Cover

Frühlingsgefühle

Frühlingsgefühle.

 

Ich kann es irgendwie kaum glauben. Kaum glauben, dass der Schnee aufgehört hat, Schnee zu sein und sich erst in Regen verwandelt hat und dann rückwärts in die Wolken getropft ist, und die Wolken sich mit puffendem Geräusch blitzschnell verzogen haben. Kaum glauben, dass ich noch wusste wie die Sonne aussieht, schließlich haben wir uns einige Monate nicht mehr gesehen und da kann man sich ganz schon ganz schön verändern. Aber sie ist immer noch die Gleiche; groß, gelb, warm und gut gelaunt. Hi.

Kaum glauben kann ich auch, dass Menschen auch Haut haben, die nicht nur im Gesicht ist. Arme und Beine werden wieder frei und den Hals schmücken nun Ketten und Tücher anstelle von dicken, wolligen Schals. Und ich kann es ebenso kaum fassen, dass man seine Zeit wieder überwiegend draußen verbringen kann, ohne die Angst, dass der nächste Sturm einen bis ins nächste Land wegpustet und man den ganzen Weg, ohne Kenntnisse der Sprache des nächsten Landes und mit schrecklichen Fußschmerzen nach Hause trippeln muss. 

 

Endlich.

 

Es ist nicht so, dass ich schwer umzustimmen bin, aber ich hätte definitiv nicht gedacht, dass meine komplette Innenwelt so stark von den Jahreszeiten abhängig ist. Jeden Herbst, an den letzten warmen Sonnenstrahl-Tagen denke ich mir, komm, dieser Winter wird klasse! Ich werde gemütlich in meinem Sessel sitzen, vor dem heizenden Kamin und genüsslich Kakao schlürfen, während die zu Kristallen geformten Schneeflöckchen außerhalb meines Fensters zu Boden rieseln.

Der Haken ist nun leider, dass mein Sessel ein Stuhl, mein Kamin eine Schreibtischlampe, der Kakao alle ist und die Schneeflöckchen Schneeregenmatsch sind, die die Leute auf der Straße zum ausrutschen und äußerst lauten Fluchen bringen. Eine weitere nicht unbedeutende Besonderheit ist außerdem der Berg von Aufgaben auf dem Schreibtisch, die ich erledigen muss. Kein allzu großes Wunder ist es also, dass der Stress und die depressiven Gedanken nicht weit entfernt sind.

Da helfen auch keine Studentenparties, auf denen sich die Meute erst schrecklich besäuft, dann in eine Ecke verzieht und mit imaginären Saufkumpanen spricht, wenn es hochkommt (Achtung Doppeldeutigkeit) noch einmal seine Mahlzeit unverdaut wiedersieht und am nächsten Tag davon erzählt, welch einen Filmriss sie doch hat und kacke verdammte, erzähl bloß niemandem von meinen wilden Exzessen. Wie genial, dass diese Erinnerungen erst in sieben Monaten wieder einen Platz in meinem Kopf bekommen. 

 

Bis dahin habe ich die wundervollen Tulpen auf dem Weg zur Bahn, die mir ein dämliches Grinsen ins Gesicht zaubern, dass übrigens auch der Bauarbeiter auf der anderen Straßenseite mitbekommen hat und mindestens genauso dämlich zurückgrinst. Ebenso habe ich meinen ersten kleinen Sonnenbrand auf den Wangen dieses Jahr, was mich entsetzlich freut, da es eine minimale Hoffnung auf Bräune in meinen Gedanken hinterlässt.

Ich habe auch diese unfassbar langen Tage, bei denen man keine Lust hat, schlafen zu gehen und am liebsten die ganze Nacht in den sternenklaren Himmel schaut. Diese unbeschreiblichen Gefühle in Momenten wie dem Erholen mit Freunden im Park, den Urlauben im Sonnenschein, dem Feiern von Geburtstagen machen den Frühling zu der besonderen Jahreszeit, die sie ist. 

 

Frühling.

 

Alles Abgestorbene ist neugeboren und erstrahlt in hellstem Licht, alles Alte erlebt Neues, Freunde werden freundlicher und ich werde mehr ich.  

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /