Dieses Buch erzählt Kurzgeschichten aus der Maloche. Die meisten von ihnen spielen in einem Callcenter. Richtiger wäre die Bezeichnung Customer Care Center, denn die Telefonie ist tatsächlich nur eine der dort zu leistenden Aufgaben. Dieser hatte sich aber nie durchgesetzt. Bei Leserinnen und Lesern könnte der Eindruck entstehen, Mattes habe dort nicht gerne gearbeitet. Das trifft keineswegs zu. Er hat die Zeit und vor allem die weitgehend frei wählbaren Arbeitszeiten genossen. Dank der flexiblen Schichtplanung und einer frühzeitigen Absprache mit der Einsatzplanerin konnte er Sparpreis-Tickets für Fahrten zu seiner Schatzallerliebsten frühzeitig lösen. Der Gottesdienstbesuch an Feiertagen mit Gottesdienst, aber ohne Arbeitsverbot wie an Purim war ebenfalls problemlos durch späte und verkürzte Schichten möglich. Der Autor hat jedoch die Neigung, vor allem dann Geschichten zu schreiben, wenn ihm etwas weniger gut gefiel. Das trifft auf die weitgehend autobiographisch geprägten Erzählbände, zu denen dieser eindeutig gehört, in besonderem Maß zu. Habt beim Lesen Spaß!
Die Geschichten:
01. Mattes' letzter Tag als Stromrat
02. Arbeiten mit Kind
03. Mattes und Felsina
04. Mattes und seine Stimme
05. Mattes tötete seine Mobberin
06. Als Mattes nicht arbeiten durfte
07. Mattes knutscht auf der Betriebsfeier mit Catalina
08. Als Mattes keine Süßigkeiten verschenken durfte
09. Mattes fällt vom Fahrrad
10. Mattes ist unzufrieden
11. Mattes gibt Arbeitsstunden an Paul ab
12. Mattes und die Schnüffelsoftware
13. Mattes und die kreative Lösung
14. Mattes nimmt zu
15. Wirrung in der Elephantenherde
16. Mattes schießt daneben
17. Mattes wird vom MAD verhört
18. Einer der letzten Tage Mattes' bei der Bundeswehr
19. Mattes wird überfallen
20. Strom durch Werbung finanzieren (1. Bonusgeschichte)
21. Gesine und der große Strom (2. Bonusgeschichte)
Anhang: Dreizehn Tipps zum Umgang mit einem Callcenter
Mattes' letzter Tag als Stromrat
Im Elul 5771 (September 2011) endete Mattes' Zeit als Stromrat in einem großen Münsteraner Callcenter. Er lebte noch einen halben Monat an seinem alten Wohnort, den er mit dem Ausräumen der dortigen Wohnung und dem Packen für seinen Umzug verbrachte. Zudem ging er an den Hohen Feiertagen letztmalig in die Münsteraner Synagoge. Danach zog er nach Templin zu seiner Schatzallerliebsten.
Mattes' Tätigkeit im Callcenter
Knapp dreizehn Jahre lang war Mattes im Callcenter tätig gewesen. Den größten Teil davon hatte er als Stromrat gearbeitet. Angefangen hatte er mit zwei anderen Projekten, nämlich einer Handybestell-Hotline im Inbound und einer zeitlich befristeten Umfrageaktion im Outbound. Auch während seiner Tätigkeit an verschiedenen Hotlines eines Stromanbieters hatte er immer wieder mal kurzfristig bei anderen Projekten ausgeholfen. Die Arbeit wurde mit der Zeit immer abwechslungsreicher. Während Mattes am Anfang ausschließlich telefoniert hatte, kamen bald weitere Arbeiten wie die Schriftbearbeitung hinzu. Am meisten Spaß gemacht hatte ihn die Rückpostbearbeitung, bei der er gemeinsam mit seinen TeamkollegInnen mitunter detektivische Fähigkeiten entwickelten, um neue Adressen in Erfahrung zu bringen. Dass Mattes selbst an seinem letzten Arbeitstag noch von einem Callcenter sprach, stieß bei seinem Chef auf wenig Gegenliebe. Er versuchte mit großem Engagement, die Bezeichnung Customer Care Center durchzusetzen. Hätte er sich für die leichter aussprechbare Bezeichnung Kundenservice-Center entschieden, wäre ihm die Einführung der tatsächlich im Vergleich zu Callcenter sachlich passenderen Benennung wahrscheinlich gelungen. Zeitweise war Mattes auch im Betriebsrat engagiert. Er trat sein Amt als Nachrücker an und gab es auf, als er wegen eines Fahrradunfalls für einen längeren Zeitraum außer Gefecht gesetzt war. Er stürzte bereits auf den ersten Metern während der Fahrt zur Arbeit und brach sich die Hüfte.
Warum Mattes das Callcenter verließ
Eineinhalb Jahre zuvor hatte Mattes seine Schatzallerliebste kennen gelernt, die weit weg von Münster an den Brandenburger Seen lebte. Vorübergehend ist eine Fernbeziehung zwar möglich, aber dauerhaft stellt sie keine sinnvolle Lösung dar. Sie mussten somit einen gemeinsamen Wohnort kiesen. Da seine Partnerin einen schulpflichtigen Sohn hatte, fiel Mattes der Umzug leichter als ihr. Mattes dankte ausdrücklich seiner Personaleinsatzplanung. Sie hat ihm immer einen frühen Schluss an dem Tag seiner Fahrt nach Templin und eine Nachmittagsschicht am Tag nach seiner Rückkehr ermöglicht. Er konnte sich auf diese Absprache verlassen und seine Sparpreisfahrkarte mit Zugbindung schon viele Wochen vor der endgültigen Schichtplanung kaufen.
Mattes' künftige Arbeit
Mattes wird nach dem Verlassen des Callcenters ausschließlich schreiben. Das hatte er als Nebentätigkeit ohnehin schon getan. Die meisten Texte sind Auftragstexte, aber auch einige E-Bücher werden folgen. Mattes denkt gerne an die Zeit im Kundenservice-Center zurück, auch wenn er über einige weniger schöne Momente Geschichten geschrieben hat. Insgesamt war es eine gute und sogar abwechslungsreiche Zeit.
Eine Betriebsversammlung, einige Monate vor dem beschriebenen Ereignis:
Neben den üblichen Themen wie den zu geringen Entgelten (sagten Mattes und seine Kollegen) oder dem überhöhten Krankenstand (bemängelte deren Chef) und dem bereits hinreichend bekannten Klagelied über zu wenige Parkplätze – tatsächlich lassen sich sowohl für Radfahrer als auch für Autofahrer oft nur mit Mühe Stellplätze finden – wurde ein seltenes Thema angesprochen: Die Veränderung der Arbeitnehmerstruktur. Angefangen hatte der Betrieb mit einer überwiegenden Beschäftigung von Studenten, inzwischen sind immer mehr Vollzeitkräfte hinzugekommen. Teilweise allerdings, weil Studierende das Arbeiten und ihr Studium nicht so ganz unter einen Hut zu bringen vermochten und aus ehemals studentischen Kräften fest angestellte KollegInnen geworden sind. Als bedauerlich wurde sowohl vom Betriebsrat als auch von der Unternehmensleitung die Tatsache angesehen, dass nur wenige junge Eltern im Betrieb arbeiten, obgleich das Konzept der frei zu vereinbarenden Arbeitszeit ihnen doch entgegenkomme. Tatsächlich genießt diese Personengruppe einen gewissen Schutz und ist von der Pflicht zu einer bestimmten Verteilung der insgesamt eher eingeschränkt als vollkommen frei zu bezeichnenden Arbeitszeit weitgehend befreit. Dass ein Betriebskindergarten die Chancen auf Mitarbeiter aus diesem Personenkreis erhöhen würde, wurde gleich abgeblockt, da auf diese Weise Kosten entstehen. Dennoch sollte umgehend nach Möglichkeiten gesucht werden, mehr junge Mütter und junge Väter zu einer Arbeitsaufnahme bei uns zu bewegen.
An einem Tag einige Zeit nach der eingangs beschriebenen Betriebsversammlung
Mattes sah Cora mit traurigen Augen und einem in die Ferne gerichteten Blick an ihrem Rechner sitzen. Als er bemerkte, nur einen Teil der zur Verfügung stehenden Nachbearbeitungszeit für die eingegangenen Telefongespräche verbraucht zu haben, nutzte Mattes die Gelegenheit zu ihr zu gehen und sie zu fragen, ob es ihr nicht gut ginge. Cora erzählte ihm, dass sie soeben erfahren hatte, dass ihr Vertrag nicht verlängert würde, da ihr Kind zu häufig krank gewesen sei und sie deswegen zu viele Fehltage hätte. Cora war zwei Jahre im Callcenter angestellt, übererfüllte ihre Quote sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht und war mit einer ansprechenden Sonderaufgabe betraut worden. Zwei Jahre ist die Zeit, in der Verträge befristet verlängert werden können, ehe sie zwingend zu
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4686-2
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dieses Buch allen früheren KollegInnen im Callcenter. Und all denen, die in einem solchen anrufen.