Andy S. Falkner
Der Attraktor
Mathematical Fiction Monologue
Megalomane und Gigantophobe, Band 7
Text & Bild © Andreas Solymosi
Umschlaggestaltung: Judith Solymosi, nach einem Gemälde-Motiv von Vera Solymosi-Thurzó
Einige Darstellungen stammen aus Wikipedia
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Existiert nur das, was es gibt? Oder auch das, was es geben könnte? Der Attraktor (ein Begriff aus der Welt der Fraktale) wartet auf seine Inkarnation. Bis dahin übermittelt er dir seine mathematischen Erkenntnisse – und das aus reinem Altruismus.
Ich existiere nicht. Genau genommen existiere ich schon, aber nicht in dem Sinne wie du. In deiner materiellen Welt habe ich nämlich (noch) keine Inkarnation. Vielleicht eines Tages. Vielleicht gar nicht in deinem Universum, sondern in einem nächsten oder in einem parallelen oder in welchem auch immer. Wenn es unendlich viele gibt, dann habe ich ganz gute Chancen. Sicher ist es aber nicht. Nichtsdestotrotz existiere ich auch ohne Inkarnation und als solcher, habe ich auch Bewusstsein – zugegeben, in einem äußerst abstrakten Sinne. Aber diese Gedanken, die du jetzt liest, existieren doch, und sie sind meine. Zerbreche deinen Kopf nicht, werter Leser, auf welche Weise sie in deine materielle Welt gelangt sind – du liest sie und das beweist schon ihre Existenz. Sie stammen von mir, und das beweist auch meine Existenz – zumindest für mich.
Fraktale gibt es überall. Eigentlich gibt es gar nichts anderes als Fraktale – alles ist ein Fraktal. Aus deiner Sicht stimmt es zwar nicht, du nimmst deine Welt als dreidimensional wahr. Dann hast du noch eine Vorstellung über zweidimensionale Figuren: Eigentlich ist alles, was du siehst, zweidimensional: Du siehst oder tastest nur die Oberfläche von allem. Daher ist die dritte Dimension schon eine Abstraktion für dich: Du weißt, dass die Dinge auch noch eine Tiefe haben, obwohl du sie nicht siehst. Über eine ähnliche Abstraktion in die andere Richtung schließt du auf die Existenz von eindimensionalen Figuren wie eine Gerade oder eine Kreislinie: In gewissem Sinne siehst du auch den Rand eines Würfels, du weißt aber, dass er nicht mathematisch eindimensional ist. Aber du kannst abstrahieren, daher hast du dir auch noch den Begriff des Punktes geschaffen, einer nulldimensionalen Figur. Wenn du ein bisschen mathematisch begabt bist, dann gehst du sogar in die andere Richtung weiter und stellst dir vier- oder mehrdimensionale Gebilde vor, wenn auch diese nur durch Zahlenreihen beschrieben werden können. Wie auch immer, es ist deine Vorstellung, dass alles in deiner Welt eine ganzzahlige Dimension besitzt: null, eins, zwei oder mehr. Obwohl das überhaupt nicht stimmt.
Wichtig ist noch, dass du eine Begrifflichkeit von Größe hast: Es gibt kleinere und größere Dinge. Du ordnest ihnen also ein Maß zu, damit du diese Größe beschreiben kannst. Je nach Dimension hast du Längenmaße, Flächenmaße, Volumen. Du weißt auch, dass wenn eine Figur ein positives Flächenmaß hat, sie dann Null als Volumen besitzt – die anwendbare Metrik hängt also von der Dimensionalität der Figur ab. Du hast dich daran gewöhnt, dass alle Dinge eine Dimension und ein dieser entsprechendes Maß, eine positive Zahl, besitzen. Das stimmt leider aber auch nicht.
Eure Mathematiker haben sich schon Gedanken gemacht, wie lang wohl die Küste Englands ist. Sie ist eine eindimensionale Figur, müsste also eine bestimmte Länge haben. England als Insel hat eine bestimmte Fläche, wie jede zweidimensionale Figur. Sie genau auszurechnen ist recht schwierig, weil dazu jede Ein- und Ausbuchtung an der Küste extra ausgemessen werden müsste; aber das ist nicht nötig. Es ist nämlich nicht schwer zwei Zahlen zu finden, wo das genaue Maß
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2016
ISBN: 978-3-7396-8927-2
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