Andy S. Falkner
Fünfzigster
Science Fiction Anthologie
Text & Bild © Andreas Solymosi, 2019
Umschlaggestaltung: J. A. Solymosi
Titelbild: aus dem Gemälde „Phil. 3:13“ von Vera Solymosi-Thurzó (Katalog-Nr. 120)
Einige Abbildungen stammen aus Wikipedia
Alle Rechte vorbehalten
Im Jubiläumsband der Serie erschienen einige kleinere, bis jetzt unveröffentlichte Schriften, die auch unter dem Titel „Mehr Fiction als Science“ hätten erscheinen können: Kontakt anderer Art, Galaktischer Krieg, Das Monoid, Lichtwesen, Der Siebziger, Erste Reise
Als ich das erste Mal dort war, war ich noch über nichts erstaunt. Die Wüste, durch die ich ging, war ziemlich gewöhnlich: keine Vegetation, kein Sand, keine Steine. Obwohl, wenn ich auf einem unüblichen Planeten oder Himmelskörper lande, staune ich groß – selbst wenn dies selten der Fall ist, weil der Weltraum fast überall gleich ist. Aber dieses dort war nichts ähnlich; oder vielleicht war gerade das das Besondere daran, wie erdenähnlich und doch ganz anders es war.
Ich schritt in einem guten Tempo vorwärts, wie auf ein klares Ziel zu, aber was das war und wo, das wusste ich nicht. Ich war nicht einmal überrascht, als die ersten Stäbchen erschienen. Beziehungsweise, zuerst dachte ich, an am Wegrand stehenden Pflöcken vorbeizukommen. Einen Weg gab es natürlich nicht, und die Stäbchen standen nur in meiner Nähe oder weiter weg.
Dann bemerkte ich, dass sie nicht nur standen, sondern sich auch bewegten. Sie kamen meistens auf mich zu. Es schien normal zu sein, wie sie vorwärtsschritten: Sie traten nicht (sie hatten nichts womit), sie sprangen oder hüpften auch nicht (da sie auch keine Flügel hatten); sie taumelten einfach herum und kamen voran. Mit dem Taumeln hörten sie nicht auf, selbst als sie mich umkreisten. Zuerst waren es nicht viele: zwanzig, dreißig; aber dann wurden es mehr und mehr, als ob sich unter ihnen die Nachricht verbreitet hätte, dass ich da war und alle neugierig auf mich wären. Besser gesagt schien es offensichtlich zu sein, dass sie neugierig waren, wie ich das aus dem großen Taumeln und der Takelage entnahm. Aber sie hielten einen respektvollen Abstand zu mir. Wenn ich in eine Richtung losging, öffneten sie quasi einen Korridor vor mir, und wenn sie Arme hätten, hätten sie mir vielleicht auch noch höflich gezeigt: Bitte, da lang. Aber sie hatten nichts: weder Köpfe noch Augen, nichts. Nur Stäbchen, höchstens einen kleinen Wulst an ihrem unteren Ende, mit kleinen Füßlein, Fingern oder Nägeln? Ich konnte es nicht genau entnehmen, sie waren dermaßen winzig und ich kam keinem nahe genug, um mir das genauer ansehen zu können. Erst später erschien mir so, als ob diese Knöllchen gar nicht auf dem Boden ruhten, sondern einige Millimeter darüber und die Stäbchen quasi darüber schwebten, schwammen; aber das sah ich erst bei einem späteren Besuch deutlich. Das erste Mal fiel nur das Taumeln auf: Zum einen beugte sich jedes von ihnen unabhängig von allen anderen hin und her, und zum anderen herrschte eine gewisse Harmonie in der gesamten Bewegung, woraus ich Höflichkeit, Freundlichkeit und Neugierde herausspürte. Als hätten sie mir mit ihrem Taumeln gestikuliert. In allem gab es einen gewissen Sinn, auch wenn ich nicht sicher war, ob die einzelnen Stäbchen intelligente Wesen wären; ich war mir selbst dessen nicht sicher, ob sie lebten. Sie hätten gar das Werkzeug von Menschen oder Wesen aus dem Jenseits sein können, die mich auf unverständliche Weise umgaben und versuchten, mir gegenüber Frieden und Sicherheit mit ihren Tänzen zu kommunizieren. Vielleicht hatte diese Art der Freundschaft die Folge, dass ich keine Spur von Angst oder Sorge in mir hatte, aber interessanterweise nicht einmal Verwunderung: Ich empfand es nicht als seltsam, hier zu sein, und auch nicht, dass sie da waren. Ja, ich sah in der ganzen Begegnung einen tieferen Grund, dass wir uns kennen lernen oder mehr voneinander erfahren. Dass die Stäbchen oder ihre Macher etwas über mich wissen wollten, dessen war ich mir sicher. Und wenn ich schon hier war, dann wollte auch ich mehr über sie wissen. Beim ersten Mal war ich darin jedoch nur sehr wenig erfolgreich.
So wie ich nicht weiß, wie ich dorthin gekommen war, auch das nicht, wie ich zurückkehrte. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich an meinem Schreibtisch sitze und die Details des Erlebnisses auf Papier bringe, um sie nicht zu vergessen wie so oft auch meine interessanteren Träume. Aber meine Erinnerungen sind selbst heute noch viel lebendiger, konkreterer als dass ich das Ganze nur geträumt hätte.
Beim zweiten Mal habe ich auch nicht geträumt, da bin ich mir sicher: Ich erinnere mich dermaßen klar, diesmal auch an meine Ankunft. Ich weiß nicht, wann und wie ich losfuhr, aber ich war mit hoher Geschwindigkeit angekommen, und dieses Mal näherte ich mich den Stäbchen an, nachdem ich von weitem wahrgenommen hatte, in welcher Gegend sie sich aufhielten. Nicht nur aufhielten, auch taumelten. Ich denke, sie sahen mich auch, und mit ihrem gemeinsamen Taumeln riefen sie mir zu: „Komm her, wir sind hier.“ Selbst aus der Ferne war dies klar, also nahm ich Richtung auf sie und bremste ab, kam zu ihnen hinunter. Ich hatte kein Reisegerät, Flugwagen, Raumfahrzeug oder so etwas: Ich landete einfach und bremste, der Boden hätte um mich herum gespritzt, wenn er Erde, Sand oder Wasser gewesen wäre. Aber das war er nicht, wieder nur diese nicht ganz glatte, aber flache Wüste, weder Stein noch Kunststoff, weder weich noch hart; er hielt mich, ich konnte darauf einfach stehen. Die Stäbchen stützten sich nicht darauf, wie mir später auffiel, wohl aber ich. Ich hatte ein normales Gewicht und atmete genauso wie auf der Erde, daher konnte es kein anderer Planet oder eine andere Welt sein. Ich weiß es ganz sicher, und ich wusste es auch damals, denn ich war schon an ziemlich vielen Orten im Universum, und bereits bei der Ankunft kann ich den geringsten Unterschied in der Schwerkraft feststellen. Selbst auf der Erde gibt es einen anderen Geruch, wenn man in einer anderen Klimazone aus dem Flugzeug steigt, als dort, wo man abgeflogen war. Aber hier gab es keinen Unterschied, nur der Boden war anders als zu Hause, na, und die Stäbchen.
Mein zweiter Besuch fand dem ersten ähnlich statt, aber diesmal schien es sicherer zu sein, dass das große Taumeln irgendeine Bedeutung hatte. Vielleicht war auch die Anzahl der Stäbchen größer als beim ersten Mal. Ihre Größe war auch vielfältiger. Bei der ersten Gelegenheit hatte die gesamte Gesellschaft dem Menschen vergleichbare Maße, selbst wenn sie dünne, starre Kreaturen waren, alle so 150 bis 200 Zentimeter lang; aber diesmal gab es unter ihnen ganz winzige, einige Zentimeter groß, und weiter entfernt auch 3-4 Meter hohe. Die Kleinen wagten sich näher an mich heran, während die Riesen weiter blieben. Alle tanzten, sprangen, meistens hin und her, aber vielleicht ein wenig auch auf und ab.
Diesmal gefiel mir das alles. Während ich beim ersten Mal nur Neugier und Interesse für sie empfand, erfüllte mich beim zweiten Mal die Freude, wieder hier zu sein. Und auch sie schienen über mich glücklich zu sein. Ich entnahm das aus ihrem Taumeln. Wenn sie Hände gehabt hätten, hätten sie sicherlich applaudiert, dass ich wieder zu ihnen gekommen war.
Ich hätte gerne einen von ihnen berührt, aber sie hielten eine Entfernung von gut anderthalb Meter zu mir. Ich wollte sie nicht mit einer plötzlichen Bewegung erschrecken, aber ich denke, wenn ich zu einem von ihnen gesprungen wäre, würde er genauso schnell von mir weggesprungen sein. Dass sie meinen Wunsch, ihnen näher zu treten, gerne annahmen, dessen bin ich mir sicher. Aber irgendwie war das Vertrauen zwischen uns noch nicht tief genug, und wir waren so unterschiedliche Wesen, dass wir Zeit brauchten, um die Nähe des anderen zu ertragen. Ihr Taumeln erregte solche Gedanken in mir.
Dann dachte ich, es sei Zeit zu gehen, und ich stieg von unter ihnen einfach hinauf. Wieder fand ich mich an meinem Schreibtisch und machte fleißig meine Notizen, um keine Details zu vergessen. Aber ich hätte auch ohne meine Notizen nichts vergessen – selbst heute, wo ich das alles formuliere, schwebt die ganze Szene deutlich vor mir.
Beim dritten Mal kam ich auf meinem ausdrücklichen Wunsch hin. Obwohl es vor dem Einschlafen geschah, bin ich mir sicher, dass ich noch nicht schlief und nicht nur träumte. Ich war noch zu lebendig, es geschah zu kurz nach dem Abschalten des Lichts, als ich den intensiven Wunsch bekam, die Stäbchen wiederzusehen. Ich weiß nicht, wie ich aus meinem Bett gekommen war, ich erinnere mich lediglich an den Sturzflug, als wäre ich mit einem Einpersonen-Raumschiff auf einem fremden Planeten gelandet – diesmal ohne Raumschiff. Ich spürte die Gewichtszunahme durch das Abbremsen deutlich und flog kurzzeitig mit 3-4 g nach unten. Gelegentlich bekomme ich kleine Prellungen auf meiner Haut, und einige davon blieben nach meiner dritten Reise da. Daher weiß ich auch, dass dies alles kein Traum war. Und später versuchte ich mal, mit den Stäbchen zu taumeln. Ich versuchte, mich auf dieselbe starre Weise hin- und herzubeugen, und durch die große Anstrengung verlor ich mein Gleichgewicht. Im letzten Moment stützte ich mich mit meiner Hand auf, aber ich kugelte meinen kleinen Finger aus. Er tat nicht weh, aber das Endglied stand aus meiner Hand im rechten Winkel heraus. Nach meiner Rückkehr ging ich zum Unfallchirurgen, wo eine geschickte junge Ärztin plötzlich an ihm riss (dies tat weh), und es sprang zurück. Ich trug sechs Wochen lang eine Gipsschiene an der Hand, und mein kleiner Finger ist heute noch ein wenig gebogen. So etwas geschieht nicht von einem Traum.
Meine Stäbchen empfingen mich beim dritten Mal mit einer starken Ovation. Diesmal war es klar, dass sie vor Freude auf und ab hüpften, und dann formulierte sich in mir die Wahrnehmung, dass sie sich gar nicht auf den Boden stützten. Auch ich war begeistert von ihnen und begann mit großer Freude herumzuspringen. Irgendwie musste ich mich gar nicht so viel vom Boden abstoßen wie zu Hause, obwohl ich sage, die Schwerkraft betrug definitiv 1 g. Ich weiß das, da ich ein erfahrener Astronaut bin.
Ich muss hinzufügen, dass wir in den vergangenen zwei Jahrhunderten der Raumfahrt nirgendwo im Universum eine Spur von Intelligenz gefunden haben, nicht einmal ein Leben wie unser. Selbst die Science Fiction-Autoren verzichten bereits darauf, über extraterrestrische Intelligenz zu phantasieren. Die gesamte wissenschaftliche Debatte bleibt auf dem Niveau, ob dieses oder jenes neue Phänomen, das wir an verschiedenen Himmelskörpern (insbesondere außerhalb des Sonnensystems) beobachten, Spuren des Lebens trägt oder ohne seine Annahme erklärt werden kann. Kratzer, Formationen, statistisch nicht rechtfertigbare Ordnungen. Manchmal ein Molekül, eine komplexe Form, vielleicht Ruinen einer ehemaligen Stadt? Selbst für das seltsamste Phänomen fanden sie eine Art wissenschaftliche Erklärung oder eher Spekulation. Aber eine unbestreitbare Spur von Leben, geschweige denn Intelligenz, niemals. Also sind meine Stäbchen keine Aliens oder Außerirdischen, sondern etwas anderes. Was dann, das weiß ich selbst heute nicht.
Ich besuchte sie einige Male und bereute es nie. Unsere Treffen wurden immer angenehmer, liebevoller und enthusiastischer. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine echte Freundschaft zwischen uns:
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1455-2
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