Cover

Mit Schirm, Charme und Gummistiefel

Mit Schirm, Charme und Gummistiefel

 

Liebesroman

 

Von J.R. König

 

 

 

 

 

Dies ist ein fiktiver Roman. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

 

© J.R. König

2017

 

Impressum:

J.R. König

c/o studio Delta

04177 Leipzig

 

Lektorat & Korrektorat:

Lektorat: Lektorat & Korrektorat Satz & Silbe

Korrektorat: Michéle Rösner – www.skripteule.de

Covergestaltung:

Mediendesign Ines Stanko-Angres

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

Beschreibung:

 

Das Leben – da ist es wieder.

Es holt jeden von uns irgendwann ein, meist unvorbereitet und in den wirklich unpassendsten Momenten. Und jedes Mal fragt man sich – warum ausgerechnet jetzt?

Diese Frage beschäftigt auch Lilly Hopkins.

In der einen Minute hat sie alles – ein eigenes Geschäft, ihre geliebten Gummistiefel mit passendem Regenschirm und vor allem Logan – die Liebe ihres Lebens.

Und in der Nächsten?

Da kommt Logan auf die Idee, die Welt erobern zu wollen. Nur vergisst er dabei Lilly und ihre Wünsche vollkommen.

Als er wirklich geht, nimmt er ihr Herz mit und lässt sie mit einem Scherbenhaufen voller Gefühle zurück.

Eine Trennung, viele Gummistiefeltage und einen gutaussehenden, neuen Bürgermeister später, scheint sich langsam alles wieder zum Besseren zu wenden.

Wenn da nicht das Leben wäre, das Lilly zeigt, dass es so einfach, wie es scheint, nicht ist.

Lilly wird gezwungen, tief in sich hineinzuhören, um herauszufinden, was sie will und wer sie wirklich ist.

Nicht nur ein irischer Liebesroman – sondern auch eine Reise zu sich selbst.

Prolog

Da steht sie wieder.

Nur wenige Meter vor mir steht Lilly.

Und wie immer, wenn es regnet, trägt sie diese roten Gummistiefel mit den weißen Punkten. Es sind nicht mehr die, die sie damals im Kindergarten getragen hat. Aber sie hat sich in jedem Jahr neue gekauft, die genauso aussehen. Als ob sie einfach nicht ohne ihre Gummistiefel leben könnte. Dazu der ebenso rot-weiß gepunktete Regenschirm, und die schönste Frau dieser Welt ist in ihr typisches Regenoutfit gekleidet. Und während sich alle Menschen bei diesem Wetter drinnen verkriechen, den ersten Kakao des Herbstes genießen und sich unter einer Decke verstecken, geht Lilly in den Flur, zieht sich ihre Gummistiefel und die gelbe Jacke an, nimmt ihren Lieblingsschirm und geht nach draußen.

Grinsend und mit strahlenden Augen steht sie dann im Regen, so wie jetzt auch, und versucht mich stumm zu überreden, dass ich ebenfalls in den Regen trete.

Aber wie schon damals im Kindergarten schüttele ich lächelnd den Kopf, strecke ihr die Zunge raus und bleibe, wo ich bin. Direkt im Türrahmen.

»Du bist ein Langweiler, Logan«, sagt sie in genau dem Moment, als ich daran denke.

Ich muss noch breiter grinsen. »Und genau deswegen liebst du mich«, entgegne ich immer noch lächelnd.

Darauf kann sie nichts erwidern, denn ich habe recht. Sie liebt mich. Und ich liebe sie. So, wie ich es schon immer getan habe.

Kapitel 1 - Lilly Hopkins

Heute ist kein guter Tag. Wahrscheinlich sieht Logan das anders, doch für mich hätten die Stunden nicht langsamer vergehen können. Jemanden für meinen Laden einzustellen gefällt mir einfach nicht. Es ist mein Geschäft und davor hat es meiner Mum und davor ihrer gehört. Noch immer verstehe ich nicht, warum Logan von mir verlangt unser Zuhause zu verlassen. Oder warum ich tatsächlich zugestimmt habe mitzugehen. Dieses Gespräch ist jetzt sechs Monate her und seitdem kommt mir jeder Tag, jede Stunde, jede Minute hier noch kostbarer vor als früher.

Aber so ist es nun mal in einer Beziehung, oder nicht? Man geht Kompromisse ein, damit der Partner glücklich ist und man weiß, man hat alles dafür getan, so dass es funktioniert. Wie könnte ich das auch nicht? Schließlich liebe ich Logan, so lange wie ich denken kann. In meiner Erinnerung gibt es keinen Tag ohne ihn. Die Leute lachen schon seit Ewigkeiten über uns, weil wir einander niemals langweilig geworden sind. Warum sollten wir auch? Wir gehören zusammen. Und genau aus diesem Grund werde ich Waterville für Logan verlassen und mit ihm ein neues Leben in Dublin beginnen. Es wird wundervoll, wir werden glücklich.

Seufzend schließe ich die Augen und lehne den Kopf ans Fenster direkt vor mir. Das kühle Glas lässt mich kurz erschaudern, doch dann beruhigt es meine Nerven. Denn wem will ich denn bitte etwas vormachen? Es wird niemals funktionieren, ich bin einfach nicht für große Städte, viele Menschen und die Lautstärke dort gemacht. Logan weiß das, doch er sieht es nicht. Für ihn zählt nur, was er dort erreichen kann. Etwas, von dem er behauptet, es hier niemals zu schaffen.

Wahrscheinlich hat er recht, aber sollte er nicht dennoch sehen, dass es mich belastet? Dass mein Lächeln von Tag zu Tag gekünstelter wird und es mir schwerfällt, seiner Begeisterung für unsere Hauptstadt zu folgen?

Sicher, in einer Beziehung geht es um Kompromisse, aber niemals sollte ein Part glücklicher sein als der andere.

Diese Tatsache verdränge ich jetzt schon seit Wochen, denn wenn ich es anspreche, streiten wir. Das ist etwas, das wir vorher nie getan haben. Bevor Logan mit dieser Idee von einem Umzug nach Dublin kam, haben wir nie gestritten. Es gab noch nicht mal eine Diskussion, weil wir meist einer Meinung waren. Und wenn nicht, dann haben wir eben darüber gesprochen, es geklärt und gut. Doch bei dieser Sache ist er so verbissen, dass ich Angst habe, den Mann zu verlieren, den ich seit Jahren liebe. Allein daran zu denken lässt mich schwer schlucken und ich presse die Augenlider fest zusammen, um zu verhindern, dass die Tränen, die heiß dahinter brennen, sich ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Schon seit einiger Zeit erkenne ich mich kaum wieder, denn eigentlich gehören lachen, strahlen und gute Laune zu mir - nicht Trübsal blasen und weinen.

Nur ungern gestehe ich mir ein, dass Logan der Grund für die dunklen Wolken an meinem sonst blauen Himmel ist. Aber so darf es einfach nicht sein, denn wenn Logan mich nicht glücklich machen kann, wer denn dann bitte? Er ist der Junge gewesen, der mich vor anderen beschützt hat, der mir seine Jacke geliehen hat, wenn es plötzlich regnete, oder mir die Schokolade brachte, die er seiner Grandma geklaut hat, nur um mich damit zum Lachen zu bringen. Das ist der Mann an meiner Seite - und nicht derjenige, der jetzt vor meinem inneren Auge auftaucht. Mit verbissenem Blick, zusammengepresstem Kiefer und tiefen Falten auf der Stirn, weil er sich über mich ärgert, da ich sein Vorhaben nicht verstehe und es nicht sofort unterstützt habe. Aber wie sollte ich das tun? Waterville ist alles, was ich brauche, um glücklich zu sein. Unsere Heimatstadt und Logan.

»Lilly?«, höre ich plötzlich seine Stimme durch den vorderen Verkaufsraum hallen und reiße die Augen auf. Keinesfalls darf er mich weinen sehen. Nicht schon wieder. Denn dann taucht wieder dieser Blick auf, mit dem er mich ansieht, als wäre ich undankbar. Weswegen er das denkt, kann ich mir bis heute nicht erklären, doch für Logan ist jeder Zweifel an seinem Plan ein Verrat an ihm selbst. Etwas, das ich niemals tun würde.

»Ja?«, rufe ich, nachdem ich mir sicher bin, die Tränen runtergeschluckt und ein Lächeln in mein Gesicht gepflastert zu haben. So sollte es nicht sein, schießt es mir durch den Kopf. Doch bevor ich den Gedanken verscheuchen kann, taucht Logan in meinem Sichtfeld auf und strahlt mich an. Er hatte dann wohl einen guten Tag.

»Mein Liebling«, begrüßt er mich, schlingt seine starken Arme um meine Taille und dreht sich mit mir mehrfach um die eigene Achse. Ich kralle mich an seinen Schultern fest, unterdrücke das Kichern und Kreischen, das mir entschlüpfen will, als er noch schneller wird und mich eng an sich presst. Als er sich sicher sein kann, dass jeder trübe Gedanke verschwunden ist, setzt er mich ab, hält mich fest und wartet ab, bis ich die Augen wieder öffne. Dieses Mal ist das Lächeln echt, denn in diesem Augenblick steht der Logan vor mir, mit dem ich alt werden möchte. Sein Gesicht ist offen und sein Lächeln lässt ihn jungenhafter erscheinen, als er eigentlich ist. Könnte aber auch daran liegen, weil er sich den Bart gestutzt hat und damit ein wenig jünger aussieht. So oder so wirkt Logan einfach glücklich, und ich hoffe, dass es anhält. Und wenn alles gut läuft, sich auf mich überträgt und ich mich an den Gedanken gewöhne, alles zu verlassen, was mir lieb und teuer ist. Nur für ihn. Hoffentlich erkennt er dann, was ich alles für ihn - und uns - tun würde.

»Hi«, flüstere ich, nachdem mir nicht mehr schwindelig ist, schlinge die Arme um seinen Nacken und gehe auf die Zehenspitzen. Lächelnd kommt mir Logan entgegen, küsst mich sanft und vorsichtig, als hätte er Angst, dass ich ihm entgleiten könnte, wenn er zu forsch ist. Dabei hätte ich nichts dagegen, den Kopf abzuschalten und wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen, was mir bevorsteht. Mist- ich wollte doch nicht daran denken!

»Alles okay?«, will Logan sofort wissen, nachdem ich an die Zukunft gedacht und mich versteift habe. Es passiert einfach, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Dabei will ich es nicht einmal. Wir beide gehören doch zusammen. Richtig?

»Ja, ich bin nur müde«, versuche ich, abzuwiegeln, doch schon allein an dem intensiven Blick, den Logan mir jetzt schenkt, merke ich, dass er gleich nachbohren wird und ich ihm die Wahrheit sagen werde. Einfach, weil wir uns nicht anlügen, es noch nie getan haben und ich somit keinesfalls vor ihm verbergen kann, wie sehr mich das alles belastet. Ich bin erstaunt, dass er die letzten Monate so einfach darüber hinweggegangen ist, wenn ich mich nachts hin- und hergewälzt habe oder in Gedanken versunken beim Essen am Tisch saß. Es schien, als würde er es nicht bemerken oder als wäre es ihm egal. Wenn ich jetzt in seine Augen sehe, erkenne ich meinen Fehler. Logan hat gehofft, ich würde mich mit allem arrangieren und mein Unmut verschwinden. Nachdem diese Hoffnung in seinem Blick jetzt zerbrochen ist, geht auch in mir etwas zu Bruch. Nur kann ich noch nicht genau benennen, was genau es ist.

»Du haderst noch damit, mich zu begleiten. Dabei dachte ich wirklich, du hättest endlich eingesehen, dass es für uns beide die größte Chance ist, die wir jemals bekommen werden.«

Damit wären wir genau an dem Punkt angekommen, den Logan wohl niemals verstehen wird und der mir gleichzeitig das Herz bricht. Die so mühsam unterdrückten Tränen drängen sich zurück in meine Augen und ich bin es leid, die offensichtliche Traurigkeit vor ihm zu verstecken.

»Vielleicht ist sie das für dich, doch nicht für mich. Das war sie nie«, bringe ich hervor, spüre, wie ein Teil von mir einen Riss bekommt, und weiß in diesem Moment, dass ich Logan nicht begleiten kann. Es geht einfach nicht. Selbst wenn das bedeutet, ihn zu verlieren. Ich kann unmöglich mit ihm gehen, wenn ihm so egal ist, wie es mir dabei geht, wie groß meine Angst davor ist.

»Red nicht so einen Mist!«, bricht es aus ihm hervor und ich weiche einen Schritt zurück. Sein eben noch weicher Gesichtsausdruck ist nun verhärtet, seine Augen lassen mich die gesamte Enttäuschung und Wut erkennen. Und obwohl mein Herz immer mehr bricht, kann ich ihm diesen Gefallen nicht tun.

»Was soll ich denn dort machen? Hast du darüber mal nachgedacht?«, frage ich ihn geradeheraus und sehe, wie er schluckt und mehrfach versucht, eine Antwort zu geben, am Ende jedoch stumm bleibt. Denn genau das ist das Problem. Alles, was Logan dort vorhat, ist für ihn und seine Zukunft wichtig. Ich sollte zwar mitkommen, doch es gibt keinen Plan für mich.

»Ja? Ich höre«, bohre ich nach, wobei ich genau weiß, dass es zumindest ein wenig unfair ist, ihn so an die Wand zu drängen. Doch es reicht mir, von ihm immer als Bösewicht dargestellt zu werden, nur weil ich nicht gehen möchte.

»Soll ich jeden Tag schön zu Hause rumsitzen und jeden Tag auf dich warten? Oder vielleicht studieren? Wie wäre das? hm, was fällt mir noch als Möglichkeit ein? Kellnern in einem Pub wäre doch auch etwas, nicht wahr?«

Obwohl er kein Wort sagt, kann ich an seiner Körperhaltung ablesen, wie er aufgibt. Einfach so. Von jetzt auf gleich, weil ich mich weigere mein Leben aufzugeben. Für nichts und wieder nichts. Okay, jetzt bin ich wirklich unfair, ich würde es für ihn aufgeben. Er sollte darum kämpfen, mir Möglichkeiten aufzeigen und vor allem sollte er mir beweisen, dass er sich bei seinem ganzen Vorhaben nicht nur um sich selbst gekümmert, sondern durchaus an mich gedacht hat. Und nicht nur an sich selbst.

Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als ich weiterhin auf eine Antwort warte, meinen Freund ansehe und ihn nicht wiedererkenne. Der Schmerz in meinem Inneren ist einem dumpfen Pochen gewichen, das mir zeigt, wie tief die Enttäuschung sitzt. Mit jedem Schlag erinnert mich mein Herz daran, dass es ihm gehört. Logan. Diesem wunderschönen Mann, dem jetzt Tränen in den Augen stehen, weil er begreift, was dieses Schweigen zwischen uns bedeutet. Zu gern möchte ich die Hände nach ihm ausstrecken, möchte ihm sagen, dass alles gut wird und wir das gemeinsam schaffen. Aber die Tatsache, dass er sich wirklich keine Sekunde lang Gedanken darum gemacht hat, was mit mir in Dublin werden soll, lässt meine Hände dort verharren, wo sie sind. Eine Beziehung bedeutet Kompromisse einzugehen, doch niemals sollte man sich selbst dafür aufgeben.

»Lilly«, wispert Logan ergeben. Nichts ist mehr von seiner Wut noch zu spüren, er hat ja auch keinen Grund dafür, es zu sein. Ich war so kurz davor, mit ihm zu gehen. Hätte er mir gezeigt, dass es wirklich eine Chance für uns beide ist, hätte ich über meinen Schatten springen können. So ist es mir aber unmöglich.

»Nur eine Sache, und ich wäre mit dir gegangen«, sage ich, weil ich ihm immer mitteile, was in mir vorgeht. In Zeitlupe bricht seine Haltung zusammen. Das Gesicht fällt ein, die Schultern sacken nach vorne und vor mir steht nur noch ein Abbild des Mannes, den ich liebe - und immer lieben werde. Doch die schreckliche Erkenntnis, dass er so egoistisch vorgegangen ist, kann ich nicht einfach schlucken.

»Es tut mir leid«, höre ich ihn sagen, obwohl sich seine Lippen kaum bewegen. Logan ist in diesem Moment genauso gebrochen, wie ich, und gleichermaßen unfähig etwas dagegen zu tun.

»Das weiß ich. Aber es ändert nichts.« Keine Ahnung, woher ich die Kraft nehme, ihm diesen Satz zu sagen. Wirklich nicht. Doch ich tue es. Jede Faser meines Körpers schreit danach, mich in seine Arme zu werfen und die Zeit zu dem Moment zurückzudrehen, in dem er den Laden betreten hat. Ich möchte ihn küssen, ihn spüren und mir sicher sein, dass nichts und niemand uns trennen kann. Doch je länger wir hier stehen und nach Worten suchen, die es erträglicher machen, desto unerträglicher wird es.

»Heißt das jetzt, es ist vorbei?« Diese Frage trifft mich unvorbereitet, denn obwohl wir gerade festgestellt haben, dass ich ihn nicht begleiten kann wollte ich dennoch daran glauben, eine Zukunft mit Logan zu haben.

»Du ... du willst dich trennen?« Die Frage bereitet mir noch schrecklichere Schmerzen als die Entscheidung zuvor. Meint er das ernst?

»Ich dachte, das bedeutet es, wenn du nicht mitkommst«, antwortet er mir gefasster, als er aussieht. Die Tränen sind zwar verschwunden, aber seine Augen sind gerötet, sein Gesicht ist verschlossen. Das war es noch nie. Logan verschließt sich vor mir, und damit kann ich nicht umgehen. Verdammt!

»Für mich hat es nur bedeutet, dass du gehst, und ich hierbleibe und wir eine Lösung finden müssen, uns zu sehen. Aber Trennung?« Ich spucke das Wort beinahe aus, muss die Augen schließen und lehne mich gegen die Wand hinter mir. Mir ist schlecht, so unglaublich schlecht. Gepaart mit diesem Brennen in meinem Inneren ergibt das wirklich keine gute Mischung.

»Lilly, das kannst du nicht ernst meinen. Wie sollen wir eine Beziehung führen, wenn du kein Auto besitzt - noch nicht einmal einen Führerschein - und ich keine Zeit haben werde, hierherzufahren?« Das kann er keinesfalls so meinen! Er ist wütend und enttäuscht, aber er kann sich doch nicht trennen wollen. Nicht deswegen. Wir finden eine Lösung. Das haben wir doch immer getan.

»Logan, das sind Ausreden, keine Gründe. Bitte wirf nicht alles weg, weil du sauer auf mich bist!«, flehe ich ihn an, die Augen noch immer geschlossen. Ich kann ihn unmöglich ansehen, denn die Kälte in seinem Blick ist unerträglich. Das ist nicht mein Logan. Der würde mich nie verlassen, sondern mir einen Plan vorlegen. Doch das dachte ich auch über unser Leben in Dublin, und jetzt stehen wir hier.

Schon immer ist es meine größte Angst gewesen, dass Logan irgendwann erkennt, sein Leben an mich verschwendet zu haben. Bis jetzt konnte ich sie unterdrücken, konnte mir einreden, seine Liebe zu mir würde das verhindern. Nun bin ich mir da aber gar nicht mehr so sicher und die Angst schnürt mir die Luft ab, boxt mir unaufhörlich in den Magen, sodass die Übelkeit noch schlimmer wird. Ich sinke auf die Knie, schlage hart mit ihnen auf dem Boden auf und muss einsehen, dass es Logan egal ist. Denn er kommt mir nicht zu Hilfe. Die Tränen rinnen unaufhaltsam über mein Gesicht, tropfen auf meine Bluse, und ich weiß unweigerlich, wie es sich anfühlt, zu verlieren. Mein eigener Stolz, mich selbst nicht verlieren zu wollen, hat mich meine Beziehung gekostet. Wie konnte ich so egoistisch sein?

Doch noch während ich versuche, die richtigen Worte zu finden und damit alles zurückzunehmen, stelle ich fest, dass ich es nicht kann. Als hätte ich es verlernt, kommt kein Satz aus meinem Mund.

Schwerfällig hebe ich den Kopf und sehe zu Logan, der erhaben und mit überheblichem Blick auf mich hinabblickt. Nur kurz frage ich mich, ob das schon immer so gewesen ist, verwerfe diesen Gedanken aber. Logan ist der beste Mensch, den ich kenne. Nur sind seine Ziele andere als meine. Damit muss ich klarkommen, auch wenn ich mir nie vorstellen konnte, wie das sein kann. Wann haben wir uns so weit von einander entfernt?

»Ich liebe dich, Logan«, wispere ich, weiß aber nicht, ob er es gehört hat. Erst nachdem ich seine Wärme direkt vor mir spüre, zwinge ich mich dazu, zu schlucken, und versuche all die Gefühle in meinen Blick zu legen.

»Ich liebe dich auch, Lilly. Das habe ich mein Leben lang getan und werde es für den Rest davon tun. Nur scheint es nicht zu reichen. Auch wenn es gerade nicht so wirkt, verstehe ich, wieso du nicht mit mir kommen kannst. Nur musst du jetzt auch begreifen, dass ich unmöglich so weitermachen kann. Entweder zusammen oder gar nicht, ansonsten wäre ich immer gehemmt. Verstehst du das?«

So weh es tut, doch das tue ich tatsächlich. Mein Herz blutet, mein Körper ist ein bebender Klotz am Boden, doch wenigstens ist dieser kalte Ausdruck aus seinen Augen verschwunden und mein Logan kniet vor mir, versucht, mir einen Teil des Schmerzes zu nehmen. Auch er spürt ihn, es muss ihn ebenso zerreißen wie mich. Doch er ist der Stärkere von uns beiden und erkennt, warum wir uns trennen müssen, selbst wenn wir uns lieben.

»Ich werde für immer dein Freund sein. Ganz egal, was passiert. Aber ich kann dich nicht hier zurücklassen und gleichzeitig ein neues Leben ohne dich beginnen. Zumindest nicht, wenn ich immer Angst haben muss, dich auf dem Weg mehr und mehr zu verlieren. Wir müssen uns schützen, bevor die Vorwürfe alles zerstören, was uns verbindet, Lilly.«

Seine Worte ergeben Sinn, die zärtliche Berührung an meiner Wange lässt mich für einen Moment durchatmen. Logan hat recht. Und nun ist es an mir, ihn loszulassen, ihm die Chance zu geben, ein neues Leben zu beginnen. Ohne mich. Dieser Tag war nach Ladenschluss schlimm. Woher hätte ich wissen sollen, erst am Anfang gestanden zu haben? Doch ich habe mich geirrt.

»Es tut mir leid, dass ich nicht die sein kann, die du an deiner Seite verdient hast«, antworte ich ihm und hoffe, er versteht, was ich ihm sagen möchte.

»Du warst immer genau die, die ich verdient habe. Und noch so viel mehr. Aber ich muss diesen Schritt jetzt machen, sonst werde ich nie wissen, ob es das Richtige ist.«

Seine Worte beruhigen mich, geben mir die nötige Kraft, um ihn anzulächeln. Wahrscheinlich sehe ich furchtbar aus, doch Logan tut mir den Gefallen und erwidert es, reicht mir die Hand und hilft mir auf die Füße. Vergessen ist der Eisklumpen, den er vorhin zur Schau getragen hat, und ich lasse mich nur zu gern, in seine Arme ziehen. Ich atme tief ein, inhaliere seinen typischen Geruch nach Meer, Papier und Kaffee, den er förmlich zum Überleben braucht. Es ist ein Geruch, der zu meinem Leben gehört wie der Mann, den er umgibt. Es wird mir schwerfallen, ihn nicht mehr jeden Tag zu riechen oder zu sehen, zu hören, zu sprechen. Er wird mir fehlen, aber ich weiß, ich muss ihn gehen lassen. Genauso, wie ich weiß, er hat mich nicht absichtlich vergessen, als er sein Leben in Dublin geplant hat. Das ist nicht Logan, sondern der mitfühlende junge Mann, der mich jetzt hält, obwohl wir uns gerade gestritten und getrennt haben. Er lässt mich nicht fallen, genauso wenig, wie ich ihn jemals fallenlassen könnte.

Tief im Inneren bin ich überzeugt, wir sind füreinander geschaffen, anders kann man sich nicht erklären, warum wir dreiundzwanzig Jahre unseres Lebens zusammen verbracht haben.

Kapitel 2 - Lilly

»Und er ist jetzt wirklich weg?«

Wie oft habe ich diese Frage in den letzten Tagen hören müssen? Jedes Mal mit demselben Unterton, der Mitleid ausdrücken soll, mich aber immer wieder nur würgen lässt. Als wäre es nicht schlimm genug, dass mir die älteren Einwohner der Stadt vorwerfen, zu wenig um meine Liebe gekämpft zu haben, muss ich jetzt auch noch das geheuchelte Mitleid der restlichen Bewohner ertragen. Wahrscheinlich tue ich ihnen Unrecht, doch es ist einfacher, als mir einzugestehen, dass das Leben ohne Logan beschissen ist. Noch beschissener als die Zeit davor, in der ich mich gefragt habe, wie er uns so etwas nur antun kann. Herzlichen Glückwunsch, Lilly, du hast es eindeutig versaut, sage ich mir selbst und lache trocken auf.

»Ja, das ist er. Er hat seinen Posten im Rathaus an seinen Nachfolger übergeben und ist jetzt in Dublin, um ein kleines Web-Magazin herauszubringen. Dafür hat er schließlich damals studiert.« Die Worte verlassen vollkommen emotionslos meinen Mund und ich weiß, ich muss mich zusammenreißen. Doch es ist unmöglich. Heute und sicher auch morgen. Vielleicht nächste Woche, wenn ich wieder einschlafen kann, ohne zu weinen.

»Fühlst du dich nicht unglaublich einsam in eurem Haus, jetzt, wo er weg ist?«, bohrt Mia weiter, während sie das Regal einräumt. Denn ich habe es nicht über mich gebracht, sie wieder zu feuern, obwohl ich hiergeblieben bin. Sie wirkt so unbeschwert und rein, es fühlt sich an, als wäre sie wie ich mit zwanzig.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich kein bisschen einsam fühle. Dass ich mehr aus Scham weine als aus Trauer. Natürlich tut es weh, dass er weg ist, und - verdammt noch mal! - mein Herz ist in tausend Stücke zerbrochen, nachdem wir uns getrennt haben. Aber gleichzeitig spüre ich da eine Erleichterung tief in mir, die da keinesfalls sein sollte. Wer ist denn bitteschön erleichtert darüber, wenn die Liebe seines Lebens, genau dieses verlässt? Nur total bescheuerte Menschen wie ich.

Dennoch ist in dem Moment, in dem wir endlich ausgesprochen haben, was wir schon lange mit uns herumgetragen hatten, ein riesen Stein von meinem Herzen gefallen. Doch genau dafür schäme ich mich. Hoffentlich rutscht mir niemals heraus, was alles in mir vorging, als wir uns getrennt haben. Denn dann müsste ich zum Teil lügen und das möchte ich nicht. Ob es Logan genauso geht?

»Irgendwie schon. Ich habe mir überlegt, es komplett zu renovieren. Also unser – nein, warte – MEIN Haus«, platzt es aus mir heraus, bevor ich mich kontrollieren kann. Sofort strahlen Mias Augen, denn sie hat mir erzählt, dass sie es liebt, zu renovieren. Wie auch immer ein Mädchen in ihrem Alter daraufkommt. »Du kannst mir helfen, wenn du magst«, füge ich hinzu, denn irgendwie fühle ich mich für sie verantwortlich. Sie wohnt bei ihrer Tante, weil ihre Eltern schon vor Jahren abgehauen sind. Eigentlich wollte Mia nach Cork, um zu studieren, doch dann habe ich die Stelle hier ausgeschrieben und sie entschied sich, zumindest noch ein Jahr länger zu bleiben. So lange, bis sie sich sicher ist, was sie wirklich mit ihrem Leben anfangen möchte. Genau davor ziehe ich den Hut, denn mit zwanzig war ich lange nicht so stark wie sie. Allein Logan an meiner Seite hat mir die Kraft gegeben, das zu tun, was ich mir immer gewünscht habe. Im Laden von Mum arbeiten, bis ich ihn übernehmen kann. Allerdings wäre es meinen Eltern lieber gewesen, wenn ich wie Logan in Cork studiert hätte. Aber ich konnte nicht. Schon damals war ich unfähig Waterville zu verlassen. Er ist jedes Wochenende nach Hause gekommen. Die zweieinhalb Stunden ist er gern gefahren - hat er zumindest gesagt. Wir waren jung und verliebt und so verdammt glücklich zusammen. Niemals hätte ich erwartet, dass wir an diesem Punkt ankommen und Logan nicht mehr bereit ist für mich zu fahren. In meinen Augen sammeln sich Tränen, als die Erinnerung an seinen Vorwurf zurückkommen, doch noch bevor die Klingel der Eingangstür läutet, gelingt es mir, diese wegzuwischen.

»Hallo«, begrüße ich die Kundin, die ich schon von weitem als Touristin erkenne. Aber das ist nicht schlimm, schließlich leben die meisten Menschen in dieser Stadt davon.

»Ich schaue mich nur um«, gibt die Dame zurück, lächelt vorsichtig und ich nicke. Auch das ist ganz normal. Die meisten stöbern durch den Laden, kaufen am Ende aber oft nur Karten. Und es nicht schlimm. Denn ab und zu kommt dann doch jemand, der ein ganz besonderes Mitbringsel sucht und genau hier findet. Das sind die Momente, in denen ich mich bestätigt fühle. Eigentlich bei jedem Kauf, denn auch wenn jemand nur Karten kauft, strahlen oftmals ihre Augen bei dem Gedanken, ihren Lieben eine kleine Freude zu machen. Für mich macht genau das das Leben aus. Nicht die großen Gesten, sondern die kleinen. Die, die direkt unter die Haut gehen, weil man merkt, dass jemand an einen gedacht hat, als er im Urlaub gewesen ist.

»Ich habe zu Hause ein Programm, mit dem können wir dein Häuschen planen. Das wird so cool«, setzt Mia unsere Unterhaltung fort und bringt mich damit zum Lächeln. Mit ihr ist es so einfach, und obwohl sie neun Jahre jünger ist als ich, kann ich nicht bestreiten, dass ich etwas von ihr lernen kann, das ich in den letzten Jahren anscheinend verlernt habe. Die Leichtigkeit, mit der sie durch das Leben geht - ich war genauso. Doch dann sind wir irgendwann erwachsen geworden und es erschien mir unangemessen, mich weiterhin zu verhalten, als gäbe es kein Morgen mehr, wenn dieses Morgen unsere Zukunft bestimmen könnte. Jetzt habe ich aber wieder Zeit, um über all diese Dinge nachzudenken, die ich tief in meinem Herzen vergraben habe. Weil ich Logan keinen Grund geben wollte, an seiner Entscheidung zu zweifeln, nach seinem Studium in Waterville geblieben zu sein. Für ihn wollte ich erwachsen werden, obwohl wir uns als Kinder geschworen haben, genau das nicht zu tun.

»Erde an Lilly? Alles okay?«, holt mich Mia zurück in die Realität, während sie zusätzlich mit einer Hand vor meinem Gesicht herumwedelt. Natürlich ist nicht alles okay, aber das möchte ich niemandem verraten. Warum sollte ich das auch tun? Sie alle denken, ich müsste unglaublich leiden, weil Logan sich für etwas Besseres hält und mich hier zurückgelassen hat. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, hat er sich richtig entschieden. Nur war er mal wieder schneller als ich, es zu begreifen.

»Geht so. Aber ja, dein Programm können wir nutzen, wenn du möchtest. Lass uns Sonntagabend zusammen essen und darüber sprechen, ja?« Wieder leuchten Mias Augen und sie nickt aufgeregt.

»Entschuldigen Sie, haben Sie auch Briefmarken?«, fragt mich die Kundin zurückhaltend. Jetzt ist es an mir, zu nicken, und hole sie schon mal heraus.

»Wohin sollen die Karten denn gehen?«, will ich lächelnd von ihr wissen. Mir ist ein wenig leichter ums Herz als noch heute Morgen, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob dieser Zustand länger anhalten wird oder einfach nur ein kurzer Moment ist.

»Nach Deutschland, bitte. Hier«, antwortet sie mir und reicht mir die zehn Karten, die sie sich ausgesucht hat. Ich lege ihr die Marken dazu, packe alles in eine kleine Papiertüte mit Kleeblättern, nenne ihr den Betrag und nehme das Geld entgegen, das sie mir gibt. Sie lächelt so glücklich und überlegt wahrscheinlich schon, wem und was sie schreiben möchte. Es wärmt mir das Herz, sie so zu sehen, als sie sich freundlich bedankt und die Karten sicher in ihrer Tasche verstaut.

Der restliche Tag verläuft genauso entspannt. Immer dann, wenn einer der Touristenbusse hier Halt macht, kommt eine neue Welle Kunden, danach ist es leerer und Mia überlegt schon mal, wie wir mein Haus einrichten könnten. Mein Haus ... Dabei sollte es immer unseres sein. Er hat es uns gekauft, nachdem er damals zum Bürgermeister gewählt wurde. Mit dem perfekten Blick auf den Atlantik, nur fünf Minuten außerhalb des Städtchens, das wir beide so lieben. Zumindest dachte ich immer, dass wir beide das tun.

Jetzt gehört es nur noch mir. Vor seiner Abreise hat er es mir überschrieben, ohne einen Cent dafür zu verlangen. Wahrscheinlich ist das seine Art, sich zu entschuldigen, dass er uns in diese Situation gebracht hat. Dabei bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ihm klar ist, wie sehr er mich mit alldem verletzt.

Mit dem Blick aus dem Fenster denke ich darüber nach, wie das alles so kommen konnte. Wann haben Logan und ich uns verloren?

Mai, 1994

»Komm schon, Lilly, jetzt lass dich nicht so betteln, mit rauszukommen!« Ich höre Logan draußen vor der Tür nach mir rufen und muss breit grinsen. Er klingt bereits ein wenig genervt, doch würde er mir das niemals zeigen.

»Es regnet, Logan. Warum sollte ich das Haus verlassen?«, rufe ich nach draußen, steige aber gleichzeitig in meine roten Gummistiefel mit den weißen Punkten.

»Der arme Junge steht da draußen im strömenden Regen, und du lässt dir noch extra Zeit? Du bist eindeutig meine Tochter.« Mum steht plötzlich neben mir, grinst ebenso breit wie ich und hilft mir in den gelben Regenmantel.

»Mama, ich mag erst sieben Jahre alt sein, aber ich habe, denke ich, schon verstanden, dass man nicht immer sofort springen sollte, wenn sie rufen. Sie wollen um uns Mädchen kämpfen, richtig?« Diese altklugen Worte habe ich irgendwann mal bei meiner Grandma aufgeschnappt. So wirklich eine Ahnung, was sie bedeuten habe ich zwar nicht, aber anscheinend passen sie, denn Mum schüttelt nur lächelnd den Kopf. Mein Grinsen wird nur noch breiter, als sie mir zu zwinkert und dann nickt.

»Aber lass ihn nicht zu lange warten. Jungs können manchmal wirklich doof sein«, mahnt sie mich noch verschwörerisch, küsst mich auf den Kopf und zieht mir dann die Kapuze über den Kopf.

»Niemals«, gebe ich zurück und stoße die Tür auf. Mum hat recht - es schüttet. Aber das ist mir vollkommen egal, als ich Logan vor mir stehen sehe, unter einem großen schwarzen Regenschirm, ebenfalls mit Regenmantel und Gummistiefeln. Einen Moment lang wirkt er vollkommen verloren, doch nur so lange, bis er mich sieht und zu strahlen beginnt. Und da weiß ich, dass auch ich immer auf ihn warten werde. Ganz egal, wie sehr der Regen uns in die Ecke drängen will.

Eine einsame Träne läuft mir über die Wange, als ich an diesen verregneten Tag denke. Logan und ich waren seit dem Moment unzertrennlich, in dem er mir seine Schokolade schenkte, nachdem mich irgendein anderes Kind im Kindergarten geärgert hatte. Nie zuvor haben wir miteinander gesprochen, doch das war der Anfang von allem.

»Woran denkst du, Baby?«, fragt mich meine Mum, die ich bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bemerkt habe. Nachdem ich Mia nach Hause geschickt hatte, verkroch ich mich hier hinten. Makabererweise genau an der Stelle, an der Logan und ich uns getrennt haben. Doch von hier aus kann ich nun mal das Meer und den steinigen Strand sehen und die Sonne beobachten, die sich langsam dem Horizont nähert. Ich ignoriere geflissentlich die Tatsache, dass ich von zu Hause aus einen noch besseren Blick hätte.

»Keine Ahnung. Alles. Nichts«, antworte ich Mum ausweichend und vermeide es, ihr in die Augen zu sehen. Denn dann müsste ich mir eingestehen, dass ich wirklich keine Ahnung habe, wie es mir geht. Mal so, mal so. Doch ich kann mich für keine Stimmung entscheiden.

»Der Sommer ist bald vorbei«, stellt sie unnötigerweise fest. Das weiß ich selbst. Das weiß jeder hier. Jedoch will ich daran noch weniger denken als an meine Aussicht im Haus. Denn dann würde mir klarwerden, dass ich in circa sechs Wochen den Laden über den Winter schließen muss und vier verdammt lange Monate nichts zu tun habe. Und dieses Jahr muss ich - das erste Mal in meinem Leben - diese Zeit alleine überstehen. »Weißt du schon, ob du im Haus bleiben willst? Dein Zimmer bei uns ist immer für dich bereit«, spricht sie einfach weiter und übergeht dabei, dass ich nicht geantwortet habe. Wahrscheinlich müsste ich Mum einfach nur fragen, was mit mir los ist, warum ich mal todtraurig und im nächsten Augenblick erleichtert bin. Sie weiß es ganz sicher, aber ich will die Wahrheit gar nicht hören. Denn das würde bedeuten, dass Logan und meine Beziehung nicht mehr das gewesen ist, was ich immer in ihr sehen wollte.

»Ich weiß. Aber wie sieht das denn aus? Was, wenn er erfährt, dass ich ausgezogen bin, obwohl er es mir geschenkt hat?« Ich schüttele mich unwillkürlich, denn ich kann mir sehr gut vorstellen, wie vorwurfsvoll Logan mich ansehen würde, sollte ich das tun und er es rausbekommen. Gänsehaut überzieht meinen Körper bei dem Gedanken daran, doch dann schüttele ich den Kopf. Er ist schließlich weg.

»Dazu müsste er es erstmal erfahren. Und Logans Mum wird es ihm ganz sicher nicht erzählen. Sie ist noch immer sauer auf ihn, weil er gegangen ist. So wie die ganze Stadt. Als wäre er etwas Besseres.«

Ihre Wut ist deutlich herauszuhören und ich frage mich sofort, ob ich diese Wut auch verspüre. Tief fühle ich in mich hinein, doch da ist nichts dergleichen. Eher eine Art Leere, da sich mein dummes Herz nicht entscheiden kann, was es fühlen will.

»Du weißt doch, dass es nicht so ist.« Jetzt verteidige ich ihn auch noch, nehme den Stich im Herzen dankbar an, der mich daran erinnert, dass ich etwas ganz Ähnliches heute auch schon gedacht habe. Dabei sollte ich Logan doch am besten kennen. So ist er wirklich nicht. Er will einfach nur etwas anderes im Leben als ich. Oder der Rest der Stadt.

»Schon immer hast du ihn in Schutz genommen. Als kleines Mädchen hast du kein schlechtes Wort über Logan zugelassen, selbst wenn du gewusst hast, dass er Mist gebaut hat.«

Jetzt sehe ich doch noch auf, blicke in das besorgte Gesicht meiner Mum und muss schlucken. Sie hat recht. Aber was soll ich tun? Bereits damals wusste ich, dass er der Junge ist, mit dem ich alt werden will. Ich habe es mir so sehr gewünscht.

»Wann habe ich aufgehört daran zu glauben, dass Logan und ich zusammen alt werden?«, frage ich geradeheraus und drehe mich endgültig zu ihr. Das Lächeln in ihrem Gesicht ist so traurig, dass ich Angst habe, sie würde gleich anfangen zu weinen. Und damit würde sie meine Schleusen ebenfalls mit öffnen. Ich bin so verdammt verwirrt, dass ich nicht mehr weiß, was ich noch denken soll.

»Niemals. Auch jetzt glaubst du noch daran. Selbst ich glaube noch daran, auch wenn ich unendlich sauer auf ihn bin. Doch ich verstehe ihn ... und ich verstehe dich. Ihr seid alt genug, um eure Probleme selbst zu lösen. Diese Trennung muss nicht das Ende sein«, spricht sie genau das aus, was ich selbst auch hoffe, aber mich nicht getraut habe zuzulassen. Bin ich deswegen nicht so am Boden zerstört, wie es jeder erwartet? Weil ich weiß, dass wir wieder zusammen sein können, wenn wir diese Phase überstanden haben?

»Weißt du, Süße, du musst jetzt noch gar nichts entscheiden. Weder für etwas noch festlegen, ob du ihn hasst oder vor allen verteidigst. Es ist eine schwere Umstellung, denn jeder kennt euch nur zusammen. Du dich selbst auch. Vielleicht solltest du erst mal versuchen herauszufinden, wer Lilly ohne Logan ist.«

Dieser Vorschlag klingt plausibel, so wie alles, was Mum sagt. Und doch fällt es mir unendlich schwer, zu nicken. Lilly ohne Logan sollte es nicht geben. Das ist nie Teil meines - unseres - Plans gewesen.

»Warum bin ich erleichtert, dass er weg ist?«, frage ich sie doch noch, denn ich kann nicht damit umgehen, dass ich so etwas fühle. Ich sollte im Bett liegen, tonnenweise Eis in mich hineinstopfen und trauern. Nichts davon tue ich. Nicht so wirklich.

»Meine Vermutung ist, du fühlst dich so, weil die letzten sechs Monate an euer beider Kraft gezerrt haben. Du hast alles gegeben, um entscheiden zu können, was du tun sollst. Und ich bin so stolz auf dich, dass du zu dem gestanden hast, was du möchtest. Ich hätte es nicht überstanden, wenn du gegangen wärst«, gesteht Mum mir. Plötzlich schlingt sie ihre Arme um mich und drückt mich fest an ihre üppige Brust. Vollkommen überfordert stehe ich da, erwidere die Umarmung und versuche ihre Worte in Einklang mit dem zu bringen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: © J.R. König 2017
Cover: Covergestaltung: Mediendesign Ines Stanko-Angres
Lektorat: Lektorat: Lektorat & Korrektorat Satz & Silbe; Korrektorat: Michéle Rösner – www.skripteule.de
Tag der Veröffentlichung: 22.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6244-9

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