Cover

Leseprobe

 

 

Liebesroman von J.R. König

 

 

 

Dies ist ein fiktiver Roman. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

 

© J.R. König

2018

 

Impressum:

J.R. König

c/o studio Delta

04177 Leipzig

 

Lektorat: Lektorat & Korrektorat Satz & Silbe

Korrektorat: Michéle Rösner – www.skripteule.de

Covergestaltung: Buchcoverdesign.de

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beschreibung

 

Wen wir am dringendsten brauchen, ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind.

Ralph Waldo Emerson (1803-1882)

 

Neu beginnen, loslassen und nach vorne schauen. All das hat Kat probiert und muss sich eingestehen, dass sie seit dem Tod ihrer besten Freundin Edy einsam vor dem Wendepunkt ihres bisherigen Lebens steht, unfähig etwas zu ändern.

Sie und Edy waren seit dem Sandkasten unzertrennlich, haben so gut wie jedes Lachen, jede Träne und jeden Traum miteinander geteilt. Und nun ist Kat allein. Edy hat sie verlassen, einfach so und ohne Option.

Durch einen Brief den Kat zum Jahrestag ihres Todes erhält, kann sie nicht mehr länger Zuflucht in ihrer Trauer und Einsamkeit suchen.

 

Edy stellt Kat vor eine letzte Herausforderung, die nicht nur ihr Leben verändern soll, sondern auch das einiger, ihr noch unbekannter, Mitmenschen in ihrem neuen Heimatort Johnsonville.

Kapitel 1 – Kat – 18.03.2016

»Ja, Mum, ich bin mir sicher, dass ich hier bleiben möchte.«

Wie oft habe ich diesen Satz jetzt wohl schon gesagt? Unzählige Male hat sie mich gefragt, ob ich mir sicher bin, am anderen Ende des Landes zu wohnen. Allein. Ohne Familie und Freunde.

»Aber du wirkst einsam und kraftlos. Und das nicht nur heute«, hält sie dagegen. Unwillkürlich verdrehe ich bei diesen Worten die Augen. Danke, sie hätte mich nicht daran erinnern müssen, welcher Tag heute ist. Das war mir schon klar, als ich die Augen heute Morgen geöffnet und aus dem Fenster gesehen habe. Dass die Sonne lachte und der Himmel strahlend blau gewesen ist, kam mir vor, als ob die Welt mich verarschen will. Kann es nicht an traurigen Tagen regnen? Wenn man sich verkriechen möchte, sollte sich auch das Wetter anpassen. Das ist zumindest meine Meinung. Die anderen Bewohner der Stadt in der ich lebe, sehen das natürlich anders, weswegen ich auch heute den Mund gehalten und meine Arbeit gemacht habe.

»Das bin ich seit über einem Jahr, Mum. Es liegt nicht am heutigen Tag. Sei mir nicht böse, aber ich möchte nur noch ins Bett. Hab dich lieb.« Damit würge ich sie ab, auch wenn ich weiß, dass es unfair ist. Schließlich bin ich vor einem Jahr einfach abgehauen. Also nicht wirklich abgehauen, aber ich habe meine Koffer gepackt und bin nach Johnsonville in South Carolina gezogen. Dort fand ich einen Job in der kleinen Stadtbibliothek, die ich mittlerweile fast alleine führe, weil meine Chefin eine ältere Dame ist, die dank mir ihre Zeit nun mit ihren Freundinnen direkt gegenüber in ihrer Lieblingsbäckerei verbringen kann. Mehr als einmal hat sie mich eingeladen, sie zu begleiten, aber jedes Mal habe ich abgelehnt. Ich brauche keine neuen Freunde. Alles, was ich brauche, ist Ruhe. So lange, bis ich mich bereit fühle, den Menschen dieser Stadt gegenüberzutreten. Und dieser Moment ist einfach noch nicht da.

»Ach Edy, was soll ich nur tun?«, frage ich in den Wind hinein, der meine Haare zerzaust. So, als wäre meine beste Freundin genau in diesem Augenblick hier und würde meine Hand halten. Nur ist sie das nicht – und wird es nie wieder sein.

Das Telefonat mit meiner Mutter hat mich so aufgewühlt, dass ich mich erst einmal auf die Stufen meiner kleinen Veranda fallenlasse, bevor ich das Haus betrete. Obwohl es nicht gelogen war, dass ich müde bin und am liebsten schlafen möchte, würde Edy mir so lange gegen den Oberarm schnipsen, bis ich kapituliere und das schöne Wetter nutze. Wenn sie da wäre.

Auch wenn dieses Piesacken nur in meiner Fantasie stattfindet, hält es mich zumindest davon ab, im Haus zu verschwinden und mein Einsiedlerleben fortzuführen.

Bedächtig streiche ich mit den Händen über das weiße, abgetretene Holz unter mir und lasse die Freude darüber zu, dass ich vor drei Monaten in dieses Haus ziehen konnte. Als ich hier ankam, habe ich mir zunächst eine kleine Einzimmerwohnung gesucht, die in einer Stadt wie Johnsonville wirklich rar gesät sind, und habe geweint. Tagelang habe ich auf dem alten Bett gelegen und den Tod meiner besten Freundin beweint, die mich nicht begleiten konnte, als ich den Wunsch erfüllt habe, den sie drei Monate zuvor auf dem Sterbebett geäußert hatte.

 

»Du wirst hier weggehen.« Edys Stimme ist brüchig, kaum mehr zu verstehen, doch ich liege bei ihr auf dem Bett, halte ihre zitternden Hände in meinen und schmiege mich an sie. Ich schenke ihr all die Wärme, die sie selbst nicht mehr spürt. Allein den ganzen Medikamenten, die durch ihren Körper gepumpt werden, ist es zu verdanken, dass sie keine Schmerzen hat. Aber ich sehe ihr an, dass sie nicht mehr leben möchte. Sie hat alles gegeben, all ihre Kraft gebündelt und am Ende trotzdem verloren. Und mich wird sie mitnehmen, wenn sie geht. Denn wie soll ich ohne meine beste Freundin sein, die ich an meiner Seite habe, seit wir drei Jahre alt sind?

»Ich werde nirgendwohin gehen«, halte ich dagegen. Sicher hört sie mir an, wie sehr ich mit den Tränen kämpfe. Mal wieder. Man sollte meinen, dass all meine Tränen in den letzten Monaten aufgebraucht worden wären, doch wenn ichstundenlang bei ihr liege und sie kaum ein Wort sagen kann, weil sie keine Kraft dafür aufbringt, komme ich an meine Grenzen. Ich will sie nicht verlieren. Nicht so. Nicht jetzt. Nie.

»Doch.« Sie atmet rasselnd ein und schließt die Augen, bevor sie mich ansieht und so klar wirkt wie seit Tagen nicht mehr. Die Müdigkeit ist ihr anzusehen, aber ebenso, wie wichtig ihr das ist, was sie mir zu sagen hat. Also lege ich einen Arm um ihre dürren Schultern, drücke ihr einen Kuss auf den rasierten Schädel und kämpfe die Tränen nieder. Der Kloß in meinem Hals ist unglaublich groß, Schlucken beinahe unmöglich, doch für Edy würde ich Berge versetzen.

»Wohin werde ich gehen?«, frage ich sie leise, genieße es, wie ihr schmaler Körper in meinen Armen liegt. Edy. Meine starke beste Freundin, die den Kampf gegen den Krebs verloren hat. Seit Wochen lebe ich bei ihr im Krankenhaus, lasse sie keine Minute allein. Unsere Eltern machen sich nicht mehr nur Sorgen um sie, aber ich kann hier nicht weg. Edy braucht mich, also werde ich hierbleiben, solange das so ist.

»Nach Johnsonville. Du wirst deine Sachen packen und wegziehen.« Ich habe es bereits geahnt, und trotzdem erstaunt mich ihr Wunsch. Es ist über ein Jahr her, dass wir davon gesprochen haben, in eine Kleinstadt im Süden zu ziehen. Es ist ein Traum, den wir hüten, seit wir Kinder waren.

»Was soll ich denn dort ohne dich machen?« Während ich diese Frage stelle, greife ich nach dem weißen Pappbecher auf der Ablage links von mir und halte Edy den Strohhalm an die Lippen. Sie hat kaum genug Kraft, um daran zu saugen. Doch sie scheint noch nicht fertig zu sein, denn sie schafft es. Auch wenn es ein wenig dauert.

»Ein Haus suchen, Freunde finden, die Bibliothek übernehmen.« Genau die Dinge, die wir gemeinsam erleben wollten. Es war die verrückte Vorstellung, dass Edy und ich uns ein neues Leben aufbauen können. Wir wollten herausfinden, ob es möglich ist, in der Fremde, weit weg von allem, was wir kennen, glücklich zu werden, wenn wir es nur wollen. Jetzt soll ich das allein herausfinden? Das kann ich nicht. Es ist UNSER Wunsch.

»Du musst gehen, um mich zu vergessen«, fügt sie schleppend hinzu, jedes Wort kostet mehr Kraft, als sie eigentlich hat. Edy zittert immer stärker in meinen Armen, hat die Augen bereits geschlossen. Ich drücke sie so fest an mich, wie ich nur kann, ohne ihr dabei wehzutun.

»Ich werde dich nie vergessen, du verrücktes Huhn. Ich liebe dich«, erwidere ich tränenerstickt, denn zurückhalten kann ich sie nicht mehr.

»Ich liebe dich auch. Du bist meine Schwester, meine beste Freundin, mein Ein und Alles. Aber du musst mich gehen lassen.« Zwischen den Worten macht sie Pausen. Jedes Wort speichere ich tief in meinem Herzen ab, für die Momente, in denen ich kein Vorankommen sehe. Die Tränen stehlen sich aus meinen Augenwinkeln und benetzen meine Wangen, aber es ist mir egal.

»Ich weiß. Das werde ich«, sind meine letzten Worte an eine Freundin, wie ich sie nie wieder finden werde. Denn niemand kann Edy ersetzen. Der durchgehende schrille Ton aus der Maschine rechts von ihrem Bett bedeutet mir, dass sie nur auf meine Zustimmung gewartet hat. Sie wollte nicht gehen, ohne mir all das gesagt zu haben. Ich lasse zu, dass mein Dad mich aus dem Bett zieht, nachdem die Schwestern und Edys Arzt das Zimmer gestürmt haben. Unsere Eltern haben uns allein gelassen. Für einen Abschied, den ich niemals werde ertragen können.

 

Drei Monate habe ich gebraucht, um wenigstens wieder das Haus zu verlassen. Mum und Dad haben darauf bestanden, dass ich bei ihnen einziehe. Sie meinten, sie würden es nicht verantworten können, wenn ich weiterhin in Edys und meinem Apartment wohnen würde. Allein mit all den Erinnerungen. Mir war es egal. Ich habe zugelassen, dass sie die Wohnung, die wir sechs Jahre lang gemeinsam bewohnt hatten, ausräumen und unsere Sachen in die Garage von ihnen und Edys Eltern verstecken. Und wenn ich ›verstecken‹ sage, dann meine ich das auch so. Acht Wochen lang haben sie die Sachen weggeschlossen und sich geweigert, mich reinzulassen. Bis ich ausgerastet und zusammengebrochen bin. Mir ist natürlich klar gewesen, dass auch sie einen wichtigen Menschen verloren haben – gerade ihre Eltern –, aber das war mir egal. Heute weiß ich, dass es unfair von mir war, aber vor einem Jahr war ich noch nicht so weit, dass andere mich an ihrer Trauer teilhaben ließen.

Deswegen habe ich mich entschieden, Edys Wunsch zu folgen und San Diego hinter mir zu lassen. Es ist nicht schwer gewesen, die Wohnung oder den Job übers Internet zu finden.

All das ist ein Jahr her und hier sitze ich nun, auf den Treppenstufen meines eigenen kleinen Häuschens, das ich mir von den Ersparnissen gekauft habe, die Edy und ich für unseren Umzug angesammelt hatten. Das letzte Geschenk, das sie mir gemacht hat.

Allein der Tatsache, dass Edy und ich das Büro der Bibliothek in San Diego zum damaligen Zeitpunkt schon lange geführt hatten, ist es geschuldet gewesen, dass sie mir nicht gekündigt haben, als es ihr schlechter ging und ich ständig im Krankenhaus gewesen bin. Oder nach ihrem Tod. Unser Chef war sehr mitfühlend, und dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.

»Hey Kat, geht es dir gut?« Ich reiße den Kopf hoch, verstaue die Erinnerungen an die schlimmste Zeit in meinem Leben wieder tief in mir und versuche mich an einem Lächeln für Stacy. Sie ist, glaube ich, in meinem Alter, die Tochter des Bürgermeisters und seit einem halben Jahr verheiratet. Ich bin versucht sie anzulügen, doch da ich mir Edys Gesichtsausdruck dabei momentan zu gut vorstellen kann, lasse ich die Mundwinkel sinken und falle in mich zusammen.

»Nicht wirklich«, gebe ich zu und beobachte das Erstaunen auf Stacys Gesicht, als ich ihr antworte. Niemand hier ist es gewohnt, dass ich etwas von mir preisgebe. Meist bin ich für mich, außer ich werde gezwungen an einer Stadtveranstaltung teilzunehmen.

»Darf ich mich setzen?«, fragt sie mich, nachdem sie den ersten Schock überwunden hat. Ich nicke, sobald ich meine eigene Fassungslosigkeit beiseitegeschoben habe. Denn Edy würde mich zur Sau machen, wenn ich nicht endlich aufhöre für mich zu sein. Du kannst es nicht leiden, allein zu sein, würde sie sagen. Und hätte damit zu einhundert Prozent recht. Ein Jahr allein sollte reichen. Nur kann ich diesen Schritt ausgerechnet heute wagen – an ihrem Geburtstag?

»Ich gebe zu, es ist komisch, dass du mich nicht sofort abwimmelst«, sagt Stacy, während sie entschuldigend mit den Schultern zuckt. Bei ihren Worten fühle ich mich schlecht, denn das wollte ich gar nicht wirklich. Aber so tief, wie ich in meiner Trauer versunken war, ist es unmöglich gewesen, ehrlich zu anderen zu sein. Denn dann hätte ich es auch zu mir sein müssen. Und das war undenkbar.

»Für mich auch. Jetzt bin ich seit einem Jahr hier und kenne kaum jemanden von euch«, gehe ich auf ihre Worte ein und versuche mich erneut an einem Lächeln. Doch es fühlt sich falsch an. Denn das ist noch so etwas, was ich verlernt habe – wie freundlich sein.

»Darf ich fragen, warum du mir gerade jetzt geantwortet hast?« Stacy ist nett, entscheide ich, und es fällt mir leicht, in ihrer Nähe zu sein. Aus irgendeinem Grund habe ich das Bedürfnis, wenigstens einem Menschen zu erzählen, was in mir vorgeht und was heute für ein Tag ist. Selbst wenn ich Stacy nicht gut kenne, drängt sich mir der Wunsch auf, ihr mitzuteilen, warum ich mich so rar mache. Sie will Edy nicht ersetzen, das könnte sowieso niemand.

»Weil meine beste Freundin heute Geburtstag hätte und mir den Hintern versohlen würde, wenn sie sehen könnte, wie ich mich verkrochen habe.« Meine Antwort kommt von ganz allein, und mit ihr die Erleichterung. Ein Stein – nein, eher ein Felsbrocken – fällt mir vom Herzen, als ich zum ersten Mal seit einem Jahr von ihr spreche. Ich wundere mich nicht mal darüber, dass der Knoten platzt, sondern nehme es so hin. Schließlich kann ich mich unmöglich für den Rest meines Lebens verkriechen. Aus Angst, wieder den Menschen zu verlieren, den ich am meisten liebe.

»Könnte?«, fragt Stacy vorsichtig nach. Ihr ist anzusehen, wie verwundert sie ist, aber auch, dass sie ehrlich daran interessiert ist, was ich ihr anvertraue. Daran sollte ich mich wohl gewöhnen, wenn ich es schaffen will, auf Menschen zuzugehen.

»Ja, ›könnte‹, ›würde‹ und ›hätte‹. Sie erlag vor einem Jahr und drei Monaten, am 12. Dezember 2014, ihrem Krebsleiden.« Der Kloß in meinem Hals macht das Schlucken schwer und ich spüre, wie Tränen in meinen Augen brennen. Aber es tut gut jemandem davon zu erzählen. Jemandem, der weder mich noch Edy kennt.

»Das tut mir sehr leid«, sagt Stacy nach einiger Zeit, in der sie wohl nach den richtigen Worten gesucht hat. Die gibt es aber nicht. Den Unterschied macht die Art und Weise, wie man sein Mitgefühl ausdrückt. Der traurige Zug in Stacys Augen lässt mich glauben, dass sie es ernst nimmt, und so springe ich ein zweites Mal über meinen Schatten.

»Hättest du Lust auf einen Kaffee reinzukommen? Du musst nicht, aber hier draußen lässt es sich wirklich blöd quatschen.« Dieses Mal ist das Lächeln auf meinen Lippen echt. Es fühlt sich gut und richtig an, Stacy einzuladen. Sie soll ja nicht meine neue beste Freundin werden, sondern der erste Mensch in dieser Stadt, dem ich mich öffne. Morgen weiß das sowieso jeder. So ist das hier nun mal.

»Ähm … ja, na klar«, entscheidet sich Stacy tatsächlich für meinen Vorschlag und folgt mir, nachdem ich aufgestanden bin. Doch ich komme nicht weit. Denn an meiner Tür klebt ein Brief. Er ist mit einem Klebestreifen am hellen Holz meiner Eingangstür befestigt. Wieso fällt der mir jetzt erst auf?, frage ich mich. Doch das ist nicht das, was mich am meisten erschreckt, sondern, dass mein Name darauf steht. Und zwar in Edys Handschrift.

»Alles okay, Kat?«, fragt mich meine neue Bekannte, als ich mich nicht mehr bewege und meine Tür anstarre. Die Farbe der Schrift ist bereits ein wenig verblasst. Das heißt, der Brief existiert schon länger. Mindestens ein Jahr und drei Monate. Denn so lange ist die Frau bereits tot, die eine so wunderschöne Handschrift hatte.

»Ich weiß es nicht. Da klebt ein Brief an meiner Tür, mit meinem Namen drauf. Und ich glaube, er ist von Edy - meiner toten besten Freundin.«

Kapitel 2

»Bist du dir sicher? Der müsste ja schon ziemlich alt sein«, stellt auch Stacy fest, und ich bin kurz erstaunt, dass sie mir so gut zugehört hat. Einer völlig Fremden, die Menschen sonst meidet wie die Pest.

»Genau deswegen stehe ich hier wie angewurzelt. Das kann nicht wahrsein.« Meine Stimme ist ganz leise, ich meine es auch gar nicht böse. Diese Situation überfordert mich. Erst dieses Telefonat, die Erinnerung, Stacy… und jetzt der Brief.

»Wirst du ihn abnehmen?«, fragt Stacy mich unnötigerweise, und kurzzeitig überlege ich, ob ich meine Einladung zurücknehmen sollte. Aber das wäre gemein. Die Frage ist eigentlich sogar berechtigt.

»Ja.« Mehr sage ich nicht, überbrücke die drei Schritte bis zur Tür und löse dann vorsichtig den Klebestreifen vom Holz. Der Vorbesitzer, Mister Micheals, wäre sicher nicht begeistert, wenn ich sein ehemaliges Eigentum verschandele.

»Komm mit«, bitte ich Stacy, da ich plötzlich Angst davor habe, den Brief alleine zu öffnen. Im Haus ist es ziemlich dunkel, was daran liegt, dass ich die Vorhänge zugezogen habe - und zwar alle. Ich wollte kein Licht hier drinnen und vor allem wollte ich nicht, dass die Leute auf die Idee kommen, zu klingeln. Ich bin eine ganz schöne Hexe.

»Warte bitte einen Moment.« Stacy bleibt im Eingang stehen und sieht sich um, sagt aber kein Wort. Wahrscheinlich denkt sie daran, zu flüchten. Ich würde es ihr keinesfalls verübeln. Den Brief gegen meine Brust drückend, laufe ich durchs Haus, reiße alle Vorhänge auf und öffne zusätzlich die Terrassentür in der offenen Küche. Wohnzimmer und diese bilden einen großen Raum, der durch einen Tresen geteilt wird. Hier unten befinden sich zudem ein kleines Gästebad und eine Abstellkammer. Wenn man die Treppe nach oben geht, kommt man zu meinem Schlafzimmer, einem großen Bad mit Wanne und einem kleinen Arbeitszimmer, das ich aber momentan eher stiefmütterlich behandele. Die Wände sind alle hell gestrichen. Es ein wirklich süßes Haus, in das jetzt wieder viel Licht strömt, nachdem kein Vorhang mehr zugezogen ist. Dazu der Wind von der Terrasse, und der leicht muffige Geruch hier drin verschwindet schnell. Stacy steht noch immer vor der Eingangstür, scheinbar bereit zur Flucht, doch ich hoffe wirklich, sie bleibt hier. Ich möchte den Brief unter keinen Umständen alleine öffnen.

Mit einer Hand befülle ich die Kaffeemaschine mit Wasser und Kaffee und schalte sie danach an, ohne den Brief ablegen zu müssen.

»Du kannst dich ruhig reintrauen. Ich beiße nicht. Und es riecht schon besser, seit die Tür offen ist, oder?« Mein Versuch, witzig zu sein, scheitert kläglich, doch wenigstens lächelt Stacy jetzt und folgt meiner Aufforderung.

»Es tut mir leid. Ich muss wie eine Verrückte auf dich wirken. Dabei bin ich eigentlich ganz normal … also mal gewesen … vor ihrem Tod.« Ich plappere sinnlos vor mich hin, während ich in den Schränken nach Keksen suche. Ich muss doch irgendetwas dahaben, um meinem Gast mehr als nur Kaffee anbieten zu können.

»Schon okay. Es scheint, als würdest du sie sehr vermissen«, stellt Stacy fest, setzt sich auf den Hocker am Tresen und sieht mich freundlich an. Ihre dunkelbraunen Locken sehen aus wie gemalt. Sie trägt einen hellen, dünnen Pullover und eine dunkle Jeans, wie ich vorhin gesehen habe. Sie ist kaum geschminkt und dennoch wunderschön. Außerdem strahlt sie eine unglaubliche Ruhe aus, die nach und nach auf mich übergreift, als sie sich weder über mich lustig macht noch schreiend wegläuft.

»Und wie!« Seufzend lasse ich mich auf den Hocker ihr gegenüber sinken und lege den Brief zwischen uns.

»Willst du mir von ihr erzählen, bevor du ihn öffnest? Du musst nicht, aber vielleicht hilft es dir.« Stacy wird mir immer sympathischer. Ihre Art ist unaufdringlich und freundlich, sodass ich ihr wirklich von Edy erzählen will. Etwas, was ich seit Monaten nicht mehr wollte. Ich spüre den Wind im Nacken, als ich lächele und mich erinnere.

»Edy und ich haben uns im Kindergarten kennengelernt. Wir sind beide drei Jahre alt gewesen und hätten unterschiedlicher nicht sein können. Ich: blond, schüchtern, zurückhaltend. Sie: braune Haare, laut und auf andere Kinder zugehend. Sie ist auf mich zugekommen, hat meine Hand gepackt, mich hinter sich hergeschleift und mit mir gespielt. Jeden Tag, bis ich es von selbst wollte. Ab da waren wir unzertrennlich. Gleiche Grundschule, gleiche Highschool, gleiches College, gemeinsame Wohnung und gemeinsamer Job. Wir haben alles geteilt. Okay, bis auf die Männer, da Edy einen wirklich furchtbaren Männergeschmack hatte. Hobbys oder so gab es für uns nicht, unsere Arbeit war unser Leidenschaft. Und dann ist sie krank geworden. Krebs. Sie hat monatelang gekämpft. Chemotherapie, Bestrahlung – alles hat sie auf sich genommen, um wieder gesund zu werden. Doch das ist nicht passiert. Sie hat den Kampf verloren und ist gestorben. Vor einem Jahr und drei Monaten. Und seitdem weiß ich nicht mehr, wer ich bin oder was ich machen soll. Funktioniere die meiste Zeit nur noch. Ich komme aus San Diego. Ihr letzter Wunsch ist es gewesen, dass ich uns diesen Traum erfülle und hierherziehe. Es war eine verrückte Idee von uns. Wir hatten süße kleine Häuser in einer Zeitschrift gesehen und fanden es zu schön, so eines zu besitzen. Und für sie habe ich es getan. Jetzt bin ich seit einem Jahr hier und trauere immer noch. Lächerlich, oder?«

Ohne auf eine Antwort zu warten, stehe ich auf und wische mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Die Erinnerung an meine Freundin ist so präsent, dass es genauso wehtut wie in der Sekunde, in der ihr Herz aufgehört hat zu schlagen. Meines krampft sich zusammen, als ich zwei Tassen aus dem Schrank nehme und den fertigen Kaffee hineingieße. Weiter hinten finde ich eine Tüte Zucker, die ich ebenfalls auf den Tisch stelle, und vermeide es, Stacy anzusehen. Sie hat zwar nach Edy gefragt, aber sicher nicht mit einer Verrückten gerechnet, die nicht mit dem Tod ihrer besten Freundin klarkommt.

»Daran ist nichts lächerlich. Jeder trauert anders, bei jedem dauert es unterschiedlich lang. Dafür gibt es kein Patentrezept. Du musst dich weder schämen noch Angst haben, dass dich irgendjemand in Johnsonville dafür verurteilt. Hier stehen wir einander bei und lachen den anderen für seinen Schmerz nicht aus. Es tut mir wirklich sehr leid.«

Ich beschließe, dass ich Stacy wirklich mag. Ihr ehrliches Lächeln muntert mich ein wenig auf. Außerdem hat sie keinen Ton über den Zustand des Hauses gesagt. Erst jetzt, nachdem ich mir alles von der Seele gesprochen habe, fällt mir die Unordnung auf. Es ist mir peinlich, aber ihr Blick liegt nur auf ihrer Tasse Kaffee, in die sie zwei Löffel Zucker gibt.

»Danke. Und das meine ich auch so. Heute ist ein komischer Tag. Nicht nur, dass Edy heute Geburtstag hätte, sondern auch der Rest. Erst der Anruf meiner Mum, dann du, der Brief. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich wieder Lust haben würde, ein Teil des Lebens sein zu wollen. Aber jetzt schäme ich mich dafür, mich so zurückgezogen zu haben. Und das als Neuling. Als solcher sollte ich doch eher davon überzeugen, dass ich ganz normal bin.«

Und wieder plappere ich sinnlos darauf los, nur um die Stille zu füllen. Viel zu lange bin ich ruhig gewesen und so ziemlich alles hat sich in mir angestaut: Meine Eindrücke von dieser Stadt oder dem Haus oder den Menschen. Mit niemandem habe ich gesprochen. Hätten mich Mum und Dad oder Edys Eltern nicht wöchentlich angerufen, hätte meine Kommunikation sich wohl auf die Besucher der Bibliothek beschränkt.

»Dafür hast du noch alle Zeit der Welt. Herzlich willkommen«, sagt Stacy immer noch lächelnd, nippt an ihrem Kaffee und verzieht für einen Sekundenbruchteil das Gesicht.

»Okay, der schmeckt dann wohl nicht. Mist. Es tut mir leid, ich trinke selbst keinen!«, entschuldige ich mich peinlich berührt, doch mein Gast bricht nur in schallendes Gelächter aus.

»Es hätte mich gewundert, wenn dein Kaffee gut gewesen wäre, obwohl deine Schränke so leer aussehen, die Packung fast voll ist und du deine Tasse nicht anrührst.« Sie bringt es auf den Punkt, während sie noch immer kichert und mich damit ansteckt.

»Stimmt. Ich kann Kaffee nicht ausstehen. Ich bin eher der Tee-Typ oder trinke heiße Schokolade. Ich glaube, da habe ich etwas wiedergutzumachen«, gestehe ich ihr, doch ich habe nicht einmal dafür etwas im Haus. »Ich hole mir morgens immer etwas in der Bäckerei gegenüber der Bibliothek und abends bestelle ich mir etwas zu essen. Dass ich noch nicht rund und dick bin, ist ein Wunder«, füge ich lachend hinzu und stelle fest, dass es sich richtig gut anfühlt, nicht alles mit mir allein auszumachen.

»Nicht schlimm. Das machst du einfach beim nächsten Mal wieder gut. Vielleicht solltest du morgen einkaufen gehen und deine Vorräte auffüllen. Und vorher gehen wir zusammen Tee und heiße Schokolade trinken. Was meinst du?« Ihre offene Art macht mich ein wenig sprachlos, also nicke ich nur. Sie erinnert mich an Edy, stelle ich fest, und ich merke auch, dass es mich nicht abschreckt, sondern glücklich macht. Edy ist auch immer direkt auf Menschen zugegangen und hat ihnen ihre Fehler nicht unter die Nase gerieben. Sie hat sie eher an die Hand genommen und ist mit ihnen ein paar Schritte gegangen, bis es ihnen besser ging. Stets wollte ich ein solcher Mensch sein, aber es ist mir nie gelungen. Deine Qualitäten liegen eben woanders, hat sie jedes Mal gesagt, wenn ich darüber gejammert habe, dass ich es nicht schaffe, auf Menschen zuzugehen.

»Beim nächsten Mal? Ich habe dich also noch nicht vergrault? Ich gelobe auch, dass es bei deinem nächsten Besuch nicht aussieht, als würde hier ein Messie hausen«, verspreche ich ihr hoch und heilig, schnappe mir die beiden Tassen und kippe das pechschwarze Gift weg. Gleich hinterher kommt der Rest aus der Kanne der Maschine. Die stand schon hier, als ich eingezogen bin. Wahrscheinlich dachte Mister Micheals, ich könnte sie gebrauchen.

»Natürlich. Davon lasse ich mich doch nicht abschrecken. Die anderen werden sich freuen, wenn ich ihnen erzähle, dass du einen ganz normalen Knall hast. So wie wir auch.« Breit grinst Stacy mich an und erhebt sich. Erschrocken reiße ich die Augen auf, denn sie muss doch hierbleiben, wenn ich den Brief öffne. Allein überlebe ich das nicht.

»Sieh mich nicht so an! Du musst ihn alleine aufmachen. Das ist eine Sache zwischen dir und Edy. Du kannst mir morgen davon erzählen, aber lesen wirst du ihn ohne mich. Hier, tipp deine Nummer ein. Ich rufe dich später kurz an, damit ich weiß, dass alles gut ist. Jetzt schau nicht so!« Meine neue Bekannte kommt um den Tisch herum und nimmt mir das Smartphone aus der Hand, in das ich meine Nummer eingetragen habe. Ich lasse mich von ihr in eine Umarmung ziehen und stelle fest, wie gut es sich anfühlt, jemanden an sich heranzulassen. Es ist tröstlich, und die Angst vor dem Brief löst sich zumindest ein bisschen auf – aber nicht vollständig.

»Ich danke dir. Du hast mir heute sehr geholfen«, lasse ich Stacy leise wissen, die meine Hand kurz drückt.

»Nicht dafür. Danke, dass du mich hast teilhaben lassen. Und jetzt lies den Brief.« Noch einmal drückt sie meine Hand, bevor sie geht. Sie lässt mich allein. Doch zum ersten Mal seit Monaten fühle ich mich nicht einsam dabei. Als könnte ich endlich wieder frei atmen.

Mit zitternden Fingern nehme ich den Brief vom Tresen und drücke ihn wieder an meine Brust. Als wüsste mein Körper, dass ich gleich etwas lesen werde, das mir den Boden unter den Füßen wegziehen wird, schleiche ich so langsam, wie ich kann, durch die Küche und auf die Veranda hinter dem Haus. Hier hinten steht ein alter, dunkelblau gestrichener Schaukelstuhl, den Mister Micheals mir vermacht hat. Schwerfällig lasse ich mich darauf plumpsen und atme tief durch, während ich mir das kleine Stückchen Garten ansehe, das zum Haus gehört. Edy hätte es hier gefallen. Sie hätte uns sicher einen Hund angeschafft und Beete angelegt. Meine Aufgabe wäre es gewesen, dafür zu sorgen, dass es immer genügend Eistee gibt, damit sie mit mir gemeinsam Pause machen kann. Pflanzen anzubauen und Dreck gehörten zu ihren Hobbys. Sämtliche Fensterbretter in unserem Apartment in San Diego waren vollgestellt mit Blumenkübeln, in denen sie Kräuter gezüchtet hat. Jedes Jahr irgendetwas anderes. Damit durfte ich dann kochen, denn das war das Einzige, was ich besser konnte als Edy. Kochen. Viel zu lange habe ich auch das nicht getan. Vielleicht sollte ich Stacy und ihren Mann mal zum Essen einladen, sozusagen als Dankeschön für den heutigen Nachmittag.

Eine Windböe – woher auch immer sie kommt – bringt meine Haare durcheinander und erinnert mich daran, dass ich etwas vorhabe und mich nicht ablenken sollte.

»Okay, Edy. Was hast du für mich vorbereitet?«, frage ich mich selbst, löse den Umschlag von meiner Brust und fahre vorsichtig unter das Papier. Als das erste Reißen ertönt, zucke ich zusammen und schaffe es dadurch, den gesamten Umschlag zu öffnen. Super. Ich wollte das Öffnen doch zelebrieren und mit gebührendem Respekt behandeln. Jetzt ist er offen. Mein Herz schlägt viel zu schnell, mein Puls rast und meine Finger zittern heftig. Doch ich werde keinen Rückzieher machen. Heute habe ich endlich die ersten Schritte zurück ins Leben gewagt, da werde ich sicherlich nicht aus Angst vor ihren Worten zurückschrecken. Obwohl mir immer übler wird, als ich den Bogen Papier hervorhole und Edys Handschrift erkenne. Tränen treten mir in die Augen, als ich daran denke, wie oft ich diese Schrift in meinem Leben schon gelesen und verflucht habe. Sie liebte kleine Nachrichten auf Klebezetteln. In unserer ganzen Wohnung klebten diese Teile, da Edy leider etwas vergesslich gewesen ist. Im Gegensatz zu mir. Sie hat sich wirklich alles aufgeschrieben, während ich nur kopfschüttelnd danebenstand.

»Ich gebe zu, ich habe nicht damit gerechnet, eine Nachricht von dir zu bekommen, Edy. Aber ich danke dir. Vielleicht kann ich dann endlich anfangen zu leben.« Die Erleichterung darüber, dass niemand mitbekommt, wie ich mit dem Wind spreche, in dem ich mir meine tote beste Freundin vorstelle, ist grenzenlos. Die Leute sollen mich wirklich nicht für verrückt halten, aber ich muss mit ihr reden. Heute fühlt es sich so an, als wäre sie noch bei mir. Als würde sie mich beobachten, lächeln und mich anspornen, endlich den nächsten Schritt zu tun und etwas zu wagen. Man könnte meinen, ich wäre ohne Edy lebensunfähig gewesen, was aber nicht stimmt. Wir kamen auch sehr gut ohne einander aus, nur wollten wir das nicht.

»Gut. Genug gegrübelt«, beende ich das Gedankenkarussell und entfalte den Brief.

 

Liebe Kathalina,

wenn du diesen Brief in Händen hältst und liest, habe ich den Kampf gegen diesen beschissenen Krebs leider verloren. Denn als ich ihn weitergegeben habe, gab ich die Anweisung, dass du ihn nur dann an meinem Geburtstag erhältst, wenn ich nicht mehr lebe.

Es tut mir leid, dass ich gehen musste, dass ich dich allein gelassen habe und nicht mit dir nach Johnsonville ziehen konnte. Aber ich bin mir sicher, dass du diese kleine Stadt lieben wirst, sobald du aufgehört hast zu trauern. Denn das tust du. Noch immer tust du es und sicher sitzt du auch jetzt mit Tränen in den Augen da, weil du nicht anders kannst, mich liebst und vermisst.

Das ist nicht schlimm. Mir würde es kaum anders gehen, wäre es andersherum und du wärst gestorben. Meine Welt wäre eine andere ohne dich und niemand könnte mich dazu zwingen, weiterzumachen.

Nur ist es jetzt gut. Du hattest genug Zeit, um dich an meinen Tod zu gewöhnen, und musst nach vorn sehen. Du musst wieder anfangen zu leben. Mir ist klar, dass es hart ist, das zu verlangen. Aber du schaffst das, Kat. Weil du die stärkste Frau bist, die ich kenne. Zwar versteckst du das gerne mal, aber ich weiß es. Und all die anderen Menschen da draußen sollen es ebenfalls erfahren. Also geh raus und lerne die Leute aus Johnsonville kennen!

Und wenn du dabei bist, dich in einen der süßen Männer dort zu verlieben, vergiss nicht, dass du dich wohlfühlen musst. So, wie wir es uns immer versprochen haben.

Und jetzt komme ich zu meiner Überraschung.

Hatte ich die schon erwähnt? Nein? Umso besser.

Also, meine geliebte Kat, du sollst wieder glücklich werden. Und das funktioniert am besten, wenn du andere Menschen glücklich machst. Du verstehst sicher nicht, was ich von dir möchte, aber das ist nicht schlimm.

Zu diesem Brief gehört ein Päckchen, das du morgen auf dem Postamt abholen kannst. Darin wirst du zwölf kleine Briefumschläge finden. Auf jedem Umschlag steht eine Nummer für den jeweiligen Monat und darin steckt eine Karte mit einem Namen – und jeder Umschlag führt dich zu einem Bewohner deiner neuen Heimat. Bist du diesem gefolgt, stehst du vor dem Menschen, dem du ein wenig Glück schenken sollst.

Ich wäre gern dabei und wüsste so von Herzen gern, was diese Menschen sich wünschen. Denn deine Aufgabe ist es, ihnen einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen und ihn gemeinsam mit ihnen zu erfüllen.

Damit du dir das auch leisten kannst, habe ich ein Konto eingerichtet. Auf der Bank kannst du dir die Karte dafür abholen. Darauf sollte genug Geld für diese sicher wundervollen zwölf Wünsche sein.

Und ja – du wirst das Geld annehmen. Keine Widerrede! Ich habe dich verlassen, und das ist meine Art, es wiedergutzumachen, auch wenn ich weiß, du denkst, dass ich das nicht muss. Aber ich fühle mich schrecklich und hätte dich niemals freiwillig allein gelassen.

Es gibt Menschen, die dich beobachten und dir in meinem Namen die Leviten lesen werden, solltest du dich nicht an meine Anweisungen halten.

Und jetzt – geh raus! Am besten einkaufen. Und dann koche dir etwas Schönes! Mach die Augen auf! Lerne, wieder glücklich zu sein, und weine nicht mehr um mich. Ich bin immer bei dir. Ganz egal, was passiert.

Ich liebe dich, Kathalina.

Deine Edalina

 

Und wie ich weine. Sturzbachähnlich laufen Tränen über mein Gesicht. Ich muss den Brief ein Stück von mir weghalten, damit sie nicht auf das Geschriebene tropfen. Das kann unmöglich ihr verdammter Ernst sein! Mir noch im Tod Anweisungen zu schicken … also wirklich! Meine beste Freundin hatte eine totale Meise, wenn sie dachte, dass ich das mache. Es ist ja eine schöne Idee, dass ich anderen Menschen Wünsche erfüllen soll, aber das sind Fremde. Erstens werden sie mir ihre Träume sowieso nicht verraten und sie zweitens nicht mit mir gemeinsam erfüllen. Und das Geld? Werde ich spenden.

»Du willst mich doch verarschen!«, rufe ich in den Wind hinaus. Das kann Edy nicht ernst meinen. So verrückt ist nicht mal sie. Niemals.

Und obwohl ich weiß, dass ich es nicht tun werde, und es mir die Luft abschnürt, wenn ich daran denke, sie zu enttäuschen, hat sie recht. Ich muss wieder rausgehen und anfangen zu leben. Denn das bedeutet ja keinesfalls, dass ich sie vergessen habe, sondern dass weitermache. Das darf ich. Und das muss ich auch.

Aber ihre Wunschsache kann sie sich in die Haare schmieren!

Kapitel 3

Als ich am nächsten Morgen die Küche betrete, fällt mein Blick sofort auf den Brief, der immer noch auf dem Tisch liegt. Durchgelesen habe ich ihn mir sicher noch mindestens zehn Mal, doch meine Entscheidung ist dieselbe geblieben. Diese Aufgabe werde ich nicht erfüllen, auch wenn es mir von Herzen schwerfällt. Schließlich bin ich nicht vollkommen verrückt.

»Das kannst du vergessen«, sage ich zu dem Stück Papier, selbst wenn ich mir total bescheuert vorkomme. Doch ein Gutes hatte der gestrige Tag dennoch. Die Vorhänge des Erdgeschosses sind noch immer aufgezogen und ich verspüre nicht mehr den Drang, sie zuzuziehen, um die Welt auszuschließen. Was auch immer gestern passiert ist, es geht mir zum ersten Mal seit über einem Jahr wirklich gut. Nicht fantastisch – das wäre zu viel des Guten –, aber es ist okay.

Immer wieder fällt mein Blick auf den Brief, als würde Edys Stimme mich rufen und mir einreden wollen, dass ihre Aufgabe eine tolle Idee ist. Dabei bin ich mir sicher, dass ich sowieso scheitern werde. Fremde Menschen anzusprechen und sie davon zu überzeugen, sich einen Wunsch von mir erfüllen zu lassen, ist nun wirklich nicht meine Stärke.

»Das kannst du nicht von mir verlangen«, bestimme ich mit fester Stimme, als ich durch den Raum rausche, mir den Brief schnappe und sorgfältig in meine Handtasche packe. Hierlassen kann ich ihn nicht, auch wenn ich mich damit nur selbst quäle. Aber was soll ich tun? Es ist eine Erinnerung an Edy und die kann ich wirklich gut gebrauchen. Mehr als einmal sind meine Finger gestern Abend über die Buchstaben gestrichen, in denen so viel Liebe und Zuneigung steckt – und eine unerfüllbare Aufgabe.

»Guten Morgen, meine Liebe«, begrüßt mich Ruby, als ich die kleine Bäckerei betrete. Okay, ›klein‹ ist untertrieben, denn in der rechten Ecke vom Eingang, direkt vor der breiten Glasfront, haben vier runde Tische Platz, inklusive Stühlen.

»Guten Morgen, Ruby«, begrüße ich sie lächelnd und sehe ihr an, dass sie sich darüber wundert. Sie hebt eine Augenbraue, als mein Lächeln nicht verschwindet, während ich geduldig abwarte, bis ich bestellen kann, da sie noch eine andere Kundin hat.

»Du siehst gut aus heute Morgen«, stellt sie fest, nachdem ich meine Bestellung aufgegeben habe. Heute gönne ich mir ein Tomate-Mozzarella-Brötchen und einen Früchtetee.

»Danke. Es war eine angenehme Nacht«, erwidere ich und freue mich darüber, dass man mich aufnimmt, obwohl ich ein Dreivierteljahr fast nur geschwiegen habe. Außer natürlich, ich musste sprechen.

»Nach so einem aufregenden Nachmittag?«, platzt es aus ihr heraus. Sofort schlägt Ruby sich eine Hand vor den Mund, als ihr auffällt, was sie da gesagt hat. Wie ich vermutet habe, weiß bereits die ganze Stadt, dass ich gestern mit Stacy gesprochen habe. Eigentlich sollte ich sauer sein, aber als ich tief in mich hineinhorche, stelle ich fest, dass ich es nicht bin.

»Ja, das war er wirklich«, gehe ich auf ihre Worte ein und lächele noch immer, während ich die Brötchentüte in meiner Tasche verstaue.

»Du bist ja gar nicht böse auf Stacy«, stellt Ruby erstaunt fest, was mich nur noch breiter lächeln lässt. Mir fällt nichts anderes ein, als mit den Schultern zu zucken.

»Dann wisst ihr jetzt wenigstens, warum ich so zurückgezogen gelebt habe«, erwidere ich freundlich und bin Stacy sogar ein bisschen dankbar. So ist es viel einfacher, als selbst mit allen sprechen zu müssen.

»Okay. Da hast du recht. Aber du sollst wissen, dass wir alle mit dir leiden und es uns leidtut, dass du traurig bist.« Ihre Worte rühren mich auf eine ganz besondere Weise, denn es ist komisch, die Anteilnahme anderer Menschen zuzulassen. Bisher habe ich sie abgeschmettert, ignoriert oder nicht ernst genommen. In meinen Augen hatte sowieso niemand eine Ahnung davon, wie es mir ging. Ja, ›ging‹, stelle ich fest. Denn jetzt gerade fühle ich mich seltsam beschwingt. So, als würde nach ewiger Dunkelheit zum ersten Mal ein wenig Licht in meine Welt fallen.

Heute ist ein wirklich pathetischer Tag, aber ich habe keine Ahnung, wie ich es sonst ausdrücken soll.

»Ich danke euch. Und solltest du Stacy vor mir sehen, richte ihr meine Grüße aus. Ich möchte gern mit ihr am Wochenende hier ein Stück Kuchen essen.«

Ich winke Ruby noch einmal zu, die mir verwundert hinterher sieht. Ist es wirklich so leicht, nicht mehr traurig zu sein? Von jetzt auf gleich? Diese Fragen stelle ich mir auf dem ganzen Weg zur Bücherei. Denn gestern noch habe ich mich kaum in der Lage gefühlt aus dem Bett zu steigen. Eine bleierne Schwere hatte Besitz von mir ergriffen, von der jetzt nichts mehr zu spüren ist. So einfach kann das doch unmöglich sein. Nicht von einem auf den anderen Tag oder weil man sich entscheidet, dass das Leben weitergeht, und die verrückte beste Freundin einem einen Brief schreibt, der völlig bescheuerte Aufgaben bereithält. Edy hat einen Knall, stelle ich mal wieder fest und stolpere nicht einmal darüber, dass ich eigentlich in der Vergangenheitsform sprechen müsste. Es ist mir tatsächlich egal, denn jetzt gerade fühlt es sich so an, als wäre meine beste Freundin bei mir und würde mich bewachen. Wahrscheinlich drehe ich wirklich durch, aber jetzt gerade hilft es mir dabei, an meiner neu gewonnen Kraft festzuhalten. Ohne die Vorstellung, dass Edy bei mir ist, wäre das nicht möglich.

»Meine Liebe, du siehst heute aber zufrieden aus«, stellt Harriette, meine Chefin, ebenfalls fest, als ich die kleine Bücherei betrete. Klein im Vergleich zu der in San Diego, aber riesig für Kleinstadtverhältnisse – zumindest vermute ich das.

»So würde ich es nicht nennen, aber es geht mir besser als sonst«, spiele ich meine gute Laune runter. Wenn ich sie mir doch nur erklären könnte. Ich leide normalerweise nicht unter Stimmungsschwankungen, und außerdem … sollte dieser Prozess nicht schrittweise verlaufen? Jeden Tag ein bisschen besser, bis man irgendwann mit einem Lächeln aufsteht, statt brennende Augen zu haben, weil man sich in den Schlaf geweint hat?

»Das ist schon sehr viel mehr, als wir alle erwartet haben.« Harriette sagt es nicht herablassend, nein. Sie sagt es so, dass ich weiß, dass sie sich Sorgen um mich gemacht haben, obwohl kaum einer von ihnen mehr Worte als nötig mit mir gesprochen hat.

»Ich bin erstaunt, dass ihr überhaupt noch etwas erwartet habt, obwohl ich euch monatelang ignoriert habe. Als Neuling sollte man das eigentlich nicht tun.«

Harriette folgt mir langsam, als ich durch den langen Gang zwischen zwei Bücherregalen entlang zum Tresen laufe. Wer bei der Innengestaltung diese dämliche Idee hatte, war nicht besonders schlau. Aber die Leute hier sind daran gewöhnt, erst durch die halbe Bibliothek zu müssen, bevor sie ein Buch ausleihen können. Und ich ebenfalls.

Als ich hinten ankomme, stelle ich meine Tasche unter die Theke, meinen Becher auf die Tischplatte dahinter und sehe mich um. Sehr gut, Harriette hat die Finger von meinem mühselig aufgeräumten Schreibtisch gelassen, sodass ich heute damit weitermachen kann, die Bücher zu digitalisieren, die wir im Bestand haben. Dazu habe ich mehrere Karteikartenstapel neben dem Rechner stehen, die ich in den PC eingeben werde. Außerdem brauche ich Ordnung, um mich konzentrieren zu können. Obwohl Johnsonville fast eintausendfünfhundert Einwohner hat und wir das Jahr 2016 schreiben, gab es, bis ich hier angefangen habe, keinen Computer. Harriette hat die Bücherei mittels Karteikarten katalogisiert. Jeder Ausleihvorgang wurde per Hand ein- und ausgetragen, denn mit Technik steht sie auf Kriegsfuß. Erst auf mein Drängen hin hat sie bei der Stadt zwei Computer und die notwendige Software beantragt. Daran sitze ich jetzt seit zwei Monaten.

»Natürlich. Du hast von Anfang an so traurig ausgesehen. Das hat bei den meisten einen Beschützerinstinkt geweckt. Sieh mich nicht so an! Du weißt doch mittlerweile, dass wir alle etwas komisch sind.« Breit grinst sie mich an, bevor sie sich seufzend auf den bequemen Chefsessel setzt, den ich sie ebenfalls beantragen ließ, damit sie sich nach ihren Streifzügen durch die Gänge ausruhen kann.

»Ihr seid wirklich schräg. Aber ich glaube, ich passe besser zu euch, als ihr alle vermutet. Hinter dieser traurigen Mauer versteckt sich eine ziemlich witzige Person.« Okay, jetzt stelle ich mich besser dar, als ich eigentlich bin, denn witzig bin ich auf keinen Fall. Aber das muss Harriette ja nicht erfahren – zumindest nicht heute. Es macht Spaß, mit der älteren Lady rumzuflachsen und sie zum Lächeln zu bringen. Seit ihr Mann gestorben ist – kurz nachdem ich hier angekommen war –, war auch sie oft in sich gekehrt. Aber auf lange Sicht kam sie besser damit zurecht als ich mit Edys Tod.

»Ich vermute jetzt einfach mal, dass du übertreibst, aber das ist okay. Warst du schon bei der Post?«

Ihre Frage irritiert mich, denn woher weiß sie, dass ich dort hin soll?

»Ähm … nein. Was soll ich denn dort?«, frage ich gespielt ahnungslos, doch Harriette schnalzt nur mit der Zunge und schüttelt tadelnd den Kopf.

»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Deine Freundin kannte dich in- und auswendig und wusste, dass du dich weigern würdest. Das möchtest du doch, oder?«

Sprachlos starre ich meine Chefin an, die mich breit anlächelt. Wissend. Amüsiert. Abschätzig. Sie weiß von Edys Brief? Weiß sie dann auch von meiner Aufgabe?

»Was will ich?«, fordere ich vollkommen verdattert zu erfahren, denn ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass Edy sie in ihren Plan eingeweiht hat.

»Ich habe zwar keine Ahnung, was deine Freundin dir aufgetragen hat, aber ich weiß, dass du dafür ein Paket von der Post holen sollst. Hier.« Damit reicht sie mir einen Umschlag, auf dem ihr Name steht. Mit zittrigen Fingern und aufgeregtem Herzschlag nehme ich ihn entgegen und ziehe eine kleine Karte heraus.

 

Liebe Mrs Mundow,

Sie kennen mich nicht wirklich, aber das ist nicht schlimm. Allerdings weiß ich, dass Sie meiner besten Freundin Kat zur Seite stehen werden, wenn sie jemanden brauchen wird, der ihr in den Hintern tritt. Ich habe sie zur Post geschickt, damit sie ein Paket abholt. Bitte treiben Sie sie dazu an, denn von allein wird sie es nicht machen. Kat kann manchmal etwas stur sein, wenn es darum geht, Dinge zu tun, die sich außerhalb ihres Wohlfühlbereiches befinden.

Ich danke Ihnen von Herzen und weiß, Sie werden mir helfen.

Edalina Blackmore

 

»Und weil du eine Karte von einer Fremden erhältst, tust du genau das, was drinsteht?« Unglauben macht sich in mir breit. Erstens, weil ich keine Ahnung habe, wie Edy wissen konnte, dass ich hier arbeiten werde, wenn ihr Brief zugestellt wird und zweitens, weil Harriette sich wirklich darauf einlässt.

»Ja. Weil ich dich die letzten neun Monate erlebt habe. Und nachdem Ruby mir gestern von deiner besten Freundin erzählt hat, weiß ich, dass ich diese Karte ernst nehmen muss. Du solltest dieses Paket unbedingt abholen.« Sie drängt mich sanftmütig, während ich erneut ignoriere, wie gut der Buschfunk in dieser Stadt funktioniert, und einfach nur den Kopf schüttele. Edy, das ist verrückt, denke ich aufgeregt und balle die Hände zu Fäusten.

»Ich kann nicht.« Die Worte fallen mir schwer, da ich Edy auf keinen Fall enttäuschen möchte. Und auch Harriette nicht. Zu aufrichtig ist ihre Anteilnahme an meinem Leid, und doch kann ich nicht aus meiner Haut. Es passt nicht zu mir, was Edy da verlangt. Außerdem ist es unfair, dass sie meine Mitmenschen hineinzieht.

»Du willst nicht. Das ist ein Unterschied«, hält Harriette dagegen. Das überrascht mich, denn sonst ist sie keiner von den Menschen, die Auseinandersetzungen forcieren. Sie liebt die Harmonie um sich herum, schließlich ist sie schon alt genug, um sich nicht mehr wegen Sinnlosigkeiten streiten zu wollen. Dafür hat sie zu viel erlebt.

»Aber ist es nicht meine Entscheidung, ob ich etwas tue oder nicht?« Ich höre mich wie ein trotziges Kind an, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Der Schatten, über den ich für diese Aktion springen müsste, ist zu groß. Vielleicht geht es mir heute relativ gut, aber niemand weiß, wie lange das anhält – ich am allerwenigsten.

»Nein. Deine beste Freundin, die dich über alles geliebt hat, wusste, dass es dir schlecht gehen wird, wenn sie stirbt, und hat etwas geschaffen, wodurch du zurückfinden kannst. Ob zu dir, deinem Leben oder wozu auch immer kann ich dir unmöglich sagen. Aber ich weiß, dass du es bereuen wirst, wenn du es nicht tust. Du weißt doch – man bereut nicht die Dinge, die man getan hat, sondern die Chancen, die man verstreichen ließ. Aus falschem Stolz, Angst oder Engstirnigkeit spielt dabei keine Rolle.«

Ich habe meine Chefin noch nie so ernst gesehen, so überzeugend und voller Mitgefühl. Sie glaubt an das, was Edy mir aufgetragen hat, ohne zu wissen, was es ist. Die wenigen Zeilen, die Edy ihr geschrieben hat, reichen aus, um sie in ihr Team zu holen. Ein Team, das gegen mich arbeitet.

»Was, wenn ich alle enttäusche und es nicht hinbekomme? Was, wenn es schiefgeht und ich nicht das erreiche, was Edy sich gewünscht hat?«, jammere ich, immer noch das trotzige Kind, das seinen Standpunkt keinesfalls einfach so aufgeben kann.

»Das wirst du nur herausfinden, wenn du es probierst. Hör auf, dich so kindisch zu benehmen, Kat, und sei dankbar, dass du eine so tolle Freundin hattest, die selbst dann noch auf dich aufpasst, wenn sie nicht mehr da ist.«

Der harte Zug um ihre Lippen weicht einem Weicheren, ihre Mundwinkel heben sich ein Stück und ich fange tatsächlich an, darüber nachzudenken.

»Es ist schwer, Harriette. Ich war so lange allein. Erst bei meinen Eltern, dann hier. Es hat sich angefühlt, als wäre das Leben stehen geblieben, als sie gestorben ist. Also für mich. Alle anderen konnten weitermachen, nur ich nicht. Sie hatten mich zurückgelassen. Und jetzt geht alles viel zu schnell. Ich werde aus der Einsamkeit gezerrt und von einer Toten dazu gezwungen, genau das zu tun, was mir schon mit ihr gemeinsam schwergefallen ist. Da kommt doch kein Mensch hinterher«, gebe ich letztendlich zu und fühle, wie eine Last von meinen Schultern rutscht. Harriette war eine der wenigen, die immer versucht hat, an mich heranzukommen, selbst wenn ich sie Tag für Tag abgewiesen habe. Sie blieb hartnäckig und ist es jetzt ebenfalls.

»Das glaube ich dir, Liebes. Und du sollst auch nichts erzwingen, aber dieser Brief von Edy ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht erzählst du mir irgendwann, was sie dir aufgetragen hat. Für den Anfang solltest du dieses Paket abholen und einen nach dem anderen machen. Nur so wirst du irgendwann ankommen können.« Jetzt lächelt sie mich wieder an, rollt mit ihrem Chefsessel bis zu mir und greift nach meiner Hand. »In dieser Stadt gibt es niemanden, der dich für deine Trauer verurteilt. Dafür haben wir alle schon selbst zu oft gelitten. Schließ uns nicht mehr aus und gib Johnsonville eine Chance.«

Ihre Worte berühren mich tief, breiten sich wie eine warme Decke um meine Schultern aus und geben mir die Kraft, die Erfüllung von Edys Aufgabe in Betracht zu ziehen.

»Okay, ich denke darüber nach und sage nicht mehr von vornherein Nein. Wenn ich es heute schaffe, bevor die Post schließt«, entscheide ich ebenfalls lächelnd und drücke

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Tag der Veröffentlichung: 11.04.2018
ISBN: 978-3-7438-6505-1

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