...in der ungefähren Reihenfolge ihres Auftretens:
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Zudem: …ein schmieriger Krimineller, ein unsichtbares Kind, eine alte Mestizin, ein humpelnder Polizist, ein Goyse mit Kohlsuppe und diverse andere… | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nein, ein Blick in den Weltatlas hilft nicht.
Die Suche nach Rix Island im Internet führt zu einigen winzigen Inseln und einem Unternehmen auf Hawaii, aber nicht wirklich weiter.
Ich gestehe es, das Volk der Rix und ihre seltsame Insel in der Karibik sind reine Erfindungen.
Denn natürlich hat nach den Wikingern erst mit Kolumbus im Jahre 1492 wieder ein Europäer die Neue Welt betreten.
Der puritanische Prediger Emmanuel Rix ist selbstverständlich nicht bereits im Jahre 1381 an Bord hanseatischer Koggen in der Karibik gelandet.
Die Ethnogenese der Rix, beginnend mit acht irischen und schottischen Siedlerfamilien, einer Handvoll Waisenkinder und einigen norddeutschen Seeleuten, hat in der Realität nicht stattgefunden.
Und so wird es uns niemals gelingen, einem sittenstrengen Puritaner im Schottenrock zu begegnen, der in einer britischen Kronkolonie namens Rix Island aufgewachsen ist.
Das Gleiche gilt für seine Mitbewohner auf dieser geheimnisumwobenen Insel der Antillen. Kein Goyse wird dir stinkende Kohlsuppe andrehen, denn in unserer Wirklichkeit wurden keine Piraten und Aufständischen von der Nordsee in die Karibik umgesiedelt. Und, was einen Urlaub in der Karibik schon deutlich sicherer macht, kein Malloy wird versuchen, aus Touristen Schrumpfköpfe zu basteln. Der Grund ist leicht zu erraten: in der Realität gibt es dieses Mischvolk aus ausgestoßenen Rix und Indios schlicht nicht.
Und so können wir uns beruhigt zurücklehnen und in die phantastische Welt der Rix eintauchen, im sicheren Bewusstsein, dass alle Gefahren, von denen wir lesen, nur Traum und Dichtkunst sind.
Behalte den Mond im Auge. Solange er gelblich blass am Himmel steht, kannst du in Frieden weiter lesen. Aber scheint er grün…
Lucas MacKay arbeitet als Arzt in einem schottischen Flüchtlingslager.
Nein, er behandelt weder Syrer noch Afrikaner, denn man schreibt das Jahr 1973 einer etwas anderen Welt.
Mitteleuropa ist verwüstet, nachdem die Kubakrise zu einem kurzen, aber heftigen nuklearen Schlagaustausch geführt hat. Der Rest des Westens wird durch die Diktatur des Kennedy Clans beherrscht.
Einer seiner Patienten, Joshua Hacket, ist kein harmloser Flüchtling, denn das FBI und einige andere mehr oder weniger geheime Organisationen sind ihm auf der Spur. Der Mann behauptet, seit Jahrhunderten zu leben und schon lange tot zu sein.
Ausgerechnet Lucas' Lieblingspub wird zum Treffpunkt schottischer Widerstandskämpfer, Geheimagenten und unsichtbarer Kinder.
Als Lucas' alte Freundin Melanie den geheimnisvollen Patienten entführt, wird er selbst zum Gejagten.
Die einzige Hoffnung ist seine Heimat Rix Island.
Lucas, Melanie und der als Araber getarnte Hacket begeben sich an Bord des Luftschiffes Bonnie Charlie, um dorthin zu gelangen.
Melanie saß auf dem Flachdach.
Sie hockte immer dort, wenn es soweit war.
Die Holme der Leiter zitterten leicht.
Mom kletterte hinauf. Ihr dunkles Gesicht mit den roten Rastazöpfen tauchte über dem Sims auf.
„Melly? Ich muss.“
Ein Achselzucken war die einzige Antwort.
„Du vergisst die Schule nicht. Verstanden?“
Melanie schnaubte. „Die Nigger-Schule.“
Mom zog die Stirn kraus. „Schau uns an, Kleines. Natürlich ist das die Nigger-Schule. Aber, verdammt, die ist deine einzige Chance.“
Ein Achselzucken.
„Oder wie stellst du dir die Zukunft vor“, Moms Stimme wurde schneidend. „Willst du den Rest deiner Tage mit diesen Halbwilden durch die Gassen ziehen?“
„Was hast du gegen Willis und seine Kumpel?“
„Mädchen, der Junge hat keine Zukunft. Du schon.“
Melanie lachte spöttisch. „Du hast keine Ahnung. Ich weiß was er hat, Mom. Er hat einen riesigen Schwanz, zwei mal acht Inch, mindestens. Und er fickt wie ein König.“
Moms Gesicht verfinsterte sich. „Melly, du bist zu jung dafür.“
„Du bist zu alt dafür“, zischte das Mädchen. „Neidisch, was?“
„Peter ist nicht…“, murmelte Mom.
„Nein, du bist nicht mehr.“ Melanie überlegte einen Moment. „Und mich hattest du auch recht früh, was? Also halt mir keine Predigt. Verpiss dich einfach.“ Sie wedelte mit der rechten Hand als verscheuchte sie lästige Fliegen. „Ab zur Safari, husch, husch. Hau bloß ab.“
Mom kniff die Lippen zusammen und schüttelte stumm den Kopf.
Melanie senkte den Blick. Tränen blendeten sie. Verdammte Tränen. Sie schämte sich, war wütend auf sich selbst. Wie uncool, wie verdammt uncool.
„Mom“, flüsterte sie. „Tut mir leid.“ Als sie den Blick hob, war ihre Mutter fort.
Hinter ihr raschelte es.
Ein dunkelhäutiger Bursche mit flachsblonder Mähne hangelte sich katzengleich auf das Dach. Er ging neben ihr in die Hocke.
„Nicht gut.“ Seine Stimme war ein heiseres Knurren. „Deine Mom ist okay. Nicht gut, so mit ihr reden.“
Melanie legte ihre Hand auf seinen nackten, muskulösen Bauch. Sie tastete sich hinab in die viel zu weite Armeehose. Ihre Finger umfassten sein Glied.
„Halt´s Maul, Willis.“ Sie drückte sanft zu. „Halt den Mund und fick mich.“
Melanie hatte Käse im Gesicht, klebrig und kräftig riechend.
Ihr Kopf lag mit der Nase voran in ihrem Frühstück.
Der ovale Stein zwischen ihren Brüsten pulsierte. Ein leichtes Klopfen, als hätte sie zwei Herzen unter ihrem Kleid.
Sie versuchte ihre Gedanken zu sortieren.
Frühstück am Kapitänstisch des Passagierzeppelins Bonnie Charlie.
Der verrückte Hacket, den sie im Auftrag des Widerstandes nach Rix Island verfrachten sollte. Zusammen mit Lucas MacKay, diesem Traumtänzer.
Hätte ihr Typ sein können. Vielleicht mit längeren Haaren. Und etwas Sport.
So ein Milchbubi.
Sie hatte mit dem alten Kapitän geflirtet. Schon weil Lucas Anhimmelei ihr auf den Keks ging.
Und dann war dieser freche Teenager gekommen. Fuchtelte mit dem Brotmesser herum. Sie hatte nach seiner Hand gegriffen.
Fühlte sich aber eher wie ein Griff in die Steckdose an.
Verdammter Mist.
Es war an der Zeit, nicht länger wie blöde im Frühstück zu liegen.
Sie hob ruckartig den Kopf. Die Käsescheibe löste sich von ihrer Nase.
Der Frechdachs lag ihr gegenüber noch immer mit dem Gesicht im Essen.
Niemand achtete auf sie.
Aller Blicke waren auf die Person hinter dem Tisch gerichtet.
Eine Frau, blass, dunkelhaarig und unirdisch schön, die vollen Lippen spöttisch gekräuselt.
„Okay, Leute.“ Melanie hustete Brotkrümel. „Was geht hier denn ab?“
Der als Araber verkleidete Hacket neben ihr klammerte sich an ihren Oberarm. „Die Schwester. Die Schwester ist gekommen.“ Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. „Und der Chef. Der alte Chef. Jawohl.“
„Was?“ Melanie befreite sich aus seinem Griff. „Wo?“
Hacket nickte heftig.
Die anderen Menschen im Raum verharrten noch einige Sekunden in unnatürlicher Starre. Dann wirbelte Lucas auf seinem Stuhl herum und schrie Melanie an. „Was war das? Ist mit dir alles in Ordnung?“
Der Kapitän erhob sich langsam und blickte verwirrt von einem zum anderen.
„Das ist ja wirklich interessant“, sagte die dunkelhaarige Frau. „Eine Einladung an den Tisch des Kapitäns hatte ich mir würdevoller vorgestellt.“
„Lady Longbottom?“ Kapitän McIntyre deutete eine Verbeugung an. „Mylady, ich muss mich entschuldigen.“
„Im Gegenteil, ich fürchte, dass mein Boy diese Unannehmlichkeiten maßgeblich verursacht hat.“ Sie deutete auf den dunkelhäutigen Teenager, der gerade stöhnend zu sich kam. Er rappelte sich hoch und starrte Melanie für einen Moment direkt in die Augen.
Auf ihrem Rücken bildete sich eine Gänsehaut. Die vorher dunklen Augen waren nun gleißend hell. Eine pulsierende goldene Iris um Pupillen von absolutem Weiß. Er zwinkerte ihr zu, dann presste er die Hände ins Gesicht und ächzte laut. „Oh, meine Güte, mir ist vielleicht übel. Aber so etwas von übel.“ Er sprang auf und taumelte zum Ausgang.
Der Stein unter Melanies Kleid pochte heftiger. Bilder aus der Vergangenheit überlagerten für Sekundenbruchteile ihre Wahrnehmung.
Die Stimme der Lady drang nur allmählich zu ihr durch.
„Und Ihnen, meine Liebe, kann ich nur einen Rat geben. Lassen Sie es ruhig angehen, wenn Sie zur Ohnmacht neigen.“
Lucas starrte Lady Longbottom mit offenem Mund an. „Das tut sie nicht“, stammelte er.
Melanie verdrehte im Geiste die Augen. Würde er gleich anfangen zu sabbern? Meine Güte, wie ein unreifer Teenager.
„Man könnte auch sagen“, fuhr Lady Longbottom ungerührt fort, „ dass Churchill immer noch keinen Sport mag.“
Mit einem Male war Melanie wieder vollkommen im Hier und Jetzt.
Das war das Codewort.
Die Lady gehörte also zum Widerstand.
Nun erkannte sie auch, dass sie diese arrogante Upperclass-Stimme schon oft gehört hatte. Am Telefon.
Lady Longbottom war ihr Kontakt.
„Malen hilft besser bei Depressionen“, entgegnete sie, bemüht ihren Ärger nicht durchklingen zu lassen. Widerstand hin oder her, Typen wie diese arrogante Schnepfe waren ihr Feind. Schon immer.
Melanie hatte den Moment richtig abgepasst.
Peter saß in der Küche, über eine große Tasse dampfenden Kaffee gebeugt. Das Stethoskop baumelte über dem schweißnassen weißen Hemd.
Vermutlich war das seine einzige Pause zwischen Sonnenaufgang und Abenddämmerung.
Er beachtete sie nicht, las stirnrunzelnd einen Brief.
Melanie knallte demonstrativ ihr Zeugnis auf die Tischplatte vor ihren Stiefvater. „Soll ich dir zeigen. Wegen Unterschrift und so. Mom ist ja nicht da. Klar, wie immer, wenn es wichtig ist.“
Peter zerknüllte den Brief.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Udo F. Rickert
Cover: Udo F. Rickert
Lektorat: Manuela Noe Schwarz
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2017
ISBN: 978-3-7438-4396-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Rita