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Das Ende der Welt


© Mario Lemke, 2010


Vorwort

Dieses Werk entstand aus einer Laune heraus, während des Spielens eines nicht näher zu nennendem MMORPGs. Es tauchen Namen im Verlauf der Geschichte auf, die Charakteren dieses Spieles entsprechen. Die Erlaubnis, diese Namen zu nutzen, wurde im Vorfeld eingeholt.


Die Geschichte spielt in der fiktiven Welt Cathalon, in der es eine strikte Trennung der Geschlechter gibt: herrschende Macht sind die Männer, also ein Patriarchat. Frauen auf Cathalon dienen dem Ordus Draconis, dem Drachentempel, einem Orden, der Magie praktiziert. Nur Frauen ist es in Cathalon gestattet, Magie zu wirken. Männern ist die arkane Kunst verboten, sie sind die Krieger der Welt.
Beschützt wird die Welt von den vier Elementaravataren Feuer, Wasser, Erde und Luft.


Hinweis: Es gibt Andeutungen homoerotischer Liebe und Austausch von Zärtlichkeiten zwischen Männern so wie sexuelle Gewaltphantasien gegenüber Frauen. Lesern, die diesem Thema nichts abgewinnen, wird geraten die entsprechenden Stellen zu überspringen.


Inhaltsverzeichnis
Vorwort 2
Kapitel 1 5
Kapitel 2 16
Kapitel 3 25
Kapitel 4 37
Kapitel 5 52
Kapitel 6 63
Kapitel 7 79
Kapitel 8 91
Kapitel 9 104
Kapitel 10 118
Kapitel 11 128
Kapitel 12 141
Kapitel 13 153
Epilog 160
Nachwort 165


Kapitel 1


Aufbruch


Mit raschen Schritten und immer zwei Stufen auf einmal nehmend rannte die junge Novizin die lange Treppe des Tempels hinauf. Den Boten, der sie begleitete, hatte sie schon lange abgehängt und ein kurzer Blick über die Schulter sagte ihr, dass er japsend versuchte Schritt zu halten. Aber jede Stufe, die Latira übersprang, brachte einen größeren Abstand zwischen beide. Auf der Plattform vor dem Tempelportal angekommen, wartete sie ungeduldig auf das Ankommen des Boten. „Beile dich, ich denke deine Botschaft ist wichtig für die Mutter Oberin. Zu wichtig, als dass ich sie überbringen könnte.“ rief sie dem Boten entgegen und schüttelte den Kopf. Der König hatte manchmal merkwürdige Angewohnheiten, wenn es um Dringlichkeit, Brisanz oder Aktualität von Informationen ging. Immer durften nur SEINE Boten die Nachrichten an die Mutter Oberin weiterleiten und jedes mal schickte er lahme, langsame oder übergewichtige Boten. Aber sie war nur eine Novizin im Ordus Draconis, dem Drachenorden, und deshalb sagte sie auch nichts über die Art der Boten. Sollte sich doch die Oberin mit dem Problem der langsamen Boten befassen, falls die Nachricht wirklich wichtig war und sie verspätet eintraf. Endlich erreichte auch der Bote den obersten Treppenabsatz und Latira konnte ihn einen kurzen Augenblick mustern. Vor ihr stand ein junger Bursche, etwa 14 Jahre, die Haare kurz geschoren und den typischen Streifen orangefarbenen Färberwaids, das Zeichen der königlichen Boten, im Haar. Der Streifen verblasste jedoch schon, was darauf schließen ließ, dass dies einer seiner letzten Botengänge war, dann wurde er wieder Sklave in den Minen. Sein Gesicht war von der Anstrengung gerötet und sein Atem ging rasselnd. Seine taubengrauen Augen starrten das Portal zum Tempel an, ein massives Tor aus Obsidian, durchzogen von Adern aus roséfarbenem Bergkristall. Vom Tor ging ein inneres Leuchten aus, das Drachenglimmen, welches seinen schwarzen Grundton noch vertiefte und Reflexionen im Bergkristall hervorrief, das dem Tor eine Art Lebendigkeit verlieh. Latira legte ihre Hand auf das Tor und nach einem gemurmelten Wort sprang der komplizierte Tormechanismus an und die Flügel begannen sich auseinander zu bewegen. Der Bote stieß einen leisen Schrei aus, als das Tor sich wie von Geisterhand öffnete und bekreuzigte sich hastig. Latira musste lächeln, sie hatte diese Reaktion der Männer schon oft gesehen, wenn sie vor den Toren des Ordus standen und auf Einlass warteten. Die Tore an den Höfen der königlichen Welt, der Welt der regierenden Männer, wurden alle von Sklavenhorden bewacht und mit Muskelkraft bewegt, das Tor des Tempels war eine Kombination aus Magie und Technik: man musste eine Zauberformel sprechen und es zu aktivieren und da nur den Frauen die Magie anvertraut wurde, weil sie zu zart waren um ein Schwert zu heben, konnten auch nur Magierinnen dieses Portal durchschreiten. Deswegen musste auch immer mindestens eine Priesterin vor der Treppe Wache halten, für den Fall dass ein Bote kam. Heute fiel leider ihr diese unsägliche Aufgabe zu, obwohl Latira eigentlich wichtigere Dinge zu erledigen hatte. Dinge, die man nicht verschieben sollte, wenn man sich auf dem Weg zur Weihe befand. Latira freute sich auf ihre Weihe zur Priesterin, denn damit war sie endlich vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und war nicht mehr die junge Waise, die man gefunden und in den Tempel gesteckt hatte, weil ihre Eltern gegen die Gesetze verstoßen hatten. Sie dachte manchmal wehmütig an ihre Eltern, obwohl man diese Menschen besser Erzeuger nennen sollte, denn eine richtige Familie waren sie nie gewesen.


Das Tor war nun geöffnet und Latira setzte sich wieder in Bewegung und machte sich daran es zu durchschreiten. Als das Japsen des Boten immer leiser wurde, drehte sie sich um und sah, dass der Junge noch immer vor dem Tor stand und sich keinen Schritt bewegte. Langsam ging ihr dieser Bote auf die Nerven und Latira drehte sich wieder komplett zu ihm. „Beweg dich endlich.“ herrschte sie ihn an, „Das Tor steht nicht ewig offen. Und wenn die Mutter Oberin deine Nachricht noch vor Sonnenuntergang erhalten soll, dann musst du es schon durchschreiten.“ Kopfschüttelnd murmelte sie 'Männer...', ging auf den Boten zu, packte ihn am Arm und zog ihn in den Tempel. Der Bote schaute sie mit seinen taubengrauen Augen an und wollte etwas erwidern, besann sich dann aber auf den Eid der königlichen Garde und schloss seinen Mund wieder. Langsam, fast schlurfend, ging er neben ihr her und musterte verstohlen den Weg zum inneren Heiligtum. Der Tempel sah vollkommen anders aus als der Palast: überall waren Bäume, Büsche und Blumenbeete. Zwischen den Bäumen standen Drachenstatuen und der Bote war der Meinung, dass sie lebendig waren, denn aus den Augenwinkeln konnte man den Schweif der Drachen zucken sehen. Drehte man sich jedoch zu der Statue, so stand sie regungslos wie Statuen immer stehen da. 'Ganz ruhig, Meron, dein Verstand spielt dir einen Streich,' dachte er, 'die Drachenhexen heißen nur so, es gibt hier keine echten Drachen. Es gab nie welche. Denn sonst hätte der König nicht die vollkommene Macht über die Welt.' Nach einigen Minuten kam sie vor dem inneren Heiligtum an und Latira schob einen der Vorhänge beiseite, ging in den Saal und kniete sich nieder. Dem Boten war nicht wohl bei der Sache, immerhin hatte er dem König die Treue geschworen und sich vor einer Frau niederzuknien, bedeutete zwangsläufig die Verbannung oder den Tod durch die Hand des Scharfrichters. Vor Frauen darf man nicht niederknien, sie sind der Pfad ins Verderben. Latira bekam die Gedankengänge des Boten nicht mit, sah jedoch aus den Augenwinkeln sein Zögern und flüsterte: „Männer brauchen nicht niederzuknien, es sei denn, die Oberin verlangt es oder sie straft jemanden.“ Der Bote war erleichtert und blieb etwa 4 Meter vor dem Thron, der in dem Saal stand, stehen, griff in seinen Beutel und holte das versiegelte Pergament mit der Nachricht des Königs hervor, bereit es der Oberin zu geben. Hinter dem Thron glitt eine Tür auf und eine Frau in der Blüte ihres Lebens trat daraus hervor, gefolgt von anderen unwesentlich jüngeren oder älteren Frauen. Alle stellten sich um den Thron und die erste Frau bestieg den Thron.


Latira runzelte die Stirn, denn die Frau, die dort nun auf dem Thron saß, war nicht die Mutter Oberin, sondern Dhana, ihre Sekundantin. Sorgen breiteten sich in ihren Gedanken aus. Diese wurden jedoch schnell zu Verwirrung, denn nun erschien die Ehrwürdige Mutter an der Tür, gehüllt in ihr Priesterinnengewand und stellte sich neben den Thron, an den Platz von Dhana. Latira wagte es nicht, ihre Stimme zu erheben, die beiden Priesterinnen werden ihre Gründe dafür haben, warum es dieses merkwürdige Schauspiel gab. Dhana musterte den Boten und sprach mit gebieterischer Stimme: „Nun denn, Bote unseres geliebten Königs. Unsere Wachen meldeten eine Botschaft seiner Herrlichkeit bei Uns. Übergeb sie Uns und kehre dann zurück zu den Deinigen.“ Der Bote verbeugte sich leicht vor der Frau, die er für die Ehrwürdige Mutter hielt und reichte mit ausgestreckten Händen und gesengtem Kopf das Pergament. Dhana erbrach das Siegel, entrollte das Stück Papier und begann zu lesen. Ihre Züge zeigten keinerlei Regung, einzigst die Augen bewegten sich über die Zeilen. Der Bote wollte sich gerade zurückziehen, als Dhana das Pergament „ihrer“ Sekundantin übergab, vom Thron herabstieg und auf den Boten zu ging. „Soll das Ihro Herrlichkeiten Ernst sein? Er schickt einen Boten mit einer dringenden Nachricht zu den Unsrigen und dann ist dieses Schreiben nur eine Steuererhöhung? Denkt Ihro Herrlichkeit, dass Wir den ganzen lieben Tag nichts zu tun haben und ständig auf Ihn warten würden? Verschwinde, geh mir aus den Augen und sage deinem Herren: sollte er noch einmal die Unverfrorenheit besitzen und eine Steuererhöhung als wichtige Botschaft deklarieren und Uns damit aus Unserem Alltag reißen, so bedeutet das zwangsläufig...“ Weiter kam Dhana nicht mit ihrer Tirade, denn ihre Augen fingen an sich zu verdrehen, ein Schütteln ging durch ihren Körper. Man hörte knirschende und knackende Geräusche, Knochen barsten. Fleisch fing an zu zu vergehen und Dhana brach tot auf dem Boden zusammen. Der Bote fing an zu lächeln, ob seiner Tat, musste dann aber mit Entsetzen feststellen, dass sich niemand zu regen schien. Er hatte doch gerade die Ehrwürdige Mutter getötet und niemanden schien es zu stören? 'Irgendetwas lief gerade vollkommen falsch. Hätten diese verdammten Hexen sich nicht wehren müssen?' Der Bote wollte gerade einen weiteren Gedankengang hegen, als ihn ein gleißendes Licht umhüllte. Ein Licht, heller als der Schein der Sonne zur Mittagszeit. Das Fleisch auf seinen Knochen fing an zu rauchen und Blasen zu werfen und verging dann in einem Feuer, heißer als jedes andere Feuer auf der Welt. Seine Knochen zerfielen zu Asche. Dann war Licht wieder verschwunden und die Anwesenden starrten auf den Haufen Asche vor sich. Latira war vollkommen gelähmt. Ihre beste Freundin war so eben getötet worden und niemanden schien es zu stören. Einzigst der Zauber der Ehrwürdigen Mutter kam einer Reaktion gleich, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob es wirklich der Verdienst der Ehrwürdigen Mutter war. Jede Priesterin der höheren Ränge konnte das Licht herbeirufen, eine Art Drachenfeuer. Die Ehrwürdige Mutter wandte sich zum gehen und auch die anderen Frauen, die um den Thron standen waren gerade in Bewegung geraten, als Latira aus ihrer Lähmung erwachte. Mit schriller Stimme schrie sie: „Was sollte das denn gerade werden? So eben wurde eine unserer Schwestern getötet. Hinterhältig ermordet. Vor Euren Augen. Und ihr zeigt keine Gemütsregung?“ Sie wollte sich noch weiter ereifern, doch plötzlich wurde es schwarz um sie und sie fiel in einen traumlosen Schlaf. Die Ehrwürdige Mutter stand vor dem zusammengepackten Körper der jungen Novizin und schüttelte nur leicht den Kopf. „Eines Tages wirst du verstehen, warum die Dinge so geschehen sind, wie sie geschahen. Eines wirst du begreifen, dass wir alle nur Puzzleteile eines größeren Ganzen sind und auch dass du einen Platz in diesem Gebilde der Zeit hast. Einen Platz, der für unser Fortbestehen oder unser Ende sorgen wird.“ Sie strich der schlafenden Latira eine Haarsträhne aus dem Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Pass auf dich auf, mein Kind...“ flüsterte sie, bevor sie sich umdrehte und zwei Frauen aus ihrem Gefolge einen Wink gab, Latira fort zubringen. Die Frauen hoben die Novizin vorsichtig hoch und brachten sie aus dem Tempel fort. Die Ehrwürdige Mutter zog sich derweil wieder in ihre Gemächer zurück, wo ihr Tränen über die Wangen rannen ob dem Tode ihrer eigenen Tochter.


Kapitel 2

Irrfahrten des Lebens


Fern ab der Geschehnisse im Drachentempel erwachte ein junger Mann aus einem unruhigen Schlaf in seiner Hütte tief im Wald. Valyn setzte sich auf und überdachte die Vergangenheit erneut: Vor zirka 24 Monden wurde ihm offenbart, dass sein Meister und langjähriger Freund, Ashos, ein Anhänger einer alten Lehre der Magie war und ihn, den kleinen unschuldigen Waisenjungen, insgeheim seit Jahren in diesen Wegen geschult hatte. Gelehrt in einer Kunst der Magie, die man auf den ersten Blicken nicht als eine solche ansah. Denn es war der männlichen Bevölkerung dieser Welt seit Generationen verboten worden, sich mit den arkanen Künsten zu befassen. Einzigst die Frauen von Cathalon durften Magie wirken. Warum genau, weiß niemand mehr, aber man hält sich an diese Regeln. Zumindest der Großteil der Bevölkerung. Denn durch die Offenbarungen seines Meisters war Valyn nun ein Ausgestoßener und Gejagter.
Alles begann an einem sonnigen Morgen. Valyn war gerade erwacht und hatte sich zur Morgentoilette an den Bach zurückgezogen, als er seinen Meister und einen weiteren Mann unweit des Baches streiten hörte. „Das kannst du nicht tun Ashos! Es ist zu gefährlich. Der Junge ist bei weitem noch nicht bereit, die Konsequenzen deiner Handlungen zu verstehen, geschweige denn mit der Wahrheit seiner Schulung umzugehen.“ rief der andere Mann erzürnt. Doch Ashos schüttelte nur den Kopf und meinte: „Keran, es ist an der Zeit, unseren Platz im Gefüge der Zeit einzunehmen. Sollte Valyn nicht erfahren, welche Möglichkeiten ihm geboten werden, so geht unser Orden unter und verschwindet in der Vergessenheit. Es wäre alles umsonst gewesen. Die gesamten Jahre vergeudet. Valyn ist bereit, zu erfahren dass er...“


Ein plötzliches Geräusch ließ Valyn aus seinen Gedanken aufschrecken. „Sollten mich die Häscher des Königs doch noch gefunden haben?“ murmelte er und zog seinen Dolch unter dem Kopfkissen hervor. Langsam schlich er zum Fenster und spähte durch den Vorhang. Erleichtert ließ er seinen Dolch sinken und ging zur Tür. Als er sie öffnete stand ein junger Mann davor und lächelte ihn verlegen an. „Verzeih mir bitte, dass ich dich so früh wecke und fast in den Wahnsinn getrieben habe, mein Rehlein, aber ich komme mit einer Botschaft der Alten.“ Valyn musste über die Worte seines Gegenübers grinsen, denn nur Tyrael nannte ihn Rehlein. Insgeheim wünschte er sich, Tyrael würde einen Schritt weitergehen und auf ihn zukommen, aber solange der junge Druide nicht den Ansatz eines weiteren Interesses als nur einer guten Freundschaft zeigen würde, wären Valyns Träume auf immer Träume. Doch das störte ihn nicht wirklich – er empfand als eine erholsame Variante des Schlafens, wenn sich die Phantasie entwickelte. Mit einer barschen Handbewegung wischte Valyn sowohl seine Gedanken als auch Tyraels Aussage beiseite und meinte lachend: „Komm rein, Hase. Was haben die Alten denn für Nachrichten geschickt?“ Er trat zur Seite und ließ den Druiden eintreten. Tyrael betrat Valyns Hütte und suchte sich einen Platz auf einem der Hocker, die um den kleinen Tisch in der Mitte des Raumes standen. „Bevor ich dir sage, was der Rat dir mitteilen lässt, bitte ich doch um eine Tasse Tee – so was tut ein guter Gastgeber nun mal.“ Und wieder musste Valyn grinsen, nur dieser eigenwillige Druide konnte so störrisch sein und auch in aller höchster Not erst nach einer Tasse Tee frage, bevor er sich anderen Dingen widmete. Doch da Ratsmitteilungen immer wichtig sind und Valyn neugierig war, setzte er einen Kessel auf die Feuerstelle und ließ das Wasser heiß werden, welches er dann in Becher goss, in denen sich bereits diverse Kräuter und Blüten befanden. Den dampfenden Becher stellte er vor Tyrael ab und setzte sich ihm gegenüber auf den anderen Hocker.


Schweigend saßen sie einige Momente da und jeder genoss den aufsteigenden Duft der Kräuter. Tyrael war der erste, der die Regung wiederfand und kramte aus seiner Tasche ein Pergament hervor. Valyn nahm es entgegen, erbrach das Siegel und begann zu lesen. Während der nun folgenden Stille, in der man nur die Vögel vor der Tür singen hören konnte, begann in Tyrael eine leichte Panik aufzusteigen. So still hatte er seinen Freund noch nie gesehen. „Was steht denn drinne? Du weißt, ich bin nur der Bote. Es ist mir nicht gestattet den Inhalt vor dem Empfänger zu wissen.“ Valyn hob den Kopf vom Pergament und schaute mit leicht feuchten Augen auf seinen Freund. „Ashos ist tot...“ Die Worte hallten wie ein immer lauter werdendes Wispern durch den Raum und sogar der kleine Spatz, der am Fenster gerade noch lauthals geschimpft hatte, war auf einmal verstummt und saß still da. Valyn legte das Papier zur Seite und die Tränen ließen sich nicht mehr halten. Er fing herzergreifend an zu schluchzen. Tyrael wollte gerade zu ihm gehen, als die Tränenflut abrupt versiegte und Valyn mit Wut in den Augen aufsprang und in den Wald hinter seiner Hütte rannte. Der Spatz schaute Tyrael an und es schien fast, als würde er ihn auffordern wollen, seinem Freund hinterher zu laufen. So erhob er sich und ging Valyn suchen. Dieser hatte derweil den Ort erreicht, wo er hin wollte: die alte Hütte seines Meisters. Mit einem harten Tritt stieß er die Tür auf und trat in die staubige Hütte. Es war alles noch so, wie damals, als er seinen Meister verlassen hatte, um über die Worte desselbigen nachzudenken, dass er nun ein vollwertiger Druide sei und welche Verantwortung nun auf ihm liegen würde. Er wollte gerade die irdenen Gefäße von Regal fegen, als sich eine Hand auf seinen Arm legte und ihn in eine enge Umarmung zog. Mit verklärt wütendem Blick schaute Valyn in das Gesicht von Tyrael. In dem Moment, als sich ihre Blicke trafen, brachen sämtliche Dämme in Valyn und er lehnte sich vor.


Seine Lippen berührten die seines Freundes. Der war im ersten Moment überrascht, aber er ließ die Zärtlichkeit zu, wehrte sich nicht dagegen. Ihre Lippen lagen aufeinander und ihre Zungen fingen an sich zu berühren. Doch bevor der Kuss tiefer und inniger werden konnte, brach Valyn ihn ab. „Entschuldige, das hätte nie passieren dürfen. Nicht unter diesen Umständen. Es tut mir Leid, aber ich werde das Dorf verlassen und auf eine Wanderung gehen. Ich muss mir über einige Dinge klar werden. Lebe wohl mein Freund.“ Nach diesen Worten ging Valyn aus der Tür und zu seiner Hütte zurück. Er packte ein paar Kleinigkeiten in einen Beutel, sammelte seine Kräuter zusammen und verstaute sie an seinem Gürtel. Den Dolch steckte er in die Scheide und befestigte sie ebenfalls am Gürtel. Dann ergriff er seinen Stab, ging zu der Truhe, die am Fußende seines Bettes stand und nahm einen Kristall heraus. Mit geschickten Fingern und unter Hilfe von Silbergarn befestigte er den Kristall auf der Spitze des Stabes. Zum Schluss nahm er seinen Umhang, schlug die Kapuze über den Kopf und verließ die Enklave der Druiden für immer. Er schaute nicht einmal zurück – das hätte bedeutet, er müsste noch einmal in Tyraels tränennasses Gesicht blicken und diesen Anblick wollte er nicht als letztes Bild seines Freundes im Herzen behalten. Tyrael stand unweit der Hütte und schaute ihm nach. Etwas enttäuscht, dass er sich nicht früher getraut hatte, ihn zu küssen, etwas wütend, dass er so einfach verschwand, aber doch verstehend, dass dieser Schritt jetzt sein musste. Als Valyn außer Sichtweite war, drehte er sich um und ging zurück zur Ashos Hütte. Als er sie betrat, saß der alte Mann auf seinem Stuhl und hatte die Augen geschlossen. „Es ist geschehen. Er ist gegangen, Meister. Ich hoffe es war die richtige Entscheidung.“ Ashos öffnete die Augen und Tyrael blickte in die strahlendsten blauen Augen unter der Sonne. „Es war richtig, ehrwürdiger Geist. Es war an der Zeit, dass der Junge seinen Platz in der Geschichte einnimmt. Es war Zeit, dass die Pfade der Drachen und der Elfen sich wieder kreuzen und vereinigen.“ sprach er und Tyrael sah ihn fragend an. Doch der alte Mann schüttelte nur den Kopf und meinte „Das, mein Geisterfreund, sind Dinge, die Euch nicht betreffen, da sie außerhalb der Zeit liegen. Soeben wurde in der Ferne der Drache auf den Weg geschickt. Wache über unser Rehlein und hilf ihm, den Drachen zu finden, doch zeige dich ihm nicht.“ Ashos schloss wieder die Augen und ein strahlendes Licht breitete sich aus seinem Inneren her aus und er verschwand in einem grellen Lichtblitz. Tyrael verließ die Hütte wieder, schüttelte etwas verärgert den Kopf – er hatte die Altvorderen nie verstanden – dann machte sich auf den Weg, Valyn zu verfolgen.


Kapitel 3

Treffen der Welten


Langsam wich die Finsternis wieder dem Licht und Latira kam zu Bewusstsein. Was war geschehen? Wo war sie? Und das wichtigste: wer war sie? Sie setzte sich auf und schaute sich in der Umgebung um. Überall waren Bäume, Sträucher, Büsche. Vögel saßen auf den Ästen und veranstalteten ein kleines Konzert im Morgengrauen. Doch wie angestrengt sie auch nachdachte, Latira fiel nicht ein, wo sie war. Einzigst ihr Name schwirrte durch ihre Gedanken wie ein Fluss durch sein Bett. Sie erhob sich und ging ein paar Schritte. Die Mattigkeit wich aus ihren Knochen und die Luft strömte reinigend durch ihre Lungen. Doch das Wissen, wer sie war, blieb verschwunden. Sie ging zu ihrem Lagerplatz zurück und griff sich den Beutel, der neben ihr gelegen hatte. Darin befanden sich ein paar Honigkuchen, ein Dolch, ein kleines Büchlein und ein gefaltetes Pergament. Sie nahm einen Honigkuchen und biss beherzt hinein. Während sie aß, blätterte sie in dem Büchlein und konnte sich keinen Reim auf die Worte machen, die darin standen. Dinge über Zauberei, Hexenkunst und Drachen waren darin verzeichnet – Dinge, die Latira sehr unwirklich vorkamen. Sie hatte das Gefühl, dass etwas schlimmes mit ihr passiert sein musste, denn sonst wüsste sie mehr als nur ihren Namen. Nach dem letzten Bissen fiel ihr Blick auf das Pergament und sie nahm es in die Hand. Es war nur zusammengefaltet, hatte kein Siegel, welches man erbrechen musste. Die Neugierde packte sie und so faltete sie das Pergament auseinander und begann die kunstvoll geschnörkelten Worte zu lesen:


„Mein liebes Kind. Wenn du diese Zeilen liest, bist du weit weg von deinem Zuhause. Nach der Tragödie mussten wir uns entschließen, dich deinem wahren Pfad zuzuführen und haben dich an diesen Ort gebracht. Dein Wissen um uns musste versiegelt werden, denn nur so kannst du dein Schicksal erfüllen. Finde den Elfen, verbünde dich mit ihm und rettet unsere Welt. Ehre dem Drachen

Kayleigh“


Latira musste die Zeilen mehrfach lesen, um sich den Sinn zu erschließen: Sie war von ihrer Heimat verbannt worden. Sie soll einen Elfen finden und die Welt retten? Ohne Wissen, wer oder was sie ist? Einzigst der Name Kayleigh ließ ein Gefühl der Vertrautheit und der Wärme in ihr aufsteigen. Der Name war wohl der einer Frau, die ihr sehr nahe gestanden hatte – vermutlich ihre Mutter. Sie faltete das Pergament wieder zusammen, steckte es in ihr Bündel und erhob sich erneut. Sollte sie also eine Elfe suchen. Ein Gedanke huschte in ihren Kopf: Elfen sind Waldbewohner, scheu und sehr weise und mächtig. Sie sah sich um und entschied dafür, in den Wald zu gehen. Dort würde sie eher einen Waldbewohner treffen, als auf der Straße oder in einer Stadt. Sie schulterte den Beutel und ging auf den Wald zu. Ein Reh huschte aus dem Dickicht, als sie die ersten Bäume erreichte, blieb kurz vor ihr stehen und musterte sie mit braunen Augen. Dann senkte es den Kopf, rupfte ein paar Grashalme vom Boden und verschwand genüsslich kauend und mit federleichten Hüpfen wieder zwischen Bäumen. Ein Rabe beobachtete die Szene genau, legte den Kopf schräg und flog unter lauten Krächzen davon. Latira zuckte kurz zusammen, als der Vogel mit seinem Geschrei anfing, machte sich aber dann wieder auf den Weg in den Wald hinein. Nach mehreren tausend Schritten kam sie an einem Bach an. Sie setzte sich auf einen Stein und badete ihre Füße im Wasser. Sie wollte gerade die Augen schließen, um die Ruhe zu genießen, als sich aus dem Dickicht ein Schatten näherte. Rasch griff sie in ihren Beutel und holte den darin verstauten Dolch hervor und hielt ihn vor sich, bereit auf den Schatten los zugehen.


Nachdem sich Valyn von der Gemeinschaft abgewandt hatte und in den Wald Richtung nächstes Dorf davon gezogen war, hatte er stellenweise das Gefühl, dass ihn jemand oder etwas verfolgte. Doch jedes Mal, wenn dieses Gefühl zu stark wurde und er sich umdrehte, sah er nur Wald, Bäume, Büsche, Sträucher und hier und da mal ein Tier. Nichts kam ihm verdächtig vor, also setzte er seinen Weg fort. Während seiner Wanderschaft hatte er genügend Zeit, um über die Dinge der nahen Vergangenheit nachzudenken. Sein Meister war gestorben. Der Mann, der ihn nach dem Verlust seiner Eltern bei sich aufgenommen hatte. Der Mann, der ihn in der Kunst des Druidentums ausgebildet hatte, ohne dass es Valyn bewusst gewesen war. Der Mann, der ihm erst nach Jahren die Wahrheit über sich erzählt hatte. Der Mann, den Valyn immer bewundert hatte – er war tot. Fort. Gegangen zu den alten Geistern. Selber zu einem Geist geworden. Ashos war unwiederbringlich fort. Und nun hatte Valyn keine Möglichkeit mehr, sich bei ihm für die Worte, Taten und das Ignorieren der vergangenen 2 Jahre zu entschuldigen. Trauer kroch in sein Herz, umschnürte es mit eisig kalten Eisenbändern und drohte es zu zerdrücken. Valyn musste kurz stehen bleiben und sich an einen Baum lehnen oder er wäre in Ohnmacht gefallen. Langsam sog er die Kraft des Baumes auf, um sich selber wieder in die Waage zu bringen. Nachdem er sein seelisches Wohl wieder erreicht hatte und die Trauer aus seinem Herzen entschwunden war, griff Valyn in einen seiner Beutel, in denen er die Kräuter aufbewahrte und nahm eine Handvoll heraus. Dann kniete er nieder, grub an den Wurzeln des Baumes ein Loch, tat die Kräuter in dieses und füllte das Loch wieder mit Erde. Nun er träufelte er etwas Wasser aus seiner Feldflasche auf den Haufen und danke dem Baum stumm für die geliehene Energie. Das war eines der Rituale, die sein Meister ihm beigebracht hatte: Nimm aus dem Wald, jedoch habe immer etwas als Gegenleistung dabei. Nur so ließ sich das Gleichgewicht der Welt erhalten und der Wald ebenso. Valyn musste lächeln, als er darüber nachdachte, dem König eine anonyme Depesche zu schicken, in der darum gebeten wurde, so viel neue Bäume zu pflanzen, wie seine Sklavenhorden abholzen. Aber das wäre eine schlechte Idee, denn wie sollte er dem König diese Botschaft zustellen? Irgendwo gab es immer einen, der ihn dabei sehen würde. Valyn schüttelte den Kopf und erhob sich wieder. In der Ferne hörte er einen Bach rauschen und beschloss, seine Feldflasche neu zu füllen und auch ein wenig seine Füße zu kühlen, denn der bisher zurückgelegte Pfad war etwas steinig gewesen. Während er auf den Bach zu ging, kam ihm der Kuss wieder in den Sinn. Valyn schloss kurz die Augen und war für den Bruchteile eines Augenblicks der Meinung, er würde Tyraels Lippen erneut auf den seinigen spüren. Doch als er die Augen öffnete, stand seine heimliche Liebe nicht vor ihm. Etwas enttäuscht ging er weiter und schalt sich einen Narren: sollte er Tyrael jemals wieder zu Gesicht bekommen, so würde dieser mit Sicherheit nichts mehr von ihm wissen wollen. Nicht nach dem abrupten Verschwindens kurz nach diesem recht intimen Moment der Nähe, den beide geteilt hatten. Das Rauschen des Baches wurde von Schritt zu Schritt immer lauter und die letzten Bäume wichen der kleinen Wiese vor dem Bachlauf, als Valyn ein junges Mädchen am Bach sitzen saß. Dieses schien ihn ebenfalls bemerkt zu haben, denn ihre erste Reaktion war es, einen Dolch aus ihrem Bündel zu ziehen und auf ihn zu richten. Er musste grinsen, als er die Panik in ihren Augen wahrnahm , zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und trat aus dem Wald heraus und auf das Mädchen zu. Das Grinsen auf Valyns Lippen nahm mit einem Male diabolische Züge an und das Mädchen schrie entsetzt auf.


Tyrael hatte Mühe, den Pfad zu finden, den Valyn genommen hatte. Außerdem hatte der Junge einen gehörigen Vorsprung. Er ärgerte sich noch immer über die Überheblichkeit des Altvorderen, beschloss aber seinen Mund zu halten. Warum sollte sich auch ein Elementargeist über einen Geist beschweren, der wesentlich mächtiger war als er? Das würde nur Konsequenzen für ihn haben, aber nicht für Ashos. Tyraels Flügel streiften die Baumwipfel und er kam leicht ins Strudeln. „Verdammte Bäume, warum müssen die auch so dicht stehen, dass sich ihre Kronen verflechten?“ murmelte er und stieg auf einer Luftströmung etwas höher. Als hätte der Geist des Waldes ihn gehört, ging ein Knacken durch die Äste und gaben den Blick auf ein umher irrendes Mädchen frei. Tyrael landete auf dem nächsten Ast und beobachtete die Interaktion eines Rehs mit dem Mädchen. Es schaute dieses ohne Furcht an und fing sogar an, vor dem Mädchen zu äsen als es sich entschied, doch wieder ins Dickicht zu entschwinden. Tyrael legte den Kopf schief, fing an zu krächzen und flog wieder davon, immer noch auf der Suche nach Valyn. Etwas an dem Mädchen kam ihm merkwürdig vor, es war, als würde sie etwas suchen und nicht genau wissen, was es war. Aber darum konnte sich der Luftgeist nicht kümmern, er musste Valyn finden und beobachten. Der Junge musste einen Drachen finden und in dessen Feuer getempert werden um die Trennung der beiden Völker zu durchbrechen – wie auch immer man das bewerkstelligen soll. Drachenfeuer ist zu heiß, als dass ein Wesen dieses überstehen könnte. Die einzige Möglichkeit, die Tyrael in den Sinn kam, gefiel ihm jedoch gar nicht: Wenn der Drache nun ein menschliches Wesen wäre, was aber unmöglich ist, gäbe es einen Weg. Die ultimative Vereinigung der Elemente. Bei den Sterblichen wurde diese Art der Verschmelzung genutzt, um sich fortzupflanzen. Doch da Valyn ihn geküsst hatte, konnte er sich nicht vorstellen, das der jemals jemanden anderen nehmen würde, auch wenn sein Leben davon abhängen würde. Während Tyrael über den Kuss von Valyns weichen Lippen nachdachte und geschickt durch die Luft glitt, schoss es wie ein Blitzschlag durch seine Gedanken: Ashos meinte, in der Ferne war ein Drache losgeschickt worden. Und Valyn sollte einen finden und die Elfen mit ihnen vereinigen. Drachen gibt es nur an einem Ort: dem Ordus Draconis, dem Tempel der Drachenmagierinnen und Heimstatt des Feueravatars, getarnt für die Sterblichen als Ehrwürdige Mutter Kayleigh. Man hatte also eine Priesterin losgeschickt, um einen Elfen zu suchen... Valyn war von Geburt an Elfe – kein Mensch wie die anderen Druiden der Enklave. Der letzte Überlebende einer untergegangenen Rasse magischer Wesen, Nachfahren der Elementaravatare. Jetzt kam Tyrael auch in den Sinn, warum das Mädchen von vorhin so merkwürdig war – SIE ist der Drache, den Valyn suchen soll. Sie war kein Drache im herkömmlichen Sinne, sondern eine geweihte Priesterin, erfüllt mit der Macht des Drachenfeuers. „Ich sehe schon, worauf das hinauslaufen wird...“ dachte Tyrael, als ein spitzer Schrei die Stille des Waldes durchbrach und Vögel verschreckt auffahren ließ. „Verdammt, die Zeit drängt. Ich muss das Mädchen finden.“ murmelte Tyrael, nahm seine wahre Gestalt an und ließ sich von den Schallwellen des Schreis zu der Stelle führen.


Kapitel 4

(Wahn)sinn


Latira stieß einen spitzen Schrei aus, als der Schatten aus dem Wald trat und sie nur ein teuflisches Grinsen auf dem verhüllten Gesicht sah. Sie sah eine Klinge aufblitzen, schloss die Augen und erwartete den Stoß ins Herz. Gegen einen Dämon konnte sie nicht kämpfen. Sie wartete und wartete und wartete. Doch der schmerzhafte Stich blieb aus. Sie öffnete leicht die Augen und sah einen jungen Mann am Boden liegen. Über ihm stand ein Wesen aus purer Energie, die sich in wirren Wirbeln drehte und nur ansatzweise eine menschliche Form erahnen ließ. Sie stieß ihren angehaltenen Atem abrupt aus und daraufhin drehte sich die Gestalt zu ihr. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich stehe auf deiner Seite. Ich der Avatar des Windes und hier um über Euch beide zu wachen.“ Er zeigte auf Latira und den am Boden liegenden Mann. „Er war von Trauer und Wut erfüllt, seine jüngste Vergangenheit war schmerzlich.“ Latira war der Meinung etwas von Bedauern in den Worten des Avatares zu hören, wagte jedoch nicht, ihn darauf anzusprechen. „Wenn er erwacht, wird er dir nichts tun. Die Wildheit ist fort – für den Moment. Reizt du ihn, so wird die Bestie erneut erwachen.“ Mit diesen Worten verblasste die Gestalt. Latira war noch immer durcheinander und leicht geängstigt, von dem Anblick des irren Mannes, der langsam auf sie zu kam. Warum meinte der Avatar vorhin, er solle über sie Beide wachen? Was verbindet sie mit diesem Mann? Ihr kamen die Zeilen des Pergamentes wieder in den Sinn: Finde einen Elfen... Sollte der Mann auf der anderen Seite des Baches dieser Elf sein? Sie war noch immer am Überlegen, was sie tun sollte, als der Körper sich zu regen anfing.


Tief in seinem Inneren wusste Valyn, dass es falsch war, was er plante, aber die Wut und der Hass auf seinen Meister wurden auf einmal erneut entfacht und breiteten sich wie ein flüssiges Feuer in seinen Adern aus. Es war als wäre er von einem der Geister der Anderwelt besessen, als er auf das Mädchen zu trat. Sein Dolch schnellte mit einer Geschwindigkeit aus der Scheide am Gürtel und richtete sich mit der tödlichen Spitze auf sein gegenüber. Sie peilte genau die Stelle im Brustkorb an, wo das Zentrum des Lebens lag- ihr Herz. Ein Gedanke huschte durch Valyns Kopf: 'Gift, ich brauche Gift, ich will ihr Leiden verlängern...' Doch bevor er reagieren konnte und einen weiteren Schritt auf das Mädchen zugehen konnte, das nun die Augen geschlossen hatte und den Tod erwartete, traf er auf eine unsichtbare Mauer. Eine Mauer aus Luft. Ein bekannter Duft schwebte in dieser Luft mit und Valyns Raserei verblasste. Er sank zu Boden und wurde ohnmächtig.


Er kam in dem Moment bei dem Mädchen an, als Valyn aus dem Wald auf sie zu trat, seinen Dolch bedrohlich auf ihr Herz gerichtet. 'Was passiert mit ihm? Hat der Wahnsinn ihn jetzt doch übernommen?' dachte Tyrael und schwebte zwischen seinen Freund und das Mädchen, welches verängstigt einen Dolch aus Drachenbein umklammert hielt, aber trotzdem die Augen geschlossen hatte, bereit den Tod zu empfangen. 'Dummes Ding.' dachte Tyrael 'Sie ist doch eine Drachenpriesterin, also kann sie ihn ohne großes Federlesen mit ihrer Macht strafen. Auch wenn das in diesem speziellen Fall für ihr und Valyns Vorhaben hinderlich wäre, sollte sie tatsächlich den Jungen vernichten.' Er baute sich sich zwischen dem Mädchen und Valyn auf, erschuf eine Barriere aus magischer Energie, immer Gefahr laufend, Valyn könnte ihn entdecken oder wahrnehmen und blockierte so dessen Weg zu dem kleinen Ding am anderen Ufer. Mit Leichtigkeit drang Tyrael in Valyns Gedanken ein und sah den Grund, für dessen Wahn: Ashos... 'Naja, es musste ja so kommen.' murmelte Tyrael und versiegelte den Schmerz, die Wut und die Trauer hinter einem Bann aus elementarer Magie. 'Das sollte reichen. Aber das junge Ding sollte ihn nicht reizen.' Mit einem gekonnten Streich seiner Hand schickte er Valyn ins Reich der Träume. Er wollte sich gerade wieder auflösen, als das Mädchen ihren Atem ausstieß. 'Super, der Tag kann ja nicht noch schlimmer werden' Er drehte sich um und sagte mit leiser Stimme: „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich stehe auf deiner Seite. Ich bin der Avatar des Windes und hier um über Euch beide zu wachen. Er war von Trauer und Wut erfüllt, seine jüngste Vergangenheit war schmerzlich. Wenn er erwacht, wird er dir nichts tun. Die Wildheit ist fort – für den Moment. Reizt du ihn, so wird die Bestie erneut erwachen.“ Dann verblasste er wieder, blieb jedoch bei den Beiden, denn Valyn fing langsam an sich zu regen.


Valyn kam wieder zu sich und erhob sich langsam. Was war geschehen? Ach ja, er hatte es aus irgend einem Grund auf das Mädchen abgesehen, welches am Fluss saß. Er wollte es leiden lassen, für den Schmerz, den Ashos ihm zugefügt hatte. Er erinnerte sich nur noch, dass er seinen Dolch gezogen hatte und dann? Leere! Finsternis! Nichts! Ein Hauch von Vertrautheit. Als er stand, strich er sich über die Sachen und war wieder der Meinung, einen vertrauten Geruch wahrzunehmen. Dann wandte er sich dem Mädchen zu, welches gedankenversunken in seiner Nähe stand. „Entschuldige bitte. Meine Tat war nicht mein Verlangen gewesen.“ sprach er das Mädchen an. Sie zuckte bei seinen Worten zusammen, anscheinend gingen ihre Gedanken tiefer als angenommen. Sie sah ihn jetzt an, noch immer Furcht und Misstrauen in ihren blauen Augen. Dann ergriff sie das Wort: „Das wurde mir bereits mitgeteilt. Und auch, dass jemand über uns wacht. Ein Jemand, den es nicht geben dürfte.“ Valyn war über die Worte des Mädchens verwirrt. Wer sollte über IHN wachen? Er hatte alle, naja, den einzigen, der ihm etwas bedeutete, fortgestoßen. Und warum über sie beide? Was hatte das Mädchen, was ihm nützen könnte? Sie war doch nur ein einfaches Bauernmädchen. Während er noch weiter seinen Gedanken nach hing, sprach das Mädchen wieder: „Man sagte mir, dass unsere Wege verbunden sind. Ich weiß nicht warum oder wieso. Das einzige, was ich weiß, ist, dass mein Name Latira ist. Und dass ich jemanden suchen soll, weil das Schicksal der Welt davon abhängt. Die Worte unseres Beschützers lassen darauf schließen, dass Ihr derjenige seid, den ich zu suchen hatte. Ich würde...“ Weiter kam Latira nicht, da Valyn sie unterbrach: „Moment mal: Erstens: Warum schützt man UNS? ICH brauche garantiert keinen Schutz, ich kann mich sehr wohl alleine verteidigen. Zweitens: Warum kann es diesen Beschützer nicht geben? Drittens: Warum WIR? Warum sollte man uns zusammenführen? Viertens: Woher willst du das wissen, wenn du nur deinen Namen weißt? Bist du eine Hexe, die mich für ihre obskuren Zwecke missbrauchen will?“ Langsam redete er sich wieder in Rage. Valyn spürte, wie die eisigen Finger des Hasses wieder nach ihm griffen, doch er war nicht bereit, dieser Bestie de Vorrang zu lassen. Nicht, bevor er seine Antworten hatte. Er trat näher an das Mädchen heran und ergriff ihre Arme. Ein Funke Wolllust wurde in seinem Herzen entfacht und war bereit zu wachsen und die eisige Kälte zu vertreiben. Er wusste, wie er seine Antworten bekommen würde. Er legte eine Hand an den Hinterkopf des Mädchens und zog ihn leicht nach hinten. Das Mädchen, wie hieß noch gleich? Ach ja, Latira, wollte sich in seinen Armen wehren, doch sein Griff wurde immer stärker, je stärker sie sich wehrte. Anscheinend war sie noch nie von einem Mann berührt worden, dachte Valyn. Umso besser, das würde sein Vorhaben erleichtern. Sein Gesicht näherte sich dem von Latira und bevor sich ihre Lippen berühren konnten, drang er in ihren Geist ein. Er spürte ein leichtes Stechen in seinem Kopf, als sich ihre Gedanken verbanden, doch es war weitaus weniger schmerzhaft, als die Verschmelzung seiner Gedanken mit denen von Tyrael. Nachteilig war, auch sie konnte seine Gedanken sehen. Aber das war erst einmal unwichtig, er brauchte seine Antworten und konnte seinen Geist nicht auch noch absichern. Sie war noch wirklich eine Jungfrau, in beiderlei Hinsicht: sie hatte noch nie bei einem Mann gelegen und auch war sie zuvor noch nie mit Tiefenspürsinn erforscht worden. Das machte es wirklich einfach. Valyn drang immer tiefer in sie ein und wühlte in ihren Gedanken umher. Er sah Dinge der nahen Vergangenheit. Ihr Erwachen nahe dem Rand von Ygg`valour, dem Wald in dem sie sich befanden. Ihre Verwirrtheit. Er roch und schmeckte den Honigkuchen, den sie verspeist hatte. Er sah das Buch, ein einfaches Buch der Hexenkunst. 'Also doch eine Hexe!' schoss es durch seinen Kopf. Dann sah er das Pergament in ihren Gedanken. Er las die Zeilen, genau wie sie es getan hatte und zuckte leicht zusammen, als er das Wort Elfen las. Gab es also außer den Druiden in der Enklave noch jemanden da draußen in der Welt, der von seiner Rasse wusste. Das konnte spaßig werden. Doch erst einmal musste Valyn noch mehr wissen und drang noch tiefer in sie ein. Er badete regelrecht in Latiras Gedanken. Plötzlich traf er auf eine mentale Barriere. Eine Barriere, wie er sie nur einmal gesehen hatte. Sie hatte fast genau die gleiche magische Signatur, wie die Barriere in Tyraels Kopf. Er war darauf gestoßen, als Tyrael ihm in die Kunst des Tiefenspürsinns eingeweiht hatte. Damals wollte Tyrael nicht sagen, was hinter dieser Barriere war. Aber dass dieses junge Ding in seinen Armen hier die nahezu identische Barriere aufwies, ließ schließen, dass Tyrael nicht immer in der Enklave gelebt hatte und ein dunkles Geheimnis mit sich herum trug. Damals waren seine Kräfte noch nicht ausgereift genug gewesen, aber heute war Valyn in der Lage diese Barriere zu durchbrechen und hinter sie zu sehen. Er tastete sich langsam an die Blockade heran, fühlte die Feinheiten heraus und fand ein Schlupfloch, durch das er eindringen konnte. Er hatte gerade die Barriere durchstoßen, als er sich in einem Strudel aus Feuer, Eis, Wind und Erde wiederfand. Die Elemente der Welt haben die Gedanken versiegelt. Er wollte sich wieder zurück ziehen, doch der Strudel war stärker und riss ihn ihn hinab in die Tiefen von Latiras Gedanken.


Latira erschrak zuerst, als der junge Mann auf sie zu kam. In ihrem Kopf brandete die Erkenntnis auf: Jetzt tötet er dich doch und der Avatar ist nicht mehr da, um dich zu retten. Noch als er seine Arme um sie schlang, wehrte sie sich vehement gegen ihn. Sein Gesicht kam dem Ihren bedrohlich nahe. 'Er will mich doch nicht küssen oder gar schlimmeres?' schoss es durch ihren Kopf, als sie schon einen stechenden Schmerz in demselben spürte und sich eine neue Welt auftat. Sie befand sich in seinen Gedanken. 'Was ist das für ein kranker Elfenzauber? Ich dachte sie sind friedfertige Wesen. Naja, so wie er mich vorhin angesehen hatte, kann das nicht ganz stimmen.' dachte Latira, als sie die ersten Gedanken ihres Peinigers wahrnahm. Sein Name war Valyn, er war der letzte Nachfahre der Elfen. Seine Eltern starben auf Befehl des Königs. Sie sah einen alten Mann, der auf einen kleinen, weinenden Jungen zu ging und ihn in die Arme nahm. Dann kamen in schneller Abfolge sein Leben, sein Erwachsen werden. Doch dann wurde es mit einem Male eisig in Valyns Gedanken. Latira sah den Verrat des alten Mannes und die darauf folgende Trennung. Tränen stiegen ihr in die Augen bei dem Anblick des gebrochenen alten Mannes. Sie wollte gerade nach dem Alten greifen, als sich neue Bilder und Gedanken auftaten. Bilder von einem jungen Mann. Einem Mann, der ihr seltsam vertraut vor kam. Ein Mann, an den ihr Peiniger nicht immer nur freundschaftlich dachte. Dann sah sie den Kuss. Zwei männliche Lippenpaare trafen aufeinander. Gefühle wurden aufgewühlt. Verborgen, versteckt gehalten unter einer Mauer eisigen Schweigens. Sie spürte Wärme durch sich hindurchfließen, als sie die beiden Männer in diesem Moment sah. Ein Gefühl der unsterblichen Liebe durchdrang sie, füllte sie aus, zeigte ihr die Großartigkeit wahrer Leidenschaft und nicht nur purer Begierde. Brachte sie ins Wanken. Stachelte eigene Begierden an. Entfachte ein Feuer. Doch plötzlich gerieten die Gedanken ins strudeln. Der Strudel griff nach ihr und sog sie mit hinab. Sie fing an zu schreien, doch kein Wort drang aus ihren Lungen. Der Wirbel drehte sich immer schneller und sie sah Valyn vor sich, wie auch er in diesem Strudeln gefangen war. Er fiel immer tiefer in diesen unendlichen Strudel aus elementarer Energie und Latira folgte ihm unweigerlich.


Aus einiger Distanz beobachtete ein Rabe das Gebaren der Beiden. Tyrael wollte schon wieder einschreiten, als er erkannte, dass Valyn dem Mädchen nichts antun wollte. Er wollte lediglich Informationen haben. Informationen, die tief im Kopf des Mädchens verborgen waren. Tyrael kannte Valyns Tiefenspürsinn, er hatte ihn ja selber darin ausgebildet und ihn an sich üben lassen. Er verlagerte sein Bewusstsein etwas und drang leichtfüßig in Valyns Gedanken ein. Nur so könnte er die Beiden schützen, sollte sich etwas gefahrvolles ereignen. Drachenpriesterinnen haben einen verwinkelten Gedankengang, es war nicht schwer, sich darin zu verirren. In den Tiefen des Bewusstseins des Mädchens entdeckte er eine Barriere, die Kayleigh geschaffen hatte. 'Das kleine Ding weiß also gar nicht was oder wer sie ist.' Tyrael musste grinsen, so kannte er seine große Schwester: Immer für eine Überraschung offen. Er hoffte inständig, dass diese Barriere Valyn aufhalten würde, denn wenn der Avatar des Feuer Gedanken bindet, so sollten sie auch gebunden bleiben, bis die Zeit reif ist, sie frei zusetzen. Doch einen Augenblick später war Valyn bereits an der Barriere angelangt. Tyrael nahm seine Gedankenkraft zusammen und flüsterte: „Rehlein, lass es gut sein. Eine Barriere heißt verbotenes Wissen. Kehre zurück. Ich flehe dich an. Komm zurück!“ Doch Valyn reagierte nicht auf seine Worte. Tyrael wandte sich kurz Valyns Gedanken zu und sah, dass das Mädchen in ihnen war. Sie sah gerade Ashos Verrat an Valyn. Tyrael wollte sie losreißen, aber das gelang ihm nicht, denn Valyn durchbrach in dem Moment die Barriere in ihren Gedanken. Ein Strudel der Elemente tat sich auf und sog die Beiden in die Tiefe. „Scheiße, Valyn, warum musst du in letzter Zeit so auf meinen Nerven herum trampeln?“ zischte Tyrael und drang in den Strudel ein.


Kapitel 5

Offenbarung


Fern ab des Waldes, im Inneren des Drachentempels, saß die Ehrwürdige Mutter noch immer alleine in ihrem Quartier. Die leisen Tränen, die sie vergossen hatte ob des Todes ihres eigenen Kindes waren versiegt und einer Erkenntnis gewichen. Der Erkenntnis, dass es der richtige Zeitpunkt war, um den Schwestern des Ordens ihre wahre Identität zu verraten. Nur so waren sie und die anderen drei Elementaravatare in der Lage, das drohende Unheil, welches über die Welt herein zu brechen drohte, zu verhindern. Die Welt stand am Abgrund, ein altes Übel war wieder erwacht. Ein Übel, welches hätte nie wieder diese Welt heimsuchen sollen. Doch es war geschehen. Während des Attentates auf die vermeintliche Oberin des Tempels spürte Kayleigh, wie die Siegel um das uralte Böse immer schwächer wurden. Nachdem der Attentäter vernichtet worden war, zerbrach das erste Siegel, das Drachensiegel. Nachdem man Latira aus dem Tempel fortgebracht und sie ihrem wahren Weg zugeführt hatte, zerbrach das Siegel der Geister. Die letzten beiden Siegel waren noch intakt, doch es würde nicht lange dauern, bis auch sie zersprangen. Mit jedem Atemzug, den die Lebewesen auf der Welt taten, wurde das eingekerkerte Übel wieder stärker. „Himmel hilf. Ich möchte nicht noch einmal diesen Kampf erleben müssen. Das letzte Mal war anstrengend genug. Wir haben alle Elfenkrieger verloren. Die Magierinnen wurden auf ein Minimum reduziert und die Druiden wurden ebenfalls nahezu komplett ausgelöscht.“ murmelte Kayleigh vor sich hin und bemerkte nicht, dass bereits zwei Priesterinnen in ihrem Gemach warteten. Eine der Beiden räusperte sich und Kayleigh hob den Kopf. „Oh, Ihr seid es, Katheriné, was führt Euch zu mir?“ Im Stillen hoffte Kayleigh, dass die Schwestern nichts oder zumindest nur sehr wenig von ihren gemurmelten Überlegungen mitbekommen hatten. Katheriné wollte gerade auf ihr Anliegen zu sprechen kommen, als sich die zweite Schwester, wesentlich jünger und ungeduldiger als die meisten anderen Schwestern, vor drängelte und anfing zu sprechen: „Ehrwürdige Mutter, wir waren etwas verwirrt ob der heutigen Annahme der Botschaft. Warum hattet Ihr Eurer Tochter aufgetragen, Euren Part zu übernehmen und Ihr seid dann an Stelle Eurer Tochter als Sekundantin der Oberin aufgetreten? Warum seid Ihr nicht eingeschritten, als Eure Tochter einen qualvollen Tod starb. Warum habt Ihr keine...“ Weiter kam die junge Priesterin nicht, denn Katheriné hielt ihr den Mund zu. „Sei still, du dummes Ding. Wenn die Mutter Oberin einen Grund hat, dann haben wir uns dem zu fügen und nicht dagegen anzureden. Außerdem, was regst du dich jetzt auf? Heute morgen hatte es dich auch nicht verwirrt. Nun gib endlich Ruh' und verhalte dich den Regeln entsprechend und zeige Respekt vor unserer Ehrwürdigen Mutter.“ zischte sie der aufgebrachten Schwester ins Ohr und wurde von ihr beinahe in die Hand gebissen. Trotz der düsteren Gedanken, die noch immer in Kayleighs Kopf umher schwirrten, musste sie über das Verhalten der beiden Priesterinnen lächeln. Sie erhob sich und sprach: „Ruft alle Schwestern zusammen, auch die Torwache. Ich habe etwas wichtiges zu verkünden. Dies sollen alle Schwestern hören.“ Sie drehte sich auf dem Absatz ihrer Stiefel um und schritt in den hinteren Teil ihres Raumes, wo, hinter einem Vorhang verborgen, ein Weissagungsbecken stand.


Valyn wurde immer tiefer in den Strudel gerissen. Er versuchte die Gedankenverschmelzung zu unterbrechen, doch es gelang ihm nicht. Ein Stückchen über ihm sah er Latira, die ebenfalls in den Strudel geraten war. „Verdammt, ich habe nicht bedacht, dass sie sich nicht wehren kann gegen den Tiefenspürsinn. Sie wird unweigerlich mit mir zu Grunde gehen, sollte es uns nicht gelingen, hier raus zu kommen.“ Er rief ihren Namen, um sie auf sich aufmerksam zu machen: „Latira!!! Versuche mich zu erreichen. Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, der Blockade zu entkommen. Ich bitte dich, versuche meine Hand zu nehmen.“ Er streckte ihr die Hand entgegen, doch so sehr sich Latira bemühte, sie erreichte Valyn nicht. „Ich schaffe es nicht. Du bist zu weit unten und der Strudel ist zu stark.“ Sie konnte Resignation in Valyns Augen sehen, als sich ein Funke Hoffnung und Freude in seine smaragdgrünen Augen entzündete. Sie versuchte sich umzudrehen, was in dem Strudel nicht leicht war und erkannte eine weitere Gestalt, die sich mit ihnen in diesem chaotischen Wirbel befand. Je näher die Person kam, um so klarer wurden ihre Umrisse und Latira erschrak leicht, als sie erkannte, wer da auf sie zu rauschte: Es war der Junge, den Valyn so leidenschaftlich geküsst hatte und von dem er immer träumte, wenn er nächtens seinen Geist auf Wanderschaft schickte. Und nun wurde ihr auch klar, warum ihr der Junge so bekannt vor kam, als sie ihn und Valyn in dessen Erinnerungen gesehen hatte: es war der Avatar, der sie vor dem wild gewordenen Mann gerettet hatte, vor dem Mann, den sie nun um einiges besser verstand. Der Avatar erreichte Latira und ergriff ihre Hand. Sie klammerte sich fest an an ihn, als er tiefer stürzte und auf Valyn zuraste. Vor Valyn kam er fast zum stehen und ergriff dessen Hand. Valyn zog sich an den Avatar heran und wollte ihn umarmen, doch dieser schüttelte nur den Kopf und sprach: „Ihr müsst hier raus, sonst werdet ihr in den Gedanken der Drachenpriesterin gefangen bleiben bis in alle Ewigkeit.“ Dann stieg er wieder auf, stemmte sich dem Strudel entgegen und brachte beide an den Punkt in Latiras Gedanken, an denen Valyn auf die Barriere gestoßen war. Valyn wollte sich gerade ihrem Retter zuwenden, als eine geisterhafte Hand aus dem Strudel hervor schnellte und ihn in die Tiefen sog. „Nein, Tyraellllll, bleib bei mir!“ rief Valyn und die Worte dröhnten in Latiras Kopf, sodass sie die Hände an ihre Schläfen presste.


„Kannst du nicht leiser brüllen?“ sprach sie, blickte Valyn an und erkannte die Wiese und den Fluss wieder. Anscheinend wurde die Verbindung zwischen ihnen gelöst. „Was war denn das gerade? Sprich, Elfe!“ herrschte Latira Valyn an, selber überrascht, warum sie auf einmal so selbstsicher war. Valyn war etwas verdutzt, doch auch er realisierte, dass die Verbindung zwischen ihnen Beiden getrennt worden war. Langsam entfernte er sich von Latira, setzte sich auf einen Stein und stützte die Hände auf Knie und legte seinen Kopf auf die Handflächen. „Es, es tut mir Leid..“ fing er an zu stammeln. „Ich, ich wollte wissen, wer du bist, warum du hier bist und warum jemand über uns wachen sollte. Ich wollte einfach überprüfen, ob du die Wahrheit sagst oder nur ein Trugbild bist oder gar ein falsches Spiel mit mir treibst und jemand ganz anderes bist, der mich aufhalten will. Doch du hast die Wahrheit gesprochen: DU weißt nicht, wer du bist, nur dass du Latira heißt, ein sehr schöner Name übrigens, wenn ich das sagen darf. Wenn ich mich recht entsinne, bedeutet er in etwa 'Diener der Allmächtigen'.“ Latira errötete leicht, räusperte sich und brummte. „Weiter..“ Valyn versuchte in ihrem Augen Verständnis zu finden, doch er fand nur Wut und Ablehnung gegen seine Tat. „Naja, als ich das gesehen hatte, fand ich eine Erinnerung, wie du hier aufgewacht bist. Als ich das Buch sah, dachte ich, du bist eine Hexe, eine Hexe, die mich veralbern will und mich willenlos machen will, damit sie einen Sklaven hat. Einen Mann, den sie kommandieren und benutzen kann wie sie will.“ Latira schnappte hörbar nach Luft und wollte gerader etwas erwidern als Valyn fort fuhr. „Doch als ich dann diese Nachricht in deinen Gedanken sah, die, wo stand, du solltest einen Elfen suchen, war ich etwas verstört. Leider gibt die Nachricht nicht viel her. Also forschte ich weiter in deinen Gedanken und fand eine Barriere. Ich war neugierig und wollte unbedingt wissen, woher du kommst, wer du wirklich bist und warum ich, also versuchte ich die Barriere zu durchdringen. Es gelang mir wohl, leider war die Barriere ein Siegel der Elementaravatare und mit einer Art Falle versehen. Und in der waren wir gefangen. Bis uns Tyrael gerettet hat und danach verschlungen wurde von dem Strudel in deinen Gedanken. Kannst du ihn in deinem Kopf spüren? Spürst du irgend eine fremd Präsenz in dir?“ Latira war verwirrt: der Mann, der sie noch vor wenigen Momenten umbringen wollte, der Mann, der gewaltsam in ihre Gedanken eingedrungen war, genau dieser Mann, kniete nun fast winselnd, flehend, bettelnd vor ihr. Der Avatar scheint ihm also viel zu bedeuten. Latira schloss die Augen und versuchte jemand anderen in sich zu erspüren, doch da war nichts. Nicht einmal mehr der Strudel war da. Einzigst eine Flut von Bildern rauschte über sie hinein. Bilder aus der Vergangenheit. Ihre Kindheit. Ihr Eintreffen beim Ordus Draconis. Die Jahre des Lernens. Der Beginn des Tages. Der Tod ihrer Freundin. Die Wut in den Augen der Ehrwürdigen Mutter. Und dann die Schwärze bis sie im Wald erwachte.


Diese Flut von Bildern überrannte sie förmlich, ließ sie straucheln und Latira plumpste zu Boden. Sie stieß heftig ihren Atem aus und kam einer Ohnmacht nahe. Doch Valyn erkannte das Problem und legte seinen Arm um Latira und schloss die Augen. Er sog die Ruhe des Waldes in sich auf und durch seinen Kontakt mit ihrer Haut wurde auch Latira wieder ruhiger. Ihr Atem kam zurück in den normalen Rhythmus. „Leider kann ich deinen Freund nicht spüren...“ brachte sie nach Minuten des Schweigens und der Ruhe hervor. Valyn unterbrach abrupt den Kontakt zu Latira, was ihr ein leichtes Unbehagen bereitete. Denn die Berührungen des Elfen hatten in ihr eine Ruhe entfacht, eine Ruhe, die jegliche Ängste vertrieben und Bedenken über ihn vertrieben hatten. Sie schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch und fing dann wieder an zu sprechen: „Leider kann ich deinen Freund nicht spüren. Er ist verschwunden, genauso wie die Barriere in meinen Gedanken. Langsam kommt mein gesamtes Wissen zurück. Ich weiß, es ist kein Trost für dich, aber ich denke, ich kenne den Grund, warum er sagte, er wachte über UNS...“


Kapitel 6

Erwachen


Mit einer kleinen Handbewegung brachte Kayleigh den Vorhang dazu, sich wieder zu schließen. Mit festem Schritt trat sie an das Becken. „Es wird Zeit. Zeit, die anderen zu rufen. Wir müssen uns vorbereiten. Die Siegel brechen in erstaunlicher Schnelligkeit.“ murmelte sie, während sie ihre Hände über das Becken hob. Alte, fast vergessene Worte drangen über ihre Lippen. Erfüllten den kleinen Raum mit Macht. Ließen ihre Haare im Wind wehen. Verwandelten menschliches Fleisch in Energie. Brachten ihre wahre Gestalt zum Vorschein.

Ol sonuf vaoresaji, gohu IAD Balata, elanusaha caelazod: sobrazod-ol Roray i ta nazodapesad, od comemahe ta nobeloha zodien; soba thail ginonupe pereje aladi, das vaurebes obolehe giresam.1

Das Becken zeigte eine Höhle tief in den Bergen. Eine Höhle, in der ihr Bruder schlief. Leise flüsterte sie seinen Namen: „Dagon, erwache. Dagon, ich rufe dich. Beschwöre dich bei der Macht der Alten. Beschwöre dich bei der Macht der Elemente. Höre meine Worte, höre meine Stimme. Erwache aus dem Schlaf. Erwache und wandle erneut auf Erden. Wandle Auf Erden, um zu retten, was dein.“
Kayleigh sah ein Zittern durch den Bergkamm gehen, in dem sich die Höhle befand. Felsen brachen entzwei und Geröll kam die Hänge hinab. Ein Spalt öffnete sich in der Höhle und ein gleißendes Licht kam daraus hervor. In diesem Licht konnte sie die Umrisse eines Mannes erkennen. Das Licht verblasste und ihr Bruder Dagon stand in der Höhle und reckte seine müden Glieder. Er schloss die Augen und verblasste. Nur um wenige Augenblicke später neben Kayleigh zu erscheinen.
„Warum hast du mich gerufen, Schwesterherz? Du weißt, ich wollte schlafen. Der letzte Kampf war anstrengend gewesen und meine Kräfte waren beinahe verbraucht. Was gibt es so dringendes, dass es nicht von einem meiner Untergebenen erledigt werden kann?“ Er schaute seine Schwester an und erkannte, dass sie sich Sorgen machte. „Dagon, ich habe dich geweckt, weil die Welt erneut am Abgrund steht. Zwei der vier Siegel sind zerbrochen, das dritte wird in Kürze zerspringen und dann kann das Böse nicht mehr aufgehalten werden. Unser uralter Feind wird zurückkehren und unsere Welt, Cathalon, in ein Chaos stürzen, schlimmer als vor 1000 Jahren. Während du schliefst, sind die letzten Elfen ausgelöscht worden, die Druiden haben einen Großteil ihrer Macht eingebüßt und die Menschheit hat sich dergestalt verändert, dass es nahezu unmöglich wird eine Armee aufzustellen.“ Kayleigh wandte sich wieder ab und begann mit der Beschwörung ihrer Schwester. Dagon stand gedankenversunken daneben und versuchte einen Sinn in den Worten seiner Schwester zu sehen. Das Bild im Becken verwandelte sich und zeigte nun einen See mit kristallklarem Wasser. Kayleigh seufzte, als sie erkannte, dass ihre Schwester nicht mehr an ihrem alten Platz verweilte. Dagon blickte sie an und erkannte,dass Nihasa ihre Gefilde verlassen hatte. „Ich werde mich auf die Suche begeben. Ruf Tyrael herbei und dann wartet auf meine Wiederkehr. Ich bin alsbald zurück.“


Mit diesen Worten verblasste Dagon und an seinem Platz blieb ein Haufen Sand zurück. Kayleigh ergriff einen Beutel und sammelte die Essenz ihres Bruders ein, verschnürte sie und legte den Beutel zurück auf das Regal. Man kann nie wissen, wann man elementare Energie brauchen kann und dachte dabei an Latira. Sie drehte sich erneut zum Becken und fing an, ihren kleinen Bruder zu rufen. Es gab nur einen Ort, wo er sich aufhalten würde: das alte Dorf der Druiden. Er hatte sich diesen Ort als Exil gewählt nach dem Krieg, um in Ruhe mit den verbliebenen Druiden die alte Bruderschaft wieder aufzubauen. Er hatte eine Reihe von Inkarnationen hinter sich, sie war sich nicht sicher, wie er jetzt aussehen würde. Im Gegensatz zu den anderen Avataren hatte ihr kleiner Bruder Spaß daran, bei jedem Generationswechsel eine äußerliche Veränderung vorzunehmen. Der Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes war zwar anstrengend, aber eben nicht unmöglich. Kayleigh und ihre beiden anderen Geschwister sahen jedoch keinen Sinn darin. Da einzige, was Kayleigh jemals getan hatte, war, einen Golem zu erschaffen, den sie allen als ihre Tochter vorgestellt hatte. Dieser Golem war es auch, welcher durch den feigen Angriff des königlichen Boten vernichtet worden war. Aber die ureigene elementare Energie ihres kleinen Bruders würde ihn schon offenbaren. Doch sie wurde enttäuscht: Im Dorf der Druiden fand sie ihn nicht. „Sehr merkwürdig, warum sollte Tyrael das Exil verlassen, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen?“ murmelte sie. „Nun ja, vielleicht weiß Ashos, wohin er unterwegs ist.“ Kayleigh fokussierte den alten Druiden und wurde erneut enttäuscht. Auch Ashos war nicht mehr in der Enklave. „Jetzt wird’s erst recht merkwürdig. Sogar der Altvordere ist nicht mehr dort? Was ist dort nur geschehen?“ Sie wollte gerade ihr Bewusstsein in das Dorf verlagern, als Dagon wieder erschien. Jedoch ohne ihre Schwester.


„Wir haben ein Problem.“ sprach Dagon und Kayleigh nickte nur. „Wo ist Tyrael? Hast du ihn noch nicht gerufen?“ „Doch, ich habe es versucht, aber er ist aus dem Exil verschwunden, genauso wie der Altvordere Ashos. Ich wollte mich gerade auf den Weg ins Dorf machen, um nachzusehen, was dort geschehen ist. Wo ist Nihasa?“ „Das ist ja unser Problem. Die Herrin des Sees meinte, sie ist eines Tages spurlos verschwunden. Sämtliche Wassergeister sind in Aufruhr. Auch meine Erdgeister können sie nicht finden. Es scheint, als wäre sie in Luft aufgelöst.“ meinte Dagon. „Aber selbst die Luftgeister haben sie nicht gesehen. Und deine Feuergeister?“
Kayleigh runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. „Da scheint ein System hinter zu stecken: Tyrael verschwindet genauso wie Nihasa. Es scheint, als wäre jemand auf der Jagd nach den Avataren. Wir sollten vorsichtig sein und nichts überstürzen. Begib dich bitte in die Enklave und versuche herauszufinden, ob jemand gesehen hat, wohin Tyrael und Ashos verschwunden sind. Halte jedoch immer Kontakt mit mir. Ich werde mich den Schwestern offenbaren und dann werden wir uns auf den Weg zur Halle der Siegel machen und versuchen, die Siegel zu erneuern.“ Dagon nickte wortlos und verblasste wieder.
Kayleigh nahm ihre menschliche Gestalt wieder an, trat hinter dem Vorhang hervor und begab sich in die große Halle des Tempels, wo die Schwestern bereits warteten.


Valyn schaute Latira etwas verwirrt an. „Wie? Du kennst den Grund, warum Tyrael über uns gewacht hat? Er ist doch nur ein Druide, wie ich auch!“ sprach er.
Doch Latira schüttele nur mit dem Kopf. „Das stimmt nicht ganz. Fangen wir aber mal beim Anfang an: Ich bin eine Novizin des Drachenordens. Heute erreichte uns eine Botschaft des Königs. Worum es ging, ist nebensächlich. Jedenfalls war die heutige Übergabe etwas verwirrend, denn nicht die Ehrwürdige Mutter nahm das Schreiben entgegen, sondern ihre Tochter. Leider war der Brief verzaubert und so starb sie einen qualvollen Tod. Der Überbringer wurde durch das Drachenfeuer einer der Priesterinnen vernichtet – sein Anschlag galt der Ehrwürdigen Mutter. Ich erinnere mich an ihre Worte, bevor mein Bewusstsein aussetzte: Sie sprach von einem Weg, meinem Weg und meinem Platz im Gefüge der Zeit und der Welt. Dann erwachte ich hier im Wald ohne Wissen. Ich denke, es war ein Zauber der Ehrwürdigen Mutter. Ein Bann, um meine Erinnerungen zu versiegeln. Ein Bann, den du durchbrochen hast. Ich denke, du hast die Botschaft gesehen, die ich bei mir trug?“ Valyn nickte. „Dort stand doch, ich solle einen Elfen suchen. Nun, zweifelsohne bist du ein Elf. Der letzte Elf, wie ich in deinen Gedanken sehen konnte, als wir verbunden waren. Derowegen bist du der Elf, den ich suchen soll. Was deinen Freund angeht: Anscheinend ist er kein Druide, wie du es gedacht hast. Er meinte zu mir, als er dich vorhin besänftigt hatte – ich muss gestehen, ich habe nicht gesehen, wie – er sei der Avatar der Luft und hier, um über uns zu wachen. Ich denke, er soll Sorge tragen, dass wir uns finden und irgend etwas zusammen tun. Nur WAS, das weiß ich nicht.“ Nachdem sie geendet hatte, sah Latira Valyn an.


Er sah sehr nachdenklich aus und schien die Informationen zu verarbeiten. „Du hast also keine Ahnung, was wir tun sollen? Ich ebenso wenig. Ich bin zwar noch nicht ganz bereit, dir das zu glauben, was du gerade berichtet hast, aber ich kann auch keine Lüge darin erkennen. Aber es gibt jemanden, der uns sagen kann, was wir tun sollen. Wir sollten den Tempel aufsuchen. Immerhin hat dir die Ehrwürdige Mutter diesen „Auftrag“ gegeben und du hast ihn ja teilweise erfüllt: Du hast mich gefunden. Verbündete würde ich uns nicht nennen, aber zeitweilige Gefährten. Gefährten, bis uns jemand sagen kann, was wir tun sollen. Dann entscheide ich, ob aus Gefährten Verbündete werden oder sich unsere Wege trennen. Pack dein Bündel, ich hole meinen Stab und meinen Dolch, dann gehen wir zum Tempel.“ Valyn stand auf, sprang über den Fluss mit der Behändigkeit einer Gazelle und ergriff seinen Dolch. Ein Rascheln im Unterholz ließ ihn abrupt innehalten. Er spürte, wie Latira etwas sagen wollte, doch mit einer barschen Handbewegung brachte er sie zum Schweigen. Er drehte sich in Richtung des Geräusches und begann stumm einen elfischen Zauber zu weben, der sich soeben in seinen Gedanken offenbarte. Sein Dolch fing an grünlich zu leuchten und Ranken kamen daraus hervor. Seine Haut wurde hart und nahm das Aussehen von Baumrinde an.
Latira beobachtete die Szene stumm und erstarrt. Solch eine Magie hatte sie noch nie gesehen: Valyns Haut sah aus wie ein Baum, doch seine Gestalt blieb erhalten und auch in seinen Bewegungen blieb er ganz menschlich und grazil wie ein Waldbewohner. Die Ranken, die aus seinem Dolch kamen, schossen in das Dickicht und bekamen etwas zu fassen. Valyn zog den Dolch ruckartig zurück, als er den Widerstand spürte. Aber es war kein Feind, der da in den Ranken hing, sondern nur ein Kaninchen, welches sich auf Futtersuche befand. Valyn schalt sich einen Narren und löste den Zauber wieder. Das Kaninchen war leider schon tot, gestorben aufgrund des Schrecks, als die Ranken es umfassten. Valyn hob ein Grab aus und begrub das Tier wieder. Danach segnete er das Grab mit druidischen und elfischen Zauberformeln und machte sich daran, seine Sachen zusammen zu sammeln. Als er wieder bei Latira anlangte, war diese noch immer in ihrer Starre gefangen. Valyn fasste ihre Arme und fing an sie zu schütteln. „Geht es dir gut? Alles in Ordnung?“ Latira blinzelte und verpasste Valyn eine Ohrfeige. „Wie kannst du es wagen, mich so zu erschrecken?“ Valyn zuckte mit den Schultern und meinte: „Ich dachte, da würde uns jemand auflauern. War aber nur ein Karnickel.“ Dann grinste er und griff nach ihrem Bündel, um es ihr zu reichen. „Können wir dann zum Tempel? Oder willst du hier noch weiterhin rum stehen und Maulaffenpfeil halten?“ Latira wollte ihm erneut eine Ohrfeige verpassen, doch Valyn duckte sich weg und Latira schlug nur in die Luft. Leicht zornig ergriff sie den ihr dargebotenen Beutel und stapfte von dannen. „Na dass kann ja ein lustiger Weg werden.“ brummte Valyn und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Den Schatten, der aus dem Grab des Kaninchens stieg, nahmen sie beide nicht mehr wahr.


Nihasa erwachte mit schmerzendem Kopf. Sie versuchte sich zu bewegen, erkannte aber, dass sie an eine Wand gekettet war. Sie versuchte den Kopf zu bewegen, um herauszufinden, wo sie sich befand. Doch sie konnte nicht viel erkennen. Es war eine dunkle Höhle. In der Mitte der Höhle befand sich eine Art Altar, ansonsten war der Raum leer. Als sie den Altar genauer betrachtete, stockte ihr der Atem: es war der Altar, in dem sie und ihre Geschwister mit aller Kraftaufbietung das uralte Böse vor mehr als 1000 Jahren hatten einschließen können. Sie erkannte mit Schrecken, dass bereits drei Siegel zerbrochen waren und dass das Vierte nicht mehr lange halten würde. Was war hier geschehen? Außer den vier Avataren und den Kriegern, die damals an ihrer Seite gekämpft hatten, kannte niemand diesen Ort und auch von denen waren kaum noch welche übrig. Kein Sterblicher war in der Lage, diesen Ort zu erreichen, dafür war die Altarhöhle viel zu gut durch druidische, elfische und elementare Magie verborgen worden. Ein Geräusch ließ sie aufblicken und sie sah im Dunkeln eine Gestalt, die sich dem Altar näherte. Die Gestalt trug etwas oder jemanden, aber es war eindeutig zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können. Als das Wesen den Altar erreicht hatte, fing der Raum an zu leuchten und Nihasa konnte nach einigem Blinzelns mit den Augen etwas erkennen. Ihre Augen weiteten sich mit Schrecken, als sie erkannte, wer das Wesen war und was sie getragen hatte. „Dagon, was hat das alles zu bedeuten?“ herrschte sie das Wesen an, welches sie als ihren Bruder, den Erdavatar, erkannte. „Was hast du mit Tyrael vor? Und warum bist du überhaupt hier und warum bin ich an diese Wand gekettet? Sprich, Bruder!“


Dagon drehte sich zu seiner Schwester um und ein diabolisches Grinsen ging über seine Lippen. „Du irrst, Wasseravatar, dies ist nur der Körper deines geliebten Bruders. ER weilt schon lange nicht mehr unter Euch. Er starb während des Krieges. Des Krieges, in dem ihr meine physische Hülle verbannen konntet. Aber ihr konntet nicht meine Seele bannen. Und da dieser Körper frei war, habe ich ihn genommen und so getan als wäre ich weiterhin euer geliebter Dagon. In Wahrheit aber bin ich...“ Das Wesen, das wie Dagon aussah, kam nicht weiter, denn Tyrael fing an sich zu regen. „Ach je, jetzt hast du mich aber abgelenkt, du dumme Wasserschlange. Dein Bruder kommt ja wieder zu Bewusstsein. Umso besser, dann macht das Foltern umso mehr Spaß.“ Dagons Körper fing an laut aufzulachen und in seiner Hand materialisierte sich eine Klinge aus Obsidian. Doch Nihasa erkannte, dass dies kein Obsidian war, wie der, den sie und ihre Geschwister benutzt hatten, um die Siegel zu erstellen. Es war, als pulsierte das ultimative Böse durch diese Klinge. Sein schwarzer Ton wich einer tief roten Farbe. Es sah fast wie erstarrtes Blut. Blut von Elfen. Als könnte das Wesen ihre Gedanken erraten, fing es an zu sprechen: „Du liegst gar nicht so falsch, meine Liebe. Diese Klinge wurde geschaffen aus dem Blute der gefallenen Elfenkrieger. Der Krieger, die versucht hatten, mich zu zu vernichten. Ihr Tod war also nicht ganz so nutzlos. Aus ihrem Blut und mit der darin enthaltenen elfischen Magie war es mir möglich, im Laufe der Jahrhunderte eine Waffe zu schmieden. Eine Waffe, die Euch elementares Gewürm endgültig vernichten kann. Und wenn ihr erst einmal vergangen seid, werde ich herrschen, so wie es eigentlich schon lange sein sollte.“ Aus seinem Mund drang ein wahnsinniges Gekicher, als er den Dolch über den sich windenden Körper von Tyrael hob und ohne Skrupel oder Zögerns zu stach. Tyrael fing an zu brüllen und riss die Augen auf. Er starrte ungläubig zu seinem Peiniger auf. Die Wut, der Zorn und der Hass in seinen Augen verblassten und sein Blick wurde leer. Bevor er seinen letzten Atemzug tat, kamen seine letzten Worte geflüstert aus seinem sich langsam auflösenden Laib: „Ich liebe dich Valyn...“ Dann erlosch das Leben in Tyraels Körper und seine menschliche Gestalt zersprang wie ein Tonkrug, der auf den Boden schlägt. Seine elementare Form kam kurz zum Vorschein, doch im gleichen Augenblick zerfaserte sich seine Energie und seine Existenz war ausgelöscht. Der Luftavatar war tot.


Kapitel 7

Trauer


Jedes Lebewesen auf Cathalon spürte sofort die Auswirkung von Tyraels Tod: alle Luftgeister, die ihm dienten, verblassten in einem Aufbrausen des Windes, dann ward es windstill. Alle Geräusche erstarben, denn kein Wind konnte sie mehr weitertragen. Eine Totenstille breitete sich über der Welt aus. Die Vögel fielen vom Himmel, da sie keinen Auftrieb mehr hatten und blieben hilflos am Boden liegen, vergeblich mit ihren Flügeln schlagend. Die Segel der Schiffe erschlafften abrupt nach dem letzten Aufbrausen des Sturmes und die Schiffe lagen auf einer stillen See.
Kayleigh spürte den Stich in ihrem Innersten, als ihr Bruder vernichtet wurde und das Gleichgewicht der Welt aus den Angeln gehoben wurde.
Nihasa weinte stille Tränen, die lautlos im Boden versickerten und ein zarter Hauch von Verzweiflung machte sich in ihrem Herzen breit.
Auch Valyn spürte einen Schmerz in seinem Herzen. Er nahm Tyraels letzte Worte in seinem Innersten wahr und mit einem Aufschrei verblassten sie. Valyn geriet ins Straucheln und stürzte zu Boden. Heiße Tränen rannen über sein Gesicht. Latira bemerkte die Stille ebenfalls und drehte sich zu Valyn um. Als sie sah, dass er zusammengebrochen war, rannte sie sofort zu ihm. Sie drehte ihn auf den Rücken und sah sein tränen überströmtes Gesicht. Trauer ergriff auch sie, als sie die gebrochenen Augen sah, die ihr entgegen blickten. Leise flüsterte Valyn: „Er ist tot. Es gibt ihn nicht mehr.“ Latira begriff im ersten Moment nicht, wen er meinte, doch dann erkannte sie den Sinn in Valyns Worten:

TYRAEL WAR TOT!!!

Das einzige, was Valyn geblieben war, war ausgelöscht worden. Und mit ihm auch der Wind der Welt. Der Atem der Welt war verstummt.
„Wie konnte das geschehen?“ flüsterte sie. Doch von Valyn bekam sie keine Antwort. Sein Blick war leer, sein Gesicht ausdruckslos. Sie wollte ihn gerade schütteln, um ihn wieder zurück zu holen, als eine Feuersäule vom Himmel herab schoss, sie beide umhüllte und sie verzehrte. Als das Feuer sie traf, wollte Latira erst aufschreien, aber sie spürte keinen Schmerz, nur Wärme und Gnade. Sie spürte die reinigende Kraft des Feuers und ließ sich davon fort tragen, den gebrochenen Valyn noch immer in ihren Armen liegend. Nachdem das Feuer erloschen war, befand sich ein großer Brandfleck an dem Platz und die Beiden waren fort.


Nihasas Tränen versiegten abrupt, als sich der Mörder ihres kleinen Bruders umdrehte und auf sie zu bewegte. „Schade, schade, schade, es ging ja viel zu schnell zu Ende mit dem Luftverwirbler. Ich konnte es ja gar nicht richtig genießen. Dein Bruder starb viel zu schnell... Tja, dann werde ich jetzt dich nehmen und meinen Spaß mit dir haben.“ Er trat auf sie zu, öffnete den Verschluss seiner Hose und wieder kam ein finsteres Lachen aus dem Mund, der eigentlich ihrem Bruder Dagon gehörte. Dann wurde es schwarz um Nihasa und sie sank in die Umarmung der Dunkelheit und die Arme des Vergessens. Sie merkte nicht einmal, wie die Ketten gelöst wurden und man sie auf dem Altar niederlegte. Auch bekam sie nicht mit, wie sich das Wesen über ihr zu verrenken und zu brüllen anfing, als die Kontrolle über den geliehenen Körper langsam nachließ und der eigentliche Besitzer danach griff. Genauso wenig bekam Nihasa mit, wie das letzte der vier Siegel zerbrach und den Pfad zum Körper des Bösen freigab.


Kayleigh schloss die Augen und konzentrierte ihre Macht in einem einzigen Funken. Diesen Funken schickte sie auf die Reise, Latira zu finden. Es war ihr egal, ob sie bereits den Elfen gefunden hatte oder nicht. Der Tod des Luftavatars war schwerwiegender als ein Überlebender der verfluchten Nachkommen der Avatare. Die Priesterinnen, die in der großen Halle des Tempels warteten, hatten die Worte ihrer Herrin vernommen und im gleichen Atemzug mit Schrecken anhören müssen, was soeben in Cathalon geschehen war. Irgendjemand hatte es geschafft, den Avatar der Luft zu vernichten und auch die beiden anderen Elementaravatare Wasser und Erde waren verschwunden, denn Kayleigh hatte den Kontakt zu Dagon verloren, kurz nachdem er sich auf die Suche nach Tyrael gemacht hatte. Das ihre Herrin eigentlich ein Elementaravatar war und kein Mensch wie sie, störte keine der Priesterinnen, sie waren Magie , deren Effekte und Wesen gewöhnt. Auch war es keine Umstellung, immerhin dienten sie bereits dem Feueravatar seit ihrem Eid im Tempel.
Aus dem Himmel schoss eine Feuersäule herab. Die Priesterinnen wichen vor der Macht des Feuers zurück, denn Kayleigh hatte in ihrer Wut und Trauer um ihren Bruder zu viel Energie hineingesteckt. Als das Feuer wieder erloschen war, saß Latira wieder im Tempel, in ihren Armen einen jungen Mann. Sie schaute sich verwirrt um und als sie erkannte, wo sie war, zeigte sich eine Erleichterung auf ihrem Gesicht. Doch diese wich der Sorge. Sie sah das trauerverzehrte Gesicht der Ehrwürdigen Mutter, den Schrecken in den Gesichtern der Schwestern des Ordens. 'Sollte Dhanas Tod doch nicht spurlos an den Anwesenden vorbeigegangen sein?' Sie wollte sich erheben, wurde aber durch ein Gewicht in ihren Armen davon abgehalten. In diesem Moment registrierte Latira, dass sie noch immer Valyn in den Armen hielt. Leise richtete sie ihre Worte an ihn: „Valyn, komm wieder zu dir. Tyrael hätte nicht gewollt, dass du dermaßen in Trauer verfällst. Raff dich auf. Wir werden seinen Mörder finden, ich verspreche es dir. Nur, bitte, komm zurück.“ Kayleigh zog bei Latiras Worten leicht eine Augenbraue nach oben. 'Wer war der Mann in den Armen des letzten Drachens dieser Welt? Sollte es ihr gelungen sein, aller Widrigkeiten zum Trotz, doch noch den letzten Elfen zu finden? Wenn ja, warum war er dann so lethargisch? Und das wichtigste: welche Verbindung hatte er zu ihrem Bruder gehabt?' Die Gedanken rasten in Windeseile durch ihren Kopf, doch bis auf die Feststellung, dass dieses Häufchen Elend, mit Namen Valyn, wohlweislich der letzte Nachfahre der Elfen war, einer Rasse, die, geschaffen durch die Avatare, nach dem Krieg gegen das Böse ausgelöscht worden war, kam sie zu keiner Klärung der Fragen. Bevor sie sich jedoch all zu sehr den Kopf zerbrach, erhob Kayleigh das Wort: „Bringt den Mann fort, sorgt dafür, dass er gereinigt wird und neue Kleider bekommt. Gebt ihm Mondtau, damit er wieder ins Reich der Sterblichen zurückkehrt, dann bringt ihn zu mir. Und nun verschwindet.“


Mit einer barschen Handbewegung lösten sich drei Schwestern aus der Erstarrung und gingen auf Latira zu. Diese legte ihre Arme schützend um den gebrochenen Mann: „Tut ihm nichts, er ist kein schlechtes Wesen. Mir wurde aufgetragen, ihn zu suchen. Tut ihm bitte nichts, ich flehe Euch an.“ Katheriné legte ihre Hand auf Latiras Schulter und ergriff das Wort: „Keine Angst Schwester, dem Jungen wird nichts geschehen. Die Ehrwürdige Mutter hat uns aufgetragen, uns um ihn zu kümmern. Wir bringen ihn nur in eines der Quartiere, säubern ihn und versuchen, ihn wieder ins Bewusstsein zu holen. Mehr wird nicht geschehen. Es wird ihm kein Haar gekrümmt werden. Solltest du mit unserer Arbeit nicht zufrieden sein, so sei es dir gestattet, uns dafür zu strafen...“ Sie blickte schnell zur Ehrwürdigen Mutter, diese nickte mit zerknirschtem Blick, aber wortlos. Latira war so versunken gewesen in die Bemutterung des Mannes, dass sie nicht ihre Worte vernommen hatte. Wahrscheinlich war es wirklich die richtige Entscheidung gewesen, sie jetzt auf ihre Suche zu schicken. Auf die Suche nach dem letzten Vertreter einer untergegangenen Rasse, wie auch sie die letzte (lebende) Vertreterin ihrer Rasse war. Es war kein Zufall gewesen, dass man ihr damals das Waisenkind gebracht hatte. Latiras „Eltern“ wurden auf Befehl des König hingerichtet, weil sie angeblich verbotene Hexerei betrieben hatten. Keiner, nicht einmal sie, Nihasa und Tyrael hatten die Geburt des Mädchens ersonnen, aber es war geschehen: Das uralte Blut der Drachen war erneut erwacht und die gesamte Macht der alten machtvollen Wesen hatte sich in einem einzigen Ei gebündelt. Dieses Ei wurde von einem kinderlosen Paar Menschen gefunden und als der Drache schlüpfte, waren sie erstaunt, als es kein mit Schwingen versehendes, geschupptes Reptil war, wie die uralten Mythen es erzählten, sondern ein kleines, menschlich wirkendes Mädchen. Aus Furcht, Angst und Unwissenheit konnten sie dem Kind keine wirkliche Liebe geben. Sie kamen damit nicht klar, dass dieses „Ding“ in ihrem Leben war. Sie suchten damals eine alte weise Frau auf, eine Hexe, die, wie Kayleigh kurz darauf erfuhr, niemand anderes war als Tyrael in seiner damaligen Inkarnation. Als man ihr/ihm das Kind brachte, war er erschüttert über den Umgang der Leiheltern, denn etwas anderes waren diese beiden Menschen nicht gewesen, mit dem Geschenk der Ahnen. Er gab ihnen einige Amulette und Zauberwerk mit, mit dem sie das Kind angeblich unter Kontrolle bekommen sollten. Im gleichen Atemzug brachten einige von Tyraels Geistern die Heimstatt der Familie in Unordnung und veranstalteten einen dergestalten Radau, dass die Wachen des Dorfes aufmerksam wurden. Als die Familie nach Hause zurückkehrte, wartete bereits ein Kommando des König auf sie und arrestierte die Eltern. Das Mädchen brachte man dem Orden. Wahrscheinlich hatte Tyrael dabei ebenfalls seine Finger im Spiel, denn die Wachen hatten sie, die Ehrwürdige Mutter, der jeder Respekt zollte, damals unverschämt angegrinst, ihr zugenickt und hatten sich dann in Luft aufgelöst. Doch darauf hatte Kayleigh ihren Bruder nie angesprochen, es war seine Art und sie würde sich hüten, irgendwas an ihm ändern zu wollen...


Ein Schmerz durchzuckte sie, als es ihr wieder in den Sinn kam, dass sie ihren kleinen Bruder nie wieder sehen würde. Eigentlich war er nicht jünger als sie – sie waren alle vier alterlos und seit Anbeginn der Zeit auf Cathalon existent gewesen – aber er benahm sich immer wie ein kleines Kind. Ein paar Tränen huschten über ihre Wangen, als sie Schritte hörte. „Du hast dich also endlich von deinem Schatz trennen können, mein Kind.“ Mit einem Lächeln drehte sich Kayleigh zu Latira um. Diese fiel vor ihr sofort auf die Knie, um ihr die Ehre zu erweisen. „Erhebe dich, mein Kind, dies ist nicht der passende Zeitpunkt für dieses Gebaren. Erzähle mir lieber, was du vorhin meintest, als du zu dem Manne sprachst: 'Tyrael hätte nicht gewollt, dass du dermaßen in Trauer verfällst?' Was hat der Junge mit dem Avatar der Luft zu schaffen? Und warum trifft ihn die Auslöschung eines Geisterwesens so sehr? Es kann ihm doch egal sein, was mit der Welt geschieht. Er ist doch auch nur Relikt vergangener Tage.“


Kapitel 8

Wissen oder Macht?


Valyn erwachte langsam wieder. Er setzte sich auf. Latira war nirgendwo zu sehen. Er rief nach ihr, bekam aber als Antwort nur das Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume zu hören. 'Moment, ist der Wind nicht erstorben?' dachte er. Wieder fiel ihm der Stich im Herzen ein, die Worte Tyraels, die durch sein Innerstes hallten: „Ich liebe dich, Valyn...“ Er spürte den Aufschrei und das Ersterben der Worte, das Weichen der Präsenz Tyraels aus seinem Bewusstsein und das darauf folgende Sterben des Windes und aller Geräusche. War das alles nur Einbildung gewesen? „Nein, es ist geschehen! Leider...“ hörte Valyn eine Stimme neben sich. Er hob den Blick und sah eine altbekannte Gestalt neben sich schweben. „A..A..Ashos...,D.. du...? I...ich da..da..dachte du bist tot?“ brachte er stotternd und mit leicht schriller Stimme hervor. „So ist es, mein Junge und gleichzeitig auch wieder nicht.“ sprach das Geisterwesen, denn komplett stofflich war sein alter Freund und Mentor nicht mehr. „Es, es, es gibt so vieles, was ich dir noch sagen wollte, Ashos. Ich war so ein verdammter Idiot gewesen in den letzten Jahren gewesen. Habe dich... Wie jetzt? Du bist tot und doch nicht? Wie geht das denn?“ Valyn sah verwirrt auf das Wesen neben ihn. „Ja, mein sterblicher Körper ist gestorben,mein Junge. Aber meine Seele bekam die Chance, etwas mächtigeres zu werden, als ich es zu Lebzeiten je werden konnte.“ Valyn verstand zwar nur die Hälfte von dem, was Ashos ihm zu sagen hatte, nickte aber stumm. „Wo bin ich hier? Bin ich tot?“ wollte er wissen, doch Ashos schüttelte den Kopf. „Nein, du bist bei weiten nicht tot. Ein Glück, sonst waren wir verloren... Du bist lediglich in tiefer Trauer und ohne Bewusstsein. Nur so ist es mir möglich, noch einmal mit dir zu reden und dir zu sagen, was du als nächstes tun solltest.


Vorausgesetzt, du willst die Welt retten und...“ der Geist zögerte, „und Tyrael wiedersehen.“ Ashos wählte seine Worte mit Bedacht, er wollte noch nicht all zu viel preisgeben. Nicht, bevor er endgültig wusste, ob Valyn bis zum bitteren Ende gehen würde. Sein ehemaliger Schüler sah ihn vollkommen entgeistert an und rief: „Ich würde alles tun. Hörst du: A L L E S... Alles, wenn ich nur noch einmal, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick, einen Wimpernschlag, noch einmal in Tyraels Augen sehen könnte. Noch einmal seinen Atem auf meiner Haut spüren könnte. Noch einmal mit meinen Händen ihn berühren dürfte. Ich würde sogar mein Leben dafür geben, sofern ich diesen Preis bezahlen müsste. Ich wäre lieber tot und glücklich, als lebendig und unglücklich. Ich weiß, es ist verpönt in dieser Welt, wenn ein Mann bei einem Manne liegt, aber Tyrael ist das einzige in meinem Leben, was mir geblieben ist. Meine Eltern sind fort, in der Welt der Geister, genauso wie du, alter Freund. Ich bereue meine Worte von damals zu tiefst, aber sie wurden gesagt und ich kann sie nicht mehr zurück nehmen. Ich liebe diesen Jungen, auch wenn ich weiß, dass er bei weitem kein Mensch ist, sondern ein uraltes Wesen. Ein Wesen, mit dessen Tode die Welt an den Rand des Abgrund geraten ist. Auch wenn ich nicht verstehe, wie das geschehen konnte. Trotzdem bleibt er für mich der Junge, der immer zuerst Tee haben wollte, bevor er irgendeine Aufgabe übernommen hatte. Der Junge, der mich geleitet hatte, in deinem Auftrag und auch danach. Der Junge, in den ich mich wahrlich und wahrhaftig verliebt habe. Der Junge, der unausweichlich ein Teil von mir geworden ist. Der Eine...“ Ashos lächelte. Sein Schüler hatte es verstanden.


Er hatte den Sinn der Liebe verstanden.
Den Sinn des Lebens.
Den Sinn der Dinge.
Er war wahrhaftig ein echter Druide, wenn auch mit einem sehr eigenwilligen, sturen Kopf und einer Vorliebe für den Luftavatar. Ashos Lächeln wurde breiter. „Deine Worte zeigen mir, dass du nur all zu bereit bist, dich jeglichen Widrigkeiten zu stellen. Nun achte auf meine Worte. Ich werde dir nun offenbaren, was geschehen ist, was geschehen wird und wie du es, hoffentlich und zu unser aller Überleben, aufhalten kannst. Sicher kann sich niemand sein im Leben. Es gibt keine Garantien. Es gibt immer wieder Schicksalsschläge und Wendungen, die niemand bedacht hat, auch bei noch so sorgfältiger Planung.“ Ashos begann zu erzählen und Valyn lauschte seiner sonoren Stimme...


Nihasa kam wieder zu Bewusstsein. Sie fand sich angekettet auf dem Altar. Ihre Beinkleider waren zerrissen, ihre Oberbekleidung lag auf dem Boden. Ihr dämmerte die Tragweite der Szenerie: das Ding, das aussah wie ihr Bruder Dagon, hatte sie geschändet. Ekel kroch ihr in die Knochen, als sie an die Hände des Bösen auf ihrem Körper dachte. Wie er sie gestreichelt hatte, ihre Rundungen, ob nur Illusion für die Menschen oder nicht, liebkost hatte. Wie es... Sie fing an zu würgen, besann sich dann aber, denn sie konnte den Kopf nicht drehen. Das Schwein hatte eine eiserne Kette um ihren Hals geschlungen. Und den Gefallen, zu Ersticken wollte sie ihm nicht tun. Sie würde ausharren und hoffen, dass ihre Schwester einen Weg finden würde, sie zu retten, ohne selber in die Klauen dieses Wesens zu geraten. Doch das könnte dauern. Derweil war sie hilflos den Fängen von Arebs ausgeliefert. Geißel, eine passendere Bezeichnung für dieses Subjekt reinen Bösen gab es nicht. Wie war es ihm gelungen, ohne Aufsehen zu erregen, Dagons Körper zu übernehmen? Wenn ihr Bruder vernichtet worden wäre, wie ES behauptet hatte, so hätten sie während des Krieges damals die Auswirkungen spüren müssen: die Erde wäre vergangen und nur noch Asche wäre über geblieben von dieser Welt. Da das nicht geschehen war, würde das bedeuten, Arebs hatte gelogen, Dagon würde noch immer irgendwo im Innersten seines Körpers existieren und Arebs würde ihn unterdrücken. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr irgendwie gelingen würde, Dagon wieder zum Vorschein zu bringen. Dann hätten sie vielleicht... „Eine Chance? Du dummes, dummes Ding. Es wäre sinnlos, selbst wenn es dir gelingen würde, deinen Bruder in mir zu erwecken. Eure Macht reicht bei weitem nicht mehr aus, um mich erneut zu bannen. Ich bin zu mächtig für Euch ohne euren Bruder, diesen Pesthauch.“ Arebs schüttelte sich kurz und schnüffelte, als ob ein Hauch oder etwas ähnliches in der Luft wäre „Aber nicht mehr lange und du kannst deinen geliebten Dagon noch einmal wiedersehen. Ich brauche diesen Körper sowieso bald nicht mehr. Das letzte Siegel ist unter der Einwirkung meiner Macht zerbrochen und der Weg zu meinem Körper ist endlich frei. Der Tod deines geliebten, wenn auch leicht dümmlichen, Tyraels hat genügend Energie freigesetzt, um das Siegel endgültig zu schwächen. Mach dich bereit, deinem Ende entgegen zu blicken.“ Arebs ließ ein diabolisches Kichern erklingen und schritt auf den Altar zu. Nihasa versuchte verzweifelt sich loszureißen, doch die Ketten waren stärker. Arebs fing wieder an zu lachen: „Meine Güte, du bist wirklich dämlich. Glaubst du im Ernst, ich hätte nicht für eine sichere Unterbringung für dich gesorgt? Du enttäuscht mich wirklich Nihasa. Ich hätte einer Wasserschlange mehr Verstand eingeräumt. Naja, vielleicht bist du im Laufe der Jahrtausende einfach nur senil geworden.“ Arebs schüttelte den Kopf und wieder kam ein wahnsinniges Gekicher aus seinem Mund. Dann hob er seine Hände in die Höhe und sprach alte Worte der Macht:


Micama! goho Pe-IAD! zodir com-selahe azodien biabe os-lon-dohe. Norezodacahisa otahila Gigipahe; vaunid-elcahisa ta-pu-ime qo-mos-pelehe telocahe; qui-i-inu toltoregi cahisa i cahisaji em ozodien; dasata beregida od torezodul! Ili e-Ol balazodareji, od aala tahilanu-os netaabe: daluga vaomesareji elonusa cape-mi-ali varoesa cala homila; cocasabe fafenu izodizope, od miinoagi de gintaabe: vaunu na-na-e-el: panupire malapireji caosaji. Pilada noanu vaunalahe balata od-vaoan. Do-o-i-ape mada: goholore, gohus, amiranu! Micama! Yehusozod ca-ca-com, od do-o-a-inu noari micaolazoda a-ai-om. Casarameji gohia: Zodacare! Vaunigilaji! od im-ua-mar pugo pelapeli Ananael Qo-a-an!2

Ein Zittern ging durch den Berg und Steine fielen herab. Auf dem Boden vor dem Altar tat sich ein Portal auf. Um das Portal zuckten schwarze Blitze und eine Hitze strömte daraus hervor. „ENDLICH! Nach Jahrhunderten des Wartens ist es getan: endlich kann ich mich wieder mit meinem Körper vereinigen und mit der Macht, die mir eure geliebten Elfen freundlicherweise überlassen haben, werde ich in der Lage sein, diese Welt zu regieren. Niemand kann mich aufhalten. Ich bin das ultimative Lebewesen auf dieser Welt. Nun komm zu mir, mein geliebter Körper!“ Der Körper Dagons sank zu Boden und ihm entstieg ein Schatten, schwarzer als die lichtloseste Nacht. Finsterer als der tiefste Keller. In wilden Wirbeln schossen immer wieder Fetzen aus der Masse hervor, um in kleinem Bogen wieder zurück zu kehren. Im Portal materialisierten sich die Umrisse eines Laibes. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wurde der Körper stofflich und schwebte über dem Boden. Der Schatten drang in den Körper ein und ein animalisches Brüllen ging durch die Altarhöhle, gefolgt von einer Explosion magischer Energie. Nachdem der Staub sich gelegt hatte und Nihasa einigermaßen sehen konnte, schwebte neben dem Altar ein Wesen bar jeder Beschreibung: es sah aus als würden sich Schatten und Materie gegenseitig auffressen und gleichzeitig neu erschaffen. Es gab keine Stelle an dem Wesen, die nicht von der stetigen Veränderung verschont blieb. Sogar das Gesicht schien sich aufzulösen, nur um im gleichen Moment in anderer Gestalt wieder zu erscheinen. Ein kehliges Lachen erklang: „Es ist vollbracht. Die einzig wahre Macht weilt wieder auf Cathalon!“


Latira erhob sich zögerlich und schaute die Ehrwürdige Mutter mit einem Hauch Misstrauen an. „Was ist mein Kind? Hat es dir Sprache verschlagen?“ Latira blinzelte kurz, schüttelte den Kopf und sprach: „Verzeiht mir meine Unverfrorenheit, Ehrwürdige Mutter, aber woher wisst Ihr, dass Tyrael der Avatar der Luft ist – war?“ Kayleigh konnte Latira ihre Verwirrtheit nicht übel nehmen und verstand den Sinn hinter der Frage: im Gegensatz zu den anderen Schwestern des Ordus Draconis wusste sie ja noch nicht, dass die Ehrwürdige Mutter der Avatar des Feuers war. Nachdem Kayleigh dem jungen Mädchen die Wahrheit offenbart hatte, verstummte Latira für einen Moment und schien über etwas nachzudenken. „Ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll...“ fing sie an zu stammeln. Kayleigh verwunderte dies sehr, immerhin kannte sie Latira als ein Mädchen, dass nie ein Blatt vor den Mund nahm oder auch nur den Anflug von Unsicherheit gezeigt hatte, egal wie stressig die Ausbildung war und wie unmöglich die gestellten Aufgaben schienen. „Sprich mein Kind, ich werde selber entscheiden, ob ich einen Sinn in deinen Worten finden kann.“ Latira straffte sich und fing an zu erzählen: „Der Grund, warum Valyn sich in dieser Lage befindet, hat etwas mit der Tötung Tyraels zu tun. Doch bevor ich dazu komme, muss ich die gesamte Geschichte erzählen, damit Ihr alles Wissen besitzt, solltet Ihr ihm gegenüberstehen.“ In knappen Sätzen berichtete sie, was ihr in den letzten Tagen widerfahren war. Kayleigh unterbrach sie nicht, sondern hörte sich alles genauesten an. Als Latira an dem Punkt anlangte, wo Valyn die Barriere in ihren Gedanken durchbrach und sie mit sich riss in den Strudel, schluckte Kayleigh kurz. SO früh hatte sie nicht erwartet, dass die Barriere durchbrochen werden würde. Aber es war geschehen, die Vergangenheit konnte man nicht mehr ändern. Dann kam Latira zu den Bildern und Eindrücken, die Valyn über Tyrael gesammelt hatte. Sie achtete sehr sorgfältig auf ihre Wortwahl und versuchte, das Gesehene so neutral wie nur möglich zu beschreiben, aber sie kam nicht umhin, leicht zu erröten, als sie den Kuss erwähnte. Sie beobachtete genau die Reaktionen der Ehrwürdigen Mutter, doch zeigte diese weder Ablehnung noch sonst eine Reaktion. Der Rest war schnell erzählt und dann kam der Punkt mit der Feuersäule, die vom Himmel schoss, Valyn und sie einhüllte und in den Tempel brachte. Nachdem sie geendet hatte, verharrte Latira still und leicht ungeduldig auf dem Platz, den ihr die Ehrwürdige Mutter zwischenzeitlich angeboten hatte. Diese schien das Gesagte zu verarbeiten, sagte aber keine Silbe.
Plötzlich durchzuckte sowohl Latira als auch Kayleigh ein stechender Schmerz und ließ beide aufschreien. In Latiras Gedanken breitete sich ein Satz aus, den sie prompt offenbarte: „Es ist wieder da....“ Kayleigh nickte nur und dann brachen die beiden Frauen zusammen.


Kapitel 9


Das Dunkle erwacht


Der Schrecken in Nihasas Augen wurde immer größer, als sich Arebs zu ihr umdrehte und sich der bekannte Dolch wieder in seiner schattenhaften Klaue materialisierte. „Was hast du vor? Willst du mich auch noch vernichten? Dir ist bewusst, wenn du das tust, regierst du ein totes Land!“ brachte sie gepresst hervor, während sich Arebs ihr immer weiter näherte. „Dummes Ding, wie könnte ich das vergessen? Deinen Bruder habe ich nur vernichtet, damit endlich Stille einkehrt, mehr nicht. Und als Test...“ Wieder erklang dieses kehlige Lachen, doch dieses Mal hallte es von den Wänden wider und wurde zu einer unausweichlichen Welle purer Energie. Ihre Ketten zersprangen und der letzte Rest ihrer Kleidung wurde zerfetzt. Der Schall schnitt ihr Wunden in das Fleisch, da es aber nur eine Illusion war, floss kein Tropfen Blut. „Nun verschwinde, du elende Schlange. Lauf zu deiner elenden Schwester. Vergiss deinen Bruder nicht!“ Hasserfüllt trat Arebs mit dem Fuß nach dem bewusstlosen Dagon. „Erzähle ihr, was du gesehen hast. Und dann bereitet Euch auf Euer Ende vor. Dieses Mal werdet ihr die Eingekerkerten sein, nicht ich. Trauert um den Verlust des Windes. Ja, jagt mich ruhig. Doch denke dran: ich bin unbesiegbar. Nichts und niemand kann mich aufhalten. Keine sterbliche, keine unsterbliche, GAR keine Macht ist mir gewachsen. Geh mir endlich aus den Augen, du kümmerlicher Wurm...“ Mit einer barschen Handbewegung Arebs' verblasste die Altarhöhle um Nihasa und sie befand sich in der Nähe des Tempels wieder, den immer noch bewusstlosen Dagon neben sich liegend. Ihn mühselig hinter sich herziehend, da sie zu geschwächt war ihre Kräfte zu benutzen, erreichte sie das Tor und klopfte an. Nach kurzer Zeit wurde ihr geöffnet. Die Schwestern erschraken über ihrer beider Anblicke und halfen Nihasa ihren Bruder in den Tempel zu bringen.


Anscheinend hatte Kayleigh ihr wahres Wesen offenbart und anscheinend wurden sie und Dagon erwartet, denn keine der Schwestern stellte auch nur ansatzweise Fragen. Eine weitere Schwester kam herbei geeilt, flüsterte der einen etwas ins Ohr und diese nickte stumm. Dann wandte sie sich an Nihasa: „Verehrter Geist, es ist uns eine Ehre, Euch in den heiligen Hallen des Drachentempels willkommen zu heißen. Eure Schwester, der Feueravatar ist seit kurzem wieder bei Bewusstsein, nachdem eine alte Macht sie nieder gestreckt hatte. Man wird Euch etwas zum Ankleiden bringen, dann könnt Ihr Euch zu ihr begeben. Euren Bruder werden wir zur Ruhe betten. Mögen die Elemente ihm die Kraft geben, wieder zu erwachen, denn wir können nichts für ihn tun, außer zu dem Feuer und den Drachen zu beten.“ Nihasa nickte stumm, nahm das Gewand entgegen, was man ihr so eben überreichte und schlüpfte hinein. Sie hätte auch einfach ihre Kräfte benutzen und sich ein neues Gewand erschaffen können, aber anscheinend war das nicht nötig. Sie spürte die reinigende Energie des Feuers in dem Gewand, also war es ein Artefakt ihrer Schwester. Etwas gestärkt von der Energie des Artefakts folgte sie einer der Schwestern zu dem Raum, in den sich ihre Schwester aufhielt. Als sie eintrat, erkannte sie den Drachen wieder, sagte aber kein Wort, sondern grüßte sie stumm. Latira erwiderte den Gruß ebenso stumm und wandte sich dann wieder dem jungen Mann zu, der scheinbar schlafend auf dem Bett lag. Kayleigh drehte sich um, ihre Gesichtszüge noch leicht von Trauer gezeichnet und nahm dann ihre Schwester in den Arm. „Es tut gut, dich lebend wieder zu sehen. Jetzt da wir Tyrael verloren haben und das Böse erwacht ist, sind dein und Dagons Auftauchen ein Schimmer in dunkelster Nacht. Auch wenn wir nicht viel tun können. Erzähl mir bitte, wo du warst, Dagon konnte dich nicht finden.“ Nihasa berichtete die Geschehnisse und sowohl Kayleigh als auch Latira reagierten geschockt über ihre Äußerungen. „Dann habe ich also nicht Dagon erweckt, sondern nur Arebs gerufen, der mir auch noch etwas vorgegaukelt hatte?“ fragte Kayleigh entsetzt und Nihasa nickte. „Also war unsere Arbeit, unsere Anstrengungen, unsere Verluste, alles was wir damals getan hatten, umsonst gewesen? Wir haben das Böse also nicht versiegelt gehabt? Wir wurden hinterhältig hereingelegt, benutzt, missbraucht...“


Bei diesem Wort breitete sich Finsternis über Nihasas Gesicht: „Etwas habe ich nicht erwähnt... Arebs hatte mich während meiner Gefangenschaft und kurz vor seiner Wiedervereinigung mit seinem Körper geschändet. Vergewaltigt im Körper Dagons...“ Latira verzog das Gesicht voller Ekel und auch Kayleigh musste sich schütteln. „So ein verdammter Mistkerl. Es tut mir Leid, Schwesterherz, dass du das erleiden musstest.“ meinte Kayleigh und nahm Nihasa erneut in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. „Unsere Körper mögen zwar nur eine Illusion sein, eine Möglichkeit, uns den Sterblichen zu offenbaren, aber der psychische Schmerz ist das grausame, was zurückbleibt. Ich bete, dass du es eines Tages vergessen kannst...“ „Sollten wir das hier, wie auch immer, überstehen, so denke ich, dass es Wege gibt, es zu vergessen. Doch nun sag mir, wer ist der junge Mann, um den sich ihr euch da kümmert?“ Kayleigh bedachte Latira mit einem mitfühlendem Blick und begann zu erzählen, was der Drache ihr erzählt hatte. „Aber selbst Mondtau konnte ihn nicht zurückholen. Es scheint fast so, als würde ihn etwas in der Anderwelt halten. Können wir nur hoffen, dass es jemand ist, der für und nicht gegen uns arbeitet.“ Nihasa nickte und fragte Kayleigh, wohl weislich darauf achtend, dass sie die alte Sprache benutzte, die, so hoffte sie, Latira nicht verstehen würde: „Weiß das Kind, dass sie ein Drache, oder besser, der letzte Drache, auf unserer untergehenden Welt ist? Und weiß sie um ihre Aufgabe?“ Kayleigh schüttelte den Kopf und verneinte beide Fragen: „Nein, weder weiß sie, wer sie ist noch was sie zu tun hat. Es gibt, gab, nur zwei Wesen auf Cathalon, die den Verlauf des Rades des Schicksals gesehen haben: Tyrael und Ashos. Beide weilen jedoch nicht mehr unter uns. Tyrael, ermordet und Ashos gestorben, nach dem, was Latira in den Gedanken Valyns sehen konnte, als er nach der Wahrheit suchte. Ich fürchte, wir wissen nicht, wie wir uns aus befreien können. Tyrael hätte Rat gewusst. Er war derjenige von uns, der die meiste Weitsicht besaß. Gemeinsam mit Ashos hat er die Geschichte dermaßen verändert, dass der Drache und der Elf sich in dieser und nicht in anderer Zeit treffen würden, aber die weiteren Schritte kennen nur sie. Wir können nur hoffen, dass wir sowohl Valyn als auch Dagon wieder in das Reich der Wachen zurückführen können. Und weiterhin hoffen, dass Valyn auf der anderen Seite Wege und Möglichkeiten gezeigt bekommen hat, uns zu erretten. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie wir die Beiden wecken könnten. Dagon sollte eigentlich, jetzt, da er nicht mehr unterdrückt wird, wieder von alleine erwachen. Nur bei Valyn mache ich Sorgen: Kein Wesen, sei es menschlicher, elfischer oder gar drakonischer Natur, sei es sterblich oder unsterblich, kommt unverändert aus der Anderwelt zurück. Meistens sehr zum Nachteil seiner Umwelt. Voller Wahn. Voller Trauer. Unfähig, zu lieben. Unfähig zu existieren.“


Latira verstand keine Wort von dem, was die beiden Avatare beredeten, entschied sich aber dafür, keinen Ton zu sagen. Nachdem Kayleigh geendet hatte und sowohl sie als auch Nihasa sich ihr und dem immer noch bewusstlosen Valyn zu wandten, überkam Latira ein komisches Gefühl. Sie konnte es nicht erklären, woher es kam, aber plötzlich wusste sie, wie sie zumindest einen Schlafenden wieder aufwecken konnten: „Verzeiht mir meine Worte, ehrwürdige Geister, ich weiß nicht, woher dieses Wissen kommt, aber ich denke, ich weiß, wie wir zumindest Dagon zurückholen können.“ Kayleigh und Nihasa sahen die junge Novizin vollkommen verdutzt und mit fragenden Augen an, unterbrachen sie aber nicht. „Ehrwürdige Mutter, meines Erachtens besitzt Ihr einen Teil der Energie Eures Bruders. Es liegt verschlossen in einem Beutel auf einem Regal in Euren Gemächern. Dabei handelt es sich rein technisch gesehen nur um Sand, aber er ist mit der Essenz Eures Bruder durchdrungen, da er direkt von ihm zurück gelassen wurde, wenn auch unter Beeinflussung durch das Böse. Die reine Energie der Erde im Sand sollte ausreichen, um zumindest eine Verbindung zwischen Dagons Seele und seinem Körper herzustellen. Der Rest liegt dann an Eurem Bruder selber, ob er willens ist, zu erwachen oder nicht.“ Nihasa sah Kayleigh an. Diese erkannte den Wahrheitsgehalt in Latiras Worten. „Einen Versuch ist es zumindest wert.“ Auf ein Händeklatschen hin erschien Katheriné an der Tür: „Ihr habt verlangt Ehrwürdige Mutter?“ „Ja, mein Kind, sei so nett und bringe zusammen mit ein paar Schwestern meinen Bruder her in diese Kammer. Es gibt eine zweite Lagerstatt, wo ihr ihn aufbahren könnt. Ich bin sofort wieder zurück.“ Mit diesen Worten verschwand Kayleigh in Richtung ihrer Gemächer. Katheriné und zwei weitere Schwestern brachten den bewusstlosen Dagon in das Quartier und kurze Zeit später erschien auch Kayleigh wieder, in ihrer Hand einen kleinen Beutel. Die Schwestern zogen sich wieder zurück und überließen die drei Frauen sich selbst. Kayleigh öffnete den Beutel und streute den Inhalt auf ihre Handfläche. Dann blies sie den Sand über Dagons Körper. Der Sand verband sich mit den Kleidern des Bewusstlosen. „Nun heißt es warten. Keiner weiß, wie lange es dauern wird.“ Kaum hatte Kayleigh geendet, begann sich Dagon zu regen. In einem Hustenanfall und mit einem mürrisch hervorgebrachten: „Verdammter Sand...“ schlug er die Augen auf. „Wo bin ich? Was ist geschehen?“ Kayleigh half ihrem Bruder beim Aufsetzen und er sah sich um. Er erkannte seine Schwester, den Feueravatar und als sein Blick auf seine zweite Schwester, den Wasseravatar, fiel, verdunkelte sich sein Gesicht und er blickte beschämt nieder.


Anscheinend war die Kontrolle von Arebs doch nicht so große gewesen, wie der gedacht hatte und Dagon hatte mit ansehen müssen, was ES seiner Schwester angetan hatte. Nihasa legte ihm eine Hand auf die Schulter, mit der anderen umfasste sie sein Kinn und hob sein Gesicht nach oben. „Schatz, du bist an nichts Schuld. Ich sehe, du machst dir Sorgen wegen dieser einen Sache. Sei beruhigt, ich wusste, dass nicht du es warst, der mir diese Dinge angetan hatte. Auch war ich nicht bei Bewusstsein, sodass du dich nicht grämen musst.“ Mit diesen Worten drückte sie ihm einen Kuss auf die Stirn und strich ihm über die Wange. Ganz überzeugt schien Dagon jedoch nicht zu sein, aber er senkte den Blick nicht mehr. Den Blick Latira zuwendend, erkannte er den wahren Kern ihres Wesens und verbeugte sich. Latira wusste nicht, was sie tun sollte, doch Kayleigh bedeutete ihr, dass alles in Ordnung war. Dagon sah sich im Zimmer um, als schien er jemanden zu suchen, da kam die Erinnerung zurück: er, nein, nicht er sondern Arebs, hatte seinen Bruder getötet. Tränen füllten seine Augen. Wie ein kleines Kind wischte er sich mit dem Ärmel über die Augen und zog die Nase hoch. „Es tut mir Leid. Ich war zu schwach, mich zu wehren. Während des Gewusels im Krieg gelang es Arebs irgendwie, sich aus seiner Hülle zu lösen. Leider stand ich zu nahe bei ihm, sodass er in der Lage war, in mich hinein zu fahren. Ich war geschwächt, ausgelaugt wegen der stetigen Attacken und dann bin ich in einen tiefen Schlaf gefallen. Jahre später erwachte ich zum ersten Mal, doch es gelang ihm immer wieder, mich unter Kontrolle zu halten. Ich schäme mich so sehr.“ Dagon zog die Beine an den Körper und schlang seine Arme um die Knie. Kayleigh legte ihre Arme um ihn und tröstete ihn: „Das war doch nicht deine Schuld. Es hätte jedem von Uns so gehen können. Das wichtigste ist, dass du wieder du bist. Was Arebs angeht, nun ja, er hat seinen Körper wieder, damit auch seine ganze Macht. Dazu kommt die Macht, die er aus dem Blut unserer Kinder destillieren konnte. Durch Tyraels Tod sind wir geschwächt, aber wir können uns wehren. Auch wenn wir nicht gewinnen können, wir werden kämpfen. Doch jetzt ist es erst einmal wichtig, dass wir auch noch den Letzten in unserem Bunde wach bekommen. Ohne den letzten Nachfahren der Elfen sinken unsere Chancen, überhaupt etwas auszurichten, rapide gegen Null.“ Damit hatte Kayleigh das ausgesprochen, was Latira insgeheim schon längere Zeit befürchtet hatte. Nihasa zuckte unmerklich zusammen bei den Worten ihrer Schwester und auch Dagon erbebte. Stille breitete sich in dem Raum aus. Sie wurde unerträglich. Fast fühlbar. Die Stille kroch in Latiras Knochen, nahm ihr fast die Luft zum Atmen. „Ich muss mal hier raus.“ bemerkte sie nur kurz und war auch schon zur Tür hinaus getreten. Die drei Avatare schauten ihr nach. Kayleigh schloss die Augen und massierte sich mit zwei Fingern die Nasenflügel: „Ich denke, es wird langsam Zeit, ihr zu sagen, wer und was sie wirklich ist.“ Die anderen Beiden nickten stumm und erhoben sich, um gemeinsam mit Kayleigh der jungen Novizin nachzugehen.


Kapitel 10


Rückkehr


Valyns Miene blieb nahezu ausdruckslos während Ashos ihm alles, aber auch wirklich alles erzählte: Vom Anbeginn der Zeit, den Avataren, den Drachen, den Elfen, dem Krieg und was sonst geschehen war auf Cathalon. Stellenweise zeigte sich eine Frage auf seinem Gesicht, die er jedoch nicht stellte, da sie oftmals in den nächsten Sätzen erläutert wurden. Nach Stunden endete Ashos mit seinem Vortrag. Valyn schaute ihn weiterhin an, als würde er auf etwas warten. „Gibt es etwas, dass ich vergessen habe zu erwähnen?“ Ashos dachte kurz nach, kam aber zu keinem Ergebnis. Valyns Starre wich einer Bewegung und langsam kehrte wieder Leben in den jungen Mann. „In der Tat hast du etwas vergessen, alter Freund. Nämlich, den Punkt, warum ich hier sitze. Was ist mit Tyrael? Du meintest vor geraumer Zeit, ich könnte ihn wiedersehen...“ Ashos lächelte, Valyn hatte also den eigentlichen Sinn dieses Treffens nicht vergessen. Seine Erzählungen waren nicht nur informativer und geschichtlicher Natur, er wollte Valyn prüfen. Prüfen, ob er bereit war, das Erbe, dass ihm bevorstand, anzunehmen. Ashos holte tief Luft und sprach: „Richtig, mein Junge, das habe ich nicht erzählt. Aber auch, weil du bereits weißt, was zu tun ist. Höre in dich hinein und du erkennst die Antwort.“ Nach diesen Worten verblasste Ashos und Valyn blieb allein auf der Wiese zurück, auf der er die ganze Zeit gesessen hatte. Er legte seine Stirn n Falten. „Ich soll in mich hineinschauen? Ich kenne bereits die Antwort? Alter Mann, du sprichst in Rätseln. Aber da ich noch immer hier verweile, scheint meine Aufgabe und meine Suche noch nicht gelöst zu sein.“ Valyn lächelte, erhob sich und streckte seine Glieder. Er atmete tief ein und aus. Konzentrierte seine Gedanken. Dann schloss er seine Augen. Er rief sich ins Gedächtnis, was er wusste. Er stellte fest, er wusste vieles über Tyrael: er kannte seine wahre Natur, er kannte seinen Namen, er wusste um die Gefühle, die der Avatar für ihn hegte. Er wusste um seine Gefühle für diesen Jungen. Er wusste um die Aufgabe Tyraels, seinen Platz im Gefüge der Welt. Er kannte den Wind, den Sturm, den Orkan, die Brise, den Hauch, das laue Lüftchen. Das war alles war Tyrael. Er wusste, dass die Geräusche vom Wind getragen wurden. Wusste, dass Schiffe ohne Wind nicht fuhren, dass ein Feuer ohne Wind ausgehen würde, aber auch dass genügend Wind das Feuer zu verlöschen mochte. Er wusste ebenfalls, dass der Wind, Tyrael, den Sand bewegte und so die Gestalt der Erde stetig veränderte. Ohne Wind ab es keine neuen Wälder und Pflanzen, denn der Wind trug Pollen, Samen durch die Welt. Der Wind war der Atem der Welt. Der Atem der Lebewesen. SEIN Atem... Das Lächeln auf Valyns Lippen wurde größer. Das Wissen floss durch seine Adern. Uraltes Wissen. Wissen der Elfen. Vergangenes Wissen. Zukünftiges Wissen. Er griff an seinen Gürtel und fand seinen Dolch an Ort und Stelle. Er löste ihn aus der Scheide und ging in die Hocke. Er zeichnete ein paar Spuren in den Sand, der sich zu seinen Füßen befand. Vergessene Worte strömten in seine Gedanken, als er den Dolch säuberte, ihn an seinen Unterarm hielt und ihn sanft nach unten zog. Blut tropfte aus der Wunde. Blut, erfüllt mit der Macht der Elfen. Blut, erfüllt mit der Macht der Druiden. Blut, erfüllt mit Wissen um Tyrael. Blut, erfüllt mit der Liebe zu ihm. Langsam rannen die Worte auf seine Zunge und sein Mund formte die Laute. Der Zauber begann zu entstehen.


„Herrscher der Luft, erinnere dich.
GIBIL, Herrscher der Luft, erinnere dich.
GIRRA, Herrscher des Windes, erinnere dich.
Oh Herrscher des Windes, Kind der Zeit, Zerstörerischstes unter deinen Geschwister, ERWACHE!
Oh, Herrscher der Ruhe, Herrscher der Vernichtung, erinnere dich!
Erwache, oh Herrscher der Luft, GIBIL, erwache mit all deiner Macht und herrsche über deine Feinde!
Erwache, oh Herrscher des Windes, GIRRA, mit all deiner Kraft und vernichte diejenigen, die dir schaden wollen!
GIBIL GASHRU UMANA YANDURU
TUSHTE YESH SHIR ILLANI U MA YALKI!
GISHBAR IA ZI IA
IA ZI DINGIR GIRRA KANPA!
Erwache, oh Herrscher des tobenden Orkans!
Erwache, Kind der ersten Stunde.
Nicht ich allein beschwöre dich, die Welt ruft nach dir!
Blase dem Übel Sand in die Augen!
Schicke Blitz und Donner denen, die dich verraten haben!
Besiege sie, vernichte sie, lösche sie alle aus!
Nimm dir ihre Macht!
Raube ihnen ihre Existenz!
Erwache,
GISHBAR BA GIBBIL BA GIRRA ZI AGA KANPA!
Herrscher des Windes, du bist befreit aus der Vergessenheit!
KAKKAMMANUNU!“3

Er hatte es getan. Die Worte waren gesprochen. Macht floss durch ihn hindurch. Floss aus seiner Wunde. Tropfte mit dem Blut auf die magischen Symbole. Erweckten ihren Zauber. Erweckten Tyrael. Valyn öffnete die Augen und lächelte. Er sah sich direkt gegenüber von Tyrael hocken. Tyrael, die Liebe seines Lebens. Er war zurück. Zurückgekehrt dank der Macht uralter Zeiten und Wesen. Zurück, um bei ihm zu sein. Zurück, um im Kampf gegen das Böse ihnen beizustehen. Tyrael legte den Kopf schief und grinste ihn an. „Hat ja lange gedauert, bist du geschnallt hast, was zu tun ist, Rehlein!“ meinte er mit einem Lachen und breitete seine Arme aus. Valyn kippte vorn über und wurde von Tyrael aufgefangen. Haut traf Haut. Wärme traf auf Wärme. Blicke trafen sich. Tyrael legte seine Hand auf Valyns Gesicht und fuhr sanft die Rundungen nach. Valyn wurde mit einem Male schläfrig und konnte die Augen nicht mehr offen halten. „Schlafe, Rehlein. Schlafe. Wenn du erwachst werde ich da sein.“ Tyrael drückte einen Kuss auf Valyns Lippen und alles begann um ihn herum zu verblassen. Als Valyn schläfrig die Augen öffnete, fand er sich auf einem Bett liegend wieder. Der Raum war weiß gekalkt. Es roch nach Weihrauch und Kräutern. Er schüttelte den Rest Müdigkeit ab und setzte sich auf. Neben seinem Bett saß mit einem breiten Grinsen Tyrael. „Endlich wach, Rehlein?“ Valyn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er streckte die Hand aus und... traf auf einen Widerstand, einen warmen, realen Widerstand. Kein Trugbild also. „Du bist wirklich da und ich träume nicht mehr?!“ stellte er fragend fest. „Ja, Rehlein, du träumst nicht mehr. Und ich bin wirklich da. Dank dir. Du hast mich wieder neu erschaffen. Dank der Macht, die in deinen Adern schlummert. Dank der Macht der Elfen. Der Macht, die wir ihnen bei ihrer Schaffung gaben.“ Tyrael wuschelte sich durchs Haar und eine Haarsträhne löste sich aus seinem sorgfältig gebundenen Zopf. „Du siehst anders aus.“ bemerkte Valyn. In der Tat, der Tyrael, der ihm da gegenüber saß, sah nicht mehr aus, wie der junge Druide, den er kannte: sein Gesicht war etwas älter und kantiger geworden. Die kurzen Haare waren lang, zum Zopf gebunden und schlohweiß, aber nicht weiß vom Alter, denn Tyrael war alterlos. Sein Körper war muskulöser als bei ihrer letzten Begegnung. Er sah nicht mehr ganz so schlaksig aus.


Die auffallendste Veränderung waren aber sein Augen: kristallklar, umrundet von einer grün schimmernden Aura. Aber auch all diese Veränderung brachten keinen Wandel in Valyns Gefühlen für diesen Burschen. Eher wurden sie verstärkt. Tyrael fing wieder an zu grinsen: „Ja, das stimmt.“ Er steckte die lose Haarsträhne wieder zurück in den Zopf. „Du hast mich mit meinem eigentlichen Körper wieder erweckt. Wie ich in der Enklave aussah, war nur eines von vielen Aussehen, die ich im Laufe der Jahrhunderte angenommen hatte. Ich liebte es, mein Äußeres zu verändern. Aber ich denke, ich werde bei diesem Körper bleiben. Aber nun, raus den Federn. Es gibt da draußen vier Leute, die auf uns warten. Auch wenn sie vermutlich mich nicht erwarten werden.“ Er reichte Valyn eine Hand und zog ihn mit einer Kraft hoch, die man ihm auf den ersten Blick nicht zugetraut hätte. Als Valyn aufgestanden war, griff Tyrael nach hinten und zog sich die Kapuze, die an seinem Mantel befestigt war, über den Kopf. „Keine Fragen, Abmarsch, Rehlein!“ meinte er mit einem Lächeln, hielt Valyn aber kurz vor der Tür noch einmal auf und drehte ihn zu sich um. „Du weißt, dass ich das ernst gemeint hatte, was ich gesagt habe, oder?“ Valyn brauchte nicht zu überlegen, was Tyrael meinte. „Ja, das weiß ich, aber ich möchte es trotzdem noch einmal hören.“ Tyrael rollte dramatisch mit den Augen, dann kehrte sein Grinsen wieder und er sagte: „Valyn, ich liebe dich und nur dich. Unsterblich, wie meine Seele und Körper.“ Damit trat er einen Schritt vor und küsste Valyns Lippen. Der drohte in dem Kuss zu versinken, aber Tyrael unterbrach den Kuss wieder und deutete auf die Tür. „Spielverderber...“ zischte Valyn gespielt erbost, Tyrael jedoch zuckte nur mit den Schultern und grinste wieder einmal. Gemeinsam verließen sie das Zimmer und machten sich auf den Weg Richtung Inneres Heiligtum. Unterwegs begegneten sie vereinzelt Schwestern des Ordus. Doch eine schnell an die Lippen gelegte Hand brachte die Schwestern mit einem bestätigenden Nicken zum Schweigen. Sie wollten den Anderen doch nicht die Überraschung nehmen. Valyn musste lächelnd feststellen: Tyrael wird immer ein Kind bleiben


Kapitel 11

Geburt


Arebs bekam die Wiedergeburt des Luftavatars nicht mit, da er in seiner neuen Macht badete. Dass er die beiden Avatare hatte gehen lassen, war kein Problem. Er konnte sie jederzeit wiederfinden. Auch der Drachentempel bot keine Sicherheit mehr für sie. Bald würde die Welt sowieso nur ihm gehören, ihm ganz alleine. Und das ohne viel Gegenwehr: die Avatare waren nur noch drei, sie hatten im letzten Kampf ihre Armeen verloren. Die Druiden waren ein kleiner Haufen vom Baumliebhabern geworden, kampfesmüde und nicht gefährlich. Die Elfen waren ausgelöscht in den Wirren des Krieges. Den Beweis hielt Arebs in seiner rechten Klaue: der Dolch, getempert im Blute der Elfen, erfüllt von ihrer Macht. Was die Drachenhexen anging, die hilflos waren ohne ihre Drachen, welche aber auch im letzten Kampf nicht erschienen waren und sobald der Feueravatar verbannt worden war, waren sie komplett machtlos. Und die Menschen? Sie haben nicht einmal im letzten Kampf gekämpft, also werden die Avatare sie auch jetzt nicht zum Einsatz bringen. Magische Wesen waren so berechenbar. Arebs musste unwillkürlich grinsen, als er die Chancen für einen Sieg des Gegners evaluierte: es kam immer Null raus – es gab nur einen Sieger: IHN. Freudige Erregung machte sich in ihm breit. Entfachte ein Feuer in ihm. In diesem Moment wünschte er sich, er hätte die Wasserschlange doch nicht gehen lassen. Sie war so perfekt gewesen, als er sie genommen hatte: das vollkommene, perfekte weibliche Wesen. Es hatte sich wunderbar angefühlt, als er in sie eingedrungen war. Als er spürte, wie sein Gemächt sie ausfüllte. Als die Wollust seine Erregung steigerte und sein Gemächt noch größer anschwoll. Die Wogen, die ihn durchzuckten, als er seinen Höhepunkt hatte. Ob sie auch zum Höhepunkt gekommen war? Wahrscheinlich nicht, sie war ja immerhin bewusstlos gewesen. Aber das war ihm egal gewesen, es ging ihn um SEINEN Spaß. Und er hatte seinen Spaß gehabt, ganz wie er es ihr versprochen hatte. „Vielleicht, aber auch nur vielleicht, werde ich sie nicht verbannen. Vielleicht behalte ich sie. Mein persönliches Eigentum. Benutzbar, wann immer ich Lust habe. Wenn sie sich wehrt, umso besser. Dann macht es noch mehr Spaß.“ Arebs genoss die letzten Erinnerungen an Nihasas Körper und widmete sich wieder seinen Eroberungsplänen. Zuerst sollten die menschlichen Königreiche dran glauben, dann die Druidenenklave und den Drachentempel wollte er sich bis zum Schluss aufheben. 'Ob die Drachenhexen auch so perfekt sind?' kam ihm der Gedanke, aber er verwarf ihn wieder. Zumindest für den Moment. Wenn die Zeit reif wäre, könnte er sich immer noch genügend Frauen nehmen. Er könnte alle nehmen, wenn es nötig wäre. Er würde jede austesten, bis er die wirklich perfekte Frau gefunden hätte. Ob sie nun wollte oder nicht. Diese eine würde er behalten, den Rest vernichten. Erneut war in der Höhle ein kehliges Lachen zu hören, dieses Mal in heißer Erwartung des nächsten Aktes. Er hatte sich so sehr auf dieses Thema versteift, dass andere Gedanken etwas schwer fielen. Also machte er sich auf den Weg, das erste Königreich zu vernichten. Draußen regte sich kein Lüftchen, es war herrlich, diese Stille...


Latira ging in Richtung der Bäume, die sich in einem Seitenschiff des Tempels befanden. Hier hielt sie sich gerne auf, wenn sie zur Ruhe kommen und nachdenken wollte. Genau das brauchte sie jetzt: Ruhe. Die letzten Tage waren chaotisch. Hatten ihr Leben auf den Kopf gestellt. Latira lehnte an eine der vielen Drachenstatuen, die zwischen den Bäumen standen und schloss die Augen. Die erwartete Ruhe stellte sich jedoch nicht ein: eine Flut von Bildern und Emotionen drang auf sie ein, sobald sie ihre Augen geschlossen hatte. Bilder eines wahnsinnigen Mannes, der mit gezogenem Dolch auf sie los ging, Bilder einer Liebe, die sie noch nie erfahren hatte und vermutlich nie erfahren würde, sollte sie dem Pfad der Schwesternschaft folgen. Bilder eines gebrochenen Mannes. Bilder eines Mannes, der seinen letzten Funken auf Hoffnung begraben muss. Bilder eines qualvoll sterbenden Jungens. Bilder einer Frau, die sich unter einem anderen Mann windet, während sich dieser an ihr vergeht. Feuer, Rauch, Zerstörung. Hass, Liebe, Trauer, Wut, Einsamkeit. Alles strömt auf sie ein und lässt sie frösteln. Doch mit einem Male veränderten sich die Bilder in ihrem Kopf. Alles wurde in einen Strudel gezogen und eine Leere breitet sich aus. Ruhe stellt sich ein. Harmonie. Ein Gleichgewicht. Ein Funke flammte auf, eine Explosion erfolgte und vor Latiras geistigem Auge erschienen hunderte gespaltener Zungen, die nach Duftmarken züngeln. Schuppige Haut tausender Reptilien. Eisige Augen. Mal tiefschwarz. Dann wieder gelb und stechend. Peitschende Schwänze. Flügel, die verzweifelt schlagen. Riesige Schatten. Dann mischten sich Geräusche hin zu: Ein lautes Brüllen. Das Zischen der Zungen. Ein Rascheln der Schuppen. Das Schlagen der Flügel. Der Aufprall eines peitschenden Schwanzes auf Wasser. Feuer, immer wieder Feuer. Feuer aus weit geöffneten Schlünden. Feuer, welches auf anderes Feuer trifft und Fleisch verzehrt. Rauch, Qualm. Und immer wieder dazwischen ein lautes, animalisches Brüllen. Schweißgebadet öffnete Latira ihre Augen und sah die drei Avatare vor sich stehen. Sie sahen göttlich aus mit ihren strahlenden Auren. Eine Aura reinen Lichtes umgab jeden der Drei. Weisheit strahlte daraus hervor. Wissen. Macht. Uralte Legenden. Vergessene Zeiten. Zeiten des Krieges und des Kampfes. Zeitalter, älter als die Menschheit. Zeitalter, genauso alt, wie die Welt selbst. Langsam verblasste das Licht der drei Avatare wieder. Latira verstand, was man ihr gezeigt hatte. Sie hatte Drachen gesehen. Drachen, die Wesen, denen zu Ehren man diesen Tempel gebaut hatte. Drachen, wie sie einer war... Kayleigh nickte, als sie das Verständnis in Latiras Augen sah und fing an zu lächeln. Nihasa und Dagon nickten ebenfalls. Sie waren verstanden worden.


Der erste Schritt zur Metamorphose war getan worden. In Latiras Körper fing es zu brodeln. Ihr Blut fing an zu kochen, Sie spürte die Hitze des Feuers auf ihrer Haut. Spürte die Macht der Drachen in ihrem Inneren. Alles wurde mit einem Male klarer. Das Wissen der Jahrtausende durchzog sie wie ein Fluss ein tiefes Tal. Es war, als wäre ein Damm gebrochen: Latira erkannte die Wahrheit über sich. Diese Eindrücke waren dermaßen beeindruckend, dass sie sie auf keuchen ließen. Am Rande ihres Bewusstsein hörte sie eine Stimme. Eine Stimme, die vertraut war. Eine Stimme, die mit jedem Wort lauter wurde. Sie drehte sich um und vor ihr stand Valyn. Erwacht, munter und ohne sichtbare Schäden. Latira schrie auf, als sie ihn komplett registrierte und fiel ihm um den Hals. „Na hoppla, immer langsam mit den jungen Pferden.“ meinte Valyn lachend. „So lange war ich doch nicht fort.“ „Nicht lange fort?“ Latira schaute Valyn in die Augen. „Nicht lange fort? Du warst fast eine gesamte Woche im Reich der Träume gefangen. Aber es tut gut, dich wieder unter den Wachen zu sehen.“ meinte sie und löste ihre Umklammerung um Valyns Hals. Der war dankbar darüber, lächelte und trat einen Schritt zur Seite. Keiner der vier Anwesenden hatte bisher die andere Person bemerkt, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Langsam hob sie ihre Hände an die Kapuze, die tief in ihrem Gesicht hing und zog sie zurück. Jetzt war es an Kayleigh, die einen Schrei ausstieß und sich sofort die Hand vor den Mund hielt. Tränen füllten ihre Augen. Der junge Mann, der soeben seine Kapuze zurückgeschlagen hatte, lächelte und hielt ihr die Arme entgegen. Kayleigh brauchte einen Moment, um sich aus ihrer Starre zu lösen, dann rannte sie in seine Arme.


„Tyrael! Wie ist das möglich? Du bist... warst doch ausgelöscht worden? Der Wind ist mit dir gestorben. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Was hast du getan?“ Die Tränen rannen ohne Unterlass über ihr Gesicht. Sie hatte noch weitere Fragen, doch Tyrael wischte die Tränen aus ihrem Gesicht, legte ihr einen Finger auf die Lippen und brachte sie zum Schweigen. „Viele Fragen, wenig Antworten und noch weniger Zeit. Es muss reichen, wenn ihr erfahrt, dass Valyn sein Erbe angetreten hat. Nur so war es mir möglich zurückzukommen. Gebunden an den letzten Elfen. Gebunden an das einzige Wesen, dass es wahrlich wert ist, die Liebe eines Avatares zu erfahren. Gebunden an sein Blut.“ Valyn erkannte die Tragweite von Tyraels Worten und auch die anderen Vier erkannten ihren Sinn: sollte einer der beiden jemals vernichtet werden, so stirbt der andere ebenfalls. Kayleigh sog scharf die Luft ein, erwiderte aber nichts. Latira schloss kurz die Augen und Dagon und Nihasa senkten die Köpfe. Die Endgültigkeit in den Worten hallte durch das Seitenschiff. Hallte von den Wänden wider. Valyn legte einen Arm um Tyraels Hüfte und sprach: „Es war die einzige Möglichkeit, unsere Welt vor dem Untergang zu retten. Tyrael ist die Stimme der Zukunft. Ich bin die Stimme der Vergangenheit. Gemeinsam, und nur gemeinsam, kann das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.“ An Latira gewandt, sagte er: „Auch du besitzt das Wissen, um diese Welt zu retten. Ich spüre das Erwachen deines wahren Wesens. Ich frage dich hier und jetzt, an dieser Stelle, in den heiligen Hallen deiner Ahnen: Herrscherin des Feuers, Zerstörerin der Zeit, Lichtbringer4 in den dunkelsten Stunden einer sternenlosen Nacht. Bist du willens, an meiner Seite zu kämpfen?“ Die Worte drangen in Latiras Geist vor. Zeigten ihr eine Welt des Friedens und eine Welt des Chaos. Offerierten ihr die Möglichkeit, zu wählen. Die Wahl, zu kämpfen, zu siegen, eventuell zu verlieren und vernichtet zu werden. Die Wahl, zu fliehen, zu leben, bis die Welt im Chaos versank. Zeigten ihr die Möglichkeit, der Einsamkeit zu entfliehen. Gebannt warteten die Avatare und Valyn auf ihre Antwort. Langsam streckte Latira ihre Hand vor und lächelte. Valyn ergriff die Hand. „Damit ist es besiegelt.“ sprach Tyrael, „Der Kampf kann beginnen. Und damit die endgültige Vernichtung des Bösen.“ Alle nickten zustimmend und begaben sich zur Haupthalle des Tempels.


Derweil hatte Arebs begonnen, die Königreiche der Welt dem Erdboden gleich zu machen. Wie erwartet, gab es keinen Widerstand. Die Menschen fielen wie die Fliegen. Die Erde war getränkt mit dem Blute tausender Menschen. Menschen, die um ihr Überleben flehten. Menschen, die winselnd auf dem Boden vor ihm her krochen. Menschen, deren Knochen mit Leichtigkeit zu brechen waren. Männer, Kinder, Junge und Alte. Alle wurden von Arebs Macht hinfortgetragen. Die Frauen ließ er unangetastet, er wollte erst sein Vergnügen beim Töten ausleben. Soeben viel der letzte Mensch des Dorfes seinem brutalen Wesen zum Opfer. Zerquetscht in der Luft, den Körper grausam verzerrt, lag der König mit gebrochenen Augen auf der Erde. Pfeile hatten sich in die Erde gebohrt, als man versuchte ihn zu bekämpfen. Kein Leben regte sich mehr an dieser Stelle. Er wandte sich den Frauen zu, die in einem Gefängnis aus purem Schatten zusammen gekauert auf ihr Ende warteten. Einige versuchten es mit Beten, andere mit wütendem Geschrei gegen ihren Peiniger. Doch nichts half. Arebs kam auf das Schattengefängnis zu und mit einer Handbewegung öffnete es sich. Frau um Frau besah er sich genauestens, aber bei keiner erwachte die Wolllust in ihm. Frau um Frau starb in seinen Klauen. Entweder zerfetzte er ihnen die Kehlen, brach ihre Genicke oder andere Knochen. Zum Schluss blieb nur noch ein kleines Mädchen über. Es hatte seine Arme um ein Kuscheltier geschlungen und ein tränennasses Gesicht. Arebs fing an zu lächeln. Ein zahnloses Maul offenbarte Finsternis in ihrer reinsten Form, als er seine Hand hob und dem Mädchen mit einem Streich den Kopf abschlug. Dann verließ er diesen Ort. Das Kuscheltier blieb im Staub liegen. Es regte sich kein Lüftchen. Feuer brannte still vor sich her. Wasser tropfte aus dem neben dem Brunnen liegenden Eimer.


Kapitel 12

Leiden


Valyn verzog sein Gesicht und selbst den Avataren wurde übel bei den Bildern, die das Weissagungsbecken ihnen zeigten. Latira rannte raus und erbrach sich auf den Boden des Tempels. Schweigend stand eine Schwester neben ihr, reichte ihr ein Tuch um sich den Mund zu wischen. Dann wischte sie das Erbrochene weg und verschmolz wieder mit den Schatten der Umgebung. „Das ist widerlich!“ hörte sie Nihasa sprechen, noch immer würgend. Valyn nickte und auch Kayleigh musste sich setzen. Solche Gräueltaten gab es im letzten Krieg nicht. Dagon lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand. Einzigst Tyrael starrte mit leichter Faszination weiterhin auf die Bilder. Kayleigh bemerkte es und sprach ihn darauf an: „Was kann einen daran faszinieren, wie man schlachtend und lebensverachtend durch Welt zieht. Durch unsere Welt?“ Tyrael murmelte geistesabwesend: „Nicht die Tatsache, das es unsere Welt fasziniert mich, das ekelt mich an. Aber die Inbrunst, die Intensität seiner Attacken. Sie lässt mich an unsere Elfen denken. Auch sie haben so gekämpft. Wenn er so kämpft wie sie, besteht vielleicht die Möglichkeit, diese Macht gegen ihn zu verwenden.“ Dann versank er wieder in den Bildern der Brandschatzung und des Todes. Valyn starrte Tyrael ungläubig an, genau wie der Rest der Anwesenden. „Was meinst du? Die Elfen sind fort. Einzigst Valyn ist uns geblieben. Auch wenn er dir gehört...“ unterbrach Dagon die Stille und stieß sich von der Wand ab. Tyrael wandte sich vom Becken ab und blickte seine Freunde an.


Ein Hauch von Wahnsinn spiegelte sich in seinen kristallklaren Augen wider. „Ich weiß, unsere Kinder sind vergangen. Aber ihre Kampfeskunst, ihre Bewegungen, ihre Art des Kämpfens. All dies ist nun in Arebs vorhanden. Er hat die Macht aufgenommen. Sie zu seinem Eigen gemacht. Er verlässt sich darauf. Und... er weiß nicht, dass wir ebenfalls elfische Unterstützung haben.“ Sein Blick blieb auf Valyn haften. Liebe sprach nun aus seinen Augen. Eine Liebe, die Valyn einen Schauer über den Rücken jagte. Tyrael sah ihn nicht an wie ein Geliebter. Er sah in ihm gerade nur den Elfen. Das Kind der Avatare. Einen Elfen mit den gleichen Kampfkünsten wie die vergangenen Krieger. Wissen breitete sich auf seinem Gesicht aus, er verstand, worauf Tyrael hinaus wollte:
ER war in der Lage gegen Arebs anzutreten.
ER kannte sämtliche Tricks, die auch das Böse im Kampf anwenden würde.
ER war als Einziger Lage, Arebs abzulenken.
ER könnte es schaffen. Mit Latira an seiner Seite, einem Drachen, war es um einiges leichter. Tyrael nickte zustimmend, als die Erkenntnis bei Valyn einsetzte. Die anderen Avatare schauten der wortlosen Kommunikation der Beiden zu und konnten nur ansatzweise erahnen, was da gerade vor sich ging.


Kayleigh erhob sich und sprach: „Nun denn... Der letzte Kampf bricht an. Ich spüre das Böse sich nähren. Wir sollten unseren Plan in die Tat umsetzen. Hoffen wir, dass es dieses Mal reicht, um das Böse endgültig zu verbannen.“ Die Anwesenden nickten zustimmend und begaben sich auf ihre Positionen in der großen Halle. Tyrael nahm Latira und Valyn bei den Händen und verblasste mit ihnen. Niemand konnte sie entdecken. Dagon stellte sich in die nördliche Ecke des Raumes, Nihasa fand ihren Platz im Westen, während sich Kayleigh in die Mitte des Raumes kniete und anfing zu beten. Tyrael nahm seinen Standort im Osten des Raumes ein und Valyn und Latira warteten, ebenso unsichtbar wie der Luftavatar, beim Übergang des Seitenschiffs in das Mittelschiff, den Hauptraum des Tempels. Die Schwestern des Ordens hatten ebenfalls ihre Stellungen bezogen und verbargen sich in kreisförmiger Aufstellung um den Hauptraum in des Schatten. Jeder Anwesende konzentrierte sich auf seinen Part in der Strategie der Avatare. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und die ersten machtvollen Sprüche schwebten in der Luft, als mit einem ohrenbetäubenden Lärm das Haupttor des Tempels aufgesprengt wurde und eine hämische Stimme durch die Gänge hallte: „Jemand zu Hause? Ich bin gekommen, meinen Platz an der Spitze der Herrschaft einzufordern. Zeigt Euch endlich, ihr elementares Gewürm.“ Die letzten Worte spie Arebs voller Verachtung aus. Langsam kam die nebulöse Gestalt den Gang herauf geschritten. Das erste was Arebs erblickte war die kniende Kayleigh, die ihm den Rücken zugewandt hatte. Sie sprach mit fester Stimme: „Nun, bist du endlich in mein Heiligtum eingedrungen, Arebs? Ich hätte dir mehr Weitsicht zugetraut und gedacht, du forderst uns auf deinem Boden heraus. Aber jeder kann sich einmal irren. Es war eine grandiose Leistung von dir, dich als Dagon auszugeben und gemeinsam mit uns deinen Körper zu versiegeln. Aber es scheint, als hättest du ihn ja am Ende doch wiederbekommen.“ Ein leichtes Zittern ging durch sie hindurch, als sie Arebs direkt hinter sich spürte und Teile seines nebulösen Körpers sie streiften. Arebs fing an zu kichern, hob einen Fuß und trat Kayleigh mit solch einer Macht in der Rücken, dass sie in die südliche Ecke des Raumes schlitterte. Unerkannt wandte Tyrael seinen Kopf zur Seite. Latira hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien, denn Kayleigh blieb bewusstlos in der Ecke liegen. Valyn schloss kurz die Augen und blickte dann in Tyraels Richtung. Dessen Augen mahnten zur Ruhe und Zurückhaltung.


Valyn nickte und verharrte weiterhin im Seitenschiff, seinen Stab hinter seinem Rücken haltend. Arebs drehte sich einmal im Kreis und fand sich Dagon gegenüber, der noch immer in der nördlichen Ecke stand. „Du bist also auch aufgewacht. Und ich dachte, ich könnte mit deinem leblosen Körper kurzen Prozess machen...“ Er hob die Hand und ein Strahl tiefster Schatten entsprang seiner Handfläche und raste auf Dagon zu. Der wich keinen Millimeter zur Seite und wurde so von der gesamten Wucht des Schlages getroffen. Auch er sank zu Boden. Aus den Augenwinkeln sah Arebs wie Nihasa leicht zusammen zuckte. Arebs' Körper zuckte vor Erregung, als SEINE Wasserschlange wieder sah. „Du bist ja auch anwesend. Wie schön deinen makellosen Körper wiederzusehen. Aber unverhüllt gefällst du mir eindeutig besser!“ Blitzschnell stand Arebs vor Nihasa, drückte sie mit seinem Gewicht gegen die Wand und zerriss ihr das Gewand, welches sie trug. „So ist es hübsch, wehre dich. Kämpfe gegen mich, während ich dich nehme.“ Eine Nebelschwade löste sich aus Arebs Arm und strich über Nihasas Körper. Sie wand sich in seiner Umklammerung, konnte sich aber nicht befreien. Und sie wusste, sie musste es geschehen lassen, sollte ihr aller Plan gelingen. Ihre Gedanken waren leer. Sie spürte, wie Arebs sowohl physisch in sie eindrang als auch ihren Geist durchwühlte. Mit einem Aufschrei explodierte ihre gespeicherte Energie und schleuderte ihren Peiniger von sich. Überrascht von der Attacke und vollkommen überrumpelt, strauchelte Arebs etwas, fing sich aber sofort wieder.


„Das hättest du lieber nicht tun sollen.“ schrie er ihr voll Wahnsinn ins Gesicht, holte aus und schickte sie zu Boden. Latira hatte sich während der kurzen Momente in Valyns Arme geflüchtet und ihr Gesicht an seiner Schulter verborgen. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr: „Wie können die anderen Drei seelenruhig abwarten?“ Valyn strich ihr über den Rücken und sagte kein Wort, seine Miene war versteinert, seit Arebs Nihasas Gewand zerrissen hatte. Seine Finger krallten sich um seinen Stab, die Knöchel traten weiß hervor. Tyraels Magen zog sich zusammen, als er seine Schwester erneut leiden sah. Es wurde Zeit, die zweite Phase des Planes einzuleiten. Er schaute zu Valyn, der nickte mit noch immer eiserner Miene ihm zu. Tyrael schloss die Augen und materialisierte sich wieder. Dann rief er: „Hallo Arebs! Erstaunt mich zu sehen?“ Dessen Züge entgleisten und man konnte einen kurzen Moment Verwirrung auf seinem Gesicht sehen, als er sich umdrehte. Er brüllte ihm seine Wut entgegen: „Du Wurm lebst? Ich hatte dich vernichtet. Der Atem der Welt ist verstorben. Ausgelöscht. Verendet wie du! Welch üble Hexenkunst ist das?“


Arebs Wut nahm physische Formen an und traf Tyrael frontal. Sein Mantel wurde zerfetzt und sein Zopf löste sich auf. Seine Haare wehten im Wind, den Arebs Wut entfachte und Tyraels Augen wurden eiskalt. Sämtliches Leben, sämtliche Wärme erstarb von Wimpernschlag zu Wimpernschlag. Tyrael hob eine Hand und ein Strahl gleißenden Lichts drang aus seiner Handfläche, ähnlich dem Schatten, den Arebs Dagon entgegen geschleudert hatte. Das Licht traf Arebs in der Brust und drang durch ihn hindurch. Arebs fing an zu lachen: „Glaubst du wirklich, deine kümmerliche Kraft kann mir etwas antun?“ Doch weder Angst, Furcht noch Schock über den Fehlschlag des Angriffes zeigte sich auf dem Gesicht des Luftavatars. Er hob seine andere Hand und erweckte einen weiteren Strahl puren Lichts. Doch dieser zielte nicht auf Arebs, wie der mit Schrecken feststellen musste. In Windeseile hatte Tyrael seine Arme ausgebreitet und sandte das Licht auf seine am Boden liegenden Schwestern. Diese erhoben sich wieder und fingen an zu schweben. Arebs blickte sich gehetzt um, verstand nicht was geschehen war. Die Gesichter der Avatare blickten ihn an und er spürte Dagons Blick ebenfalls in seinem Rücken. Dahin der Lichtstrahl also. Er hatte nicht ihm gegolten. Plötzlich fingen vier Augenpaare an leuchten: Kayleighs Augen leuchteten blutrot, Nihasas strahlten mit einem intensiven Blau, Dagons Augen glühten gelb und Tyraels kristallklare Augen hatten sich in ein tiefes schwarz verwandelt. Wütend, weil er herein gelegt worden war, heulte Arebs auf. Er startete Attacken gegen die Avatare. Keine einzige kam durch. Seine Schatten wurden von einem gleißenden Licht zerfressen. Arebs brüllte unter Schmerzen. Langsam erhoben die Avatare ihren Stimmen und riefen eine vergangene Macht an.


Ilasa! tabaanu li-EI pereta, casaremanu upaahi cahisa dareji; das oado caosaji oresacore: das omaxa monasaÁi Baeouibe od emetajisa laiadix.
Zodacare od Zodameranu! Odo cicale Qaa. Zodoreje, lape zodiredo Noco Mada, hoathahe Saitan! 5

Die Beschwörung hatte begonnen, das war das dritte Zeichen. Das Zeichen für den Eingriff von Valyn und Latira. Mit einem Aufschrei zersprang der Schutzzauber um Valyn und er rannte auf Arebs zu. Der konnte nicht schnell genug reagieren und bekam den ersten Schlag von dessen Stab mit der gesamten Wucht zu spüren. Ein höllischer Schmerz durchzuckte den Schatten und er fing an zu Brüllen. „Was ist hier los?“ kreischte er entsetzt, „Warum spüre ich Schmerzen? Ich bin unbesiegbar, keine Waffe kann mir Schaden zufügen.“ Wütend schickte er eine Woge finsterster Schatten auf Valyn, doch der wich galant aus und brachte sich in Sicherheit. „Wie ist das möglich? Niemand kann meinem Schatten ausweichen. Niemand ist mir gewachsen.“ schrie Arebs und weitere Fetzen aus Schatten lösten sich und strömten auf Valyn ein. Der stand unbekümmert an seinem Platz. Plötzlich explodierten die Fetzen kurz vor ihm und vergingen in Rauch. Hitze breitete sich aus in dem Raum. Ließ die Luft flimmern und Valyns Gestalt verschwimmen. Mit lautem Gebrüll löste sich ein Schatten von Wand. Arebs erkannte es sofort: DRACHEN. „Drachen? Ich habe sie doch alle ausgerottet gehabt.“ schrie er in Panik dem Schatten entgegen, der sich Valyn näherte. Valyn sprang vom Boden ab und landete auf den Rücken eines regenbogenfarbenen Drachens. Der Drache reckte seinen Kopf in die Höhe und stieß ein lautes Gebrüll aus seinem Innersten hervor. Rauch quoll aus seinen Nüstern. Die Klauen des Drachens schabten über den Boden, ein heftiger Wind wurde entfacht, als der Drache anfing mit den Flügeln zu schlagen. Arebs starrte voller Entsetzen auf das Gespann, welches sich nun über seinem Kopf befand.


Kapitel 13

Ende eine Geißel


Valyn fand einen sicheren Stand auf Latiras Rücken. Er war etwas erstaunt über ihr Aussehen, musste sich aber auf den Kampf konzentrieren. Inmitten des Kampfgetümmels waren die Worte der Avatare zu hören:

Ilasa viviala pereta! Salamanu balata, das acaro odazodi busada, od belioraxa balita: das inusi caosaji lusadanu emoda: das ome od taliobe: darilapa iehe ilasa Mada Zodilodarepe. Zodacare od Zodameranu. Odo cicale Qaa: zodoreje, lape zodiredo Noco Mada, hoathahe Saitan! 6

Er lächelte. Die Beschwörung war beinahe vollständig. Nur noch wenige Augenblicke und der Zauber wurde sich auslösen. Er hörte Latiras Stimme in seinem Kopf: „Lass uns angreifen. ES scheint verwirrt zu sein. Wir sollten die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen.“ Valyn nickte zur Bestätigung und wob einen uralten Zauber:

Ilasa dial pereta! soba vaupaahe cahisa nanuba zodixalayo dodasihe od berinuta faxisa hubaro tasataxa yolasa: soba lad i Vonupehe o Uonupehe: aladonu dax ila od toatare! Zodacare od Zodameranu! Odo cicale Qaa! Zodoreje, lape zodiredo Noco Mada, hoathahe Saitan! 7

Eine Kugel aus Feuer formte sich in seiner Hand. Langsam sank sie herab in Richtung Boden. Latira blies ihren Odem dagegen und entfachte die Magie der Kugel: In wirren Wegen flog sie durch den Raum. Jedes mal, wenn sie Arebs traf, nahm das Feuer an Intensität zu. Arebs versuchte der Kugel auszuweichen, aber egal wo er stand, immer wieder traf sie ihn und entriss ihm einen Teil seiner Schatten. Plötzlich verharrte die Kugel über ihm. Er wusste, dass er ausweichen musste, konnte sich aber nicht bewegen. In diesem Moment sprachen die Avatare die letzten Zeilen des Zauber:


Ilasa micalazoda olapireta ialpereji beliore: das odo Busadire Oiad ouoaresa eaosago: easaremeji Laiada eranu berinutasa cafafame das ivemeda aqoso adoho Moz, od maoffasa. Bolape como belioreta pamebeta. Zodacare od Zodameranu! Odo eicale Qaa. Zodoreje, lape zodiredo Noco Mada, hoathahe Saitan! 8

Ein Knistern ging durch die Halle. Auf dem Boden fingen Linien, Kreise und andere magische Symbole an zu leuchten. Ein Licht, strahlender als die Sonne erhellte den Raum. Und verbrannte die letzten Schatten, die Arebs umgaben. In einem infernalen Aufbrüllen verblasste der letzte Fetzen der Macht der Elfen, die ihn umgeben hatte. Arebs fiel auf die Knie, einem Teil seiner Macht beraubt. „Glaubt Ihr wirklich, Ihr habt mich geschlagen?“ brachte er röchelnd hervor. Der Zauber hatte ihm eine Menge Schaden zugefügt, aber er war bei weitem noch nicht erledigt. Er hatte noch seine eigene Macht. Er konzentrierte seine Kraft und ließ sie frei. In einem Strudel chaotischer Energie explodierte die Macht Arebs'. Steinplatten lösten sich aus dem Boden und flogen wild wirbelnd umher. Kayleigh streckte ihre Hand aus und eine Platte, die auf sie zuraste, zerfiel zu Staub. Latira legte ihre Schwingen sowohl über ihr Gesicht, als auch Valyn. Dagons und Nihasas stoffliche Hülle verblasste und zeigte ihre elementare Gestalt. Die Brocken flogen durch sie hindurch. In Tyraels Hand erschien Schwert aus strahlendem Licht. Mühelos zerteilte er die auf ihn zufliegenden Stücke in einer wilden Drehung um die eigene Achse. Als die Energie sich wieder gelegt hatte, stand Arebs immer noch an der gleichen Stelle. Nur sein äußeres Erscheinungsbild war verändert. Blass wie eine Leiche stand er inmitten der Avatare. Auf seinem Rücken entfalteten sich Flügel. Ein irres Lachen drang aus seiner Kehle. „Erfahrt nun die wahre Macht der Dunkelheit. Und erlebt euren Untergang.“ Tyrael gab Valyn ein Zeichen und der löste den Zauber aus, der noch immer über Arebs' Kopf schwebte. Vollkommen überrumpelt wurde er von einer Feuersäule umfangen. Latira spie nun ebenfalls ihren heißen Odem auf die Kreatur in ihrer Mitte. Aus den Händen der Avatare schoss elementare Magie: Kayleigh schickte Schlangen aus reinem Feuer auf Arebs, Dagon ließ es Steine und Geröll regnen. Das Gestein schmolz, als es auf das Feuer traf. In dem Moment schickte Nihasa Schlangen aus Wasser auf das Ziel und kühlte die Masse wieder ab. Unter Zischen und begleitet von weißen Rauch entstand ein Gefängnis, dass mit jeder vergehenden Minute wuchs und an Stärke zunahm. Überrascht von der Intensität der Attacken und gehalten durch Valyns und Tyraels Magie war es Arebs nicht möglich sich zu wehren.


Er musste hilflos mit ansehen, wie langsam sein Körper begann sich in Glas zu verwandeln. Auch das Glasgefängnis um ihn herum wuchs stetig. Er versuchte eine verzweifelte Attacke, aber Tyrael war schneller und brannte ihm mit einem Lichtstrahl ein Loch in seine Hand. Arebs schrie wütend auf und versuchte einen weiteren Befreiungsversuch, doch die Stärke der Attacke seiner Gegner nahm stetig zu. Das Gefängnis war bereits bis zu seiner Hüfte gewachsen und sein Oberkörper hatte sich auch in Glas verwandelt. Eine Bewegung wurde immer unmöglicher. Der Atem wich aus seinem Laib. In einem letzten Aufschrei verwandelte sich der Rest seines Körpers ebenfalls in Glas und er erstarrte in seinem letzten Aufschrei. Das Glasgefängnis wuchs weiter und hüllte ihn komplett ein. Kayleigh nickte Valyn und Tyrael zu. Beide lösten ihre Bindungszauber auf. Valyn sprang von Latiras Rücken herab und kam auf die Statue zu. In Tyraels Hand materialisierte sich wieder seine Klinge aus purem Licht. In Valyns Hand entstand ebenfalls eine Klinge aus Licht. Gemeinsam holten die Beiden aus und zertrümmerten die Statue. Die letzten Reste aufsteigender Energie sog Latira ein und verbrannte sie in ihrem Innersten. „Es ist vollbracht...“ Mit diesen Worten kippten sowohl Valyn als auch Tyrael nach vorne. Kayleigh sank vor Erschöpfung zu Boden und rieb sich den Rücken. Arebs' Tritt schmerzte immer noch. Dagon stützte sich auf Nihasa, die noch immer ohne Kleidung war. Latira begann sich unter Schmerzen zu winden, nahm ihre menschliche Gestalt wieder an und fiel ebenfalls vorn über. Die Schwestern kamen aus den Schatten hervor und fingen an, die sechs Kämpfer zu umsorgen. Valyn, Latira und Tyrael wurden in umliegende Quartiere gebracht. Nihasa wurde eingekleidet, Dagon brachte man einen Stuhl und Kayleigh wurde von drei Schwestern gestützt und zu ihrem Thron gebracht. Es kehrte Ruhe ein. Jeder der Kämpfer versank in tiefen Schlummer.


Epilog


Valyn erwachte erholt und munter. Er setzte sich im Bett auf. Neben ihm lag Tyrael, noch immer in den Reichen der Träume wandernd, mit einem Lächeln auf den Lippen. Valyn fuhr ihm durch mittlerweile wieder kurzen Haare und hauchte einen Kuss in seinen Nacken. Er hatte sich gerade erhoben und zur Tür gehen, als ein schlaftrunkenes „Guten Morgen, Rehlein.“ erklang. Valyn drehte sich um und sah in kristallklare, wenn auch noch leicht schläfrige Augen. „Morgen, Engelchen. Ich muss mich auf den Weg zum Rat machen. Heute fällt die Entscheidung, was mit den letzten Überlebenden der Königreiche geschehen soll.“ Tyrael rieb sich den Schlaf aus den Augen und nickte. „Entscheide zum Wohle aller, mein Altvorderer.“ meinte er grinsend und sprang aus dem Bett. Valyn zog ihn in seine Arme und gab ihm einen Kuss. „Ich liebe dich, Tyrael.“ „Ich liebe dich auch, Rehlein.“ Valyn zog sich seinen Mantel über und schritt aus der Tür. Unterwegs zum Ratsgebäude begegnete er einigen Druiden, die sich vor ihm verbeugten. Er nickte ihnen zu und gebot ihnen, sich zu erheben. Der Kampf gegen das Böse war nun schon fast 9 Monde her, seine Berufung zum obersten Druiden beinahe 8 und immer noch hatten sich die Leute nicht dran gewöhnt, dass er dieses Gehabe nicht ausstehen konnte. Auf dem Boden sah er einen riesigen Schatten vorbeiziehen. Er blickte gen Himmel und erblickte Latira bei ihren Flugübungen. Mittlerweile konnte sie problemlos zwischen ihrer Drachenform und ihrem menschlichen Aussehen hin und her wechseln, der Hilfe Dagons sei Dank. Valyn musst lächeln: dass sich Dagon in Latira verlieben würde, war nicht ersichtlich gewesen. Aber warum sollte ihr die Liebe verwehrt bleiben? Er war ja immer auch mit einem Elementaravatar zusammen. Kayleigh war weiterhin die Ehrwürdige Mutter des Ordus Draconis, führte diesen aber zusammen mit Latira. Auch Nihasa hatte eine Aufgabe: sie saß ebenfalls im Rat der Druiden. Die schrecklichen Erlebnisse der Gefangenschaft und des letzten Kampfes hatte sie überwunden. Tyrael gab ihr den Tipp, ein paar Mal die Gestalt zu verändern. Mit jedem Wechsel des Äußeren verblassten Dinge der Vergangenheit. Und was Tyrael anging: der war immer noch das kleine verspielte Kind. Einen Platz im Rat hatte er abgelehnt. Er tollte lieber durch die Gegend und stellte irgendeinen Schabernack an. Alles in Allem war die Welt nach dem Ende des Bösen ein friedlicher Ort geworden.
Valyn hatte in der Zwischenzeit das Ratsgebäude erreicht, öffnete die Tür und trat in das Halbdunkel.


Die Ratte schreckte auf, als sich jemand im Dunkeln der Altarhöhle bewegte. Ihre Barthaare zitterten. Aus dem Schatten trat Katheriné mit einem diabolischem Grinsen auf den Lippen. Ihre Augen färbten sich schwarz. Ein Fetzen Schattennebel drang aus ihrer Hand und zerquetschte die Ratte...

Impressum

Texte: Sämtliche in dem Buch vorkommenden Grafiken sind Eigentum des Autor.
Tag der Veröffentlichung: 13.09.2011

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Widmung:
Dieses Buch ist meinen lieben Freunden gewidmet, die mich dazu ermutig haben, mir Anregungen verschafften und auch meine Lektoren waren.

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