Cover

1.

Ich stöhnte auf und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Die Augen geschlossen. Vollkommen entspannt nur getragen von der Musik. Heute war es besonders anstrengend gewesen. Die Berge an Papierkram waren nicht kleiner geworden und ich hatte das Gefühl gehabt, dass die ganze Welt nach meiner Aufmerksamkeit verlangte. Manchmal hasste ich mich dafür, die Firma von meinem Vater übernommen zu haben. Aber jetzt hatte ich nur Zeit für mich. Jetzt war ich nur ich. Nicht Herr von Strömborg, der Fünfundzwanzigjährige, vor dem sogar Leute Respekt hatten , die doppelt so alt waren wie ich und auch nicht der, durch dessen Hände Tag ein Tag aus Millionen flossen. Gerade war ich nur Sindre. Der Kerl mit den typisch skandinavisch blonden ,fast weißen Haaren, den blauen Augen, mit den dichten Wimpern, den breiten Schultern, dem durchtrainierten Körper und dem markanten, scharf geschnittenen Gesicht, mit der Nase, die nur fast gerade war. Ich war nur ich. In einer Welt aus Musik, gedimmten Licht und dem Geruch nach Männerschweiß. Fern von allen Kameras, bescheuerten Reportern und anderen Menschen, die mir auf die Nerven gingen. Hier war ich nur ein Teil der dunklen Masse, die hier her gekommen war um zu tanzen und Spaß zu haben. Zugegeben ein verflucht hübscher Teil der dunklen Masse, aber die Blicke die hier über mich wanderten zeugten nur von Lust, Erregung und Bewunderung, die ich mir durch meinen mehr als ansehnlichen Körper verdiente. Keiner kalkulierte wie sich sein Verhalten auf seine derzeitige Existenz auswirkte, keiner dachte darüber nach was ihm eine Nach mit mir bringen würde, abgesehen von der Erfüllung des unerreichbaren Traumes in den Genuss meines Schwanzes zu kommen. Hier war ich keine Zahl auf zwei Beinen, kein personifizierter Button, der entweder Daumen hoch oder runter zeigte, hier war ich die Verkörperung der Lust und Begierde. Hier war ich einerseits ein Teil des Ganzen und doch... war ich ein leuchtender Stern, der sich abhob. Ein seltsames Gefühl, aber es zog mich immer wieder zurück. Ich könnte bettelarm sein und trotzdem vergöttert werden. Ich erinnerte mich an einen Automechaniker, der Blasen konnte wie sonst was. In meinem normalen Alltag wäre ich ihm nie begegnet und zugegeben ich konnte mich an nichts anderes erinnern, als dass er Mechaniker war und ich seinen Mund liebte. Aber solche Begegnungen führten mich in den kostbaren Sekunden, in denen ich mein Herr war hier her zurück. Und ich wollte sie nicht missen. Es war rau, direkt, diskret und doch viel berührender, als es irgend so ein Edelschuppen je wäre. Hier konnte man sein wer man wollte und je nach Belieben jeden Abend ein Andere. Seine Identität legte man hier zusammen mit der Jacke im Eingangsbereich ab. Ein recht süßer Twink wagte sein Glück und tanzte mich an. Zugegeben ich war hin und wieder etwas wählerisch und konnte mir das auch leisten, heute war das aber nicht der Fall. Heute ging es in erster Linie um Druckabbau. Ich war seit drei Wochen nicht mehr hier gewesen und schließlich war ich auch nur dein Mann. Und nach einer gewissen Zeit war das Repertoire meiner Fantasie auch zwischenzeitlich mal erschöpft. Hinzukommend, machte es nicht halb so viel Spaß nur seine rechte Hand als Gesellschaft zu haben. Der Kleine hatte einen netten Arsch, an dem man ihn schön näher an sich heran ziehen konnte. Seine Hände wanderten unter mein T-Shirt und begannen meine Muskeln nach zu fahren. Ich musste zugeben, dass er sich nicht ganz blöd anstellte, gerade als ich ihn fragen wollte, ob wir verschwinden wollten klingelte mein Handy und ich fragte mich, welchen von allen Abermillionen Göttern ich jemals in meinem Leben auf dem Schwanz getreten war. Schwer seufzend drückte ich den Twink von mir weg. Er warf mir einen beleidigten Blick zu, der mich allerdings nicht sehr hart traf. Ich würde etwas Besseres finden als ihn, er war nicht einzigartig oder so. Er sollte sich bloß nichts einbilden. Wir hatten schließlich nur getanzt und den Halbsteifen hatte ich nur weil ich wirklich extrem ausgehungert war. Ich schob mich an allen Leuten vorbei, Richtung draußen. Innen verstand man ja nicht einmal sein eigenes Wort. Als mich die kühle Luft empfing, lief ein Schauer durch meine Körper. Für Mai war es zwar warm, aber nicht warm genug, um ohne krank zu werden länger in einem Hemd draußen rum zu stehen. Ich seufzte erneut und holte mein immer noch klingelndes Handy aus der Hosentasche. „Was?!“, wer wagte es mich während meiner kostbaren freien Zeit, in meiner Privatsphäre an zu rufen?! „Es ist eine Katastrophe!“, ich hatte ein ganz, ganz schlechtes Gefühl, denn ich kannte nur eine Person, die es wagte mich unter meiner Notfallnummer um ein Uhr nachts an zu rufen. „Was ist eine Katastrophe, Raffael?“, zugegeben ich wollte es gar nicht wissen. Jedem anderen Anrufer hätte ich das auch gesagt, aber Raffael… Ich hatte es einmal geschafft ihn zum Weinen zu bringen und die Auswirkungen seines Beleidigtseins die Wochen danach musste man nicht ein zweites Mal erleben. Um ehrlich zu sein war auch einmal schon zu viel. „Eine Katastrophe! Alles verloren!“, quietschte er ins Telefon. Mich überkam das ganz schlechte Gefühl, dass er von mir wollte, dass ich diese Katastrophe beseitigte und den Tag rettete. „Monate lange Planung! Eine ganze Kollektion! WEG!“, kreischte Raffael. „Was ist passiert?“, ich lehnte mich gegen die kalte Wand und sah in den Sternenhimmel. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass er eine beruhigende Wirkung haben sollte. „Deine Kollektion wird ja wohl kaum Beine bekommen haben und dann ausgewandert sein.“ Raffael war zur Hälfte Klischee-Künstler und zur anderen Klischee-Schwuler. Keine angenehme Kombination. „Lewin! Er ist weg! WEG!“, ich konnte mir Raffael genau vorstellen wie er sich hysterisch Luft zufächelte und Furchen in den Boden lief. Ich fuhr mir durch die Haare und schloss die Augen. „Raffael, atme mal durch! Tief ein- und ausatmen“, ich folgte meinen eigenen Anweisungen. Der Kerl brachte mich noch um den Verstand. Warum ich trotzdem mit ihm seit der sechsten Klasse befreundet war? Ich hatte keine Ahnung. Ich stehe heute noch vor diesem Rätsel. Ich hörte wie Raffael am anderen Ende der Leitung versuchte sich zu beruhigen… Für mich klang es mehr nach Schnappatmung. „Und jetzt erzähl von vorne“, und Raffael erzählte. Von seiner neuen Kollektion, von der Fashion Week morgen und von Lewin. Einem absoluten no-name ohne den morgen angeblich alles den Bach runter gehen würde. „Scheiße Raffael, der Typ ist neu in der Szene, wenn du wegen Jon Kortajarena oder so einen solchen Aufstand bauen würdest, aber wegen einem unerfahrenen Küken“, der Kerl hatte Nerven „Such dir doch einen anderen. Es gibt genug absolute no-names die liebend gerne für dich laufen würden. Bestimmt auch einen Kerl, der ähnliche Maße hat wie dieser…“ „Lewin, sein Name ist Lewin! Und ich will keinen anderen! Ich will ihn! Er gehört zum Herzen meiner Kollektion, ohne ihn läuft gar nichts!“, jetzt lang er wie ein frustriertes Kleinkind. Ich verstand dieses Theater zwar nicht, aber anscheinend war es so. Ich war zwar kein absoluter Modemuffel, obwohl Raffael mich oft mehr oder weniger liebevoll so nannte, aber es ging einfach nicht in meinen Kopf wieso der so wichtig war. Raffael war immer umgeben von Schneidern, die für ihn immer ewig Überstunden schoben und auch seine Launen aushielten, vermutlich würden sie es sogar noch schaffen manche Sachen um zu schneidern, aber nein… „Also wo ist dein Lewin?“, ich gab mich geschlagen, einem Raffael konnte eben niemand etwas entgegen setzten. „Im Knast“, plötzlich klang er ganz sachlich und ich vermutete einen akuten Hörschaden bei mir. „Tut mir leid, der Arzt hat immer gesagt, dass die ganze laute Musik nicht gut für mich ist. Ich hätte auf ihn hören sollen, ich habe nämlich gerade verstanden, dass du gesagt hast, dass er im Gefängnis sitzt“, mein Lachen klang leicht irre. „genau genommen sitz er ja nicht ganz im Knast. Nur in U-Haft…“, er wurde ganz kleinlaut. „Dein Ernst?! Wie soll ich den verfluchten Kerl denn da raus kriegen?! “, das war doch ein Scherz?! Ein mieser, total verspäteter Aprilscherz! Der so verspätet war, dass er nicht einmal im April war… aber mit Raffael musste man eben Nachsicht haben, der war immer ein bisschen verplant. „Nimm dir doch einfach einen Anwalt“, fügte ich dann hinzu, für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch kein Scherz war. „Das geht doch nicht! Was weiß ich wann der dann draußen ist! Ich brauche ihn morgen!!!“, quietschte er jetzt wieder. Ich rieb mir meine Augen, plötzlich war ich sehr müde… „Und was soll ich da machen?“, ganz ehrlich, ich war keine Fee, wie die aus Cinderella, die einfach so mir nichts dir nichts ihren Zauberstab schwang und dann war alles wieder in Ordnung. Ich besaß ja nicht einmal einen Zauberstab und mit einem Kuli in der Hand würde es auch zu albern aussehen. Abgesehen davon konnte ich mir nicht vorstellen, dass mir ein Kleid, dass mit Glitzer verziert war stand oder im allgemeinen irgendein Kleid. Meine Qualitäten als Märchenfee ließen sehr zu wünschen übrig. „Du könntest ja erst einmal rein gehen und raus finden, was passiert ist! Das wäre wenigstens ein Anfang und sehr Hilfreich“, kommentierte Raffael spitz. „Ach und jetzt bin ich dein Lakai?! Das kannst du auch selber machen!“, er trieb mich wirklich in den Wahnsinn. „Aber du kennst dich mit sowas doch besser aus…“, quengelte er jetzt wieder. Mit ‚sowas‘ meinte Raffael Verhandlungen und zugegeben gehörte das zu meinen Talenten, aber… Es war mitten in der Nacht und ich wollte auch mal meine Privatsphäre haben! „Außerdem kannst du ihn dann vielleicht auch gleich raushauen, du kennst doch jeden und ich kenne niemanden, der dir keinen Gefallen schuldet“, Oh, Raffael. Jetzt hatte er mich doch um den kleinen Finger gewickelt. Ich gab einen undefinierbaren Laut von mir und Raffael quietschte glücklich am anderen Ende der Leitung auf. „Danke, danke, danke. Du bist der aller Beste, Sindre“, ich war froh, dass er gerade nicht hier war, sonst hätte er mich jetzt zerquetscht. „Nach der Aktion schuldest du mir einen fetzen Gefallen“, drohte ich. „Ja, ja, alles was du willst“, antwortete Raffael vergnügt. Ich knurrte noch etwas, dass Raffael zum Glück nicht verstand und legte, dann auf. Ich war definitiv zu nett! Vor mir lag eine lange Nacht.

 

2.

 

Hier stand ich also, um halb drei, mitten in der Nacht, neben einem ziemlich unausgeschlafenen und grimmig drein guckenden Polizisten. Wie ich das geschafft hatte? Keine Ahnung, eventuell hatte ich meine Fähigkeiten als gute Fee doch unterschätz. Nach dem ich tausend Leute aus dem Bett geklingelt und unter Druck gesetzt hatte, stand ich also wirklich hier. Es war nicht zu fassen. Die Tür ging auf und ich wurde in einen dieser kahlen Räume geleitet. Weiße Wände, zwei Stühle und ein Tisch. Ich wurde aufgefordert mich zu setzen, was ich dann auch dankbar tat. Meine ganzen Knochen taten weh. Ich sollte definitiv mehr schlafen und an meinen letzten Urlaub konnte ich mich nicht mehr erinnern. Ich lehnte mich in dem harten Stuhl zurück. Eigentlich wollte ich nur noch in mein Bett. Inzwischen war es mir auch eigentlich schon egal ob mit oder ohne einen anderen Typen. Eigentlich eher ohne, besonders da ich meine Affären nie mit zu mir nach Hause nahm. Das war mein Reich, da konnte ich niemanden gebrauchen. Ich hatte schon den ganzen Tag verflucht viel um die Ohren, tausend Leute wuselten um mich rum und mein Gehirn hatte immer zu funktionieren, da konnte ich mir etwas Stille in meiner Wohnung wohl erlauben. Das war meine absolute Privatsphäre. Selbst meine Schwester Linnea war erst ein paar Mal bei mir gewesen. Das war mein Ruhepol, da hatte niemand anders etwas zu suchen. Plötzlich ging die Tür auf. Der Polizist betrat den Raum wieder. Dieses Mal wurde er von einem jungen Mann begleitet. Ich schätzte ihn auf zwanzig. Er war schlank und schmal gebaut. Seine kurzen braunen Haare hingen ihm etwas wirr ins Gesicht. Er trug ein schlichtes, graues T-Shirt und dazu eine eng geschnittene Jeans. Er ließ sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen und sah mich mit seinen goldbraunen Augen genau an. Plötzlich konnte ich verstehen was Raffael meinte. Ich gab dem Polizist ein Zeichen, dass er den Raum verlassen konnte und wandte mich dann wieder Lewin zu. Dieser Typ hatte irgendetwas an sich. Es war nicht wirklich greifbar geschweige denn beschreibbar, aber es war da. Er hatte einen Arm auf der Lehne des Stuhls abgelegt und spielte mit dem Saum seines T-Shirts. „Wer bist du?“, Lewin hatte den Kopf schief gelegt und betrachtete mich prüfend. „Ein Freund von Raffael“, ich würde dem Typen jetzt nicht meine Lebensgeschichte erzählen. „Und was will ein Freund von Raffael mitten in der Nacht hier, in meinem neuen Heim?“, frage Lewin spöttisch. „Ein paar Fragen stellen“, Lewin hob eine Augenbraue. „Was für Fragen?“, Was für Fragen wohl? Ja wohl kaum zum Sandmännchen. „Du erinnerst dich nicht rein zufällig daran, warum du dein neues Heim beziehen durftest?“, zugegeben meine Laune war eindeutig im Keller und ich wollte hier nur so schnell wie möglich raus, da hatte ich keine Zeit das bescheuerte Spiel dieses Kerls mit zu spielen. „Das ist aber ungerecht“, jetzt verzog er seine hübschen Lippen zu einer Schnute „Wieso soll ich dir etwas erzählen, wenn ich doch gar nichts über dich weiß? Zum Ausgleich müsstest du mir was von dir erzählen…“, er betrachte die Decke, als würde er überlegen. „Was hältst du von etwas interessantem? Etwas Schmutzigem, etwas, dass keiner weiß… Vielleicht aus deinem Privatleben. Überrasch mich“, jetzt grinste er mir unverhohlen ins Gesicht und vermittelte mir das Gefühl, als wäre ich der, der etwas falsches getan hatte. Ein Gefühl, dass ich absolut nicht ausstehen konnte. Böse funkelte ich ihn an. „Ich habe kein Privatleben…“, dank ihm noch ein bisschen weniger als sowie so schon „Und deswegen alle Zeit der Welt, deines zur Hölle zu machen, also halt jetzt lieber die Klappe!“ Er legte es wirklich darauf an meine Nerven bis zum geht nicht mehr zu strapazieren. Jetzt grinste er auch noch. „Ich dachte ich soll Fragen beantworten, da wäre die Klappe halten doch eher ungünstig“, ich biss mir auf die Unterlippe. Nicht provozieren lassen, einfach nicht darauf eingehen… „Also fangen wir mal an: Was hast du angestellt?“, eigentlich wollte ich ihn gar nicht hier herausholen, sollte er doch verschimmeln, aber ich hatte es Raffael versprochen. Lewin zog die Nase kraus. „Gar nichts das ist es ja“, ich seufzte. „Die Version kannst du dir für die Polizei aufheben. Was hast du gemacht?“, das würde ja noch lustig werden. „Bist du taub oder so? Nichts!“, ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. „Fangen wir mal woanders an. Wie hast du Raffael kennengelernt?“, vielleicht würde er ja mehr erzählen, wenn er mehr im Gespräch drinnen war. „Vor ein paar Wochen oder so“, Lewin zuckte mit den Schultern. „Habe in so einer Bar gejobbt und da hat er mich angesprochen. Wollte meine Nummer und so. hab ihn am Anfang für einen ziemlich durchgeknallten Typen gehalten, aber er hat dann wirklich nicht locker gelassen und da bin ich am Ende doch mal zu ihm ins Studio gekommen und tada“, er streckte die Arme von sich, als würde er nach einer grandiosen Show nochmal auf die Bühne kommen um sich bejubeln zu lassen. „Hier bin ich, oder zumindest war ich“, er grinste schief „Dann kam nämlich dieses Arschloch von Jannes“, sein Lächeln verblasste vollkommen „Und da wäre wir auch schon bei der Story, die dich furchtbar interessierst und die du mir nie glauben wirst“, seine Augen wurden hart. „Und wieso wollte ich es dir nicht glauben?“, jetzt wurde ich langsam neugierig. „Weil ihr reichen Schnösel doch alle gleich seid. Ihr könnt es nicht ab, wenn ihr mal nicht die perfekten Helden in einer Geschichte seid. Für euch muss es ja immer gut ausgehen und wie es für die anderen ausgeht ist euch ja scheiß egal!“, Wut glitzerte in Lewins Augen. „Vielleicht überrasche ich dich ja“, und irgendetwas in mir wollte ihn wirklich überraschen. „Na gut, Mister ich kann alles schaffen“, jetzt zierte das spöttische Grinsen wieder Lewins Gesicht „Also ich war auf der Party. Ich kannte Jannes gar nicht, zumindest dachte ich das. Ich habe mich gerade mit einem echt netten Designer unterhalten, als ich ihn sah. Es war Jannes, aber das wusste ich da noch nicht. Da war es einfach der Kerl, der sich schon mal so richtig mit Raffael gestritten hat. Ich hatte nicht mitbekommen, um was es ging, aber es endete damit, dass dieser Jannes wutentbrannt aus dem Atelier stürmte. Das war das einzige mal davor, das ich ihn gesehen hatte und jetzt war er da und ich war auf seiner Party und er starrte mich die ganze Zeit total böse an, später, als ich allein da stand, ist er zu mir rüber gekommen, hat etwas von Rache gefaselt und hat mir erklärt, dass das sein Platz wäre, ich habe nur Bahnhof verstanden“, Lewin zuckte mit den Schultern „Und dann als urplötzlich eine Polizeikontrolle kam und mir gesagt hat ich soll alles aus meinen Taschen tun, habe ich geschaut wie ein Auto, aber habe es dann gemacht und plötzlich war in meiner Jackentasche dieses scheiß Metallion. Jannes hat Dieb rum gebrüllt und behauptet, ich wäre es gewesen, dieses Arschloch, aber ich wars nicht!“, Lewin sah extrem böse aus. Verständlich, wenn seine Version stimmte, aber etwas in seiner Stimme weckte den Wunsch in meinem Inneren ihm zu glauben. „Wenn du lügst haben wir, das gleich und wen nicht, bist du hier schneller draußen, als du ‚gute Fee‘ sagen kannst“, ich wusste nicht, was ich heute mit guten Feen hatte, aber irgendwie verfolgten sie mich. Lewin zog nur eine Augenbraue hoch , als ich den Raum verließ, um ungestört zu telefonieren. Ich wählte die Nummer von Raffael. Ich musste nur wenige Sekunden warten, bevor er ran ging. „Und wie sieht es aus?“, fragte er gespannt. „kennst du einen Jannes?“, kam ich gleich zur Sache „Ja, Jannes Tellmann. War eigentlich für morgen eingeplant, aber dann habe ich ja Lewin gefunden und der hat dann das Zeug von Jannes übernommen. Jannes war zwar gut, aber… Er hatte nicht das gewisse etwas, was Lewin in meiner Kollektion hervor bringt. Lewin hat Charakter“, oh ja, das hatte ich gemerkt „Und Jannes ist nun mal ein Sohn aus reichem Haus, dem alles in den Arsch geschoben wurde“, Raffael seufzte „Er wird oft genommen, nur um seinen Vater nicht zu verärgern… Ich fand er hat bei mir einfach ganz gut rein gepasst. Außerdem läuft er gut, ist halt kein Risiko, aber wer entscheidet sich für kein Risiko, wenn er stattdessen fantastisch kriegen kann?“, Raffael schnaubte. „Kannst du die vorstellen, dass er Lewin, was untergeschoben hat, nur damit er laufen kann?“, das war die entscheidende Frage. „Ganz ehrlich? Ja, der Typ ist ausgerastet, als ich ihm gesagt habe, dass er nicht mehr gebraucht wird“, ich nickte. „In Ordnung. Mach dir keine Sorgen, in ein paar Stunden steht dein Lewin bei dir auf dem Laufstegh“, beruhigte ich Raffael. Eigentlich war dieser Anruf völlig Sinn frei. Ich hätte Lewin auch raus bekommen, wenn er es gewesen wäre, aber irgendwie tat das meinem Gewissen gut. „Super, rufst du mich dann später noch mal an?“, Raffael gähnte. „Ja, klar, also bis dann“, ich legte auf. Ich war wirklich erleichtert, dass Lewin es vermutlich nicht war... Und zwar nicht nur, wegen meines Gewissens, irgendetwas in mir wollte, dass dieser freche, unverschämte und verflucht hübsche Kerl da drinnen unschuldig war. Ich seufzte und strich mir meine Haare aus dem Gesicht. So jetzt noch einmal anstrengen und dann war Feierabend und ich wusste schon genau, wie ich den guten Herr Tellmann dazu bekommen würde die Anzeige zurück zu ziehen.

 

3.

Ach war es nicht schön jemandem androhen zu können, dass seine nächsten Geschäfte, alle uhrplötzlich im Sand verlaufen würden, wenn er seinen Sohn nicht zurück pfiff? Nein? War mir egal. Der Zweck heiligt die Mittel. Denn genau das hatte ich getan und dem alten Tellmann wäre fast der Hörer aus der Hand gefallen und egal, ob Lewin jetzt geklaut hatte oder nicht, es war alles als ein großes Missverständnis dargestellt worden. Somit war die Anschuldigung nichtig und Lewin sollte in den nächsten Sekunden aus der Polizeiwache kommen. Nachdenklich blickte ich hoch zum Himmel. Alles war zugezogen und es goss aus Kübeln. Ich hatte das Gefühl, dass die Temperatur um mindestens zwei Grad gefallen war. Zum Glück hatte der Architekt mitgedacht und dem Polizeirevier ein nettes, gläsernes Vordach mit zwei Säulen gegeben, an einer dieser lehnte ich jetzt und schimpfte mit mir, dass ich mir nicht ein paar Sekunden mehr Zeit genommen hatte und nach Hause gefahren war, um mir eine Jacke zu holen. Wenn ich vorhin schon darüber sinniert hatte, dass es zu kalt war, um im Hemd rum zu stehen, war ich mir jetzt sicher mir den Tod zu holen. Plötzlich hörte ich ein quietschen und blickte mich um. Die Tür war aufgegangen und Lewin trat heraus. Er hatte ein Handy in der Hand, das von vor hundert Jahren sein könnte und blickte viel zu konzentriert auf den Bildschirm, um mich zu bemerken. Er las irgendetwas, dass in zum Fluchen brachte. Er blickte erst auf, als er unter dem Unterstand heraus getreten war und der Regen auf seine ungeschützten Arme fiele. Anscheinend hatte er bei seiner Festnahme keine Jacke angehabt, denn er Trug immer noch nur das T-Shirt von vorhin. Er stieß einen leisen Fluch aus, steckte das Handy weg und schlang seine Arme um seinen Körper. Er sah schrecklich verloren aus. Sein Gesicht wurde von einer Straßenlaterne erhellt. Er wirkte viel verletzlicher, als gerade eben. Seine Augen spiegelten nur Resignation wieder und nicht mehr den Funken der Kampfeslust und Aufmüpfigkeit. Er war aber auch eine jämmerliche Erscheinung wie er da so im Regen stand. Die Haare trieften vor Wasser und das T-Shirt klebte an seinem Körper, was ihn zugegebener Maßen nicht schlechter aussehen ließ. Man konnte jeden Muskel erkennen und obwohl er auf den ersten Blick nicht als Sportler durchgehen würde, konnte man doch sehen, dass er deutlich auf seinen Körper achtete. Das Wort Fitnessstudio war ihm bestimmt auch nicht fremd, aber jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt um über so etwas nach zu denken. Jetzt sah ich nur diesen verflucht hilflosen jungen Mann, der etwas in mir zum Leben erweckte, das danach schrie ihm zu helfen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Einerseits war da in mir die Stimme, die danach verlangte einfach nach Hause zu gehen und mich in mein warmes Bett zu kuscheln, doch andererseits konnte ich ihn nicht einfach hier stehen lassen. Ich seufzte, wie schon so oft an diesem Abend und drückte mich von der Säule ab und lief zu Lewin. Er stand jetzt mit dem Rücken zu mir. Seine Schultern waren nach vorne gefallen. „Hey“, es wunderte mich, dass er mich gehört hatte, bei dem Unwetter. Doch er fuhr sofort zu mir herum, straffte die Schultern und verschloss sein Gesicht augenblicklich wieder. „Was willst du?“, blaffte er mich an. Ich hob eine Augenbraue. „Solltest du mir nicht eigentlich dankbarer sein? Schließlich habe ich dich da raus geholt“, Lewin schnaubte nur und schwieg mich an. Ich wartete noch wenige Sekunden, doch als er mir nicht antwortete wagte ich einen neunen Versuch in an zu sprechen. „Soll ich Dich vielleicht irgendwo hin bringen?“, Lewin strich sich eine verirrte Strähne aus der Stirn. „Wie kommst du darauf, dass ich hier weg wollen würde? Es ist doch gerade so gemütlich“, Lewins Worte trieften vor Spott. Ich ließ meinen Blick über seine arme wandern, die mit Gänsehaut überzogen waren. „Nur so eine Vermutung“, erklärte ich. „Falsch vermutete“, fauchte Lewin. Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte man nur so stur sein. Ich hatte ihm bewiesen, dass ich es gut mit ihm meinte und trotzdem wollte er sich immer noch nicht helfen lassen. „Komm, ich bring dich nach Hause“, versuchte ich es weiter. „Könnte schwierig werden“, jetzt zog ich auch noch meine zweite Augenbraue hoch. Was war denn jetzt schon wieder sein Problem? „Mein Vermieter war so freundlich mir eine SMS zu schreiben, dass er mich aus meiner Wohnung geworfen hat, weil ich gestern nicht da war, um meine Miete zu zahlen. Nett oder?“, jetzt tat er mir noch mehr leid. „Wenn ich schnell genug bin, sind vielleicht noch nicht alle meine Sachen auf der Straße und vollkommen durchgeweicht.“ Lewin presste seine Lippen zugegebener Maßen sehr hübschen Lippen fest zusammen. „Scheiße“, etwas Besseres viel mir nicht ein. „Ja scheiße! Und zwar so richtig scheiße! So scheiße, dass du es dir gar nicht vorstellen kannst! Wäre ich hier nicht fest gesessen, wäre ich da gewesen und hätte jetzt noch meine Wohnung. Wenn dieser verfickte Penner nicht gewesen wäre dann…“, er hätte seine Schimpftierade vermutlich noch ewig fortgeführt, hätte ich meine Lippen nicht auf seine gepresst. Ich wusste nicht warum ich das tat. Ich wusste ja nicht einmal ob er schwul war. Vermutlich würde er mich jetzt von sich stoßen und ich würde wie der letzte Trottel da stehen, aber es hatte ich plötzlich einfach so über kommen und… Es fühlte sich verdammt gut an. Erst war Lewin wie erstarrt, doch dann erwiderte er den Kuss. Seine Lippen waren weich und doch unnachgiebig. Es war wie ein Kampf, den keiner gewinnen konnte. Sein Körper passte perfekt an meinen. Ich schlang meine Arme um ihn, ging vollkommen in dem Gefühl auf, als plötzlich ein stechender Schmerz durch meine Unterlippe fuhr. Ungläubig sah ich Lewins goldene Augen. Er hatte mich gebissen. Einfach so. „Schämst du dich nicht meine Situation aus zu nutzen?“, in seinen Augen funkelte der Schalk und plötzlich musste ich lachen. Es war ein so wunderbares, befreiendes Gefühl und ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so gut gefühlt hatte. Das Lachen perlte einfach so aus mir hinaus, ließ meinen ganzen Körper beben und plötzlich traf mich die Erkenntnis: Ich war glücklich. Ich hatte nie bemerkt, dass ich unglücklich war, aber hier stand ich mitten in der Nacht im strömenden Regen und lachte, wegen Lewin. Einem kleinen, etwas biestigen Schlitzohr und er lachte auch. Seine Augen strahlten, heller als die Sonne es je könnte. Und in diesem Moment verliebte ich mich in ihn und beschloss über meine eigene Grenze zu gehen, um dieses Glück zu zulassen. Denn das war Lewin für mich. Ein Funke, der aus der Reihe tanzte, der biss, der mit spitzen Worten um sich warf, der sich nicht helfen lassen wollte und mich doch aus der Eintönigkeit meines Lebens riss und in mir eine kleine Flamme entzündete, die sich Liebe nennt.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /