Schwarzer Rauch
(Black Smoke)
ein Hornblower- Roman
von
Clifton Steel Bristol
Vorgeschichte: Kapitän Hornblower ist seit vier Wochen in England, von der Ostsee und Russland zurückgekehrt, und gerade von einer schweren Krankheit genesen. An der Ostsee hatte er bei Riga gegen den Russlandfeldzug Napoleons gekämpft. Kaum zurück in England, da ruft ihn die Admiralität nach London. Eine neue Mission wartet.
Hornblower dachte nach. Er saß in seinem Landauer, der auf der Landstraße klappernd von Smallbridge nach London fuhr. St. Vincent hatte ihn um ein Gespräch in der Admiralität gebeten. Genauso gut hätte der erste Lord ihn auch befehlen können.Der alte Jervie, wie der ehemalige Sir John Jervis, nun Lord St. Vincent, im allgemeinen von den Angehörigen der Flotte genannt wurde, wusste aber wohl genau, was er wollte. Hornblower las noch einmal die Depesche, die heute morgen eingetroffen war.
Sir Horatio Hornblower,
seiner Majestät Kapitän zur See, K.B.
Sir,
sie werden hiermit ersucht und angewiesen, so alsbald wie möglich nach ihrer erfolgten Genesung die Admiralität in London aufzusuchen. Der erste Seelord St. Vincent wünscht ein Gespräch mit Ihnen.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Sekretär Sowieso
Hornblower überlegte. „Alsbald“ hieß in der Flotte natürlich „sofort“. Seit vier Tagen war er wieder gesund, das Fieber war endgültig gewichen und er hatte bereits damit begonnen, ruhelos auf dem Gut herumzuwandern. Selbst Barbara hatte er leicht nervös damit gemacht.
Das Klappern der Hufe änderte sich im Tonfall.. Hornblower schreckte aus seinen Überlegungen auf und warf einen Blick aus dem Fenster. Brown hatte bereits die ersten Ausläufer der großen Stadt erreicht und die sandige Landstraße war einem Kopfsteinpflaster gewichen. Ratternd fuhr die Kutsche voran.
Hornblower brauchte keine Kursanweisungen zu geben, denn Brown kannte London gut und wusste wohl, darin zu navigieren. Bald hatte der Landauer die Admiralität erreicht und der Kapitän konnte aussteigen. „Warten Sie, Brown! Es wird nicht lange dauern!“ sagte er nur knapp und der Bootsmann nickte ihm vom Kutschbock aus zu und legte die Hand an die Mütze: „Aye, aye, Sir!“
Hornblower stieg die weite Treppe empor. Zur Feier des Tages hatte er als taktvoller Mensch Ordensband und Stern angelegt. Immerhin war er Ritter des Bath-Ordens. Der Orden baumelte gegen seine Brust und seine Epauletten wiesen ihn als gestandenen Kapitän zu See aus. Er musterte seine seidigen Strümpfe und war froh, dass er sich inzwischen goldene Schnallen an den Schuhen leisten konnte. Der Kommodore war gerade erst vor einigen Wochen aus Russland zurückgekehrt, wo er sich ein Fieber zugezogen hatte. Nun aber war er wieder genesen und die Admiralität hatte ihn dringend angefordert. Da wollte er pünktlich sein. Vielleicht erhielt er einen neuen Auftrag.ER war schon gespannt.
Hornblower trat vor die schwere Eichentür und ließ sich anmelden. Die Ordonnanz verschwand rasch hinter den Holztäfelungen und kurz darauf konnte er den Raum betreten. St. Vincent erhob sich hinter seinem Schreibtisch: „Ah, Hornblower. Da sind Sie ja bereits. Können es wohl nicht erwarten, wieder auf See zu sein. Ja, das geht mir eigentlich auch so. Aber heutzutage muss ich einen Schreibtisch segeln.“ Der große, manchmal ungeschlacht wirkende Mann kam breitbeinig auf den Kapitän zu und schüttelte ihm die Hand. „Setzen Sie sich, setzen Sie sich. Gut zu sehen, dass Sie wiederhergestellt sind. Doch kommen wir zum Thema. Aber erst wollen wir einen Schluck trinken. Ich habe hier einen ganz ausgezeichneten Port, den sollten Sie versuchen!“ St. Vincent hob eine kleine Glocke von einem Stapel Unterlagen, die Hornblower bereits aufgefallen war. Er erkannte die Naval Chronicle und einige Zeitungen auf dem Stapel. Der Admiral ließ das Glöckchen erklingen. Schon öffnete sich eine Tür und der Flaggleutnant kam herein. Er trug ein Tablett mit einer dunklen Flasche und zwei Gläsern. Hornblower musste innerlich grinsen. Ein guter Flaggleutnant wusste eben im Voraus, was sein Admiral von ihm wollte. Leider war er als junger Leutnant nie in der Lage gewesen, sich einen dieser einträglichen Posten zu sichern. Dazu hatten ihm die Verbindungen gefehlt. Aber er war ja auch lieber an Deck und auf See, als sich in der Etappe herumzudrücken, wie diese Jüngelchen; meist irgendwelche jüngeren Söhne hochrangiger Adliger. St. Vincent wedelte ungeduldig mit der Hand und die Ordonnanz entfernte sich, nachdem sie das Tablett auf einer freien Stelle des großen Schreibtisches geparkt hatte, die offensichtlich genau für derlei Zwecke vorgesehen war.Das Tablett passte nämlich genau in die Öffnung zwischen den Unterlagen und Briefen.
„Na dann, kommen wir zur Sache!“ St. Vincent griff sich die Flasche, verteilte die Gläser und goss ein. Dann prostete er Hornblower kurz zu. „Sicher sind Sie schon gespannt, was ich für sie herausgesucht habe. Ein heikler Auftrag. Genau genommen, wissen wir noch nicht allzuviel …es ist nicht gerade so, dass der Papagei die Nachricht herumerzählt ... aber die Gerüchte unserer Einsatzagenten drüben in Frankreich machten die Runde und ...“ er sah Hornblower bedeutungsvoll an: „… diese Nachrichten sind äußerst beunruhigend. Boney macht uns immer noch zu schaffen. Preußen haben sich erhoben, Spanien kämpft. Wellington ist bereits in die Pyrenäen vorgedrungen, aber der Korse hält immer noch Frankreich, auch wenn die alliierten Truppen vorrücken. Nun scheint er neues Unheil zu planen. Bisher war er ja nicht gerade ein großartiger Seemann.“ Ein kurzes Lächeln huschte über Hornblowers ernstes Gesicht. Nein, im Seekampf hatte Napoleon ganz sicher nicht das große Los gezogen. Zwar hatte die französische Marine immer verschiedene Probleme bereitet, war aber eigentlich nie eine echte Gefahr gewesen. Mochten die Franzosen auch die besseren Schiffsbauer sein, so lagen ihre Flotten doch meist vor Anker, waren durch die Blockadearmadas eingeschränkt und besaßen kaum seemännische Erfahrung in der Praxis. Verschiedentlich hatte es zwar einige schneidige Aktionen französischer Admirale gegeben, aber diese waren bald der Übermacht der britischen Flotte zur See erlegen. Gegenwärtig beherrschte die englische Flotte sowohl die Nordsee als auch den Kanal und den Atlantik herunter bis zur Biskaya und Kap Finisterre. Auch im Mittelmeer war man präsent.
Hornblower trank aus; der Port war wirklich exzellent. St. Vincent sah ihn ernst an, seine buschigen Augenbrauen hoben sich. „Kommen wir zum Kern der Sache.“ meinte er. „Haben Sie je von einem Mann mit dem Namen Robert Fulton gehört? Ein Amerikaner.“ schloss er seine Ausführungen. Gespannt sah er Hornblower an. Dieser schluckte kurz. Er musste überlegen, dieser Name war ihm nicht ganz unbekannt, doch er konnte ihn im Moment nicht zuordnen. Doch, … da war etwas gewesen. Aber was war es? Ging es nicht um Maschinen? Wollte man nicht Segelschiffe durch einen anderen Antrieb ersetzen? Wie obskur, dieser Gedanke. Schon wollte er den Mund öffnen, da kam der Admiral ihm zuvor: „An ihrem Gesicht sehe ich, dass der Schilling gefallen ist!“ St. Vincent blieb ernst: „Der Mann hat eine Dampfmaschine zur See erfunden und auch die dazu benötigten Geräte. Ich glaube, man nennt das eine „Antriebswelle“ oder eine „Schraube“. Ein Schiff, das mit einer solchen Maschine ausgestattet wird, ist natürlich unabhängig vom Wind und Wetter. Ein klarer strategischer und taktischer Vorteil. Wir glauben nun, dass Fulton bei Boney vorstellig wurde und dieser sich interessiert gezeigt hat, um versuchsweise Schiffe der Franzmann-Flotte mit diesen Geräten auszurüsten. So weit wir wissen, findet diese Aktion im Mittelmeer statt, irgendwo bei Marseille in der Nähe. Wo genau, müssen sie selbst herausfinden. Aber diese Art Schiffe, habe ich mir sagen lassen, muss für die Verbrennung in dieser Maschine Rauch ablassen. Die Schiffe werden also Qualm ausstoßen. Das sollte ja auf See nicht zu übersehen sein. Selbst in den Häfen müssten sie diese teuflischen Objekte an den Rauchzeichen finden können. Ach ja, wo bleibt nur die gute Seemannschaft!“
Der Admiral ging zu neinem Nebentisch hinüber, zog eine Kladde hervor und blätterte rasch darin, fand aber offensichtlich nicht, was er suchte. „.Nun gut, sehen wir ‘mal! Was kann ich Ihnen denn geben. Fast alle Schiffe sind ja irgendwo im Einsatz. Die Lage ist im Moment sehr angespannt. Wir mussten die letzten Reserven ankratzen. Also … wo ist denn diese verflixte Liste …!“
Er zog rasch einen Stapel Papiere vom Tisch und durchblätterte diese schnell. „Ach, hier ist es ja.
Also sie können einen dieser neumodischen Glattdecker haben. Die Lionheart, ein schneller Schoner. Dreimaster, voll getakelt, 40 Geschütze. Hauptsächlich wohl Neunpfünder. Dazu je zwei moderne Langrohrkanonen für Jagdgefechte an Bug und Heck. Dank der neuen, leichteren Lafetten sparen wir dabei an Gewicht und sogar das Metall der Geschützrohre soll eine neue Legierung sein. Trotz des hohen Ballastes ist das Schiff also unter vollen Segeln relativ schnell. Liegt in Spithead vor Anker. Sie müssen ja diese „Dampfschiffe“ auch einholen können, falls die zu fliehen vorhaben, da benötigen sie einen schnellen Segler. Hoffentlich haben Sie immer guten Wind!“ Er hob den Finger zum Mund, feuchtete ihn an und blätterte dann rasch die Zettel durch. „Hier ist noch ein Kutter; einmastig. Zur Tarnung lateinergetakelt. Den können Sie für die Aufklärung unter der Küste verwenden. Es ist die Little David, ein kleines schnelles Boot. Ein Leutnant Horrock führt ihn.“ Hornblower freute sich. Er hatte bereits einmal mit dem jungen Horrock zusammen gearbeitet, ein Neffe eines seiner früheren Offiziere.
St. Vincent fuhr fort: „Wie ich sie kenne, soll ich auch Kapitän Bush für sie loseisen. Das alte Walroß ist inzwischen Werftdirektor in Plymouth. Mit seinem Holzbein jedenfalls kommt er recht gut voran inzwischen. Hat dort beigedreht und liegt vor Anker … aber noch immer nicht die Segel gestrichen.
Hornblower dachte kurz mit Grauen zurück an seine Flucht aus Frankreich damals, mit dem verwundeten Bush, seinem Kapitänleutnant. Inzwischen war Bush selbst zum Kapitän zur See befördert und er hatte auch den Russlandfeldzug auf der Ostsee mit ihm verbracht, wo Kapitän Bush sein Flaggschiff kommandiert hatte.Der erhöhte Sold tat ihm gut, denn auch wenn Bush nicht viel brauchte, so hatte er zwei Schwestern an Land zu ernähren, für die er sich verantwortlich fühlte.
Der Admiral fuhr fort: „Das ist alles, was ich Ihnen geben kann. Wie gesagt, die Lage ist angespannt. Mit diesen beiden Schiffen müssen sie zurechtkommen, Hornblower. Aber …!“ er lächelte und sah den Kapitän dabei aus zusammengekniffenen Augen an: „Ich werde Ihnen eine Sondervollmacht ausstellen. Pellew ist im Mittelmeer stationiert als Admiral der roten Flagge. Von ihm können sie im Notfall Unterstützung anfordern. Aber machen sie bitte wirklich nur im äußerst dringenden Fall davon Gebrauch.So, das war es. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Was wir sicher nicht gebrauchen können, ist eine Flotte französischer „Dampfschiffe“, die unsere Wachflotte im Kanal bei einer Flaute ausmanövriert. Vielleicht könnte Boney dann doch noch Truppen in England an Land setzen.Aber wo bleiben meine Manieren. Hier, nehmen Sie noch Einen.“ Er goss noch einmal ein. Damit erhob er sich und gab Hornblower die fleischige Hand zum Abschied. Dieser hob rasch das Glas, trank den guten Port aus und verabschiedete sich. Das „versäume keine Stunde“ war ihm ebenso in Fleisch und Blut übergegangen wie dem Admiral.
Hornblower stieg die Treppe der Admiralität hinab. Er musste das soeben Gehörte erst einmal verarbeiten. Die Unterredung hatte keine halbe Stunde gedauert und Brown hatte geduldig auf dem Kutschbock gewartet. Hornblower sah ihn an: „Packen Sie ihre Seekiste, Brown!“ hörte er sich sagen: „Wir gehen an Deck! Ankerauf!“ Das Gesicht von Brown war eine seltsame Mischung aus Überraschung und Freude. Dann hellte es sich ganz auf und er nickte. Hornblower stieg ein, der Schlag fiel hinter ihm zu und die Kutsche ratterte davon, als der Bootsmann die Pferde antrieb …
Hornblower ging die Mole am Spithead entlang und musterte die vor Anker liegenden Schiffe. Da die meisten Segler der Flotte im Einsatz waren, war der Kai relativ leer bis auf ein paar vür Proviant oder Wasser eingelaufene Schiffe der Kanalflotte.
Eine Gefangenenhulk lag am Rande des Piers und schwojte leise im leichten Wind vor sich hin, drehte sich um den Anker. Von innen heraus glaubte Hornblower Kettengerassel zu hören. Da befanden sich Kriegsgefangene an Bord, sicher auch Franzosen aber auch leichtsinnige Männer der Flotte seiner Majestät, die sich Einiges zu Schulde hatten kommen lassen.
Er ging weiter und rümpfte die Nase. Der faulige Geruch, nach Bilge, vom schwachen Wind herübergweht, musste aus dieser Hulk kommen. Hornblower besah sich die übrigen Schiffe auf der Mole. Dort lag ein breiter, fetter Ostindienfahrer. Dass dieses Schiff hier im Flottenhafen lag, anstatt im Zivilhafen, konnte nur bedeuten, dass auch hier ein militärisches Manöver der Flotte geplant war, zu dem man den dickbauchigen Frachter benötigen würde. Aber er musste sich jetzt um sein eigenes Kommando kümmern. Weiter vorn sah er noch ein Wachboot der Heimatpatrouille, dass gerade an Land warpte und kurz vor dem Anlegen war.
Hinter dessen einsamem Mast aber sah er etwas weiter draußen ein großes, langgestrecktes Schiff mit drei hohen Masten. Schwarz und gelb wirkte die Bemalung an der Reling frisch und auch die Geschützpforten waren frisch gestrichen. Vorn saß ein Seemann auf dem Klüverbaum des Bugspriets und bemalte die Hülle des Schiffes. Kapitän Bush war also bereits voll in Aktion und machte das Schiff segelbereit.
Hornblower freute sich bereits, seinen alten Kameraden wiederzusehen, denn dieser schweigsame Mann, der klaglos seine Pflicht als Seeoffizier tat, obwohl ihm ein Bein fehlte, war ihm regelrecht ans Herz gewachsen. Zuletzt hatte er Bush vor sechs Wochen in Russland gesehen.
Hornblower trat an die Mole und hob die Hand zum Zeichen des Übersetzens. Sofort waren zwei Bumboote heran und drängten sich um seine Aufmerksamkeit, als sie die Epauletten leuchten sahen. „Riemen, Sör oder Skulls?“ fragte eine gequetschte, heisere Stimme. Hornblower nahm das Riemenboot, musste aber vor dem Einsteigen noch einem frechen Seemann ausweichen, der ein Fass den Kai entlangrollte. Sein Zopf wirbelte über die Schulter. Der goldene Ohrring wippte im Takt seiner Bewegungen.
Der Kapitän rettete sich mit einem Sprung in die Achterplicht des Bootes.
„Bringen Sie mich zur Lionheart!“ befahl er. „Aber rudern Sie erst einmal um das Schiff herum!“ Er ließ ein Sixpence-Stück in der Hand aufblitzen.Wohl wusste er , dass das Übersetzen nur drei Pence kostete, aber er wollte sein Schiff erst einmal von allen Seiten in Augenschein nehmen, um dessen Seeeigenschaften zu prüfen. Rumpf, Takelage, alles musste nachgesehen werden. Deshalb war auch der Bootslohn nicht zu hoch; er würde fast eine halbe Stunde hier draußen im Hafen verbringen, bevor er an Bord ging. Zum Glück aber konnte er sich diese Extraausgaben auch inzwischen leisten. Der knöcherne alte Mann spuckte in die Hände, griff in die Riemen und sein stummer Kumpan zog ebenfalls die langen Blätter durchs Wasser. Schweigend ruderten sie ihn durch das brackige Hafenwasser um sein neues Schiff. Hornblower sah sich sorgfältig die Rumpflage an. Die Lionheart lag auffallend hoch auf dem Wasser, trotz ihres hohen Breitseitengewichtes und der überlangen Bugrohre. Auch schien sie bereits voll beladen zu sein.Es schien so, als würde die moderne Schusstechnik der Mörser wirklich langsam auch für die Flotte nützlich sein. Anstelle schwerer Kanonenboote, in denen der Mörser fest verankert war, die sich aber beim Segeln wie Dwarstreiber benahmen, gelang es nun auch, die neue Geschützart auf gewöhnlichen Schiffen einzubauen.Wie er Bush kannte, hatte dieser, da er für heute avisiert war, mit seiner frühen Ankunft gerechnet und dafür gesorgt, dass alles an Plünnen und Zubehör, an Fracht und Versorgung, bereits an Bord war. Bush war tüchtig in diesen Dingen und würde seine Pflichten nicht vernachlässigt haben. Hornblower war froh, einen solch verständigen Mann als Kapitän zu haben, der ihn und seine Eigenheiten gut kannte. Denn manchmal, das wusste er gut, war nicht leicht umzugehen mit ihm.Aber Bush war zuverlässig, Deshalb konnte Hornblower sich um den eigentlichen Auftrag kümmern; die Routine des Schiffsbetriebes konnte er dem einbeinigen Kapitän überlassen. Inzwischen hatte er genug gesehen und gab den Befehl, das Fallreep anzusteuern. Das Bumboot ruderte an die Strickleiter heran und wie erwartet, wurde es vom wachhabenden Unteroffizier an Bord angerufen. Dieser hatte natürlich auch bereits den Glanz der Epauletten gesehen und wusste daher, dass sich ein Offizier im Boot befand. Der Ruderer gab laut und Hornblower stand kurz auf und entblößte den Mantel, damit der Mann an Bord seine Uniform sehen konnte.
„Sinnig, Joe“ befahl der Bumbootmann seinem Kameraden und das Boot glitt an den hohen Rumpf des Schiffes heran. Hiornblower hörte bereits das Seitepfeifen des Bootsmannes, das „alle Mann an Deck“. Das Gerenne der schnellen Füße, als die Wache ihre Aufstellung nahm. Er hatte dieses formelle Zeremoniell beim Anbordgehen noch nie sonderlich gemocht, aber Bush war ein Mann der alten Schule und schätzte die Formen der Flotte.Manchmal eben musste die formale Zeremonie gewahrt sein. Jedenfalls dann, wenn der Kommandeur das erste Mal an Bord seines Schiffes kam. Seufzend enterte er auf. Da das Schiff ein Glattdecker war, war auch die Bordwand nicht sehr hoch und er kam rasch oben am Dollbord an. Kaum war sein Hut zu sehen, setzte das Pfeifen des Bootsmannes ein und als er die Füße auf das Deck setzte, nahm die Wachtruppe ein Habacht an. Aufmerksam sah sich Hornblower die Männer an. Saubere Kleidung, die einfachen Matrosen waren natürlich barfuß aber adrett in ihren weißen Hosen und blauen Hemden. Die wenigen Offiziere in einwandfreier, frisch gestärkter Uniform. Neben Bush sah er nur drei Leute. Einen Leutnant, wohl der erste Offizier des Schiffes, einen Steuermann und einen Midshipman.
Kapitän Bush begann zu strahlen, als er ihn sah, trat vor und bot ihm die Hand unter Kameraden an. Immerhin waren sie seit einer Weile im gleichen Flottenrang, auch wenn Hornblower dienstälter war..
„Kapitän Bush!“ Hornblower war wirklich erfreut: „Mylord!“ kam di etwas verkrampfte Antwort aber Hornblower kannte den guten Bush; er wusste wie dieser sich freute, ihn zu sehen.“Sir!“ verbesserte sich der Mann auch gleich.
Hornblower sah sich um. „Danke, Männer für den Empfang!“ rief er laut, damit jeder Matrose mitbekam, dass der sagenhafte Hornblower nun an Bord war. Er wusste natürlich genau, dass ein Offiziersempfang an der Reling Flottenpflicht war, keineswegs nur der Gunst der Stunde entsprungen.
„Kapitän Bush, lassen Sie uns in Ihre Kabine gehen. Ich erkläre Ihnen unsere Befehle.“
Bush wurde ernst, drehte sich wortlos um und stieg das Fallreep herunter. Hornblower folgte ihm. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, denn mit seinen fünf Fuß, zehn Zoll plus Hut war er schon zu groß für die niedrige Decke. Vor ihm betrat Bush eine breite Kabine; der Posten der Seesoldaten davor nahm Haltung an, als Hornblower an ihm vorbeistieg.Das Innere der Kammer war recht geräumig. Zumindest gab es Platz für einen breiten Navigationstisch und ein paar Stühle mit Segeltuchbespannung standen auch bereit. Ächzend nahm Hornblower den Dreispitz ab, nun, da die Kapitäne unter sich waren, fuhr sich mit der Hand über die verschwitzten Locken und begann, Bush zu informieren. „Es geht ins Mittelmeer, Bush!“ sagte er schwer. „Das Wichtige später. Jetzt lassen sie schnell den Kurs setzen. Ich möchte alsbald auslaufen. Wo ist dieser avisierte Kutter? Haben Sie etwas von Leutnant Horrocks gehört?“ Bush nickte, erfreut, dass er eine positive Nachricht zu übermitteln hatte: „Ist vor zwei Tagen bei Kettle Head ausgelaufen. Sollte eigentlich bereits vor der Küste von Plymouth stehen, Sir … Mylord!“ verbesserte er sich rasch, aber falsch. „Er muss noch Start Point runden und Torquay passieren.“
Hornblower nickte zufrieden. „Dann lassen Sie uns auslaufen!“ entschied er. „Ist an Bord alles in Ordnung?“
Bush nickte überzeugt: „Wir haben alles an Bord, Mylord. Sind gestern damit fertig geworden.Kugeln, Pulver, Spieren, alles vorhanden. Der letzte Proviant kam heute morgen.Die Wasserfässer sind festgezurrt. Bereit zum Auslaufen!“
„Dann los!“ Hornblower sah nach oben, wo ein „Spion“, ein kleiner Kompass unter der Decke befestigt war. „Wind aus Nordnordwest!“ sagte er grübelnd. „Nutzen wir die Stunde und den Wind.!“
„Jawohl Sir … Mylord! Wenn Sie gestatten …!“ Bush drängte sich an Hornblower vorbei und verließ den Raum, um Befehle zu geben. Schon hörte der Kommodore das Antreten der Männer oben auf dem Deck. Eine Bottsmannspfeife pfiff. Das Rennen von Füßen ertönte. Rasselnd kamen die Fallen, als die Segel gesetzt wurden. Er spürte mehr, als dass er hörte, wie der Anker gehievt wurde. Das Schiff begann zu schwojen, erst langsam, dann stärker. Hornblower kannte die Tidentabellen am Spithead auswendig, deshalb hatte er Bush Befehl gegeben, so schnell wie möglich auszulaufen, denn die Ebbe setzte bald ein. So würden sie rasch und gut von Land freikommen. Er hörte bereits die Spillspaken knacken, als die Anker gehievt wurden.
Hornblower stand an Deck und dachte nach. Das Achterdeck war sauber, die Männer übten sich in der Takelage. Das Meer war friedlich und still … doch es würde nicht so bleiben, das wusste er.
Er drehte den Kopf und sah achteraus. Hinter der Lionheart stampfte die Little David tapfer dahin. Ihr kurzer Rumpf wurde durch die Wellen viel stärker zurückgedrängt und die seltsame Lateinertakelung ließ ihr nicht viel Spielraum beim Manövrieren. Doch das Schiff unter dem äußerst tüchtigen Leutnant Horrocks hielt eisern Kurs hinter dem großen Glattdecker.
Hornblower dachte kurz zurück an Smallbridge. Lady Barbara hatte ihn mit einem Kuss verabschiedet; sie wusste Bescheid über seine Neigung zur Pflicht. Dennoch war sie etwas ungehalten gewesen, dass er schon so früh nach seiner immerhin raschen Genesung wieder zum Dienst gerufen wurde. „Kannst Du nicht noch ein bisschen bleiben?“ hatte sie ihn gefragt … aber er konnte nur antworten: „Der erste Seelord hat mich angefordert. Da muss ich natürlich hingehen.“ Das hatte sie letztlich auch eingesehen und so waren sie in Übereinkunft voneinander gegangen.
Hornblower musterte den langen Rumpf seines Schiffes. Sie hatten bereits Kap Finisterre umrundet und hielten nun Abstand von der spanischen Küste, die er so gut kannte. Der Hinweg war bis jetzt leicht gewesen, die See größtenteils ruhig, nur ein paar kabbelnde Wogen hatten sie durchpflügen müssen. Vorn sah er die Männer beim Exerzieren. Bush hatte die Kerls natürlich ordentlich `rangenommen, kaum, dass sie ausgelaufen waren. Er bewies eben immer noch eine hervorragende Seemanschaft und wirkte trotz des Holzbeins kein bisschen eingerostet. Nun war die Mannschaft fit; sie konnte die Segel auf allen drei Masten binnen zehn Minuten setzen und auch die Artillerieübungen waren nicht vernachlässigt worden. Das Schiff führte je zwanzig Neunpfünder an den Seiten und vorne auf dem glatten Deck.. Am Bug erkannte er die schweren beiden Langrohrgeschütze. Auch unter ihm waren zwei solche Kanonen installiert, die heckwärts gerichtet waren.Das neue an diesen Kanonen war ihre freie Schwenkbarkeit, da sie auf gewaltigen Drehbassen liefen. Theoretisch könnte also das Heckgeschütz über die ganze Länge des Rumpfes nach vorne feuern.
Kurz sann Hornblower über die Form des Schiffes nach. Eine seltsame Konstruktion, wie er fand. Länger als jede Fregatte war der Rumpf, wesentlich schneller als ein schweres Linienschiff war die Lionheart. Sie konnte jedes feindliche Schiff schnell ausmanövrieren, umkreisen und ihm das T streichen, bevor der Gegner auch nur eine Breitseite gelöst hatte. Trotz des langes Rumpfes, der ein wenig an einen Wal erinnerte, war das Schiff schnittig und leicht zu bewegen. Hornblower hatte bereits mehrere Male beobachtet wie leicht die Lionheart über Stag ging, wenn der Kurs geändert werden musste, weil der Wind sich gedreht hatte. Auch der bärtige Rudergänger vor ihm war zufrieden, denn das Ruder ließ sich gut bewegen. Der Mann äugte zum Vorliek des segels empor, als die Pardunen sich spannten, damit das segel nicht killte in einer plötzlichen Böe. Was Hornblower nicht wusste, aber dumpf ahnte, war, dass mit dieser Art von Schiffen das Ende des Segelzeitalters eingeleitet wurde. Sie würden in ihrer höchsten Ausprägungsform als „Teeclipper“ bekannt werden. Nun war wirklich die Zeit des Dampfschiffes angebrochen … und die Feinheiten der Segelkunst würden verloren gehen bis auf wenige Ausnahmen.
Inzwischen hatten sie Kap Espichel umrundet, waren damit an Lissabon vorbeigesegelt. Die Küste war dünn in der Ferne erkennbar. Das Schiff näherte sich dem Golf von Cadiz, damit dem Kap Trafalgar und würde dann in Richtung Gibraltar nach Osten einschwenken.
Bush trat neben ihn, den Kieker in der Hand. Er hob das Glas ab die Augen und sah starr voraus. Dabei kniff er noch immer das andere Auge zu.
Er setzte das Glas ab und sah Hornblower erwartungsvoll an: Wie erwartet, Mylord!“ sagte er zufrieden: „Kap St. Vincent voraus!“ Die Dünung brach sich als Brecher gischtend an den Felsen des Kapfußes.
Sie würden die spanische Südküste weit umrunden und dann direkt Kurs auf die Meerenge nehmen.
Bis jetzt war die Fahrt ohne große Ereignisse verlaufen. Auf halber Strecke waren sie dem Postschiff aus England begegnet, das von einer Fregatte als Geleitschutz begleitet wurde. Dieses Schiff brachte Vorräte und Nachrichten an die Blockadeflotte im Mittelmeer und nahm die Post der Mannschaften wieder mit nach England. Die Lionheart und das Postschiff hatten kurz Signale getauscht, aber neuere Depeschen waren nicht bekannt und Hornblower konnte seine Zeitung noch immer als aktuell ansehen. Auch die Begleitfregatte, die Sir Walter Raleigh, war kontaktiert worden. Neuere Informationen hatte aber auch ihr Kommandant nicht besessen.
Hornblower beobachtete die Offiziere und Mannschaften. Zweihundert Mann Besatzung waren nicht viel; aber in diesen Tagen musste man nehmen, was man bekommen konnte. Immerhin konnte Bush mit dieser Besatzung die Segel manövrieren und wenigstens eine Breitseite besetzen.Für beide Seiten würde es schon kritisch werden, doch konnte Hornblower sich nicht vorstellen, dass er hier in ein starkes Gefecht auf Tuchfühlung gehen würde. Dafür hatte er ja diese neumodischen Mörser, mit denen er auch auf größere Reichweite feuern konnte.
Der junge Midshipman, Harris, stand auf dem Vordeck und begutachtete die Arbeit der Mannschaften. „Heda, nicht so fest!“ rief er, als eine Duhne zu hart gespannt wurde. Gehorsam ließen die Männer etwas Tau nach.Wurde das Schot zu hart aufgezogen, so konnte es bei Überbelastung allzuleicht brechen.Da war es besser, dem Tau etwas Spielraum zu geben.
Hornblower musterte die Masten. Das Schiff stand unter vollen Segeln, sogar die Royals waren gesetzt, denn der Wind kam von achtern und war gut. Er schralte nur wenig und blies ausdauernd. Sie hatten seit dem Auslaufen wirklich Glück mit dem Wetter gehabt, doch Hornblower ahnte bereits, dass das nicht so bleiben würde.Das Schiff lag gut auf Kurs Ostsüdost, hatte eine stete Brise und fuhr ruhig dahin.Die See war recht still, die Lionheart stampfte voran und steckte nur ab und an ihren Bug in einen Gischtfetzen.
Noch war zwar nicht die Zeit der Herbststürme gekommen, aber so manches Wetter kam unangekündigt. Der Bootsmann pfiff. Vorne kamen die Männer herangerannt und holten die Brassen und Taljen, um einige der hohen Segel zu reffen. Blöcke kreischten in ihren Führungen, als die Männer die Fallen holten und Leinen wurden belegt.
Hornblower erkannte Silk, den herkulischen Bootsmann, der wie immer vorneweg lief und seine Matrosen mit Gebrüll antrieb. Sein Rohrstock drohte, doch noch hatte er keinen Gebrauch davon machen müssen.
Hornblower stand an Deck: an Backbord trieb Kap Finisterre vorbei mit seinen schroffen Klippen. Der Himmel war klar, die See ruhig, das Schiff machte gute Fahrt. Er sah Fähnrich Harris vorne am Bugspriet mit seinem Fernglas stehen. Er schien etwas zu erkennen, denn er machte aufgeregt Meldung. Hornblower konnte die krächzende Stimme des Jungen kaum hören; dieser befand sich seit drei Tagen im Stimmbruch. Bush kam mit fliegenden Rockschößen achteraus gerannt, um ihn zu informieren. Sein Holzbein pochte dabei jedesmal dumpf auf das Deck. „Segel backbord voraus, Sir!“ machte er schwer atmend: „Britische Flagge. Das wird wohl das andere Postschiff sein, das von Gibraltar heraufkommt und die Berichte nach England segelt. Dahinter ist noch ein Segel erkennbar, wohl die Begleitfregatte.“ „ Sehr schön!“ sagte Hornblower gleichmütig, legte die Hände auf den Rücken und spazierte das Deck kurz entlang. „Geben Sie Signal, wenn wir in Reichweite sind. Beidrehen. Ich möchte mit den Kapitänen sprechen!“
Manning, der wachhabende Unteroffizier, trat mit seinem Kieker hinzu: „Es ist die Francis Drake, Sir!“ meldete er. „Mit Depeschen von Gibraltar nach England, Kapitän Morus. Sie signalisieren!“ Er hob das Glas noch einmal ans Auge. „Die Begleitfregatte ist die Innsmouth!“ informierte er. seine Vorgesetzten.
Wenig später. Beigedreht lagen die drei Schiffe nebeneinander. Hornblower war sich nicht zu schade, trotz seines Ranges, selbst hinüberzufahren. Er ließ die Gig klar machen und ging von Bord.
Ächzend ließ er sich in den Stuhl fallen, den Kapitän Morus ihm anbot. Kurz sprachen sie über Boney, den Krieg, die Situation im Mittelmeer und die neusten Berichte aus Gibraltar. Die französische Flotte lag nach wie vor in den Häfen, etwa in Toulon und rührte sich nicht vom Fleck. Allerdings waren ihre Überreste nach mehreren verlorenen Schlachten auch kaum noch seetüchtig. Die britische Blockadeflotte hingegen baute ihre Vormachtstellung von Tag zu Tag aus, ritt sturmgestählt die wildesten Seen ab
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Holger Döring
Bildmaterialien: Holger Döring
Cover: Holger Döring
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5843-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die, da da waren, und es nicht mehr sind. Für die, da waren, und es noch sind. Für die, die nicht da waren. Für ihn ... und ganz besonders: für sie.