ ich es bleiben. Grund:  der gute Mann kommt noch immer nicht die Treppen hoch, weil er nach dem Entzug dreißig Kilo zugenommen hatte. 

 

Im Tal gab es Fischteiche, Bauernhäuser, jede Menge Vieh und Weiden, das indes mit Schnee überdeckt war. So ging ich zum Oberen Gerresheimer Friedhof, woran Sie sehen können, dass ich ein eingefleischter Masochist bin, der mittlerweile eine Weihnachtsdepression bekam.  Ich wollte ja Stimmung haben, und wo war ich? – auf dem Friedhof. Davor ist ein Parkplatz, aber es gab nur einen klapprigen roten Wagen, der inzwischen vereist und eingeschneit war. Ich konnte ein paar Fußstapfen erkennen, die bis zum Friedhofstor führten. Das große Gitter öffnete sich quietschend, wie es sich gehört. Sie sollten auch erfahren, dass ich mir vor einer Stunde einen Flachmann am Büdchen neben dem Ärztehaus gekauft hatte. Ich kam mir total asi vor, aber ich hatte etwas gegen die Tristesse und die Kälte.

 

Überall waren verschneite Gräber und Krähen, die sich stritten. Leichter Nebel lag über der düsteren Szenerie, und eine weibliche trauernde Statue beugte sich hinab zu einem Teich. Alles war mit Moos überwachsen, und es schneite schon wieder. Die Stille war absolut, sogar das Gezänk der Vögel blieb für mich stumm. Überall Zeugen von Trauer und Verlassenheit, genau mein Ort!

 

Und plötzlich sah ich sie!

Zunächst dachte ich, sie sei eine weitere trauernde Statue, eine filigrane Frau, die auf einem eingefallenen alten Grabstein sitzt. Das Gesicht war wunderschön, wie Porzellan, so, als hätten Raffael und Renoir gemeinsame Sache gemacht. Bewegungslos malte sie, doch dann beugte sie sich leicht nach vorn. Die Fremde war größer als ich (was kein Wunder ist), hatte ein schwarzes Cape an, und die weinroten Haare lagen auf ihrer Schulter. Sie war stocksteif, aber plötzlich fiel ihr der Kohlestift auf den Boden, und die Statue wurde zum Menschen! Zunächst hatte ich den Flachmann in Verdacht. Langsam schlich ich in ihre Nähe und hob den Kohlestift auf. Und die Statue sagte einfach: „Danke!“ Ich muss zugeben, dass sie so schön gar nicht war. Sie war apart, etwas maskulin oder jungenhaft vielleicht. Aber was rede ich da für einen Schmarrn. Die Schöne trug eine gelbe Cordhose mit einem schwarzen Pulli darüber und hatte alte Stiefel an. Der dunkelblaue Schal flatterte im Schnee, und ich versank in ihren grünen Augen. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. So preschte ich unbeholfen vor: „Ist Ihnen nicht kalt?“ Sie schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich habe vorhin einen Cognac getrunken, und Sie haben auch eine Fahne.“ Sofort wurde ich knallrot. Schweigen. Peinlich. Ich räusperte mich:

„Was malen Sie da eigentlich?“ Nun wurde es noch dunkler. Ich kannte mich oben auf dem Friedhof zu Gerresheim kaum aus und sah mich schon als Titelstory in der Zeitung: Mann erfroren auf dem Friedhof! Ein furchtbares Weihnachtsgeschenk!

„Ist er nicht schön?“, antwortete die Statue. Sie blickte auf einen schwarzen Grabstein, der so gut wie zugeschneit war, aber man konnte immer noch das Foto darauf erkennen. Sein Name war Daniel. Der Grabspruch lautete: Sinnlos ist ein Leben ohne Unsinn. Mehr war nicht zu erkennen, denn Schnee, Blätter und Moos hatten alles überdeckt. Der junge Mann hatte ein wunderschönes kühnes Gesicht mit schwarzen, lockigen Haaren, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Und genau dieses Motiv hatte meine Statue gezeichnet. Ich fragte: „Wer ist das?“ Sie schwieg betroffen und hatte den schönen Mund fest verschlossen. Man muss nicht immer den Knall hören, wenn eine Türe zufällt. Krampfhaft versuchte ich, das Thema zu wechseln. Die Friedhofpforte quietschte noch lauter, da der Wind zugenommen hatte. Ich schlug meinen Mantelkragen hoch. Mich schauderte in der einsamen Zweisamkeit, die von der Malerin nach ihrem Schweigen endlich unterbrochen wurde. Leise sagte sie:

„Wenn das Bild fertig ist, nenne ich es Und ich stand da- wie erstarrt!  Ich weiß auch nicht, wer das ist. Aber jedes Mal, wenn ich hier bin, sehe ich eine traurige kleine Asiatin neben dem Grab stehen, um es zu pflegen. Wenn es ihr Sohn ist, befindet sie sich in der Hölle.“ Ich antwortete:

„Das Dumme ist, dort kommt sie gar nicht mehr heraus.“ Meine Fremde sagte:

„Nein, aber die Hölle wird etwas kälter, doch sie bleibt.“ Danach zog sie fröstelnd die Schultern nach oben und rieb sich die filigranen Hände, die bereits rot angelaufen waren und meinte: „Mich friert jetzt selber, und es wird dunkel. Sind Sie etwa zu Fuß gekommen?“ Ich nickte. „Dann nehme ich Sie einfach mit in mein Auto. Es ist zwar achtzehn Jahre alt, aber der Opel kommt noch einigermaßen die Serpentine rauf.“ Ich hatte richtig kombiniert, als ich vor dem einsamen Wagen stand. Plötzlich streckte sie mir ihre eiskalte Hand hin: „Tanja. Mehr nicht, das müsste Ihnen genügen.“ Ich machte wie ein Schüler einen Diener und sagte:

„Markus. Meinen Sie, Sie können dieses überaus exotische Wort aussprechen? Tanja sagte lächelnd:

„Wir können es ja zusammen üben. Sie sind, glaube ich, ein komischer Vogel. So ganz allein um diese Zeit?“ Schweigen. Die Abfahrt auf der schmalen und rutschigen Serpentine Richtung Sana-Klinik war abenteuerlich. Ich hielt mich wie ein Primaner am Sitz fest, denn Tanjas Fahrstil war ebenso atemberaubend wie ihr Äußeres.  Der Wagen war mit leeren Dosen und Flaschen übersät. Überall lag etwas herum, und ich musste den Beifahrersitz von Krümeln säubern. Ich dachte: Wenn man im Winter auf dem Friedhof seiner großen Liebe begegnet – ob das der richtige Ort für eine wunderbare Zukunft ist? Aber es war ja noch lange nicht so weit. Zunächst musste ich einen todesmutigen Vorstoß wagen:

„Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen zum Dank für die Rückfahrt einen ausgebe?“ Ohne zu überlegen antwortete sie, als habe Tanja drauf gewartet:

„Der Herr Knillmann ist gut.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Auf den Straßen war es rutschig, aber wir kamen widererwarten vor dem Restaurant an. Der Wind fegte die Türen auf, als wir das Lokal betraten, das mitten in Gerresheim liegt. Es war natürlich weihnachtlich geschmückt, und ich bestellte auf Wunsch der Dame zwei Glühwein. Der Raum war nur mit Kerzen erhellt, und wir verzogen uns in eine Ecke. Ich suchte krampfhaft nach einem Thema und blickte hilfesuchend von der Lounge auf den Gerricusplatz, hinter dem die große Basilika steht. Man war bereits dabei, Weihnachtsbuden aufzubauen. Wenn man gut zu Fuß ist, hat man in zwei Minuten den ganzen Markt umkreist. Will sagen, er ist klein, aber er hat es in sich. Und da kam bereist das erste Weihnachtswunder: wie auf Kommando stellten wir beide dieselbe Frage: „Welchen Beruf haben Sie eigentlich?“ Dann prusteten wir los, und der Kerzenschein leuchtete durch Tanjas Haar. Es wirkte wie in Flammen. „Der Esel fängt zuerst an“, sagte ich und klärte sie über meine missliche Lage auf. Einen Job auf Abruf, und eine Wohnung, die ich finanziell nicht halten konnte. Wenn sie gleich geht, war Tanja ein Missgriff, dachte ich. Doch sie blieb, überlegte kurz, und dann sagte sie leise:

„Hmmm …“ Viel besser bin ich auch nicht dran. Okay, mir gehört ein uraltes Haus in der Nähe des Gerresheimer Eventbahnhofs, und ich bin Kunstmalerin. Leider haben Letzteres noch nicht viele Menschen mitbekommen. Und so muss ich ab und zu als Kellnerin oder sonstwas jobben. Zum Beispiel hier, im Herrn Knillmann.“ Dunkel erinnerte ich mich an eine Szene im Frühling, als ich eine attraktive Kellnerin an diesem Ort sah. Ich blickte ihr lange nach, bis sie verschwunden war. Aber auf meinem Bierdeckel waren auch zwanzig Striche, da kann man sich etwas vertun. An diesem Abend verließ ich beidarmig rudernd das Lokal. Aber nun grübelte Tanja schwer, und Falten bildeten sich auf ihrer makellosen Stirn, die sie noch schöner machten. Daran können Sie sehen, wie es um meine angeschlagene Seele bestellt war. Tanja blickte mich ernst an und sagte: „Was halten Sie davon, wenn Sie bei mir als Untermieter einziehen? Auf Probe, versteht sich.“ Ich verschluckte mich an meinen zweiten Glühwein.“ Ich stotterte:

„Also, also ich bin – sprachlos.“

„Oh, machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe schon seit Wochen erfolglos im Internet annonciert, dass ich einen Mieter suche.“ Ich fragte vorsichtig:

„Wie hoch ist die Miete, und wie groß ist die Wohnung? Am Eventbahnhof, sagen Sie?“

Tanja nippte an ihrem Glas und sagte:

„Zirka achtzig Quadrat und sechshundert Euro warm.“ Ich blickte sie zweifelnd an.

„Nun gucken Sie nicht so verblüfft. He, das Haus hat keinen guten Ruf, und ich auch nicht.“

„Ich zahle das Doppelte!“ Tanja lachte. Dann sagte sie mit verruchtem Blick und Berliner Dialekt, als wäre sie eine Schlampe:

„Sie sind ja eeen janz Schlimmer!“ Wir beide mussten wieder lachen. „Hören Sie, Markus, das Problem ist folgendes: ich wohne im Haus zur letzten Laterne“, Sie haben bestimmt schon davon gehört.“ Ich nickte.

„Ja. Dort soll vor ein paar Jahren eine Hexe gewohnt haben. Jung, bildhübsch, aber sie hat sechs Männer getötet.“ (Siehe mein Roman „Die Hexe von Gerresheim“)

„… die ich aber nicht bin. Man hat mir deshalb das Haus billig überlassen. Und ich weiß, dass sich dort noch andere schaurige Sachen zugetragen haben sollen. Aber in Gerresheim verbreiten sich Gerüchte rasend schnell.  Manchmal helfe ich auch als Kellnerin im Bahnhof aus, der Weg ist ja nicht länger als drei Minuten. Nachts ist es dort unheimlich, und es wäre schön, wenn ich weiß, über mir wohnt ein Mann. Zudem fühle ich mich etwas besser, wenn ich nicht alleine wohne, denn ich habe eine schlimme Trennung hinter mir.“

Mein Schicksal! Ich sagte:

„Meine Karatekünste sind Legende, ebenso wie meine Muskeln!“ und deutete dabei auf meine spindeldürren Arme. Ich bemerkte, wie wir uns bei der Unterhaltung nach vorne beugten, als wollten wir ein Geheimnis austauschen. Zwischen unseren Lippen war nur ganz wenig Platz. Ich schwitzte und sagte:

„Ja, am Kulturbahnhof kann es unheimlich sein. Vor allem im Winter, wenn sich Schnee und Schornsteinrauch im Dunkeln vermischen.“  Auf einmal fühlte ich mich geborgen, und als die Glocke der Basilika Neun schlug, guckte ich auf den eingeschneiten Gerricusplatz, als stünde dort der Papst und winkte uns zu. Tanja meinte:

„Ich stamme aus der Gegend von Münster, und …“

„Das hört man!“, sagte ich begeistert. „Und ich habe in deinem Dorf um die Ecke gewohnt. Kein Zweifel. Die Spalte zwischen uns, die sowieso nicht groß war, wird immer kleiner. Hören Sie, wir zwei stammen aus derselben Gegend. Sie haben aber ein Haus, und ich bin bald obdachlos. Wollen Sie mich im Stich lassen?“

Du musst aufpassen, dich nicht in sie zu verlieben, grübelte ich. Und, größenwahnsinnig wie ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Stephan Peters
Cover: Wine van Velzen
Lektorat: Karl-Otto Weil
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2020
ISBN: 978-3-7487-6914-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
DANKSAGUNG Was nützen einem, fixe Ideen für ein Buch, wenn niemand da ist, der sie durchführt? Somit bedanke ich mich vor allem bei meiner Frau Betty. Weiterhin gilt mein Dank folgenden Personen, die mich bei diesem Buch unterstützt haben: Karl-Otto Weil (Lektorat) Markus Berghahn Peter Stegt W. van Velzen Hanno Parmentier Michael Schönberg „Die dunkle Bruderschaft, Luzifer“

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