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Vergleiche

In meinem Leben hatte ich schon ziemlich oft die Situation gehabt, über jemanden zu urteilen und zu denken, er ist insgesamt unterbelichtet. Unschönerweise gilt dieses Urteil auch allzu häufig für mich persönlich. Allerdings habe ich das Gefühl, die Menschen haben ihre Messlatte für Intelligenz zu hoch an dem IQ-Lineal angeschraubt und erwarten ständig alles auf einmal. Man sollte gut im Kopfrechnen sein, einen ausgeprägten Sinn für Grammatik und Rechtschreibung beherrschen, vor Kreativität nur wie ein überkochender Nudeltopf sprudeln und überhaupt, in allen Disziplinen der Welt ein Überflieger sein. Gleichzeitig wäre es noch ganz ratsam, charakterlich perfekt zu sein. Doch dabei muss man aufpassen. "Die/der ist doch einfach viel zu perfekt!" Na, kommt Ihnen dieser Satz vielleicht bekannt vor? Möglicherweise haben Sie ihn ja selbst schon mal benutzt. Und falls ja, dann brauchen Sie sich nicht zu schämen. Denn das ist menschlich. Es ist absolut menschlich, sich über andere Menschen aufzuregen, auf sie neidisch zu sein aufgrund von teilweise extrem banalen Angelegenheiten. Wenn wir es nicht tun, wer macht es dann sonst? Es ist bedeutend, sich mit anderen Personen zu vergleichen und ungemein aufbauend für das Selbstwertgefühl, sobald man eine kleine Schwäche beim Gegenüber feststellt. Wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich noch nie gelästert habe, würden Sie das Buch sofort zuklappen, mich auslachen und gehässig murmeln, 100 PROZENTIG hat dieser Mensch schon mindestens genau so viel wie ich über Menschen gelästert! Und da wären wir wieder beim Vergleich. 

 

Es ist einfach unmöglich, nicht über Menschen zu urteilen, denn diese Aufgabe bekamen wir schon als kleines Kind. "Guck mal, wie fleißig deine große Schwester den Spinatteller aufisst! Du bist noch zu klein, um Fahrrad zu fahren. Warum hat die Mehrheit deiner Klasse eine bessere Note als du?" Es ist allgegenwärtig und fällt uns als solches nicht auf. Doch egal, wie oft wir denken, vergleichen bringt nichts Gutes mit sich, hat es doch auch positive Seiten. Hätte man sonst den Spinatteller aufgegessen, nur um seiner Mami zu zeigen, dass man genauso viel essen kann wie die große Schwester? Oder hätte man sonst, so fleißig Fahrrad fahren mit Stützrädern geübt, damit man endlich auch richtig fahren durfte? Oder hätte man sich vielleicht sonst so viel Mühe bei der nächsten Klassenarbeit gegeben, wenn man nicht wüsste, dass man die Schlechteste aus der Klasse war? Man hat fortlaufend den Wunsch, nicht als insgesamt unterbelichtet abgestempelt zu werden. Vergleiche stacheln uns an, sich in dem was wir tun, zu übertrumpfen und über unsere vermeintlichen Grenzen hinaus zugehen, um dann stolz auf die verrichtete Arbeit blicken zu können. Aber auch nur dann sind sie gesund für unsere Entwicklung und können uns in dem stärken, was wir im Leben erreichen wollen. 

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Tag der Veröffentlichung: 15.03.2013

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