Cover

Prolog

"Vor über 14 Milliarden Jahren tobte ein Krieg auf dieser und jeder anderen bekannten Welt. Niemand weiß genau wie er begann oder warum er geführt wurde, aber jeder weiß wie er endete. Mit einem Knall, wobei dieser Begriff ein klein wenig untertrieben ist. Es war eine absolut alles verändernde Explosion, die nicht nur den Raum sondern auch die Zeit vollkommen verzerrte und erschütterte. Fast nichts überlebte diesen Knall. Doch da war einer der Soldaten, einer der Krieger, der in diesem Krieg kämpfte. Er war noch da und er suchte. Er suchte seine Geliebte, mit der er seit Äonen von Jahren vereint war.

 

Fast 10 Milliarden Jahre verbrachte dieser einsame Krieger auf der Suche. Er watete durch die Trümmer des Krieges, doch fand er überall nur Tod und Zerstörung. Bis er zu einem kleinen Leuchten am Rande des Schlachtfeldes kam. Da lag sie, seine Geliebte. Schon aus der Ferne sah er es: In ihr war kein Leben mehr. Er brach über sie zusammen und er weinte. Oh, er weinte so sehr. Über anderthalb Milliarden Jahre lang umarmte er seine Geliebte und weinte. Dann erst löste er sich von ihr. Er stieg auf und gab ihr sein letztes Versprechen: „Ich werde auf ewig bei dir bleiben.“

Kurz darauf ließ er los, den Schmerz, sein Leben. Seine Gestalt erkaltete und versteinerte.

Was er selbst nie mitbekommen sollte war was danach geschah. Seine Tränen durchfluten sie, ihre Täler, ihre Tiefen, ihren Himmel. Gefüllt mit seinem Leben schenkten sie ihr ein Zweites. Ihr Innerstes begann wieder zu pulsieren, zu leben. Sie erwachte zu neuen Leben und auf ihr? In den Tränenmeeren? Dort erwachte ebenfalls neues Leben, ihre Kinder“, er unterbricht sich, „und so leben wir, in der warmen Umarmung unserer geliebten Mutter und unter dem steinernen Blick unseres geliebten Vaters. Wir danken ihm bis heute für seine Tränen die uns Leben, Kraft und die Magie schenkten."

 

Die Lichter im Saal gehen an.

"Dies, meine Damen und Herren, war ein Auszug aus dem Buche Terra. Es beschreibt die Schöpfung unseres Universums und die Wiedergeburt unserer Welt. Doch das für uns entscheidende ist der letzte Teil. Was genau sagt er aus?", fragt der Tutor an seine Klasse.

Über die Hälfte der Arme geht in die Höhe. Kein Wunder, jeder dieser angehenden Magier kennt den Satz.

„Wasser bedeutet Macht!"

„Korrekt!", lobt er seinen Schüler. „Aus dem Wasser heraus ziehen wir unsere Kraft. Deswegen befindet sich jeder Zirkel und jede Ausbildungsstätte in der Nähe eines unserer Meere. Aber nicht nur aus unserer Umgebung heraus können wir Macht ziehen, sondern auch aus unserem Inneren. Denn auch wir bestehen aus diesem Wasser, aber unsere Reserven sind begrenzt. Würdet ihr eure gesamte Macht entfesseln, dann würdet ihr als ausgedörrte Leiche enden. Deswegen hat es oberste Priorität, so viel möglich zu trinken während des Trainings. Mindestens 15 Liter pro Tag! Doch ein Kampfmagier kann es sich nicht erlauben mal eben eine Trinkpause im Gefecht zu veranstalten, dafür gibt es die Injektionskanülen.

Mit denen werdet ihr euch morgen befassen. Ich denke für heute haben wir genug durch genommen. Ich wünsche euch allen einen schönen Rest-Tag und hoffe euch hat euer erster Tag hier gefallen oder zumindest, dass wir euch nicht zu viel Angst eingejagt haben."

Die Klasse lacht, während eine junge Magierin eilig ihre Sachen zusammen packt. Sie hat noch ein wichtiges Treffen mit ihrer neuen Freundin.

 

Es ist bereits später Abend als die letzten Trainingseinheiten in Varus, einer Ausbildungsstätte für Wächter, enden. Junge Frauen und Männer zwischen siebzehn und fünfundzwanzig kommen an diesen Ort, die sich dazu bereit erklärt haben die Menschheit zu schützen. Früher waren die Wächter noch eine militärische Einheit. Doch seit Jahrzehnten herrscht überwiegend Frieden auf der Welt und so haben sich die Wächter zu einer Einheit für Sonderfälle und Präzisionseinsätze entwickelt. Zwei Mädchen unterhalten sich. Die eine ist eine angehende Kampfmagierin, die heute ihren ersten Tag hatte. Das andere Mädchen wiederum befindet sich in ihrem 2ten Jahr für die Schützenausbildung. Beide sind sich bereits früher begegnet und wollen sich nun näher kennen lernen.

Und so erzählt die Schützin ihr, dass sie entgegen dem Willen ihrer Mutter, dieser nicht in die Nachtwache folgen möchte. Denn auch wenn sie ihre Mutter liebt, so möchte sie doch niemanden diese Ungewissheit antun. Die Ungewissheit, die sie und ihr Vater jeden Abend ertragen mussten, wenn ihre Mutter wieder auf Streife ging. Was sie stattdessen machen möchte? Darauf zuckt sie nur ratlos mit den Schultern. Um die Stimmung ein wenig zu heben erzählt die junge Magierin etwas über sich, über ihre Familie.

„Mein Vater ist ein richtiger Schussel. Letztens hat er wieder einmal eine der uralten Relikte meiner Mutter geschrotet. Wie so oft hat er seine Nase zu tief in ein Buch gesteckt und es dabei übersehen. Mum hat ihn daraufhin rund gemacht.“

Sie äfft ihre Mutter nach: „Das gibt’s doch nicht Samarus. Wie zum Teufel kannst du einen fast zwei Meter großen Spiegel übersehen, der dazu auch noch am RAND“, sie fuchtelt wütend mit den Händen, „eines zwanzig Meter breiten Raumes steht? Wie kann man da denn ausversehen gegen laufen? Du…"

„Moment mal", unterbricht die Schützin sie. „Du heißt mit Nachnamen Dev?"

„Mhm?"

„Und dein Vater mit Vornamen Samarus? Samarus Dev? Dein Vater ist DER Samarus Dev?"

„Ähm ja, das ist er", gibt sie verlegen zu.

"Wow, einer der Helden der Drachenkriege ist den Vater? Der Herr des Tods, Träger des Seelenfängers und Schlächter von hunderten dieser Bestien! Erst soll er sie in Qual und Leid gehüllt haben, um sie dann mit seiner Teufelsmagie in Stücke zu reißen oder ihnen das Fleisch von der Haut zu brennen und diejenigen die noch halbwegs intakt waren hat er einfach wiedergeholt und sie gegen ihre eigenen Kameraden geschickt…"

„Sarina, hör auf!", wutentbrannt springt die Magierin auf.

"Was ist denn?", fragt die Schützin verwundert.

Langsam dreht sich das junge Mädchen zu ihr um. Tränen stehen ihr in den Augen. „Du weißt doch gar nicht wie es war…"

„Aber?"

„...seine Freunde abzuschlachten, ihre Körper zu schänden und sie gegen ihre eigenen Brüdern und Schwestern zu hetzen."

Verwirrt starrt sie die Magierin an. „Seine Freunde? Ich versteh nicht?"

Die Magierin schüttelt langsam ihren Kopf. „Du hast keine Ahnung was damals wirklich geschehen ist, oder?“

Einen Moment lang wird es still.

„Nun gut. Ich erzähl dir, was auch mein Vater mir erzählte. Also was weißt du über Drachen? Außer was mit dem Krieg zu tun hatte?“, beginnt sie.

Sarina überlegt. „Nun ja, es sind Kaltblüter und im Gegensatz zu uns nutzen sie als Quelle ihrer Kraft Feuer anstatt Wasser. Jeder von ihnen ist magiebegabt, auch wenn die meisten diese Gabe nur nutzen um Feuer zu speien. Ach und sie werden tausende von Jahren alt.“

„Das ist schon ganz gut, aber sie werden Millionen von Jahren alt. Also, die Drachen gelten als Kinder der Erde, genau wie es die Echsen damals waren. Im Gegensatz zu ihnen, konnten sie Magie nutzen und haben sich weiterentwickelt. Sie sind in die Lüfte gestiegen und konnten so auch den Meteor überleben, der die restlichen Echsen vor Millionen von Jahren ausgelöscht hatte. Durch ihre enorme Langlebigkeit waren die meisten der Drachen Einsiedler. Sie interessierten sich nicht großartig für andere Wesen. Kein Wunder, sie waren sowieso allen überlegen.

Dann kamen wir Menschen. Wir entwickelten uns rasant und waren die erste andere Rasse nach den Drachen, die in der Lage war Magie zu nutzen. Wir erschufen sogar neue Rassen. Darunter waren Naturgeister, Engel, Dämonen und sogar Götter. Alles Wesen die durch unseren Glauben oder durch unseren Willen in diese Welt geboren wurden. Den alten Drachen, diejenige die bereits hunderttausende von Jahren hinter sich hatten, waren wir aber weiterhin egal. Doch die Jungen“, sie stockt. „Nun, wir breiteten uns rasant aus. Nahmen uns ihr Land, ihre Berge und ihre Beute. Schnell waren wir das Ziel ihrer Wut und sie begannen die Menschheit zu jagen. Das war vor knapp fünftausend Jahren und es war auch der Ursprung der Angst vor den Drachen. Sie löschten tausende von Dörfer aus und verbreiteten Angst und Schrecken über tausende von Jahren.

Das ging solange weiter bis es den Alten genug war. Genauer gesagt es war dem Drachen Leviatan genug. Er war mit Abstand der mächtigste von ihnen und über drei Millionen Jahren alt. Angeblich spie er keine Feuermagie oder Lava, wie es die mächtigsten Drachen taten. Nein, wenn er sein Maul aufriss spie er Untergang. Der Himmel selbst wurde zertrümmert und alles da drunter wurde bis auf Atomebene zermalmt. Ja, er war definitiv der Mächtigste unter ihnen und nach hunderttausenden von Jahren bemerkte er zum ersten Mal die Menschheit.

Er erkannte unsere magische Begabung und sah in uns das warmblütige Gegenstück zu den Drachen. Daraufhin erhebte er sich und schmetterte jeden Drachen nieder der sich ihm in den Weg stellte. Als ihn alle als Herrscher akzeptierten, ernannte er sich zum Himmelskaiser und schuf das erste Reich der Drachen nach dem Vorbild von uns Menschen. Leviatan akzeptierte damit unsere menschlichen Reiche und erschuf auch Gesetze die die Drachen mit uns Menschen gleichstellten. Das war vor knapp zweitausend Jahren.

Kommen wir nun weiter in unsere Zeit zurück oder genauer gesagt vor knapp fünfhundertdreißig Jahren. Die Drachen waren inzwischen eine ferne und unbekannte Rasse für die meisten der Menschen. Sie zeigten sich uns ganz selten und wenn woben sie sich in Magie ein und wanderten unerkannt unter uns als Menschen. Doch man konnte eins nicht von der Hand weisen, die Angst die über tausende von Jahren und unzähligen von Generationen aufgebaut wurde, verwandelte sich mehr und mehr in Abscheu, Überheblichkeit und Arroganz gegenüber den Drachen. Insbesondere weil kaum einer die wahre Macht der Drachen kannte. Das war die Zeit in der mein Vater geboren wurde.

Mein Großvater und seine bissige Mähre von Frau, wie er sie gerne nannte“, sie zwinkert. „Natürlich nicht in ihrer Gegenwart, hatten beide zusammen einen Schmiedebetrieb. Sonst waren da neben meinem Vater noch sein knapp zehn Jahre älterer Bruder und seine Schwester die nur knapp ein Jahr älter war als er. Damit war er das dritte und letzte Kind seiner Eltern. Dadurch, dass sein älterer Bruder dem Schmiedehandwerk seines Vaters nachging, hatte er alle Zeit der Welt um seinen Gedanken und Interessen zu verfolgen. So verbrachte er teilweise Tage in der örtlichen Bibliothek. Angeblich wegen den Büchern, aber ganz ehrlich? So wie er von der Tochter des Bibliothekars geredet hat, hatte er da wohl noch andere Gründe“, gibt sie kopfschüttelnd zu.

„Nun gut, auf jeden Fall wurde er schnell besser und bereits mit siebzehn konnte er es mit jedem Hexenmeister oder Magier in der Region aufnehmen. So haben sich seine Eltern dazu entschlossen einen Großteil ihres Geldes zu sammeln und ihn zur Ausbildung in den Zirkel der Magi der damaligen Hauptstadt Steinhafen zu schicken.“

„Steinhafen, das war in der Wüste Sari oder?“, unterbricht Sarina sie.

„Ja, aber damals war es noch keine Wüste. Ganz im Gegenteil. Wie der Name schon sagt, war es eine fruchtbare Region direkt an einem Arm des Südmeeres. Die Stadt war durch den Handel enorm gewachsen und hatte fast dreißig Millionen Einwohner. Kaum zu Glauben oder? Wenn man sich die Region jetzt nach dem Krieg einmal ansieht. Das Meer verdampft, die Felder sind zu Glas geschmolzen, die Stadt eine einzige Ruine und die Menschen?“, sie schüttelt sich. „Nun gut, auf jeden Fall ging mein Vater dann mit knapp zwanzig in die Stadt und in den Zirkel der Magi. Dort begegnete er ihr. Sie war eine der Hohemagier des Zirkels und bildete unter anderem die Novizen im Bereich der Elementarmagie aus und natürlich verknallte er sich in sie.“

„Igitt“, die junge Schützin verzieht angewidert das Gesicht.

Lachend erwidert die Magierin: „Nein. Sie war nicht wie unsere Ausbilder. Auch wenn sie bereits Hohemagierin war, so sah sie vielleicht aus wie Mitte zwanzig.“

„Oh, ach so. Man ich dacht gerade an die alte Hexe die wir bei Heilkunde hatten. Glaube die war locker hundertzwanzig Jahre alt und sah auch so aus“, feixt sie.

Nach kurzem Gelächter fährt die Magierin fort: „Also eine Hexe war sie vielleicht auch. Mein Vater fand sie anfangs ziemlich kalt und arrogant, aber das konnte sie sich auch erlauben. In ihrem Bereich war sie die mächtigste Hohemagierin des Reiches. Mein Vater dagegen war damals nur ein Novize. Er war zwar einer ihrer besten Studenten und den anderen Novizen weit Voraus, doch gegen sie war er chancenlos und sie nahm ihn nicht wirklich für Voll. Das war bis zu ihrem Duell.

Diese Trainingsduelle wurden in den Kampfdisziplinen einmal im Jahr auf dem Dach des Zirkels durchgeführt. Student gegen Meister. Mein Vater gegen sie.

 

Immer weiter und weiter erzählt die junge Magierin über diese schicksalhaften Ereignisse damals vor hunderten von Jahren…

Duell

„Na, bist du bereit mein Kätzchen? Heut zeig ich dir was ich wirklich drauf habe“, witzelt er.

„Nenn mich gefälligst nicht so!“, zischt sie zurück. „Ich bin deine Lehrmeisterin“, belehrt sie ihn ein weiteres Mal.

Dabei versucht sie eines ihrer widerspenstigen langen braunen Haare zu befestigen. Ein Unterfangen, was bei diesem starken Wind kaum möglich ist. Sie befinden sich knapp zweihundert Fuß weit über der Erde und hier pfeift der Wind ohne Unterlass. Auch die anwesenden Novizen haben Probleme mit ihren Roben. Bis auf Samarus. Er trägt heute ausnahmsweise eine braune Tunika.

Mit Absicht? Vermutlich. Er wirkt mit seiner zerknitterten Robe und dem Drei-Tage-Bart immer so als würde er sich nie Gedanken machen, aber sobald man ihn einmal beim Zaubern erlebt hat … er liebt es zu tricksen und zu täuschen. Um die kurzen strubbeligen Haare muss er sich zumindest keine Gedanken machen. Verflucht, ich hätte noch ein Haarband mitnehmen sollen.

Er zuckt mit den Schultern. „Na gut. Oh verehrte Hohemagierin Catherine, machet euch bereit, euch mir auszuliefern“, grinst er sie schelmisch an.

Resigniert schüttelt sie ihren Kopf. „Besser wird das heute wohl nicht mehr werden. Nun denn. Dann fang mal an und zeig mir, was du dir dieses Mal ausgedacht hast!“ Ihr Körper spannt sich an und im Geiste bereitet sie sich bereits ihre wichtigsten Verteidigungstechniken vor.

„Also naja, ähm, kannst du mir noch so zehn Minuten geben?“

Das hat sie nicht erwartet. „Was?“, prustend fängt sie an zu lachen, „bitte was? Hast du etwa schon einmal von einem Kampf gehört wo dem Gegner zehn Minuten gewährt wurden?“

„Ja, ich weiß. Aber komm schon. Glaub mir, es wird sich lohnen“, grinst er sie erneut an.

Schnaubend antwortet sie ihm: „Na gut. Ok, ich lass dir zehn Minuten Zeit. Aber erwarte nicht, dass es deinen Noten gut tun wird.“

„Ist mir Recht“, antwortet er. Sofort wird er still und beginnt sich zu konzentrieren.

 

Die Minuten vergehen und nichts geschieht. Nervös läuft Catherine auf und ab. Dabei überlegt sie sich, was er wohl vorhat: Was treibt er da? Es existiert nahezu kein Elementarzauber, der eine so lange Beschwörungszeit benötigt. Ob es eine Schattenbeschwörung ist? Früher war er bei Hyrasis und der hinterlistige Hund hat ihn mit Sicherheit so einige Tricks beigebracht. Aber nein. Für dieses Duell darf er einzig und allein Elementarzauber verwenden. Mir würde es auffallen wenn er andere Zauber verwendet. Das weiß er genau. Also, was hast du vor?

 

Nach fünf Minuten beginnt es. Ein Glockenschlag erklingt.

Was zum…? Es ist Vormittag. Um diese Uhrzeit schlagen keine Glocken und der nächste Turm ist viel weiter entfernt. Woher kam das?

Nervös betrachtet sie den Himmel. Verwundert sieht sie mit an wie innerhalb weniger Sekunden immer mehr und mehr Wolken aufziehen. Ein leichter Nebel breitet sich aus.

Sechs Minuten sind vergangen und der nächste Glockenschlag erklingt. Kurz darauf verdunkelt sich der Himmel. Die Sonne selbst scheint verschluckt zu werden und Finsternis breitet sich aus. Nur schwer kann sie ihn noch erkennen.

Trotzdem ist es keine Schattenmagie. Nein, das ist Elementarmagie. Kann es sein?

Die siebte Minute ist vergangen und erneut schlägt die Glocke. Dieses Mal beginnt die Erde leicht zu beben.

Etwas kommt, aber was? Heilige …

Vollkommen entsetzt beobachtet sie, wie sich langsam aber stetig ein gewaltiger Glockenturm aus den Nebeln herausschält. Als der achte Glockenschlag das Dach erschüttert ist er vollkommen aufgetaucht. Ein gewaltiger Turm, der selbst den hohen Turm des Zirkels mickrig erscheinen lässt. Nur schwer kann man durch die Finsternis hindurch die feinen Gravierungen und Muster erkennen, die überall in den Turm eingearbeitet wurden.

Der neunte Schlag erklingt und der Himmel beginnt zu grollen.

Vollkommen sprachlos blickt sie nach oben. Das kann doch nicht sein, dazu kann er nicht in der Lage sein! Aber so ist es und so dreht sie sich schnell zu ihren Studenten um und ruft ihnen zu: „Rennt sofort runter vom Dach! Keiner darf hier oben bleiben!“

Verdutzt starren sie ihre Schüler an.

„Verflucht, das war ein Befehl! Bewegt eure Ärsche!“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, lässt sie ihre Hände aufflammen.

Das hat gereicht. Schnell rennen sie die Treppe herunter. Gerade noch rechtzeitig, als der zehnte und letzte Glockenschlag erklingt. Damit zusammen springt der Zeiger auf die Zwölf und der Himmel stürzt über sie zusammen. Hunderte von brennenden Geschossen schlagen durch die Wolkendecke und stürzen auf das Dach hinab.

Die Uhr des Jüngsten Gerichts. Wie kannst du so etwas nur entfesseln?

Wütend sieht sie in Richtung Samarus. Der in diesem Moment zusammenbricht.

Verflucht.

Schnell stürmt sie auf ihn zu, während sie den herabregnenden Geschossen ausweicht. Als sie ihn erreicht entfesselt Catherine sofort eine Frostbarriere um sie beide zu schützen. Innerhalb eines Wimpernschlages breitet sich ein Eisnebel um sie herum aus, der sich sofort verfestigt. Donnernd knallen die Geschosse auf die massive Barriere ein. Kleine Eisbrocken und Kristalle rieseln herab, doch die Barriere hält.

Sie sieht ihn nur kurz an. Er ist vollkommen dehydriert, aber noch immer bei Bewusstsein.

„Siehst du“, krächzt er hervor, „jetzt sagst du nie wieder, dass ich es nicht“, ein heftiger Hustanfall unterbricht ihn, „mit dir aufnehmen könnte. Ha! Als ob ich es nicht mit einem Drachen aufnehmen könnte!“

Entsetzt starrt sie ihn an, während er bewusstlos wird.

Offenbarungen

Nur mühselig gelingt es ihm seine Augen zu öffnen und sich umzusehen. Er liegt in einem Bett, die Wände sind weiß. Die Sanitätsstätte.

Erst jetzt bemerkt er die Schläuche die von seinen Körper hinüber zu mehreren Tröpfen gehen. Das war zu erwarten.

Stimmen erklingen von außen, kurz bevor sich die Tür öffnet: „… warte bis dieser Idiot aufwacht. Oh.“

Da steht sie, der Grund warum er nun hier liegt und doch breitet sich in seinem Gesicht das dümmste Grinsen aus was sie sich vorstellen könnte.

„Hey, Catherine! Was führt dich denn hier her?“

„Du bist also wach. Ich bin nur hier um zu überprüfen ob du nicht vielleicht doch gestorben bist.“ Sie nickt dem bärtigen alten Mann in der Tür zu, woraufhin er den Raum verlässt und die Tür hinter sich schließt.

„Du machst dir also Sorgen um mich?“

„Es ist nie gut für die eigene Reputation wenn einer der eigenen Studenten sich selbst mit einem Zauber tötet.“

„Das stimmt wohl. War das Hüter Draemus?“

„Ja, er wird den Zirkel informieren.“

Er richtet sich im Bett auf. „Die Hohemagier sind jetzt wohl ziemlich wütend auf mich, richtig?“

„Pff, wütend ist kein Ausdruck. Am Anfang waren noch alle ziemlich verwirrt, bis sie begriffen hatten was du getan hattest. Du hast sie ernsthaft angezapft?“, fragt sie ihn.

„Sind meine kleinen Talismane also aufgeflogen?“

„Natürlich. Glaubst du etwa nicht, einen Hohemagier fällt es nicht, wenn man ihn für eine Zusammenkunft missbraucht? Wie hast du es überhaupt geschafft, dass jeder von ihnen, genau an der richtigen Position des Pentagramms stand?“

„Ach ein bisschen stupsen und stoßen“, antwortet er ihr nebulös.

„Aja. Aros ist auf jeden Fall vollkommen ausgerastet wegen deinem Stoßen. Er wollte dich sofort aus dem Zirkel schmeißen. Vermutlich lag das daran das du den Spruch genau dann gewirkt hattest, als er aufm Abgang war. War angeblich kein schöner Anblick als sie ihn fanden.“

Amüsiert verzieht er das Gesicht. „War so nicht geplant, glaub mir. Wie haben die anderen reagiert?“

„Sehr unterschiedlich. Wir hatten vor einem halben Glockenschlag eine Notfallversammlung wegen deinem Fall.“

„Und? Wann muss ich gehen?“

„Zum Ende deiner Ausbildung, zu meinem eigenen Erstaunen. Athera hat sich wie immer enthalten. Vier waren für eine Verbannung, aber auch vier waren dagegen und da war auch der Erzmagier drunter. Damit bleibst du.“

Verblüfft sieht er sie an. „Tatsächlich? Und? warst du unter den vier die sich dagegen aussprachen?“

Finster blickt sie ihn an. „Irgendwer muss ja dafür Sorge tragen, dass du so etwas nie wieder machst. Der Erzmagier war einfach nur fasziniert von deinem Trick, darauf wär wohl selbst er nicht gekommen. Hyrasis hat sich so seltsam wie immer benommen. Ich vermute einmal er hat dir bei deinem Plan geholfen?“

„Wie kommst du darauf mich würde der Meister der Schatten und der Sphärenkunde bei so einer schrecklichen Tat unterstützen?“, sein breites Grinsen straft ihn Lüge.

Kopfschüttelnd fährt sie fort: „Ich verstehe nur nicht warum Mesis für dich gestimmt hat. Ich bin davon ausgegangen, gerade dieser alte Griesgram wäre gegen dich. Insbesondere da du ihn in seiner eigenen Disziplin, der Artefaktkunde hinters Licht geführt hast. Wie hast du das überhaupt geschafft?“

„Oh ja, er war wirklich der Schwerste von allen. Bei den anderen konnte ich ja tricksen, ein wenig Täuschungsmagie, ein paar Sphärenverschiebungen …“

„Hyrasis, du Mistkerl“, murmelt Catherine vor sich hin.

„…und schon fallen die Fokusse niemanden mehr auf. Bis man den Zauber nutzt natürlich. Aber leider würden diese Stücke einem Kundigen wie Mesis sofort auffallen habe ich mir gedacht. Da musste ich wirklich tief in meine Trickkiste greifen. Weißt du, mir ist aufgefallen wie er immer wieder in der Bibliothek war. Ständig hat er ein und dieselben Bücher ausgeliehen und zurückgebracht. Du fragst dich jetzt vermutlich: Warum hat er sie nicht einfach dauerhaft ausgeliehen? Wär ja kein Problem für ihn …“

„Nein, nicht wirklich.“

„Danke für die Unterbrechung. Auf jeden Fall gab es da noch einen anderen Grund“, er beugt sich vor und flüstert verschwörerisch: „Er war verknallt in die Bibliothekarin!“

„Aja?“, eine ihrer Augenbrauen wandert nach oben.

„Vertrau mir, ich kenn die Anzeichen.“

„Aus eigener Erfahrung?“

„So in etwa. Er war nur zu schüchtern sie anzusprechen. Alsooo, hab ich das für ihn übernommen.

Wir haben uns unterhalten und irgendwann ist dann gaaanz zufällig das Thema auf unseren Artefaktkundler gefallen. Tja was soll ich sagen: Sie war auch an ihm interessiert. Nach einigen hin und her, hatte ich es dann geschafft: Ein Treffen zwischen beiden genau zum dritten Glockenschlag am vierten Kalendertages diesen Monats.“

Sie sieht ihn erstaunt an.

„Dann war es ein Kinderspiel. Ich hab ihr den Fokus untergeschoben und passend zum Beginn unseres Duells war er nah genug am Kristall, damit der Zauber wirken konnte.“

„Das alles nur um dich zu beweisen?“

„Joa und naja, ich fand auch, sie würden ein nettes Paar abgeben. Was ja wohl auch geklappt hat“, er grinst sie wieder an, während sie nur mit dem Kopf schüttelt.

„Das begreife ich einfach nicht. Wieso willst du dich unbedingt mit mir messen und das ausgerechnet in der Elementarmagie. Ich weiß genau, das ist nicht deine Stärke. Auch nach der Aktion von gestern Mittag. Du warst anfangs ein Student von Hyrasis und erst später bist du zu mir gekommen. Wieso?“

„Wieso wohl? Ich wollte das du mich bemerkst.“

Ihr Blick wird wütend. „Ernsthaft? Ich versteh das nicht. Wir kannten uns damals nicht, haben nicht ein Wort miteinander gewechselt und trotzdem hast du dich in mich verliebt? Genau wie diese anderen Kerle“, sie schüttelt ihren Kopf. „Sie kommen an und glauben sie würden mich kennen, aber keiner von ihnen interessiert sich für mich! Die einen stehen auf meine Macht und die anderen auf meinen Arsch. Was ist dein Grund?“

„Mh, das ist eine längere Geschichte. Aber nun gut. Weißt du, ich bin vor knapp zwei Jahren hier in die Hauptstadt gezogen. Ich hatte nicht viel und die Mieten hier sind grauenvoll hoch. Ich hatte aber ziemliches Glück. Am Stadtrand konnte ich in einer privaten Pension unterkommen. Ich musste dem alten Besitzer nur ein wenig am Haus helfen. Mein Zimmer war recht klein, dafür war das Essen richtig gut und die Nachbarschaft sehr freundlich. Neben dem Haus in dem ich wohnte lebte eine junge Familie. Er war Schlosser und sie kümmerte sich Vollzeit um ihre kleine Tochter. Du kennst sie auch. Sie war eine ehemalige Studentin von dir oder? Das hat mir zumindest der alte Besitzer gesagt, nachdem ich ihn gefragt hatte warum eine Hohemagierin regelmäßig unsere Nachbarn besucht.“

„Rike. Ja, sie war eine vielversprechende Studentin. Irgendwann verliebte sie sich in diesen Kerl und hat den Zirkel verlassen. Anfangs bin ich zu ihr gegangen um sie zum Zurückkommen zu überreden, aber später, keine Ahnung, aus Gewohnheit?“

„Auf jeden Fall hatte diese überaus nette kleine Familie ein elendes Mistvieh von einem Hund. Diese kleine Ratte ist jedem Karren hinterher gelaufen und hat mich jedes Mal angekläfft, wenn ich abends vom Unterricht nach Hause wollte“, er lehnt sich zurück ins Kissen und schaut an die Decke, „dieser Grund nach dem du mich gefragt hast, er war an dem Abend an dem er mich nicht ankläffte. Der Besitzer sagte mir, der Kleine hat sich am Morgen mit einem Postpferd angelegt und verloren. Es hat ihn einfach niedergetrampelt. Ihre Tochter hat den halben Tag über geweint. Die arme Kleine. Kurz vor Mitternacht wurde ich von einen Schluchzen aufgeweckt. Ich dachte erst, dass die Kleine sich rausgeschlichen hätte. Doch ich sah jemanden anderen dort an dem kleinen Grab. Die mächtigste Hohemagierin die mir jemals begegnet ist, eine Veteranin der Dämmerkriege, sitzt da und weint herzzerreißend um einen kleinen Hund den sie kaum kannte.“

Es wird still im Raum.

„Mein Grund? Dein Herz.“

Fliegen

 „WAS? Du willst mich REITEN?“, brüllt sie ihn wütend an.

„Pscht, nicht so laut, die Leute gucken bereits.“

Sie schaut sich um und tatsächlich sieht ein Großteil der Menge sie verwirrt an. Rot im Gesicht packt sie ihn und zerrt ihn an einen ruhigeren Ort, weg von den anderen Marktbesuchern. Zwischen zwei alten Holzhütten am Hafen bleiben sie stehen.

„Beim großen Leviathan, was willst du?“

„Du hast mich genau verstanden, ich möchte dass du mir endlich einmal deine Drachengestalt zeigst. Ich mich auf deinen Rücken setze, damit wir beide zusammen abheben können.“ Samarus grinst sie an.

Schwer atmet sie aus. „Hmpf, das hättest du auch anders sagen können.“

„Können, ja. Aber wollen? Ne, dafür war deine Reaktion zu gut.“

„Dafür sollt ich dich in Brand setzen!“

„Du drohst deinem eigenen Studenten?“, entsetzt starrt er sie an. „Tztztz und das will eine Lehrerin sein.“

„Hyrasis ist jetzt dein Lehrer. Ich bin einfach nur noch höher gestellt als du. Quasi“, langsam legt sie ihren Zeigefinger an die Lippen, „deine Gebieterin. Ich kann mit dir machen was ich will.“ Sie strahlt ihn böse an, während sie sich langsam an ihn schmiegt.

Er beugt sich ihr entgegen und haucht ihr zart entgegen „Lenk nicht ab. Ich will endlich deine Drachengestalt sehn!“

Catherine stößt sich von ihm ab. „Woher weißt du das überhaupt? Sonst weiß es nur der Erzmagier. Wie hast du neugierige Ratte das herausgefunden?“

 „Neugierige Ratte?“ geschockt sieht er sie an. „Immer diese Beleidigungen! Ich war zufällig in der Nähe als Ihr euch über Verhandlungen des Zirkels mit dem Drachenhort unterhalten habt. Dabei hast du so geredet als würdest du zum Hort gehören. Nachdem ich mich ein wenig über Drachen und ihre magischen Fähigkeiten informiert hatte, war es mir klar.“

„Du hast also rein zufällig gelauscht?“

„Zugehört und ja.“

„Also du hast uns reeein zufällig dabei ‚zugehört‘ wie wir beide uns hoch oben, auf der obersten Spitze des Zirkels, unter dem Schutz mehrerer Siegelzauber, unterhalten haben.“

„Ganz genau.“

Während Samarus übertrieben eifrig nickt, kneift sie sich nur genervt in die Stirn. „Na gut, nimm dir morgen frei.“

„Juhu!“ Er greift sie und küsst seine Freundin überschwänglich. „Endlich sehe ich dein wahres Ich.“

Sie errötet.

 

Es ist früh morgens, noch ist die Sonne nicht aufgegangen und so stehen die Beiden alleine an der Küste. Die Fischer, Seeleute und Kaufleute liegen noch alle in ihren Kojen oder im Falle des Mannes dort hinten, besoffen im halb ausgetrockneten Abflusskanal.

„Die wilde Mähre macht ihrem Namen echt alle Ehre.“

„Bitte?“

„Nichts, nichts. Los geht’s.“

„Na gut. Dann mal los“, sie sieht sich nervös um, „geh ein paar Schritte zurück. Die Verwandlung ist ziemlich heiß.“

Samarus grinst anzüglich. „Na das hoff ich doch.“

Weicht er zurück wegen des Sicherheitsabstandes oder weil sie ihn so böse anfunkelt? Wer weiß.

„Gut, los geht’s.“ Sie schließt ihre Augen und atmet langsam ein und aus. Ihre Adern beginnen zu glühen. Von Dunkelblau hin zu Hellgelb. Es sieht aus als würde ihre Haut mit Flammenrissen durchzogen werden.

Aus Feuer geborene Magie. Wow.

Es wird heiß, aber so richtig heiß. Ihre Kleidung wallt auf, trotz der Hitze entzündet sie sich aber nicht.

Schade.

Feuer umschließt sie nun komplett, er kann nicht mehr ihr Gesicht erkennen. Kurz erschrickt er, eine gewaltige geschuppte Klaue kommt aus der Feuersäule und danach noch eine. Zwei riesige Schwingen zerreißen die Säule. Flammen steigen in die Luft und offenbaren ihre volle Gestalt. Sie brüllt ihn an und so - das möchte ich hier einmal festhalten, nicht aus Angst, sondern wegen der massiven Druckwelle - wird er umgeschmissen.

„WOW!“

„Na, ich bin wirklich umwerfend was?“, erklingt es in seinem Geist.

„Joa, geht so.“

Sie schnaubt. „Du kannst nichts vor mir verbergen. Ich riech deine Aufregung.“

Er rappelt sich langsam auf und betrachtet sie genauer. Catherine ist jetzt locker doppelt so hoch wie Samarus selbst und jede ihrer beiden Schwingen dreimal so lang wie er. Ihr halb geöffnetes Maul offenbart fingerlange und messerscharfe Zähne. Ihr gesamter Körper, so scheint es, ist mit silberroten Schuppen bedeckt, die wie poliertes Metall in der aufgehenden Sonne glänzen.

So majestätisch und wunderschön.

Er streift an ihr vorbei und berührt das Schuppenkleid.

Fest wie Stahl, aber warm.

„Wie bei uns Menschen kommt die Magie der Drachen aus ihnen selbst. Doch bei ihnen ist es das Feuer. Als Kinder Terras, brennt ihre Seele heißer als der heißeste Vulkan der Welt. Damit sind sie unter den Kaltblütern einzigartig. Denn sie können sich so immer selbst mit Wärme versorgen“, zitiert er aus ‚Drachen und andere Echsen‘.

Samarus wandert weiter und bewundert ihren locker neun Fuß langen und geschuppten Schwanz, hebt ihn an und schaut darunter.

„WAS ZUM?“, ihr Kopf schnellt herum, „was treibst du da?“

Schnell weicht er zurück. „Nichts, nichts. Die Literatur ist was das angeht nur nicht gerade sehr ausführlich.“

Sie knurrt ihn an. „Kein Wunder, was glaubst du was mit denen passiert ist, die es herausfinden wollten?“

Ganz unschuldig gibt er von sich: „Man hat es ihnen gezeigt und sie wollten nie wieder ins Reich der Menschen?“

Ihr Knurren wird lauter und eindringlicher.

„Ähm, hey wow. Wir haben heute ja einen richtig tollen Sonnenaufgang, nicht wahr?“, er zeigt in Richtung Meer, „wir sollten langsam von hier verschwinden, oder?“

„Du versuchst mich nur wieder abzulenken, aber leider hast du Recht. Steig auf.“

Er hält sich an einem ihrer Beine fest, schaut hoch und bleibt verwundert stehen. „Öhm, wie?“

„Wie? Siehst du nicht die Steigbügel? Klettre gefälligst hoch du faules Stück.“

„Bittest du mich gerade dich zu besteigen?“

Sie schüttelt nur den Kopf, packt ihn mit einer Klaue und schleudert ihn hoch auf ihren Rücken.

Panisch krallt er sich fest und schafft es gerade so zu verhindern, nicht wieder runterzufallen. „Nicht nett, nicht nett!“

„Halt dich besser fest! Wir starten.“ Mit einem gewaltigen Ruck drückt sie sich von der Klippe ab, spreizt ihre Schwingen und hebt ab.

Samarus drückt sich an ihr Schuppenkleid und versucht sich mit mehreren Schattenfesseln festzuhalten. „Cat! das hast du doch mit Absicht gemacht!“, brüllt er gegen den starken Wind, „ich sag dir wenn wir wieder unten sind dann … Wow.“

Erst jetzt bemerkt er seine Umgebung. Sie sind weit über der Stadt, noch höher als auf dem Turm des Zirkels. Catherine ist langsamer geworden und gleitet dahin. Unter ihnen erwacht langsam die Stadt. Winzige Menschen die wie Ameisen durch die Straßen und Gassen wandern. Er blickt über das gewaltige, selbst von hier oben noch, endlos wirkende Meer. Auf der anderen Seite der Stadt erstrecken sich tausende Fuß weite Felder mit fruchtbeladenen Bäumen und Getreide. „Ich glaub ich sollt mich einmal mit Flugmagie beschäftigen.“

Sie lacht.

 

Ihr Flug geht über das Meer, an der weiten Küste auf der gegenüberliegenden Seite entlang, über mehrere Ländereien und Städte hinweg, hin zu einem gewaltigen Gebirge.

„Wohin fliegen wir eigentlich?“

„Ach ich wollt dich nur ein paar Verwandten vorstellen.“ Sie steigen immer höher und höher, entlang der steilen Berge.

„Ver...wandten?“

„Ja, dahinten ist die Pforte.“

Aus dem Nebel der Gebirge tauchen auf einmal zwei gewaltige Drachen auf. Nein, Steindrachen. Hunderte Fuß hohe, in Bergspitzen eingemeißelte steinerne Drachen.

„Unfassbar.“

„Das waren Geschenke von euch Menschen. Über hunderte Jahre hinweg haben Handwerker des damaligen Kaiserreiches gearbeitet. Sie markieren die Pforte zu unserem Reich.

 

Langsam gleitet sie zwischen den beiden Giganten vorbei und er beobachtet jedes kleine Detail an ihnen. Die Schlucht vor ihnen teilt sich.

„Dahinten auf der linken Seite ist der Hort der Toten und hier in der rechten Schlucht, ist unser Hort.“

Während sie diese Worte spricht brechen sie durch die Dunkelheit der Schlucht hinaus in das warme Licht der langsam untergehenden Sonne. Vor ihnen erstreckt sich ein riesiger Berg, überall ist er mit zwanzig bis fünfzig Fuß hohen Tunneln durchlöchert. In der Luft befinden sich tausende kleiner Drachen und einige wenige Titanen, deren Spannbreite wohl so manchen Palast überragen würde: Der Drachenhort.

Der erste Eindruck

„Halt dich gut fest! Ich lande“, warnt sie ihn.

Schnell verstärkt Samarus seine Schattenfesseln und drückt sich enger an ihre warmen Schuppen.

Catherine steuert langsam auf den gewaltigsten Tunneleingang des Gebirges hin. Genauer auf das Plateau davor. Im Näherkommen entdeckt er die Säulen am Eingang des Tunnels, sie sind mit unzähligen Runen und Zeichnungen verziert.

Fantastisch.

Ein vergleichsweise sanfter Ruck und schon sind sie gelandet. Um sie herum landen und starten noch weitere Drachen.

Ein reger Betrieb herrscht hier.

Einige der Drachen beladen einander und andere wiederum umarmen ihre Freunde und Familienangehörigen, sowohl zur Begrüßung als auch zum Abschied. Er löst seine Fesseln und lässt sich vorsichtig von ihr heruntergleiten. Bei Aufprall auf dem Boden kommt er ins straucheln. Seine Beine sind taub von der langen Reise.

Hinter ihm ertönt ein Fauchen. Als er sich umdreht starrt er wieder in die vertrauten feuerroten Augen seiner Geliebten. „Wieder in deiner menschlichen Gestalt?“, fragt er.

„So ist es leichter dich herum zu führen. In den Gängen kann man eh nicht fliegen. Komm.“, sie greift ihm beim Arm und zieht ihn mit sich. „Das hier ist der Haupteingang. Er wurde für unseren Vater geschaffen, damit er den Hort betreten kann. Auch wenn er sich ducken muss …“

Erstaunt schaut er hoch.

Ducken? Der Tunnel ist locker zweihundert Fuß hoch!

„Dein Paps ist nicht das was man als Zwerg bezeichnet, was?“

„Nein und das bringt mich zu einem anderen Punkt. Benimm dich gefälligst. Das hier ist meine Familie, verstanden?“

„Ein Vertrauen hast du in mich, also wirklich. Ich veranstalte schon nichts Peinliches.“

„Hoffen wir es.“, beäugt sie ihn misstrauisch.

 

Beide wandern in Richtung des Tunneleinganges. Verwundert bleibt Samarus stehen, als er die Säulen an den Rändern entdeckt. Sofort fragt er nach: „Die Säulen. Welche Sprache ist das? Wirkt irgendwie menschlich.“

„Das ist Alt-Sumerisch. Bevor sich unser Volk unter meinen Vater zusammenschloss waren wir isoliert. Wir kommunizierten miteinander über Gedanken, Gesten und Laute, somit gab es keine Schriften. Erst unter Leviatan bildete sich so etwas wie eine Kultur. Diese wurde maßgeblich von dem damals größten Reich der Menschen inspiriert, dem Sumerischen Reich“, erklärt sie ihm.

„Interessant. Die Sprache der Drachen ist also die, der ersten Menschen. Spannend.“ Er geht näher an die Säulen um sie genauer zu betrachten.

„MAMA!“, erschallt es in seinem Geist. Ein offensichtlich noch junger Drache, noch kleiner als ein Mensch rennt flügelschlagend auf Catherine zu und drückt sich freudig an sie.

„Ma…?“, vollkommen verwirrt und abgelenkt tritt er gegen eine Schneewehe, stolpert und landet Kopf voran mit einem lauten Knall auf den Steinboden.

Der junge Drache springt erschrocken hoch und flattert panisch davon. Auch die restlichen Drachen auf dem Plateau schauen verwundert in ihre Richtung.

„Wie war das mit nichts Peinliches?“ Catherine schüttelt ihren Kopf. „Bist du in Ordnung?“ Sie hilft ihm hoch, während er sich mit schmerzverzogener Mine die Stirn reibt.

„Au, verdammt. Was, was hat er gerade gesagt?“

„Was? Mama? Uh, du Idiot.“ Mitleidslos verpasst sie ihm eine Kopfnuss gegen seinen Hinterkopf.

„Arg, was sollte das denn jetzt?“

„Du weißt ganz genau, unser Volk ist eine Großfamilie. Jeder der sich um unser Gelege kümmert ist für die Kleinen Mutter oder Vater!“

„Oh, stimmt. Das hab ich ganz vergessen. Also hast du ihn nur aufgezogen?“

„Ich war bei seinem Schlüpfen dabei.“

Er klopft sich Schnee und Dreck von der Kleidung. „Verstehe. Wo ist er denn hin?“

„Du hast ihn mit deiner Nummer verschreckt. Aber er kommt bestimmt später noch einmal wieder. Lass uns zu meinen Gemächern gehen.“

 

Die Beiden betreten den Tunnel. Keine Fackeln erhellen ihnen den Weg, sondern stattdessen ist der gesamte Fels mit rotglühenden Rissen durchzogen. Bewundernd nähert er vorsichtig seine Finger einen dieser Risse.

Heiß, aber richtig heiß, deswegen ist es hier drin auch so warm.

„Das Gebirge hier ist eigentlich ein Vulkan. Durch Magie wurde er neu geformt und die Vulkanadern dienen uns als Licht- und Wärmequelle“, erläutert sie ihm.

„Bemerkenswert.“

Sie gehen weiter und immer weiter in die Tiefen des Gebirges. Um ihnen herum wandern überall Drachen in normaler und in menschlicher Gestalt herum. Vermutlich sind unter ihnen auch ein paar wenige echte Menschen unterwegs. Samarus Kopf wandert hin und her um so viel wie möglich zu sehen. Wobei er allerdings nicht den fast hundert Fuß riesigen Drachen bemerkt, der sich mit hoher Geschwindigkeit von hinten durch die Menge wallst. Schnell weichen die anderen im Tunnel diesem Riesen aus. Nur Samarus bleibt stehen, sein Blick gefesselt von den kleinen Drachen, die im oberen Bereich des Tunnels herumfliegen. Catherine packt ihn schnell und zieht in zur Seite.

„Aus dem Weg Abfall“, knurrt es in seinem Kopf, ehe der riesige Drache einmal kurz mit seinem linken Flügel ausschlägt und Samarus trifft. Zusammen mit ihr stürzt er zu Boden.

 

Langsam kommt er wieder zu sich. Als er die Augen wieder aufschlägt sieht er in die besorgte Miene seiner Geliebten und dem erleichterten Blick eines Fremden.

„Oh Mann, hat mich eine Kutsche überfahren?“, er reibt sich den Hinterkopf.

„Nein, aber ein Drache“, gibt sie lachend von sich.

„Genauer gesagt war das Marek“, präzisiert der Fremde, „ein ziemlich arrogantes Arschloch. Wie du dir vielleicht denken kannst, ist er kein großer Freund eures Volkes.“

„Mhmpf, hab ich mitbekommen.“

„Das war wohl wirklich nicht der beste Eindruck, den man von unserem Volk haben kann. Ich möchte mich im Namen meiner Brüder und Schwestern entschuldigen. Wir sind nicht alle so“, grinst er Samarus an.

„Davon bin ich nicht ausgegangen“, ein kurzer Blick zu Catherine. „Ähm, wer seid ihr genau?“

„Das ist Diamedes, mein Bruder. Wir kennen uns seit wir geschlüpft sind. Er ist einer der wenigen Drachen die sich in der Heilkunde auskennen. Er hat dich wieder zusammen geflickt“, springt Catherine ein.

„Dann muss ich mich wohl bei dir bedanken.“

„Nicht nötig, das war eine Selbstverständlichkeit.“

„Trotzdem danke. Cat hat dir bestimmt schon gesagt wer ich bin. Aber trotzdem, ich bin Samarus Dev“, er reicht ihm die Hand.

„Diamedes. Freut mich dich kennenzulernen, Samarus.“

„Dia wohnt übrigens auch in Steinhafen.“

„Ach ja? Wo genau?“

„Im Nordviertel. Mir gehört da eine kleine Praxis.“

„Untertreib mal nicht. Er  gehört zu den geachtetsten Medici in Steinhafen, Samarus. Er behandelt tagtäglich fast hundert Menschen zusammen mit seiner Frau. Viele davon ohne Bezahlung.“

„Cat, das interessiert ihn bestimmt nicht“, versucht er sie beschämt vom Reden abzuhalten.

„Du bist verheiratet? Mit einem Menschen?“

Diamedes schüttelt kurz den Kopf. „Nein, mit einer meiner Brutschwestern.“

„Wie kommt es dann, dass ihr nicht hier lebt?“

„Naja, hier werden meine Fähigkeiten weniger benötigt und in Steinhafen gibt es dieses fantastische Lokal. Ein besseres Spanferkel habe ich noch nirgendwo gegessen. Aber ich sollte langsam los. Meine Frau wundert sich bestimmt schon wo ich denn bleibe.“

„Dann wollen wir dich nicht länger aufhalten. Du kannst uns später dann mal dieses Lokal zeigen.“

„Eine gute Idee.“

Schnell verabschieden sie sich und Samarus sinkt zurück in die weichen Laken. „Ein netter Kerl“, gibt er von sich, während er die leuchtenden Risse in der Decke bewundert. Sie sind zu filigranen Bildern geformt worden.

 

Verschlafen schlägt er die Augen auf. Cat liegt in seinen Armen.

Mein wundervolles Kätzchen Ich würd dich zu gerne aufwecken und ein paar versaute Dinge mit dir veranstalten, aber zuerst ruft die Natur.

Vorsichtig schält er sich aus den Lacken und schaut sich im schummrigen Licht der Risse um. Ein großer Raum. Neben dem Bett, in dem er eben noch lag befinden sich nur einige Regale und Schränke mit Büchern und ein schwerer Vorhang der nach draußen führt.

Mh, wo ist der Abort? Vielleicht auf dem Flur?

Vorsichtig zieht er sich an und wandert hinaus. Alleine wandert er durch die Gänge. Der Drachenhort scheint tief und fest zu schlafen.

Ich könnt schwören das Licht ist viel dunkler als heut Abend. Ob sie es abdunkeln können? Das muss ich Cat morgen unbedingt fragen.

Nach fast einem halben Glockenschlag der Suche gibt er entnervt auf.

Das gibt es doch nicht. Hier in dieser großen Halle ist auch keiner. Wo zum Geier ist deren Abort? Es kann doch nicht sein das hier nirgendswo einer ist. Als ob Drachen keinen …? brauchen Drachen überhaupt einen? Darüber hab ich nie was gelesen. Verdammt, was wenn die so etwas nicht besitzen? Na klasse, was mach ich denn jetzt? Mh.

Schnell sieht er sich um. Niemand da.

Kurz zuckt er mit den Schultern, geht an die nächstbeste Wand, schnürt seine Hose auf und entlädt seine Blase.

„Ah … das tut gut.“

 

Als er endlich fertig ist macht er erleichtert seine Hose wieder zu.

„Das war nötig“, murmelt er vor sich hin.

Auf einmal beginnt der Boden zu beben. Die Wand vor ihm erzittert.

Verdammt was geht denn jetzt ab? Bricht der Vulkan aus?

Von der hohen Decke rieseln kleine Steinchen herab und als er nach oben blickt erstarrt er. Ein riesiges Auge, das selbst ihn überragt, steckt da oben in der Wand.

Was, das ist keine Wand? Seine Kinnlade klappt herunter.

Das Auge erfasst ihn. Zuerst sein Gesicht, dann wandert sein Blick hinunter zur Pfütze an seinem, nun ja? Bein? Dann geht der Blick wieder zurück zu seinem Gesicht, wieder runter und wieder hoch.

 

Erschrocken richtet sich Catherine auf.

„Was zum …?“ Ein gewaltiges Dröhnen erschüttert den Berg.

„Vater!“, panisch springt sie aus dem Bett. „Samarus, wach auf, irgendwas stimmt mit Vater nicht. Samarus?“

Das aufgewühlte Bett ist leer.

Wo? Beim Leviatan, was hast du gemacht?

Schnell rennt sie durch die Gänge, zusammen mit vielen anderen ihrer Artgenossen. Alle auf dem Weg zu ihrem Allvater. Je näher sie kommt, desto deutlicher hört sie das Grölen und als sie es endlich durch den Vorraum hinein in den Saal des Kaisers geschafft hat, versteht sie es richtig. Es ist ein tiefes Lachen.

Dort steht er vor ihm.

„Vater, Sam!“, sie packt Samarus und dreht ihn zu sich herum. „Was hast du getan?“

„Ich äh, ich musste mal und hab den Abort gesucht und also …“

Sein Blick geht kurz nach hinten, da entdeckt sie die Pfütze. „Das hast du nicht getan. Nein, das hast du nicht“, sie schüttelt den Kopf. „Du hast meinen VATER ANGEPINKELT?“, brüllt sie ihn an.

Samarus hebt beschwichtigend die Arme. „Naja, es war dunkel.“

„Es war DUNKEL? Ich gebe dir gleich Dunkel! Was ist aus ‚ich veranstalte schon nichts Peinliches‘ geworden?“

Ein diebisches Grinsen stielt sich in sein Gesicht. „Hab mich wohl geirrt.“

Das bringt das Fass zum überlaufen. Catherine holt aus, schlägt mit voller Wucht zu und … schlägt durch ihn durch. „Was zum?“

Sein Körper löst sich auf bis er vollständig verschwunden ist.

„Schattenmagie! Samarus du feige Ratte. WO STECKST DU?“, brüllt sie in die Halle.

Wieder wird der Raum erschüttert. Eine von Leviatans gewaltigen Klauen ist zu Boden gekracht. Erschrocken starren sie alle an. Nachdem sich der Staub verzogen hat fällt der Blick auf einen zusammengezuckten Samarus, der zwischen den riesigen Klauen gefangen ist.

„Elender Verräter!“, zischt er den gewaltigen Drachen an, der erneut mit seinem tiefen Lachen den Hort erschüttert.

Familie

„Ich habe Angst.“

Verwirrt reißt Samarus sich von der Aussicht los. „Bitte?“ Er beobachtet wie sich ihre Hände nervös ineinander graben.

„Du hast mich vorhin gefragt was mit mir los wäre. Ich habe Angst“, gibt sie beschämt zu.

„Catherine, Hohemagierin des Zirkels der Magi von Steinhafen, Veteranin der Dämmerkriege, Tochter des Leviatans hat … Angst? Vor was? Einem Schmied und seiner Ehefrau?“ Er lacht laut auf und wird von ihr prompt so heftig gegen die Tür der Kutsche gestoßen, dass er Angst bekommt der Riegel würde brechen und er hinaus auf die Schotterpiste knallen würde.

„Nicht deswegen! Sie sind deine Eltern. Verdammt ich war noch nie bei irgendjemandes Eltern eingeladen.“

„Ach du brauchst doch keine Angst vor ihnen zu haben. Außer du sagst meiner Mutter, dir schmeckt der Braten nicht und glaub mir, er wird dir nicht schmecken. Dann wirst du ihren Kochlöffel zu spüren bekommen!“

Sie grinst.

„Hey, grins nicht! Die Warnung ist ernst gemeint! Meine Mutter kann damit besser umgehen als die Kommandanten der Wächter mit ihren Schwertern. Dummerweise hat ihr niemand beigebracht wofür man die Teile ursprünglich gemacht hat …“, sinniert er.

Nun lacht sie richtig, ihre Sorgen für den Moment vergessen.

„Außerdem, schlimmer als meine erste Begegnung mit deinem Vater kann es ja nicht werden, oder?“

„Ich fass das immer noch nicht. Erst pinkelst du ihn an und dann werdet ihr die besten Freunde?“

„Tja, ich weiß halt worauf die Leute stehen.“ Samarus streckt ihr seine Zunge entgegen, welche sie mit einem bösen Blick beantwortet.

„Worüber redet ihr eigentlich immer?“

„Verschiedenes, Drachenangelegenheiten, Menschenangelegenheiten, Männerangelegenheiten, die Welt … die Geschichte. Dein Paps hat echt eine Menge erlebt.“

„Kein Wunder, er ist hunderttausendmal so alt wie du und trotzdem hast du keinen Respekt vor ihm.“

„Ich habe Respekt vor ihm … ich zeig ihn nur nicht oft. Wenn die Leute zu viel Respekt vor einen haben, schadet das dem Charakter.“

„Na toll. Soll ich mich auch so bei deinen Eltern benehmen?“

„Mh, besser nicht wenn du nicht Bekanntschaft mit dem Kochlöffel machen willst. Meine Familie wird aber eh mit mir beschäftigt sein. Du weißt schon, von wegen jüngster Hohemagier der letzten tausend Jahre und so“, grinst er sie breit an.

Sie schnaubt verächtlich. „Ich hab dem Erzmagier gesagt, er sollt es dir nicht sagen. Das würd dir nur zu Kopf steigen. Wie recht ich doch hatte.“

„Ach komm, das ist doch toll. Seit tausend Jahren gab es nicht einen Magier, der so jung in den Stand der Hohemagier ernannt wurde! Baby, du bist mit jemand ganz besonderen zusammen!“

„Ja Schatz, du bist etwas gaaanz Besonderes.“, sagt sie, während sie ihm den Kopf tätschelt.

„Ich hab das Gefühl, du meinst es nicht so, wie ich es gemeint habe. Du solltest nicht so herablassend sein, nur weil du ein paar Jahrhunderte mehr Zeit hattest zum Üben. Ich hab echt das Gefühl du würdigst mich nicht!“, gespielt verschränkt er seine Arme und verzieht das Gesicht.

„Erstens: Ich beschäftige mich keine fünfzig Jahre mit der Magie. Solange bin ich auch noch nicht beim Zirkel. Zweitens: Ich würdige dich erst, wenn du dich deinem Standes benimmst und auch mal deinen Pflichten als Hohemagier nachkommst.“

„Hey! Jeder meiner Studenten hat Bestnoten bekommen und Dimensionskunde ist so beliebt wie noch nie“, prahlt er.

„Ha! Ja, weil jeder bei dir Bestnoten bekommt sobald er nur einmal pünktlich zum Unterricht aufgetaucht ist. Kein Wunder also, dass jeder Student zu dir will.“

„Was denn? Ich sehe das als riesen Leistung. Ich hab das nur ganz selten geschafft!“

„Das stimmt sogar“, gibt sie kopfschüttelnd zu, „Hyrasis war zu gnädig mit dir. Was treibt er jetzt eigentlich, nachdem du seine Klassen übernommen hast?“

„Keine Ahnung. Irgendwie hängt er immer noch in den Vorlesungssälen von mir rum. Glaub ich unterrichte ihn irgendwie …“

Stirnrunzelnd betrachtet sie ihn, aber versucht erst gar nicht ihn darauf anzusprechen. Die Antwort würde ihr sowieso nicht weiterhelfen.

 

Der Rest der Reise vergeht schweigend und Samarus widmet sich wieder der Aussicht. Seit über drei Glockenschlägen sind sie bereits unterwegs. Catherine hat sich einmal mehr durchgesetzt und so haben sie ihre Reise mit einer Passagierkutsche früh am Morgen begonnen. Zugegeben, sein Wunsch das er auf ihrem Rücken fliegend bei sich zu Hause majestätisch landen würde, war vielleicht nicht der beste Einfall seines Lebens. Feld um Feld wandert an ihnen vorbei und endlich tauchen die ersten uralten Nadelbäume auf, die mit ihrer charakteristischen dunkelgrauen Farbe dem nächsten Dorf seinen Namen gegeben haben: Grauwald, die Heimat seiner Familie.

 

„So wir sind da. Mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Sei du selbst und versuch einfach nicht meinen Vater anzupinkeln“, witzelt er und mit einem Ruck öffnet sich die Kutschentür.

Die beiden werden bereits erwartet. Seine beiden Eltern, sein Bruder samt Frau und Sohn, sowieso seine große Schwester erwarten sie bereits.

„Hey, ist das alles an Empfangskomitee für den jüngsten Hohemagier der letzten tausend Jahre?“, fragt Samarus mit Stolz gestählter Brust in die Runde.

„Die anderen kommen erst später. Wir hatten euch gar nicht so früh erwartet. Sonst kommt Sam nie pünktlich“, gibt sein Vater von sich, „scheinbar hast du bereits einen guten Einfluss auf ihn. Hi, ich bin Rodrik und das ist meine Frau Anna“, er gibt ihr die Hand und seine Frau umarmt sie direkt. „Der Große hier ist unser Ältester Karmik, mit seiner Angetrauten Leandra. Der kleine Wonneproppen in ihren Armen ist Teon.“

„Freut mich sehr.“ Auch diese zwei begrüßen sie herzlich.

„Zu guter Letzt ist da noch Misa. Unse…“

„Toll dich endlich kennen zu lernen!“, fällt Misa ihm ins Wort und umarmt sie überschwänglich. „Dein Kleid sieht fantastisch aus, bist du hungrig? Du bist bestimmt hungrig. Ihr hattet ja eine ewig lange Fahrt hinter euch. Komm rein, ich muss dir unbedingt …“

Die Familie umringt Catherine und während Misa sie in Richtung Haus zieht, bleibt ein verdatterter Samarus zurück. „H, hey, ich bin doch…“

Sein Bruder packt ihn in einem halben Schwitzkasten und zieht ihn mit sich. „Jaja, komm lieber mit du toller Hohemagier.“

 

Die Feier ist im vollen Gange und inzwischen ist das halbe Dorf, angelockt vom kostenlosen Essen, aufgetaucht. Während Catherine sich mit seinem Vater über das Schmiedehandwerk unterhält, erzählt Misa Samarus über ihre Zukunftspläne: „In einem halben Jahr will ich auch nach Steinhafen ziehen.“

Er verschluckt sich an seinem Bier. „W, was? Du willst nach Steinhafen? Was ist denn mit der Schneiderei?“

„Das ist sooo langweilig. Außerdem hab ich den Beruf nur angenommen um Geld zu sammeln für den Umzug nach Steinhafen. Für die erste Zeit würd ich bei dir wohnen …“

„Bei mir?“

„… und dann, wenn ich mir einen tollen Typen geangelt hab, zieh ich zu ihm. Hach, in Steinhafen leben … ist das nicht toll? Diese riesige Stadt. Überall sind Menschen aus allen Herren Ländern. Aristokraten aus Tijef, Junker aus Mesa …“

„… Meuchler aus Hatra, Menschenhändler aus Süra, Menschenfresser aus Atoris …“

„Was?“

„Jaja, da treiben sich so einige zwielichtige Typen rum.“

„Aber, kümmert sich denn die Stadtwache nicht um sie?“

„Ha! Die Stadtwache? Die besteht doch aus denselben Typen und korrupt sind sie auch. Erst letztens wurde eine Frau vor ihrem Hauptposten vergewaltigt und die sollen einfach nur zugesehen oder sogar applaudiert haben! Ich glaub die Frau war etwa in deinem Alter ...“

Sie sieht ihn vollkommen entsetzt an.

„Unglaublich nicht wahr? Die Verbrechensrate ist im letzten Jahr um …“

Mit voller Wucht kassiert er einen Hieb auf den Hinterkopf.

„AUA!“, ruft er erschrocken. Sich den Kopf reibend dreht er sich um. Da steht Catherine mit verschränkten Armen. „Was soll das?“, fragt er sie wütend.

„Hör auf deiner armen Schwester so einen Mist zu erzählen! Sowohl die Wächter als auch Mitglieder des Zirkels wachen über Steinhafen. Wir haben keine Stadtwache und es gab seit Jahren keine ernsthaften Übergriffe mehr! Du willst nur nicht das Mia nach Steinhafen zieht!“

Inzwischen sieht bereits ein Großteil der Gäste den beiden beim Streiten zu.

Ertappt geht er zum Gegenangriff über: „Wieso fällst du mir in den Rücken? Du bist keine große Hilfe. Man wieso nur hab ich dir einen Antrag gemacht …“ Leicht benommen reibt er sich kopfschüttelnd den Hinterkopf, während zuerst ihre Augen größer werden, dann seine und zu guter Letzt die Augen der restlichen Gäste. „Scheiße, das sollt ich ja noch nicht sagen!“

 

Hoch die Gläser!

„Hoch die Gläser!“, ruft Samarus freudig in den Raum hinein, während er sein Bierglas in den Himmel streckt.

Verwirrte Blicke der anderen Gäste starren ihm entgegen. Ein paar von ihnen sehen sich verwundert an.

„Oh stimmt“, gibt er kopfkratzend zu, „ich hab ja ganz vergessen euch zu sagen wofür.“

Nur geradeso schafft es Diamedes seinen Kopf aufzuhalten, ehe er ihn sich selbst gegen den Tisch schlägt.

„Also meine, mir unbekannten, Freunde: Mein, euch ebenfalls unbekannter, Freund Diamedes hier, hat heute Mittag eine Einladung des Bundes der Medici erhalten. Ihm soll eine Auszeichnung verliehen werden für seine humanitären Dienste oder genauer gesagt: Dafür, dass er jeden zusammenflickt, der ihn nett anlächelt“, er hält kurz inne. „Ja, auch dich dahinten mit deinen schwarzen Zähnen. Auch wenn ich dir doch einen Barbierbesuch empfehlen würde. Ansonsten musst du vielleicht früher zu ihm, als es dir lieb wäre.“

Die anderen Gäste lachen.

„Also, heben wir unsere Gläser für Diamedes. Das er uns auch in Zukunft gratis behandelt!“, ruft er und streckt erneut das Glas in die Höhe.

Dieses Mal reagieren die anderen Gäste. Viele heben ihre Gläser und prosten Diamedes zu. Ein paar rufen sogar: „Auf Diamedes!“

Dieser wiederum würde aktuell wohl am liebsten ganz woanders sein. Aber notgedrungen lächelt er und hebt zaghaft sein Glas. Als sich Samarus wieder neben ihn hingesetzt hat zischt er ihn von der Seite zu: „Verdammt, du hast deine Drohung echt war gemacht!“

„Was hast du denn erwartet?“, er legt sich den Zeigefinder an die Lippen. „Mh, ich hätte dich vielleicht noch eine Rede halten lassen sollen“, überlegt er laut.

Kurz werden Diamedes Augen groß, doch dann fängt er sich wieder. „Tja, dafür ist es zu spät. Es schaut schon keiner mehr hierrüber.“

„Da hast du wohl Recht. Nicht ganz so gastfreundlich die Kneipe hier wie man mir gesagt hat.“

„Du warst noch nie hier?“

„Nein. Hyrasis hat mir den Laden empfohlen.“

„Hyrasis? War das nicht einer der Hohemagier? Warum geht ein Hohemagier in so eine Spelunke und empfiehlt sie dann auch noch? Ich mein hier laufen ja einige sehr komische Typen rum. Glaub die Hälfte der Gäste hier ist bewaffnet“, er sieht sich ein wenig nervös um.

„Naja, er meinte hier gäbe es das billigste Bier von Steinhafen“, gibt Samarus schulterzuckend zu.

Verwirrt zieht Diamedes eine Augenbraue hoch. „Das ist doch keine Empfehlung für eine Bar um zu feiern?“, er stockt. Nach einen kurzen Moment begreift er es: „Außer natürlich der Einladende hat gesagt er würde die Zeche zahlen“, funkelt er ihn an.

Samarus grinst breit. „Hey! Hohemagier sind keine reichen Medicis. Wir müssen halt sehen wo wir bleiben.“

„Du weißt genau, ich zähle nicht zu den Reichen unter den Medici.“

„Stimmt allerdings“, gibt er zu. „Aber so schlecht ist der Laden nun auch wieder nicht. Mir ist das Bier zumindest noch nicht hochgekommen.“

„Mh, ja. Ich hab wirklich schon schlechteres getrunken. Aber ich bin doch ganz froh, dass Val im Hort ist. Dieses Lokal würde ihr wohl nicht gefallen.“

„Vermutlich. Was treibt sie da eigentlich?“

„Nichts Besonderes. Es gibt da wohl ein paar Unruhestifter, die seit einiger Zeit immer wieder für Ärger sorgen. Scheinbar ist Marek ihr Rädelsführer oder so“, bei diesen Namen zuckt Samarus kurz zusammen, „aber nichts Ernstes. Valera ist dort um eine Eskalation zu vermeiden. Du weißt ja, wenn Leviatan auf den Tisch haut, dann ist nicht mehr viel von dem Tisch übrig.“

„Oder von dem Haus, in dem der Tisch einmal stand.“

„Da hast du wohl recht“, lacht Diamedes. „Hatte Cat eigentlich auch keine Zeit?“

„Ach naja, weißt du? Sie sieht nicht so gerne wenn ich was trinke. Also hab ich mir gedacht: Lass ich es sie nicht sehen und sag ihr einfach nichts davon.“

„Aha. Lag das vielleicht daran, wie du dich bei deinem Junggesellenabschied zugeschüttet hast? Also da muss sie sich keine Sorgen machen. Ich sorg schon dafür, dass du nicht zu viel trinkst.“

Samarus protestiert: „Ach komm schon. So viel hab ich auch nicht getrunken!“

„Du musstest dich ja nicht nach Hause schleppen. Mir tut immer noch der Rücken weh, obwohl das jetzt auch schon fast ein Jahr her ist“, er hält kurz inne. „Wo wir gerade davon sprechen: Habt ihr nicht sogar bald euren ersten Hochzeitstag?“

Samarus Augen werden groß.

„Ich komm nicht mehr drauf. Das war doch auch irgendwann am Monatsanfang oder nicht?“

Samarus Augen werden noch viel größer.

Gelassen blickt Diamedes seinen Freund an. „Heute?“

Ein kurzes Nicken, gefolgt von Stille.

„Ich bin jetzt nicht so der übergroße Experte darin, aber solltest du nicht vielleicht jetzt panisch aufspringen und nach Hause rennen? Damit du noch retten kannst, was noch zu retten ist und so?“

Samarus greift sich sein Bier. „Ich habe unseren ersten Hochzeitstag vergessen, habe ihr nicht gesagt wo ich hingehe, seit knapp vier Glockenschlägen sollte ich bereits zu Hause sein und außerdem hab ich bereits drei Biere intus. Da ist nichts mehr retten“, er kippt sein Bier runter und greift sich das nächste, „wenn ich nach Hause komme bin ich tot. Also warum sollte ich es da eilig haben?“, fragt er seinen Freund.

Kopfschüttelnd gibt der ihm Recht und stößt mit ihm an.

 

Die Abendstunden vergehen und in der Kneipe wird es immer voller. Gerade als Diamedes eine Geschichte über einen Patienten und seinen Pümpel erzählt wird Samarus hellhörig.

„Hab dieser Missgeburt meine Klinge durch die Kehle gerammt. Da war dann Schluss mit dem Feuerspeien. Das Vieh ist total panisch geworden und hat um sich geschlagen, aber ich konnte …“, erzählt ein gerüsteter Mann an der Theke. Um ihn herum hat sich inzwischen eine Menschentraube gebildet.

„Über was redet der denn da?“, fragt er einen Schaulustigen, der gerade gehen wollte.

„Bitte? Ach er behauptet er hätte einen Drachen mit bloßen Händen erlegt. War aber wohl eher seine ganze Gruppe. Ein Angeber halt.“ Der Mann geht weiter.

Samarus kneift seine Augen wütend zusammen. „Ist das ein Witz? Der prahlt hier mit einem Mord? Hast du das gehört Dia?“

Diamedes blickt stur auf sein Glas herab. „Hör einfach nicht hin und trink weiter.“

„Was?“, verwirrt sieht er zuerst den Mann an der Theke und dann seinen Freund an. „Stört dich das etwa nicht?“

„Natürlich. Aber was sollten wir dagegen unternehmen können?“, gibt er niedergeschlagen zu. „Wenn du jetzt darüber gehst bekommst du nur Ärger mit ihm und seinen Leuten dahinten“, er zeigt auf eine größere Gruppe auf der anderen Seite der Bar. Jeder dieser Männer trägt eine schwere Kettenrüstung.

Schnaubend gibt Samarus ihm Recht. „Na gut. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten um ihn zum Schweigen zu bringen“, grinst er.

„Was meinst du?“, fragt Diamedes beunruhigt, während er beobachtet sein Freund einige Symbole auf den Boden eines leeren Glases zeichnet.

„So, das sollte reichen“, strahlt er. Kurz sieht er sich nach der Kellnerin um. Als er sie sieht, ruft er sie zu sich. „Können sie uns bitte vier große Gläser Bier besorgen? So voll wie möglich bitte.“

Die Kellnerin hebt nur kurz eine Augenbraue, aber macht sich dann auf den Weg hinter die Theke.

„Was hast du vor?“, fragt ihn Diamedes nervös.

„Siehst du gleich. Wart es nur ab. Ah, da kommt sie ja schon wieder.“ Schnell nimmt er die Biere entgegen und bezahlt die Frau.

„Sooo, jetzt schau gut zu“ Er greift sich jeweils zwei der Biere mit einer Hand und hält sie, bereit zum Reinschütten, über das leere Glas. „Noch nicht“ Er blickt immer wieder rüber zu dem Kerl an der Theke, der immer noch davon erzählt wie er den Drachen abgeschlachtet hat. Gerade als er zu seinem Bier greift und es an seine Lippen führt gibt Samarus das Signal. „Jetzt!“ In diesem Moment kippt er die vier vollen Gläser um und schüttet ihren Inhalt in das leere.

Ein gewaltiger Bierschwall schlägt den Kerl an der Theke ins Gesicht. Sofort weicht die Menge zurück, während der Mann versucht japsend zu Atem zu kommen. Er ist vollkommen in Bier gebadet. Halbblind und orientierungslos versucht er die Theke zu greifen, aber verfehlt sie um knapp zwei Fuß. Mit voller Wucht klatscht er auf den Boden der Bar.

Samarus wiederum kann sich selbst kaum halten, allerdings vor Lachen. Nur mühselig kann er sein Gegackere unterdrücken, während er die hoffnungslosen Bemühungen des Mannes wieder aufzustehen beobachtet. „Hast du das gesehen?“, fragt er zwischen seinen Lachern Diamedes.

Nervös antwortet der: „Ja, aber wir sollten jetzt besser gehen.“

Langsam fängt er sich wieder. „Na gut, na gut. Ist eh schon spät.“

In dem entstandenen Tumult verlassen beide die Bar.

 

„Man hast du das gesehen? So eine Lachnummer sag ich dir. Wie blöde der gekuckt hat. Ein Bild für die Götter, aber das hat dieser Dreckskerl auch verdient für den Mist, den er erzählt hat. Weißt du ….“

„Hey ihr, wartet mal“, wird er unterbrochen.

Verwirrt dreht sich Samarus um. In der Gasse hinter ihnen hat sich die Gruppe gesammelt, die eben noch hinten in der Kneipe saß. Knapp sieben schwer gerüstete Krieger. Während die vorderen ihre Klingen ziehen stößt sich einer von ihnen nach vorne. Es ist der Mann von der Theke.

„Das wart ihr Arschlöcher oder? Kumar hat gesehen wie du Bastard so ein beschissenes Ritual veranstaltest hast“, dabei zeigt er auf Samarus. „Wisst ihr eigentlich mit wem ihr euch angelegt habt?“

„Mit wem denn?“, fragt Samarus gefasst, während er Diamedes nach hinten schiebt.

„Ich bin Stoll Rotbuch und das sind meine Männer!“, er zieht sein Schwert. „Wir gehören zu den gefürchteten Drachenjägern von Tijef! Wie kannst du es wagen, dich mit uns anzulegen?“, brüllt er und schlägt zu.

Die Klinge durchschlägt Samarus viel zu leicht und dringt bereits aus seiner Hüfte raus, ehe der Mann es begreift: „Eine Illusion?“

„Freut mich euch kennenzulernen“, erklingt hinter ihm Samarus eiskalte Stimme. „Mein Name ist Samarus Dev. Hohemagier des Zirkels der Magi von Steinhafen, Gebieter über die Sphären, Herr der Schatten, Meister der Finsternis und Freund des Leviatans … Willkommen in Steinhafen.“

Geklapper von Rüstungen und panische Stimmen erklingen von Hinten, als sich Rotbuch umdreht. Entsetzt muss er mitansehen wie seine Männer vor dem Mann fliehen, dessen Hinterkopf er gerade betrachtet. „Was zum Teufel?“

„Diesen Titel trage ich nicht, auch wenn man mich schon öfters so genannt hat“, sagt Samarus, während er sich herumdreht. Jetzt sieht auch Rotbuch, warum seine Männer geflohen sind: Samarus Augen sind pechschwarz und die Adern in seinem Gesicht haben dieselbe Farbe angenommen. Der Ausdruck in seinem Gesicht sieht aus, wie der eines Dämons. Lässig hält er seinen linken Arm vor sich, an dessen Ende sich eine in Finsternis gehüllte Klinge befindet. Träge wabern einige Schatten um seinen Körper herum. Panisch reißt Rotbuch seine Augen auf.

„Nun? Währt ihr jetzt auch so nett und verlasst unsere Stadt? Euresgleichen sind hier nicht erwünscht müsst ihr verstehen“, während er das sagt legt er lässig seinen Kopf schief.

Gerade als Samarus einen Fuß nach vorne setzt, reißt bei dem Mann der letzte Faden seiner Selbstbeherrschung. Angsterfüllt schmeißt er sich herum und rennt die Gasse entlang, wobei er dabei fasst in Diamedes hineinrennt.

„Wow, das war wirklich … Angsteinflößend“, gibt Diamedes zu, wobei er seinen Freund vorsichtig beobachtet.

„Ja, nicht wahr?“, antwortet ihm Samarus freudig. Lässig dreht er den Dolch in seiner Hand. Langsam aber stetig verschwindet er wieder in den Schatten. „Ich kann echt gruselig sein, oder?“, kichert er im Vorbeigehen. „So, nun komm. Ich muss mich jetzt einer wahren Gefahr stellen. Komm mein treuer Recke, lasset uns in das Antlitz des Todes blicken“, sagt er und zeigt in Richtung des Magierviertels, wo ihn seine Geliebte erwartet.

 

Veränderungen

Die Mittagssonne steht hoch oben und taucht zum ersten Mal seit Wochen Steinhafen in ihr strahlend warmes Licht. Der Regen hat endlich aufgehört und die Stadt erwacht wieder zum Leben. Die Vögel zwitschern ihre Freude heraus und ein wütender Samarus stapft gefolgt von seiner Angetrauten durch die noch leere Parkanlage in der Nähe des Zirkels der Magi.

„Nein und nochmals nein, das kann er vergessen!“, ruft er wütend.

„Ach komm, ich versteh dein Problem nicht. Eine höhere Ehrung gibt’s nicht.“

Abrupt dreht er sich um. „Ehrung? Das ist keine Ehrung! Der alte Sack will doch nur seine Arbeit auf mich abladen!“

„Wer es glaubt. Jeder andere Hohemagier würd sich ein Bein dafür ausreißen.“

„Ich aber nicht! Weißt du eigentlich was das für ein Aufwand ist? Der Alte sitzt teilweise über Tage hinweg in seinen Gemächern und muss Formular für Formular ausfüllen. Nein“, er fuchtelt abwehrend mit den Händen, „nein, das mach ich nicht, niemals!“

Sie legt den Kopf schief. „Als man dich zum Hohemagier ernannt hat, warst du stolz wie Oskar und hast damit bei jedem der dir über den Weg gelaufen ist angegeben, wie du doch der ‚jüngste Hohemagier seit tausend Jahren‘ bist. Aber jetzt, da dich der Erzmagier zu seinem Nachfolger machen will und du damit mit Abstand der jüngste Erzmagier seit zehntausenden von Jahren wärst, da gefällt dir das nicht?“

„Ganz genau. Die Arbeit als Hohemagier ist schon anstrengend genug. Ständig diese nervigen Studenten um die man sich kümmern muss, aber als Erzmagier komm ich doch nie mehr zu meinen Studien. Dann muss man auch immer bei diesen Banketten rumwandern und Hände schütteln. Beim Letzten hab ich gesehen wie sich der Erzmagier mit dieser Labertasche von Regenten von Mesa weit über zwei Glockenschläge unterhalten musste! Nein, ohne mich. Dia ist da übrigens auch ganz meiner Meinung.“

„Dia ist ja auch ein Philanthrop und Freigeist durch und durch. Du dagegen …“

„Er hat übrigens vor zu seinem 200ten Hochzeitstag sein Ehegelöbnis mit Valera zu erneuern. Sie planen eine kurze Hochzeit mit anschließender Feier. Naja, also offiziell ist es natürlich ihr 20zigster Hochzeitstag, es kommen ja auch viele Menschen zur Feier.“

„Tatsächlich?“

„Ja, und weist du was das Beste ist? Er hat mich gefragt ob ich sein Trauzeuge sein kann.“ Er strahlt über beide Ohren.

„Ach, als Rache dafür, weil er bei unserer Hochzeit dein Trauzeuge sein musste?“

„Wieso Rache? Es hat ihn doch tierisch gefreut, als ich ihn drum gebeten hatte, weil mein Bruder krank wurde.“

„Ich glaube kaum er hat sich gefreut, als er deinen bis oben hin zugeschütteten Körper im Anschluss an deiner Junggesellenparty nach Hause schleppen musste …“

Er kichert. „Das gehört halt dazu.“

„Auch den zukünftigen Bräutigam davon abzuhalten die Tänzerinnen anzutatschen?“, redet sie mit ausdrucksloser Mine weiter.

„Äh, also. naja, ich …“. vorsichtig weicht er zurück.

„Was ist denn?“, Catherine legt ihren Kopf schief, „geht dein Ablenkungsmanöver etwa nach hinten los?“

Wieder ertappt. „Verdammt. Ich will den Titel nicht! Es gibt ja nicht einmal mehr …“

Ein stechender Schmerz durchzuckt ihn urplötzlich. Er taumelt und geht in die Knie. Erst langsam lässt er nach.

„Verflucht, was war das denn? Scheiße. Cat, hast du dir etwa eine neue Technik ausgedacht, wie du mir geistig in die Eier treten kannst? Cat?“ Er dreht sich in ihre Richtung und mit einem Schlag weicht ihm jede Farbe aus dem Gesicht. Catherine liegt vor ihm. Keinerlei Regung. „C, Cat?“

 

Verdammt was geschieht hier?

Überall um ihn herum laufen Medici, Heiler und Helfer hin und her. Das gesamte Hospital ist in heller Aufregung.

„Hey, wart mal!“, er greift sich eine der vorbeieilenden Helferinnen. „Was ist hier los?“

„Was? Das wissen wir nicht. Überall in der Stadt sind auf einmal Menschen bewusstlos umgefallen. Unser Haus ist bereits überfüllt und es kommen immer mehr Fälle rein. Wir wissen nicht was es war, aber selbst aus dem Zirkel bekommen wir Meldungen von Magiern die zusammen gebrochen sind. Ich, ich muss jetzt weiter“, sie reißt sich los und rennt weiter.

Scheiße, der Zirkel ist auch betroffen? War das ein magischer Angriff?

Samarus sieht sich um. Hinter ihm liegt Catherine, immer noch ohne Bewusstsein in ihrem Bett. Er betrachtet die anderen Opfer.

Sie haben alle keine Wunden oder Vergleichbares. Es muss. Moment, den kenn ich. Er war bei unserer Hochzeit. Mh, ihn hab ich auch schon einmal gesehen. Ein Freund von Dia? Die dahinten hab ich auch schon einmal gesehen und ihn? Ja, ihn kenn ich auch irgendwoher. Heilige Scheiße. Alle sind es Drachen!

 

Die Nacht ist heraufgezogen. Samarus hat es sich inzwischen auf einen Stuhl neben dem Bett seiner Liebsten bequem gemacht. Die Aufregung des Tages hat ihren Tribut gefordert, er schläft unruhig.

„Mhm … was ist?“, müde schlägt er die Augen auf. Irgendetwas hat ihn aufgeweckt. „Cat? Cat! Du bist wach!“ Freudig springt er auf und hält abrupt inne als er begreift was ihn geweckt hat.

Sie weint. Sie weint hemmungslos.

„Was ist passiert?“

Mit tränenunterlaufenden Augen sieht sie ihn an. „Papa ist tot.“

 

Angst

„Sie haben eine weitere Stadt angegriffen!“

Catherine dreht sich verwirrt um und sieht ihren aufgewühlten Ehemann in der Tür stehen. „Wer?“

„Na wer wohl. Ein Drache natürlich. Ohne Vorwarnung hat er ein Großteil des Viehs niedergemetzelt. Die Bewohner von Tiefenbrug haben versucht ihn zu vertreiben, was definitiv keine gute Idee war. Er ist vollkommen ausgetickt und hat die halbe Stadt in Brand gesetzt. Erst als die Wächter zur Stadt kamen, hat sich dieser Feigling vom Acker gemacht. Über vierzig Menschen sind bei dem Feuer umgekommen. VIERZIG!“, brüllt er.

„Verdammt. Sie werden immer aggressiver. Diese elenden Vulkangeborenen“, murmelt sie.

Er hält inne. „Moment, was hast du gesagt? Vulkangeborene? Von denen hör ich zum ersten Mal.“

„Ich hätte dir wohl schon früher von ihnen erzählen sollen. Ihre Gruppierung gewinnt immer mehr an Kraft nach dem Tod unseres Vaters. Ihr Anführer ist ein noch recht junger Drache namens Marek. Du erinnerst dich bestimmt noch an ihn.“

Er reibt sich die Rippen. „Ja, leider.“

„Für sein Alter ist er schon ziemlich groß und mächtig. Manche sagen sogar, er könnte irgendwann so stark wie unser Vater werden. Die Vulkangeborenen setzen sich dafür ein den Drachen wieder ihren ursprünglichen Platz in der Nahrungskette einnehmen zu lassen.“

„Ihren ursprünglichen Platz in der Nahrungskette?“, er spuckt aus, „sprich es doch direkt aus. Sie wollen die Menschheit unterwerfen!“

„Vermutlich, aber sie sind nur eine kleine Gruppe! Ihre Meinung ist nicht die aller Drachen!“

„Ach und was ist die Meinung aller Drachen? Das war bereits der dritte Übergriff auf eine unserer Siedlungen innerhalb dieser Woche! Wieso unternehmen die Anderen nichts gegen ihre Artgenossen?“

Sie sieht zu Boden. „Nach Vaters Tod herrscht Chaos. Er hat ein riesiges Machtvakuum hinterlassen. Sie streiten über die Zukunft unseres Volkes.“

„Ach und da sind sie nicht einmal in der Lage ihr Bedauern auszusprechen? Nicht einmal die kleinste Anteilnahme? Nichts! Das schockt mich am Meisten. Sie akzeptieren es einfach das diese Vulkangeborenen uns angreifen.“

Catherines Kopf ruckt hoch, ihre Augen weiten sich. „Aber …“

„Kein aber“, fällt er ihr ins Wort. „So ist es doch. Das kannst du nicht leugnen. Ich versteh nur nicht wieso …“

Stille erfüllt den Raum. Gerade als sich Samarus entnervt abwenden will, gibt sie ihm seine Antwort: „Sie haben Angst.“

„Angst? Vor den Vulkangeborenen? Ich dachte es sind nicht so viele und dieser Marek mag zwar stark sein, aber es gäbe doch genug andere Drachen, die sich mit ihm messen könnten.“

Sie schüttelt ihren Kopf wobei ihre lange braune Mähne hin und her schwingt. „Nein, nicht vor ihnen. Sie haben Angst vor euch.“

Geschockt sieht er sie an. „Vor uns?“

„Ja, sie haben Angst vor den Menschen.“

„Moment, das verstehe ich nicht. Wieso sollten die Drachen Angst vor uns haben?“

Ihre Stimme wird leiser. „Weist du was ein Drachenjäger ist?“

Verwirrt sieht er sie an. „Ein Drachenjäger?“, er überlegt kurz. „Die Bezeichnung kommt mir bekannt vor. Ja, genau. So ein Typ hat sich und seine Leute so genannt, aber das war eigentlich ein uralter Beruf. Damals vor dem Friedenspakt gab es einige Menschen, die sich auf die Jagd nach Drachen spezialisierten. Durch die häufigen Übergriffe auf menschliche Siedlungen gab es viele Menschen die gut für das Erlegen eines Drachen bezahlt haben. Es gibt auch Sagen über besonders geschickte Kämpfer. Sie haben mit magisch verstärkten Waffen gekämpft oder aus den Gebeinen ihrer Beute geschnitzte Speere“, er hält inne. „Aber das ist Ewigkeiten her. Ich verstehe nicht was du mir damit sagen willst.“

„Es ist leider nicht Ewigkeiten her. Diesen Beruf gibt es immer noch. Insbesondere in den ländlichen und gebirgsnahen Regionen gibt es sie. Sobald sich ein Drache in der Nähe eines Dorfes zeigt, werden sie gerufen und dann jagen sie ihn. Sobald sie ihn gestellt haben ermorden sie ihn und weiden ihn aus. Sowohl sein Fleisch als auch seine Knochen werden dann verkauft. Auch nach Steinhafen. Besonders nach Steinhafen!“

Er sieht sie entsetzt an. „Aber die Wächter, sie würden sie doch sofort festnehmen …“

„Ha! Nein, die Wächter sehen einfach weg. Sie interessieren sich einen Scheiß für einen toten Drachen!“

„Aber …“

„Kein aber!“, brüllt nun sie ihn an. „Über dreihundert Drachen wurden im letzten Jahr getötet! Nicht einer dieser Mörder wurde festgenommen, geschweige denn verurteilt. Sobald wir versuchen selber zu ermitteln werden uns Steine in den Weg gelegt!“

Samarus schüttelt ungläubig seinen Kopf. „Das kann ich nicht glauben.“

„Das musst du. Es ist die Wahrheit. Durch den Friedenspakt ist es jedem Drachen verboten sich an Menschen zu vergreifen und Leviatan hat dieses Gesetz gnadenlos durchgesetzt. Aber bei euch?“, sie schüttelt angewidert den Kopf. „Insbesondere in den letzten zehn Jahren ist es immer schlimmer und schlimmer geworden.“

Geschockt setzt Samarus sich.

„Was glaubst du warum wir nicht offen unter euch leben? Warum wir sagen wir wären Menschen? Weil wenn wir uns offenbaren, wir damit rechnen müssten, uns könnte jemand im Schlaf die Kehle durchschneiden und unsere Innereien auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Niemand würde versuchen den Täter davon abzuhalten, geschweige denn zu bestrafen.“

„Das wusste ich nicht. Das wusste ich wirklich nicht. Scheiße ich hatte keine Ahnung das ...“ Ein Grauen packt ihn als er es begreift: „Deswegen hast du mich so angesehen als ich dir offenbart hatte, ich wüsste, was du bist?“ Er springt auf und läuft panisch durch den Raum. „Ich muss dir eine Höllenangst eingejagt haben. Scheiße, du hattest Angst um dein Leben. Ich wollte nicht, ich hätte nie …“

Catherine hält ihn auf und umarmt ihn. „Das weiß ich jetzt und das wusste ich auch schon damals. Du würdest niemals jemanden etwas über mich verraten. Das weiß ich doch.“ Sie lächelt ihn an und als er sich endlich entspannt gibt sie ihn einen sanften Kuss auf den Mund.

„Komm, wir müssen immer noch einkaufen.“ Sie greift ihn am Arm und zieht ihn hinaus aus ihrer gemeinsamen Wohnung.

 

Hass

„Ich kann das immer noch nicht glauben … sieben Jahre und du hast mir nie erzählt wie angespannt die Lage zwischen Menschen und Drachen wirklich ist.“

Sie wird langsamer. „Ich wollte dich nicht beunruhigen. Dich hat es nie gekümmert was ich nun bin, warum sollt ich dich dann mit etwas belasten, was du eh nicht ändern … Moment, sieben Jahre?“, sie reibt sich die Stirn. „Neun … wir sind seit neun Jahren zusammen. Kann doch nicht so schwer sein sich das zu merken, oder?“

„Weiß ich doch, hab auch nicht ab unserem ersten Treffen gezählt.“

„Hä? Von wann dann?“, fragt sie ihn verwirrt.

„Von unserem ersten Mal ohne Schutz.“

„WAS?“, brüllt sie ihn an. Sie wird knallrot und sieht sich schnell um. Keiner in der Nähe. Sie sind alleine in der Gasse.

Mit gehobenen Zeigefinger erklärt er es ihr: „Ab da beginnt wahres Vertrauen.“

Catherines Gesicht verzerrt sich zu einer Mischung aus verdutztem Erstaunen und einen guten Schuss Ekel. „Du … du … du hast echt einen Knall.“

„Ich dich auch, ich dich auch.“

 

„Ach, wo wir gerade beim Thema sind …“

„Ich glaub das will ich gar nicht hören“, gibt sie schnaubend zur Antwort.

„… müssen wir noch zu dieser komischen Kräuterfrau für deine ‚Medizin‘?“

„Ich wusste es doch und nein, wir brauchen nur etwas Salat, Gemüse und Fleisch für heut Abend.“

„Ah, meine Lieblingsspeisen. Naja, bis auf das Gemüse und den Salat.“

 

Inzwischen haben beide das Magierviertel, was sich um den Zirkel herum zieht, verlassen und nähern sich dem größten Marktplatz der Oststadt.

„Mh, ich glaub ich muss noch einmal unser vorheriges Thema aufgreifen …“

„Wenn du mich jetzt nach meinen Zyklus fragst hau ich dir den Korb solange gegen deinen Schädel bis du nicht mehr zuckst!“, zischt sie ihn an.

„Doch nicht dieses Thema.“ Samarus hebt beschwichtigend die Arme. „Ich mein worüber wir davor geredet haben.“

„Oh“, der wütende Ausdruck verschwindet sofort aus ihrem Gesicht.

„Deinen Zyklus kenn ich sowieso auswendig.“

Da ist er wieder.

„Nein, mich beschäftigt es wieso ich davon nie so richtig etwas mitbekommen habe. Ja gut, da waren diese Typen aus Tijef, aber ansonsten? Bei uns im Dorf waren nie Drachenjäger. Ok, meine Tante hat mir gerne einmal ein paar Geschichten über Drachen erzählt, aber die haben eher meine Neugierde geweckt als alles andere. Es war nie so, als ob man voller Hass über Drachen geredet hätte. Ich erinnre mich daran: Einmal kam ein Junge aus unserem Dorf angerannt und hat felsenfest behauptet er hätte einen Drachen gesehen. Aber als wir dahin gerannt sind wo er ihn gesehen hatte, war da nichts und wir haben ihn nur ausgelacht.“

„Ich weiß es nicht. Regionale Unterschiede?“

„Mh?“

„Grauwald liegt fern ab von jedem Gebirge und mitten in einem großen Wald. Das sind beides keine Gebiete in denen Drachen gerne leben. Vermutlich wurde die Stadt nie von einem Drachen angegriffen.“

Er denkt nach. „Das könnte sein. Ich wüsste auch nicht, es hätte in den Nachbarstädten jemals Drachenangriffe gegeben. Wir hatten wohl nie ernsthaft Berührungen mit den Drachen. Tijef liegt näher am Drachenhort und befindet sich auch nicht in der Nähe von großen Wäldern. Dort waren Angriffe früher vermutlich die Regel. Wenn wir zurück sind, kannst du mir dann mehr über die Konflikte erzählen?“

„Sicher doch, aber lass uns jetzt erst mal … Hey! Pass gefälligst auf!“

Ein Mann drängelt sich unsanft an ihr vorbei.

„Was ist denn da vorne los?“

In der Mitte des Platzes, wo normalerweise zu diesem Glockenschlag die Puppenspieler ihre Künste präsentieren, hat sich eine große Ansammlung von Menschen gebildet. Sie umringen eine provisorisch aufgebaute Bühne, auf der ein einzelner Mann steht.

„… abgeschlachtet. Ob Junge oder Alte, ob Männer oder Frauen, diese Monster haben sie alle abgeschlachtet. Erst die herbeieilenden tapferen Wächter konnten unter schweren Verlusten diese Abscheulichkeiten vertreiben …“

„Scheiße.“

Beide nähern sie sich weiter der Plattform, bis die Menge zu eng steht.

„Da seht ihr es, das halten diese Monster von dem Friedenspakt! Aber was wird dagegen unternommen frage ich euch? Nichts! Der Stadtrat schickt Briefe an diese Monster. BRIEFE!“, brüllt. „Als ob diese Degenerierten lesen könnten! Glaubt ihr tatsächlich diese Bestien könnte man damit aufhalten? Erst Mott, dann Tesis, danach Kleinfeld und nun Tiefenbrug! Welche Stadt kommt als Nächstes frage ich euch? Wie lange wird es dauern bis …“

„Woher weiß dieser Bastard von Tiefenbrug? Ich hab diese Information gerade erst vom Erzmagier bekommen. Nur der Stadtrat, der Zirkel und die Wächter wissen davon“, flüstert er Catherine zu.

„Solche Informationen verbreiten sich leider wie ein Lauffeuer, vielleicht hat ein Diener davon Wind bekommen. Wir müssen die Wächter informieren, ansonsten entsteht noch ein Aufruhr.“

Er hält sie am Arm fest. „Zu spät, sie wissen bereits davon.“ Er nickt in Richtung einer kleinen Gruppe von gerüsteten Männern, die das Wappen der Wächter tragen. Zwei von ihnen recken ihre Fäuste in die Höhe und der Rest brüllt mit der Menge.

„Nein, das kann nicht sein …“, der Schock sitzt tief in ihr.

„Wir müssen uns wohl etwas anders überlegen“, sagt Samarus und sieht sich weiter um.

„Sie sind doch bereits unter uns!“, brüllt ein weiterer Mann, während er sich auf die Bühne hochzieht.

„Was? Was meint ihr?“, wundert sich der Redner.

„Diese Teufelsbrut nutzt verbotene Magie um ihre Gestalt zu ändern. Diese Kreaturen sind längst unter uns! Sie haben sich unter uns gemischt, um uns zu manipulieren, um Leid und Krankheiten zu verbreiten. Sie lassen uns für sie schuften und beuten uns aus!“

Die Menge hält geschockt den Atem an. Der neue Redner hält inne und strafft erst einmal sein Talar, er wirkt wie ein Priester.

„Verflucht, das wird ja immer besser. Wir müssen sie zum Schweigen bringen …“, Samarus stockt. Verwirrt sieht er sich um. „Irgendwas stimmt nicht.“

Der Redner fährt fort: „Aber nicht mit uns! Wir halten sie auf! Wir lassen uns nicht hinters Licht führen! Denn wir wissen wer sie sind!“, dramatisch zieht der Mann ein Stück Pergament aus seiner Tasche. „Ja wir wissen wer sie sind. Wir haben die Namen von jeden Einzelnen dieser Teufel!“

Verwirrt starrt Catherine das Pergament an. „Was? Das ist unmöglich. Es gibt keine Liste, es kann keine Liste geben, woher sollten …“

„Thomas Mühlstein! Sophie Strein! Anna Kranz! ...“

Catherines Korb fällt zu Boden. „Nein.“ Ihr Körper zittert am ganzen Leib. „Nein, das kann nicht sein.“ Ihre Worte sind nicht mehr als ein Flüstern.

„… Markus Sind, Theodor Asmuth …“

Vollkommen panisch versucht sie sich nach vorne durchzudrängeln, ehe sie von Samarus zurückgezogen wird.

„Was tust du? Lass mich los!“, kreischt sie ihn an.

„Das ist eine Falle!“

„Was?“

„Das ist alles inszeniert. Sieh dich doch um!“ Unauffällig zeigt er auf eine Gruppe außerhalb der Menge. Ruppige Männer und Frauen in Lederrüstungen. Sie tragen mit Runen verzierte Waffen, die wie Zähne wirken, Drachenzähne.

„Drachenjäger“, flüstert sie während er auf die anderen Gruppen zeigt.

„… Theresas Minne, Olivia Stein …“, redet der Mann auf der Bühne weiter.

Insgesamt sind es fünf lose Gruppen alleine in ihrem Sichtfeld. Zwei davon sind in der Menge und feuern die Meute weiter an.

„Außerdem weiß ich jetzt was hier nicht stimmt. Du kannst dich doch auch nur schwer auf was anderes konzentrieren oder?“

„… Ernst Zimmer, Kasus Imbruch ...“

„Ich verstehe nicht ganz … Ja! Ja du hast recht.“

„Irgendwer nutzt hier subtile Schattenmagie um Ablenkungen zu verhindern.“

„Dann müssen wir diesen Magier finden und den Zauber unterbrechen!“

„Zu spät, die Menge steht kurz vor einem Ausbruch.“

Und tatsächlich werden die Leute um sie herum immer wilder. Sie brüllen ihren Hass gegen die Drachen aus vollem Halse heraus. Keiner ruft mehr nach Mäßigung.

„Aber …“

„… Karolin Pfeil, Diamedes und Valera Trint, Franz Küstel …“

„Diamedes und Valera? Trint? Nein. Nein, das hat er gerade nicht gesagt. Bitte, das hat er grad nicht gesagt?“, Verzweiflung packt sie.

„Wir müssen zu ihnen.“, hektisch sieht er sich um, „wir müssen zu ihnen, bevor es der Mob schafft.“ Er packt sie und zieht sie mit sich, raus aus der Menge.

 

Weg von der Menschenmenge werden die Wege immer freier und Catherine immer schneller. Sie wird so schnell, dass Samarus schon bald weit zurückfällt.

Schneller als eine Raubkatze, verdammt ich verlier sie. Notgedrungen nutzt er seine eigenen Fähigkeiten. Mit jedem Schritt überwindet er eine weitere Strecke. Erst vier, dann acht, dann zwölf und zu guter Letzt befindet er sich nach jedem neuen Schritt über siebzehn Fuß weiter entfernt.

Erstaunt sieht sie zur Seite. „Wie machst du das?“

„Schatten- …“, er verschwindet, „… -schritt“, und taucht wieder auf, „Kurz …“, Schatten hüllen ihn ein, „… Distanz …“, seine Adern sind pechschwarz, „… Teleportation.“

„Kannst du nicht …?“

„Nein.“

Und sie versteht.

Ich kann uns nicht direkt zu ihnen teleportieren. Schon diese kleinen Distanzen brennen mir regelrecht das Wasser aus den Adern. Kurz nachdem sie die Portalbögen durchquert haben, die die einzelnen Stadtteile voneinander trennen, entdecken sie die Ersten.

Leichen, halb verbrannte Leichen.

Überall liegen zerstörte Wagen und verbrannte Kleidungsfetzen.

„Scheiße, hier war dieses Aufwieglerpack sogar noch früher“, flucht Catherine.

Wie ich es mir gedacht hatte. Sie müssen auf allen Plätzen in der Stadt ihre Leute verteilt haben. „Ja“, gibt er kurzatmig zurück. Verdammt, sie wird sogar noch schneller.

 

Als sie auf den Hauptplatz der Nordstadt kommen, bricht um sie herum das Chaos aus. Überall rennen Menschen panisch davon, während andere mit wutverzerrten Gesichtern und improvisierten Waffen auf die Jagd gehen. Ein kurzer Blick über den Platz und Samarus entdeckt in einer Seitengasse einen Drachen, der eine ganze Gruppe von Menschen in Flammen steckt, ehe er von einigen Speeren getroffen zu Boden geht. Die Überlebenden stürzen sich auf ihn.

Fuck.

Catherine erreicht als Erste die Prachtstraße, in der das bescheide Haus der Trints steht. In der Straße herrscht das Chaos, überall rennen Menschen herum. Mehrere Häuser in der Nähe haben bereits Feuer gefangen. Rauch blockiert die Sicht. Gerade als sie eine Frau aus den Weg stößt entdeckt Catherine sie:

Valera und Diamedes werden aus ihrem Haus gezerrt. Diamedes versucht die drei Männer, die ihn gepackt haben, abzuschütteln, während in diesem Moment ein in Lumpen gehüllter Mann eine Sichel zieht und Valera mit einer schnellen Bewegung die Kehle durchschneidet.

„V, Val?“, Catherine kommt abrupt zum Stehen.

Endlich holt Samarus sie wieder ein und muss mit ansehen wie Valera zu Boden sackt, ihr Kopf unnatürlich wippend. Zu spät

Diamedes starrt voller Unglauben seine eigene Frau an und noch ehe die Erkenntnis über seine Gesichtszüge brandet, fangen bereits die Männer, die ihn eben noch festgehalten haben, an zu brennen. Schneller als Samarus es jemals beobachtet hat verwandelt sich Diamedes in seine wahre Gestalt. Vermutlich hätte er in diesem Moment gebrüllt, aber er hat bereits sein Maul in einen der Mörder seiner Frau geschlagen und während er diesen in Fetzen reißt, zertrümmert Diamedes einen der hinzueilenden Drachenjägern mit seinem Schwanz den Schädel samt Helm.

Doch die routinierten Drachenjäger fassen sich schnell und der erste hat bereits seine mit Runen verstärkte Lanze in die Flanke von Diamedes gerammt.

Mit weit aufgerissenen Augen beobachtet Samarus diesen Kampf. Er hat keine Chance, es sind zu viele, viel zu viele.

Es kommen immer mehr dieser gerüsteten Krieger aus den umliegenden Gassen gestürmt.

Eine gewaltige Hitzewoge trifft ihn von der Seite. Catherine ist in Flammen gehüllt. Ihr wutverzerrtes Gesicht offenbart mehrere Reihen messerscharfe Zähne, als sie ein brutales Brüllen von sich gibt.

„Nein. Nein, das sind zu viele!“, verzweifelt versucht er sie festzuhalten. Seine Haut schlägt Blasen sobald er sie berührt, aber trotzdem hält er sie mit all seiner Kraft fest. „Das sind zu viele!“, brüllt er in ihr Ohr.

„Lass mich los!“, schreit ihn Catherine an, abgrundtiefer Hass steht ihr ins Gesicht. Sie windet sich in seinen Armen, während er sie zu Boden wirft und schnell mehrere Schattenfesseln wirkt, um sie aufzuhalten.

In diesem Moment trifft Diamedes die zweite Lanze, sein schmerzverzerrtes Brüllen erschüttert die Häuser.

„NEIN!“ Sie windet sich immer weiter während Samarus verzweifelt mehrere Zeichen in den Boden schreibt.

„HÖR AUF, ICH MUSS ZU IHM!“

„Es tut mir Leid“, entschuldigt sich Samarus vollkommen außer Atem. „Es tut mir so leid.“

„DIA!“

Das letzte Zeichen ist fertig und in dem Moment, als die Welt um sie herum zerreißt um sich vollkommen neu wieder aufzubauen, wird Diamedes von der letzten Lanze in die Kehle getroffen.

Verzweifelt schluchzt Catherine: „Didi …“

Ein Morgen in der Stadt

Seht sie euch an. Keinen von ihnen kümmert es.

Wütend starrt er die Menschen an, die an ihm vorbei gehen.

Als hätten sie nicht vor einem Monat ihre Mitmenschen gnadenlos abgeschlachtet. Als hätte es diese Nacht niemals gegeben. Aber es gab sie! Ich habe es mitansehen müssen! Ich habe gesehen wie ihr sie aus ihren Häusern geschleift und abgeschlachtet habt und noch heute sehe ich verbrannte Wände und eingeschlagene Türen. Ich sehe das eingetrocknete Blut auf den Straßen, was sich einfach nicht entfernen lässt. Aber ihr ignoriert es. Ihr trauert nur um die armen Menschen, die starben als sich die Drachen verteidigten.

Er schüttelt seinen Kopf, während er über die Brücke in Richtung Prachtstraße wandert.

Der Rat versucht das, was in dieser Nacht geschehen ist herunterzuspielen. Es wären Einzelfälle gewesen. Aber wurde jemand selbst für diese Einzelfälle bestraft? Nein, Niemand. Keine Anklagen, nichts. Keine Fragen wo die Wächter waren, wo der Zirkel war.

Wütend ballt er seine Hand zur Faust. Erst als er das Haus seiner Freunde erreicht, verlässt ihn jede Wut und macht Platz für sein Bedauern. Niedergeschlagen betrachtet er das halb zerstörte Gebäude.

Valera, Diamedes. Meine Freunde. Ich habe versagt. Ich hätte euch schützen sollen. Ich hätte angreifen sollen. Aber, er hält inne, ich konnte es nicht.

Während er sich eine Träne aus den Augen wischt, steckt er eine neue Blume in die Vase, die er vor zwei Wochen dort entdeckt hat. Neben seiner steckt dort immer noch eine weitere Tulpe, Valeras Lieblingspflanzen.

Ob Catherine die Vase aufgestellt hat? Vermutlich, wer würde sonst um sie trauern? Aber ich traue mich nicht sie zu fragen …

Betrübt geht er wieder zurück auf die Brücke und schaut runter in das tiefblaue Wasser des Flusses unter ihm.

Ich begreife einfach nicht, wie sich alles so schnell nach Leviatans Tod verändern konnte. Alles ist zusammengebrochen. Ein Krieg ist nur noch eine Frage von Tagen. Gott bin ich froh, dass Misa diesen Kerl kennen gelernt hat. Was hatte sie geschrieben war er? Ein Dichter? Ja, glaube ich zumindest. Naja, besser als nichts. Er hat es wenigstens geschafft sie von ihren Umzugsplänen abzulenken. So musste sie das alles nicht mit ansehen. In Grauwald ist sie sicher. So weit im Hinterland wird es keine Angriffe geben.

Er dreht sich wieder um und blickt auf die Menschen, die wie gewohnt ihrem Tagewerk nachgehen.

Aber hier? Es wird bald zu Angriffen kommen. Die Leute glauben zwar die Wächter würden den Krieg weit von ihnen fernhalten, aber sie unterschätzen alle die Drachen. Sie werden diese Stadt erreichen und dann gibt es ein Massaker.

 

Während er weiter seinen düsteren Gedanken folgt, beobachtet er wie ein kleiner Junge an ihm vorbei rennt. Seine Kleidung ist zerrissen und verdreckt.

Ein Straßenjunge, aber was hat er da in der Hand? Eine Tulpe?

Verwundert stößt er sich ab und folgt dem Jungen. Dieser bleibt erst stehen, als er das Haus von Diamedes erreicht. Nur kurz betrachtet er die neue Tulpe in der Vase, ehe er die andere gegen seine austauscht.

Von diesem Jungen kommt die Vase? Einem Menschen?

Vorsichtig geht er näher heran, den Hall seiner Schritte durch Schattenmagie verschleiert. Als er nahe genug dran steht, versteht er sein Gemurmel.

„… nicht mehr aufstehen, um zu euch zu kommen. Aber dafür bin ich ja da. Mama vermisst euch. Nicht nur weil ihr ihr immer mit ihrem Rücken geholfen habt, sondern weil sie sich so gerne mit dir unterhalten hat Tante Val. Sie sagt mir immer noch nicht, warum ihr gehen musstest. Ich wünschte ich wüsste es. Ich vermisse euch und ganz besonders deine Plätzchen Onkel Dia. Ich …“

Mit Tränen in den Augen wendet sich Samarus ab. Vielleicht habe ich mich doch geirrt …

 

Auf dem Weg zurück ins Magierviertel entdeckt er ein bekanntes Gesicht.

Ist das nicht? Ja, es ist zwar schon ein paar Jahre her, aber diese Hackfresse würd ich immer wieder erkennen. Rotbusch … Nein Moment, das war mein Spitzname für meine Ex. Rotbuch! Genau, das war es. Er hat von sich behauptet er wäre ein Drachenjäger. War er auch an der Pogromnacht beteiligt?

Wütend starrt er ihn in der Menge an. Seine Adern werden langsam, aber stetig von Finsternis durchzogen.

Sekunde, wer sind die Männer bei ihm? Er redet mit dem einen als wäre es sein Boss oder so. Das könnte interessant werden.

Vorsichtig beobachtet er die Männer und als sie sich in Richtung der Oststadt aufmachen, folgt er ihnen.

 

Dank der Menschenmenge kann er ihnen mühelos unbemerkt folgen, bis sie einen alten Irrgarten betreten. An den Eingängen stehen in Leder und Kette gehüllte Wachen.

Mh, eine geschlossene Gesellschaft für Drachenjäger? Das sollte weniger ein Problem für mich sein.

Gelassen wandert er am Rand des Gartens vorbei und als Niemand in seine Richtung blickt, ist er auf einmal verschwunden. Einen Bruchteil von einer Sekunde später taucht er oben auf der mit Steinen verstärkten Hecke auf und sofort springt er auf der anderen Seite nach unten.

Das war leicht. Jetzt muss ich sie nur noch wiederfinden. Vielleicht hätte ich mir oben kurz den richtigen Weg einprägen sollen …

Vorsichtig schleicht er durch die Gänge des Irrgartens. An jeder Ecke hält er inne und lugt kurz herum. Nach der zwanzigsten Ecke gibt er entnervt auf.

Verdammt nochmal. Ich glaube ich sollte noch einmal kurz hochgehen um zu sehen wo ich genau bin. Scheiß drauf, ob mich einer sehen könnte.

Genau in diesem Moment wird er unterbrochen. „Hey was treibst du denn da?“

Verfickte … Schnell dreht er sich um. An der nächsten Ecke steht ein alter gerüsteter Mann, der ihn mit zusammengekniffenen Augen ansieht.

Langsam kommt der Mann näher, dabei sucht er was in seinen Taschen. „Kenne ich dich? Verdammt, wo ist sie denn?“

Schnell schaltet Samarus und verstellt seine Stimme mit ein wenig Schattenmagie: „Was? Na klar kennst du mich. Ich bin es, Stoll“, lügt er. „Hast du wieder deine Brille verloren? Das kommt davon wenn du sie immer abnimmst. Deine Eitelkeit wird dich noch einmal umbringen Väterchen.“

„Nenn mich gefälligst nicht Väterchen, du kleines Balg“, antwortet er wütend. „Ich könnte schwören ich hatte sie in dieser Tasche …“

Samarus grinst. Ja, da war sie bis vor wenigen Sekunden auch noch. Im Augenwinkel beobachtet er, wie ganz langsam eine Brille, an hauchdünnen Fäden gezogen, ins Gebüsch wandert.

Der Mann kneift wieder seine Augen zusammen. „Sag mal trägst du keine Rüstung?“

„Naja, du weißt doch wie scheiße schwer die ist. Ich musst halt mal derbe Kacken und damit ich nicht dabei nach hinten umkippe, naja, hab ich sie halt ausgezogen.“

Angewidert verzieht der Alte das Gesicht. „So genau wollte ich es jetzt auch nicht wissen, du Schwächling. Früher mussten wir in unseren Rüstungen leben, kämpfen, töten, kacken und vögeln! Nicht so wie ihr Grünschnäbel.“

„Vögeln? Sag doch nicht wir, wenn du von anderen sprichst.“

„Fick dich, Kleiner. Außerdem, warum erledigst du hier dein Geschäft, anstatt am Treffen teilzunehmen? Hättest du das nicht im Gasthaus machen können?“

„Du solltest doch am besten wissen, man kann das halt nicht immer kontrollieren.“

„Ich gib dir gleich eine!“, antwortet der Mann wütend.

„Beruhig dich“, beschwichtigend ihn Samarus und hebt die Hände, „sag mir lieber in welcher Richtung das Treffen stattfindet. Der Garten hier ist ja ein einziger Irrgarten.“

Der Alte schüttelt seinen Kopf und zeigt in Samarus Richtung. „Geh den Weg entlang, dann die zweite Abzweigung nach links, die nächste nach rechts und dann die dritte nach Links. Hat dein Spatzenhirn es geschafft sich das zu merken?“

„Jaja, sind ja noch nicht alle so senil wie du. Such du mal lieber deine Brille und pass auf, nicht in meinen Haufen reinzutreten.

Angewidert dreht sich der Mann um und geht.

Breit grinsend folgt er den Anweisungen des alten Mannes. Na das hat ja besser geklappt, als ich erwartet hatte. So, hier findet also ein Treffen statt.

 

Einige Minuten später erreicht er die Mitte des Irrgartens. Keine zwanzig Fuß entfernt sieht er eine Gruppe von Drachenjägern, die sich mit einem kleinen Mann in Dieneruniform unterhält.

Ist das nicht Ladest Enat? Er arbeitet doch für Kubrat? Verdammt, ich muss näher ran.

Vorsichtig duckt er sich und schleicht hinter einen Baum. Dort angekommen versteht er endlich worüber die Männer reden …

 

Flucht

Sie hasst mich. Ja, das tut sie. Ich sehe es in ihren Augen. Aber hat sie nicht alles Recht dazu? Ich habe sie aufgehalten, ich habe dran gehindert ihren Bruder zu retten … Meinen besten Freund. Aber hätte sie ihn überhaupt retten können? Da waren so viele von ihnen, alles erfahrene Drachenjäger. Die haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt als ihre Kameraden neben ihnen in Flammen aufgingen. Hätten wir, nein, hätte sie eine Chance gehabt? Ich war nutzlos, den Sphärensprung hab ich nur gerade so überlebt. Ob sie es geschafft hätte? Ich glaube nicht … Oder denke ich nur so weil ich Angst hatte? Angst wovor? Angst um mein Leben? Angst um ihr Leben? Val … eine Handbewegung und ihr Leben war zu Ende. Was wenn es Cat gewesen wäre?

„Was ist?“

Samarus blinzelt. „Bitte?“

Catherine Blick wird wütend. „Du stehst seitdem du reingekommen bist wie angewurzelt vor mir. Was ist los?“

„Ja ich … ich weiß jetzt wer für die Pogromnacht verantwortlich war.“

Sie versteift sich sichtlich. „Wer?“

„Ratsmitglied Serow Kubrat.“ Als sie nichts sagt und nur ins Leere starrt fährt er fort: „Er hat in letzter Zeit einen enormen gesellschaftlichen Sprung gemacht. Sein Aufstieg kommt hauptsächlich von seiner Haltung gegenüber den Drachen. Er gilt als großer Befürworter eines Krieges und ist damit sehr beliebt beim Volk und natürlich dem Militär. Nicht bei den alten Kampferfahrenen, aber bei den Jungspunden, den Bälgern des Adels. Durch ihren Einfluss hat er es in den Rat geschafft. In der Öffentlichkeit versucht er nicht einmal die Pogromnacht zu leugnen, wie die anderen Ratsmitglieder es tuen. Er sagt einfach nur, sie hätten diese Eskalation provoziert …“, er ballt die Fäuste und erst als er langsam ausatmet, schafft er es weiterzureden: „Auf jeden Fall hatte ich ihn deswegen schon länger im Verdacht, aber erst heute Morgen konnte ich ein Treffen zwischen einem seiner Diener und führenden Mitgliedern der Drachenjäger beobachten. Es sieht so als wäre ihr Plan die Drachenjäger zu Beginn des Krieges als rettende Eliteeinheit oder so vorzustellen. Der Sold dafür wäre natürlich außerordentlich hoch und würde direkt von der Stadt kommen.“

Ihre Stimme ist leise und düster. „Das Alles nur wegen Macht und Geld?“ Es wirkt als würde sie zu sich selbst sprechen. „Ich hätte ihn damals die Kehle rausreißen sollen …“

„Was meinst du?“

„Nichts, hast du noch etwas herausgefunden?“

„Nein … Ja doch, die Liste. Es war wie du vermutet hattest. Auf ihr standen alle die während des Massenkomas in Hospitale eingeliefert wurden. Das erklärt auch warum du nicht drauf standest. Hätte ich damals nicht befürchtet, man hätte dich direkt angegriffen und ich deswegen einen falschen Namen angegeben hätte, wären sie wohl auch hinter dir hergewesen.“

„Ja, was für ein Glück“, gibt sie sarkastisch als Antwort zurück.

„Es tut mir Leid.“

„Das hast du schon einmal gesagt.“

„Ich meine es jedes Mal ernst“, antwortet er ihr aufrichtig.

„Ich weiß.“ Sie steht auf und geht ans Fenster. Aus der Ferne beobachtet sie wie die gerade ankommende Dritte Flotte zum Rest der Seestreitmacht von Steinhafen aufschließt. Die gesamte Bucht ist voller Kriegsschiffe. „Bald werden sie das erste Mal richtig aufeinander treffen“, sinniert sie.

„Ja, die Vulkangeborenen haben ihre Kriegsanstrengen massiv erhöht. Sie haben jede Stadt bis zur ihrer Küste eingeäschert.“

„Kein Wunder. Nach diesem Massaker gab es nicht einen Drachen im Hort, der gegen den Krieg war. Sie alle wollen Rache. Man hat versucht selbst mich zu rekrutieren“, offenbart sie ihm.

Er schaut sie nervös an.

„Ich habe abgelehnt, falls du das fragen wolltest.“ Mit diesen Worten dreht sie sich wieder zu ihm um.

„Selbst wenn, könnte ich es dir nicht verdenken ...“

Catherine schüttelt nur ihren Kopf. „Ich will nicht für diese Wahnsinnigen kämpfen und Unschuldige abschlachten. Das ist nicht mein Krieg.“

„Wie haben sie reagiert?“

„Schlecht. Was glaubst du denn? Sie halten mich für eine Verräterin.“

„Mh, der Erzmagier hat mir auch mitgeteilt, der Rat verlangt unsere Unterstützung. Genauer gesagt verlangt er von uns, uns vorne an ihre Schiffchen zu binden um das Feuer auf uns zu lenken.“

„Das ist Irrsinn.“

„Ja, ich will auch nicht in diesem Krieg kämpfen. Für keine Seite.“

„Sollen wir dann warten, bis sie uns als Verräter hängen?“

„Ich wär eher dafür, wir besorgen uns eine kleine Hütte weit im Westen und diese Irren lassen wir hier sich solange die Köpfe einschlagen, bis ein wenig Verstand reinsickert.“

„Wir sollen fliehen?“

„Warum nicht? Früher oder später endet der Krieg und wir könnten vielleicht sogar wieder herziehen.“

„Mh.“

Während Catherine sich diesen Vorschlag durch den Kopf gehen lässt schenkt er sich einen Tee ein.

Ob sie darüber nachdenkt, ob sie vor dem Krieg fliehen soll oder ob sie vor mir fliehen soll?

„Gut.“

„Gut?“

„Ja, ich denke auch eine Flucht wäre das Beste. Du hast bestimmt schon einen Plan oder?“

„Ähm naja ...“

 

Der riesige Hengst schnaubt ihr direkt ins Gesicht.

„Uff.“ Sie betrachtet erstaunt die Kutsche vor sich. Massiv gebaut und von vier Pferden gezogen.

Der alte Kutscher blickt sie unter schweren Liedern heraus an. „Das sin die besten Gäule aus unsrem Stall, Ma`am. Schneller kommen se nur aufm Drachen wohin.“

„Ich glaub in diesen Tagen ist das keine gute Idee“, wendet Samarus ein.

„Da ham se vielleicht recht, Sir“

„Können wir uns kurz unterhalten?“, fragt ihn Catherine.

„Sicher. Boris, sind sie so gut und tränken die Tiere? Wir werden bald aufbrechen.“

„Natürlich, Sir.“

Als sie sich ein wenig entfernt haben, schaut ihn Catherine verwundert an. „Du hast echt eine Kutsche samt Kutscher gekauft?“

„Kannst du eine Kutsche bedienen?“

„Nein.“

„Siehst du, ich auch nicht“, antwortet er ihr. „Boris ist erfahren und er stellt wenig Fragen. Außerdem kann er den Krieg auch nicht ab und will raus aus der Stadt.“

„Na gut, dann sollten wir wohl anfangen zu packen, oder?“

„Ja.“

Gerade als sie wieder ins Haus gehen wollen, fällt Catherine etwas ein: „Wir sollten den Erzmagier über unsere Pläne informieren.“

„Bist du dir sicher?“, erwidert er besorgt.

„Ich kenn ihn seit über zwanzig Jahren, er würde uns niemals verraten. Vermutlich würde er sogar mitkommen, wenn da nicht der Zirkel wäre.“

„Na gut, beeil dich aber. Hab keine Lust alles alleine zusammen zu packen.“

„Jaja“, erwidert sie kurz angebunden.

 

Im Büro des Erzmagiers herrscht noch mehr Chaos als sonst. Neben den üblichen herumliegenden Büchern und Folianten befinden sich nun mehrere Hohemagier im Raum. Sie koordinieren die Kommunikation zwischen den verschiedenen Standorten der Wächter. Sowohl zwischen den Spähposten auf der anderen Seite des Meeres und ihrem Hauptstützpunkt hier in Steinhafen, als auch zwischen hier und den Provinzen weit im Landesinneren. Als Catherine den Raum betritt bemerkt sie der Erzmagier auf Anhieb. Seine Mine hellt sich auf. Auf den ersten Blick würde wohl niemand auf die Idee kommen das dieser kleine alte Mann, mit seinen immer zerzausten schlohweißen Haaren und der übergroßen Brille, einer der mächtigsten Magier des Landes ist und über den ältesten und mächtigsten Magierzirkel dieser Welt befiehlt.

„Catherine! Ich bin froh dein Gesicht zu sehen!“ Als er näher an ihr dran steht flüstert er ihr leise zu: „Wie stehst du es durch?“

„Ich … Es geht, kann ich euch unter vier Augen sprechen?“

„Sicher.“ Er führt sie in einen kleinen Nebenraum und nachdem er die Tür geschlossen hat, spricht er wieder in normaler Lautstärke: „Die Siegel halten immer noch. Du kannst frei sprechen.“

Sie betrachtet ihren alten Freund. Er wirkt noch älter als er eigentlich ist. Ob er in den letzten Tagen geschlafen hat? Sieht nicht so aus.

„Danke, es geht um den bevorstehenden Krieg.“

„Das habe ich mir bereits gedacht. Samarus hat einige kryptische Andeutungen gemacht. Wie geht es ihm?“

Sie schaut zur Seite. „Es … Es geht ihm gut.“

„Er macht sich noch immer Vorwürfe wegen dem was damals passiert ist, nicht wahr? Und du bist ihm vermutlich keinerlei Hilfe diese Sorgen zu zerstreuen, nicht wahr Miss Eisprinzessin?“

Dieser Spitzname! Sie wird wütend. „Das geht euch nichts an!“

„Hat mich das jemals davon abgehalten mich einzumischen? Du kannst ihm nicht vorhalten, wie er sich damals verhalten hat, das weißt du selbst nur zu gut, nicht wahr?“

Sie schnaubt nur als Antwort.

„Nun gut, ich bezweifle, du bist gekommen um eine Moralpredigt von mir zu erhalten. Weshalb bist du hier?“

Nach einigen Minuten der Stille fasst sie sich ein Herz: „Wir werden fliehen, noch heute.“

„Ich nehme an Samarus hat alles geplant?“

„Also, ähm, ja.“

„Gut, dann solltet ihr sicher aus der Stadt kommen.“

„Wundert ihr euch etwa nicht?“

„Und das ausgerechnet von dir? Dabei hast du viel mehr Lebenserfahrung als ich. Ich habe so etwas bereits geahnt. Ich werde euer Verschwinden solange decken wie es mir möglich ist.“

Erleichterung durchströmt sie. „Ich weiß gar nicht wie ich euch danken soll.“

„Kommt nur sicher an eurem Ziel an … wo immer das auch ist. Das ist mir Dank genug. Jetzt komm, lass uns mal sehen was da draußen wieder los ist. Meine Leute sind ja noch aufgedrehter als sonst.“

 

Tatsächlich rennen die Hohemagier und Helfer in dem kleinen Büro hin und her.

„Erzmagier! Erzmagier! Es gab einen Angriff! Es ist schrecklich!“

„Was? Jetzt beruhigt euch einmal. Welcher Spähtrupp wurde entdeckt?“, fragt er ihn in ruhigen Ton.

Der junge Mann schüttelt seinen Kopf wie wild. „Kein Spähtrupp, sie greifen unsere Provinzen an.“

„Was? Das ist unmöglich! Dafür müssten sie erst mal das Meer überquert haben. Wie viele sind es?“

Provinzen?

„Tausende, es sieht aus wie ihre Hauptstreitmacht. Die Himmel sind voller Flügel“

„Sie müssten dafür einen riesigen Umweg geflogen sein, wie konnte das nicht entdeckt werden? Wie lauten die Berichte genau.“

„Zuerst haben wir den Kontakt zu Hochstein und Kaltfels verloren. Wir haben sofort versucht den Kontakt wiederherzustellen, aber da gab es bereits weitere Berichte von Bergstadt, Grauwald und Blaukiefer …“

Grauwald?

„… es wurden Bilder projiziert in denen überall Drachen am Himmel waren. Sie haben wie irre Feuer gespien und die Dörfer und Städte regelrecht verglast …“

Verglast?

„… dann ist auch deren Kommunikation abgebrochen. Es kommen ständig weitere Berichte rein von …“

Grauwald wurde verglast? Catherine wankt zurück. Sam.

„Miss? Ist alles in Ordnung?“

„Ich muss…“, ehe sie den Satz vollenden konnte, hat sie sich bereits umgedreht und ist durch die Tür gestürmt. So schnell wie sie ihre Füße tragen können, rennt sie durch die Gassen zurück zu ihrem Haus. Dort angekommen erblickt sie das, was sie auf keinen Fall sehen wollte, aber es tief im inneren erwartet hatte. Die umliegenden Einwohner haben sich versammelt und beobachten beunruhigt wie der arme Kutscher versucht die vollkommen wahnsinnigen Pferde, wieder unter Kontrolle zu bekommen. Je näher Catherine kommt desto mehr erkennt sie: Auf der Straße liegen die Scherben ihrer Fenster verteilt, die Wände ihres Hauses sind mit Rissen durchzogen und winzige Teilstücke der Fassade schweben losgelöst in der Luft. Panisch drängt sie sich durch die Menge und stürmt ins Haus.

Erst in Türrahmen ihres Schlafzimmers bleibt sie stehen. Der Raum ist vollkommen verzerrt, die linke Wand wirkt als hätte man sie von außen in den Raum hinein geschlagen und an der rechten ist ein so gewaltiger Riss, dass man leicht zum Nachbargebäude rüber springen könnte. Überall im Raum schweben Bruchstücke ihres Bettes und Teile des Schrankes herum. Doch das schrecklichste in diesem Raum kniet dort vor zwei Koffern. „Sam.“

Samarus Adern sind pechschwarz und er zittert am ganzen Leib, während er wie wahnsinnig mehrere Zeichen auf den Boden schreibt.

„Ich habe mich getäuscht“, seine ruhige Stimme passt überhaupt nicht zu seinen hektischen Bewegungen. „Ich bin davon ausgegangen das dieser Krieg irgendwann endet, eine Seite zum Verlierer erklärt wird, man einen Friedensvertrag unterschreibt und dann hat es sich erledigt. Doch das ist nicht das Ziel dieses Krieges. Das Ziel ist Ausrottung. Am Ende dieses Krieges wird ein ganzes Volk ausgerottet sein. Das habe ich nun begriffen.“

Sie nähert sich ihm zögerlich „Sam …“

Aber lässt sich nicht beirren und schreibt weiter Symbol nach Symbol. „Es werden nicht nur Stellungen oder Stützpunkte angegriffen, nein, es werden gezielt Zivilisten angegriffen … Es tut mir Leid.“

„Sam, bitte, was hast du vor?“

Erst jetzt blickt er auf und sieht sie an. Seine Augen sind pechschwarz, genau wie die Tränen die von seinem Kinn tropfen. Seine Verzweiflung ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Es tut mir Leid … aber ich werde dein Volk ausrotten.“

Und mit diesen Worten beendet er das letzte Symbol und ist verschwunden.

Eine Seefahrt die ist lustig…

Nicht schon wieder. Resigniert beobachtet Eisenfunk wie sich sein Kamerad zum dritten Mal seit Ablegen lautstark übergibt.

Dieser Name ist natürlich nicht der, mit dem er geboren wurde, aber es war der Name, dem man ihm nach der Grundausbildung gab. Selbstverständlich hat er niemanden jemals gesagt, dass er diesen Namen nur deswegen bekam, weil er es nie schaffte die ungeschützten Bereiche zu treffen und nur wie ein Blöder auf Stahl einschlug. Nein, wann immer man ihn fragt, woher er diesen Namen habe, sagt er, er war früher einmal Schmied. Dank seiner breiten Schultern und den Fäusten die breit wie Bratpfannen sind, wundert sich auch niemand über die Antwort oder traut sich einfach nicht noch einmal nachzufragen. So oder so ist ihm das recht.

„Gott, du hast mich zwar gewarnt, du wärst nicht seefest. Aber das es so heftig ist? Verflucht, wir sind keine vier Glockenschläge unterwegs und du hast bereits Frühstück und Mittagessen ausgekotzt.“

Noch leicht würgend zieht sich sein Kamerad von der Reling zurück und starrt ihn mit trüben Augen an.

„Fick dich Eisen, fick dich.“

Wäre es ein Anderer, der diese Worte spräche, würd er vermutlich bereits auf halben Wege in Richtung Hölle sein, aber nach fünfzehn Jahren voller Kämpfe in den unterschiedlichsten Kriegen, müsste schon mehr kommen um ihre Freundschaft zu stören. Stattdessen lacht Eisenfunk nur lauthals.

„Ich mein das ernst Kopflos. Die Wasserpisser behaupten wir ham noch locker zwei Tage Fahrt vor uns und du siehst jetzt schon aus als hätt dich nen Rudel Drachen bestiegen.“

Kopflos, diesen Namen hat er sich in den Dämmerkriegen verdient. Mit seinen neu gewonnen Kumpel Eisenfunk und dem Rest seiner Kompanie hat er sich vor der ersten Schlacht so zugeschüttet, er hat vor dem Beginn des Kampfes das Herunterfallen eines Helmes mit dem Angriffsbefehl verwechselt und ist prompt mitten in die feindlichen Reihen gestürmt. Sein überleben war ein reines Wunder. Kopflos und Eisenfunk, zwei Veteranen der Dämmerkriege und noch einigen Scharmützeln und Kämpfen danach und doch ist heute das erste Mal auf See für Beide. Der Eine breit wie ein Schrank und ebenso hoch und der andere nur halb so groß, aber fast genauso breit.

Kopflos Augen weiten sich kurz, als er zum ersten Mal hört wie lang die Reise noch gehen soll, aber er fängt sich schnell. „Pah, als ob mich so nen Flüsschen klein kriegen kann. Eher ersäuf ich es in meiner Kotze. Kümmer dich lieber um deine Luise. Die Arme sieht aus als hättest du sie ertränkt.“

Eisenfunk sieht kurz nach unten. Neben seinem Knie lehnt die schwere Armbrust, der er den Namen einer seiner Exfrauen gegeben hat.

Genauso fett wie das Original und wenn sie zuschlägt hauts selbst den dicksten Drachen aus den Latschen.

„Das kommt von dieser elenden Pisse in der Luft. Bin selber schon vollkommen durchgeweicht.“

„Dann verstau se halt endlich mal.“

„Genau und wenn die Drachen angeschnattert kommen wedle ich solange mit den Pfoten bis sie panisch davon flitzen oder was?“

„Du glaubst doch nicht wirklich, die greifen uns hier an, oder? So bescheuert können selbst die Drachen nicht sein. Wir ham hundertachtzig Magier auf unseren Schiffen und unter uns is nen verdammtes Meer. Wenn die uns zu nahe kommen fallen die wie die Fliegen.“

Eisenfunk schnaubt zur Antwort. „Als ob dieses Feiglingspack uns helfen wird. Ich hab die Hauptmänner doch quasseln gehört. Die Hälfte der Hohemagier hat sich verpisst und der Rest machts denen doch garantiert nach. Angeblich sucht der Erzmagier nach den Verrätern. Ha! Wers glaubt. Zum Glück haben wir keine von diesen Ratten am Bord.“

„Mh, ich hätt nichts gegen nen Magier. Der könnt uns zumindest warnen wenn was angeschnattert kommt.“

„Ach so wie sie Blaukiefer gewarnt haben?“, wütend spuckt er aus. „Diese blinden Ratten hams ja nicht einmal geschafft eine komplette Invasionsflotte zu bemerken. Als ob die uns warnen könnten.“

Kopflos rutscht unruhig hin und her. „Du hast noch nichts von deinem Bruder gehört?“

„Nein.“

Und damit hat sich das Thema erledigt.

 

Die erste Invasion der Drachen begann vor zwanzig Tagen. Eine gewaltige Streitkraft hatte es geschafft die weitreichenden Überwachungen des Zirkels zu umgehen und hatte damit begonnen eine Stadt im Hinterland nach der anderen auszulöschen. Es hat fast anderthalb Tage gedauert, bis die Truppen formiert und vor Ort waren um sich den Drachen zu stellen. Es begann eine blutige Schlacht in der knapp ein Drittel der Infanterie niedergemetzelt wurde. Darunter auch fast die gesamte Kompanie und viele weitere Kameraden der Beiden. Erst das viel zu späte Eingreifen des Zirkels hat für den Rückzug der Drachen gesorgt. Doch zu diesem Zeitpunkt war es bereits viel zu spät. Sieben Städte und neunzehn kleinere Dörfer wurden vollständig vernichtet. Der Militärrat hat resigniert beschlossen anstatt die Angehörigen der Opfer zu benachrichtigen, lieber nur die Angehörigen der Überlebenden zu benachrichtigen, das war weniger Aufwand …

Nach diesem Ereignis wurden die Invasionspläne noch schneller vorangetrieben. Die bereits versammelten Schiffe wurden mit Soldaten und Kriegsgerät beladen und nach siebzehn Tagen stach etwa die Hälfte der Armee von Steinhafen und den umliegenden Städten in See. Insgesamt fast dreitausend Schiffe und fünftzigtausend Soldaten. Ihr Ziel ist es auf der gegenüberliegenden Landseite Fuß zu fassen und eine Portalstrecke aufzubauen um die restlichen Teile der Armee vor Ort zu bringen. Zusammen würden sie den Drachenhort angreifen und den Krieg ein für alle Mal beenden. So war zumindest der Plan.

 

Scheiße ist das warm. Unruhig wirft sich Eisenfunk von einer Seite auf die Andere. Bin ich in nem Glutofen gelandet? Schweißgebadet wirft er die Bettdecke zur Seite.

„Kopf, bist du da?“ Er versucht sich im Dunkeln zurecht zu finden, entdeckt seine Luise und wirft sie sich über die Schulter, ehe er sich in die Richtung von Kopfloses Koje aufmacht. Als er sie endlich ertastet hat, greift er ins Leere.

„Verflucht nochmal, was ist hier los?“ Im Zwielicht des Mondes, das durch ein verdrecktes Bullauge hindurchscheint, torkelt Eisenfunk in Richtung Kabinentür. Als er sie erreicht reißt er sie, in freudiger Erwartung auf eine kühle Brise, auf und wird regelrecht erschlagen von der Hitzewoge, die ihm entgegenweht. Ehe er es schafft zu Atem zu kommen entdeckt er seinen Kumpel wie er sich wieder einmal über die Reling hängt.

„Kopf! Irgendeine Scheiße geht hier ab und dir fällt nichts besser ein als die verdammten Fische zu füttern?“

„Halts Maul und komm lieber her.“

Was zum? Verwundert läuft er zu ihm und beugt sich selber über die Reling. „Scheiße, das Wasser kocht?“

„Ist mir auch erst vor kurzem aufgefallen. Ich hab mal gehört es gibt riesige Vulkane unter Wasser. Die sollen das Wasser so richtig aufheizen können. Glaubst du unter uns is so einer?“

„Mh, ich weiß ja nicht.“

In diesem Moment erklingt eine Glocke von einem der hinteren Schiffe. Kurz darauf erschüttert ein gewaltiges Brüllen die bis noch eben ruhige Nacht. Der Himmel leuchtet auf und mehrere Feuerbälle stürzen in die Tiefe.

„Drachen! Sie greifen an!“, ertönt es von überall.

Als ob ich das selbst nicht gemerkt hätte.

Kopflos macht seinen Namen alle Ehre und stürmt an seinen Kumpanen vorbei.

„Wo willst du hin? Die Ziele sind da oben!“, Eisenfunk zeigt in den Himmel.

Nur kurz bleibt Kopflos vor der Kajüte stehen, ehe er die Tür aufreißt und reinrennt. Dabei ruft er schnell: „Meine Armbrust hohlen verflucht nochmal.“

Von der Ironie gepackt fängt Eisenfunk an laut zu lachen, bis eins der Geschosse mit Getöse knapp neben dem Rumpf des Schiffes einschlägt und eine gewaltige Woge aus Dampf und Gischt übers Deck jagt. Noch halb erblindet greift er nach Luise und lädt sie routiniert durch. In dem Moment als sich die Gischtwolke endlich verzogen hat, sieht er zum ersten Mal die waren Ausmaße des Angriffes.

Die Luft ist voll von Drachen, zwar halten sie sich alle so weit oben wie möglich, aber das hindert sie nicht daran, aus vollem Hals heraus, Feuer gehn Erde zu speien. Unten wiederum herrscht reger Betrieb auf den anderen Schiffen. Überall rennen Matrosen rum und versuchen die Schiffe auf Fahrt zu bringen um den Geschossen auszuweichen. Dabei laden Soldaten ihre Armbrüste und Bögen durch und feuern auf die wenigen Drachen, die sich tief genug runter trauen. Nur die großen Hauptschiffe rühren sich nicht. Kein Wunder, selbst wenn sie es wollten, sie wären sowieso zu langsam um den Geschossen auszuweichen. Stattdessen entdeckt Eisenfunk ein Funkeln um den Schiffen herum.

Magier, pah!

In dem Moment als die Flammengeschosse dem Funkeln zu nahe kommen, leuchtet sie hell auf und werden in tausende von Bruchstücken zerteilt. Diese Teile wiederum prasseln auf die umliegenden Schiffe.

Verflucht, diese elenden Bastarde bringen noch unsere eigenen Leute um.

„Da kommt einer!“ Als er diese Warnung hört reißt er sich von dem Anblick los, nimmt Luise in Anschlag und blickt nach oben. Ein gewaltiger Drache stürzt vom Himmel herab.

Selbstmord was? Na da helfe ich dir doch gern.

Während er immer näher und näher kommt reißt die fast fünfzig Fuß lange Bestie ihr Maul auf.

Näher. Schnell wischt er sich den Schweiß von der Stirn.

Um ihn herum feuern bereits die ersten Soldaten ihre Bolzen ab, doch auf die Entfernung kommt nicht einer auch nur in die Nähe des Drachens.

Noch näher. Langsam nimmt er das linke Auge ins Visier, während sich im Maul der Echse eine Feuerwoge sammelt.

Jetzt. Sanft drückt er den Abzug, Die Waffe ruckt, ein Strang der Sehne reißt und der Bolzen fliegt schief aus der Waffe.

Fuck, ich hasse Seefahrten.

In diesem Moment brüllt der Drache auf und reißt seinen Kopf hin und her. Ein Bolzen ragt aus seinem linken Auge heraus. Vollkommen panisch begreift er seine Lage viel zu spät und schafft es nichtmehr das Unvermeidbare zu verhindern. Mit voller Wucht knallt der Drache auf die Wasseroberfläche. Um Eisenfunk herum rennen die Soldaten an die Reling und feuern ins Wasser.

Woher?

Als er sich umdreht entdeckt er Kopflos in der Tür, seine Armbrust noch immer im Anschlag. „Ich hab dir gesagt du sollst sie verstauen.“

„Ach leck mich.“ Wütend packt er sich die Waffe eines jungen Rekruten. Ehe der protestieren kann besinnt er sich schnell eines Besseren und läuft unter Deck, um sich eine der Ersatzwaffen zu besorgen.

„Das sind echt beschissene Schützen.“

„Ja, sie feuern viel zu früh. Da trifft doch keiner der Bolzen.“

„Ich red nich von unsren Leuten.“

„Was?“, verwirrt sieht Eisenfunk ihn an.

„Die Drachen, sie speien Feuer wie blöde, aber sie treffen kaum.“

Misstrauisch beobachtet Eisenfunk die Kämpfe über den Schiffen. „Ham vielleicht nur Schiss.“

In diesem Moment trifft ein Geschoss die Backbordseite des Schiffes. Die Wucht ist so heftig, beide Männer verlieren kurz den Kontakt zum Boden, ehe sie sich fangen können. Zwei andere Soldaten hatten nicht das Glück, die Wucht hat sie über Bord geschleudert.

„Verfluchte …“ Schnell greift sich Eisenfunk ein paar Taue und schleudert sie den Männern hinterher.

Vielleicht können sie sie noch greifen.

Gerade als er sich abwenden wollte, hört er die panischen Schreie. Als er schnell einen Blick über die Reling wirft, erstarrt er. Beide Männer winden sich schmerzerfüllt im Wasser. Ihre Arme, die sie verzweifelt in Richtung Schiff erhoben haben, stehen in Flammen, während sich das Schiff immer weiter von ihnen entfernt.

Das Wasser, das kochende Wasser! Sofort sieht er Runter auf den Bug des Schiffes. Rauchschwaden steigen auf. Das Schiff brennt?

„Die Bastarde setzen das Meer in Brand!“

Kopflos starrt ihn verwirrt an, ehe er begreift. „Sie feuern nicht auf uns, sie feuern aufs Meer.“

 

Kurz darauf wird das erste Schiff in Flammen gesteckt. Von unten herauf fängt es an zu brennen. Panisch versucht die Mannschaft ins rettende Meer zu springen ehe sie begreift, dies bedeutet ihren Tod.

Scheiße, wir müssen hier weg.

Schnell stürmt er an Kopflos vorbei in Richtung des Steuermannes. Oben angekommen entdeckt er den Kapitän, der offensichtlich verrückt geworden ist. Er steuert direkt in Richtung der Hauptflotte. Als Eisenfunk das bemerkt reißt er ihn herum und brüllt ihn an: „Was soll die Scheiße, willst du uns grillen? Steuer in die andere Richtung!“

Mit weit aufgerissenen Augen starrt der Kapitän ihn an. „Das war ein Befehl von den Admirälen. Sie haben allen Schiffen befohlen sich sofort bei den Hauptschiffen zu sammeln!“

„Sind die irre?“

„Fuck!“

Beide drehen sich um und entdecken einen vollkommen durchgeschwitzten Kopflos, der sich gerade die letzte Stufe hochgequält hat und nun entsetzt nach oben starrt. Die beiden machen es ihm nach und beobachten wie gerade das Hauptsegel anfängt Feuer zu fangen.

Es ist so heiß das selbst das durchnässte Leinen Feuer fängt.

„Wir haben keine andere Wahl, geht sofort an die Ruder!“, brüllt der Kapitän beide an.

Schnell rennen sie runter und geben die Befehle weiter, während andere versuchen die Seile des Segels zu kappen. Mit jedem Schlag den die Ruder ins Wasser machen kommen sie dem nächsten Hauptschiff einen weiteren Schritt näher, aber auch mit jedem Schlag fangen die Ruder an immer stärker und stärker zu brennen.

Scheiße, wehe die ham sich nicht etwas Besonderes ausgedacht.

Gerade als er diesen Satz gedacht hat breitet sich das Funkeln um dem Hauptschiff immer weiter aus und umschließt die umliegenden Schiffe.

Ha! Eine Barriere, sind diese Magier doch zu irgendwas nutze! Er legt sich noch stärker ins Zeug.

Nichtmehr weit, dann sind wir drunter. Keine vierhundert Fuß. Das Funkeln wird immer intensiver.

Ein kurzer Blick in Richtung des Ruders, fast die Hälfte steht bereits in Flammen. Noch dreihundert Fuß.

Das Strahlen, was von den Hauptschiffen ausgeht wird immer heftiger und zwingt Eisenfunk wegzusehen.

Nur noch hundert Fuß. Wir haben es fast geschafft, gleich sind wir in Sicherheit.

In diesem Moment wird es schlagartig dunkel und als er verwirrt nach vorne blickt, sieht er nichts. Keine Barriere, keine kleinen Schiffe, keine Hauptschiffe, nichts. Nur ein kochendes Meer.

Wo sind sie hin?

Verwirrte Rufe dringen an sein Ohr, die kurz darauf von panischen Schreien überdeckt werden. „Feuer!“

Sie sind abgehaun.

„Scheiße, Eisen, wir müssen hier weg!“

Beißender Rauch liegt in der Luft, man kann kaum noch die eigene Hand vor Augen sehen.

Diese elendigen Magier. Dieses verfluchte feige Pack! Hustend und Fluchend steht er auf und blickt hasserfüllt in Richtung Steinhafen.

„Ja, flieht nur, aber glaubt ja nicht, ihr könntet mir entkommen. Ich werde euch jagen und jeden einzelnen von euch abschlachten! Diese verdammten Drachen mit ihrer Magie und ihr mit euer Magie … Magie ist die Wurzel allen Übels in dieser verfluchten Welt und ich werde sie mit meinen eigenen Händen ausreißen!“, brüllt er in ihre Richtung, wobei sich langsam das Feuer auf seinen rechten Schuh hin ausbreitet.

 

Helden

Ein sonniger Morgen. Auf dem Exerzierplatz der Wächter haben sich fast alle Soldaten von Steinhafen und den umliegenden Städten versammelt. Dicht an dicht stehen sie da und beobachten das Treiben oben auf der Bühne.

„Sieh dir nur unsere Helden an“, flüstert ihm Toris ins Ohr.

„Mhm.“ Er hat nicht Unrecht. Seht sie euch an: Die Helden von Steinhafen.

Der Erste: Großadmiral Saiten. Früher ein massiger Mann mit großen Bart und eine Stimme die nicht nur auf seinem eigenen Deck, sondern auch noch an Land zu hören war und jetzt? Abgemagert. Kein Wunder, hat er doch fast zwei Drittel seiner Untergebenen verloren, über zehntausend Mann. Er soll seit dieser Niederlage keinen Bissen mehr zu sich genommen haben. Seinen Bart musste er sich abrasieren, nachdem mehr als die Hälfte davon in den Flammen verging und seine Stimme? Nur ein heiseres Flüstern. Das Feuer hat ihm alles genommen.

Neben ihm steht unser nächster Held: Hohemagier Aros. Er war es der erkannte was die Drachen vorhatten und den einzig möglichen Befehl gab um zumindest einen Teil der Flotte zu retten. Glaube aber nicht, er ist sonderlich stolz darauf. Nicht alle seiner Leute waren auf den Hauptschiffen und die Ehre, eines der Flaggschiffe, wurde vollständig zerstört. Mit ihr über vierzig Magier, so sind insgesamt fast achtzig gestorben. Doch im Gegensatz zu unsrem ersten Helden, hält er wohl nichts von Enthaltsamkeit, stattdessen gibt er sich der Völlerei hin. Falls man Alkohol als Essen bezeichnen könnte. Als die Helden die Bühne betreten haben, wäre er fast von der Treppe gefallen, so dicht ist er. Aber es ist nicht nur der Alkohol, der ihm zusetzt. Man sieht es bei allen Magiern in letzter Zeit. Sie sind alle kraftlos, ausgezerrt und müde. Der Wasserentzug nagt an ihnen.

Kommen wir nun zum letzten unserer tollen Heldenschaar. Vor diesem gruselt es mich am meisten. Ein Hauptmann der Blaukiefer überlebt hat. Nicht, dass das bereits Leistung genug wäre, hat er nur mit einem billigen Schwert bewaffnet einen gewaltigen Drachen erlegt. Nein, nicht erlegt, er hat ihn niedergemetzelt. Dabei sieht er überhaupt nicht aus wie jemand, der zu so etwas fähig wäre. Auf den ersten Blick wirkt er ziemlich schmächtig, aber sein Blick … Sein Blick ist absolut angsteinflößend. Es sieht aus wie der Blick eines Toten, als ob er jeden Sinn im Leben verloren hätte. Toris behauptet das sogar. Er sagt dieser Drache hätte kurz vorher die Ehefrau des Hauptmanns in Stücke gerissen. Zumindest hat das ein anderer Überlebender behauptet. Danach fragen will ich ihn aber jedenfalls nicht. Auch wenn ich vielleicht irgendwann die Möglichkeit dazu hätte. Man hat ihn immerhin zum Marschall ernannt und ihm damit den Oberbefehl über die Infanterie gegeben. Als Nachfolger von Kulak, der zusammen mit seinen Beraterstab auf der Ehre in Flammen aufgegangen ist. So möchte man doch gerne an seine neue Stellen kommen, oder?

 

Die Rede ist zu Ende, die Helden wurden geehrt und nachdem die letzten aufgehört haben zu klatschen, ist die Menge dabei sich wieder aufzulösen.

„Reth?“

Verwundert blickt er Toris an. „Mh, was ist?“, fragt er ihn.

„Nichts, du siehst nur ziemlich betrübt aus.“

„Kann sein. Sagst du bitte dem Hauptmann, ich werde mich ein wenig verspäten? Ich muss noch wohin. Unsere Schicht fängt eh erst später an.“

„Na gut“, erwidert Toris ohne weiter nachzuhaken. Er sieht ihm noch kurz nach wie er langsam dahinschlürft, ehe er zurück zur Stube geht.

Reth geht weiter seinen Gedanken nach: Die Situation ist mehr als nur angespannt. Nachdem das Meer auf einmal angefangen hat zu kochen ist alles drunter und drüber gegangen. Viele der Fischer die auf See waren haben es nicht rechtzeitig zurück geschafft und dann ist auf einmal der Hafen regelrecht explodiert. Schiff für Schiff ist aus dem Nichts aufgetaucht. Die meisten davon haben bereits gebrannt, andere waren sogar bereits nichts weiter als verbranntes Holz. Ohne das Wasser aus dem Meer hat es Ewigkeiten gedauert die Schiffe zu löschen und die Überlebenden zu bergen.

Reth schüttelt den Kopf. Mit einem Schlag wurde fast die Hälfte unserer Armee vernichtet. Seitdem greifen sie uns jede Nacht an, ein Zermürbungskrieg. Toris behauptet das bald ihr richtiger Angriff beginnt. Vermutlich hat er Recht, die Magier, unsere einzige richtige Waffe gegen die Bestien, sind so gut wie fertig. Jeden Tag brechen mehr und mehr zusammen. Ah da ist er ja.

Der Hafen von Steinhafen. Massiv aus Stein, gebaut für die Ewigkeit. Derjenige der dieser Stadt ihren Namen gegeben hat. Derjenige der die Stadt mit Reichtum und Leben beschenkt hat. Lachende und spielende Kinder, die im Wasser herumtollen. Fischweiber, die ihre Waren anpreisen, während ihre Männer gerade dabei sind den frisch gefangenen Fang auszunehmen. Eine sanfte Briese die übers Meer fegt. Das Salz auf der Zunge schmecken, während man die noch junge Sonne im Meer bewundert … All das gibt es nicht mehr. Halb geschmolzener Fels neigt sich in die Tiefe, runter in eine weite ausgetrocknete Ödnis. Niemand läuft hier noch rum, dafür stinkt es zu sehr nach verbranntem Stein, Holz und ganz besonders nach verbrannten Fleisch. Mit jedem Windzug wird einen dieser Gestank wieder und wieder ins Gesicht geweht. Ich will gar nicht schlucken, ansonsten schmeck ich es wieder auf der Zunge.

Er bleibt am Rand stehen und blickt nach unten. Nichts als Ödnis. In einer Nacht wurde aus diesem schönen Meer eine einzige Wüste.

„Dacht ich mir doch das du hier bist.“

Toris.

„Ich kann es einfach immer noch nicht glauben. Es sind keine zehn Tage her, dass ich hier stand und mir die Gischt ins Gesicht geweht ist. Jetzt regnet es nicht einmal mehr.“

„Mhm.“ Toris kommt langsam näher und legt seine Arme um ihm. „Ich weiß. Ich stand mit dir hier. Genauso wie jetzt auch.“

„Ja …“ Er lässt sich leicht zurückfallen in die Umarmung seines Liebsten. „Ich glaube es wird noch schlimmer.“

„Vermutlich.“

 

Völlig außer Atem bleibt Reth an der Wegbiegung stehen und linst um die Ecke.

Nichts. Weiter. Schnell sprintet er durch die Gasse.

Vor knapp einem Glockenschlag hat die Bombardierung begonnen. Doch die Angriffe aus der Ferne waren ihnen dieses Mal wohl nicht genug. Sie sind runter in die Straßen geflogen und haben ihre Flammen durch jede Ritze, in jedes Haus gejagt. Die Infanterie wurde losgeschickt um sie zu bekämpfen und im Gegensatz zu den bisherigen Tagen und Wochen haben wir erstmals einige Erfolge gefeiert. Jeder vierte Drache, der sich zu nah nach unten traute wurde mit magisch verstärkten Bolzen vom Himmel geholt und niedergemacht. Doch für jeden von ihnen, sterben hundert von uns. Die Straßen sind mit Leichen gepflastert. Auch meine Kompanie hat sich mit einer dieser Bestien angelegt. Doch kurz bevor wir sie hatten, haben zwei weitere ihren Angriff begonnen. Ihre Flammen sind mitten durch unseren Trupp gegangen. Scheiße.

Er wird langsamer als er endlich realisiert was eben passiert ist. Ich hab nur gesehen wie sich dieses Maul geöffnet hat … Ein einziger Glutofen. Selbst auf dieser Entfernung war die Hitze unerträglich. Dann hab ich mich auf den Boden geschmissen und erst aufgeblickt als das Dröhnen vorbei war. Der gesamte Platz hat gebrannt. Um mich herum waren nur Schreie, doch mich hatte nur eines interessiert: Wo war Toris? Erst als ich ihn auf der anderen Seite der Flammen sah war ich beruhigt. Er war gerade dabei einen anderen zu versorgen. Keine Ahnung wer es war, aber so wie er aussah war die Mühe sowieso vergebens, aber das hat Toris noch nie gekümmert.

Erst in dem Moment hab ich Luken neben mir wahrgenommen. Die Hälfte seines Körpers war verbrannt, aber er war immer noch bei Bewusstsein. Also hab ich ihn vorsichtig hochgehievt und ihn mit mir geschleift. Sollte unser Trupp getrennt werden lautet der Befehl sich am großen Brunnen in der Oststadt zu treffen. Dort sind noch Magier und ganz wichtig: Heiler.

Reumütig blickt er zurück. Dafür kommt es leider für dich zu spät, Luken. Falls ich das hier überlebe, sag ich deiner Frau wie tapfer du heute gekämpft hast. Auch wenn du nicht einmal in diesem Krieg mit deiner Waffe zugeschlagen hast … Reiß dich zusammen Reth. Du musst zum Brunnen, dort wartet Toris auf dich, er muss.

Ein Gott?

Reth stürmt durch die Gassen, wobei er bei jeder Biegung erst einmal vorsichtig um die Ecke schielt und immer wieder nervös in den Himmel blickt. Regelmäßig sieht er einen Schatten vorbeifliegen und jedes Mal duckt er sich in einen Hauseingang rein. In der Ferne erklingt das Brüllen von mehreren Drachen und Kampflärm.

Aber gottseidank alles weit genug entfernt.

Er hastet weiter, bis er in einer dunklen Gasse auf einmal eine Bewegung sieht und erstarrt. Seine Augen weiten sich vor Entsetzen als er ungläubig beobachtet was gerade vor ihm passiert: Eine Frau, in einer weiten Robe gehüllt, schlitzt einer der halb verbrannten Leichen die Kehle durch, hebt sie hoch und … trinkt den herausquillenden Blutstrom.

Was? Was ist das?

Als sie ihn bemerkt starrt sie ihn mit blutunterlaufenden Augen an. „Was? Was starrst du so?“

Sie lässt die Leiche unachtsam fallen und versucht sich mühselig aufzurichten. Ihr Mund, Kinn und Teile der Robe sind blutdurchtränkt. „Starr mich nicht so an!“, brüllt sie ihn an.

Kurz nachdem sie sich aufgerichtet hat gerät sie kurz ins Wanken, hält sich den Mund zu und es wirkt kurz so, als würde sie das eben getrunkene Blut direkt wieder auskotzen, aber sie fängt sich.

„Glaubst du ich hab eine Wahl?“, brüllt sie ihn an.

Ihre Haare beginnen sich leicht aufzurichten während leichte Funken über ihre Haut zucken. Noch immer steif vor Schock geht Reth vorsichtig zurück. Ihr Gesicht verzerrt sich vor Wut und aus den Funken werden kleine Blitze die zwischen ihren Gliedern hin und her zucken, in diesem Moment lässt sie sich leicht nach vorne fallen und stürmt auf ihn zu.

„Krepier!“, kreischt sie.

Ich muss meine Waffe ziehen…

Noch ehe er es überhaupt schafft seine Waffe zu berühren, steht sie bereits vor ihm, geh aus vollem Lauf heraus in die Hocke und mit einer gewaltigen Druckwelle schleudert sie sich nach vorne. Die Wucht ist heftig. Sie wirft Reth um und im Fallen beobachtet vollkommen ungläubig, wie sich diese Frau über ihn hinweg katapultiert … genau auf einen Drachen zu.

Er muss sich angeschlichen haben, kommt es ihm kurz in den Sinn.

In dem Moment, als beide aufeinanderprallen, beginnt das Gewitter. Gewaltige Blitze gehen von der Frau aus und durchschlagen mehrmals die Bestie. Panisch versucht sie die Frau abzuschütteln und schlägt wie wild nach ihr, aber die Frau hat sich festgekrallt und mit jeder Sekunde die vergeht, jagt ein Blitz nach dem nächsten durch die Kreatur. Wild mit den Flügeln schlagend versucht sie zu entkommen. Vergebens. Gerade als sie davor sind außer Sicht zu geraten, stürzt der Drache in die Tiefen, irgendwo in einen anderen Teil des Viertels.

Vollkommen entsetzt über das was er gerade miterlebt hat, bleibt er einen Moment sitzen und versucht wieder zu Atem zu kommen.

Sie haben kein Wasser. Eine Magierin. Sie brauchen Wasser, egal woher. Scheiße, ich muss weiter!

 

Endlich, da vorne ist der Platz. Nein, nein, nein.

Als er den Platz und den riesigen Prachtbrunnen entdeckt, an dem noch vor wenigen Wochen sich die Verliebten der Stadt zu einem romantischen Treffen sammelten, beginnt er wie wahnsinnig an zu fluchen.

Fast der gesamte Platz ist verschwunden, an seiner Stelle steht eine verzerrte Glasfigur und überall an ihrer Seite liegen verbrannte Leichen.

Nein, hier war das Lazarett. Wo sind sie? Wo ist Toris? War er hier als das passiert ist? Verdammt wo ist er? Verzweiflung durchströmt ihn und gerade wo er sich seinen Tränen hingeben will berührt ihn etwas kurz auf der linken Schulter.

„Wer?“

Und auf der Rechten.

Was?

Auf der Stirn.

Er greift sich an den Kopf: Wasser. Selbst der Himmel weint über diesen Tag … Moment? Es regnet?

Tropfen für Tropfen prasselt der Regen gehn Erde.

Das hätte ich nichtmehr erwartet. Die Magier sagten doch es könnte nur ganz selten noch Regnen. Dabei waren bis vor kurzem noch keine Wolken da o … heilige Scheiße.

Mit offenen Mund blickt Reth zum Himmel hinauf. Dort oben ist noch immer nicht eine Wolke am Himmel. Genauer gesagt ist dort nicht einmal mehr ein Himmel. Wo vor kurzem noch ein sternenklarer Himmel sich weit über den Horizont hinaus erstreckt hat, klafft nun ein gewaltiger Riss. Mit jeder Sekunde die er den Riss beobachtet, wird er breiter und breiter. Gleichzeitig nimmt der Regen immer stärker zu. Vollkommen verwirrt starrt er das Schauspiel an, bis er erkennt was sich hinter dem Riss befindet:

Ein Meer. Das ist ein stadtgroßes Portal zu einem verfickten Meer!

Doch selbst als sich das Portal zu seiner vollen Größe geöffnet hat, stürzt nicht alles Wasser gleichzeitig in die Tiefe. Stattdessen regnet es nur so stark wie seit Jahrzenten nicht mehr.

In diesem Moment erschüttern mehrere gewaltige Explosionen den Boden. Voller Erstaunen beobachtet Reth wie sich eine gewaltige steinerne Hand aus der Nordstadt in Richtung Himmel bewegt und dort einen locker zweihundert Fuß langen Drachen packt und ihm die Kehle zertrümmert. Kurz darauf erklingt ein unsagbar lautes Donnern, als würde ein Blitz direkt neben einen einschlagen. Aber statt ihm treffen die Blitze gleichzeitig mehrere andere Drachen und ehe sie es überhaupt begreifen fallen sie tot vom Himmel.

Die Magier. Überall in der Stadt erwachen sie zu ihrer vollen Macht. Flammensäulen steigen vom Boden auf und verbrennen selbst Drachen, mehrere Drachen werden mitten im Flug in Eis gehüllt, stürzen ab und werden beim Aufprall zertrümmert. Schatten umschlingen die Kreaturen und lassen ihre Geschosse ins Leere gehen.

Unglaublich. Das nur durch den Regen?

Reth blickt wieder nach oben und verfolgt wie langsam, Fuß für Fuß, eine Gestalt aus dem Riss schwebt.

Ist das ein Gott? Haben sie endlich unsere Gebete erhört? Von hier unten kann man ihn nur schwer erkennen. Er sieht aus als würde er einen langen Mantel tragen, der voller leuchtender Runen ist oder so.

Das Wesen sieht sich kurz um und als es den größten Drachen entdeckt zuckt es kurz mit seiner Hand und eine gewaltige Sense erscheint.

Wo ist er hin? Er war doch eben noch da. Wie kann es so schnell?

In diesem Moment entdeckt er ihn wieder. Das Wesen ist gerade hinter einem der zweihundert Fuß langen Echsen aufgetaucht, die die Angriffe offensichtlich anführen. Noch ehe sich die Kreatur umdrehen kann zerfällt sie bereits in zwei Teile.

Mit einem Schlag? Mit einem Schlag hat es einen dieser Giganten gespalten.

Die Drachen in der Nähe brüllen entsetzt auf, aber ehe sie das Wesen in Flammen eindecken können, hat es bereits mit seiner Waffe mehrmals die Luft durchschnitten und mit ihr, die kleineren Drachen. Nur zwei der größeren haben den Angriff gerade so überstanden und speien ihm Feuer entgegen. Viel zu langsam. Das Wesen ist wieder verschwunden und auf dem Kopf des linken Drachens aufgetaucht. Während der noch versucht zu begreifen, was da auf seinen Schädel sitzt, hat es ihm die Sense um die Kehle gelegt und sie angezogen. Gleichzeitig richtet es seine andere Hand in die Richtung des rechten Drachens und sofort explodiert dieser. Nein, er explodiert nicht. Viel eher sieht es aus als würden ihn hunderte Arme gleichzeitig packen und in alle Richtungen auseinander ziehen. Innerhalb eines Wimpernschlages wird er in tausend Stücke auseinander gerissen. Während die Eingeweide noch nicht einmal auf den Boden angekommen sind stürmt das Wesen weiter.

Es muss ein Gott sein. Nervös wischt sich Reth den Regen aus dem Gesicht. Vielleicht haben wir doch noch eine Chance.

Es zerstückelt und zerreißt jeden Drachen an den es nah genug rankommt. Diejenigen die weiter weg sind scheinen durchzudrehen. Manche greifen das Wesen Hals über Kopf an und die anderen fallen sogar ihre eigenen Brüder und Schwestern an.

Gerade als es dabei ist drei Drachen gleichzeitig in Stücke zu schlagen, wird hinter ihm ein Portal regelrecht aus der Luft selbst gesprengt und ein riesiger Drachenschädel rast mit enormer Geschwindigkeit aus dem noch in Flammen gehüllten Portal heraus. Ehe das Wesen sich umdrehen kann, hat der neu aufgetauchte Riese sein Maul geöffnet und ihm einen reinen Strahl aus Lava entgegen geschleudert. Diese Lavalanze ist so rein und stark, sie erstreckt sich fast von einem Ende bis hin zum anderen Ende der Stadt und mittendrinne … hat sie das Wesen durchschlagen.

Er stürzt ab. Es kann kein Gott sein.

Selbstzufrieden sieht der riesige Drachen seinem Opfer nach. Erst jetzt, wo er das Portal vollständig verlassen hat, werden seine wahren Ausmaße klar. Er ist locker vierhundert Fuß lang.

Er muss der Kommandant dieses Angriffs sein. Irgendwo hat er sich versteckt und den Kampf beobachtet. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gehen beobachtet er den Fall des Wesens. Es trudelt hin und her. Schnell sprintet Reth los.

 

Zwei Gassen weiter findet er das Wesen. Es scheint mit voller Wucht gegen die Nordseite eines Hauses geknallt zu sein und hat dabei die Hälfte der Holzwand eingerissen. Jetzt liegt es halb unter den Trümmern begraben. Aber es muss noch leben, seine Schmerzensschreie erfüllen die Nacht.

Vielleicht kann ich ihm helfen. Irgendwie zusammen flicken damit es diesen Drachen umbringen kann … keine Chance.

Abrupt bleibt er stehen als er die Verletzungen des Mannes und das ist er, ein Mann, vor ihm sieht. Seine gesamte rechte Seite ist weg. Sein rechter Arm, sein rechtes Bein, ein Großteil seines Torsos, alles weg. Das was noch da ist, ist vollkommen verbrannt und qualmt immer noch. Der Geruch ist unerträglich, wie beim alljährlichen Grillfest. Der Boden ist durch den Regen blutrot.

Wie kann er da noch schreien? Doch das macht er bereits nicht mehr. Er ist endlich still, tot. Seine Augen blicken ins Leere. Reth rauft sich die Haare.

Verdammt. Ob wir ohne ihn eine Chance haben? Die Magier alleine gegen diesen Riesen? Ich muss Toris finden.

Gerade als er sich umdrehen will fängt der Mann wieder an zu brüllen.

Heilige Scheiße. Schnell weicht Reth zurück.

Der verbrannte Mann vor ihm zuckt hin und her. Unter offensichtlich höllischen Qualen reißen hunderte kleine Schatten, Hautfetzen für Hautfetzen von dem bis eben noch toten Manne. Unter den Fetzen taucht frische noch blutende Haut auf und auch an seinen zerfetzten Stümpfen von Arm und Bein, schließen sich Schatten zusammen und bilden neue Gliedmaßen. Unter massiven Schmerzen richtet sich der Mann auf, während sein Körper nach und nach neu zusammengesetzt wird. Sein Blick der eben noch vollkommen leer war, richtet sich auf, gehn Himmel. Er fixiert den riesigen Drachen an und ein gewaltiges Brüllen erschüttert die Gassen. Eine heftige Druckwelle schleudert Reth zu Boden, als der Mann sich selbst in die Luft katapultiert.

Trotz der Verwirrung reagiert der Riese sofort und schleudert dem Mann erneut eine Lavalanze entgegen, die er dieses Mal quer durch die Stadt zieht und damit eine gewaltige Schneise durch Mauern und Häuser erschafft.

Doch der Mann ist bereits rechts von ihm, nein links, nein über ihm, unter ihm? Der Drache sieht hin und her. Um ihn herum sind über fünfzig Ausgaben des Mannes.

Illusionen?

Wie auf einen unsichtbaren Befehl hin, stürmen alle gleichzeitig auf den Drachen zu und mit jedem Hieb, den sie ausführen wird eine weitere Schneise in den Körper des Riesens geschlagen.

Keine Illusionen. Das sind Doppelgänger!

Der Drache versucht noch panisch Feuer auf die Doppelgänger des Mannes zu werfen, aber vergeben. Auf einen letzten Befehl hin holen sie alle gleichzeitig aus und zerstückeln den Drachen. Noch in seinem Fall ist er bereits tot. Der Aufprall seines Kadavers zermalmt einen Großteil der Nordstadt unter sich.

Das Schlachtfeld schweigt, man hört nur noch wie der Regen zu Boden prasselt.

Gegenschlag

„TORIS!“

Verdammt wo bist du? Im Lazarett der Bastion ist er nicht. Er muss irgendwo in den Gassen sein. Vielleicht ist er verletzt oder verschüttet? So viele Gebäude wurden getroffen und sind eingestürzt. Wieso sonst war er nicht nach dem Erklingen des Horns in der Bastion? Das war doch das Signal. Das Signal, dass die Drachen geflohen sind. Diese Feiglinge haben Panik bekommen nach dem Tod ihres Anführers.

„TORIS? Bist du hier?“, ruft Reth in eine weitere Gasse.

Nein, überall nur Leichen, aber kein Toris. Wir haben sie gejagt und einen nach den anderen vom Himmel geholt. Der Regen hat die Magier rasend gemacht.

„TORIS? Hörst du mich?“

Hier ist auch keiner. Ich muss zum südlichen Posten. Vielleicht hat es ihn dahin verschlagen?

„… Reth?“

Was wer war das? Toris? Bist du es? Ja, Toris!

„Endlich hab ich sie gefunden …“

Er starrt den durchgeschwitzten Soldaten vor ihm an. Nein, das ist nicht Toris. Toris ist größer und älter … und er ist blond. Wie konnte ich dieses Kind mit ihm verwechseln? Augenblick, ich kenne ihn irgendwoher. Ja genau, er war einer der neuen Soldaten, der mir zugewiesen wurde. Ein Freiwilliger. Wie war sein Name nochmal? Irgendetwas mit A. Asmoth? Arthur? Ich komm nicht drauf. Moment, was hat er gerade gesagt?

„… oberste Priorität, Sir.“

„Bitte? Was haben sie gerade gesagt?“

„Sir? Der Militärrat hat zu einer Versammlung gerufen, alle Hauptmänner haben sich zu versammeln. Dies hat oberste Priorität.“

„Wieso sagst du mir das? Gib gefälligst Hauptmann Luken Bescheid! Ich hab wichtigeres zu tun“, schnauzt er den Soldaten an.

„S, Sir?“

Luken … ach er ist ja tot. In meinen Armen gestorben ... Genau, sie haben mich zu seinem Nachfolger ernannt. Scheiße, ich bin jetzt Hauptmann? Aber ich muss doch nach Toris suchen …

Verwirrt schüttelt Reth den Kopf. „Entschuldige, sag ihnen Bescheid, ich habe wichtigeres zu tun.“

„Aber Sir. Das wäre Befehlsverweigerung!“

Verdammt. Aber vielleicht ist er inzwischen wieder da. „Nun gut, geh vor.“

Erleichterung breitet sich in dem Gesicht des Soldaten aus. „Hier entlang Sir.“

 

Ein Großteil der Bastion ist zerstört. Überall ist versengter Stein und die Luft ist immer noch rauchgeschwängert. Dieses alte Gebäude, welches vor mehreren hundert Jahren als Stützpunkt der Wächter gebaut wurde. Früher waren die Wächter nur eine Stadtwache, aber im Laufe der Zeit haben sie sich zu einer schlagkräftigen Armee entwickelt. Inzwischen besitzen sie in fast jeder Stadt, die im Einflussbereich von Steinhafen steht, einen Stützpunkt. Dieser Entwicklung musste die Bastion auch Rechnung tragen. Der kleine Turm von damals wurde massiv ausgebaut und inzwischen ist die Bastion ein Gebilde aus vier Türmen, die einen noch größeren umringen. Dazu kommen noch mehrere kleinere Kasernen und Verwaltungsstellen, die sich zwischen den Türmen und der umliegenden dreifachen Mauer verteilen. In der Ferne hört man die Verwundeten aus den Lazaretten, die überall in der Bastion notdürftig aufgebaut wurden.

Ist Toris unter ihnen? Von ihm selbst unbemerkt, wandert er in Richtung der Lazarette.

„Sir? Die Zusammenkunft ist im Hauptturm. Nicht in dieser Richtung.“

„Wie? Oh ja …“ Reth stoppt und läuft wieder dem Soldaten hinterher.

Vor dem hohen Toren stehen vier Wachen und beobachten die beiden Neuankömmlinge mit blutunterlaufenden Augen. Gerade als der Soldat sie beide ankündigen wollte, werden sie einfach durchgewunken.

Die haben auch keine Lust mehr. Wer kann es ihnen verdenken.

 

Als sie das erste Geschoss erreicht haben, bleibt der Soldat auf einmal vor einer großen Tür stehen.

„Was ist? Findet die Versammlung nicht oben statt?“

„Habt ihr es nicht von außen gesehen? Die oberen Etagen wurden Großteils zerstört. Der Kampf gegen den Riesen war schrecklich …“, er stockt. „Kommen sie, gehen sie bitte hinein. Ich werde wieder runter zu unseren Männern gehen.“

Der Riese? Aber dieser Mann hat doch über der Nordstadt mit ihm gekämpft, nicht hier im Westen?

„Gut.“ Reth lehnt sich mit Kraft gegen die Tür und ist im ersten Moment überrascht wie leicht sie aufgeht. Drinnen bemerkt er, die Versammlung hat bereits angefangen. Schnell stellt er sich zu den umstehenden Hauptmännern, die sich wiederum um den Tisch der Befehlshaber versammelt haben.

 

„Wo sind diese feigen Ratten hin?“, brüllt Großmarshall Host in die Runde. Der Marshall der Infanterie zuckt nur teilnahmslos mit seinen Schultern. Marshall Sünders, der Kommandeur der Kavallerie, enthält sich wie so oft.

Kein Wunder. Ein Großteil seiner Männer wurde der Infanterie zugewiesen. Im Grunde ist er nur pro forma hier.

Die Antwort kommt von Großadmiral Saiten. Leise flüstert er: „Einige meine Männer haben gesehen, wie sich welche von ihnen vorgestern Morgen auf den Weg gemacht haben. Sie haben behauptet sie hätten einen direkten Befehl von euch für eine Infiltration bekommen.“

„Schwachsinn! Ich habe den Drachenjägern keine Befehle gegeben! Diese Bastarde! Dieses feige Dreckspack“, wütend stapft er auch und ab. „Wo zum Teufel ist Kubrat? Er hat sie uns vermittelt! WO ist er?“

Sein Sekretär zuckt zusammen. „Wir konnten ihn nicht erreichen. Seine Diener behaupten er wäre mit Aufräumarbeiten in seinem Anwesen beschäftigt.“

„Was? Als ob sich dieser Lackaffe die Finger dreckig machen würde.“

„Vermutlich ist er zusammen mit den Drachenjägern abgehauen“, wirft Saiten ein.

„Ja ... wir sollten sie jagen und hängen für ihre Taten, aber dafür fehlt die Zeit. Gott sei Dank hatten wir die Magier … Hohemagier Aros, wie steht es um den Erzmagier?“

Aros, seit dem Massaker auf See zum ersten Mal wieder nüchtern, schüttelt den Kopf. „Er ist immer noch bewusstlos, der Kampf gegen den Riesen hat ihn ausgezerrt. Zum Glück kam der Regen. Ansonsten hätte er den Kampf wohl nicht lebendig überstanden. So konnte er ihn lange genug aufhalten.“

Der Erzmagier hat gegen ihn gekämpft? Deswegen hat dieses Monster erst so spät in den Kampf eingegriffen.

 

Gerade als die Kommandeure sich über das zukünftige Vorgehen besprechen wollen, wird die Tür lauthals aufgestoßen.

Das ist er!

Ein Raunen geht durch die Menge. Schnell weichen die Hauptmänner den nach vorne stürmenden Mann aus. Abrupt bleibt er vor dem Versammlungstisch des Rates stehen und sieht Aros an. Zum ersten Mal erhält Reth die Möglichkeit diesen seltsamen Mann genauer zu betrachten.

Vermutlich wäre er mir früher kaum aufgefallen. Um die dreißig, schwarzes kurzes Haar und durchschnittlich gebaut. Aber jetzt? Er wirkt bestialisch. Seine Augen sind pechschwarz, genau wie seine Adern. Schattenmagie, sie muss dauerhaft aktiv sein. Normalerweise sammelt ein Magier doch nur kurzzeitig seine Macht, aber bei ihm? Er hält sie dauerhaft aufrecht. Gestern dachte ich noch er würde einen Mantel tragen, aber ich hab mich getäuscht. Er trägt nur eine Tunika und eine lange Hose. Was ihn umhüllt sind Schatten. Sie wabern hin und her. Manchmal zucken sie kurz in eine Richtung, wenn sich etwas in ihrer Umgebung bewegt. Woher hat er nur diese Macht? Und was sind das für seltsame leuchtende Runen, die überall auf seinen Körper sind? Selbst Hohemagier Aros starrt ihn an.

„Samarus Dev, ich hätte nicht erwartet euch noch einmal zu sehen. Wie schafft ihr es …“, Aros hält inne und betrachtet die seltsamen Runen genauer. Sie wabern in einem tiefen Blau. Als er es begreift weiten sich seine Augen. „Portale! Ihr habt winzige Portale auf eurer Haut geschaffen! Sie versorgen euch also mit Wasser. Die Quelle dafür musste aber quasi unerschöpflich sein. In welche Sphäre führen sie?“

„ In dieselbe aus der auch der Riss stammt. Poseidons Reich.“

„In die Sphäre eines lebenden Gottes? Unmöglich, kein Gott würde das erlauben. Erst Recht Poseidon. Er verabscheut uns Magier.“

„Tja, Poseidons Abscheu gegen die Drachen ist größer als gegen uns Magier. Von wegen Feuer und Wasser. Es war nicht schwer an seine Erlaubnis zu kommen.“

Ungläubig sieht Aros ihn an.

„Der Erzmagier ist bewusstlos, ist das korrekt?“, wechselt Samarus das Thema.

Aros nickt. „Er hat sich im Kampf vollkommen verausgabt.“

„Was ist mit Hyrasis?“, fragt er direkt weiter.

„Er ist verschollen. Vor zwei Nächten wurde sein Haus getroffen und vollständig zerstört. Wir konnten ihn in den Trümmern nicht finden. Aber ich glaube nicht, er könnte das überlebt haben.“

„Ich verstehe.“

Währenddessen scheint Host den Namen des Mannes wiederzuerkennen. „Dev? Einer der Fahnenflüchtigen? Einer der Feiglinge, die sich lieber versteckten als zu kämpfen?“

Der in Schatten gehüllte Mann sieht ihn nur regungslos an. „Manchmal muss man sich erst mal stärken, bevor man kämpfen kann“, gibt er monoton als Antwort.

„Und wo ist eure Frau? Catherine hieß sie doch, oder? Wird sie uns auch noch mit ihrer Anwesenheit beglücken?“

Hat er gerade gezuckt?

„Nicht meine Entscheidung. Geben sie mir den aktuellen Stand. Was ist bisher passiert?“

„Die Drachen haben uns eiskalt erwischt. Bei unserem ersten Angriff haben sie unsere Flotte fast vollständig aufgerieben. Sie haben das Meer solange erhitzt, bis es verdampft ist. Unsere Männer sind einfach verbrannt …“, antwortet ihm Marshall Sünders.

„Das war zu erwarten. Weiter.“

„Erwarten?“ Großadmiral Saiten scheint seine Stimme wiedergefunden zu haben. „Niemand hat das erwartet! Dieser heimtückischer Plan hat tausende meiner Männer das Leben gekostet!“

„Der Angriff auf die Hauptressource der Magier war zu erwarten, nachdem sie einen Großteil unsere Nahrungsversorgung mit ihrem ersten Angriff zerstört hatten oder warum glaubt ihr haben sie sich so weit in unser Hinterland gewagt? Vor der Infanterie hat kein Drache Angst. Was ist danach passiert?“

Er ist eiskalt.

Sünders fährt nach einen Moment fort: „Danach haben sie uns konstant jede Nacht angegriffen. Sie haben sich anfangs mit Bombardierungen zufrieden gegeben, aber gestern Nacht wollten sie es wohl zu Ende bringen.“

„Verstehe. Ich gebe euch Recht. Dieser Angriff sollte euch vernichten. Ansonsten hätte Saros den Hort nicht verlassen.“

„Saros?“

„Der rotbraune Gigant. Er war die rechte Hand von Marek …“

„Marek?“

Samarus schnaubt verächtlich. „Ich wisst wirklich nichts über euren Feind oder? Marek ist der Anführer der Vulkangeborenen. Das ist die derzeit herrschende Gruppierung unter den Drachen. Er befehligt ihre Truppen“, für einen Moment hält er inne, ehe er fortfährt: „Da das nun geklärt ist, wie viele kampffähige Soldaten sind noch am Leben?”

Großmarshall Host gefällt es offensichtlich nicht, wie er von diesem Zivilisten behandelt wird, trotzdem antwortet er ihm: „Wir haben auf dem Meer fast zehntausend Seesoldaten und dreißigtausend Infanteristen verloren. In den letzten Nächten sind weitere dreizehntausend gefallen. Wir haben noch nicht alle Berichte von dieser Nacht, aber vermutlich sind über zwanzigtausend im Kampf gefallen. Insgesamt haben wir derzeit also noch etwa zweiundzwanzigtausend kampffähige Soldaten.“

„Wie sieht es bei den Magiern aus?“

Aros Miene verfinstert sich. „Wir sind alle massiv geschwächt von dem letzten Kampf. Der Erzmagier ist noch immer in einem kritischen Zustand und wir haben viele gute Männer und Frauen verloren. Derzeit sind wir gerade einmal dreihundert.“

„Gut.“

Gut? Hat er gerade Gut gesagt?

Wütendes Gemurmel breitet sich aus.

„Das reicht für einen Gegenschlag“, gibt Samarus gelassen bekannt.

„Ein Gegenschlag? Sind sie verrückt? Unsere Männer sind fertig!“

„Irrelevant. Ihr habt es selbst gesehen. Einige Drachen haben den Angriff überlebt. Sie fliegen gerade direkt zurück zum Hort um von ihre Niederlage zu berichten. Ein Drache schafft die Strecke in knapp einem halben Tag. Das bedeutet, in etwa zwei Glockenschlägen wird Marek von der kläglichen Niederlage seiner rechten Hand erfahren. Er wird etwa zehn weitere Schläge benötigen um den gesamten Hort angriffsbereit zu machen und dann wird sich eine voll kampfbereite Invasionsflotte aus tausenden von Drachen aufmachen in Richtung Steinhafen. Wollt ihr solange warten?“

Ungläubiges Schweigen breitet sich aus. Großmarshall Host ist der Erste der sich zu Wort meldet: „Selbst wenn wir jetzt sofort losmarschieren würden, dann würde uns seine Armee noch vor dem Erreichen der anderen Küste angreifen. Wir wären auf offenen Feld mitten im Matsch. Das wäre unser Todesurteil. Hier dagegen haben wir zumindest noch die Mauern.“

„Da habt ihr Recht. Ein Marsch ist indiskutabel. Nein, ich plane einen direkten Sprung zu den Zwillingsdrachen. Sie sind weit genug entfernt vom Hort, damit wir in Ruhe alle Soldaten auf die andere Seite bekommen können. Die Drachen werden keine Spähposten aufgestellt haben. Ihr Feind ist ja auf der anderen Seite des Meeres. Von Dort ist es keinen Glockenschlag bis wir am Hort sind. Wenn wir in drei Schlägen aufbrechen, werden wir sie also mitten in den Vorbereitungen treffen“, erläutert Samarus.

„Netter Plan, aber habt ihr da nicht etwas vergessen?“, unterbricht ihn Aros.

„Das wäre?“

„Wie wollt ihr ein Portal aufbauen ohne Gegenseite?“

„Ich werde die Gegenseite sein. Ein Schattenschritt auf die andere Seite und wir können das Portal aufbauen.“

Aros Augen weiten sich. „Auf diese Distanz? Ihr müsstet ein komplettes Meer überqueren!“

„Lasst das meine Sorge sein.“ Samarus wendet sich wieder in Richtung des Versammlungstisches. „Und? Seit ihr bereit den Krieg zu beenden?“

 

Müde sitzt Reth am Treppenrand des Exerzierplatzes und beobachtet mit blutunterlaufenden Augen die Vorbereitungen der Magier.

Ich hätte nicht gedacht Jemand könnte den Großmarshall überreden. Aber dieser Dev hat es geschafft. In nicht einmal einem Glockenschlag werden alle Truppenverbände sich hier auf den Platz versammeln und wir beginnen den Angriff. Alle werden hier sein, hoffentlich auch Toris. Den Sammelbefehl muss er bekommen haben, egal wo er ist.

Um sich von sorgenvollen Gedanken abzulenken, verfolgt er gespannt wie Samarus Dev jeden einzelnen Magier nach und nach diese Runen auf den Körper zeichnet.

Sieht ziemlich schmerzhaft aus diese Methode. Einer ist sogar bereits ohnmächtig geworden, aber das ist wohl der Preis für eine fast unendliche Energieversorgung. Aber im Gegensatz zu Dev, bekommt jeder nur eine Rune. Vermutlich weil sie es nicht aushalten würden. Wie er das wohl geschafft hat? Immerhin ist sein gesamter Körper mit ihnen überzogen. Ah, das war der letzte.

Einige der Magier versammeln sich. Nach ihren Roben zu urteilen drei Hohemagier und sieben normale. Unter ihnen auch Hohemagier Aros. Er blickt kurz in Richtung Samarus, der nur einmal schnell mit der Hand winkt und sich dann in Schatten auflöst. Aros wendet sich wieder den anderen Mitgliedern des Zirkels zu und als wären sie eine Einheit beginnen sie sich zeitgleich zu bewegen. Ihre Köpfe sacken nach vorne während beide Arme nach vorne gerichtet werden. Es wirkt fast so, als ob sie sich nach vorne gegen eine unsichtbare Wand stemmen würden. Fasziniert beobachtet Reth wie sich nach und nach in der Mitte des Magierkreises ein Riss bildet. Langsam aber sich kann er die andere Seite erkennen. Samarus steht auf der anderen Seite und macht fast dieselbe Geste wie die Magier auf dieser Seite. Allerdings benötigt er nur eine Hand. Um seiner finsteren Gestalt herum bildet sich nach und nach Eis und Fels heraus. Keine Minute später hat sich der Riss zu einem knapp achtzig Fuß breiten Portal entwickelt.

Es ist offen!

Von Göttern und Verrätern

Catherine … Ich bete jede Moment meines Lebens dafür dir nicht im Hort zu begegnen. Aber du würdest dich ihnen doch sowieso nie anschließen, oder? Das hast du gesagt. Du hättest ihnen eine Absage erteilt. Ja das hast du. Wobei auch ich gesagt habe, ich werde nicht für sie kämpfen

Traurig betrachtet er die schwarzen Adern, die sich durch seine Hände ziehen. Ich spüre immer noch das Blut auf meinen Händen, schmecke immer noch den Gestank ihrer zerfetzten Eingeweide auf meiner Zunge … Bitte sei nicht da. Bitte sei geflohen. Bitte, du musst die Kutsche genommen haben und bist so weit weg wie möglich geflohen. Allein der Gedanke du müsstest es mitansehen. Nein, das will ich nicht.… Ich will nicht, dass du mich so siehst.

Schwarze Tropfen fallen in seine ineinander gefalteten Hände.

„Koman, Kommandant?“, eine dünne verängstigte Stimme erklingt hinter ihm.

„Was?“ Kalt und ausdruckslos. Der Junge macht sich bestimmt gleich in die Hose.

„Die Letzten kommen gerade durch das Portal. Also die letzten Soldaten kommen gerade durchs Portal. Der Marshall hat zu einer Lagebesprechung gerufen. Sie findet auf den kleinen Hügel dahinten statt“, mit zitternder Hand zeigt er auf die andere Seite der Armee. „Die Hauptmänner sind bereits vor Ort und …“

„Jaja, geh vor.“

„Ich, ok, ja Sir.“ Schnell rennt der junge Soldat vor.

Nur schwer kann sich Samarus von der einsamen Klippe, auf der er eben noch stand, trennen.

Der Marshall, so nennt ihn jeder hier. Ich weiß immer noch nicht seinen richtigen Namen. Der Name ist aber nicht verwunderlich. Immerhin unterstehen ihm alle Truppen, nachdem die Kavallerie fast komplett aufgelöst wurde, um die Infanterie zu stärken. Ein Gaul ist halt nutzlos gegen einen Drachen. Nun ja, genau wie ein Mensch … Marshall Sünders ist zusammen mit dem Großmarshall und dem Großadmiral in Steinhafen geblieben. Damit bleibt nur dieser totgesichtige Marshall als Befehlshaber. Nun gut. Neben Aros, der die Magier befehligt und mir, den sie warum auch immer Kommandant nennen.

Noch ehe die ersten Soldaten ihn bemerken, weichen sie bereits aus. Schnell bildet sich eine Gasse, durch die er hindurch geht.

Keiner von ihnen schafft es mir in die Augen zu sehen.

 

Aros und der Marshall erwarten ihn bereits. „Da seid ihr ja. Die letzten Männer kommen gerade durch das Portal. Die Landung war erfolgreich und wir hatten keine Begegnungen mit Drachen. Wie sieht eure weitere Planung aus?“, eröffnet der Marshall die Besprechung.

„Ich habe es bereits mit Aros abgesprochen. Seine Magier werden einen Illusionsnebel aufbauen um die Truppen zu verstecken. Der Hort befindet sich hinter dem rechten Arm der Schlucht vor uns. Das Problem ist: Er wurde logischerweise für Drachen gemacht. Es gibt keinen Eingang am Boden.“

Aros führt die Erklärung fort. „Die Illusion sollte uns sicher vor die Felsen des Horts bringen. Von dort werden Athera und ich den Fels überwinden und schnell eine Portalstrecke aufbauen. Die restlichen Magier und die Schützen werden uns Rückendeckung geben, falls wir entdeckt werden. Daraufhin kann die Infanterie hoch in die Tunnel.“

„Gut, dort können die Drachen nicht einfach wegfliegen. Nur macht mir ihr Feuer sorgen.“

„Die Barrieren, die Samarus geschaffen hat, werden mindestens zwanzig direkte Feuerstöße überstehen, wenn nicht mehr. Zusammen mit dem Schutz meiner Magier können die Drachen so viel Feuer spucken wie sie wollen.“

„Und was werdet ihr in der Zeit machen, Dev?“

„Ich werde einen Großteil ihrer Armee ablenken und beschäftigen. Dafür muss ich noch einige Vorbereitungen treffen. Ich werde erst im Laufe der Schlacht zu euch stoßen können. Bis dahin solltet ihr gut ohne mich auskommen.“

Bedächtig nickt der Marshall seine Zustimmung. „Gut, dann werde ich den Befehl zum Aufbruch geben.“

„Einen Moment noch. Es gibt noch einen Punkt den ich ansprechen muss“, hält ihn Samarus auf.

„Der da wäre?“

„Im Hort: Niemand wird dort einen Drachen töten, der sich ergibt oder ein Welpe ist.“

Ungläubig sieht der Marshall und Aros ihn an. Gemurmel geht durch die Reihen der anwesenden Hauptmänner.

„Was? Seit ihr Irre?“

„Nein, der Hort ist Wohnort und Brutstätte. Dort befinden sich viele Zivilisten. Keiner wird einen von ihnen töten.“

„Zivi, Zivilisten? Das sind DRACHEN, da gibt es keine Zivilisten!“ Die totengleiche Miene des Marshalls zerfällt und an ihrer Stelle tritt ein hassverzerrtes Gesicht. „Wir werden da ABSOLUT JEDEN abschlachten, der kein Mensch ist. Scheißegal ob Männlein, Weiblein oder ein nach der Zitze seiner Mutter flennender Welpe! Wir werden diesen Abschaum von der Bildfläche räumen …“

Ehe er den Satz zu Ende bringen konnte packt ihn Samarus an der Kehle. Mühelos hebt er ihn hoch, seine Augen werden noch finsterer als sie ohnehin schon sind. Es wirkt fast so als würde man in einen unendlich tiefen Abgrund blicken. Schnell ziehen die umstehenden Soldaten ihre Waffen, doch ehe sie auch nur einen Schritt machen können, hat Samarus bereits mit einen kurzen Ruck seines Arms die Sense in seine Hand befohlen.

Hecktisches Gemurmel breitet sich aus: „Ist das?“ „Das kann nicht sein.“ „Diese Waffe.“ „Ich kenn sie doch.“ „Unmöglich.“ „Das ist sie nicht.“ „Seht euch seinen Arm an!“ „Das muss sie sein!“ „Oh mein Gott, sein Arm!“

Langsam betrachtet Samarus seinen Arm, der die Sense trägt. Wo vor wenigen Liedschlägen noch sein mit schwarzen Adern durchzogener Arm war, befinden sich nun nur noch Knochen. Als hätte, in den wenigen Augenblicken bis eben, ein Rudel Hunde ihm Haut und Fleisch von den Knochen gerissen.

Ach ja.

„Die Sense des Todes. Das kann nicht sein. Unmöglich!“

 

„Du wagst dich tatsächlich in mein Reich? Freiwillig?“ Ein hohles Lachen erklingt aus dem dunklen Loch der Kapuze. „Das hat bisher nur einer gewagt und glaube mir, er bereut es bis heute. Willst du dich zu ihm gesellen? Mir deine jämmerliche Seele darbieten, Mensch?“

Ich hätte nicht erwartet das man diese Bezeichnung so abwerten aussprechen könnte.

„Vielleicht nächstes Mal. Ich bin hier um dir ein Geschäft anzubieten.“

Wieder erklingt dieses beängstigende Lachen. „Du, ein Mensch, willst mir, einem Gott, ein Geschäft anbieten? Aber nein, nicht irgendeinen Gott. Ich bin der Gott der Götter. Ich bin der TOD!“ Mit diesem letzten Wort wird die gesamte Sphäre erschüttert. Alles scheint sich zu verschieben, ehe der Schöpfer dieser Welt sich wieder fängt. „Und du wagst es mir ein Geschäft anzubieten?“

„Ja … Ich will deine Waffe.“

Die Kutte legt sich leicht auf die rechte Seite. „Die hier willst du?“ Eine pechschwarze Sense erscheint in der Hand des Gottes, die Hände unter seiner langen Kutte verdeckt. Bis auf die Farbe wirkt nichts an der Sense abnormal. Sie sieht aus wie eine reguläre Sense, nur ohne den Griff zum Mähen. Denn diese Klinge wurde für einen anderen Zweck geschaffen. Diesen Zweck wiederum spürt jedes Wesen was diese Waffe betrachtet.

„Ja.“

„Wirklich? Du willst diese seelenverschlingende Waffe?“ Er kommt langsam auf Samarus zu.

„Ja.“

„Bist du dir absolut sicher? Eine winzige Berührung reicht aus und deine Seele gehört mir.“

„Ja.“

„Du solltest sie vielleicht vorher einmal ausprobieren.“ Und mit diesem Satz berührt die Spitze der Klinge Samarus Kopf. Ein leichter Schock durchzuckt ihn und er fällt um. Leblos blicken seine Augen in den aschfahlen unnatürlichen Himmel.

„Menschen … Ich habe noch nie eine so dumme Rasse gesehen.“

Gerade als er sich wieder auf seinen Knochenthron setzen will, erklingt von Hinten eine Stimme: „Ja, genau so hab ich mir das vorgestellt.“

Sofort wirbelt der Gott herum und muss mit ansehen, wie sich dieser Mensch langsam wieder aufrichtet. „Du bist vielleicht doch nicht ganz so langweilig, wie ich dich eingeschätzt habe.“

Samarus klopft sich den Staub von der Tunika. „Das sagen viele.“

„Also willst du diese Waffe besitzen?“

„Nur ausleihen.“

„Ausleihen, du willst also diese Waffe ausleihen?“

„Genau.“

„Und wofür? Was könntest du mir schon geben? Deine Seele? Die bekomme ich sowieso. Mir gehören alle Seelen! Mir gehören die Seelen eines jeden Menschens, jedem Halbwesens und selbst die Kinder der Götter gehören MIR!“

„Du hast die Seelen der Drachen vergessen.“

Ein leichtes Zucken erschüttert für einen Moment die Kutte.

„Dir gehören doch die Seelen der Drachen oder nicht?“

„Wer bist du?“

„Mein Name ist Samarus. Samarus Dev. Hocherfreut.“

„Was weißt du?“

„Nun ja, ich weiß das Drachen an nicht glauben. Damit sind sie wohl einzigartig unter den intelligenten Wesen. Drachen vertrauen nur auf sich und auf ihre Geschwister. Damit haben sie auch keine Götter und damit auch keine Wesen die ihre Seelen beanspruchen könnten“, er grinst ihn an.

„Du willst also meine Waffe zum ernten ihrer Seelen?“

„Ja.“

„Wie viele?“

„Tausende.“

Wieder ein Zucken unter der Kapuze. „Wieso sollte ich Interesse an ihren Seelen haben?“

„Vielleicht weil die Seele eines Drachen heller strahlt, als die von hunderten von Menschen? Oder vielleicht auch einfach nur, weil du noch nie eine kosten konntest.“

Stille breitet sich aus. Diese tote Welt wirkt sofort noch trostloser.

 

„Hier.“ Nach endlosen Minuten hält der Gott ihm die Sense hin.

Zufrieden stiehlt sich ein kurzes Lächeln in Samarus Gesicht. In dem Moment als er nach der Waffe greift, durchzuckt ihn ein gewaltiger Schmerz und er muss mit Entsetzen ansehen wie sich seine Haut samt Fleisch vom Knochen löst. Erst beim Finger, dann bei der Hand und hoch über den Ellenbogen. Erst kurz vor seiner Schulter hört der Zerfall auf.

„Viel Spaß damit“, kommt es hämisch unter der Kutte hervor.

Mit schwerem Atem richtet sich Samarus wieder auf. Als er sich umdreht und gehen will ruft der Gott ihm ein „Auf Wiedersehen“ nach und lacht dabei.

Samarus blickt kurz zurück. „Nicht so bald, wie du dir erhoffst.“

Dieses Mal wird die Sphäre durch das tote Lachen eines Gottes erschüttert.

 

Samarus Blick fokussiert sich wieder. „Ja, das ist die Waffe für die ihr sie haltet.“ Er blickt wieder hoch in die Augen des Marshalls, der verzweifelt im eisenstarken Griff seiner Hand nach Luft schnappt. „Solltet ihr euch auch nur an einen Unschuldigen vergreifen, werde ich euer aller Seelen opfern. Habt ihr mich verstanden?“

Die umstehenden Soldaten nicken panisch und bekunden ihr Einverständnis.

„Gut, da das geklärt ist …“

Schwerfällig knallt der Marshall auf den Boden.

„… entschuldigt mich bitte. Ich muss noch einen guten Freund verraten.“

 

Niedergang

Er ist nicht auf dieser Seite … Ich hab die gesamte Zeit das Portal beobachtet. Viele bekannte Gesichter, auch wenn ich mir mehr gewünscht hätte. Doch es war kein Toris dabei. Dann muss er noch in Steinhafen sein. Verflucht, ich will zurück …

Trübselig stapft er dahin.

„Hauptmann? Hauptmann Reth?“

Genau, ich bin jetzt Hauptmann.

„Mh?“, genervt blickt er seinen Leutnant an. „Was ist?“

„Seid ihr in Ordnung? Ihr wirkt müde. Wann habt ihr das letzte Mal geschlafen?“

Geschlafen? Gute Frage. „Das geht euch nichts an, sorgt lieber dafür das die Männer einsatzbereit sind.“

„Äh ja. Natürlich Sir. Sofort Sir!“

 

Verdammte Sonne. Heftig blinzelt Reth. Seine Augen benötigen einen Moment, bis sie sich an die pralle Sonne gewöhnt haben, deren Licht von der umliegenden Schneelandschaft reflektiert wird.

Endlich raus aus der Schlucht … wow. Voller Staunen betrachtet er die weite Ebene, die beinahe die gesamte Sicht einnimmt. Sie ist fast komplett mit unberührten Schnee bedeckt. Nur an wenigen Stellen haben es einzelne Felsen geschafft durch die Schneedecke zu brechen. Doch was das erstaunte Gemurmel seiner Männer auslöst, ist das gewaltige Gebirge hinter dieser Ebene.

Das ist also der Drachenhort. Das Gebirge ist mit hunderten von kleinen bis gigantischen Tunneln durchzogen und aus jedem zweiten startet oder landet gerade ein Drache. Der gesamte Himmel ist voll von ihnen.

Scheinbar wissen sie von ihrer Niederlage. Sie bereiten ihren Abflug vor. Knapp dreihundert Fuß über der Erde entdeckt er ihr Ziel: Der Rand des Plateaus.

Dort oben befindet sich der Haupteingang. Von dort können wir uns aufteilen und die Tunnel stürmen. Die Drachen werden gezwungen sich uns in den Tunneln zu stellen.

Mulmig betrachtet er den leichten Schimmer der über ihnen wabert.

Hoffentlich hält die Illusion bis wir die Portalstrecke aufgebaut haben.

Schweigend stapfen die Soldaten durch den Schnee. Knapp einundzwanzigtausend Männer und Frauen. Alle dicht an dicht gedrängelt um die Illusion aufrecht zu erhalten.

Wenn wir jetzt aufliegen war es das. Sie könnten uns innerhalb eines Wimpernschlages zu Asche verwandeln. Aber nur so können die Magier schneller eine Strecke aufbauen. Würden wir einen Stoßtrupp vorschicken der ein Portal auf eine größere Entfernung hin aufbauen müsste, dann wären die ihnen schutzlos ausgeliefert. So können wir zumindest noch etwas Deckung geben. Hoffentlich funktioniert das.

Er blickt zurück und beobachtet wie die Fußabdrücke der letzten Soldaten nach und nach vom Wind aufgewirbelt werden und verschwinden. Daran haben sie also auch gedacht.

 

Angekommen. Die Spitze der Truppen hat sich am Fuß des Hortes gesammelt. Knapp dreihundert Fuß entfernt, beobachtet Reth wie Hochmagier Aros und eine weitere Magierin sich nach oben katapultieren und den Fels erklimmen.

Diese Frau … irgendwoher kenne ich sie. Verdammt, das ist diese Wahnsinnige mit den Blitzen. Dann muss sie auch eine Hohemagierin sein. Ein Schauder läuft ihm über den Rücken.

Zur Ablenkung beobachtet er den Himmel. Niemand hat uns bisher bemerkt, sie rechnen wirklich nicht mit einem Angriff.

Die beiden Hohemagier haben ihr Ziel erreicht und huschen langsam über den Rand außer Sicht.

„Jetzt geht’s los. Macht euch bereit Männer“, flüstert er leise zu seinem Trupp.

Vorsichtig richten die ihre Rüstungen und Waffen und zu Reth eigenen Erstaunen, erklingt fast kein Geräusch dabei. Weiter vorne öffnet sich langsam das Portal.

Es ist immer noch ruhig.

Noch ehe sich das Portal vollständig aufgebaut hat, springen die ersten Soldaten hindurch.

Bald sind wir dran. Sie haben uns immer noch nicht …

In diesem Moment erklingt ein gewaltiges Dröhnen und eine riesige Feuerlanze schlägt von der anderen Seite durch das Portal hindurch.

Nein!

Sämtliche Soldaten vor dem Portal werden mit einem Schlag zu Asche verbrannt. Die heftige Hitzewoge zwingt Reth dazu in die Hocke zu gehen.

Überall um ihn herum brüllen Soldaten „Verteilt euch!“ „Zur Seite!“

Während er noch versucht auf die Beine zu kommen. wird er direkt wieder von einer weiteren Druckwelle umgeschmissen. Schnell dreht er sich um und kann gerade noch mit ansehen wie eine heftige Explosion von dem Portal ausgeht und es in Stücke reißt. Mit ihm die umstehenden Magier und Soldaten. Schnell kommt er wieder auf die Beine und im Laufen sieht er wie eine wahre Flut von Drachen aus dem Haupttunnel kommt und über das Plateau hinausschießt. Heftige Blitze verfolgen sie und durchschlagen hunderte von ihnen.

Also leben da oben noch einige.

Der Himmel füllt sich mit immer mehr und mehr Drachen. Eine Bombardierung kommt offensichtlich nicht in Frage, denn ein Drache nach dem Anderen stürzt in die Tiefe und schleudert Feuerwogen in die Truppen unter ihm.

„Zu den Barrieren!“, brüllt er ohne ein bestimmtes Ziel im Blick zu haben. Hecktisch sieht er sich um und entdeckt sie. Von mehreren Soldaten gehaltene Schilde, von denen einen Blau-Schwarze Barriere ausgeht. Unter ihnen versammeln sich Soldaten, um die darüber fliegenden Drachen ins Visier zu nehmen. Schnell rennt er zur nächsten Barriere. Aber ehe er sie erreichen kann, stürzt ein Drache hinab auf das Schild und zermalmt die Träger unter sich.

Verfluchte … dann halt ohne Barriere.

Doch gerade als Reth seine Armbrust anlegen will, reißt ihn eine weitere Explosion zu Boden. Hustend und fluchend wühlt er sich aus dem Schnee und Matschhügel heraus, in dem ihn die Druckwelle geschleudert hat.

Scheiße, das war kein Geschoss.

Vor ihm windet sich ein von mehreren Bolzen durschlagender Drache am Boden und brüllt vor Schmerzen. Schnell zieht er sein Schwert und hastet auf die Kreatur zu.

Ein Kleiner, den schaff ich!

Der Drache ist knapp doppelt so lang wie ein Mensch und hält sich mit seiner rechten Klaue, seinen vollkommen zertrümmerten linken Arm. Als er Reth bemerkt weiten sich seine Augen, vollkommen panisch versucht er auf die Hinterläufe zu kommen, aber schafft es nicht. Der Bolzen in seiner Hüfte sorgt für zu viele Schmerzen. Seine Flügel sind ebenfalls zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie schlagen nur sinnlos in der Luft herum, während sie sein heißes Blut im Schnee verteilen. Er krallt seinen einzig noch gesunden Arm in den Schnee unter sich und versucht sich wegzuziehen.

Reth hält in seinem Ansturm kurz inne. Er flieht? Vor mir? Aber er fängt sich schnell wieder und holt den Drachen nach wenigen Sekunden ein.

Kurz bevor er ihn erreichen kann, schmeißt sich die Kreatur auf den Rücken und hält ihren rechten Arm schützend vor sich. Eine panische Stimme erklingt in seinem Kopf: „Nein! Bitte, bitte mach das nicht. Ich fleh dich an, bitte. Ich wollte nicht. Ich wollte nie kämpfen. Sie haben mich dazu gezwungen. Bitte, ich will zu meiner Mama! Sie sucht bestimmt schon nach mir. Ich kämpfe nicht mehr, bitte!“

Vollkommen geschockt bleibt Reth stehen. Seine Augen sind bis zum Maximum geweitet. Nur ein Bruchteil von einer Sekunde vergeht, als sich ein wahnsinniges Lächeln in seinem Gesicht bildet und er zuschlägt … und zuschlägt. Wieder und wieder. Bis die panischen Schreie endlich verstummt sind.

Schweißgebadet sieht sich Reth um. Überall um ihn herum kämpfen Menschen gegen Drachen. Viele der Drachen wurden auf den Boden gezwungen und zerreißen in ihrem Todeskampf Mensch für Mensch, ehe sie überwältigt werden können. Die Luft ist kochend heiß, überall schlagen Feuersäulen in den Boden ein und verbrennen dutzende von Soldaten. Kampfschreie und Schreie der Qual erklingen von allen Seiten. Mehrmals stößt ein Froststurm von unten hinauf in die Luft und lässt einen Drachen nach dem anderen gefrieren und zerschmettern, bis sich mehrere Feuersäulen sammeln und den Ursprungsort des Sturms vollkommen auslöschen. Es kommen auch keine Blitze mehr vom Plateau.

Hektisch sieht Reth sich nach einer Armbrust rum, die Hand noch immer fest um das blutverschmierte Schwert versteift.

Nur Leichen, überall nur Leichen. Warum liegen hier nur überall so viele Leichen rum?

„Runter!“, erklingt es hinter ihm.

Ohne drüber nachzudenken schmeißt er sich auf den Boden. Panische Schreie erklingen und als er sich in ihre Richtung wendet, sieht er Entsetzliches. Er muss mit ansehen wie sich eine Gruppe Soldaten hin und her schmeißt, während sich das Feuer durch ihre Körper frisst.

Die Warnung war nicht für mich. Trotzdem kam sie zu spät … Ich will nach Hause, ich will zu Toris.

Er sieht sich wieder um. Dabei entdeckt er eine halb verschmorte Armbrust, auf dem Körper eines Soldaten liegen. Schnell hastet er darauf zu. Der stinkende Qualm schlägt ihn ins Gesicht. Schwer hustend erreicht er die Leiche. Er zieht an der Waffe, aber sie steckt fest.

„Verdammt lass los!“, wütend tritt er nach dem Toten. Mit einem heftigen Ruck schafft er es endlich die Armbrust zu befreien. Dabei wippt der Kopf des Soldaten zur Seite und blickt Reth an.

Toris? Toris bist du das? Er reibt sich die verrußten Augen. Das kann nicht sein. Du kannst nicht Toris sein. Toris hat braunes Haar. Nein, er hat blondes Haar. Du aber hast? Welche Haarfarbe hast du?

Mühselig zieht er am Helm des Soldaten. Es dauert Ewigkeiten bis er ihn endlich ab hat.

Das bist du doch nicht? Nein, du bist in Steinhafen oder bist du hier? Habe ich dich durch das Portal gehen gesehen?

Er lässt die Armbrust fallen.

Verdammt nochmal.

Als er versucht die Waffe wieder aufzuheben, schafft er es nicht. Sie fällt ihm wieder und wieder aus den Händen. Sie sind voller Schweiß, Matsch und Blut. Schluchzend geht er in die Knie.

Ich will nicht mehr.

In diesem Moment ertönt ein gewaltiges Brüllen. Es erschüttert die gesamte Erde. Hoch oben am Rand des Gebirges taucht eine Bestie auf, die selbst den Riesen, der über Steinhafen gekämpft hat, wie einen kleinen Welpen wirken lässt. Als er seine gewaltigen Flügel spreizt verfinstert sich die Welt. Entsetzen breitet sich auf der Ebene aus, als sich die Kreatur in die Tiefe stürzt.

Das war es endgültig. Wir sind verloren.

Resigniert blickt Reth zu Boden.

Wie sollen wir dagegen kämpfen? Unmöglich. Ich will nicht mehr.

Mit zitternden Händen greift er nach seinem Schwert.

Toris, verzeih mir. Ich komm zu dir.

Und mit diesen letzten Gedanken rammt er sich die Klinge in die Kehle.

 

Vulkangeboren

Erstarrt vor Entsetzen beobachten die Soldaten wie ein Drache, der größer als alles bisher Dagewesene, sich über den Rand des Gebirges zieht. Mit einen heftigen Ruck, der selbst tausende Fuß tiefer zu spüren ist, reißt er seine Flügel in die Höhe. Auf einen Schlag hin wird die Welt dunkel und der Titan stürzt in die Tiefe. Angst und Panik breitet sich auf der Ebene aus. Soldaten, die bis eben noch mit einem eisernen Willen gekämpft haben, schmeißen vollkommen angsterfüllt ihre Waffen weg und rennen so schnell sie können. Selbst die Drachen scheinen vor Schreck wie gelähmt zu sein. Voller Unglauben beobachten sie wie der Titan näher und näher kommt. Nicht einmal eine Sekunde benötigt er um die Entfernung zu überwinden und ehe auch nur einer von ihnen reagieren kann, hat der Titan mit seinen gewaltigen Klauen bereits zwei der Drachen gepackt und sie mühelos zertrümmert. Verwirrung breitet sich unter den Soldaten aus, als sie mit ansehen wie der Drache einen seiner kleineren Geschwister nach den anderen zermalmt. Mit seinem gewaltigen Maul schnappt er sich selbst eine der zweihundert Fuß langen Bestien und lässt ihren Schädel unter dem Druck seines Kiefers zerbersten.

Noch vor kurzem hatten sich die Drachen halbwegs unter Kontrolle, aber das Auftauchen dieser Kreatur hat jede Art von Koordination oder Selbstbeherrschung zerstört. Panisch fliegen sie in alle Himmelsrichtungen. Selbst ihre Stimmen haben sie nicht mehr unter Kontrolle. In den Köpfen der Soldaten auf dem Boden hallen ihre hysterischen Stimmen wieder.

„Vater?“ „Nein, Vater!“ „Papa?“ Angsterfüllt betrachten sie wie ihre Geschwister vor ihnen in Stücke gerissen werden. „Wieso tust du das, Vater?“ Selbst als er nach ihnen schlägt, versuchen sie nicht einmal auszuweichen. „Bitte nicht, Papa!“

In ihrer Angst schaffen sie es nicht genauer hinzusehen. So sehen sie nicht wie sich die Haut vom Körper löst und wie verrottetes Fleisch aus dem Körper dieses Titanen fällt. Sie sehen auch nicht wie sich pechschwarze Adern durch die rot geschuppte Haut ziehen oder spüren die fehlende Wärme, die sie einst ausgestrahlt hat. Nein, sie bemerken ja nicht einmal den schwarzäugigen Mann, der oben auf den unnatürlich bewegenden Kopf sitzt und hemmungslos weint.

Die Soldaten dagegen begreifen es schnell. Diejenigen, die noch eben ihre Waffe wegwarfen, greifen sich nun hastig die nächstmögliche Armbrust und gehen gegen die Drachen vor. Schnell formieren sie sich und greifen die Drachen an.

Die wiederum sind nicht dazu in der Lage Wiederstand zu leisten. Kaum einer schafft es überhaupt seinen Blick von dem Titanen abzuwenden.

Unten am Boden brüllt der Marshall Befehle. Nur schwer schaffen es die Soldaten sich vom Metzeln der Drachen loszueisen, aber das ist nötig für den Sieg. Schnell formen sie breite Kreise um die noch verbliebenden Magier und geleiten sie im Laufschritt zum Fuß des Hortes. Dort angekommen machen sich die ersten daran hoch zum Plateau zu kommen.

Na endlich. Sie greifen an.

„Papa hör auf! Erkennst du mich denn nicht?“

Schmerzerfüllt greift sich Samarus an den Kopf. Ihre Stimmen. Er kann es nicht abstellen. Die Stimmen, die für das Wesen unter ihm bestimmt sind, branden durch seinen Schädel.

Ich wollte das nicht, bitte. Seid still!

Auf diesen Befehl hin ruckt die rechte Klaue des Titanen nach unten und zerfetzt einem der kleineren Drachen einen Flügel samt Schulter.

Der Kleine begreift es nicht. Obwohl er in die Tiefe stürzt fragt er immer noch: „Warum?“

Mühselig zieht Samarus an einen der vielen Schattenseilen, die von seinem Körper in den Kadaver unter ihm gehen.

Wenn ich nicht wüsste, du bist schon lange tot, würde ich behaupten deinen hasserfüllten Blick auf mir zu spüren, alter Freund … Nein, ich glaube nicht das ich noch das Recht hätte dich so zu nennen...

„Nicht Vater! Erkennst du mich nicht?“ Dem sehnsüchtigen Blick des Drachens folgt schnell blankes Entsetzen, als er begreift: Sein eigener Vater erkennt ihn nicht. Doch zu spät. Das Maul des Titanen hat ihn bereits erwischt.

Nicht nachdem was ich deinen Kindern antue … Es tut mir Leid … Moment, das bilde ich mir doch nicht ein?

„Dämon!“

In dem Moment, als ihn diese martialische Stimme trifft, wird sogar die Existenz selbst zermalmt. Es wirkt als hätte ein Hammer einen Spiegel zertrümmert. Doch es ist nicht Glas, sondern Luft, Fleisch und Knochen, die zerspringen. Mit einer gewaltigen Wucht wird der obere Teil des Schädels von dem Titanen zerfetzt. Abrupt stoppen alle Bewegungen des Titans. Seine Flügel hören auf zu schlagen und er stürzt in die Tiefe. In seinem Fall reißt er mehrere Drachen mit, die das Pech hatten in seinen Sog zu geraten. Sein Aufprall löst eine massive Schneewehe aus, die mit Wucht über die Soldaten hinweg fegt. Doch die wenigsten waren noch in der Nähe des Aufprallortes. Fast alle der Überlebenden sind gerade dabei über die neu aufgebaute Portalstrecke nach oben zu gelangen.

 

„Begreift ihr es nun meine Brüder und Schwestern?“, erklingt die Stimme überall auf der Ebene.

Oberhalb einer der höheren Tunnelausgänge des Hortes fliegt er. Von der Spannweite ist er kleiner als der gerade gefallene Titan. Trotzdem ist er gewaltig, selbst für einen Drachen. Seine Schuppen sind eine Mischung aus Schwarz und Rot und ein Rauchschwall entsteht bei jedem seiner Flügelschläge.

Gerade dabei die letzten Soldaten über die Portalschwelle zu bringen, beobachten die Soldaten die Ankunft der neuen Bestie. Um ihr Maul herum wirkt die Welt zertrümmert.

„Das muss Marek sein. Sieht wirklich aus als hätt ihn ein Vulkan ausgeschissen“, bemerkt Athera trocken. Der Marshall blickt sie nur kurz aus seinen toten Augen an. Er schafft es nicht sie lange anzusehen. Der Überraschungsangriff auf dem Plateau hat ihr schwer zugesetzt. Hohemagier Aros wurde direkt getötet, genau wie viele andere der Soldaten auch. Ihr selbst geht es kaum besser. Ihre rechte Seite wurde schwer Verbrannt und von ihrem Arm ist nicht mehr viel übrig geblieben. Gerade versuchen die Heiler zu retten, was noch zu retten ist. Trotzdem schafft sie es noch das Geschehen über ihnen zu verfolgen.

„Du hast ihn getötet?“ „Wieso hast du das getan?“ „Du hast Vater getötet?“ Unglaube breitet sich unter den Drachen aus. „Warum?“ „Unmöglich!“ „Du Mörder!“

„Ruhe!“, brüllt er. „Begreift ihr es nicht? Ich hätte niemals unseren Vater mit einen Schlag töten können! Das war nur eine … Marionette. Geführt von einem Menschen!“, pure Abscheu liegt in diesem Wort. „Da seht ihr wozu diese Monster fähig sind! Sie scheuen nicht einmal vor dem Allerheiligsten, den Tod, zurück! Dafür müssen sie ausgelöscht werden … Bringt sie um! Verteidigt unseren Hort, schützt eure Geschwister und jagt sie aus unseren Gängen!“

Vor Wut rasend stürzen die restlichen Drachen auf die Soldaten herab, aber die meisten sind bereits in die Tunnel vorgedrungen. Noch ehe die ersten es geschafft haben den Tunnel zu erreichen, haben die Magier bereits einen Teil des Eingangs eingerissen. Nur wenige Drachen schaffen es hinein, ehe der Eingang vollständig verschlossen ist. Wütend stürmen die anderen Drachen in die umliegenden Tunnel, darauf brennend den Kampf zu eröffnen. Nur Marek nicht.

„Und ich werde mich um dich kümmern, Dämon.“ Sein Blick gebannt auf den kleinen Menschen gerichtet, der gerade blutspuckend zwischen zerfetzten Körperteilen des Titanen hervorwankt.

 

„Ich werde dich auslöschen für das, was du Leviatan angetan hast“, dröhnt es in Samarus Schädel.

Mit trüben Augen blickt er hoch, während Schatten über seinen geschundenen Körper huschen und seine letzten Wunden schließen. „Versuch es!“

Wutendbrand reißt Marek sein Maul auf und eine erneute Schockwelle entlädt sich. Wieder wird die Welt um Samarus für den Bruchteil eines Augenblickes zertrümmert und eine gewaltige Explosion wird ausgelöst. Doch er ist schon längst nicht mehr da. An seiner Stelle wird nur eine Schattenillusion getroffen. Er selbst hat sich hinter Marek teleportiert und erneut erscheint die Sense in seiner Hand. Mit einem schnellen Ruck zerschneidet sie die Luft, aber verpufft scheinbar wirkungslos an den Haut des Drachens. Einzig seine Schuppen glimmen kurz rot auf.

Eine Schutzbarriere, erkennt Samarus.

Sofort reißt Marek seinen Kopf herum und speit ihm Untergang entgegen. Der Himmel selbst wird zertrümmert und Bruchstücke werden in die Tiefe geschleudert.

Verdammt.

Wieder verschwindet Samarus und taucht hinter ihm auf. Doch Marek hat sich bereits neu ausgerichtet und einen erneuten Angriff gestartet.

Er ist schnell, zu schnell. Wie kann er einen so mächtigen Angriff so schnell aufbauen?

Erneut verschwindet Samarus in den Schatten und taucht hinter Marek auf, doch dieses Mal erscheint er noch an zwanzig anderen Stellen.

„Versuch mich jetzt mal zu treffen!“ Mit diesen Worten greifen alle sofort an und schlagen mit der Sense zu.

Die Waffe des Todes macht ihren Namen alle Ehre, überall wo sie die Barriere trifft zerfällt der Schutz und jeder weitere Hieb schneidet in das schnell zerfallende Gewebe darunter. Doch im Gegensatz zum Kampf mit dem Riesen wirkt Marek gefasst.

„Glaubst du etwa, du könntest mir schaden?“ Marek reißt sein Maul auf und ein gewaltiger Schrei lässt nicht nur die Luft erbeben, er zerreißt sie sogar regelrecht.

Jeder Doppelgänger wird mit einem Schlag getroffen und zurückgeschleudert. Der heftige Ausbruch lässt die Schatten erbeben und Samarus Kopien zerfallen im Bruchteil eines Augenblickes. Schwer atmend schafft es Samarus sich wieder zu fangen. Doch zu spät, Marek hat die Zeit bereits genutzt und einen weiteren Angriff vorbereitet. Ehe er reagieren kann wird Samarus in tausend Teile zertrümmert. Selbst die Schattenbarrieren die er um sich gewoben hat, schaffen es nicht den Angriff auch nur ein wenig abzufedern. Eine heftige Explosion erschüttert den Himmel und ein abartiger Regen beginnt auf das verlassene Plateau herabzuregnen.

 

Schwer atmend steht Marek in der Luft und betrachtet die herabfallenden Stücke des Dämons.

„Hast du ernsthaft geglaubt du hättest eine Chance gegen mich? Selbst wenn du dich mit euren lächerlichen Göttern verbündest und zu einem Dämon wirst, bleibst du doch immer noch nur ein … Mensch. Wir dagegen sind Drachen! Wir wurden im Feuer der Erde geschmiedet! Wir sind die Kinder der Allmutter!“ Er dreht seinen Kopf in Richtung des verschütteten Tunneleingangs. „Und nun ist der erbärmliche Rest von euch dran.“

Nur kurz zieht er seine Schwingen ein und fällt in die Tiefe. Kurz bevor er auf dem Plateau aufprallt spreizt er sie wieder auseinander und fängt sich elegant ab. Arrogant blickt er die Felsen an.

„Als ob mich das aufhalten könnte.“ Erneut zersplittert die Luft um sein Maul und als er es aufreißt, werden die massiven Felsen vor ihm in tausende kleine Kiesel zermalmt, ehe sie in einer den Berg erschütternden Explosion auseinander gesprengt werden. Selbstzufrieden sieht er in den wieder freien Tunneleingang.

In dem Moment als er den Tunnel betreten will erschallt eine Stimme in seinem Geist: „War das etwa alles, was der ach so mächtige Marek drauf hat? Der Vulkangeborene? Angeblicher Nachfolger Leviathans und Anführer der Drachen?“

Gelächter breitet sich auf dem Plateau aus.

Wutentbrannt schmeißt sich Marek rum und betrachtet entsetzt wie die Überreste des Dämons an winzigen Schattenfäden gezogen wieder zusammen finden.

„Was? Unmöglich! Du warst tot! Man kann nur einmal sterben!“

Das Lachen wird traurig. „Das glaubst auch nur du …“

Es vergehen nur wenige Liedschläge bis sich sein Körper neu zusammengesetzt hat und er Marek erneut aus schwarzen Augen entgegen blickt. „Der Tod eines Wesens bedeutet, es hat sich von der Existenz getrennt. Es bedeutet die Trennung des Faden des Lebens, nicht wahr? Was aber wenn es mehrere Fäden gibt?“

Entsetzt reißt Marek seine geschuppten Lieder auf.

„Was wenn der Tote Fäden an neunundsiebzig Sphären gebunden hat?“ Samarus zeigt ihm ein blutiges Grinsen. „Was passiert dann?“

„Dann wird er halt neunundsiebzig Mal getötet!“, erschallt es hasserfüllt in seinem Geist.

Marek schmeißt sich vor und schlägt mit seinen Klauen zu, doch Samarus war schneller. Noch während der Boden unter der Wucht des Hiebes in Stücke gesprengt wird, ist er bereits hinter ihm und rammt die Sense in seinen Nacken. Erneut reißt Marek sein Maul auf und erschüttert mit seinem Brüllen die Existenz. Doch Samarus reagiert gefasst. Er wird nur leicht zurück geschleudert und schafft es so der Schwinge des Drachens auszuweichen. Mit einer schnellen Handbewegung zieht er die Sense hoch und durchschlägt das weiche Gewebe des Flügels. Dünne Knochen und Knorpel zerfallen in wenigen Wimpernschlägen. Schnell wirft sich Marek nach vorne und hält im Anschluss seinen halb zerfetzten rechten Flügel schmerzerfüllt fest.

„Ich bring dich um!“

„Das wird dir auch nicht helfen.“ Mit diesen Worten verschwindet Samarus erneut und taucht über Mareks Kopf auf. Die Sense schlägt in die Tiefe und schneidet sich leicht durch die schweren Schuppen auf Mareks Schädel.

Zu leicht. Im Einschnitt leuchtet es Rot, Blutrot … nein Feuerrot! Eine Illusion! In diesem Moment verbrennen die Schuppen des Drachens und er zerfällt in einer gewaltigen Feuerwoge. Samarus schafft es nur gerade so sich in seine Schatten zu hüllen, um die Woge zu überleben.

„Glaubst du nur ein Dämon beherrscht so etwas?“

Der Hieb trifft ihn vollkommen unvorbereitet. Noch während das Feuer vergeht schlägt Marek von hinten zu und zertrümmert ihm dabei das Rückgrat. Voller Schmerzen schreit Samarus auf, aber der Schrei wird sofort erstickt als er mit Wucht auf dem Plateau aufschlägt. Sofort setzt sein Herz aus.

„Nein, ich werde dich nicht nur neunundsiebzig Mal töten. Bei dir kleinen Bastard geh ich auf Nummer sicher! Ich töte dich tausend Mal!“, brüllt ihn der Drache an.

Noch während Samarus Herz wieder zu schlagen beginnt, stürzt Marek herab und schlägt zu. Ein weiterer Faden reißt. Er schlägt wieder zu und erneut reißt ein Faden. Verzweifelt beschwört Samarus die Sense herauf, doch der Drache reagiert sofort. Mit einem Hieb zermalmt er Samarus Arm, samt Sense.

Als er die Klaue wieder hebt breitet sich Entsetzten in Samarus aus. Der Schafft der Waffe ist gespalten und ihr Blatt ist in tausende Teile zersplittert.

Marek verfällt in einen wahren Schlaghagel. Mit jedem Male wo eine seiner Klauen in die Tiefe stößt, zerreißt einer der Fäden.

Ich kann nicht … Samarus Augen starren in die Leere während sein Körper von jedem Hieb erneut zermalmt wird. Blut und Schatten werden in alle Himmelsrichtungen geschleudert.

Mareks Gelächter ertönt. „Und wenn ich mit dir fertig bin, bringe ich den Rest von euch um! Ich zerfetz ihre kümmerlichen Schilde und lasse sie brennen!“

Nein.

„Weißt du was wir dann machen? Wir gehen los und jagen den Rest von euch. Wir brennen jede eure Städte ab und räuchern euch aus all euren Verstecken aus!“

Alles umsonst.

Marek beugt seinen Kopf hinunter zu Samarus. „Und wir werden jeden finden, der dir irgendwas bedeutet hat!“

Catherine, nein.

„Egal wo sie sich verstecken.“

Nein!

„Wir finden sie und dann foltere ich sie persönlich.“

Nein! Langsam dreht Samarus seinen geschundenen Kopf in Mareks Richtung.

„Solange bis sie irgendwann um ihren eigenen Tod betteln und ja, vielleicht wenn ich dann einen guten Tag habe, dann erfülle ich ihnen ihren Wunsch.“

„Nein!“, brüllt Samarus auf.

Mareks Hiebe erstarren sofort, seine Augen sind weit aufgerissen. „Was?“

Mareks Blick fällt auf die Sense des Todes. Ihr Schafft ist immer noch zertrümmert, doch ihr Blatt ist verschwunden. Erst jetzt begreift er langsam was geschehen ist. „Nein!“

Langsam wird er nach hinten geschoben und mühselig erhebt sich Samarus. Von seinem Körper gehen hunderttausende kleine Schattenfäden aus. Jeder einzelne diese Fäden verschwindet im Körper des Drachens.

Nur langsam schafft es Marek seinen Kopf nach hinten zu drehen und dort erblickt er das, was er erwartet hatte. Jeder einzelne dieser Fäden hat ihn durchschlagen und ihre Enden blitzen im Licht der untergehenden Sonne Metallisch-Schwarz auf.

Noch während Samarus seine Fäden wieder zurückzieht bricht Marek zusammen. Aus leeren Augen starrt er Samarus verwirrt an.

„Endlich.“ Voller Erleichterung bricht Samarus in die Knie.

So müde. Schmerzen durchzucken ihn, als er versucht wieder aufzustehen. Ich muss nur noch zu den Soldaten. Doch die Strapazen der letzten Tage waren zu viel. Viel zu viel. Sein Versuch scheitert kläglich. Geschlagen gibt er sich der süßen Bewusstlosigkeit hin, während tief aus den Gängen vor ihm die panischen und gequälten Schmerzensschreie junger Welpen erklingen.

Selbsthass

„Wie konntest du das tun?“ Catherine blickt ihn entsetzt an. „Sie waren deine Freunde! Ihr habt zusammen gefeuert, habt zusammen geweint und gelacht. Sam, wieso?“

„Ich hatte keine andere Wahl.“

Sie ist verwirrt. „Keine andere Wahl? Du hast sie abgeschlachtet!“, brüllt sie ihn an. „Jeden verdammten Augenblick lang hättest du aufhören können. Aber nein, du hast weitergemacht und jeden getötet der sich dir in den Weg gestellt hat … Selbst die Kleinen. Was sollen die dir denn getan haben?“, mit Abscheu sieht sie ihn an. „Marek hatte Recht. Du bist zu einen Monster geworden, zu einem Dämon!“

Samarus legt den Kopf schief. „Wenn du es sagst.“

Catherine beginnt zu weinen. „Dabei wollte ich doch nur ein schönes Leben mit dir verbringen. Warum nur hast du meinen Bruder sterben lassen? Wie konntest du das meinen Vater nur antun? Das waren seine Kinder. Er hat jeden einzelnen von ihnen abgöttisch geliebt!“ Sie wirkt verzweifelt.

Langsam bewegt sich Samarus auf sie zu. „Es tut mir leid.“

„Nein. Nein, das tut es nicht.“

Er grinst. „Ja, da hast du wohl wieder einmal recht.“

„Was hast du vor?“

„Ich erfülle mein Versprechen dir gegenüber.“

Erschrocken reißt sie ihre Augen auf. Ein Husten erschüttert ihren Körper und ganz langsam fließt ein kleines Blutrinnsal aus ihrem Mundwinkel. Ungelenk wankt sie zurück und betrachtet die mit Blut verschmierte pechschwarze Klinge in der Hand ihres einstigen Geliebten. Erstaunt sieht sie ihn an, während sich die blutrote Blüte auf ihrer Brust weiter ausbreitet.

 

Vollkommen panisch reißt er die Laken zur Seite und schnappt nach Luft. Es vergeht ein Moment, bis er begreift wo er eigentlich ist.

Ein Traum. Catherine, bitte, ich wollte das wirklich nicht. Er blickt hinab auf seine Hände. Ich habe befohlen, niemand vergreift sich an den Unschuldigen. Nur kämpfende Drachen, das habe ich ihnen befohlen. Aber sie haben alle abgeschlachtet, egal wie alt er war.

Zaghaft klopft es an der Tür. Mühselig schafft er es seine Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen und stößt ein gequältes „Herein“ hervor.

Vorsichtig tritt eine alte Frau in Dienstmagd-Kleidung ein. Durch jahrelange Erfahrung geübt, balanciert sie ein großes Tablett mit verschiedenen Broten und Aufstrichen in das Zimmer hinein.

„Wieder der Traum Sir?“

„Ja, Anna.“

Sie schüttelt ihren Kopf, wobei sie das Tablett auf den kleinen Tisch neben dem breiten Bett stellt.

„Sie haben natürlich nicht die Tabletten genommen, die ich ihnen mitgebracht habe oder?“ Ohne auf eine Antwort zu warten fährt sie fort. „Ich sage es ihnen noch einmal. Diese Tabletten wirken wirklich. Meinen Mann und seinem Schwager haben sie vor ihren Schlafstörungen geheilt. Sie sollten sie wirklich nehmen.“

Müde lächelt er sie an. „Ja, ich werde sie heut Abend einmal ausprobieren“ lügt er.

Wieso sollte ich sie denn nehmen? Habe ich denn nicht diese Träume verdient? Ich bin schuld an ihrem Tod, wieso sollte ich also ruhig schlafen können? Außerdem … nur so sehe ich sie jede Nacht.

Traurig sieht sie ihn an. Sie weiß, er wird sie wieder nicht nehmen. „Nun gut. Ein Kurier hat erneut einige Unterlagen von der Akademie vorbeigebracht. Ich habe sie wie immer in ihr Arbeitszimmer gebracht.“

„Danke Anna.“

„Kann ich ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“

„Nein, machen sie sich ruhig ihr Frühstück.“

„Danke Sir. Falls etwas ist, rufen sie ruhig. Guten Appetit.“

„Danke, ebenso.“

Lächelnd verlässt sie das Zimmer und schließt die Tür hinter sich.

Die Akademie. Ja, nach dem Krieg wurde Athera als einzige überlebende Hohemagierin zur Nachfolgerin des Erzmagiers ernannt. Er selbst hatte sich aus Gram zurückgezogen, nachdem er erfahren musste was mit seinen einstigen Studenten passiert war. Am Ende waren es keine fünfzig Stück die überlebt hatten … von über vierhundert.

Er schüttelt seinen Kopf während er sich langsam ein Brot schmiert.

Athera befahl daraufhin einen Zusammenschluss mit den Wächtern. Sie würden nur noch Kampfmagier ausbilden. Alles andere hätte keinen Zweck mehr, hat sie gesagt. Mh, der Krieg hat sie wirklich verändert. Ich erinnere mich noch an früher. Sie war eine wirklich sanftmütige Frau. Immer darum bemüht anderen zu helfen und bei Streit war sie immer darum bemüht eine Einigung zu erzielen. Aber jetzt? Sie ist eiskalt und brutal geworden. Insbesondere nachdem sie ihren Arm verloren hat. Selbst ihre Rekruten und Mitausbilder fürchten sich vor ihr. Manche sagen sogar sie würde sich der Blutmagie bedienen, aber das bezweifle ich. Auch wenn sie erstaunlich jung aussieht für ihr Alter …

Genüsslich beißt er in sein Brot rein.

Diese Veränderung des Zirkels hatte natürlich auch seine Konsequenzen. Viele Nachwuchsmagier wollten nicht den Wächtern beitreten um unterrichtet zu werden. Wie gut, dass dieser Mister Rasis Hyr aufgetaucht ist … Der ganz zufällig große Ähnlichkeiten mit meinem alten Meister hatte.

Er schmunzelt.

Er hat die Akademie gegründet. Ein Ort wo Magier sich einzig und allein um das Studium der Magie kümmern konnten. Er hat sogar mir eine Anstellung gegeben, auch wenn ich mich dagegen gesträubt hatte. Ich soll Forschungsergebnisse überprüfen und bewerten. Pff, Aber ich sollte mich wohl nicht beschweren. Dafür haben sie mir das Haus gestellt und zahlen Annas Gehalt. So habe ich zumindest meine Ruhe.

 

Nachdem er das letzte Stück verschlungen hat macht er sich träge auf in das benachbarte Badezimmer.

Es hat sich schon einiges verändert in den letzten fünfzig Jahren.

Mit traurigen Augen betrachtet er sein leicht verzerrtes Spiegelbild, in dem kleinen Zinnspiegel auf der Anrichte.

Bis auf dieses Gesicht. Auch wenn die Zauber schon längst abgeklungen sind, sind meine Adern immer noch viel dunkler als gewöhnlich und diese Augen … ich hasse meine Augen. Sie haben zwar ihre alte Farbe wiedergewonnen, aber wie sie mich anstarren … voller Schuld und Leid.

Langsam greift Samarus zum Rasiermesser.

Ich sollte es hier und jetzt beenden. Jeden einzelnen Faden zerreißen, der mich an diese verdammte Existenz fesselt.

Mit aufgerissenen Augen und Kraft im Griff hält er sich das Messer an die Kehle. Leicht ritzt die Haut auf und ein Tropfen Blut fließt seine Kehle hinunter. In diesem Moment kommen die Erinnerungen an seine vorherigen Tode wieder und mit ihnen die enormen Schmerzen, die er bei jedem Male empfunden hatte. Panisch schmeißt er das Messer zur Seite und schafft es gerade noch so, sich an der Anrichte festzuhalten um nicht umzufallen. Düster beginnt er zu lachen.

Ich schaff es wieder nicht. Es geht einfach nicht. Jeden Morgen das gleiche erbärmliche Spiel.

Geschlagen schlürft er zum Messer in der Ecke, nimmt es in die Hand und als er wieder an der Anrichte steht, beginnt er sich zu rasieren.

 

Fertig gewaschen und angezogen verlässt er das Badezimmer und wandert hinüber in Richtung seines Arbeitszimmers im ersten Stock des alten Herrenhauses. Dort angekommen öffnet er die Tür und wird prompt geblendet. Mürrisch schützt er seine Augen mit den Händen ab.

„Anna. Haben sie die Schiebeläden aufgemacht?“, ruft er den Gang hinunter.

Sofort taucht der Kopf seiner Haushaltshilfe, aus einem der hinteren Zimmer, auf. „Ja Sir. Es ist selten, die Sonne zu dieser Jahreszeit in Mesa zu sehen. Das sollte man nutzen.“ Und schon verschwindet ihr Kopf wieder.

Missmutig schnaubt er. Naja, sie hat aber wohl Recht. Die Sonne zeigt sich wirklich nur ganz selten zur Herbstzeit in Mesa. Im Regelfall regnet es fast nur. Schon seltsam, warum ein Großteil des Adels ausgerechnet hierher gezogen ist. Aber Steinhafen war eh nichtmehr zu retten. Die Stadt war zu über achtzig Prozent verwüstet oder verbrannt. Ohne Meer konnte sie sich unmöglich wieder erholen. Deswegen wurde die Stadt schnell aufgegeben. Die Ärmeren sind in dem Flüchtlingslager Sarida geblieben und der Rest ist nach Norden nach Mesa gewandert. Dort wurde auch der neue Hauptsitzt der Wächter aufgebaut.

Offiziell wurden alle Flüchtlinge mit Freude aufgenommen, aber im Hintergrund schwelen einige Konflikte. Kein Wunder, Mesa hat nicht annährend so viele Soldaten für den Krieg gestellt, wie sie es hätten machen können. Aber dieser Mist geht mich nichts mehr an. Ich kümmere mich nur noch um meine Arbeit.

Mit Wucht nimmt er in seinem Arbeitsstuhl Platz, um seinen letzten Gedanken noch einmal Nachdruck zu verleihen. Nachdem er das Siegel aufgerissen hat widmet er sich den Inhalt der Brieftasche.

Mh, eine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Götter und wie sie mit ihren Gläubigen zusammen hängen soll. Das könnte interessant werden.

 

Ohne es zu bemerken vergeht Glockenschlag um Glockenschlag während er vertieft Seite für Seite durchliest und sich dabei Notizen erstellt. Erst als es klopft wird er sich wieder seinem Umfeld bewusst.

„Ja, herein.“

Anna lugt mit ihrem Kopf durch die Tür. „Ich nehme nicht an das sie heute noch herunterkommen um etwas zu essen?“

„Ich, ähm nein. Ich werde wohl noch den Rest des Tages hier mit den Unterlagen verbringen.“

Sie schüttelt nur ihren Kopf. Offensichtlich ist sie es bereits so gewöhnt. „Das habe ich mir schon gedacht Sir.“

Kurz darauf öffnet sie die Tür und bringt einen starken Tee sowie einige Bratenscheiben auf Brot ins Zimmer.

„Oh, danke Anna. Wenn ich sie nicht hätte.“

„Dann würden sie wohl verhungern, ich weiß Sir.“ Sie lächelt ihn an, ehe sie das Zimmer wieder verlässt.

Anna. Ja was würde ich wohl ohne sie machen? Sie regelt fast alles, was mit dem Haus zu tun hat. Sie war immer da. Wie lange arbeitet sie schon für mich? Inzwischen muss es bereits über fünfundvierzig Jahre her sein, als sie mir Rasis Hyr untergejubelt hat. Ich bräuchte ja unbedingt Jemanden, der sich um mein neues großes Haus kümmern könnte. Von wegen, der alte Sack wollte nur jemanden der da ist und sich um mich kümmert. Was vielleicht nicht so schlecht war. Damals war ich noch ein viel größeres Wrack, als ich es heute bin.

Da hat er mir einfach so dieses junge Ding hingestellt. Keine achtzehn und damit vielleicht halb so alt wie ich es damals war. Aber sie war schon damals äußerst gewissenhaft und hilfsbereit. Anfangs hat man sie teilweise für meine Tochter gehalten, wenn sie nicht gerade ihre Uniform anhatte und inzwischen? Sie könnte meine Mutter oder sogar Großmutter sein. Ihr Faden dünnt immer weiter aus. Dagegen wird mein letzter Faden vielleicht erst in tausend Jahren reißen. Was ist das nur für eine ungerechte Welt?

 

Erneut klopft es an der Tür.

„Ist noch etwas?“

Wieder lugt ihr Kopf durch die Tür, während seiner immer noch über den Unterlagen grübelt.

„Sir, da ist eine junge Frau in der Empfangshalle und möchte sie unbedingt sprechen.“

„Schicken sie sie wieder weg. Ich empfange niemanden.“

„Nun ja, das habe ich ihr auch gesagt. Daraufhin hat sie mir das hier in die Hand gedrückt.“

Verwirrt dreht sich Samarus um und blickt auf das übergroße Objekt in Annas Händen. Mit jeden Augenblick, der vergeht, weiten sich seine Augen mehr und mehr.

„Das ist, nein das kann nicht sein. Woher?“ Vollkommen erstaunt geht er immer näher und näher auf sie zu. „Das ist ein Ei. Ein riesiges Ei, das in steinerne Schuppen gehüllt ist. Kann das sein? Ein Drachenei?“ Zaghaft berührt er es, als könnte es unter der kleinsten Berührung zerfallen. „Es, es ist warm. Das kann unmöglich sein. Es lebt!“ Regelrecht erschrocken sieht er Anna an. „Wo ist sie? Wo ist die Frau?“

„Sir? Sie wartet in der Empfangshalle, hätte ich sie wegschicken sollen?“

Als hätte ihn was gebissen stürmt er an sie vorbei. „Nein, alles in Ordnung“, bringt er noch kurz hervor, ehe er um die Ecke herum ist. Mit ungewohnter Geschwindigkeit rennt er durch den oberen Gang und kommt erst am Treppengeländer der Empfangshalle zum Stehen. Von dort oben starrt er die Frau an, die mitten in der Halle steht. Sie trägt die typische Kleidung des hohen Adels von Mesa. Dazu einen der weit verbreiteten übergroßen Hüte.

Durch den Krach aufmerksam geworden, sieht sie zu ihm hoch. Langes braunes Haar umschmeichelt ihre sanften Gesichtszüge. Ihre Augen strahlen feuerrot.

Seine Gesichtszüge entgleiten ihm vollständig als er ihr Gesicht erblickt. „Catherine.“

In ihrem Gesicht breitet sich ein überglückliches Lächeln aus.

 

Epilog

Inzwischen ist die Sonne bereits untergegangen, während die junge Magierin ihrer Freundin die Geschichte der Drachenkriege erzählt. Im schwachen Licht der umstehenden Straßenlampen, die überall auf dem Gelände verteilt sind, lauscht die Schützin gebannt dem Ende der Geschichte.

„Ich hätte nie gedacht … Hast du jemals jemanden diese Geschichte erzählt?“

„Mh, nein. Du bist die Erste.“

„Wieso erzählst du sie dann ausgerechnet mir?“, fragt sie verwirrt.

„Weil ich das Gefühl habe, ich kann dir vertrauen und meine Mutter sagt immer, ich soll meinem Instinkt vertrauen“, lächelt sie.

„Aha, danke dafür.“

„Außerdem ist das fast fünfhundert Jahre her. Die Welt hat sich verändert und der alte Groll ist vergangen“, sagt sie und blickt abwesend in den dunklen Sternenhimmel.

„Da hast du wohl Recht.“

„Wie viel Uhr haben wir eigentlich?“

„Ähm“, sie zieht ihren Ärmel hoch und versucht etwas im trüben Licht zu entziffern, „halb neun haben wir es.“

„Oh verdammt. Meine Eltern fragen sich bestimmt schon wo ich bleibe. Ich muss los. Wir sehen uns doch morgen, oder?“

„Natürlich. Aber Moment noch“, sie hält ihre Freundin am Arm fest.

„Ja?“

„Du hast gesagt Catherine währe zu ihm gekommen, nachdem sie mit einigen Gleichgesinnten so viele Eier wie möglich aus dem Hort genommen und versteckt hatte, ehe der Krieg ausbrauch.“

„Genau, so wahr es“, nickt sie.

„Nachdem sie sich sicher war, den Kindern könnte niemand ein Leid zufügen, ist sie zu Samarus gegangen. Also sind sie wieder zusammen gekommen?“

Freudig nickt die junge Magierin.

„Ok, ich verstehe.“

„Dann, tschüss.“

„Ja, tschüss.“

„Moment, halt.“

Verwirrt dreht sich das junge Mädchen erneut um.

„Wenn sie wieder zusammen gekommen sind und sich nicht wieder getrennt haben. Dann ist Catherine ja deine Mutter?“, fragt die Schützin sie entgeistert.

Als Antwort lächelt die junge Magierin nur breit. Ihre weißen, unnatürlich spitzen, Zähne blitzen im Licht der Straßenlampe hell auf, während ihre braunen Augen Rot aufglühen. Sofort dreht sie sich wieder um und läuft hinunter vom Gelände der Wächter.

Impressum

Texte: Sascha Krug
Tag der Veröffentlichung: 18.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An meine Freunde, die mich hierzu genötigt haben.

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