Sieht man am Stadtplan nach, findet man die Holzhausergasse an der Peripherie, vom Stadtkern weit genug entfernt und somit von gesichtslosen Häuserschluchten, doch nahe genug zur Schnellbahnstation, die es ermöglicht, bequem nach dreißig Minuten Fahrzeit in der City aussteigen zu können. Die Gasse ist nicht allzu kurz und auch nicht zu lang, dass sie ein Passant, der zufällig dort eingebogen ist, nicht mit einem Blick überschauen könnte. Zwölf Wohnhäuser links und zwölf rechts, keines mehr als drei Stockwerke hoch, und in den Hinterhöfen grünt und blüht es. Glück und Zufriedenheit hätten in dieser ländlichen Idylle vorherrschen müssen, wenn nicht, ja wenn es nicht doch den Wurm gegeben hätte, der oft in vielen guten Sachen drinnen steckt.
In diesem Fall war der Mittelpunkt der Ereignisse, die sich dort abgespielt hatten, das Haus Nummer Neun, zwei Stockwerke hoch, nach hinten mit einem hübschen Garten ausgestattet. Holztisch und drei Bänke fehlten gleichfalls nicht. Die einzige ebenerdige Wohnung hatte sogar einen direkten Zugang zum Hof, was ihr beinahe das Ansehen eines herrschaftlichen Anwesens mit grünem Rasen vor einer Terrassentür gab. Die Zufriedenheit der Hausbewohner hätte nicht besser sein können, wenn sie nicht durch die Anwesenheit eines Hausdrachen arg in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Die alte Hofbrunner, geboren, aufgewachsen, verheiratet und schlussendlich verwitwet auf Nummer Neun war die Historikerin, die sämtliche Lebensgeschichten über sämtliche Bewohner der Gasse und insbesondere ihres Wohnhauses kannte, die Spionin, die ständig am Fenster oder hinter der Wohnungstür lauerte, um jede Person, die da auftauchte, scharf ins Visier zu nehmen, sich sogleich zu erkundigen, wer zu wem und warum wollte, deren Argusaugen einfach nichts entging, weder die Bananenschale, die neben statt im Müllkübel lag, die Rollschuhe, die die „Bankerten“ vom ersten Stock einfach neben dem Stiegenaufgang liegen hatten lassen und andere Nachlässigkeiten, die unsereins nicht einmal ignorieren würde. Sie war, um es auf einen Nenner zu bringen, äußerst unbeliebt. Selbst mit den zwei Arbeitern der Firma, die den morschen Kastanienbaum im Hof zerschnitten und abtransportierten, hatte sie sich angelegt.
„Macht’s mir keinen Dreck im Hausflur. Das trag ich alles mit den Schuhen in die Wohnung!“
Die Antwort der Arbeiter ist nicht überliefert, ihre Mienen bezeugten aber keineswegs den Respekt, den Jüngere für Ältere empfinden sollten.
Die Maria Hofbrunner war also der scharfe Hofhund. Sie hatte Haare auf den Zähnen und wäre sie nicht verwitwet gewesen, hätte man sie auch als Xanthippe bezeichnet.
„Das Weib bring ich noch einmal um, oder sie mich ins Grab“, ächzte Walter Hinterer, Mieter im zweiten Stock, als sie ihn eines Nachmittags abfing, wieder einmal und sich über seinen Sohn Peter beschwerte.
„Sagen’s dem Buben doch, er soll die Musik nicht so laut aufdrehen. Bis in mein Schlafzimmer hör‘ ich sie, bis dorthin.“
Sein Vater versprach zwar zu ermahnen, doch der aufmüpfige Knabe wollte den Tadel nicht so weiters auf sich sitzen lassen. Papierschnitzel, Orangenschalen und als Höhepunkt Schmierseife unter der Türmatte waren die Revanche. Bitte, die Hofbrunner konnte zwar nicht beweisen, dass es wirklich der Peter war, aber wer hätte die Idee mit der Schmierseife sonst haben können? Die anderen Kinder im Haus waren jünger, meist noch im Vorschulalter. Die quengelten oder jammerten in der Nacht, wenn die ersten Zähnchen kamen wie bei dem kleinen Mirko von nebenan. Auch so eine Familie, Zugereiste aus dem Osten. Man soll über die Leute nichts Schlechtes sagen, aber ...
„Herr Markovich, wenn in der Nacht Ihre Freunde nach Hause gehen, dann sperren ’s gefälligst das Haustor hinter ihnen zu, ja?“
Dann kam die neue Mieterin, zog in die ebenerdige Wohnung mit der Gartentür zum Hof ein, eine stille, unauffällige blonde Frau. Was die für einen Beruf hat und wie alt die wohl sein kann, dachte die Hofbrunnerin. Eine Blumen- und Pflanzenfreundin war sie gewiss, denn sie ließ die Reste des Baumstamms und die Wurzeln ausgraben, herausschneiden, so genau konnte es der Hausdrachen nicht formulieren.
„Werden’s wohl einen Baum einsetzen, Frau, Frau ...“
Neugierig war sie keinesfalls, sie wollte nur genau informiert sein.
„Ja, ich werde einen Baum pflanzen, vielleicht eine Buche, eine Espe. Was meinen Sie?“
Die Bewahrerin von Recht und Ordnung fühlte sich geschmeichelt, als sie um Rat gefragt wurde.
„Also, ich weiß nicht. Vorher ist hier ein Kastanienbaum gestanden.“
„Auch nicht schlecht. Ein Kastanienbaum ist genügsam. Wenn er anfangs gut gedüngt wird, wächst er wie von selbst.“
„Ja, nehmen ’s einen Kastanienbaum. Übrigens, ich bin die Frau Hofbrunner vom ersten Stock.“
„Angenehm, mein Name ist Bauer, Gerda Bauer.“
Die blonde Frau nickte, ihre grauen Augen betrachteten prüfend ihr Gegenüber. Merkwürdige Augen, grau wie bei einem Steinadler, aber die Hofbrunnerin wusste nicht, ob Steinadler wirklich graue Augen haben. Sie blickten eben scharf, richtig scharf.
„Gefällt ’s Ihnen in dem Haus, Frau Bauer?“
„Warum?“
„Ich mein nur. Manchmal sind die Leut‘ richtig unverschämt, laut und rücksichtslos wie der Peter Hinterer vom zweiten Stock, ein richtiger Fratz.“
„Mich stört der Lärm nicht. Ich bin Steuerberaterin und arbeite auswärts.“
Aha, jetzt war einiges geklärt und der weibliche Fast-Polizeispitzel aus Metternichs Zeiten zufrieden, vorläufig zumindest.
„Warum graben ’s denn so ein tiefes Loch für den Baum?“
Die Konversation drohte zu versiegen und musste belebt werden.
„Viel lockere Erde, gut mit Dünger vermengt, gibt den Wurzeln Kraft. So gedeiht der Baum.“
„Sie sollten Gärtnerin sein, bei dem Fachwissen!“
Gerda Bauer lächelte dünn.
„Es wird noch einige Tage dauern, bis die Baumschule liefert. Ich werde zwar ein Drahtgitter über das Loch legen, aber kommen Sie dem Ganzen nicht zu nahe. Sie wollen doch nicht in die Grube fallen.“
Das wollte die neugierige Frau Hofbrunner nicht, und sie versprach hoch und heilig, sich der Stätte gärtnerischer Umgestaltung erst zu nähern, wenn der Baum fest verankert in der Erde stand.
Die Tage wurden etwas kürzer und das Scharmützel mit dem Peter Hinterer ging weiter. Der Rotzbub hatte seine Schulfreunde eingeladen, als der Vater bei der Arbeit war, und dann war es dementsprechend laut in der Wohnung und am Gang zugegangen.
„Werdet ihr aufhören, solchen Lärm zu machen, als ob das Haus zusammenfällt. Ich werd‘ mich bei der Verwaltung beschweren und bei deinem Vater!“
Diese Drohung fruchtete nicht viel. Alte Schreckschraube und andere ungebührliche Bemerkungen musste sie sich anhören. Aufgebracht zog sie sich in ihre Wohnung zurück, ohne nicht kritisch zu vermerken, dass der Kinderwagen der Familie Markovich vorschriftswidrig am Gang stand.
„Nicht einmal einen Platz zum Vorbeigehen hat man!“
Auch das würde sie in der Verwaltung melden. Dann schaltete sie den Fernseher ein, wollte sich ablenken lassen von der täglichen Mühsal in dieser Welt. Die Nachrichten waren uninteressant, eine Vermisstenanzeige wurde eingeblendet. Irgendwie hatte sie das Gefühl, die Frau auf dem Bildschirm schon einmal gesehen zu haben.
Wie die Spinne im Netz, die auf Beute lauerte, stand die Hofbrunnerin in der Dämmerung beim Fenster und wartete, ob sie etwas beobachten konnte, das wert war, verfolgt zu werden. Bei den Markovichs nebenan war es schon wieder laut. Die Nachbarn feierten mit Freunden. Durch die Wand konnte man es hören. Da musste der Mann gut verdienen, dass sie es sich leisten konnten, solche rauschenden Feste zu veranstalten. Und rücksichtslos waren sie auch, hinderten durch den Lärm eine alte Frau am Einschlafen. Sie setzte sich vor den Fernseher, drehte den Ton aber nicht laut auf, um nicht zu überhören, wenn die von nebenan endlich Schluss machten. Schließlich wurde daneben die Türe aufgesperrt, Leute traten auf den Gang, lachten. Unverschämt! Das Haustor wurde geöffnet,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Copyright© 2014 Christine Figueiredo
Bildmaterialien: Copyright© 2014 Christine Figueiredo
Tag der Veröffentlichung: 29.03.2014
ISBN: 978-3-7309-9619-5
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Widmung:
Rache süß-sauer